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Söhnke Streckel - WordPress.com...Die Alliierten formulierten die Spielregeln für die Tätigkeit...

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Der Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik Lizensierte Spionage Die alliierten Militärverbindungs- missionen und das MfS Söhnke Streckel
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Der Landesbeauftragtefür die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstesder ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik

Lizensierte SpionageDie alliierten Militärverbindungs-missionen und das MfS

Söhnke Streckel

Der Landesbeauftragtefür die Unterlagen des

Staatssicherheitsdienstesder ehemaligen DeutschenDemokratischen Republik

www.stasi-unterlagen.sachsen-anhalt.de

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Checkpoint Charlie der Alliierten in Berlin 1982. Für ihre „Flag-Tours“ genannten Aufklärungsfahrten gelangten die amerikanischen,

britischen und französischen Militärinspektionen (MI) über diese Grenzübergangsstelle in den sowjetischen Sektor und die

sowjetischen Militärinspektionen in die Westsektoren.

Blockade der F-MVM Nr. 37 am 10. Januar 1984 im Sperrgebiet bei Sanitz im Kreis Rostock.

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Checkpoint Charlie der Alliierten in Berlin 1982. Für ihre „Flag-Tours“ genannten Aufklärungsfahrten gelangten die amerikanischen,

britischen und französischen Militärinspektionen (MI) über diese Grenzübergangsstelle in den sowjetischen Sektor und die

sowjetischen Militärinspektionen in die Westsektoren.

Blockade der F-MVM Nr. 37 am 10. Januar 1984 im Sperrgebiet bei Sanitz im Kreis Rostock.

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Lizensierte SpionageDie alliierten Militärverbindungs-missionen und das MfS

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Lizensierte Spionage

Die alliierten Militärverbindungs-

missionen und das MfS

Söhnke Streckel

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ISBN: ISBN 978-3-9812397-0-6

Auflage: 1. Auflage

Herausgeber: Landesbeauftragter für die Unterlagen

des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR

Klewitzstraße 4

39112 Magdeburg

E-Mail: [email protected]

Internet: www.stasi-unterlagen.sachsen-anhalt.de

Redaktion: Söhnke Streckel

Satz-Layout: megalearn MEDIEN GmbH

Druck: Garloff Media GmbH

Bezug über: megalearn MEDIEN GmbH

Tel: 0391 4000-10

Fax: 0391 4000-110

E-Mail: [email protected]

Alle in diesem Buch enthaltenen Angaben, Daten, Ergebnisse usw. wurden nach bes-

tem Gewissen erstellt und mit größtmöglicher Sorgfalt überprüft. Dennoch sind inhalt-

liche Fehler nicht völlig auszuschließen. Daher erfolgen die Angaben usw. ohne jegliche

Verpflichtung oder Garantie des Herausgebers oder des Redakteurs. Diese übernehmen

keinerlei Verantwortung für etwa vorhandene inhaltliche Unrichtigkeiten.

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Seite

Kaptiel 1 – Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Kapitel 2 – Potsdam / Neu Fahrland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

Kapitel 3 – Bünde / Frankfurt-Niederrad / Baden-Baden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Kaptiel 4 – Linie VIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Kapitel 5 – Potsdam / Berlin-Karlshorst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Kapitel 6 – Tangerhütte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Kaptiel 7 – Wernigerode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

Kapitel 8 – Löwenberg (Mark) / Dallgow / Ziesar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

Kapitel 9 – Halle-Lettin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Kaptiel 10 – Techentin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

Kapitel 11 – Berlin-Dahlem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

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Einleitung

Lästige Zaungäste

D ie archivierten Hinterlassenschaf-ten des früheren Ministeriums für Staats sicherheit der DDR bieten

heute einen reichhaltigen Quellenzugang zu vielen interessanten, bislang aber weit-gehend noch unbeantworteten Fragen des Kalten Krieges. Diese offenen Fragen sind

Freibrief, blieb ihr Agieren ein Kuriosum des Besatzungsrechts. Die Missachtung der je-weiligen staatlichen Souveränität war nur durch das Festhalten an den alliierten Son-derrechten möglich, die sich die Gewinner des zweiten Weltkriegs schon lange vor Kriegsende gegenseitig vertraglich zuge-

militärischen Aufklärungseinheiten um, die ihre wichtigste Aufgabe kaum mehr in Banketten und Sondierungsgesprächen angesiedelt sahen, sondern eindeutig im Bereich der Spionage. Angesichts der rechtlichen Sondervereinbarungen unter den Alliierten soll mit dieser Formulierung nicht der Eindruck erweckt werden, dass die Unterhaltung der Missionen ausschließlich Spionagezwecken diente. Vielmehr scheint abgeschwächt der Begriff der „lizensierten Spionage“ für deren Tätigkeit angemessen. Die Alliierten formulierten die Spielregeln für die Tätigkeit ihrer Missionen schließlich selbst, loteten im Alltag deren Grenzen aus und ahndeten auch mögliche Grenzüber-schreitungen nach eigenem Gusto. Neben der Aufklärung des militärischen Potentials des jeweiligen Gegners erfüllten die Mis-sionen weiterhin Repräsentationspflich-ten, wenn auch in eher geringem Umfang. Durch ihr Auftreten signalisierten die Mis-sionen tagtäglich und unmissverständlich die Haltung ihrer Entsendestaaten zur Pro-blematik der deutschen Teilung. Während

Abb. E01-E03: Ärmelabzeichen der drei westlichen Militärverbindungsmissionen. Die sowjetischen Missionsmitglieder in der Bundesrepublik trugen keine Abzeichen.

E01 E03E02

zweifelsohne auch mit der Existenz und dem Wirken der alliierten Militärverbin-dungsmissionen in der DDR und in der Bun-desrepublik verbunden. Als kleine militäri-sche Einheiten operierten amerikanische, britische, französische und sowjetische Missionen von 1946 bis zur Wiederverei-nigung Deutschlands 1990 mit quasidip-lomatischem Status auf jeweils „gegneri-schem“ Territorium, ohne vertraglich an die bestehenden Rechtssubjekte BRD und DDR gebunden zu sein. Ausschließlich des Terri-toriums von Berlin. Die geteilte Stadt stand unter separaten alliierten Vorbehaltsrech-ten. Im Zusammenhang mit dem militäri-schen Verbindungswesen seien diese zwar hier erwähnt, können aber nicht in aller Ausführlichkeit betrachtet werden. Die alli-ierten Militärverbindungsmissionen waren für die BRD wie auch die DDR ein ständiges Ärgernis. Beide deutschen Staaten mussten die Aufklärungsbesatzungen ebenso wie deren fortwährende Verstöße gegen die je-weiligen nationalen Rechtsnormen notge-drungen erdulden. Ausgestattet mit einem

standen hatten. Diese auf Reziprozität be-ruhenden Sondervereinbarungen sollten in erster Linie eine reibungslose Verbindung zwischen den Stäben der Oberbefehlsha-ber der alliierten Truppen gewährleisten. Doch die Geschichte wollte es nach Kriegs-ende anders und formte aus den alliierten Kriegsgewinnern neue Gegner. Trotz der geopolitischen Veränderungen blieben die Vereinbarungen des Besatzungsrechts er-halten und damit auch das alliierte Recht zur Unterhaltung von Militärverbindungs-missionen auf deutschem Boden. Eine er-neute Kriegsrhetorik bestimmte schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Tonfall zwischen den westlichen Alliierten und der Sowjetunion. Die einstige Antihit-lerkoalition war zerbrochen. Das geteilte Deutschland bildete nun das Spielfeld für eine Konfrontation mit anderen Mitteln. Die Supermächte bekriegten sich und ihre widerstreitenden Ideologien auf die kalte Art. Kennzeichnend für den Kalten Krieg wurde seine Austragung mittels geheim-dienstlicher Instrumente und Methoden.

Eine feste Einbindung in dieses Repertoire erfuhren auch die alliierten Militärverbin-dungsmissionen. Sie bildeten im täglichen direkten Kontakt mit dem Gegner die lega-lisierte Vorhut. Ihre rechtliche Sonderstel-lung war einzigartig. Nach 1949 wandel-ten sich die Missionen rasch zu effizienten

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die amerikanische, britische und französi-sche Militärverbindungsmission die DDR als nicht existent betrachteten, traten die drei sowjetischen Missionen in der Bundes-republik ebenso auf, als befänden sie sich lediglich in einer anderen Besatzungszone und nicht in einem souveränen Staat. Dass aus dieser Konstellation heraus beinahe tagtäglich Probleme und Konfrontationen erwachsen sollten, kann fast schon als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Das Agieren der Missionen als Katz-und-Maus-Spiel zu verniedlichen, entspräche aber nicht den damaligen Realitäten. Selbst wenn über Verfolger und Verfolgte nur we-nig an die Öffentlichkeit drang: Es war ein knallhartes Geschäft, das oft mit straffen Bandagen ausgetragen wurde. Bei den

akkreditierten Offizieren der Militärver-bindungsmissionen handelte es sich um ausgesuchte Spezialisten mit herausra-genden Qualifikationen. Sie beherrschten ihr Handwerk perfekt. Ein erfolgreicher Einsatz bei den MVM bedeutete oft die Eintrittskarte in höhere Verwendungen des militärdiplomatischen Dienstes oder ande-rer Geheimdienststrukturen. Die politischen Einflussmöglichkeiten auf die zuständigen alliierten Streitkräfte in der Bundesrepublik und in der DDR waren eng begrenzt, da Bündnisverpflichtun-gen in der NATO und im Warschauer Pakt bestanden. An einer Aufkündigung der bilateralen Verträge für die Militärverbin-dungsmissionen hatte offensichtlich keine militärische Seite Interesse. Erst der Zerfall

der Sowjetunion und die Regelungen des Zwei-plus-Vier-Vertrags läuteten das Ende der alliierten Sonderrechte ein und ebne-ten den Weg für die Wiedervereinigung Deutschlands. Während des Kalten Krieges gab es auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs mehr oder weniger ernsthafte Bestrebungen, die Arbeit der Militärverbindungsmissio-nen zeitweise zu kontrollieren und nach Möglichkeit auch zu behindern. Die GSSD delegierte diese Aufgabe vor allem an das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. In der Bundesrepublik erfolgte die Kon-trolle der sowjetischen Missionen durch die Militärpolizeien der Alliierten und die westlichen Geheimdienste. Auch wenn der offensive Fahndungsdruck des MfS

Abb. E04: Geschwindigkeitsmessung der Deutschen Volkspolizei auf der Autobahn. Die amerikanische MVM Nr. 24 wird 1980 mit 155 statt der erlaubten 100 km/h fotografiert. Der Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung der DDR blieb folgenlos. 5

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Einleitung

auf die westlichen MVM in der DDR un-gleich höher war als der Druck westlicher Sicherheitsbehörden auf die Sowjets, wäre es falsch zu behaupten, die sowjetischen MVM seien in der Bundesrepublik völlig unbehelligt geblieben. Es gab zwar viel weniger schwere Zwischenfälle mit den sowjetischen Militärverbindungsmissionen als umgekehrt. Doch die westlichen Diens-te gingen nicht minder intensiv gegen die Missionen vor. Im Unterschied zum MfS agierten sie lediglich unauffälliger. Die Ak-ten der westlichen Geheimdienste könnten darüber Auskunft gegeben, befinden sich aber unter Verschluss. Angesichts des nur einseitigen Aktenzugangs zu den fast voll-ständig geöffneten Beständen des MfS, verkehrt sich heute das Ungleichgewicht der Ausgangssituation in sein paradoxes Gegenteil. Diese Broschüre kann nicht die Lücke einer noch fehlenden historischen Ge-samtbetrachtung zu den alliierten Mi-litärverbindungsmissionen füllen. Das Observationswesen des früheren Minis-teriums für Staatssicherheit der DDR mit seinen Kooperationspartnern soll stattdes-sen im Mittelpunkt stehen. Die Hauptab-teilung VIII/5 und die ihr unterstellten Ab-teilungen VIII der Bezirksverwaltungen des MfS waren für die operative Kontrolle der westlichen Militärverbindungsmissionen in der DDR zuständig. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme existierte keine flä-chendeckende Kontrolle der Militärverbin-dungsmissionen durch den Geheimdienst der DDR. Dafür fehlten dem MfS nicht nur die personellen und materiellen Vorausset-zungen. Es mangelte auch an der nötigen Unterstützung durch die Führungsebene des MfS. Aus geheimdienstlichem Blick-winkel betrachtet war die Observation der Militärverbindungsmissionen eine un-dankbare Aufgabe, da das MfS die eigenen Erkenntnisse in Sammelstatistiken und Einzelinformationen vor allem der sowje-tischen Seite zuarbeitete. Das KGB und die GRU waren in diesem Bereich die Haupt-abnehmer des Informationsaufkommens. Vom Ertrag des mühsamen Geschäfts pro-

Abb. E05: Amerikanische MVM Nr. 22 mit „Tarnkappe“ im Wald.

Abb. E06: Britische MVM Nr. 11 begleitet eine sowjetische Kolonne.

fitierte bei ungleicher Lastenverteilung die sowjetische Seite. Zur großen Verärgerung des MfS vollzog sich die so genannte Zu-sammenarbeit mit den „Bruderorganen“ häufig entlang einer Einbahnstraße. Von sowjetischer Seite wurden dem MfS nur wenige Erkenntnisse übermittelt. Bewusst erschließt diese Broschüre nur solche The-men und Schwerpunkte im Zusammenhang mit den alli ierten Militärverbindungsmis-sionen, die einen Regionalbezug zum heu-tigen Land Sachsen-Anhalt aufweisen. Da-von wurde nur abgewichen, wenn sich eine Notwendigkeit für das Gesamtverständnis

ergab oder ein besonders herausragender Zwischenfall erwähnenswert erschien. Die Umstände der Tötung von Major Arthur D. Nicholson jr. in Techentin bei Ludwigslust zählen dazu. Aber auch das Kapitel über die Tätigkeit der sowjetischen Militärver-bindungsmissionen in der Bundesrepublik. Der Zeitraum der Betrachtungen umfasst die Jahre von 1980 bis zur Wiederverei-nigung 1990. Für die Broschüre wurde neben den Archivalien der BStU auch auf Zeitzeugen zurückgegriffen. Sie steuerten zahlreiche Hinweise und seltenes Bildma-terial bei.

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Stunde Null

Abb. K101: 7. Mai 1945: Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel unterzeichnet die bedingungslose Kapitulation Hitlerdeutschlands im Hauptquartier der Russischen Armee in Berlin. Der Zweite Weltkrieg ist damit beendet.

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Kapitel 1 – Rechtsgrundlagen

D ie Bildung der Militärverbindungs-missionen (MVM) und ihr Aufent-haltsrecht auf dem Territorium der

DDR ausschließlich Berlin1 resultierte aus dem Artikel 2 des „Abkommens über den Kontrollmechanismus in Deutschland“. Die-ses Vertragswerk wurde am 14. November 1944 von Regierungsvertretern der UdSSR, der USA und Großbritanniens in London unterzeichnet. Zu einem späteren Zeit-punkt trat auch Frankreich2 dem Abkom-men bei. Diese Rechtskonstrukte sahen im Kern vor, dass die oberste Gewalt von den Oberkommandierenden der Streitkräfte der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs jeweils in ihrer Besatzungszo-ne ausgeübt wird und gemeinsam in Fra-gen, die Deutschland als Ganzes betreffen (Artikel 1). Unabhängig davon hieß es in Artikel 2: „... Jedem Oberkommandierenden werden in seiner Besatzungszone Militär-, Marine- und Luftwaffenvertreter der an-deren beiden Oberkommandierenden für Verbindungszwecke zugeteilt.“3 Eine Kon-kretisierung dieser zunächst recht allge-meinen Formulierung erfolgte unter Rück-griff auf das Londoner Abkommen in zweiseitigen Vereinbarungen zwischen den jeweiligen Oberkommandierenden der in den Besatzungszonen stationierten alliier-ten Truppen. In den Jahren 1946/47 schlos-sen der Beauftragte des Oberkommandie-renden der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland4 auf der einen Seite und die Beauftragten der Oberkommandierenden der in den Westzo-nen stationierten Streitkräfte der USA5,

1 Da Berlin Sitz des Alliierten Kontrollrates war und die administrative Verwaltung von der Alliierten Kommandantur wahrgenommen wurde, erstreckte sich die Tätigkeit der MVM nicht auf die geteilte Stadt.

