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So arbeiten Schülerinnen und Schüler mit dem Buch D3 · So arbeiten Schülerinnen und Schüler...

Date post: 21-Feb-2020
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So arbeiten Schülerinnen und Schüler mit dem Buch Jede Themeneinheit beginnt mit ei- ner Orientierungsseite. Hier erfährst du, um welches Thema es geht und du kannst erste Fragen stellen. Die Kapitel unterteilen sich in den infor- mierenden Verfassertext (VT) und einen Materialteil. Neben der Seitenzahl findest du ei- nen Hinweis auf die im Kapitel berück- sichtigte Kategorie. Kategorien sind Gesichtspunkte, unter denen man Ver- gangenheit betrachten kann. In deinem Leben im Deutschen Kaiserreich die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen 1 18 Leben im Deutschen Kaiserreich die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen 1 Nationalismus und Militarismus „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, so lautete ein viel zitierter Satz, der auf den Dichter Emanuel Geibel zurückging. Dieser übersteigerte Nationa- lismus prägte die Einstellung weiter Bevölkerungskreise im Kaiserreich. Der „vaterländische Gedanke“ Seit dem Sieg über Napoleon 1814 / 15 hatte der Nationalgedanke in Deutsch- land eine antifranzösische Tendenz. Die wurde im Krieg 1870 / 71 noch ver- stärkt: Der gemeinsame Kampf gegen den französischen „Erbfeind“ einte die Deutschen. Weil Deutschland die führende Militär- und bald auch Wirtschafts- macht auf dem Kontinent war, fühlte man sich anderen Völkern und Staaten überlegen. Überheblichkeit und Missachtung anderer kamen besonders un- ter Kaiser Wilhelm II. zum Ausdruck. Mit anmaßenden Reden und seiner Vor- liebe für alles Militärische rief er im Ausland Verwunderung, Ablehnung und Misstrauen hervor. An der Pflege des „vaterländischen Gedankens“, wie es damals hieß, wirkten viele mit. Selbstverständlich verbreitet war er im Militär. Aber auch die Schule hatte die Aufgabe, die deutsche Geschichte, das deutsche Volk und die deut- schen Herrscher zu verherrlichen. Schützen-, Turner- und Sängervereine feier- ten mit Begeisterung nationale Feste und sangen patriotische Lieder. Sie hatten Millionen von Mitgliedern – so verwurzelte sich der „vaterländische Gedanke“ in der Bevölkerung immer stärker. Die Militarisierung der Gesellschaft Mit dem Nationalismus eng verbunden war die Hochschätzung alles Militäri- schen. Militärische Stärke galt als Garantie für die Sicherung der neuen Vor- machtstellung in Europa. Parlament und Regierung hatten auf das Militär praktisch keinen Einfluss. Der Oberbefehl lag beim Kaiser. Das Militär stieg zum angesehensten Stand im Reich auf. Dabei blieben die ho- hen Offiziersränge vorwiegend von Adeligen besetzt. Die Offiziere hoben sich durch besondere Privilegien und Lebensformen von der übrigen Bevölkerung ab. Sie wurden bewundert und nachgeahmt. Auf den Bürgersteigen wich man ihnen aus und in den Restaurants wurden sie bevorzugt bedient. Gut gestellte Bürger strebten nach militärischem Aufstieg: Sie konnten den so genannten einjährig-freiwilligen Militärdienst leisten und es dann bis zum Reserveoffizier bringen. Uniformen für Zivilberufe – von der Eisenbahn bis zur Feuerwehr standen hoch im Kurs. Viele eigneten sich die Hierarchievorstellungen, das Ver- halten und die Redeweise des Militärs an. Auch im zivilen Leben bestimmte oft der militärische Rang den Stellenwert eines Menschen. A: Erläutere, warum der „vaterländische Gedanke“ für weite Kreise der Bevölke- rung so attraktiv sein konnte. [II] B: Erkläre, was der zeitgenössische Begriff „Erbfeind“ meint. Denke dabei auch an frühere Auseinandersetzun- gen zwischen Deutschland und Frank- reich. [II] einjährig-freiwilliger Militärdienst Wer mindestens die 10. Klasse einer höheren Schule abgeschlossen hatte, konnte statt des üblichen zweijährigen einen einjährigen Militärdienst leisten. Er musste die Kosten dafür aber selber tragen. Q1 Ausschnitt aus einer Bildpostkarte um 1900 Die Originalunterschrift lautet: „Der Sol- dat ist der schönste Mann im Staat.“ C: Begründe, weshalb der Hersteller der Ansichtskarte sich für dieses Motiv ent- schieden haben könnte. [II] Herrschaft 17 Herrschaft D2 Reichstagswahlen von der Reichs- gründung bis zum Ersten Weltkrieg jeweils in der ersten Spalte Stimmen- anteil in Prozent, in der zweiten Spalte die Mandate Gerd Hohorst/Jürgen Kocka/Gerhard. A. Ritter, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch II. Materialien zur Geschichte des Kaiserreichs 1870–1914, Mün- chen 1978, S. 173–175. Partei 1874 1884 1893 1903 1912 Konservative 6,9 22 15,2 78 13,5 72 10,0 54 9,2 43 Zentrum 27,9 91 22,6 99 19,1 96 19,8 100 16,4 91 Nationalliberale 29,7 155 17,6 51 13,0 53 13,9 51 13,6 45 Sozialdemokraten 6,8 9 9,7 24 23,3 44 9,7 24 34,8 110 Paul Hirsch, Der preußische Landtag. Handbuch für sozialdemokratische Landtagswähler, 3. Aufl. Berlin 1913, S. 11, zit. nach Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Das deutsche Kaiserreich 1871–1914. Ein historisches Lesebuch, 5. Aufl. Göttingen 1992, S. 123 (Vandenhoeck und Ruprecht) D3 Wahlen zum preußischen Land- tag 1908 Partei Stimmenanteil Mandate Konservative 14,15 152 Freikonservative 2,24 60 Zentrum 19,91 104 Nationalliberale 12,71 65 Freisinnige Volkspartei 3,93 28 Polen und Dänen 9,02 17 Sozialdemokraten 23,87 1 1. Erläutere anhand von Q3 den Cha- rakter des neuen Staates. [II] 2. Charakterisiere das Verständnis von Herrschaft und Politik, das hinter der Äußerung Wilhelms II. steht (Q4). [II] 3. Berechne für jedes Jahr den Anteil der einzelnen Parteien an der Gesamt- zahl der Reichstagsmandate (397) in Prozent (D2). [I] 4. Untersuche das jeweilige Verhältnis von Stimmen- und Mandatsanteil (D2). Wem nützen und wem schaden die Unterschiede dazwischen? [II] 5. Verfasse eine kurze Äußerung: Was würde ein SPD-Abgeordneter seinem Kollegen Oldenburg-Januschau im Reichstag erwidern (Q5)? [II] 6. Charakterisiere das Verhältnis von Parlament und Regierung, das von Sybel als Ideal ansieht (Q6). [II] 7. Städtische Wahlkreise hatten meist mehr Wähler als ländliche. Welche Auswirkungen hatte das? Vergleiche mit deinen Berechnungen. [III] 8. Berechne, wie viele Abgeordnete jede Partei bei gleicher und direkter Wahl im Verhältniswahlrecht erhalten hätte. [I] 9. Erläutere anhand des Verfasser- textes die Gründe für die Unter- schiede. [II] Beurteile die Wahlverfahren im Reich und in Preußen im Vergleich. [III] Q5 Herrscher und Parlament Der konservative Abgeordnete Elard von Oldenburg-Januschau erregte 1910 in ei- ner Reichstagsrede mit dieser Äußerung Aufsehen: Der König von Preußen und der Deut- sche Kaiser muss jeden Moment im- stande sein, zu einem Leutnant zu sa- gen: „Nehmen Sie zehn Mann und schließen Sie den Reichstag.“ Zit. nach: Verhandlungen des Reichstages, Vl. Legislaturperiode, Bd. 259. S. 898. 5 Q6 Gegen Absolutismus und „popu- läre Agitation“ Der Historiker und nationalliberale Ab- geordnete Heinrich von Sybel meinte 1871: Auch wenn eine Volksvertretung, wie in Deutschland und Nordamerika, nicht die Kraft besitzt, Minister ein- und abzu- setzen, so ist schon ihr Dasein und ihre Debatte, ihre Kritik des Budgets [Haus- halts] und ihre Befugnis, misslungene Gesetzentwürfe zu vernichten, eine 5 höchst bedeutende Schranke gegen je- den willkürlichen Absolutismus der Re- gierung. Diese Regierung aber in fester Hand und den Wogen der populären Agitation entzogen zu wissen, erscheint uns (…) als unschätzbarer Segen. Heinrich von Sybel: Das neue deutsche Reich. In: Vorträge und Aufsätze. Berlin 2. Aufl. 1874, S. 322 f. 10 Die Anforderungs- bereiche der ver- wendeten Opera- toren findest du in eckigen Klammern. 