Soft Skill-Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt
Bedeutung und Wandel
Soziologisches Institut der Universität Zürich Dr. Alexander Salvisberg
Ausgangsthese
In der zeitgenössischen Arbeitswelt genügen Schulwissen und Fachkompetenz immer weniger, um den komplexer werdenden und sich zunehmend schneller wandelnden Anforderungen gerecht zu werden. Fachunspezifische Metafähigkeiten, soziale Kompetenzen und persönliche Stärken gewinnen an Bedeutung. Sie sind in steigendem Mass entscheidend für den individuellen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt .
Überblick
1. Trends bei der Qualifikationsnachfrage
2. Soft Skills: langfristige Trends
3. Unterschiedliche Soft Skill-Profile
4. Soft Skills und Lehrstellensuche
5. Folgerungen für die Schulbildung?
1. Trends bei der Qualifikationsnachfrage
Bewertungskriterien im Arbeitsmarkt Befähigungskriterien
formale Qualifikationen
Zertifizierung
Schulbildung
Berufsbildung
Weiterbildung
Spezialbildung
informelle Ausbildung, Erfahrung
informelle Qualifikationen
Überfachliche Kompetenzen
Persönlichkeitseigenschaften
Arbeitstugenden
Motive und Werthaltungen
Zuschreibungskriterien Geschlecht Alter Nationalität Herkunft
Zusatzkriterien zeitliche und räumliche Verfügbarkeit Körperkraft Aussehen etc.
Hard Skills
Soft Skills
Anforderungen im Stellenmarkt: Trends 1950-2011
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Tertiär- / Zusatzausbildung
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Ausbildung + Soft Skills
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Nachfrageentwicklung Textilindustrie 1950-2000
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Stellenzahl
Ausbildungsanforderungen
(Presse DCH)
Schrumpfen des „Jedermannarbeitsmarktes“, Berufsausbildung wird zunehmend unentbehrlich prekäre Arbeitsmarktintegration für Unqualifizierte
Berufslehre allein genügt immer weniger; zusätzlich Weiterbildung auf Tertiärniveau und Berufserfahrung Problematik der Berufseinsteiger
Zusätzlich zu Ausbildung und Erfahrung werden Soft Skills immer wichtiger erweiterte Ansprüche an die Arbeitnehmer
Trends bei der Qualifikationsnachfrage
(Neue Zürcher Zeitung, 15. März 1910)
[…] Zur Ergänzung unseres engagierten Teams suchen wir per sofort oder nach Vereinbarung aussergewöhnliche Lehrkräfte Wir benötigen Lehrerinnen und Lehrer mit gewünschtem Teilzeitpensum für die Fächerkombination Deutsch, Französisch und Englisch für die Oberstufe bis Matur. Ausserdem haben wir einen Bedarf an erfahrenen Lehrkräften, welche mit Freude die Fächerkombination Mathematik, Physik und Chemie auf der Mittel- und Oberstufe ebenfalls im Teilzeitpensum unterrichten. Wenn Sie eine aufgestellte, positive Persönlichkeit sind, Motivationstalent und Freude an neuen Lernwegen haben, über ein kreatives Potenzial verfügen und flexibel sind, dann freuen wir uns auf Ihre baldige Kontaktaufnahme. Wir suchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bereit sind, bei entsprechendem Bedarf auch am Abend (bis 20 Uhr) sowie am Samstag (bis 16 Uhr) zu arbeiten. […]
(Baslerstab, 11. März 2010)
2. Soft Skills: langfristige Trends
Soft Skills: Trends alle Kategorien
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Ante
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Effizienz, Exaktheit, Belastbarkeit Flexibilität, Auffassungsgabe, Kreativität, Organisationsfähigkeit Umgänglichkeit, Freundlichkeit Kooperations- und Teamfähigkeit Kommunikations- und Durchsetzungsfähigkeit Einsatzwille, Zuverlässigkeit Innerer Antrieb, Motivation