2 „Abkommen über das Kontrollverfahren in Deutschland“ vom 14. 11. 1944, ergänzt durch das Abkommen vom 1. 5. 1945 über die Beteiligung Frankreichs.

3 Detailliert widmete sich eine Studie des MfS vom Oktober 1975 mit den rechtlichen Problemen der MVM/MI. „Der Status der Militärverbindungsmissionen (MVM) und der Militärinspektionen (MI) der drei Westmächte; die rechtlichen Grundlagen der politisch-operativen Arbeit zur vorbeugenden Verhinderung, Aufdeckung und Bekämpfung subversiver Aktivitäten und anderer Rechtsverletzungen der MVM und MI.“ BStU, MfS, JHS Nr. 21841, Anlage 13 zu GVS JHS 001-52/75, S. 1-61

4 Generaloberst M. S. Malinin, Stellvertreter des Ober-kommandierenden und Chef des Stabes der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland

5 Generalleutnant Hübner, Stellvertreter des Oberkommandie-renden der europäischen Gruppe der amerikanischen Armee

Großbritanniens6 und Frankreichs7 auf der anderen Seite nach dem Prinzip der Ge-genseitigkeit die erforderlichen Abkommen über den Austausch und die Akkreditierung ihrer Militärverbindungsmissionen.8 Diese Abkommen regelten die speziellen Rechte und Pflichten von MVM-Angehörigen. Hin-sichtlich ihrer Ausgestaltung wiesen die geschlossenen Verträge keine Unterschiede auf. Lediglich die Anzahl der akkreditierten Missionsmitglieder schwankte. Während aus den Verhandlungen mit der britischen Seite 1946 noch 31 Akkreditierungen her-vorgingen, sahen die vertraglichen Verein-barungen im darauf folgenden Jahr mit Frankreich 18 und den USA dann nur noch 14 Mitglieder vor. Der Offerte des sowjeti-schen Oberkommandos nach mehr Mit-gliedern wollten die USA und Frankreich

6 Generalleutnant B. H. Robertson, Stellvertretender Militär-gouverneur CCG (BE)

7 Generalleutnant R. Nuare, Stellvertreter der Oberkomman-dierenden der französischen Gruppe des Kontrollrates

8 Im Einzelnen handelte es sich um folgende zweiseitige Vereinbarungen: Abkommen über den Austausch von Militärverbindungsmissionen zwischen den Oberbefehls-habern der sowjetischen und britischen Besatzungszone in Deutschland vom 16. September 1946; Abkommen über die Militärmissionen bei den sowjetischen und amerikanischen Oberkommandierenden der Okkupationszone Deutschlands vom 3. April 1947; Abkommen über die Militärmissionen bei den sowjetischen und französischen Oberkommandierenden der Okkupationszone Deutschlands vom 3. April 1947.

nicht folgen. Die Westalliierten vereinbar-ten untereinander in ihren Besatzungszo-nen keine gesonderten bilateralen Verträge für Militärverbindungsmissionen. Aus den bilateralen Verträgen mit der sowjetischen Seite erwuchsen komplizierte und zum Teil widersprüchliche rechtliche Folgen, die nicht nur die alliierten Militärs in ihrem Handeln untereinander betrafen, sondern auch die UdSSR und die DDR sowie die DDR im direkten Aufeinandertreffen mit den MVM und damit stellvertretend auch den Westmächten. In einer Studie zeichne-te das MfS 1975 die rechtlichen Aspekte des Aufenthalts der MVM auf dem Territo-rium der DDR nach und diskutierte die un-terschiedlichen praktischen Folgen. Als Grundübel griff die Expertise das Fortbe-stehen von Verträgen auf, die aus der Sicht der DDR historisch überholt schienen und in ihren Auswirkungen vermeintlich auch im Widerspruch zu ihrem ursprünglichen Zweck standen: „Die Funktion der MVM besteht in der Aufrechterhaltung einer ständigen und direkten Verbindung zwi-schen dem Oberbefehlshaber der GSSD und den Oberbefehlshabern der in der BRD sta-tionierten Streitkräfte der USA, Großbri-

Militärverbindungsmissionen

Abb. K102: Yalta-Konferenz der drei Alliierten Sowjetunion, USA und Großbritannien mit dem Beschluss zur Teilung Deutschlands nach Kriegsende. Gruppenfoto der Staatschefs Winston S. Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin.

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tanniens und Frankreichs bzw. ihren Stä-ben. Im Rahmen dieser Funktion haben die MVM Aufgaben zur Gewährleistung der Sicherheit und zur Realisierung der Ver-pflichtungen auf der Grundlage der vier-seitigen Abkommen zu lösen. Dies entsprä-che ihrem ursprünglichen völkerrechtlich vereinbarten Charakter, Instrument des Abbaus der Gefahr militärischer Konfron-tation durch gegenseitige Reduzierung von Streitkräften und Rüstungen und durch vertrauensbildende Maßnahmen zu sein. Im Widerspruch zu dieser vereinbarten Funktion als spezielle staatliche Vertretun-gen erweisen sich die MVM der Westmäch-te gegenwärtig primär als Instrument der Subversion, vor allem der militärischen Aufklärung gegen die UdSSR, die DDR und die Verteidigungskoalition der Warschauer Vertragsstaaten.“9 Es gab keinen Friedens-vertrag mit Deutschland und so bestand das Besatzungsrecht fort, selbst wenn sich mittlerweile zwei deutsche Staaten als vermeintlich souverän etabliert hatten: „Die Weitergeltung der zweiseitigen Ver-einbarungen des Oberkommandierenden der GSSD mit den Oberkommandierenden der in der BRD stationierten Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Frankreichs über den Austausch von MVM resultiert aus der Tatsache, daß die UdSSR in der ‚Er-klärung über die Aufhebung der kontrollie-renden Tätigkeit des Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland und über die Herstellung der vollen Souveränität der DDR in ihren inneren und äußeren Angele-genheiten‘ vom 25. März 1954 das Recht vorbehielt, weiter ihre Funktionen auszu-üben, die mit der Gewährleistung der Si-cherheit im Zusammenhang stehen und sich aus den Verpflichtungen ergeben, die der UdSSR aus den Viermächteabkommen erwachsen ... und die mit der Aufrechter-haltung der entsprechenden Verbindungen mit den Vertretern der Besatzungsbehör-den der USA, Großbritanniens und Frank-reichs ... im Zusammenhang stehen und die sich aus den vereinbarten Beschlüssen der

9 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, Anlage 13 zu GVS JHS 001-52/75, S. 8

vier Mächte über Deutschland ergeben. Dieser Rechtsstandpunkt der UdSSR wurde von der DDR mit dem Abschluß des Vertra-ges über die Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR vom 20. September 1955 ausdrücklich unterstützt. Zur Reali-sierung der Rechte und Pflichten der GSSD in bezug auf die MVM der drei Westmäch-te hat der Oberkommandierende der GSSD Instruktionen10 erlassen. Dem Grundinhalt

10 Instruktion des Oberkommandierenden der GSSD, Armeege-neral P. Koschewoj, vom 11. September 1967. Maßnahmen zur Absicherung der Truppen und Objekte gegen das Eindrin-gen von Mitgliedern der beim Oberkommandierenden der Gruppe der zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte akkreditierten ausländischen Militärverbin-dungsmissionen. BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 70 ff.

nach ist, soweit die Instruktion des Ober-kommandierenden der GSSD vom 11. Sep-tember 1967 dem nicht widerspricht, die Wiener Konvention über diplomatische Be-ziehungen (WDK) vom 18. April 1961 auf die MVM und ihre Mitarbeiter sinngemäß anzuwenden.“11 Das partielle Handeln der Sowjetunion auf deutschem Boden nach Besatzungsrecht setzte den Souveränitäts-bestrebungen der DDR enge Grenzen. Denn aus den geschlossenen Vor- und Nach-kriegsverträgen mit den Westmächten schien ein einseitiger Ausstieg der UdSSR

11 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, Anlage 13 zu GVS JHS 001-52/75, S. 10 f.

Abb. K103: 8. Juli bis 1. August 1945: Potsdamer Konferenz der Siegermächte. Schloss Cecilienhof.9

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Kapitel 1 – Rechtsgrundlagen

Abb. K104: Auszug aus dem bilateralen Vertrag über die amerikanische und sowjetische Militärverbindungsmission, unterzeichnet am 5. August 1947. 10

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weder praktisch möglich noch politisch ernsthaft gewollt. Diesen offenkundigen Widerspruch versuchte das MfS für sich intern mit den Bündnisverpflichtungen zu rechtfertigen: „Die UdSSR realisiert ihre Aufgaben, die sich aus den völkerrechtli-chen Vereinbarungen über den Austausch von MVM ergeben, im Interesse der Sicher-heit der sozialistischen Staatengemein-schaft unter den jeweiligen Bedingungen der Klassenauseinandersetzung. Damit ver-wirklicht sie zugleich wesentliche Aufga-ben des Schutzes der Souveränität der DDR vor feindlichen Angriffen. Die GSSD res-pektiert die Hoheitsrechte der DDR, indem sie die Souveränität der MVM zur unbe-dingten Sicherung der Hoheitsrechte der DDR im konsultativen und praktischen Zu-sammenwirken mit den zuständigen Orga-nen der DDR löst. Die GSSD verpflichtet die westlichen MVM zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten sowie zur un-bedingten Einhaltung der Rechtsordnung der DDR und gewährleistet mit ihren spezi-fischen Mitteln die Durchsetzung der hier-zu getroffenen Festlegungen. Die DDR hält sich konsequent an die mit der UdSSR ge-troffenen Vereinbarungen, insbesondere an den Vertrag mit der UdSSR vom 20. Sep-tember 1955; sie achtet konsequent die Rechte der UdSSR zum Austausch von MVM sowie zur Gewährleistung entspre-chender Rechte, unterstützt die sowjeti-schen Organe bei der Erfüllung ihrer Ver-pflichtungen in bezug auf die MVM und erfüllt in enger Koordinierung mit den so-wjetischen Organen wichtige Abwehrauf-gaben in bezug auf die MVM.“12 Während sich die DDR notgedrungen zur Achtung der zwischen Dritten ausgehandelten Pri-vilegien für eine kleine Gruppe von Perso-nen verpflichtete, blieben die sowjetischen Zusicherungen oft reine Lippenbekenntnis-se. Eine Disziplinierung der westlichen MVM nach den Wunschvorstellungen der DDR fand nicht statt, da die Verträge jedes repressive Vorgehen gegen die Missionen ausschlossen. Selbst wenn die DDR aus der

12 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, Anlage 13 zu GVS JHS 001-52/75, S. 11 f. 13 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, Anlage

bloßen Existenz der westlichen MVM als staatliche Vertretung der Westmächte auf ihrem Territorium eine allgemeine Pflicht zur Achtung der Souveränität ableitete, reichten die Befugnisse nicht aus, um eine Nichteinmischung in die inneren Angele-genheiten der DDR oder die Einhaltung der Rechtsordnung der DDR tatsächlich direkt bei den MVM einzufordern. Es blieb bei den hilflosen Appellen der DDR zur Einhal-tung der zweiseitigen Vereinbarungen der Oberkommandierenden über den Aus-tausch von MVM. An den Sowjets führte kein Weg vorbei, wenn es um die MVM ging. Die MVM und die DDR unterhielten deshalb offiziell keinerlei direkte Rechtsbe-ziehungen. Dennoch wähnte das MfS zu-mindest in besonderen Situationen Rechts-beziehungen auch direkt berührt: „Diese Rechtsbeziehungen werden im Falle des Mißbrauchs der Rechte der MVM bzw. bei anderen Rechtsverletzungen durch ihre Mitarbeiter praktisch bedeutsam. Die Or-gane der DDR werden in diesen Fällen kraft originärer (ursprünglicher) Souveränitäts-rechte der DDR wirksam. Die Grenzen des Wirksamwerdens der Staatsorgane der DDR werden durch die Rechte der DDR der UdSSR bzw. des Oberkommandierenden der GSSD gemäß der Erklärung der Regie-rung der UdSSR vom 25. März 1954 und dem Vertrag über die Beziehungen zwi-

schen der DDR und UdSSR vom 20. Sep-tember 1955 bestimmt.“13

Als besonderes Hindernis in der Verfol-gungspraxis sah das MfS die Unverletz-lichkeit der Beförderungsmittel der MVM an. Denn nach der WDK14 gehörten die Be-förderungsmittel zu den Räumlichkeiten. Die bilateralen Abkommen über die MVM regelten die Unverletzlichkeit der Beförde-rungsmittel nicht ausdrücklich. Es konnte nur von der Annahme ausgegangen wer-den, dass die wechselseitig geübte Praxis eine Unverletzlichkeit der Beförderungs-mittel garantierte. Ein Rechtsanspruch darauf existierte nicht. Die Instruktion des Oberkommandierenden der GSSD vom 11. September 1967 verpflichtete im Ar-

13 zu GVS JHS 001-52/75, S. 1314 WDK – Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen

vom 18. April 1961

Abb. K105: Wappen der

britischen Militärverbin-dungsmission

in Potsdam.