1 die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen mehr Infos zum Kapitel xxxxxx Leben im Deutschen Kaiserreich Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches war ein mächtiger neuer Staat in der Mitte Europas entstanden. Wirtschaft, Industrie und Verkehr entwickelten sich schnell. Die Städte wuchsen und veränderten ihr Gesicht. Vieles blieb aber auch beim Alten, vor allem auf dem Lande. Deswegen fallen die Urteile über das Kaiserreich sehr unterschiedlich aus: Lebte man im Kaiserreich in der „guten alten Zeit“? War das Kaiserreich ein Staat mit überholter Adelsherrschaft und Unterdrückung der Arbeiterschaft? War es ein militaristischer Unruhestifter? Oder war es ein Industriestaat, mit dem in Deutschland die moderne Zeit begann? Berlin 1908 1860 1870 1880 1866 Preußen besiegt Österreich und der Deutsche Bund wird aufgelöst. 18. Januar 1871 Der preußische König Wilhelm I. wird zum „Deutschen Kaiser“ ausgerufen. 16. April 1871 Die Verfassung des Deutschen Reiches tritt in Kraft. Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck wird erster Reichskanzler. 1870 / 71 Krieg zwischen Deutschland und Frankreich Das Deutsche Kaiserreich 1871 Parade der Gardetruppen im Berliner Lustgarten 1909 1890 1884 / 85 Deutschland erwirbt Kolonien in Afrika und Südostasien. 1890 Wilhelm II. entlässt Bismarck als Reichskanzler. 1888 Nach dem Tod Kaiser Wilhelms I. besteigt sein Sohn Friedrich III. den Thron. Er ist schwer krank und stirbt bereits nach drei Monaten Regierungszeit. Nachfolger wird sein Sohn Wilhelm II. um 1895 Die Industrie wird zum wichtigsten Wirtschafts- bereich in Deutschland. 1910 Fast die Hälfte aller Einwohner Deutschlands lebt in Städten mit mehr als 5 000 Einwohnern. 1914 Der Erste Welt- krieg beginnt. Herrschaft , das v 6). [II] B Reich Geschichtsbuch spielen die Kategorien Orientierung, Herrschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Weltdeutungen eine be- sondere Rolle. Eine kategoriale Erarbeitung der Epo- chenschwerpunkte ermöglicht dir das zweite Inhaltsverzeichnis im Anhang des Buches. In das Thema einsteigen Geschichte untersuchen und entdecken Mit diesen Aufga- ben kannst Du Dein Wissen und Können vertiefen und er- weitern. Im Methodentraining wird dir an einem Material eine Fachmethode er- klärt. Die Arbeitsschritte findest du im Anhang des Buches wieder. Auf den Seiten Geschichte erin- nert und gedeutet wird dir gezeigt, wie Menschen aus späterer Zeit Ge- schichte darstellen und beurteilen. Du entdeckst, dass es viele Deutungen von Geschichte geben kann. Die Seiten Vertiefen und Vernet- zen fassen für dich den epochalen Schwerpunkt im Hinblick auf die Ka- tegorien Herrschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Weltdeutungen zu- sammen. Text- und Bildmaterialien ermöglichen dir auch noch neue Ein- sichten in das Thema. 20 Leben im Deutschen Kaiserreich die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen 1 Denkmäler untersuchen Denkmäler sollen an bestimmte Personen und Ereignisse erinnern, die ihre Erbauer für besonders wichtig halten. Diese Erinnerung soll für die Zukunft bewahrt werden. Das Gedenken kann sich auf einen Ort beziehen (örtliche Kriegerdenkmäler, das Denkmal für den „großen Sohn“ der Stadt) oder auf eine ganze Nation (Herrscherdenkmäler, Nationaldenkmäler). Oft werden Denkmäler zu bestimmten Gedenktagen und Jubiläen errichtet oder eingeweiht oder es finden dort an solchen Tagen Feierlichkeiten statt. Im 19. Jahrhundert ist die 30 Leben im Deutschen Kaiserreich die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen 1 Otto von Bismarck im Urteil der Nachwelt Von weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung wurde Otto von Bismarck als der „Baumeister des Deutschen Reiches“ angesehen. Die Siege über Österreich und Frankreich, die Schaffung eines deutschen Nationalstaates und dessen Vormachtstellung in Europa – alles dies schien vor allem das Werk eines ein- Q1 Bismarck-Apotheose (Vergöttlichung) Gemälde von Ludwig Rudow, 1890 Bismarck wird umgeben von der Göttin der Geschichtsschreibung, die eine Chronik mit der Jahreszahl 1870/71 in den Händen hält, der Ger- mania mit einer frei erfundenen Reichs- krone sowie der Siegesgöttin Victoria, die Bismarck mit einem Lorbeerkranz krönt. Davor stehen Vertreter des deut- schen Volkes, die die unterschiedlichs- ten Schichten und Berufe repräsentie- ren. A: Erläutere, wofür die einzelnen Figuren auf dem Bild stehen. [II] B: Interpretiere das Bild zusammen- fassend. [II] Kleine Symbole helfen dir, dich im Buch leichter zurechtzufinden: Verweis auf Kapitel weiter hin- ten im Buch Verweis auf Kapitel weiter vorn im Buch Literaturtipps zum Weiterlesen Fakultative Themen Auf einigen Seiten im Buch fin- dest du Geschichte-und-Geschehen- Codes. Diese führen dich zu weite- ren Informationen, Materialien oder Übungen im Internet. Gib den Code einfach in das Suchfeld auf www.klett. de ein. Auf Wiederholen und Anwenden kannst du dein Wissen mit kreativen Aufgaben- formaten überprüfen und festigen. Im Online-Bereich findest Du Selbst- einschätzungsbögen und interaktive Übungsaufgaben. die weltweite auseinandersetzung umpolitische ordnungen 200 Gesellschaft Grundbegriffe: Demokratie S. 109 Kommunismus S. 101 Sozialismus S. 26 Nationalsozialismus S. 144 Weltkrieg S. 177 Militarisierung S. 155 Rassismus S. 154 Diskriminierung S. 168 Antisemitismus S. 154 Neue Bewegungen im Kaiserreich Die Gesellschaft im Kaiserreich war tra- ditionell und modern zugleich. Der Adel blieb einflussreich, vor allem im Militär und in der hohen Verwaltung. Das Bür- gertum stieg auf in Wirtschaft und Wis- senschaft, aber am unteren Rand, etwa im Handwerk, verlor es auch alte Posi- tionen. Im Zuge der Industrialisierung wurde die Arbeiterschaft zur breitesten Schicht. Neu war die Gruppe der Ange- stellten mit Verwaltungsaufgaben in Wirtschaft und Verbänden. Vor allem ab etwa 1900 modernisierten sich die Lebensweisen, u. a. mit neuen Möglichkeiten der Bildung, des Kon- sums und der Unterhaltung. Frauen, Kin- der und Jugendliche hatten sich bislang weitgehend in männlich beherrschten Umgebungen bewegt. Jetzt begannen sie eigene Vorstellungen zu entwickeln und Rechte einzufordern. Eine Frauen- bewegung gab es schon länger. Um die Jahrhundertwende entstand nun auch eine Jugendbewegung: Sie wollte sich mit eigenen Lebensformen absetzen von der als verkrustet wahrgenommenen Erwachsenenwelt. Und die Natur sollte wiederentdeckt werden als Gegenpol zu Industrie und Verstädterung. Die Re- formpädagogik versuchte, anders als die herkömmlichen Schulen, sich an Interes- sen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen zu orientieren – Pädagogik „vom Kinde aus“ war ihr Motto. Die Weimarer Republik – Emanzipation und Gewalt In der Weimarer Republik nahmen diese Veränderungen an Dynamik zu. Nach der Niederlage im Ersten Welt- krieg, durch die politischen Wirren und die wirtschaftlichen Krisen wurde vieles unsicher, was vorher selbstverständlich schien. Im Krieg hatten Millionen von Männern zuvor nicht vorstellbare Ge- walterfahrungen gemacht. Das wirkte jetzt nach. Gewalt wurde zum Mittel der innenpolitischen Auseinandersetzung. Politische Parteien hielten sich ihre ei- genen Kampfverbände, die bei Aufmär- schen, Straßen- oder Saalschlachten zum Einsatz kamen. Frauen besaßen jetzt das Wahlrecht, sie begannen sich zu emanzipieren, hatten häufiger ein eigenes Einkommen. Vor allem auf dem Lande aber blieben die Lebenswelten zumeist noch unverän- dert – beides existierte nebeneinander. Die Jugendbewegung wirkte in der Bün- dischen Jugend weiter: Stärker als zuvor schloss man sich in einzelnen, elitären Gruppen zusammen und entwickelte ei- gene Rituale. Auch Parteien und Kirchen hatten ihre Jugendorganisationen. Gesellschaftliche Formierung im „Dritten Reich“ Die gesellschaftliche Leitidee des Natio- nalsozialismus war die „Volksgemein- schaft“. Der Begriff sollte nach innen in- tegrierend wirken, nach außen wirkte er ausgrenzend. Vor allem die Juden zählten nicht zur