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Gründe für die Zunahme der Soft Skill-Anforderungen
1. Wandel der Tätigkeitsstruktur Verlagerung zu Soft Skill-intensiven Tätigkeiten:
Schrumpfendes Stellenangebot in industriellen und gewerblichen Berufen
Stagnierende / rückläufige einfache Dienstleistungen Expansion der komplexeren Dienstleistungen
(Beratung und Planung, Betreuung und Pflege, Bildung und Forschung, Kommunikation und Information)
Wandel der Tätigkeitsstruktur 1970-2000
(Quelle: Schweizerische Volkszählungen, BISS; eigene Berechnung)
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Gründe für die Zunahme der Soft Skill-Anforderungen
2. Verbreitung neuer Technologien inhaltliche, zeitliche und kommunikative Verdichtung der Arbeit:
Entlastung von Routinetätigkeiten; Hauptarbeit wird anspruchsvoller, entscheidungs- und kommunikationsintensiver
Computerkenntnisse und Veränderungstempo Neue Möglichkeiten der Kontrolle / Überwachung
Computer, Routinetätigkeiten und Soft Skills Schluss mit der zeitaufwendigen Routinearbeit an der Reception! Gästeanfragen beantworten, Reservationen und Buchungen bestätigen und vormerken, Rechnun-gen ausstellen, Routine-Arbeiten beim Checkin und Checkout und während des Gästeaufenthaltes vornehmen - all dies erfordert viel Zeit- und Arbeitsaufwand. […]
Lächeln Sie Ihren Gast an... und geben Sie Ihm die Zeit und die Aufmerksamkeit, die er von Ihnen erwartet: Unsere Hotel-Software gibt Ihnen die Möglichkeit, sich um die wesentliche Dinge Ihres Hotels zu kümmern und die Routinearbeit dem Computer zu überlassen. Serv ierer ohne Sozialkompetenz: “Care-O-Bot” ist ein fast mannshoher Serviceroboter mit Greifarm und ausklappbarem Tablett. Seine Aufgabe war es, die Heimbewohner mit Getränken zu versorgen und diese auf seinem Tablett anzubie-ten. Seine Grenzen wurden deutlich sichtbar - denn anders als menschliche Pflege-kräfte konnte er die Bedienten nicht zum Trinken animieren.
Gründe für die Zunahme der Soft Skill-Anforderungen
3. Neue Formen der Arbeitsorganisation Steigerung von Anforderungen und Chancen: Komplexifizierung der Berufsrollen:
Jobenlargement und Jobenrichment Betonung der Eigenverantwortung:
Outputvorgaben statt Pflichtenheft und Arbeitszeit Gruppendruck und gegenseitige Kontrolle im Team
Komplexifizierung der Berufsrollen
„Durch Reengineering eines Prozesses werden aus eng definierten, aufgabenorientierten Positionen multidimensionale Berufsbilder. Menschen, die sich früher lediglich an ihre Anweisungen zu halten hatten, treffen nun eigene Entscheidungen. (...) Das alte Modell beruhte auf einfachen Aufgaben für einfache Menschen; das neue hingegen bietet facettenreiche Berufe für intelligente Menschen, wodurch die Eintrittsbarrieren in die Erwerbstätigkeit erhöht werden. Nach dem Business Reengineering werden nur wenige simple Routinetätigkeiten für ungelernte Kräfte bereitstehen. “ (M.Hammer & J.Champy. 1996. Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen)
Gründe für die Zunahme der Soft Skill-Anforderungen
Wandel der Tätigkeitsstruktur
Verbreitung neuer Technologien
Neue Formen der Arbeitsorganisation
Verstärkend: - beschleunigtes Wandlungstempo - Druck zur Effizienzsteigerung - „Modeerscheinung“?