Abb. K106: Opel der sowjetischen Militärverbindungsmissionen beim Stab des US-Europakommandos in Frankfurt/Main um 1960. 11

LaßlebenW
Textfeld
(Abbildung nur in der gedruckten Broschüre wiedergegeben)
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Kapitel 1 – Rechtsgrundlagen

tikel 16 selbst für den Fall von „Festnah-men“ die handelnden Militärangehörigen dazu, „grundsätzlich keine Durchsuchung der Angehörigen der MVM vorzunehmen.“ Trotz der weitgehend gewährleisteten Un-verletzlichkeit der MVM-Fahrzeuge behiel-ten sich die „Organe“ der GSSD aber letzt-lich doch ein Zugriffsrecht vor, abgeleitet aus den völkerrechtlichen Grundsätzen des Diplomatenrechts und der internati-onalen Staatenpraxis bei unmittelbarer Feststellung von schwerwiegenden Miss-brauchshandlungen und anderer Rechts-verletzungen oder auch „nur“ bei begrün-deten Verdachtsmomenten gegen einzelne MVM-Angehörige. Unter diesen besonde-ren Umständen sollte die Durchsuchung der dazu benutzten Fahrzeuge gestattet sein. Beweisstücke, die für eine weite-re Untersuchung wichtig waren, durften dann bis zum Abschluss der Untersuchun-gen sichergestellt werden. Der Zugriff auf MVM-Fahrzeuge stellte als Einschränkung der Unverletzlichkeit der Beförderungs-mittel aus völkerrechtlicher Sicht eine Repressalie dar, die in Beantwortung ei-nes völkerrechtswidrigen Verhaltens eines Staates erfolgte. Er stellte nur deshalb keine Völkerrechtsverletzung dar, weil er eine berechtigte Reaktion auf rechtswidri-ges Handeln war. So sah es zumindest das MfS.15 Die bilateralen Verträge zu den MVM sahen für deren Mitarbeiter, Angehörige und Gäste16 auf dem Territorium der DDR Rechte und Pflichten vor. Zu den Rechten, die eigentlich Vorrechte waren und zahl-reiche Privilegien beinhalteten, gehörten die Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten, die Unverletzlichkeit der Person, der freie Verkehr mit ihren Oberkommandierenden

15 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, Anlage 13 zu GVS JHS 001-52/75, S. 20

16 „Die MVM haben das Recht, Staatsbürger ihrer Heimat-staaten einschließlich Angehörige der Streitkräfte und Staatsbürger anderer Staaten als Gäste zu empfangen. Han-delt es sich dabei um Gäste, deren Einreise in die DDR aus-schließlich mit dem Ziel des Besuchs der MVM verbunden ist, erfolgt die Einreise in die DDR auf der Grundlage eines Gästeausweises, der von der Abteilung Außenbeziehungen beim Stab der GSSD auf Antrag ausgestellt wird. Mit der Ausstellung des Gästeausweises verpflichtet sich die GSSD, den Gästen der MVM die gleichen Privilegien und Immuni-täten wie den Mitarbeitern der MVM zu gewährleisten und ihren persönlichen Schutz entsprechend zu gewährleisten.“ BStU, MfS, JHS Nr. 21841, S. 28 f.

für amtliche Zwecke, die Bewegungs- und Reisefreiheit, weitere Rechte, worunter beispielsweise die Befreiung von der Straf-und Zivilgerichtsbarkeit oder die zollrecht-liche Freistellung bei Einkäufen zählten. Insofern wurden den westlichen MVM in vollem Umfang jene Rechte zugestanden, die die DDR nach internationalen Gepflo-genheiten auch diplomatischen Vertretern anderer Staaten gewährte. Nur mit dem Unterschied, dass die Rechte nicht von der DDR direkt eingeräumt worden waren. Den MVM der Westalliierten stand es frei, in Hotels zu übernachten, Ausstellungen, Messen, Geschäfte und Gaststätten zu be-suchen.17 Auch die Unterhaltung mit Per-sonen aus der DDR und UdSSR war ihnen nicht ausdrücklich verboten. Aus den von dem Oberkommandierenden der GSSD eingeräumten Vorrechten und anderen Rechten resultierte grundsätzlich die Pflicht der MVM, ihrer Mitarbeiter, Fa-milienangehörige und Gäste18, die geltende Rechtsordnung des Empfangs- und Aufent-haltsstaates einzuhalten. Eine Akkreditie-rung durch die GSSD mit einem speziellen

17 Die Fortbewegung auf dem Territorium der DDR war den MVM nur mit ihren eigenen Fahrzeugen gestattet. Diese Fahrzeuge waren durch gelbe Nummernschilder mit Länderflagge und Nummer auffällig gekennzeichnet. Verließen Angehörige der MVM ihr Fahrzeug, mussten sie zu Fuß gehen. Öffentliche Verkehrsmittel oder Taxis durften sie nicht benutzen, auch nicht per Anhalter in Fahrzeugen anderer Personen oder Einrichtungen weiterfahren. Die Benutzung von Fähren (als Brückenersatz) war in das Verbot der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mit eingeschlossen.

18 „Das Recht, diesen Gästen Hilfe und Unterstützung während ihres Aufenthaltes in der DDR zu gewähren, umfaßt z. B. Unterkunftsgewährung in den Räumlichkeiten der MVM, Mitnahme in den Fahrzeugen der MVM, Beratung beim Aufenthalt auf dem Territorium der DDR usw. Die Hilfe und Unterstützung, die die MVM ihren Gästen gewähren, ist entsprechend dem besonderen Charakter der MVM und ihrer spezifischen Funktion nicht als konsularischer Schutz und Interessenwahrnehmung im Sinne der Wiener Konvention über konsularische Beziehungen vom 24. 4. 1963, sondern als spezifische und begrenzte Form der Betreuung zu werten. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß die MVM z. B. über keine Konsuln bzw. Konsularabteilungen verfügen und auch nicht in der Lage sind, die Interessen ihrer Gäste auf allen Gebieten wahrzunehmen und zu schützen. Bezüglich des in den zweiseitigen Vereinbarungen von 1946/47 ausgestalteten Rechts der MVM, Interessen der Staatsbürger ihres Entsendestaates, einschließlich deren Besitzinter-essen zu vertreten, ist festzustellen, daß dieses Recht der MVM spätestens seit 1954, mit der Erlangung der vollen Souveränität der DDR, untergegangen ist. (Im zweiseitigen Abkommen über die Militärmissionen bei den sowjetischen und britischen Oberkommandierenden vom 16. September 1946 wurde im Punkt 11 Absatz 2 vereinbart: In jeder Zone haben die Missionen das Recht, Eingaben zu Fragen der Verteidigung der Interessen ihrer Staatsbürger sowie zu Fragen ihrer Besitzinteressen in der Zone zu machen. In den anderen zweiseitigen Vereinbarungen von 1946/47 wurde inhaltlich das gleiche Recht festgelegt.)“ BStU, MfS, JHS Nr. 21841, S. 29 f.

Ausweisdokument bildete die Vorausset-zung für die Gewährung der Vorrechte für die Militärverbindungsmissionsmitglieder, deren Familienangehörige und Gäste. Sie waren vom Stabschef der GSSD oder dem Leiter der Außenpolitischen Abteilung des Stabes der GSSD unterschrieben. Die Ehe-frauen der Missionsmitarbeiter erhielten ebenfalls besondere Personaldokumente, die zugleich Eintragungen ihrer Kinder im Alter bis zu 16 Jahren enthielten. Außer-dem stellte der Stab der GSSD für jedes Fahrzeug der MVM für einen bestimmten Zeitraum einen Ausweis aus. Gäste der Missionen erhielten spezielle Gästeaus-weise. Grundsätzlich verweigerten alle MVM-Mitglieder die bilateral vereinbarte Legitimation durch spezielle Ausweispa-piere gegenüber „Organen“ und Bürgern der DDR. Unter Verweis auf deren Nicht-zuständigkeit. Insofern handelten sie nicht anders als auch die sowjetischen MVM bei der Aufforderung durch bundesdeutsche Behörden, sich durch Dokumente auszu-weisen. In der Pflicht zum ständigen Tragen einer Uniform außerhalb der Räumlichkei-ten der MVM und ihrer Privatwohnungen sahen sie ihre Legitimationspflichten als erfüllt an. Die Uniform war gewissermaßen der Ausweis und ihre speziell gekennzeich-neten Fahrzeuge signalisierten die Zuge-hörigkeit der Insassen zu den MVM, egal ob als Mitarbeiter, Familienagehöriger oder Gast. Das Recht des freien Verkehrs mit ihren Oberkommandierenden für amtliche Zwecke beinhaltete vor allem das Recht der MVM auf freien Nachrichtenverkehr. Übereinstimmend räumten die bilateralen Vereinbarungen jeder Mission den Betrieb einer Funkstation zur Verbindung mit dem eigenen Oberkommandierenden ein und auch den Einsatz von Kurieren und Ver-bindungsleuten zwischen den MVM und ihren Oberkommandierenden. Diese Ku-riere genossen die gleiche Immunität wie diplomatische Kuriere. Nach dem Inhalt der zweiseitigen Vereinbarungen und in Übereinstimmung mit den WDK durften die MVM sowohl im Funk- als auch Ku-rierverkehr Code und Chiffren benutzen.

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Die Kuriere und das Kuriergepäck genos-sen den besonderen Schutz der GSSD und umgekehrt den Schutz der westalliierten Oberkommandierenden. Das bedeutete für die Kuriere einerseits, dass sie persönli-che Unverletzlichkeit genossen und weder verhaftet, festgenommen oder in anderer Weise in ihrer legitimen Kuriertätigkeit behindert werden durften. Andererseits waren sie auch in der Ausübung ihrer Ku-riertätigkeit zu schützen. Das Kuriergepäck durfte weder geöffnet noch zurückgehal-ten werden. Voraussetzung dafür war die Legitimation der Kuriere mit speziellen Ausweisdokumenten und die deutlich sichtbare Kennzeichnung des Gepäcks als Kuriergepäck. Der Inhalt des Kuriergepäcks sollte nur amtliche Dokumente oder ande-re für die Dienstgebrauch bestimmte funk-tionsbezogene Gegenstände enthalten, was natürlich durch das faktische Kontroll-verbot in der Praxis nicht nachprüfbar war. Für die sowjetischen Militärverbindungs-missionen in der Bundesrepublik war das Kurier- und Funkwesen aufgrund der gro-ßen Entfernung zum Oberkommando der GSSD in Wünsdorf erheblich bedeutsamer als für die westlichen MVM. Sie benötig-ten nur die vergleichsweise kurze Strecke von Potsdam bis nach Westberlin, um von dort aus auf ihre stark ausgebauten und gesicherten militärischen, logistischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktu-ren zurückgreifen zu können, selbst wenn sich die jeweiligen Oberkommandos ihrer Armeen ebenfalls weit entfernt im Wes-ten und Südwesten der Bundesrepublik befanden. Die MVM-Unterstützungsappa-rate19 in Westberlin gewährleisteten einen schnellen und reibungslosen Informations-fluss auch unter den Missionen. Die gro-ße räumliche Distanz zwischen den drei sowjetischen Missionen in der britischen, amerikanischen und französischen Besat-zungszone behinderte eine ähnlich straffe Organisation, wie sie der „Gegner“ aufge-baut hatte. Die Westalliierten profitierten auch zusätzlich von dem besonderen Sta-

19 vgl. Fußnote 1 in Kapitel 2

Abb. K107: Blockade der französischen MVM-Besatzung Nr. 37 am 10. Januar 1984 in der Ortschaft Vietow unweit des Objekts der 43. Fla-Raketenbrigade nach einer Sperrgebietsverletzung. Die Kräfte der operativen Beobachtung der Abteilung VIII der BV Rostock und der NVA warten auf das Eintreffen des sowjetischen Kommandanten aus Rostock.

Abb. K108: Viersprachige Verbotsschil-der wiesen in der DDR auf die Grenzen ständiger MVM-Sperrgebiete hin. 13

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Kapitel 1 – Rechtsgrundlagen

tus Berlins als geteilte Stadt. Sie durften den Luftraum 30 km um die Berliner Luft-sicherheitszentrale (BASC)20 unbeschränkt nutzen. Die westlichen MVM machten von dieser Aufklärungsmöglichkeit regen Ge-brauch und unterhielten dafür entweder eigene kleine Aufklärungsflugzeuge vom Typ Chipmunk, wie die britische MVM, oder betrauten Flugzeuge ihrer jeweiligen Luft-waffe mit dieser Aufgabe. In sehr geringer Höhe von 150 m überflogen die Besatzun-gen dann grenznahe militärische Einrich-tungen der NVA und Sowjetarmee und fertigten Luftaufnahmen davon an. Den SMVM21 stand in der Bundesrepublik keine Option für die Überwachung eines Teilbe-reichs aus der Luft zur Verfügung. Zu den zwei wichtigsten Kernpunkten der bilate-ralen Abkommen zählte die Unverletzlich-keit der Person und die Bewegungs- und Reisefreiheit der MVM-Angehörigen. Die Auslegung der Rechte und vor allem der Beschränkungen in diesen beiden Berei-chen führte zu den meisten Problemen im Umgang mit den MVM. Denn die bilatera-len Verträge waren in diesen Punkten sehr allgemein gehalten. Aus den Rechtsgrund-lagen und der gegenseitig geübten Praxis ergab sich, dass 1) die Mitarbeiter, deren Familien-angehörige und Gäste22 der MVM keinen strafprozessualen Zwangsmaßnahmen der GSSD und der DDR-Organe unterlagen, 2) erforderliche Maßnahmen ergriffen werden mussten, um jeden rechtswidrigen Angriff auf die Person des Mitarbeiters der MVM etc., ihrer Freiheit und Würde zu ver-hindern, 3) die Privatwohnungen der Mitarbei-ter der MVM etc., sofern sie sich in der DDR befanden, die gleiche Unverletzlichkeit und den gleichen Schutz wie die Räumlichkei-ten der Mission genossen, 4) die Papiere, die Korrespondenzen und persönliches Eigentum23 der Mitarbei-ter der MVM etc. unverletzlich waren,

20 BASC – Berlin Air Safety Centre/BARTCC – Berlin Air Route Traffic Control Center im Flughafen Berlin Tempelhof

21 SMVM – Sowjetische Militärverbindungsmission22 Das betraf Gäste, die im Besitz eines Gästeausweises waren. 23 Ausnahmen ergaben sich aus dem Artikel 31 WDK.

5) die Mitarbeiter der MVM etc. die Immunität vor der Straf- und Zivilgerichts-barkeit24 des Empfangsstaates bzw. Auf-enthaltsstaates genossen, 6) die Mitarbeiter der MVM etc. von al-len staatlichen oder kommunalen Steuern, Abgaben und Gebühren, außer indirekten Steuern für Waren und Dienstleistungen, befreit waren, 7) die Mitarbeiter der MVM etc. nicht verpflichtet waren, persönliche Dienstleis-tungen jeder Art zu erbringen, 8) die Mitarbeiter der MVM etc. Ge-genstände zollfrei einführen konnten, die für den Dienstgebrauch oder den persön-lichen Gebrauch bestimmt waren, 9) das persönliche Gepäck der Mitar-beiter etc. keiner Kontrolle unterlag.25 Die Bewegungs- und Reisefreiheiten be-schrieben allgemein die Ziffern 8 bezie-hungsweise 10 der zweiseitigen Verein-barungen der Oberkommandierenden. Die Instruktion des Oberkommandierenden der GSSD vom 11.9.1967 konkretisierte die Rechte und Pflichten in diesen Punk-ten und gab Orientierungen bei möglichen Verstößen. Nach Artikel 3 der Instruktion war es den Mitarbeitern der MVM etc.26 gestattet, „sich frei auf dem gesamten Ter-ritorium der Deutschen Demokratischen Republik zu bewegen, außer der Gebiete und Stellen, die unter Artikel 5 genannt sind.“ Die Bewegungs- und Reisefreihei-ten der MVM unterlagen danach einigen Beschränkungen. Den MVM-Mitarbeitern war das Einfahren in bzw. Betreten von Gebieten, die für die MVM vom Oberkom-mandierenden der GSSD zu ständigen oder zeitweiligen Sperrgebieten erklärt worden waren, verboten. Im Zusammenhang damit war rechtlich bedeutsam, dass das Verbot zur Einfahrt in ständige oder zeitweilige Sperrgebiete erst von dem Zeitpunkt an rechtsverbindlich war, an dem der Ober-kommandierende der GSSD die westlichen MVM davon unterrichtet hatte. Mit der Übergabe entsprechenden Kartenmaterials

24 vgl. Fußnote 19.25 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, S. 22 f. 26 Für Gäste ergab sich ggf. die konkrete Beschränkung aus

örtlich begrenzten Aufenthaltsberechtigungen.