nationalsozialisti- schen Volksgemeinschaft. Antisemitis- mus hatte es zwar auch schon früher und keineswegs nur in Deutschland ge- geben. Neu und zuvor kaum vorstellbar war die Radikalität von Ausgrenzung, Verfolgung und schließlich Vernichtung. Männern, Frauen, Kindern und Jugend- lichen schrieb die nationalsozialistische Ideologie jeweils eigene Aufgaben zu: Das männliche Ideal war das des Solda- ten, das der Frau die Mutter und Haus- frau. Emanzipation, wie sie sich in der Weimarer Zeit entwickelt hatte, wurde abgelehnt. Alle Jugendorganisationen wurden aufgelöst und in der Hitler- jugend vereint. Dabei übernahm man die Rituale von Fahrt und Lagerleben. Die Organisation richtete sich am Füh- rerprinzip aus, wie es Hitler in Partei und Staatsführung repräsentierte. Freiheit oder Fremdbestimmung – wie entwickeln sich Gesellschaften? Schon im Deutschen Reich von 1871 geriet die alte Gesellschaft in Bewegung. Hergebrachte Rollen von Frauen, Kindern und Jugendlichen begannen sich zu ändern. In der Weimarer Republik setzte sich das verstärkt fort. Der National- sozialismus machte sich manches Neue zu Nutze, anderes unterband er. Vertiefen und Vernetzen 201 3. Begründe, weshalb das „Lied der Hitlerjugend“ (Q3) nicht zu den Wan- dervögeln auf Foto Q2 passt. [II] 4. Suche aus den Kapiteln zum Kaiser- reich, zur Weimarer Republik und zum Nationalsozialismus Bilder von 1. Vergleiche Q1 und Q2 mit Q3 und Q4 im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede. [III] 2. Kommentiere aus der Perspektive des Hitlerjugendführers vorne auf dem Foto Q4 das Foto Q2. [II] Frauen heraus und erläutere sie mit- hilfe des Verfassertextes auf der linken Seite. [II] Q1 Das Meißnerfest 1913 fand auf dem Hohen Meißner, ei- nem Berg bei Kassel, der „Erste Frei- deutsche Jugendtag“ statt. Im Aufruf zur Teilnahme schreiben die Organisatoren: Die deutsche Jugend steht an einem ge- schichtlichen Wendepunkt. Die Jugend, bisher aus dem öffentlichen Leben der Nation ausgeschaltet und angewiesen auf eine passive Rolle des Lernens, auf eine spielerisch-nichtige Geselligkeit und nur ein Anhängsel der älteren Gene- ration, beginnt sich selbst zu besinnen. Sie versucht, unabhängig von den trä- gen Gewohnheiten der Alten und von den Geboten einer häßlichen Konven- tion sich selbst ihr Leben zu gestalten. Sie strebt nach einer Lebensführung, die jugendlichem Wesen entspricht, die es ihr aber zugleich auch ermöglicht, sich selbst und ihr Tun ernst zu nehmen und sich als einen besonderen Faktor in die allgemeine Kulturarbeit einzugliedern. Sie möchte das, was in ihr an reiner Be- geisterung für höchste Menschheits- aufgaben, an ungebrochenem Glauben 5 10 15 20 und Mut zu einem adligen Dasein lebt, als einen erfrischenden, verjüngenden Strom dem Geistesleben des Volkes zu- führen, und sie glaubt, daß nichts heute unserm Volke nötiger ist als solche Gei- stesverjüngung. Sie, die im Notfall jeder- zeit bereit ist, für die Rechte ihres Volkes mit dem Leben einzutreten, möchte auch in Kampf und Frieden des Werk- tags ihr frisches reines Blut dem Vater- lande weihen. Winfried Mogge/Jürgen Reulecke (Hrsg.), Hoher Meißner 1913. Der Erste Freideutsche Jugendtag in Dokumenten, Deutungen und Bildern, Köln 1988, S. 68 f. Q3 Das „Lied der Hitlerjugend“ Das Lied stammt ursprünglich aus dem NS-Propagandafilm „Hitlerjunge Quex“ (1933). Es wurde danach zur offiziellen Hymne der HJ. Den Text des Liedes hat „Reichsjugendführer“ Baldur von Schi- rach verfasst: 1. Vorwärts! vorwärts! schmettern die hellen Fanfaren, 25 30 Vorwärts! Vorwärts! Jugend kennt keine Gefahren. Deutschland, du wirst leuchtend stehn, mögen wir auch untergehn. Vorwärts! vorwärts! schmettern die hel- len Fanfaren, Vorwärts! Vorwärts! Jugend kennt keine Gefahren. Ist das Ziel auch noch so hoch, Jugend zwingt es doch! Unsre Fahne flattert uns voran. In die Zukunft ziehn wir Mann für Mann. Wir marschieren für Hitler durch Nacht und durch Not mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot. Unsre Fahne flattert uns voran. Unsre Fahne ist die neue Zeit. Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit! Blut und Ehre. Lieder der Hitlerjugend, hrsg. von Baldur von Schirach, Berlin 1933, S. 67. 5 10 15 20 Q2 „Wandervögel“ beim Pfingstausflug, um 1910 Q4 Zeltlager der Hitlerjugend an der Ostsee Fahnenappell am Strand, Foto, 1. Juli 1938 44 Leben im Deutschen Kaiserreich die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen 1 1. Kreuzgitter: wichtige Namen und Begriffe kennen (Fachkompetenz) Zeichne das Kreuzgitter in dein Heft und fülle es aus. Das Lösungswort findest du in den stark umrandeten Feldern (von oben nach unten gelesen). 1. Diese Partei errang schon bei der Reichstagswahl 1890 die meisten Wählerstimmen (Bezeichnung für die Parteimitglieder) 2. die führende Gesellschaftsschicht im Kaiserreich 3. Bezeichnung für die Ablehnung von Juden 4. Ziel der proletarischen Frauen- bewegung 5. größte nationale Minderheit 6. neu entstandene gesellschaftliche Gruppe, die in Handel und Ver- waltung arbeitet 7. der erste Kanzler des Kaiserreiches 8. führende linke Frauenpolitikerin 9. bestieg 1888 den Thron 10. schlecht bezahlte Hilfe im Haushalt (weibliche Form) 2. Unterschiedliche Perspektiven ein- nehmen: Gutes oder schlechtes Leben im Kaiserreich? (Fachkompetenz, Kommunikationskompetenz) Die Lebensverhältnisse der Menschen im Kaiserreich unterschieden sich sehr stark voneinander – stärker als heute. Formuliere für die folgenden fünf Per- sonen eine Einschätzung: Wie gut lässt es sich leben im Kaiserreich (um 1900)? Trage dazu Informationen aus dem Kapitel zusammen, die dir weiter- helfen können. Du kannst dir auch sel- ber noch weitere Personen ausdenken. Paul Willig ist Arbeiter in einer Stahlfabrik. Er ist jung und kräftig. Bislang hat er für sich allein ganz gut verdient. Aber jetzt ist seine Freundin schwanger. Sie werden heiraten und bald wird sie nicht mehr arbeiten können. Da muss er mit seinem Lohn drei Mäuler stopfen. Paul ist Sozialdemokrat, genau wie schon sein Vater. Frieda Bönicke ist Angestellte bei einer Versicherung. Sie hat Glück gehabt, dass sie die Stelle bekommen hat. Es gibt so viele Frauen, die eine solche Arbeit suchen. Viel verdient sie nicht, aber sie wohnt ja auch noch bei ihren Eltern. So kann sie sich öfter mal einen Besuch im Kino leisten. Ihren Chef mag sie nicht, aber natür- lich zeigt sie das nicht – man ist so schnell entlassen. Friedrich von Zitzewitz ist Hauptmann bei einem preußischen Kavallerieregiment. Das ist in seiner Familie Tradition. Der Familie gehört ein großes Gut in Pommern. So kann er sich ein standesgemäßes Leben als Offizier gut leisten. Das ist nicht ganz billig, aber man ist sich ja schließlich etwas schuldig. Johannes Heinemann ist Arzt in einer Kleinstadt. Er gehört zu den Honoratioren des Ortes. Seine Frau ist selbstverständlich nicht berufstätig. Sie hat zu Hause genug zu tun, schließlich muss sie die Köchin und das Dienstmädchen anleiten. Das Dienst- mädchen ist auch für die beiden Töchter zuständig, ein eigenes Kindermädchen wäre doch zu aufwändig. Das nächste Kind wird hoffentlich ein Junge werden. Therese Walter ist Volksschullehrerin in einer Industriestadt. Die Zahl der Kinder wächst so schnell, da kommt der Ausbau der Schulen gar nicht hinterher. Sie hat in ihrer Klasse 80 Mädchen. Das ist sehr anstrengend. Trotzdem ist sie stolz auf ihren Beruf. Ärgerlich ist, dass sie so viel weniger als ihre männlichen Kollegen verdient. Und wenn sie eines Tages heiraten sollte, müsste sie aus dem Schuldienst aus- scheiden – verheiratete Lehrerinnen, so lauten die Vorschriften, darf es nicht geben. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Kompetenzen trainieren und festigen Themen vertiefen und vernetzen
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So arbeiten Schülerinnen und Schüler mit dem Buch