3. Unterschiedliche Soft Skill-Profile
Soft Skill-Profile nach Ausbildungsniveau
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Einsatzbereitschaft / Motivation
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keine / minimale Ausbildung Berufliche Grundbildung Tertiärausbildung
Soft Skill-Profile nach Tätigkeitsbereich
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Auffassungsgabe / analytisches Denken Flexibilität
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Zuverlässigkeit / Verantwortungs-
bewusstsein
Kooperationsfähigkeit / Teamorientierung
Management Kaufmännisch Gesundheit / Körperpflege Verkauf Industriell Gastgewerblich
Die Bedeutung von Soft Skills im 21. Jahrhundert
Soft Skill sind wichtig und mitentscheidend für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt: Einstieg und Karriere
Soft Skills ersetzen keine Hard Skills
Traditionelle Arbeitstugenden bleiben wichtig, moderne Fähigkeiten kommen zunehmend dazu
Soft Skill-Anforderungen sind rollenspezifisch
Soft Skill-Anforderungen werden weiter steigen
4. Soft Skills und Lehrstellensuche
Fachliche Qualifikationen reichen nicht
„Fachliche Qualifikationen alleine reichen allerdings für den Erfolg bei der Lehrstellensuche nicht aus. Wer die erste Runde des Selektions-prozesses übersteht, wird im Rahmen eines Bewerbungsgesprächs oder eines Assessments in Bezug auf die Schlüsselqualifikationen geprüft. Jugendliche, die ein Lehrstellenangebot erhalten, verfügen gemäss Einschätzung der zuständigen Personen über deutlich höhere Selbst- und Sozialkompetenzen: Selbstvertrauen, Aufmerksamkeit und Selbständigkeit einerseits, Kommunikationsfähigkeit, Team-fähigkeit und Kontaktfähigkeit andrerseits.“
Urs Moser. 2004. Jugendliche zwischen Schule und Berufsbildung (http://edudoc.ch/record/3711/files/Moser.pdf)
Kriterien bei der Lehrstellbesetzung
„Die hohen Anforderungen an fehlerfreies Arbeiten verlangen vom kaufmänni-schen Angestellten nach wie vor Genauigkeit, Sorgfalt, Gewissenhaftig-keit und Exaktheit. […] Typischerweise betonen Grossbetriebe eher die Eigeninitiative einer Person, während bei Kleinbetrieben das selbständige Arbeiten sowie die Motivation im Vordergrund stehen. […] Bei den Sozial-kompetenzen sind Team-, Kommunikations- und Kontaktfähigkeit sehr wichtig. Kleinbetriebe legen ausserdem besonderen Wert auf eine „ange-nehme Persönlichkeit“. Flexibilität und Kreativität werden nur von Grossfirmen verlangt. […] Der Einsatz von professionellen Selektionsinstru-menten […] verdeutlicht die Wichtigkeit, die den „modernen“ Schlüsselqualifi-kationen beigemessen wird. Elternhaus und Freizeitverhalten dienen sowohl in Gross- wie auch Kleinbetrieben als Indikatoren für gewünschte Eigenschaften. Maja Grob. 2003. Qualifikationsanforderungen an Lehrlinge (Lizentiatsarbeit, Soziologisches Institut der Universität Zürich)
Lehrstellensuche mit Hauptschulabschluss?
Schulische Kenntnisse von Hauptschülern pauschal als gering eingeschätzt Fachnoten von geringer Bedeutung
Erfolgsfaktoren: Lernmotivation, Sozialkompetenz, Arbeitstugenden Betriebliche Anbindung vor Lehrantritt
Heike Solga, Meike Baas und Bettina Kohlrausch (Studie zum Übertritt in die Lehre von Hauptschülern in Niedersachsen) (www.wzb.eu/sites/default/files/publikationen/wzbrief/wzbriefbildung192011_solga_baas_kohlrausch_0.pdf)
5. Folgerungen für die Schulbildung?
Curriculare Aufwertung von Soft Skills Anforderungen der Arbeitswelt
Individueller Arbeitsmarkterfolg
Persönlichkeitsentwicklung
Chancengleichheit
Bedingungen für die Förderung von Soft Skills
Berücksichtigung der unterschiedlichen Soft Skills
Lernziele: explizit, klar definiert und abgestuft
Kombinierte Vermittlung von Sachkompetenzen und Soft Skills
Evaluation?
Dokumentation / Zertifizierung / Anerkennung?
www.stellenmarktmonitor.uzh.ch