galten die Einschränkungen als wirksam.27 Den Mitarbeitern der MVM war es nicht gestattet, die Zufahrt zu Standorten von Militäreinheiten, Übungsgeländen, Schieß-plätzen und anderweitigen Militärobjekten der GSSD und NVA sowie Industrieobjek-ten der DDR, die durch Verbotsschilder gekennzeichnet waren, zu benutzen. Dar-über hinaus galt ebenfalls ein Verbot zur Einfahrt und zum Betreten von Gebieten für die Dauer von militärischen Übungen, Transporten und Truppenverladungen, die nicht rechtzeitig zu zeitweiligen Sperr-gebieten erklärt worden waren, wenn die GSSD oder NVA für die Dauer dieser Opera-tionen Posten und Verbotsschilder einsetz-te. Die Beschilderung von Zufahrtswegen zur Sicherung militärischer und anderer Objekte entwickelte sich zu einem Dauer-streitthema zwischen den Missionen, der GSSD und der DDR. Nur die von der GSSD durch Sperrschilder deklarierten Gebiete wollten die westlichen MVM anerkennen. Für Objekte der NVA, des MfS, der VP und von Industrieanlagen erfolgte die Auswei-sung und Beschilderung als Sperrgebiet aufgrund gesetzlicher Regelungen der DDR, denen sich die westlichen MVM nicht verpflichtet fühlten. Ferner war den MVM-Mitarbeitern verboten,28 1) außerhalb der Dienst- und Wohnob-jekte der MVM Zivilkleidung zu tragen, 2) Truppen- und Kampftechnik der so-zialistischen Verteidigungskoalition zu fo-tografieren, 3) Militärkolonnen der sozialistischen Verteidigungskoalition zu begleiten und zu beobachten,

27 Bezüglich der Sperrgebiete hieß es im Punkt 8 der zweisei-tigen Vereinbarungen von 1946/47: Jeder Oberbefehlshaber wird die Mission benachrichtigen ... Entsprechend Artikel 9 der Instruktion der GSSD vom 11.9.1967 wurden die Gren-zen der ständigen und zeitweiligen Sperrgebiete bei den Objekten der GSSD durch deren Oberkommandierenden und bei Objekten der NVA und anderen Objekten einschließlich Industrieobjekten durch die Regierung der DDR bzw. den zuständigen Staatsorganen festgelegt. In allen Fällen erfolg-te die Bekanntgabe der Grenzen ständiger und zeitweiliger Sperrgebiete für die MVM durch die Außenpolitische Ab-teilung des Stabes der GSSD. Die Leiter der MVM erhielten Kartenmaterial mit den ständigen Sperrgebieten. Karten der zeitweiligen Sperrgebiete mit Angaben über In- und Außerkrafttreten des Verbots der Einfahrt für MVM wurden ebenfalls vom Stab der GSSD angefertigt und auf dem gleichen Weg übergeben wie die Karten mit den ständigen Sperrgebieten.

28 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, S. 26 f.14

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4) Eisenbahnanlagen während der Be- und Entladung von Truppen und Kampf-technik der sozialistischen Verteidigungs-koalition zu beobachten, 5) Geräte und Apparaturen zu benut-zen, die Aufklärungszwecken bzw. Spiona-gezwecken dienen, 6) Kraftfahrzeuge zu benutzen, die nicht über die zwei vorgeschriebenen Kennzeichenschilder verfügen, die für die MVM-Fahrzeuge vorgeschrieben sind und die nicht als solche ausgewiesen werden können bzw. bei welchen die Kenzeichen-schilder verschmutzt bzw. bei Dunkelheit nicht beleuchtet und daher unkenntlich bzw. schwer erkennbar sind, 7) Eisenbahnen, Wasserfahrzeuge und städtische Transportmittel einschließlich Taxis sowie andere, nicht der MVM gehö-rende Fahrzeuge, zu verwenden, 8) Personen, die weder zum Personal noch zu den Gästen der MVM gehören und deren Aufenthalt auf dem Gebiet der DDR durch die GSSD genehmigt wurde, in Fahr-zeugen der MVM zu befördern, 9) Außerhalb von Sperrgebieten und gesperrten Objekten an den Stellen zu fo-tografieren, die für sie besonders gekenn-zeichnet sind (Beschilderung: Fotografier-Verbot), 10) Agitations- und Propagandatä-tigkeit zu betreiben, einschließlich dem Verbreiten von Zeitungen, Flugblättern, Broschüren und anderen Erzeugnissen an-tisozialistischen Charkaters, 11) Provokationshandlungen vorzuneh-men.29 Sie hatten den Forderungen der von der GSSD, NVA und VP aufgestellten Absper-rungs- und Regulierungsposten Folge zu leisten und sich den Weisungen eines je-den Angehörigen der GSSD zu fügen. An-dererseits war es den MVM-Mitarbeitern gestattet, bei ihrer Reisetätigkeit öffent-liche, allgemein zugängliche Hotels in Anspruch zu nehmen, Geschäfte zu be-suchen und darin einzukaufen sowie das

29 Dazu zählte das MfS beispielsweise die Aktionen der britischen MVM, in der Vorweihnachtszeit mit Weihnachts-mannskostüm auf Tour durch die DDR zu gehen und an Kinder Süßigkeiten und kleine Geschenke zu verteilen.

Abb. K109: Autokennzeichen der sowjetischen Militärverbindungsmission bei der britischen Rheinarmee, 70er Jahre.

Abb. K110: Autokennzeichen der amerikanischen Militärverbindungsmission bei der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, 80er Jahre.

Abb. K111: Autokennzeichen der französischen Militärverbindungsmission bei der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, 80er Jahre.

Abb. K112: Autokennzeichen der britischen Militärverbindungsmission bei der Westgruppe der Truppen, ca. 1988/1989.

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LaßlebenW
Textfeld
(Abbildungen nur in der gedruckten Broschüre wiedergegeben)
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Kapitel 1 – Rechtsgrundlagen

öffentliche Telefonnetz zum Zweck der Verbindung mit ihren Missionen zu nutzen. Insofern schwankte die DDR im direkten Kontakt mit den MVM zwischen Flagge zeigen und Zurückhaltung, Bündnistreue zur UdSSR und staatlichem Selbstver-ständnis. Kratzte bereits die Duldung der MVM-Aktivitäten schmerzlich am politi-schen Image der DDR, geriet die Degradie-rung in eine bloße Buchhalterrolle für den Fall dass die MVM gegen die bilateral mit der GSSD ausgehandelten Grenzen in einer ohnehin breiten Grauzone verstießen, gar zur Schmach. Diese Ohnmacht durchzog auch den gesamten Sprachgebrauch der DDR und insbesondere des MfS hinsicht-lich der Charakterisierung der Tätigkeit der westlichen Militärverbindungsmissionen und ihrer möglichen Abwehr: „Die obenge-nannten Einschränkungen der Bewegungs-und Reisefreiheit der Mitarbeiter der MVM entsprechen den Sicherheitsbedürfnissen der UdSSR, der DDR und der anderen War-schauer Vertragsstaaten, berücksichtigen die gegenseitig geübte Praxis und erwei-sen sich als notwendig, um der subversi-ven Tätigkeit der MVM, vor allem bei der Aufklärung des militärischen Potentials, des Kampfwertes und anderer strategisch bedeutsamer Daten über die GSSD und die Verbände der NVA, entgegenzutreten. Aus der Rolle der MVM sowie aus der Tatsache, daß ihre Mitarbeiter ausgewählte, spezi-ell geschulte und erfahrene Spezialisten der Militäraufklärung sind, ergibt sich die Notwendigkeit, allen Versuchen der MVM entgegenzuwirken, die aufgezeigten Gren-zen ihrer Bewegungs- und Reisefreiheit zu unterlaufen und rechtswidrig auf dem Territorium der DDR tätig zu werden.“30 „Die westlichen MVM missbrauchen – als Vertretungen imperialistischer Staaten – die ihnen zur Erfüllung ihrer Verbindungs-funktion gewährten Vorrechte und damit eingeräumten Möglichkeiten der subversi-ven Tätigkeit gegen die DDR und die in der DDR stationierten Streitkräfte der UdSSR. Sie betreiben insbesondere umfangreiche

30 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, S. 28

politische, ökonomische und militärische Aufklärung, sind an der Vorbereitung und Durchführung von Personenschleusungen nach Westberlin beteiligt, sind eingeord-net in die feindliche Kontaktpolitik und -tätigkeit, betreiben politisch-ideologische Diversion, begehen demonstrativ-provoka-tive Handlungen u. a. m. Zur Vorbereitung und Begehung des Mißbrauchs und zu dessen Abdeckung verstoßen die Angehö-rigen der MVM in der Regel gegen ihnen ausdrücklich auferlegte spezielle Pflichten, verletzen die allgemeine Rechtsordnung der DDR und gefährden immer die öffent-liche Ordnung und Sicherheit, vor allem im Straßenverkehr. Verletzungen solcher kon-kret auferlegten Pflichten werden von den

MVM-Mitarbeitern vor allem mit dem Ziel begangen, ihre Aktionsmöglichkeiten im Sinne der militärischen Aufklärung noch zu erweitern, sich der operativen Kontrolle zu entziehen sowie die Einleitung und Durch-führung von Zwangsmaßnahmen wegen begangener Mißbrauchshandlungen oder anderer Rechtsverletzungen durch die GSSD mit Unterstützung der zuständigen Organe der DDR zu verhindern.“31 Von be-sonderer Bedeutung für die DDR waren auch die Rechte Dritter im Umgang mit den MVM, da diese nicht exakt von den bilateralen Abkommen der Jahre 1946/47 erfasst waren. Staatsbürger des Entsende-

31 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, S. 32 f.

Abb. K113: Hauptmann Samuel Peoples (links) vom 1946. Com-munications Squadron erklärt 1985 während eines Besuchs von Offizieren der sowjetischen Luftwaffe die Kontrolle der alliierten Luftkorridore durch das BARTCC (Berlin Air Route Traffic Control Center) am Flughafen Berlin-Tempelhof. Im BARTCC arbeiteten ameri-kanische, britische und fran-zösische Fluglotsen seit 1946 zusammen.

Abb. K114: Oberstleutnant Perrin händigt dem sowjetischen Kommandanten aus Rostock die Ausweispapie-re der französischen MVM-Besatzung Nr. 37 zur Prüfung aus. Die Luftwaffenaufklärer waren am 10. Januar 1984 in der Ortschaft Vietow unweit des Objekts der 43. Fla-Raketenbrigade nach einer Sperrgebietsver-letzung durch operative Beobachter der Abteilung VIII der BV Rostock und der NVA blockiert worden.

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staates der MVM, die sich aus dienstlichen, kommerziellen, touristischen oder privaten Gründen zeitweilig oder länger in der DDR aufhielten, wie Mitarbeiter diplomatischer Vertretungen, akkreditierte Journalisten, Geschäftsleute und andere Staatsbürger konnten ohne besondere Genehmigung – unabhängig von einer Einladung – die MVM besuchen. Jedenfalls soweit die Mi-litärverbindungsmissionen den Zutritt gewährten. Der Besuch der MVM durch DDR-Bürger war von der Rechtsordnung der DDR nicht speziell erfasst. Da die DDR die MVM als eine spezifische Art staatli-cher Vertretung betrachteten, handelten die „Organe“ entsprechend der Verordnung über den Verkehr mit diplomatischen Mis-sionen und anderen Vertretungen auslän-discher Staaten in der DDR vom 2. Mai 1963.32 Sinngemäß hatten DDR-Bürger vor der Aufnahme von Verbindungen zu einer ausländischen Vertretung die erforderliche Genehmigung einzuholen. Unter diesem Aspekt kam der äußeren Absicherung der MVM-Gelände durch das MfS Bedeutung zu.33 Den tatsächlichen Möglichkeiten des Einschreitens der Staatsorgane und Bürger der DDR gegen den „Missbrauch der Rech-te und anderer Rechtsverletzungen durch die Mitarbeiter der MVM“, setzten die bi-lateralen Abkommen von 1946/47 enge Grenzen. Zwar sahen sich die Organe der DDR prinzipiell dazu berechtigt, erkannte Rechtspflichtverletzungen der MVM auf ihrem Territorium abzuwenden, aber nur unter Einsatz geeigneter Mittel und der Beachtung der bevorrechteten Stellung von MVM-Mitarbeitern. „Prinzipiell ist bei allen Maßnahmen der Organe der DDR gegen Mißbrauchshandlungen und ande-re Rechtsverletzungen davon auszugehen, daß die Vorrechte der Mitarbeiter der MVM (Unverletzlichkeit der Person und Beförde-rungsmittel, Bewegungsfreiheit u. a.) nur solange und nur in dem Maße beschränkt werden dürfen, wie dies zur Unterbindung der rechtswidrigen Handlung und zur Schaffung von Voraussetzungen für das

32 vgl. Gesetzblatt der DDR, Teil II, 1963, S. 27033 vgl. Kapitel 2

Kontakt mit den MVM war nur die GSSD zuständig, befugt und anerkannt. Die GSSD hatte jederzeit die Möglichkeit, sowohl dem jeweilig zuständigen Oberkomman-dierenden, aber auch dem Leiter der MVM Empfehlungen persönlicher und sachlicher Art in bezug auf die MVM vorzutragen, so-weit sie vom Rahmen der Vereinbarungen aus den Jahren 1946/47 erfasst waren und sich auf diese oder generelle völkerrecht-liche Beziehungen zwischen der UdSSR und den USA, Großbritannien, Frankreich bzw. der DDR bezogen und Bedeutung für die Tätigkeit der MVM hatten. Als direkte Kooperationspartner reichten die Rech-te der GSSD erheblich weiter als die der DDR. Die GSSD konnte verbindlich stän-dige und zeitweilige Sperrgebiete für die westlichen MVM erlassen, ihre Zufahrt zu militärischen und anderen Objekten unter-binden, das unabwendbare Verlangen der ordnungsgemäßen Legitimation der MVM-Mitarbeiter durch die ausgestellten Doku-mente der OWS36 und anderer Dokumente durchsetzen und notfalls auch die zwangs-weise Sicherstellung von Beweismitteln anordnen. Selbst die vorläufige Festnah-me von MVM-Mitarbeitern zur Klärung von Sachverhalten, die den Verdacht auf mögliche Rechtsverstöße begründeten und die Überführung in die nächste sow-jetische Kommandantur notwendig mach-ten, lag im Ermessen der GSSD. Als letztes und schärfstes Sanktionsmittel stand dem Oberkommando der GSSD die Erklärung zur unerwünschten Person (persona non grata) zur Verfügung. Die vorläufige Fest-nahme durch die GSSD und die Überfüh-rung zu einer Kommandantur vollzog sich nach verbindlichen Regeln. Mitarbeiter der westlichen MVM unterlagen der Fest-nahme, wenn sie gegen die für sie aufge-stellten Vorschriften verstoßen hatten. Die Artikel 4 und 5 der Instruktion des Ober-kommandierenden der GSSD zur Absiche-rung der Truppen und Militärobjekte gegen das Eindringen von Mitarbeitern der beim Oberkommandierenden der GSSD akkredi-