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So arbeitest du mit Geschichte und Geschehen

JedeThemeneinheitbeginntmitei-nerOrientierungsseite.Hiererfährstdu,umwelchesThemaesgehtunddukannstersteFragenstellen.

DieKapitelunterteilensichindeninfor-mierendenVerfassertext(VT)undeinenMaterialteil.NebenderSeitenzahlfindestduei-nenHinweisaufdieimKapitelberück-sichtigteKategorie.KategoriensindGesichtspunkte,unterdenenmanVer-gangenheitbetrachtenkann.Indeinem

Leben im Deutschen Kaiserreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

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Leben im Deutschen Kaiserreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

Nationalismus und Militarismus

„Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, so lautete ein viel zitierter Satz, der auf den Dichter Emanuel Geibel zurückging. Dieser übersteigerte Nationa-lismus prägte die Einstellung weiter Bevölkerungskreise im Kaiserreich.

Der „vaterländische Gedanke“Seit dem Sieg über Napoleon 1814 / 15 hatte der Nationalgedanke in Deutsch-land eine antifranzösische Tendenz. Die wurde im Krieg 1870 / 71 noch ver-stärkt: Der gemeinsame Kampf gegen den französischen „Erbfeind“ einte die Deutschen. Weil Deutschland die führende Militär- und bald auch Wirtschafts-macht auf dem Kontinent war, fühlte man sich anderen Völkern und Staaten überlegen. Überheblichkeit und Missachtung anderer kamen besonders un-ter Kaiser Wilhelm II. zum Ausdruck. Mit anmaßenden Reden und seiner Vor-liebe für alles Militärische rief er im Ausland Verwunderung, Ablehnung und Misstrauen hervor.An der Pflege des „vaterländischen Gedankens“, wie es damals hieß, wirkten viele mit. Selbstverständlich verbreitet war er im Militär. Aber auch die Schule hatte die Aufgabe, die deutsche Geschichte, das deutsche Volk und die deut-schen Herrscher zu verherrlichen. Schützen-, Turner- und Sängervereine feier-ten mit Begeisterung nationale Feste und sangen patriotische Lieder. Sie hatten Millionen von Mitgliedern – so verwurzelte sich der „vaterländische Gedanke“ in der Bevölkerung immer stärker.

Die Militarisierung der GesellschaftMit dem Nationalismus eng verbunden war die Hochschätzung alles Militäri-schen. Militärische Stärke galt als Garantie für die Sicherung der neuen Vor-machtstellung in Europa. Parlament und Regierung hatten auf das Militär praktisch keinen Einfluss. Der Oberbefehl lag beim Kaiser.Das Militär stieg zum angesehensten Stand im Reich auf. Dabei blieben die ho-hen Offiziersränge vorwiegend von Adeligen besetzt. Die Offiziere hoben sich durch besondere Privilegien und Lebensformen von der übrigen Bevölkerung ab. Sie wurden bewundert und nachgeahmt. Auf den Bürgersteigen wich man ihnen aus und in den Restaurants wurden sie bevorzugt bedient. Gut gestellte Bürger strebten nach militärischem Aufstieg: Sie konnten den so genannten einjährig-freiwilligen Militärdienst leisten und es dann bis zum Reserveoffizier bringen. Uniformen für Zivilberufe – von der Eisenbahn bis zur Feuerwehr – standen hoch im Kurs. Viele eigneten sich die Hierarchievorstellungen, das Ver-halten und die Redeweise des Militärs an. Auch im zivilen Leben bestimmte oft der militärische Rang den Stellenwert eines Menschen.

A:Erläutere,warumder„vaterländischeGedanke“fürweiteKreisederBevölke-rungsoattraktivseinkonnte.[II]

B:Erkläre,wasderzeitgenössischeBegriff„Erbfeind“meint.DenkedabeiauchanfrühereAuseinandersetzun-genzwischenDeutschlandundFrank-reich.[II]

einjährig-freiwilliger MilitärdienstWermindestensdie10.KlasseeinerhöherenSchuleabgeschlossenhatte,konntestattdesüblichenzweijährigeneineneinjährigenMilitärdienstleisten.ErmusstedieKostendafüraberselbertragen.

Q1 Ausschnitt aus einer Bildpostkarteum1900DieOriginalunterschriftlautet:„DerSol-datistderschönsteMannimStaat.“

C:Begründe,weshalbderHerstellerderAnsichtskartesichfürdiesesMotivent-schiedenhabenkönnte.[II]

Herrschaft 17

Leben im Deutschen Kaiserreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

Herrschaft

D2 Reichstagswahlen von der Reichs-gründung bis zum Ersten Weltkrieg jeweils indererstenSpalteStimmen-anteilinProzent,inderzweitenSpaltedieMandate

GerdHohorst/JürgenKocka/Gerhard.A.Ritter,SozialgeschichtlichesArbeitsbuchII.MaterialienzurGeschichtedesKaiserreichs1870–1914,Mün-chen1978,S.173–175.

Partei 1874 1884 1893 1903 1912

Konservative 6,9 22 15,2 78 13,5 72 10,0 54 9,2 43

Zentrum 27,9 91 22,6 99 19,1 96 19,8 100 16,4 91

Nationalliberale 29,7 155 17,6 51 13,0 53 13,9 51 13,6 45

Sozialdemokraten 6,8 9 9,7 24 23,3 44 9,7 24 34,8 110

PaulHirsch,DerpreußischeLandtag.HandbuchfürsozialdemokratischeLandtagswähler,3.Aufl.Berlin1913,S.11,zit.nachGerhardA.Ritter(Hrsg.),DasdeutscheKaiserreich1871–1914.EinhistorischesLesebuch,5.Aufl.Göttingen1992,S.123(VandenhoeckundRuprecht)

D3 Wahlen zum preußischen Land-tag 1908

Partei Stimmenanteil Mandate

Konservative 14,15 152

Freikonservative 2,24 60

Zentrum 19,91 104

Nationalliberale 12,71 65

FreisinnigeVolkspartei 3,93 28

PolenundDänen 9,02 17

Sozialdemokraten 23,87 1

1.ErläutereanhandvonQ3denCha-rakterdesneuenStaates.[II]

2.CharakterisieredasVerständnisvonHerrschaftundPolitik,dashinterderÄußerungWilhelmsII.steht(Q4).[II]

3.BerechnefürjedesJahrdenAnteildereinzelnenParteienanderGesamt-zahlderReichstagsmandate(397)inProzent(D2).[I]

4.UntersuchedasjeweiligeVerhältnisvonStimmen-undMandatsanteil(D2).