36 OWS – russ. Abkürzung für Außenpolitische Abteilung (des Stabes der GSSD)

weitere Tätigwerden der Organe der GSSD unbedingt erforderlich ist. Bei allen, die Vorrechte der MVM zeitweilig einschrän-kenden Maßnahmen ist stets zu beachten, daß eine exakt beweisbare rechtswidrige Verhaltensweise der Mitarbeiter der MVM vorliegen muß. Wird das nicht gesichert, kann das zu politisch äußerst negativen Auswirkungen führen.“34 Entsprechend sollten die „Organe“ der DDR durch Schu-lungen befähigt werden, Rechtsverstöße der MVM zu erkennen, aufzuklären, unter Beachtung der Vorrechte zu unterbinden und beweiskräftig zu dokumentieren. Da-bei sollte die Anwendung konkreter Maß-nahmen gegen die MVM in Abhängigkeit von der Art und Schwere der begangenen Rechtsverletzung getroffen werden. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel galt es dabei zu beachten. Als geeignet und ver-tretbar erachtete das MfS folgende Vorge-hensweisen: 1) Der zielgerichtete Einsatz (demons-tratives Auftreten) uniformierter oder zi-viler Kräfte zur Störung möglicher oder erkannter Aufklärungshandlungen durch Mitarbeiter der MVM. 2) Das Blockieren der Fahrzeuge zur Verhinderung der Weiterfahrt oder der Flucht vom Ereignisort unter der Vor-aussetzung, dass die MVM-Mitarbeiter nachweisbare Mißbrauchs- oder andere rechtswidrige Handlungen beabsichtigen, begehen oder begangen haben. 3) Die Verhinderung der Beseitigung von Beweismitteln für Mißbrauchshand-lungen und andere Rechtsverletzungen. 4) Das sonstige Behindern von Miß-brauchshandlungen, z. B. durch Aufstellen von Sichtblenden, Straßenverkehrsrege-lungen u. a. m.35

Die Androhung von körperlicher und Waf-fengewalt gegen Personen und Fahrzeuge der MVM hatte dabei ebenso zu unterblei-ben wie die Durchsuchung. Auch alle Be-fragungen, die nicht der notwendigen so-fortigen Klärung des Sachverhalts dienten, galt es zu unterbinden. Für den direkten

34 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, S. 3435 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, S. 36

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Kapitel 1 – Rechtsgrundlagen

tierten westlichen MVM listeten diese Ver-stöße auf. In diesen Fällen waren sämtliche Militärangehörigen der GSSD für den so-fortigen Vollzug der Festnahme zuständig. Bei der Festnahme durften auch durch die sowjetischen Militärangehörigen weder Grobheiten noch Drohungen erfolgen. Die Anwendung von Waffengewalt sowie die Durchsuchung der MVM-Mitarbeiter und deren Fahrzeuge waren untersagt.37 Den Wachen war die Unterhaltung mit den vor-läufig festgenommenen MVM-Mitarbeitern nur gestattet, wenn es mit der Festnahme direkt im Zusammenhang stand. Erfolgte die Festnahme an einem Ort, der direkte Einsichtsmöglichkeiten in ein Militärobjekt oder auf Truppen und Kampftechnik bot, waren die festgenommenen Personen an einen Ort ohne Beobachtungsmöglichkei-ten zu bringen. Der zuständige Garnisons-kommandant musste über die Festnahme sofort unterrichtet werden. Er begab sich grundsätzlich persönlich an den Festnah-meort und nur bei seiner Abwesenheit vertrat ihn der als Kommandant amtieren-de Offizier oder sein Stellvertreter. Nach Überprüfung der Ausweispapiere und einer Informierung an Ort und Stelle über den Stand der Untersuchung und die Umstände der Festnahme entschied der sowjetische Kommandant über das weitere Vorgehen. Nach einer protokollarischen Aufnahme konnte bei leichten Verstößen die Weiter-fahrt genehmigt werden. Bei Unklarheiten erfolgte die Überführung der festgenom-menen Personen in seine Kommandantur. Lag diese Kommandantur in einem Sperr-gebiet, war die nächste offene Garnisons-kommandantur anzufahren. Über die Fest-nahme von Mitarbeitern der ausländischen Militärverbindungsmissionen erstattete der Kommandant seinerseits sofort Bericht an den Stab der GSSD. Der Bericht musste folgende Anforderungen erfüllen: 1) Zeit der Festnahme, 2) wer wurde festgenommen, zu welchen Missionen gehörten die festge-nommenen Personen, deren militärischer

37 Bis auf wenige Ausnahmen bei schwerwiegenden Miss-brauchshandlungen.

Dienstgrad, Vor- und Nachname, 3) Nummer des Kraftfahrzeugs, das von den Festgenommenen genutzt wurde, 4) wer hat die Festnahme vollzogen, deren militärischer Dienstgrad, Familien-namen, Initialen, Arbeits-und Dienstort, 5) Ort, Gründe, Umstände der Festnahme, 6) das Verhalten der Festgenommenen und wie sie die Gründe der von ihnen be-gangenen Verletzungen erklärten, 7) welche Maßnahmen wurden gegen-

über den festgenommenen Personen ein-geleitet.38 Der Kommandant unterlag dann den Wei-sungen des Stabes. Der Stab der GSSD be-hielt sich die Untersuchung der begange-nen Verstöße vor, konnte die Bearbeitung aber auch dem regional zuständigen Gar-nisonskommandanten übertragen.

38 BStU, MfS, JHS Nr. 21841, S. 39

Abb. K115: Ssgt. Daryl B. Knox (links) vom 1946. Communications Squadron instruiert Ssgt. John Bartels (Mitte) und A1C Vincent Lostritto am AN/GPN-12 Radar auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof (BARTCC/BASC).

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A us rechtlichen Gründen war den westlichen Militärverbindungsmis-sionen die Einfahrt nach Ostberlin

in den sowjetischen Sektor verwehrt und umgekehrt den sowjetischen MVM die Ein-fahrt in die Westsektoren. Das beruhte auf dem gesonderten Status Berlins, resultie-rend aus den Vereinbarungen der Antihit-lerkoalition.39 Die Alliierten hatten sich eine gemeinsame Verwaltung und Kontrolle der Stadt trotz ihrer Teilung in vier Sektoren vorbehalten. Das „Gebiet von Berlin“ stell-te demnach kein Teil des Territoriums der sowjetischen Zone dar, sondern eine „von den übrigen Zonen Deutschlands unabhän-gige Sonderzone“, die von der Alliierten Kommandantur auf der Grundlage der Be-schlüsse des Kontrollrates gemeinsam ver-waltet wurde.40 Die offenkundigen Wider-sprüche in der Berlin-Politik der Alliierten,

39 Abkommen über die Besatzungszonen in Deutschland und die Verwaltung von Groß-Berlin vom 12. September 1944 sowie dem Abkommen über das Kontrollverfahren vom 14. November 1944, Artikel 7. Auf dieser Basis erhalten sow-jetische Militärangehörige ebenfalls das Recht auf freien Zugang nach Westberlin.

40 Vgl. Boldyrew, V. N.: Westberlin und die europäische Sicher-heit. Blickpunkt Weltpolitik. Berlin 1973

Militärinspektionen

die faktisch seit 1961 bestehende Berliner Mauer mit einer Teilung der Stadt in zwei Gebiete, die rechtlich einseitige Deklarie-rung Ostberlins als Hauptstadt der DDR41 mit Billigung der UdSSR und die fortwäh-rende Sonderverwaltung der Westsektoren ließen zwar die Rechtsposition der West-alliierten hinsichtlich des Fortbestehen der Viermächteverwaltung für ganz Berlin brö-ckeln. Dennoch verteidigten die Alliierten eisern ihre Zugangsrechte in alle Sektoren der Stadt. Die Widersprüche zwischen den rechtlichen Vereinbarungen und der tat-sächlichen Lage zwangen aber letztlich auch die Politiker und Militärs der „freien Welt“ zu einer gewissen Anpassung an die Realitäten. Gestützt auf die 1958 von Dulles entwickelte „Agenten- bzw. Stell-vertreter Theorie“, wonach die UdSSR die

41 Als ehemaliger Bestandteil der sowjetischen Besatzungszo-ne wurde Berlin mit der Verfassung der DDR von 1949 zur Hauptstadt der DDR erklärt. Entsprechend wurden am 13.11.1949 von der sowjetischen Militäradministration (SMAD) die Verwaltungsfunktionen für Berlin Ost den Or-ganen der DDR übertragen. Nach Auflösung der SMAD und Schaffung der sowjetischen Kontrollkommission (SKK) war ein Vertreter der SKK bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1952 tätig. Mit der Erklärung der Regierung der UdSSR vom 25. März 1954 erhielt die DDR die volle Souveränität auf ihrem Territorium einschließlich ihrer Hauptstadt.

politische Verwaltung von Berlin Ost nur kommissarisch und zu treuen Händen Drit-ter übertragen hatte, mithin also die DDR nur bestimmte Befugnisse als Vertreter der UdSSR zeitweilig wahrnahm, sprachen sie der DDR die Stellung als souveräner Staat ab. Die Hauptstadt der DDR unterlag nach dieser Rechtsauffassung weiterhin der Viermächteverwaltung, die von der Sow-jetunion wahrgenommen werden müsste, zumal sie sich durch einseitigen Vertrags-bruch nicht aus ihrer Verantwortung ent-ziehen konnte. Unbeirrt sahen die Westal-liierten die UdSSR weiterhin in der Pflicht, alle Freizügigkeiten der Angehörigen ihrer Streitkräfte in Ostberlin (Hauptstadt der DDR) entsprechend des Viermächteabkom-mens42 zu garantieren. Selbst die teilweise diplomatische Anerkennung der DDR durch die Errichtung von Botschaften der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Ber-lin, wohlgemerkt „bei der Regierung der

42 Im Potsdamer Abkommen, dem Hauptdokument der Antihitlerkoalition, war keine den Status Berlins betreffende Regelung zu finden.

Abb. K116: Luftaufnahme des sowjetischen Ehrenmals im Tiergarten aus dem Jahr 1983. Das exterritoriale Gebiet ist seit Anfang der 80er Jahre für die Öf-fentlichkeit gesperrt, nachdem es tätliche Zwischenfälle mit Westberliner Jugendlichen und der Wachmannschaft gab. Auch Alliierte konnten das Gelände dann nicht mehr betreten und nur noch aus dem vorbeifahrenden Bus betrachten. (Heute gibt es keine Wache mehr. Das Gelände ist noch immer gesperrt.)

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Kapitel 1 – Rechtsgrundlagen

Abb. K117: Die Westalliierten haben Ehrengäste der GSSD zu den Feierlichkeiten am 4. Juli 1988 und anlässlich des 40. Jahrestages der Luftbrücke nach Westberlin eingeladen.

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DDR“43, führte nicht zu einem Verzicht auf die Rudimente der alliierten Vorbehalts-rechte, da nach ihrer Auffassung die UdSSR in der Hauptstadt der DDR noch immer das Besatzungsrecht ausübte. Folgerichtig er-kannten die Westmächte prinzipiell nur Organe der UdSSR als rechtlich befugt an, Hoheitsrechte gegenüber den in die Haupt-stadt der DDR einreisenden westlichen Mi-litärangehörigen wahrzunehmen, egal ob in dienstlichen oder privaten Belangen. Wie die Militärverbindungsmissionen in den Besatzungszonen (DDR/BRD) übten in den Sektoren Berlins spezielle Gruppen alliierter Militärangehöriger täglich ihr Kontrollrecht durch Aufklärungsfahrten aus. Das Ministerium für Staatssicherheit taufte diese Gruppen „Militärinspektionen“ (MI) und ihre Tätigkeiten in Berlin Ost als „Inspektionsfahrten“. Die MI der ameri-kanischen, britischen und französischen Besatzungstruppen wurden von ihren je-weiligen Garnisonskommandanten instru-iert und im dienstlichen Auftrag in Berlin tätig. Ihre Fahrten waren untereinander koordiniert. Verbindungsaufgaben wie die MVM erfüllten sie im engeren Sinne nicht. Es ging vielmehr darum, täglich in Berlin Ost „Flagge zu zeigen“ und demonstrativ vor militärischen, nachrichtendienstlichen, politischen und wirtschaftlichen Zentren Aufklärungsaufträge zu erfüllen. Umge-kehrt fuhren sowjetische Militärinspek-tionen in die Westsektoren der Stadt und nahmen dort Kontrollhandlungen vor. Ihre Fahrten wurden durch die Abteilung Mili-tärverbindungsmissionen der Verwaltung Aufklärung Wünsdorf beim Stab der GSSD in Kooperation mit der Abteilung Militär-verbindungsmissionen bei der Sonderver-waltung des KGB bei der GSSD unter den Gesichtspunkten von Aufklärung und Ab-

43 Die ständige Vertretung der UdSSR bei der UNO erklärte im Mai 1975 in einem Schreiben an den UNO-Generalsekretär im Zusammenhang mit dem rechtlichen Status der Haupt-stadt der DDR: „Was die Frage der gemeinsamen Verwaltung Berlins durch die vier Mächte betrifft, so haben bekanntlich die drei Mächte seinerzeit diese liquidiert, indem sie das vierseitige Abkommen und Beschlüsse nicht erfüllten ... Es ist absolut offensichtlich, daß sie keine Vorrechte auf Grund von Abkommen fordern können, die sie selbst verletzen und um so weniger irgendwelche Rechte in bezug auf die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik.“

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Kapitel 1 – Rechtsgrundlagen

wehr koordiniert.44 Die Berlin Brigade der GSSD in Karlshorst unterhielt ein Batail-lon45 für Wach- und Sicherungsaufgaben in Westberlin. Dieses Bataillon stellte Per-sonal für die Wachmannschaften im alli-ierten Kriegsverbrechergefängnis Spandau, die Garde für das sowjetische Ehrenmal im Tiergarten und für Militärpatrouillen in Berlin zur Verfügung. Im Unterschied zu den Militärverbindungsmissionen wa-ren die Militärangehören der MI nicht bei der GSSD akkreditiert und auch in keiner anderen Form seitens der UdSSR oder der DDR anerkannt. Davon ausgehend, dass noch bestehende Rudimente einer früher auf Gegenseitigkeit beruhenden Praxis der vier Großmächte der ehemaligen An-tihitlerkoalition erhalten geblieben waren, musste die DDR die Arbeit der MI dulden, um keine Eskalation zu riskieren. Im ge-meinsamen abgestimmten Vorgehen mit der UdSSR und in Übereinstimmung mit den außenpolitischen Zielen gestattete die DDR zähneknirschend den Militärangehö-rigen der drei Westmächte die erleichterte Ein- und Ausreise von und Nach Ostberlin ausschließlich über die Grenzübergang-stelle Friedrich-/Zimmerstraße (Checkpoint Charlie). Die DDR betonte dabei stets, dass ihre prinzipielle Rechtsposition davon un-beeinflusst blieb.46 Hinsichtlich der Rechte und Pflichten unterschieden sich die MVM und MI nicht. In Berlin Ost existierten mit Ausnahme des Sondergebiets Karlshorst al-lerdings keine ausgewiesenen MVM-Sperr-gebiete. MI-Besatzungen war das Verlassen der Stadtgebietsgrenzen von Berlin Ost un-tersagt. Auch das direkte Grenzsperrgebiet zu Berlin West durften sie nicht verletzen. Die Überwachung der MI-Aktivitäten oblag dem MfS und wurde ebenfalls durch die HA VIII realisiert, wenn auch durch die Abtei-lung 3 und nicht 5 wie bei den MVM.47 Die Hauptziele der MI-Überwachung definierte die HA VIII wie folgt: „Das Tätigwerden der

44 vgl. Kapitel 545 133. selbstständiges motorisiertes Schützenbataillon

(Spezialaufgaben) der 6. motorisierten Schützenbrigade (Berlinskaja Brigada), Feldpostnummer 81544 ?

46 BStU, MfS, JHS Nr. 24222, S. 1047 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 22

Abb. K118: Alliierten-Kontrollpunkt Checkpoint Charlie.