WemnützenundwemschadendieUnterschiededazwischen?[II]

5.VerfasseeinekurzeÄußerung:WaswürdeeinSPD-AbgeordneterseinemKollegenOldenburg-JanuschauimReichstagerwidern(Q5)?[II]

6.CharakterisieredasVerhältnisvonParlamentundRegierung,dasvonSybelalsIdealansieht(Q6).[II]

7.StädtischeWahlkreisehattenmeistmehrWähleralsländliche.Welche

Auswirkungenhattedas?VergleichemitdeinenBerechnungen.[III]

8.Berechne,wievieleAbgeordnetejedeParteibeigleicherunddirekterWahlimVerhältniswahlrechterhaltenhätte.[I]

9.ErläutereanhanddesVerfasser-textesdieGründefürdieUnter-schiede.[II]

BeurteiledieWahlverfahrenimReichundinPreußenimVergleich.[III]

Q5 Herrscher und ParlamentDer konservative Abgeordnete Elard von Oldenburg-Januschau erregte 1910 in ei-ner Reichstagsrede mit dieser Äußerung Aufsehen:DerKönigvonPreußenundderDeut-sche Kaiser muss jeden Moment im-standesein,zueinemLeutnantzusa-gen: „Nehmen Sie zehn Mann undschließenSiedenReichstag.“Zit.nach:VerhandlungendesReichstages,Vl.Legislaturperiode,Bd.259.S.898.

5

Q6 Gegen Absolutismus und „popu-läre Agitation“Der Historiker und nationalliberale Ab-geordnete Heinrich von Sybel meinte 1871:Auch wenn eine Volksvertretung, wieinDeutschlandundNordamerika,nichtdieKraftbesitzt,Ministerein-undabzu-setzen,soistschonihrDaseinundihreDebatte,ihreKritikdesBudgets[Haus-halts]und ihreBefugnis,misslungeneGesetzentwürfe zu vernichten, eine

5

höchstbedeutendeSchrankegegenje-denwillkürlichenAbsolutismusderRe-gierung.DieseRegierungaberinfesterHand und den Wogen der populärenAgitationentzogenzuwissen,erscheintuns(…)alsunschätzbarerSegen.HeinrichvonSybel:DasneuedeutscheReich.In:VorträgeundAufsätze.Berlin2.Aufl.1874,S.322f.

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DieAnforderungs-bereichederver-wendetenOpera-torenfindestduineckigenKlammern.

1die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen

mehr Infos zum Kapitelxxxxxx

Leben im Deutschen Kaiserreich

Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches war ein mächtiger neuer Staat in der Mitte Europas entstanden. Wirtschaft, Industrie und Verkehr entwickelten sich schnell. Die Städte wuchsen und veränderten ihr Gesicht. Vieles blieb aber auch beim Alten, vor allem auf dem Lande. Des wegen fallen die Urteile über das Kaiserreich sehr unterschiedlich aus:• Lebte man im Kaiserreich in der „guten alten Zeit“?• War das Kaiserreich ein Staat mit überholter Adelsherrschaft

und Unterdrückung der Arbeiterschaft?• War es ein militaristischer Unruhestifter?• Oder war es ein Industriestaat, mit dem in Deutschland die

moderne Zeit begann?

Berlin1908

1860 1870 1880

1866PreußenbesiegtÖsterreichundderDeutscheBundwirdaufgelöst.

18. Januar 1871DerpreußischeKönigWilhelmI.wirdzum„DeutschenKaiser“ausgerufen.

16. April 1871 DieVerfassungdesDeutschenReichestrittinKraft.DerpreußischeMinisterpräsidentOttovonBismarckwirdersterReichskanzler.

1870 / 71KriegzwischenDeutschlandundFrankreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungenDas Deutsche Kaiserreich 1871

ParadederGardetruppenimBerlinerLustgarten1909

1890

1884 / 85DeutschlanderwirbtKolonieninAfrikaundSüdostasien.

1890WilhelmII.entlässtBismarckalsReichskanzler.

1888NachdemTodKaiserWilhelmsI.besteigtseinSohnFriedrichIII.denThron.EristschwerkrankundstirbtbereitsnachdreiMonatenRegierungszeit.NachfolgerwirdseinSohnWilhelmII.

um 1895DieIndustriewirdzumwichtigstenWirtschafts-bereichinDeutschland.

1910FastdieHälfteallerEinwohnerDeutschlandslebtinStädtenmitmehrals5000Einwohnern.

1914DerErsteWelt-kriegbeginnt.

Leben im Deutschen Kaiserreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

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Leben im Deutschen Kaiserreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

Nationalismus und Militarismus

„Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, so lautete ein viel zitierter Satz, der auf den Dichter Emanuel Geibel zurückging. Dieser übersteigerte Nationa-lismus prägte die Einstellung weiter Bevölkerungskreise im Kaiserreich.

Der „vaterländische Gedanke“Seit dem Sieg über Napoleon 1814 / 15 hatte der Nationalgedanke in Deutsch-land eine antifranzösische Tendenz. Die wurde im Krieg 1870 / 71 noch ver-stärkt: Der gemeinsame Kampf gegen den französischen „Erbfeind“ einte die Deutschen. Weil Deutschland die führende Militär- und bald auch Wirtschafts-macht auf dem Kontinent war, fühlte man sich anderen Völkern und Staaten überlegen. Überheblichkeit und Missachtung anderer kamen besonders un-ter Kaiser Wilhelm II. zum Ausdruck. Mit anmaßenden Reden und seiner Vor-liebe für alles Militärische rief er im Ausland Verwunderung, Ablehnung und Misstrauen hervor.An der Pflege des „vaterländischen Gedankens“, wie es damals hieß, wirkten viele mit. Selbstverständlich verbreitet war er im Militär. Aber auch die Schule hatte die Aufgabe, die deutsche Geschichte, das deutsche Volk und die deut-schen Herrscher zu verherrlichen. Schützen-, Turner- und Sängervereine feier-ten mit Begeisterung nationale Feste und sangen patriotische Lieder. Sie hatten Millionen von Mitgliedern – so verwurzelte sich der „vaterländische Gedanke“ in der Bevölkerung immer stärker.

Die Militarisierung der GesellschaftMit dem Nationalismus eng verbunden war die Hochschätzung alles Militäri-schen. Militärische Stärke galt als Garantie für die Sicherung der neuen Vor-machtstellung in Europa. Parlament und Regierung hatten auf das Militär praktisch keinen Einfluss. Der Oberbefehl lag beim Kaiser.Das Militär stieg zum angesehensten Stand im Reich auf. Dabei blieben die ho-hen Offiziersränge vorwiegend von Adeligen besetzt. Die Offiziere hoben sich durch besondere Privilegien und Lebensformen von der übrigen Bevölkerung ab. Sie wurden bewundert und nachgeahmt. Auf den Bürgersteigen wich man ihnen aus und in den Restaurants wurden sie bevorzugt bedient. Gut gestellte Bürger strebten nach militärischem Aufstieg: Sie konnten den so genannten einjährig-freiwilligen Militärdienst leisten und es dann bis zum Reserveoffizier bringen. Uniformen für Zivilberufe – von der Eisenbahn bis zur Feuerwehr – standen hoch im Kurs. Viele eigneten sich die Hierarchievorstellungen, das Ver-halten und die Redeweise des Militärs an. Auch im zivilen Leben bestimmte oft der militärische Rang den Stellenwert eines Menschen.

A:Erläutere,warumder„vaterländischeGedanke“fürweiteKreisederBevölke-rungsoattraktivseinkonnte.[II]

B:Erkläre,wasderzeitgenössischeBegriff„Erbfeind“meint.DenkedabeiauchanfrühereAuseinandersetzun-genzwischenDeutschlandundFrank-reich.[II]

einjährig-freiwilliger MilitärdienstWermindestensdie10.KlasseeinerhöherenSchuleabgeschlossenhatte,konntestattdesüblichenzweijährigeneineneinjährigenMilitärdienstleisten.ErmusstedieKostendafüraberselbertragen.

Q1 Ausschnitt aus einer Bildpostkarteum1900DieOriginalunterschriftlautet:„DerSol-datistderschönsteMannimStaat.“

C:Begründe,weshalbderHerstellerderAnsichtskartesichfürdiesesMotivent-schiedenhabenkönnte.[II]

Herrschaft

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Leben im Deutschen Kaiserreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

Herrschaft

D2 Reichstagswahlen von der Reichs-gründung bis zum Ersten Weltkrieg jeweils indererstenSpalteStimmen-anteilinProzent,inderzweitenSpaltedieMandate

GerdHohorst/JürgenKocka/Gerhard.A.Ritter,SozialgeschichtlichesArbeitsbuchII.MaterialienzurGeschichtedesKaiserreichs1870–1914,Mün-chen1978,S.173–175.