Abb. K119: Das „Sondergebiet“ Berlin-Karlshorst war durch MVM-Sperrgebietsschilder für die westli-chen Militärinspektionen gekennzeichnet. Spezielle Verbotsschilder für die MI existierten nicht. 22

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MI in der Hauptstadt der DDR gehört zu den nicht mehr begründbaren Rudimen-ten des ehemaligen Viermächte-Status für Berlin. Die Überwindung dieser Rudimen-te ist nur im Rahmen der abgestimmten außenpolitischen Strategie der sozialis-tischen Staatengemeinschaft schrittwei-se durchsetzbar. Gegenwärtig kommt es vor allem darauf an, offensiv und auf der Grundlage eines klaren Rechtsstandpunk-tes, jegliche Bestrebungen zur Auswei-tung solcher Rudimente zu verhindern. Die politisch-operative Arbeit muß deshalb insbesondere dazu beitragen, die Aktivitä-ten der MI zuverlässig unter Kontrolle zu halten, subversive Handlungen weitgehend vorzubeugen und zu verhindern sowie Ver-letzungen der Rechtsordnung der DDR all-seitig zu dokumentieren.“48

48 BStU, MfS, JHS Nr. 21841 S. 41

Abb. K120: Angehörige der U.S. Air Force Europe auf Besichtigungstour in Westberlin. Sie verfolgen 1981 aus dem Bus heraus den Wachwechsel vor dem sowjetischen Ehrenmal im Tiergarten …

Abb. K121: … und auf Besichtigungstour in Ostberlin. Sie beobachten die Wachablösung vor der Neuen Wache.

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Abb. K201: Die Glienicker Brücke mit ihren Sperranlagen von Westberlin aus gesehen. Ausschließlich über diese Grenzübergangsstelle gelangten die alliierten Militärverbindungsmissionen in die DDR.

Kontrollpunkt Glienicker Brücke

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Kontrollpunkt Glienicker Brücke

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Kapitel 2 – Potsdam/Neu Fahrland

Villa mit Aussicht

I n den bilateralen Verhandlungen über die Einrichtung von Militärverbindungs-missionen waren die westlichen Alliier-

ten von sowjetischer Seite vor die Wahl gestellt worden, ihre Missionssitze entwe-der in Berlin-Karlshorst oder Potsdam ein-zurichten. Das sowjetische Oberkommando befand sich damals noch in Karlshorst, un-terhielt aber auch zahlreiche Dienststellen in Potsdam. Briten und Franzosen fällten ihre Wahl und bezogen von den Sowjets zur Verfügung gestellte Villengrundstücke in feinster Potsdamer Lage, die Amerikaner entschieden sich für ein Anwesen etwas außerhalb in Neu Fahrland, Kreis Pots-dam. Alle drei Grundstücke waren idyllisch an Seen gelegen. Der spätere Umzug der sowjetischen Oberkommandos von Karls-horst nach Wünsdorf führte nicht zu einer Verlagerung der Missionen an den neuen Standort. Die GSSD war eher froh, Abstand zwischen sich und die westlichen MVM gebracht zu haben. Keinesfalls wollte man die Militäraufklärer allzu nah an die ent-scheidenden Kommandostrukturen und Objekte in und um Wünsdorf herankom-men lassen. Wünsdorf war als „verbotene Stadt“ weiträumig für die MVM gesperrt. Das MfS hatte die Villen der westlichen Militärverbindungsmissionen seit der Übernahme der Überwachungsaufgaben von den Sowjets ständig im Visier. Das geschah etwa ab 1955. Die Überwachung der Missionsgebäude erfolgte von innen und außen gleichermaßen. Vertragsgemäß stellte die DDR ziviles Personal zur Bewirt-schaftung der Villen in Potsdam und Neu Fahrland zur Verfügung. Acht DDR-Zivilbe-schäftigte arbeiteten bei der französischen Mission und jeweils zwölf bei der amerika-nischen und britischen. Die Bezahlung der eingesetzten Köche, Putzkräfte und Hand-werker erfolgte durch die GSSD. Eine zwei-te Lohntüte zur Aufbesserung des kargen offiziellen Salärs boten KGB und MfS an. Beide Geheimdienste stimmten die Anwer-bung und Führung von inoffiziellen Mitar-beitern aus dem Kreis der Zivilbeschäftig-ten untereinander ab. Trotzdem kam es zu Unstimmigkeiten um doppelte Werbungen.

Zudem erfüllten die intellektuellen Fähig-keiten des einfachen Personals nur selten die hochfliegenden Erwartungen der Füh-rungsoffiziere. Doch statt gar keiner Infor-mationen akzeptierte das MfS dann doch lieber jede noch so banale Neuigkeit ihrer IM über das akkreditierte MVM-Personal. Vor allem Erkenntnisse aus dem Privat-leben boten Möglichkeiten zur weiteren

Bearbeitung durch andere Dienst einheiten des MfS, selbst wenn die Linie VIII mit den Informationen zunächst nichts anfangen konnte. Die Hauptabteilungen II, III und auch die HV A profitierten gelegentlich da-von. Den westlichen Militärverbindungs-missionsmitgliedern war die ständige Be-richtspflicht des DDR-Personals durchaus bewusst. Entsprechend passten sie ihr

Abb. K202: Struktur- und Lageschema des MfS zu den Stützpunkten der westlichen Militärverbindungsmis-sionen in Potsdam und Neu Fahrland, 70er Jahre.

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Verhalten an. Geheime Unterlagen befan-den sich nicht in den Villen von Potsdam oder Neu Fahrland. Planung, Einsatzvorbe-reitung, Auswertung und Koordination der Fahrten liefen nur über die sicheren West-berliner Dienstsitze. Dort arbeitete dem akkreditierten MVM-Personal ein großer militärischer und nachrichtendienstlicher Unterstützungsapparat zu.1 Auch bei der äußeren Kontrolle der Missionsgebäude

1 Das MfS bezifferte die Größe des direkten MVM-Unterstützungspersonals in Westberlin auf 53 bei den Amerikanern (Berlin-Dahlem, Föhrenweg 19/21), 25 bei den Briten (Berlin-Charlottenburg, Olympiastadion), 14 bei den Franzosen (Berlin-Reinickendorf, Camp Napoleon, Haus 8). Stand 70er Jahre. BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 126

überließ das MfS nichts dem Zufall. Zu den angezapften Telefonleitungen2 kam eine intensive visuelle Absicherung der Villen. In den 80er Jahren stockte das MfS sei-ne Beobachtungskapazitäten rund um die drei Potsdamer Dienstsitze der westlichen Militärverbindungsmissionen kräftig auf. Waren es 1980 noch sechs „Beobach-tungsstützpunkte“ im Umfeld der reprä-sentativen Gebäude, stieg deren Zahl 1983 schon auf zehn, um 1987 schließlich die

2 Eine eigene „Linie 26“ in der HA VIII überwachte die dienstlich geführten Telefonate zwischen den Missionen in Potsdam und Westberlin. Auch die Privatanschlüsse einzel-ner MVM-Offiziere in Westberlin waren aufgeschaltet.

stolze Anzahl von fünfzehn zu erreichen.3 Offiziell deklarierte das MfS diese Maß-nahmen als „vorbeugende Terrorabwehr“4, geboren aus der Notwendigkeit eines verbesserten äußeren Schutzes der Missi-onsgebäude heraus. Doch der letzte große Zwischenfall, der den Namen tatsächlich verdient hätte, datierte lange Zeit zurück, auf den Juli 1958. Eine organisierte De-monstration gegen das militärische Enga-gement der britischen und amerikanischen Truppen im Libanon bildete damals den

3 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 864 Für die „Terrorabwehr“ war eigentlich die Hauptabteilung

XXII des MfS zuständig.

Abb. K203: Glienicker Brücke in Potsdam. Passierte ein MVM-Fahrzeug den Grenz-übergang, informierte der sowjetische Kontrollposten sofort das MfS über die Besatzung und das Kennzeichen.

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Kapitel 2 – Potsdam/Neu Fahrland

Abb. K204: Gebäude der amerikanischen, britischen und französischen Militärverbin-dungsmission in Neu Fahrland und Potsdam.28

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Ausgangspunkt für gewalttätige Aus-schreitungen. Unter den Augen untätiger Volkspolizisten richteten aufgestachelte DDR-Bürger aus dem Demonstrationszug heraus erhebliche Verwüstungen an den Gebäuden und Fahrzeugen der drei Missio-nen an. Für die Kompensation der Schäden kam die DDR auf. Ähnliches wiederholte sich danach nicht wieder, vor allem weil die sowjetische Seite ein Machtwort ge-sprochen hatte.5 Um die Missionsgebäude wurde es eher ruhig in den folgenden Jahr-zehnten. Entsprechend schwach fiel auch die Bewachung durch die Volkspolizei aus. Vor jeder Mission war lediglich ein stän-dig besetzter Posten eingerichtet. Es ging dem MfS bei den Beobachtungsstützpunk-ten nicht vordergründig um Terrorabwehr, sondern um die Verhinderung des Zutritts Unbefugter, vor allem von DDR-Bürgern. Gelegentlich sprangen 1984, 1985, 19866 und 19897 Personen nach zuviel Alko-holgenuss über die Zäune der Potsdamer Missionen, sei es aus Übermut oder um die „Organe“ herauszufordern. In wenigen Fällen verwechselten DDR-Bürger die Mi-litärverbindungsmissionen auch mit den diplomatischen Vertretungen der jeweili-gen Staaten und erhofften sich durch Zu-flucht auf die exterritorialen Gelände eine Ausreisemöglichkeit in den Westen. Doch die Militärverbindungsmissionen leisteten keine konsularischen Hilfen, verwiesen die Personen deshalb vom Gelände oder übergaben sie der GSSD, die ihrerseits das MfS einschaltete. Die eingesetzten IM/GMS8 auf den Beobachtungsstützpunkten rund um die Dienstgebäude der Militärver-

5 Vor den Gebäuden der sowjetischen Militärverbindungsmis-sionen in der Bundesrepublik kam es ebenfalls mehrfach zu gewalttätigen Krawallen und Demonstrationen, beispiels-weise in Frankfurt/Main und Bünde.

6 Unberechtigtes Betreten des Objekts der F-MVM am 11./12. November 1986 durch einen DDR-Bürger. BStU, MfS, ZAIG Nr. 15195, S. 14

7 Ein betrunkener DDR-Bürger sprang am 13. September 1989 über die geschlossene Toreinfahrt des Objekts der B-MVM, kam den Aufforderungen der VP zum Verlassen des Geländes nicht nach, wurde schließlich von sowjetischen Soldaten vom Gelände gebracht und dem MfS übergeben (Abteilung IX). BStU, MfS, HA VIII Nr. 2181/2, S. 91

8 IM – Inoffizieller Mitarbeiter, Erfassungsart gemäß Richt-linie 1/79 (aktive Erfassung auf der Grundlage eines regis-trierten Vorgangs); GMS – Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit, eingeführt im Januar 1968 mit der Richtlinie 1/68. GMS-Vorgänge waren erst seit 1980 (nach Erlass der Richtlinie 1/79 und der 1. Durchführungsbestimmung vom Dezember 1979) registrierpflichtig.

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Kapitel 2 – Potsdam/Neu Fahrland

bindungsmissionen in Potsdam und Neu Fahrland waren bis auf wenige Ausnah-men nicht für den direkten „Feindkontakt“ oder zur „direkten Bearbeitung feindlich-negativer Personen und Personenkreise“ vorgesehen. Ihre Aufgabe bestand haupt-sächlich in der Beobachtung des Umfeldes der Missionen und der Abläufe auf den Missionsgeländen, um darüber, notfalls

sofort, das MfS unterrichten zu können. Dazu zählten die Meldungen über Perso-nen, die sich an den Objektgrenzen durch ihr Verhalten verdächtig machten sowie alle Vorkommnisse im Zusammenhang mit dem Objekt und seinen Anliegern. Nicht jeder Beobachtungsstützpunkt war dau-erhaft personell besetzt. Einige bildeten Rückzugsquartiere für die Kräfte der ope-

rativen Beobachtung der Abteilung VIII bei speziellen Beobachtungs- und Dokumen-tationseinsätzen, beispielsweise anlässlich von Festen und Feiern auf den Geländen. Andere Stützpunkte waren mit automati-sierten Fotoanlagen ausgerüstet. Es exis-tierten auch Stützpunkte, die „nur“ aus einem Decktelefonanschluss zur schnellen Kontaktaufnahme mit dem MfS bestanden. Zu allen drei Objekten der Westalliierten erstellte das MfS regelmäßig aktualisierte „Erläuterungsberichte zur Dokumentation der Lage“ mit umfangreichen Fotosamm-lungen, Karten und Gefährdungsanalysen, zuletzt 1987: „Das USA-MVM-Objekt be-findet sich in Neu-Fahrland, nördlich von Potsdam, Am Lehnitzsee (8/9) und ist auf einer Zufahrtsstraße von der Fernverkehrs-straße Nr. 2 aus zu erreichen. Die Zufahrts-straße – Am Lehnitzsee – endet an der Einfahrt zum MVM-Grundstück. Auf dem Gelände sind eine Anzahl von Gebäuden vorhanden: a) das Hauptgebäude, b) die sogenannte „Villa Nicholson“, c) ein kleineres Gebäude, das für die Zivilbeschäftigten genutzt wird, d) ein Garagenhaus, in dem sich meh-rere Garagen befinden und dessen 1. Etage ehemals als Wohnraum genutzt wurde, e) das Müllhaus unmittelbar an der Objekteinfahrt sowie f) der Bootsschuppen, am Lehnitzsee gelegen.Die nördliche Objektumgrenzung ist am Heinrich-Heine-Weg, der zum gleichna-migen Sanatorium führt. An diesem Weg schließt sich in Richtung Norden ein Wald-gebiet an. Der hier als Objektbegrenzung 1986 erneuerte Maschendrahtzaun, der parallel zum Weg verläuft, hat eine Höhe von über 2,0 m und verfügt über Abweiser, die nach außen gerichtet sind. Die seitliche Begrenzung im Süden des MVM-Grundstü-ckes wird durch die Uferzone des Lehnitz-sees gebildet. Am genannten Bootsschup-pen ist zusätzlich eine Bootsanlegestelle eingerichtet. Ein Zaun in Richtung Lehnitz-see ist nicht vorhanden. Die östliche Um-zäunung grenzt das MVM-Grundstück von

Abb. K206: Nach dem Tod von Major Arthur D. Nicholson in „Villa Nicholson“ umbenanntes Gebäudeauf dem Gelände der USMLM.

Abb. K205: Einfahrt zum Objekt der amerikanischen Militärverbindungsmission in Neu Fahrland, Am Lehnitzsee 8/9. Links der ständig besetzte Posten der Volkspolizei.