Partei 1874 1884 1893 1903 1912

Konservative 6,9 22 15,2 78 13,5 72 10,0 54 9,2 43

Zentrum 27,9 91 22,6 99 19,1 96 19,8 100 16,4 91

Nationalliberale 29,7 155 17,6 51 13,0 53 13,9 51 13,6 45

Sozialdemokraten 6,8 9 9,7 24 23,3 44 9,7 24 34,8 110

PaulHirsch,DerpreußischeLandtag.HandbuchfürsozialdemokratischeLandtagswähler,3.Aufl.Berlin1913,S.11,zit.nachGerhardA.Ritter(Hrsg.),DasdeutscheKaiserreich1871–1914.EinhistorischesLesebuch,5.Aufl.Göttingen1992,S.123(VandenhoeckundRuprecht)

D3 Wahlen zum preußischen Land-tag 1908

Partei Stimmenanteil Mandate

Konservative 14,15 152

Freikonservative 2,24 60

Zentrum 19,91 104

Nationalliberale 12,71 65

FreisinnigeVolkspartei 3,93 28

PolenundDänen 9,02 17

Sozialdemokraten 23,87 1

1.ErläutereanhandvonQ3denCha-rakterdesneuenStaates.[II]

2.CharakterisieredasVerständnisvonHerrschaftundPolitik,dashinterderÄußerungWilhelmsII.steht(Q4).[II]

3.BerechnefürjedesJahrdenAnteildereinzelnenParteienanderGesamt-zahlderReichstagsmandate(397)inProzent(D2).[I]

4.UntersuchedasjeweiligeVerhältnisvonStimmen-undMandatsanteil(D2).

WemnützenundwemschadendieUnterschiededazwischen?[II]

5.VerfasseeinekurzeÄußerung:WaswürdeeinSPD-AbgeordneterseinemKollegenOldenburg-JanuschauimReichstagerwidern(Q5)?[II]

6.CharakterisieredasVerhältnisvonParlamentundRegierung,dasvonSybelalsIdealansieht(Q6).[II]

7.StädtischeWahlkreisehattenmeistmehrWähleralsländliche.Welche

Auswirkungenhattedas?VergleichemitdeinenBerechnungen.[III]

8.Berechne,wievieleAbgeordnetejedeParteibeigleicherunddirekterWahlimVerhältniswahlrechterhaltenhätte.[I]

9.ErläutereanhanddesVerfasser-textesdieGründefürdieUnter-schiede.[II]

BeurteiledieWahlverfahrenimReichundinPreußenimVergleich.[III]

Q5 Herrscher und ParlamentDer konservative Abgeordnete Elard von Oldenburg-Januschau erregte 1910 in ei-ner Reichstagsrede mit dieser Äußerung Aufsehen:DerKönigvonPreußenundderDeut-sche Kaiser muss jeden Moment im-standesein,zueinemLeutnantzusa-gen: „Nehmen Sie zehn Mann undschließenSiedenReichstag.“Zit.nach:VerhandlungendesReichstages,Vl.Legislaturperiode,Bd.259.S.898.

5

Q6 Gegen Absolutismus und „popu-läre Agitation“Der Historiker und nationalliberale Ab-geordnete Heinrich von Sybel meinte 1871:Auch wenn eine Volksvertretung, wieinDeutschlandundNordamerika,nichtdieKraftbesitzt,Ministerein-undabzu-setzen,soistschonihrDaseinundihreDebatte,ihreKritikdesBudgets[Haus-halts]und ihreBefugnis,misslungeneGesetzentwürfe zu vernichten, eine

5

höchstbedeutendeSchrankegegenje-denwillkürlichenAbsolutismusderRe-gierung.DieseRegierungaberinfesterHand und den Wogen der populärenAgitationentzogenzuwissen,erscheintuns(…)alsunschätzbarerSegen.HeinrichvonSybel:DasneuedeutscheReich.In:VorträgeundAufsätze.Berlin2.Aufl.1874,S.322f.

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Leben im Deutschen Kaiserreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

Herrschaft

D2 Reichstagswahlen von der Reichs-gründung bis zum Ersten Weltkrieg jeweils indererstenSpalteStimmen-anteilinProzent,inderzweitenSpaltedieMandate

GerdHohorst/JürgenKocka/Gerhard.A.Ritter,SozialgeschichtlichesArbeitsbuchII.MaterialienzurGeschichtedesKaiserreichs1870–1914,Mün-chen1978,S.173–175.

Partei 1874 1884 1893 1903 1912

Konservative 6,9 22 15,2 78 13,5 72 10,0 54 9,2 43

Zentrum 27,9 91 22,6 99 19,1 96 19,8 100 16,4 91

Nationalliberale 29,7 155 17,6 51 13,0 53 13,9 51 13,6 45

Sozialdemokraten 6,8 9 9,7 24 23,3 44 9,7 24 34,8 110

PaulHirsch,DerpreußischeLandtag.HandbuchfürsozialdemokratischeLandtagswähler,3.Aufl.Berlin1913,S.11,zit.nachGerhardA.Ritter(Hrsg.),DasdeutscheKaiserreich1871–1914.EinhistorischesLesebuch,5.Aufl.Göttingen1992,S.123(VandenhoeckundRuprecht)

D3 Wahlen zum preußischen Land-tag 1908

Partei Stimmenanteil Mandate

Konservative 14,15 152

Freikonservative 2,24 60

Zentrum 19,91 104

Nationalliberale 12,71 65

FreisinnigeVolkspartei 3,93 28

PolenundDänen 9,02 17

Sozialdemokraten 23,87 1

1.ErläutereanhandvonQ3denCha-rakterdesneuenStaates.[II]

2.CharakterisieredasVerständnisvonHerrschaftundPolitik,dashinterderÄußerungWilhelmsII.steht(Q4).[II]

3.BerechnefürjedesJahrdenAnteildereinzelnenParteienanderGesamt-zahlderReichstagsmandate(397)inProzent(D2).[I]

4.UntersuchedasjeweiligeVerhältnisvonStimmen-undMandatsanteil(D2).

WemnützenundwemschadendieUnterschiededazwischen?[II]

5.VerfasseeinekurzeÄußerung:WaswürdeeinSPD-AbgeordneterseinemKollegenOldenburg-JanuschauimReichstagerwidern(Q5)?[II]

6.CharakterisieredasVerhältnisvonParlamentundRegierung,dasvonSybelalsIdealansieht(Q6).[II]

7.StädtischeWahlkreisehattenmeistmehrWähleralsländliche.Welche

Auswirkungenhattedas?VergleichemitdeinenBerechnungen.[III]

8.Berechne,wievieleAbgeordnetejedeParteibeigleicherunddirekterWahlimVerhältniswahlrechterhaltenhätte.[I]

9.ErläutereanhanddesVerfasser-textesdieGründefürdieUnter-schiede.[II]

BeurteiledieWahlverfahrenimReichundinPreußenimVergleich.[III]

Q5 Herrscher und ParlamentDer konservative Abgeordnete Elard von Oldenburg-Januschau erregte 1910 in ei-ner Reichstagsrede mit dieser Äußerung Aufsehen:DerKönigvonPreußenundderDeut-sche Kaiser muss jeden Moment im-standesein,zueinemLeutnantzusa-gen: „Nehmen Sie zehn Mann undschließenSiedenReichstag.“Zit.nach:VerhandlungendesReichstages,Vl.Legislaturperiode,Bd.259.S.898.

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Q6 Gegen Absolutismus und „popu-läre Agitation“Der Historiker und nationalliberale Ab-geordnete Heinrich von Sybel meinte 1871:Auch wenn eine Volksvertretung, wieinDeutschlandundNordamerika,nichtdieKraftbesitzt,Ministerein-undabzu-setzen,soistschonihrDaseinundihreDebatte,ihreKritikdesBudgets[Haus-halts]und ihreBefugnis,misslungeneGesetzentwürfe zu vernichten, eine

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höchstbedeutendeSchrankegegenje-denwillkürlichenAbsolutismusderRe-gierung.DieseRegierungaberinfesterHand und den Wogen der populärenAgitationentzogenzuwissen,erscheintuns(…)alsunschätzbarerSegen.HeinrichvonSybel:DasneuedeutscheReich.In:VorträgeundAufsätze.Berlin2.Aufl.1874,S.322f.

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GeschichtsbuchspielendieKategorienOrientierung,Herrschaft,Gesellschaft,WirtschaftundWeltdeutungen einebe-sondereRolle.EinekategorialeErarbeitungderEpo-chenschwerpunkteermöglichtdirdaszweiteInhaltsverzeichnisimAnhangdesBuches.

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Leben im Deutschen Kaiserreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

Denkmäler untersuchen

Denkmäler sollen an bestimmte Personen und Ereignisse erinnern, die ihre Erbauer für besonders wichtig halten. Diese Erinnerung soll für die Zukunft bewahrt werden. Das Gedenken kann sich auf einen Ort beziehen (örtliche Kriegerdenkmäler, das Denkmal für den „großen Sohn“ der Stadt) oder auf eine ganze Nation (Herrscherdenkmäler, Nationaldenkmäler). Oft werden Denkmäler zu bestimmten Gedenktagen und Jubiläen errichtet oder eingeweiht oder es finden dort an solchen Tagen Feierlichkeiten statt. Im 19. Jahrhundert ist die Gattung der Nationaldenkmäler entstanden. Ihr Sinn war es, in der Erinnerung an gemeinschaftliche Siege (besonders über den „Erbfeind“ Frankreich) eine gemeinsame nationale Identität zu stiften. Diese Denkmäler waren besonders groß und repräsentativ.

Q1 Das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald

BeschreibenDas Denkmal steht auf der Groten-burg,einemBergimTeutoburgerWald.Es zeigt den Cheruskerfürsten Armi-nius (lat.), auf Deutsch Hermann ge-nannt. Mit der rechten Hand strecktereinSchwertindieHöhe,mitderlin-kenstütztersichaufeinenSchild,aufdem Kopf trägt er einen geflügeltenHelm.DieFigurstehtaufeinemmäch-tigenSockel.InsgesamthatdasDenk-maleineHöhevonca.54m.DasSchwertträgtdie Inschrift: „DeutscheEinigkeitmeineStärke–meineStärkeDeutsch-landsMacht“. ImSockelbefindetsicheinBronzereliefKaiserWilhelmsI.,dasauseinererbeutetenfranzösischenKa-none angefertigt wurde. Die Inschriftdazulautet:„DerlanggetrennteStämmevereintmitstarkerHand,DerwelscheMachtundTückesiegreichüberwand,Der längstverlorneSöhneheimführtzumDeutschenReich,Armin,demRetter,istergleich.(…)Am17.Juli1870erklärtFrankreichsKai-ser,LouisNapoleon,PreußenKrieg,daerstundenalleVolksstämmeDeutsch-landsundzüchtigtenvonAugust1870bis Januar 1871 immer siegreich fran-zösischenÜbermutunterFührungKö-nig Wilhelms von Preußen, den dasdeutscheVolkam18.JanuarzumKaisererkor.“

UntersuchenDasSiegesdenkmalwurdevon1838bis1875errichtet.Essollteerinnernandie„SchlachtimTeutoburgerWald“,inder9n.Chr.einerömischeArmeevonger-manischenStämmenunterderFührungdesArminiusvernichtetwurde.DaraussollteeineLehrefürdieGegenwartab-geleitet werden: Deutsche Einigkeitmachtstark,garantiertdenSiegüberdenäußerenFeind.DieseräußereFeindwarenim19.JahrhundertdieFranzosen.Auf den kurz vor der Vollendung desBauserrungenenSiegimDeutsch-Fran-zösischenKriegnimmtdieInschriftaus-drücklichBezug:KaiserWilhelmI.wirdmitHermannverglichen.

DeutenDasmächtigeDenkmalsolldernatio-nalenSelbstbesinnungdienenundzu-gleich den nationalen Triumph überFrankreichverherrlichen.DerRückgriffauf die germanische VergangenheitdientderhistorischenBegründungundUntermauerungdesgegenwärtigenNa-tionalismus.

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die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

Otto von Bismarck im Urteil der Nachwelt

Von weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung wurde Otto von Bismarck als der „Baumeister des Deutschen Reiches“ angesehen. Die Siege über Österreich und Frankreich, die Schaffung eines deutschen Nationalstaates und dessen Vormacht stellung in Europa – alles dies schien vor allem das Werk eines ein-zelnen Mannes zu sein. Nach seinem Tod im Jahre 1895 wurde die Bismarck- Ver ehrung zu einer breiten Volksbewegung. Überall im Lande entstanden Bismarck-Vereine. Sein Alterswohnsitz Friedrichsruh bei Hamburg, wo sich noch heute in einem eigenen Mausoleum seine Grabstätte befindet, wurde zum Wallfahrtsort. Über 550 Bismarck-Denkmäler, 234 Bismarck-Türme und zahllose Bismarck-Steine sollten die Erinnerung an ihn lebendig halten. Sogar alltägliche Nahrungs- und Genussmittel – vom Hering bis zur Zigarre – wurden nach ihm benannt.

Q1 Bismarck-Apotheose (Vergöttlichung)GemäldevonLudwigRudow,1890Bismarck wird umgeben von Klio,der Göttin der Geschichtsschreibung,die eine Chronik mit der Jahreszahl1870/71 in den Händen hält, der Ger-maniamiteinerfreierfundenenReichs-kronesowiederSiegesgöttinVictoria,dieBismarckmiteinemLorbeerkranzkrönt.DavorstehenVertreterdesdeut-schenVolkes,diedieunterschiedlichs-tenSchichtenundBeruferepräsentie-ren.

A:Erläutere,wofürdieeinzelnenFigurenaufdemBildstehen.[II]

B:InterpretieredasBildzusammen-fassend.[II]

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die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen

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Gesellschaft

Grundbegriffe:

Demokratie

S.109

Kommunismus

S.101

Sozialismus

S.26

Nationalsozialismus

S.144

Weltkrieg

S.177

Militarisierung

S.155

Rassismus

S.154

Diskriminierung

S.168

Antisemitismus

S.154

Neue Bewegungen im KaiserreichDieGesellschaftimKaiserreichwartra-ditionellundmodernzugleich.DerAdelbliebeinflussreich,vorallemimMilitärundinderhohenVerwaltung.DasBür-gertumstiegaufinWirtschaftundWis-senschaft,aberamunterenRand,etwaimHandwerk,verloresauchaltePosi-tionen. ImZugeder IndustrialisierungwurdedieArbeiterschaftzurbreitestenSchicht.NeuwardieGruppederAnge-stellten mit Verwaltungsaufgaben inWirtschaftundVerbänden.Vorallemabetwa1900modernisiertensichdieLebensweisen,u.a.mitneuenMöglichkeiten der Bildung, des Kon-sumsundderUnterhaltung.Frauen,Kin-derundJugendlichehattensichbislangweitgehendinmännlichbeherrschtenUmgebungenbewegt. JetztbegannensieeigeneVorstellungenzuentwickelnundRechteeinzufordern.EineFrauen-bewegunggabesschonlänger.UmdieJahrhundertwendeentstandnunaucheineJugendbewegung:SiewolltesichmiteigenenLebensformenabsetzenvonder als verkrustet wahrgenommenenErwachsenenwelt.UnddieNatursolltewiederentdeckt werden als GegenpolzuIndustrieundVerstädterung.DieRe-formpädagogikversuchte,andersalsdieherkömmlichenSchulen,sichanInteres-senundBedürfnissenvonKindernundJugendlichenzuorientieren–Pädagogik„vomKindeaus“warihrMotto.

Die Weimarer Republik – Emanzipation und GewaltIn der Weimarer Republik nahmendiese Veränderungen an Dynamik zu.Nach der Niederlage im Ersten Welt-krieg,durchdiepolitischenWirrenunddiewirtschaftlichenKrisenwurdevielesunsicher,wasvorherselbstverständlichschien. ImKrieghattenMillionenvonMännernzuvornichtvorstellbareGe-walterfahrungengemacht.Daswirkte

jetztnach.GewaltwurdezumMittelderinnenpolitischenAuseinandersetzung.PolitischeParteienhieltensichihreei-genenKampfverbände,diebeiAufmär-schen, Straßen- oder SaalschlachtenzumEinsatzkamen.FrauenbesaßenjetztdasWahlrecht,siebegannensichzuemanzipieren,hattenhäufigereineigenesEinkommen.VorallemaufdemLandeaberbliebendieLebenswelten zumeist noch unverän-dert–beidesexistiertenebeneinander.DieJugendbewegungwirkteinderBün-dischenJugendweiter:Stärkeralszuvorschlossmansichineinzelnen,elitärenGruppenzusammenundentwickelteei-geneRituale.AuchParteienundKirchenhattenihreJugendorganisationen.

Gesellschaftliche Formierung im „ Dritten Reich“DiegesellschaftlicheLeitideedesNatio-nalsozialismus war die „Volksgemein-schaft“.DerBegriffsolltenachinnenin-tegrierendwirken,nachaußenwirkteer ausgrenzend. Vor allem die Judenzählten nicht zur nationalsozialisti-schenVolksgemeinschaft.Antisemitis-mushatteeszwarauchschonfrüherundkeineswegsnurinDeutschlandge-geben.NeuundzuvorkaumvorstellbarwardieRadikalitätvonAusgrenzung,VerfolgungundschließlichVernichtung.Männern,Frauen,KindernundJugend-lichenschriebdienationalsozialistischeIdeologie jeweilseigeneAufgabenzu:DasmännlicheIdealwardasdesSolda-ten,dasderFraudieMutterundHaus-frau.Emanzipation,wiesiesichinderWeimarerZeitentwickelthatte,wurdeabgelehnt.Alle Jugendorganisationenwurden aufgelöst und in der Hitler-jugendvereint.DabeiübernahmmandieRitualevonFahrtundLagerleben.DieOrganisationrichtetesichamFüh-rerprinzipaus,wieesHitlerinParteiundStaatsführungrepräsentierte.