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einem Geländeteil des Heinrich-Heine-Sanatoriums, das als Gartenland genutzt wird, ab. Sie besteht aus einer etwa 2,5 m hohen Steinmauer, das letzte Drittel in Richtung See verläuft als ebenso hoher Maschendrahtzaun weiter. An der Ecke zum Heinrich-Heine-Weg befindet sich unmittelbar mit der Mauer abschließend das sogenannte „Gärtnerhaus“ (zur Zeit leerstehend), das zum Heinrich-Heine-Sanatorium gehört. Die westliche Begren-zung des USA-MVM-Geländes wird durch die Zufahrtsstraße Am Lehnitzsee geteilt. Während der Zaun von der Zufahrtsstraße in Richtung Lehnitzsee als Maschendraht-zaun mit Abweisern 1986 erneuert wurde, erreicht der Zaun von der Zufahrtsstraße zum Heinrich-Heine-Weg nur eine Höhe von 1,5 m und ist ohne Abweiser (Wunsch der US-MVM). Angrenzende Grundstü-cke des Vorfeldes der USA-MVM in Rich-tung der Fernverkehrsstraße Nr. 2 sind mit Ein- bzw. Mehrfamilienhäuern bebaut. Zum MVM-Objekt selbst gibt es nur einen Zugang über die Straße Am Lehnitzsee, der mit einem Einfahrtstor seit 1986 ver-schlossen wird. Das VP-Postenhaus befin-det sich unmittelbar links am Zugang zum US-MVM-Objekt. Während der Dunkel-heit ist das MVM-Gelände besonders im Bereich der Objektbegrenzung Heinrich-Heine-Weg und des Hauptgebäudes seit 1986 durch eine Vielzahl von Lampen und Halogen-Scheinwerfern in der Regel ausgeleuchtet, so daß Personenbewegun-gen auf dem Grundstück besser bemerkt werden können. Im Bereich der Straße Am Lehnitzsee findet zum überwiegenden Teil Anwohnerverkehr statt, während der Heinrich-Heine-Weg hauptsächlich von Patienten und Besuchern des Sanatoriums frequentiert wird. ... Zum unbemerkten Betreten des MVM-Objektgeländes gibt es – abhängig von der Jahreszeit – mehrere Möglichkeiten. a) südliche Begrenzung (Seeseite)Bei ausreichender Eisstärke auf dem Lehnitzsee bietet dieser Abschnitt günstige Bedingungen für eine gedeckte Annähe-rung. Während der übrigen Jahreszeit kön-

nen Unbefugte mit dem Boot an der süd-lichen Begrenzung anlegen, ohne dass dies besonders bemerkt wird (vom VP-Posten nicht einzusehender Objektabschnitt). b) nördliche Begrenzung (Heinrich-Heine-Weg )Infolge des anschließenden Waldgebietes an diesen Weg sind gute gedeckte Annähe-rungsmöglichkeiten bis an die Umzäunung,

insbesondere während der Dunkelheit, ge-geben. Ein Übersteigen der erneuerten Um-zäunung mit Hilfsmitteln bzw. Beschädigung zum Zwecke des Eindringens ist möglich, da dieser Abschnitt vom Postenbereich des VP-Angehörigen ebenfalls nicht einzusehen und abzusichern ist. Weitere Schwachstellen bil-den, bedingt durch die relativ eingeschränk-ten Sichtmöglichkeiten des VP-Postens, die

Abb. K207: Haupthaus der britischen Militärverbindungsmission in Potsdam, Seestraße 34 -37.

Abb. K208: Einfahrt zum Objekt der britischen Militärverbindungsmission in Potsdam.

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Kapitel 2 – Potsdam/Neu Fahrland

östliche Begrenzung zum Heinrich-Heine-Sanatorium sowie die westliche Begrenzung zu den Anliegergrundstücken, die ebenfalls mit Hilfsmittel überwindbar wären.“9 Zum britischen Objekt vermerkte das MfS: „Das Objekt der B-MVM befindet sich eben-falls am nordöstlichen Stadtrand der Bezirks-stadt Potsdam in der Seestraße Nr. 34 – 37. Es ist ein Wassergrundstück mit unmittel-barem Zugang zum „Heiligen See“. Auf dem Grundstück sind drei Gebäude vorhanden: – ein repräsentatives Hauptgebäude in neoklassizistischem Baustil, – ein Gartenhaus und – eine Doppelgarage zwischen den bei-den genannten Bauten an der Objektum-zäunung gelegen. Das Hauptgebäude besitzt drei Etagen, wo-bei das Portal durch einen mit Säulen ge-stützten Balkon überdacht wird. Auf dem Dach des Gebäudes sind Fernseh-und Funk-antennen sowie ein Fahnenmast instal-liert. An das Hauptgebäude schließt sich in Richtung See eine geräumige Terrasse an. Der Garten ist parkähnlich gestaltet, wobei dieser Charakter hauptsächlich durch eine gepflegte Rasenfläche, mehrere dekorative Nadelbäume, Skulpturen, Vasen und andere Schmuckelemente zum Ausdruck kommt. Das B-MVM-Objekt ist an beiden Seiten mit einem 1986 erneuerten Maschendraht-zaun, der bis an den „Heiligen See“ reicht, zu den Nachbargrundstücken abgegrenzt. Dieser Zaun ist über 2 m hoch und besitzt Abweiser, die nach außen gerichtet sind. Die Rückseite des MVM-Geländes wird, wie bei der F-MVM, direkt durch den „Heiligen See“ begrenzt. Am Ufer befindet sich eine rechtwinklige Anlegestelle für Wasserfahr-zeuge. Eine Umzäunung des Grundstückes zum See hin ist zur Zeit nicht mehr vorhan-den. Durch geplante Baumaßnahmen soll diese Umzäunung, einschließlich Tor zum Bootssteg, erneuert werden. Das notwen-dige Fundament existiert bereits. Die vor-dere Begrenzung des Geländes der B-MVM besteht aus einzelnen Zaunfeldern, die auf Sockel gesetzt eine Gesamthöhe von ca. 0,8

9 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 100 f.

m erreichen. Ein- und Ausfahrt – für PKW geeignet – ermöglichen von der Seestra-ße den Zugang zum Grundstück. Auf dem Gehweg vor dem MVM-Objekt befinden sich drei Straßenbeleuchtungseinrichtun-gen, von denen die beiden Ein- und Aus-fahrten während der Dunkelheit beleuchtet

werden. Zur Charakteristik der Seestraße wurde im Erläuterungsbericht der F-MVM eingegangen. Das VP-Postenhaus befindet sich gegenüber der Einfahrt des B-MVM-Objektes. ... Wesentliche gefährdete Ob-jektabschnitte und Schwachstellen für die Sicherheit des B-MVM-Objektes: Der nied-

Abb. K209: Villa Colonel der französischen Militärverbindungsmission in Potsdam, Seestraße 40/41.

Abb. K210: Villa Adjutant (links) und Villa Colonel (rechts) der französischen Militärverbindungsmissionin Potsdam.

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rige Zaun der Vorderfront des B-MVM-Ob-jektes, der aus einzelnen Zaunfeldern mit eine Höhe von 0,8 m besteht, ermöglicht ein plötzliches, weitgehend ungehindertes Übersteigen der Objektumgrenzung durch Unbefugte. Abhängig von der Witterungs-lage im Winter ist es möglich, ohne große Gefahren die Eisfläche auf dem „Heiligen See“ zu betreten bzw. zu überqueren. Da-durch ist eine gedeckte Annäherung, ins-besondere bei Dunkelheit oder Nebel, von See her an das MVM-Objekt möglich. Eine weitere Möglichkeit besteht in den Win-termonaten im Betreten der vorhande-nen Bootsanlegestelle der B-MVM durch Eisangler, Schlittschuhläufer u. a. Winter-sportler. Im Sommer können Wassersportler und Badegäste den Bootssteg am MVM-Objekt ohne Schwierigkeiten erreichen. In diesem Zusammenhang ist auch die neben der B-MVM entstehende Surfstelle der GST-Grundorganisation, Ingenieurschule für Bauwesen, aus sicherheitsmäßiger Sicht zu beachten. Die Seitenbegrenzungen der

B-MVM (zum Grundstück Sprachheilschu-le und zum Grundstück Seestraße 38) sind nach der Zaunerneuerung mit Übersteig-abweiser nur mit Hilfsmitteln überwindbar. Die Objektabschnitte außerhalb der See-straße sind durch den diensthabenden VP-Posten von seinem begrenzten Postenbe-reich aus nicht einsehbar. Sie können durch ihn auch nicht abgesichert werden.“10 Zum französischen Objekt vermerkte das MfS: „Das Objekt der F-MVM befindet sich am nördlichen Stadtrand von Potsdam unmit-telbar am „Heiligen See“ in einem Villen-viertel (Berliner Vorstadt). Auf dem MVM-Grundstück in der Seestraße 40/41 stehen zwei Gebäude. – das Haupthaus (Villa Colonel) und – ein Neben- bzw. Wirtschaftsgebäude (Villa Adjutant). Das Grundstück selbst ist an beiden Seiten mit einem 1986 erneuerten Maschendraht-zaun abgegrenzt, der über 2 m hoch ist und

10 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 105 ff.

Abweiser nach außen gerichtet (nur Seite Sackgasse) aufweist. Beide Zäune reichen ca. 1 m in den See hinein, wobei die Was-sertiefe jahreszeitlich bedingt veränderlich ist. An der Ecke Seestraße/Sackgasse ist eine Umzäunung als Mauer gestaltet, die eine Höhe von ca. 1,8 m aufweist. Die Rück-seite des MVM-Geländes wird direkt durch den „Heiligen See“ begrenzt. Am See ist ein Bootssteg mit Blickrichtung zum Mar-morpalais (Neuer Garten) vorhanden. Eine Umzäunung im Bereich der Uferzone des Grundstücks fehlt. Zur Seestraße (Vorder-front des Objektes) ist die Umzäunung dem örtlichen Milieu angepasst und besteht aus Metallfeldern auf Sockel, Gesamthöhe ca. 0,8 m (bis auf die genannte Eckbegren-zung). In dieser Straße befinden sich auch die vier Zugangsmöglichkeiten zum MVM-Objekt, die wie folgt angeordnet sind: – Personenein- bzw. –ausgang am Haupthaus – PKW-Ein- bzw. –Ausfahrt zur Garage am Haupthaus

Abb. K211: Beobachtungsstützpunkte des MfS im Umfeld der französischen und britischen Militärverbindungsmissionen, Potsdam, Seestraße. Sie sind mit roten und blauen Punkten gekennzeichnet. (Stand 1987)

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Kapitel 2 – Potsdam/Neu Fahrland

Beobachtungsstützpunkte des MfS im Umfeld der Missionsgebäude 1987*

MVM Beobachtungs-stützpunkt

IM verantwortliche hauptamtliche MfS-Mitarbeiter

USA BO „Kegel“ Sicherung durch GMS „Jacob“ (ab 1986) Major Kubale, Major Fischer

BO „Park“ GMS „Park I “ und „Park II“ Major Kubale, FIM „Vogel“, Major Fischer

BO „Gärtner“ GMS-Ehepaar „Gärtner“ (bis 1985), IM „Heine“, IMS „Andreas“

Major Kubale, FIM „Vogel“, Major Fischer

BO „Eisenhardt“ IMK/DT „Eisenhardt“ Major Fischer

GB BO „Hans+Friedel“ „Hans+Friedel“ Major Kubale, FIM „Vogel“, Hauptmann Dummer

BO „Krüger“ GMS „Josef“ (bis 1985), GMS „Krüger“ Hauptmann Dummer, Hauptmann Blum

BO „Egon/Beate“ „Egon“ und Ehefrau GMS „Beate“ Hauptmann Dummer

BO „Eckehardt“ GMS „Eckehardt“ Hauptmann Dummer, Hauptmann Blum

BO „Gerhard“ Major Kubale

BO „Uwe“ Kräfte op. Beobachtung, Sicherung durch GMS „Jacob“ (ab 1986)

Major Hartwig, Major Fischer

Frankr. BO „Ursula“ „Ursula“ (bis 1986)/IMK „Stern“ (ab 1986) Leutnant Reimann

BO „Farn“ „Farn“ Leutnant Reimann

BO „Ikarus“ Decktelefon für IM aus dem F-MVM-Objekt Leutnant Reimann

BO „Kalle“ „Kalle“ Leutnant Reimann

BO „Frank“ Sicherung durch GMS „Jacob“ (ab 1986) Major Fischer

* nach BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 86 ff.

– PKW-Ein- bzw. –Ausfahrt zwischen Haupthaus und Nebengebäude als Zufahrt für den Hofbereich hinter der Villa Colonel – PKW-Ein- bzw. –Ausfahrt zwischen Nebengebäude und Objektbegrenzung mit Parkmöglichkeit hinter der Villa Adjutant; diese wird zur Zeit als Ein-und Ausfahrts-tor genutzt. Die aufgeführten Zugangsmöglichkeiten werden seit November 1986 in der Regel verschlossen gehalten. Gegenüber dem Tor (2.) befindet sich das VP-Postenhaus. Vor dem Objekt besteht in der Seestraße Hal-teverbot. An das MVM-Gelände grenzt an einer Seite ein Grundstück mit Einfamili-enhaus an, auf der anderen Seite verläuft eine Sackgasse mit Wendeschleife. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich das Mehrfamilienhaus Seestraße Nr. 3, an das anschließend die Kleingartenanlage „Berliner Vorstadt“ beginnt. Während der

Dunkelheit ist die Seestraße beleuchtet. Von den drei vor dem MVM-Objekt auf dem Gehweg vorhandenen Beleuchtungsein-richtungen sind zwei im näheren Bereich der Ein- bzw. Ausfahrten für PKW. Zusätz-lich ist der Personenein- bzw. –ausgang am Haupthaus durch zwei Lampen nachts erhellt. Die Seestraße, die parallel zum „Heiligen See“ verläuft, ist mit mehreren Nebenstraßen verbunden und auch über sie zu erreichen. In diesem Viertel verläuft zum überwiegenden Teil Anliegerverkehr. ... Wesentliche gefährdete Objektabschnitte und Schwachstellen für die Sicherheit des F-MVM-Objektes: Der niedrige Zaun der Vorderfront des MVM-Objektes in der See-straße (0,8 m) ermöglicht ein plötzliches, weitgehend ungehindertes Übersteigen der Objektumgrenzung durch Unbefugte. Ab-hängig von der Wetterlage im Winter ge-stattet es die Eisstärke auf dem „Heiligen

See“, das Gewässer ohne große Gefahren zu betreten bzw. zu überqueren. Dadurch ist eine gedeckte Annäherung an das MVM-Objekt von See her, insbesondere während der Dunkelheit, möglich. Durch den vor-handenen Bootssteg ist auch ein Betreten dieser Anlegstelle durch Schlittschuhläufer, Eisangler und andere Wintersportler am Tage gegeben. Einen weiteren Gefahrenbe-reich für gedeckte Annäherung bildet der sich an die Sackgasse mit Wendebereich anschließende Uferbewuchs am „Heiligen See“, der bis hinter die Rückfront der Villa Colonel reicht. In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß der Bereich Seeseite sowie Sackgasse ein ge-nereller Gefahrenbereich ist und auch in den Sommermonaten von Wassersport-lern und Badegästen aufgesucht werden kann. Die Seitenbegrenzungen der F-MVM (zur Sackgasse mit Übersteigabweisern

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und zum Grundstück Nr. 39 ohne Abwei-ser) sind mit Hilfsmitteln überwindbar. Die Objektabschnitte außerhalb der Seestraße sind durch den diensthabenden VP-Posten von seinem begrenzten Postenbereich aus nicht einsehbar. Sie können durch ihn auch nicht abgesichert werden.“11 Die Schlie-ßung der Lücken in der Objektüberwa-chung delegierte das MfS zumeist an sei-ne inoffiziellen Mitarbeiter. Rund um das amerikanische Objekt existierten 1987 vier Beobachtungsstützpunkte des MfS, bei den Briten sechs und den Franzosen fünf. Die-se „BO-Stützpunkte“ fielen in die Zustän-digkeit des Referats 1 der Abteilung 5 der Hauptabteilung VIII des MfS. Eine Überprü-fung der Stützpunktkonzeption fand 1987 statt. Sie gelangte zu folgender Feststel-lung: „Die Arbeit mit den Beobachtungs-stützpunkten zur vorbeugenden Sicherung der MVM-Objekte hat sich voll bewährt. Durch personelle und bauliche Probleme gab es jedoch einzelne Veränderungen. Nach den Vorkommnissen in den Jahren 1984, 1985 und 1986 wurden weitere An-strengungen zur verstärkten inoffiziellen Umfeldsicherung der drei MVM-Objekte unternommen.“12 Am Objekt der Amerikaner bestanden die meisten Engpässe. Der Stütz-punkt „Kegel“ in unmittelbarer Nähe des Objekts war mit automatischen Fotomitteln ausgestattet. Doch das MfS ging von einer Dekonspiration aus, da „die MVM-Ange-hörigen bei geöffneter Jalousieklappe der Tarnung bemüht sind, ihr Gesicht von der Richtung Kegel abzuwenden.“13 An die HA VIII/11 als Betreiber der Fotoanlage erging deshalb für 1987 die Order zur Erneuerung der Technik, mit dem Ziel einer verbesserten Automatik und Tarnung. Bis dahin sollten die hauptamtlichen Kräfte im Stützpunkt „Kegel“ die Kamera von Hand bedienen. Die Jalousie blieb geschlossen. Neben den Ame-rikanern direkt am Lehnitzsee arbeitete das GMS-Ehepaar „Park“ für das MfS, ausgerüs-tet mit Angelschein, Fotoapparat, Telefon-verbindung und der Lizenz zur begrenzten