Freiheit oder Fremdbestimmung – wie entwickeln sich Gesellschaften?

Schon im Deutschen Reich von 1871 geriet die alte Gesellschaft in Bewegung. Hergebrachte Rollen von Frauen, Kindern und Jugendlichen begannen sich zu ändern. In der Weimarer Republik setzte sich das verstärkt fort. Der National-sozialismus machte sich manches Neue zu Nutze, anderes unterband er.

Vertiefen und Vernetzen

201

3.Begründe,weshalbdas„LiedderHitlerjugend“(Q3)nichtzudenWan-dervögelnaufFotoQ2passt.[II]

4.SucheausdenKapitelnzumKaiser-reich,zurWeimarerRepublikundzumNationalsozialismusBildervon

1.VergleicheQ1undQ2mitQ3undQ4imHinblickaufGemeinsamkeitenundUnterschiede.[III]

2.KommentiereausderPerspektivedesHitlerjugendführersvorneaufdemFotoQ4dasFotoQ2.[II]

Frauenherausunderläuteresiemit-hilfedesVerfassertextesaufderlinkenSeite.[II]

Q1 Das Meißnerfest1913 fand auf dem Hohen Meißner, ei-nem Berg bei Kassel, der „Erste Frei-deutsche Jugendtag“ statt. Im Aufruf zur Teilnahme schreiben die Organisatoren:DiedeutscheJugendstehtaneinemge-schichtlichenWendepunkt.DieJugend,bisherausdemöffentlichenLebenderNationausgeschaltetundangewiesenaufeinepassiveRolledesLernens,aufeine spielerisch-nichtige GeselligkeitundnureinAnhängselderälterenGene-ration,beginntsichselbstzubesinnen.Sieversucht,unabhängigvondenträ-genGewohnheitenderAltenundvondenGeboteneinerhäßlichenKonven-tionsichselbstihrLebenzugestalten.SiestrebtnacheinerLebensführung,diejugendlichemWesenentspricht,dieesihraberzugleichauchermöglicht,sichselbstundihrTunernstzunehmenundsichalseinenbesonderenFaktorindieallgemeineKulturarbeiteinzugliedern.Siemöchtedas,wasinihranreinerBe-geisterung für höchste Menschheits-aufgaben,anungebrochenemGlauben

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undMutzueinemadligenDaseinlebt,alseinenerfrischenden,verjüngendenStromdemGeisteslebendesVolkeszu-führen,undsieglaubt,daßnichtsheuteunsermVolkenötigeristalssolcheGei-stesverjüngung.Sie,dieimNotfalljeder-zeitbereitist,fürdieRechteihresVolkesmit dem Leben einzutreten, möchteauch inKampfundFriedendesWerk-tagsihrfrischesreinesBlutdemVater-landeweihen.WinfriedMogge/JürgenReulecke(Hrsg.),HoherMeißner1913.DerErsteFreideutscheJugendtaginDokumenten,DeutungenundBildern,Köln1988,S.68f.

Q3 Das „Lied der Hitlerjugend“Das Lied stammt ursprünglich aus dem NS-Propagandafilm „Hitlerjunge Quex“ (1933). Es wurde danach zur offiziellen Hymne der HJ. Den Text des Liedes hat „Reichsjugendführer“ Baldur von Schi-rach verfasst:1.Vorwärts!vorwärts! schmetterndiehellenFanfaren,

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Vorwärts!Vorwärts!JugendkenntkeineGefahren.Deutschland,duwirstleuchtendstehn,mögenwirauchuntergehn.Vorwärts!vorwärts!schmetterndiehel-lenFanfaren,Vorwärts!Vorwärts!JugendkenntkeineGefahren.IstdasZielauchnochsohoch,Jugendzwingtesdoch!UnsreFahneflattertunsvoran.IndieZukunftziehnwirMannfürMann.WirmarschierenfürHitlerdurchNachtunddurchNotmitderFahneder JugendfürFreiheitundBrot.UnsreFahneflattertunsvoran.UnsreFahneistdieneueZeit.UnddieFahneführtunsindieEwigkeit!BlutundEhre.LiederderHitlerjugend,hrsg.vonBaldurvonSchirach,Berlin1933,S.67.

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Q2 „Wandervögel“ beim Pfingstausflug,um1910

Q4 Zeltlager der Hitlerjugend an der OstseeFahnenappell am Strand, Foto, 1. Juli1938

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Leben im Deutschen Kaiserreich

die weltweite auseinandersetzung um politische ordnungen1

1. Kreuzgitter: wichtige Namen und Begriffe kennen (Fachkompetenz)ZeichnedasKreuzgitterindeinHeftundfülleesaus.DasLösungswortfindestduindenstarkumrandetenFeldern(vonobennachuntengelesen).1. DieseParteierrangschonbeider

Reichstagswahl1890diemeistenWählerstimmen(BezeichnungfürdieParteimitglieder)

2. dieführendeGesellschaftsschichtimKaiserreich

3. BezeichnungfürdieAblehnungvonJuden

4. ZielderproletarischenFrauen-bewegung

5. größtenationaleMinderheit6. neuentstandenegesellschaftliche

Gruppe,dieinHandelundVer-waltungarbeitet

7. derersteKanzlerdesKaiserreiches8. führendelinkeFrauenpolitikerin9. bestieg1888denThron10.schlechtbezahlteHilfeimHaushalt

(weiblicheForm)

2. Unterschiedliche Perspektiven ein-nehmen: Gutes oder schlechtes Leben im Kaiserreich? (Fachkompetenz, Kommunikations kompetenz)

DieLebensverhältnissederMenschenimKaiserreichunterschiedensichsehrstarkvoneinander–stärkeralsheute.FormulierefürdiefolgendenfünfPer-soneneineEinschätzung:WiegutlässtessichlebenimKaiserreich(um1900)?TragedazuInformationenausdemKapitelzusammen,diedirweiter-helfenkönnen.Dukannstdirauchsel-bernochweiterePersonenausdenken.

PaulWilligistArbeiterineinerStahlfabrik.Eristjungundkräftig.Bislanghaterfürsichalleinganzgutverdient.AberjetztistseineFreundinschwanger.Siewerdenheiratenundbaldwirdsienichtmehrarbeitenkönnen.DamussermitseinemLohndreiMäulerstopfen.PaulistSozialdemokrat,genauwieschonseinVater.

FriedaBönickeistAngestelltebeieinerVersicherung.SiehatGlückgehabt,dasssiedieStellebekommenhat.EsgibtsovieleFrauen,dieeinesolcheArbeitsuchen.Vielverdientsienicht,abersiewohntjaauchnochbeiihrenEltern.SokannsiesichöftermaleinenBesuchimKinoleisten.IhrenChefmagsienicht,abernatür-lichzeigtsiedasnicht–manistsoschnellentlassen.

FriedrichvonZitzewitzistHauptmannbeieinempreußischenKavallerieregiment.DasistinseinerFamilieTradition.DerFamiliegehörteingroßesGutinPommern.SokannersicheinstandesgemäßesLebenalsOffiziergutleisten.Dasistnichtganzbillig,abermanistsichjaschließlichetwasschuldig.

JohannesHeinemannistArztineinerKleinstadt.ErgehörtzudenHonoratiorendesOrtes.SeineFrauistselbstverständlichnichtberufstätig.SiehatzuHausegenugzutun,schließlichmusssiedieKöchinunddasDienstmädchenanleiten.DasDienst-mädchenistauchfürdiebeidenTöchterzuständig,eineigenesKindermädchenwäredochzuaufwändig.DasnächsteKindwirdhoffentlicheinJungewerden.

ThereseWalteristVolksschullehrerinineinerIndustriestadt.DieZahlderKinderwächstsoschnell,dakommtderAusbauderSchulengarnichthinterher.SiehatinihrerKlasse80Mädchen.Dasistsehranstrengend.TrotzdemistsiestolzaufihrenBeruf.Ärgerlichist,dasssiesovielwenigeralsihremännlichenKollegenverdient.UndwennsieeinesTagesheiratensollte,müsstesieausdemSchuldienstaus-scheiden–verheirateteLehrerinnen,solautendieVorschriften,darfesnichtgeben.

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Kompetenzen trainieren und festigen

Themen vertiefen und vernetzen

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