11 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 113 ff.12 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 8613 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 87

Kontaktaufnahme zum „objektverantwort-lichen MVM-Angehörigen“. Bei „Park I/II“ dachte das MfS über die Installation einer Videokamera zur seeseitigen Observation des MVM-Geländes mit Monitorkontrol-le beim diensthabenden VP-Posten an der Objekteinfahrt nach. Zwischen „Kegel“ und „Park“ bestand zudem eine drahtlose Nach-richtenverbindung. Die Wirksamkeit des dritten Beobachtungsstützpunktes, Deck-name „Gärtner“, war aus der Sicht des MfS seit 1985 nicht mehr gegeben. Bei „Gärtner“ handelte es sich um das alte Gärtnerhaus auf dem Gelände des Heinrich-Heine-Sa-natoriums. Es grenzte an die Rückseite der US-MVM, war aber so baufällig geworden, dass keine Nutzung mehr möglich schien. Das GMS-Ehepaar „Gärtner“, bis 1985 Be-treiber des Stützpunkts, verzog wegen eines Wechsels der Arbeitsstelle. Ein dritter IM, „Heine“, ging in den Ruhestand. Fehlende finanzielle Mittel ließen keine kurzfristigen Lösungsmöglichkeiten für die Rekonstrukti-on der baufälligen Substanz erkennen. Erst als 1985 zwei DDR-Bürger am Gärtnerhaus auf das Gelände der Amerikaner vordran-gen, kam wieder Bewegung in die Angele-genheit. Das MfS versuchte über die Leiterin des Sanatoriums einen neuen Vorstoß. Mit wenig Erfolg. Denn das Gärtnerhaus gehörte der Gemeinde Neu Fahrland und nicht dem Heinrich-Heine-Sanatorium. Deshalb ließ sich das Sanatorium auch nicht zur Sanie-rung drängen. Über die Abteilung XX der BV Potsdam setzte das MfS 1986/87 bei der Gemeinde Neu Fahrland einen dreijährigen Pachtvertrag für den IMS14 „Andreas“ durch. „Andreas“ rekonstruierte mit finanzieller Unterstützung aus dem Operativgeldfonds des MfS das Gärtnerhaus und berücksich-tigte dabei auch die Wünsche des Geld-gebers. Auf dem Dachboden standen dem MfS fortan wieder Beobachtungsmög-lichkeiten zur Verfügung. IMS „Andreas“ übernahm auch die Absicherung des Ob-

14 IMS – Inoffizieller Mitarbeiter, der mit der Sicherung eines gesellschaftlichen Bereichs oder Objekts beauftragt ist, 1968 mit Richtlinie 1/68 vom Januar 1968 eingeführte IM-Kategorie; 1979 wie folgt definiert: Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs.

jektabschnitts. 1990 sollte dann eine neue personelle Lösung gefunden werden. Der vierte Bebachtungsstützpunkt am ameri-kanischen Objekt bot nur logistische Un-terstützung. IMK/DT15 „Eisenhardt“, ständig besetzt, war für den Fall einer verstärkten Umfeldüberwachung zur gedeckten Un-terbringung von Kräften vorgesehen. „Ei-senhardt“ stellte sein Telefon zur Verfü-gung. Rund um das britische MVM-Objekt bestand das stabilste Netz von Beobach-tungspunkten. „Hans+Friedel“ sicherten die Seitenflanke von der Sprachheilschule aus. „Mehrjährig keine Vorkommnisse von dieser Objektumgrenzungsseite“, notierte das MfS wohlwollend. „Krüger“ wurde zur kontinuierlichen Sicherheitsüberwachung eines verdächtigen Anwohners herangezo-gen. „Egon+Beate“ fotografierten konspi-rativ von der Seestraße 9 aus die Personen im gegenüberliegenden britischen Objekt. „Eckhardt“ arbeitete bei den Briten so wie „Eisenhardt“ bei den Amerikanern. „Ger-hard“ sicherte den Schwerpunkt Wasser-sportzentrum der Ingenieurschule. „Uwe“ war als Beobachtungsstützpunkt erst 1986 neu errichtet worden und ständig mit ope-rativen Beobachtern des MfS besetzt. Die Installation einer Signal- und Dokumenta-tionsanlage ähnlich „Kegel“ war geplant. Um das französische Objekt herum be-standen fünf Beobachtungspunkte. „Kalle“ aus der Kleingartensparte konnte gegen-über der MVM „vegetationsbedingt“ nur von Frühjahr bis Herbst eingesetzt werden. „Farn“ sicherte die Seeseite der F-MVM. „Ikarus“ wirkte als Decktelefon. „Ursula“ wachte neben Kleinkindern auch über die französische MVM. Der Beobachtungs-stützpunkt „Frank“ war 1986 neu errichtet worden und mit hauptamtlichen Kräften ständig besetzt. Dort war ebenfalls die Nachrüstung mit automatisch arbeitender Fototechnik vorgesehen.

15 IMK/DT – Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens/Decktelefon, mit Richtlinie 1/79 vom 8.12. 1979 stärker differenzierte Kategorie eines IMK, inoffizieller Mitarbeiter, der seinen Telefonanschluß benutzt, um Mitteilungen entgegen-zunehmen und in festgelegter Weise einem operativen Mitarbeiter zu übergeben.

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Rote Späher

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Abb. K301: Opel Rekord 2.0 S Nr. 62 der sowjetischen Militärverbindungsmission Baden-Baden auf der Autobahn 6 bei Kaiserslautern im April 1988.

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Kapitel 3 – Bünde / Frankfurt-Niederrad / Baden-Baden

D ie drei bei den Westalliierten in der Bundesrepublik Deutschland akkre-ditierten sowjetischen Militärver-

bindungsmissionen in Bünde/Westfalen, Frankfurt-Niederrad und Baden-Baden unterstanden nicht der Befehlsgewalt des KGB. Führung und Lenkung der SMVM1 erfolgten durch den Militärgeheimdienst GRU2, angesiedelt beim Generalstab der Sowjetarmee in Moskau. Als ranghöchster Repräsentant des sowjetischen Militär-geheimdienstes in der DDR galt der Chef Aufklärung. Er war zugleich einer der Stell-vertreter des Oberkommandierenden der GSSD und befehligte eine eigene Verwal-tung Aufklärung (VA)3 beim Stab in Wüns-dorf. Die Verwaltung Aufklärung leitete, koordinierte und kontrollierte die gesamte nachrichtendienstliche Tätigkeit auf dem Territorium der Armeegruppe. In Frieden-zeiten organisierte dieser operative Zweig4 der GRU seine Aufklärungstätigkeit vom Territorium der DDR aus. Im Gegensatz zum strategischen Zweig der GRU stationierte der operative keine Offiziere in den Ziel-ländern. In der VA Wünsdorf verwischten jedoch die Grenzen zwischen operativem und strategischem Zweig aufgrund der his-torischen Sonderstellung der sowjetischen Missionen. Denn sie operierten bereits zu Friedenszeiten auf „feindlichem Territori-um“, unterstanden aber der VA Wünsdorf und zählten trotzdem zum strategischen Zweig des sowjetischen Militärgeheim-dienstes. Die Bundesrepublik Deutschland war als „Operationsgebiet“ zuerst vom strategischen Zweig der GRU – gewisser-maßen der Speerspitze – zu bearbeiten und zu durchdringen. Dafür existierte ein eigenes, vom operativen Zweig unabhängi-ges Agentennetz, welches mit zahlreichen

1 SMVM – Sowjetische Militärverbindungsmission2 Das als „Aquarium“ bekannte GRU-Hauptquartier am alten

Chodinka-Flugplatz in Moskau ist 2007 großzügig durch einen futuristischen Neubau erweitert worden. Feldpost-nummer 45807.

3 rasveduprawlenije (russ.) – RU, Verwaltung Aufklärung (der GRU), Wünsdorf-Militärstadt 1, Tarnname „Marion“

4 Der operative Zweig umfasste alle Nachrichtendienstrup-penteile, die operativen Truppeneinheiten der Armeegruppe unterstellt waren sowie die Planung und Durchführung militärischer Operationen unterstützten.

Sowjetische Militärverbindungsmissionen

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Abb. K302: Die sowjetische Militärverbindungsmission, akkreditiert beim Oberkommando der britischen Rhein-Armee, lädt 1976 ausgewählte Gäste der britischen Armee,

Lokalpolitiker und Geschäftsleute aus Nordrhein-Westfalen zu einem festlichen Empfang anlässlich des Tages der Oktoberrevolution in ihr Quartier in Bünde.

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Kapitel 3 – Bünde / Frankfurt-Niederrad / Baden-Baden

Tarnresidenturen5 in der Bundesrepublik Deutschland arbeitete.6 Die Infiltration der BRD fand gewissermaßen durch „Agenten-netze mit doppeltem Boden“ statt. Wollte man noch den Marinennachrichtendienst der Baltischen Rotbannerflotte7 und die Agentennetze weiterer Armeegruppen mit derselben Einsatzrichtung hinzuzählen, kä-men noch weitere Netze hinzu.8 Von 1986 bis zur Wende in der DDR be-kleidete Generalmajor Iwan Grigorjewitsch Konowalenko den Posten als Chef der Ver-waltung Aufklärung Wünsdorf. Konowa-lenko hatte die Militärdiplomatische Aka-demie der Sowjetstreitkräfte9 durchlaufen, sich aber trotz des Studiums am operativen Lehrstuhl mit den Eigenheiten des operati-ven Geschäfts nie richtig anfreunden kön-nen. Seine heimliche Leidenschaft galt bis zur Versetzung auf den Chefposten der VA Wünsdorf den Spezznaze-Kräften und der elektronischen Aufklärung. Entsprechend fielen die Weichenstellungen nach seiner Amtsübernahme aus. Zum Ärger der Mitar-beiter aus dem Operativsektor, die sich nun mit ihrer Aufgabe als Agentenführer stief-mütterlich behandelt fühlten. Der neue Mann in Wünsdorf vernachlässigte das Geschäft mit den Agenten jedoch nicht. Er setzte lediglich andere Prioritäten.

5 Der strategische Zweig der GRU unterhielt folgende Tarnresidenturen in der BRD: Köln, Bonn und in den drei SMVM-Gebäuden. Die Leitung erfolgte von Moskau aus über die 1. Verwaltung (Europa) und 2. Direktion (Berlin/DDR) der GRU.

6 Im Zuge der Wiedervereinigung übernahm das operative Netz der GRU in den fünf neuen Bundesländern automa-tisch die Aufgaben des strategischen Netzes bis zum Abzug der letzten russischen Truppen im August 1994.

7 Der Marinennachrichtendienst der Baltischen Rotbanner-flotte war nur indirekt der VA Wünsdorf (5. Verwaltung der GRU) unterstellt. Und zwar für die territorial auf die DDR und Bundesrepublik ausgerichteten Tätigkeiten der land- und seegestützten Aufklärung. Dafür unterhielt der Marinenachrichtendienst einige wenige Niederlassungen in GSSD/WGT-Liegenschaften im Norden der DDR (u.a. Operativdienststelle/Aufklärungspunkt in Rostock Fiete-Schulze-Str.; Rerik/Halbinsel Wustrow und Ranzow/Wiek – Feldpostnummer 08538; Damgarten – Feldpostnummer 81560; Saßnitz – Feldpostnummer 09822). Für das wesent-lich breitere Spektrum maritimer Aufklärung der gesamten Baltischen Rotbannerflotte war der Chef des Marinenach-richtendienstes zuständig.

8 Zur Vollständigkeit sei erwähnt, dass der dritte Zweig neben der operativen und strategischen Aufklärung die taktische Aufklärung war. Darunter fasste die GRU alle Nachrichtendienstorgane und Nachrichtendienstabteilun-gen zusammen, die taktischen Einheiten und Formationen bis einschließlich Divisionsstärke untergeordnet waren.

9 Militärdiplomatische Akademie, 103160 Moskau, K-160, Feldpostnummer 22177, Tarnname Konservatorium. An dieser geheimen Lehranstalt bildet die GRU alle Führungs-kräfte heran.

Abb. K303: 1976: Der Bürgermeister der Stadt Bünde, Siegfried Moning, überreicht dem Chef der sowjetischen Militärverbindungsmission auf einem Empfang anlässlich des Tages der Oktoberrevolution einen Wimpel.

Abb. K304: Generalmajor Iwan Grigorjewitsch Konowalenko, Leiter der VA Wünsdorf, hier rechts in der ersten Reihe der sowjetischen Generäle, bei einem Empfang durch die Amerikaner zum „Elbe-Day“ 1989.

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Statt Qualität von wenigen Spitzenquel-len sollte der Operativsektor mehr Masse und damit schnell vorzeigbare Ergebnisse generieren. Soldatisch korrekt forderte Konowalenko fehlerfreie Arbeit von sei-nen Mitarbeitern, die es im Umgang mit menschlichen Quellen aber nicht geben konnte. Riskante Quellenwerbungen mit hohem Aufwand und langer Anwartschaft unterblieben fortan in den GRU-Operativ-dienststellen der DDR, um nicht Karriere, Kopf und Kragen zu riskieren. Zweifelsoh-ne verflachte das Niveau der operativen Aufklärungstätigkeit unter Konowalenko. Seinem Befehl unterstanden folgende sowjetische Militäreinheiten: die drei Mi-litärverbindungsmissionen in der Bundes-republik, die „sowjetischen Militärinspek-tionen“ für Touren in Westberlin, Teile der

Außenpolitischen Abteilung10 des Stabes der GSSD, alle SpN-11 und OsN-Verbände12 innerhalb der Struktur der GSSD sowie die GRU-Operativdienststellen13 auf dem Ter-

10 OWS – (russ.) Abkürzung für Außenpolitische Abteilung der GSSD. Diese Abteilung gehörte zum Stab der GSSD in Wünsdorf und unterhielt in Potsdam ein Büro für den direkten Kontakt mit den drei westlichen Militärverbin-dungsmissionen. In der Abteilung arbeiteten legendiert auch einige KGB-Offiziere von der 3. Hauptverwaltung (Spionageabwehr). Diese Offiziere unterstanden nicht dem Befehl Konowalenkos.

11 Spezznaze – (russ.) Abkürzung für Einheiten der speziellen Verwendung. Diese in Brigaden, Kompanien und Gruppen organisierten Spezialeinheiten sind für Kommandooperatio-nen und Einsätze hinter den feindlichen Linien ausgebildet. In der DDR gehörten dazu die 3. selbstständige Garde Spezznaze Brigade der GRU in Neuthymen, Feldpostnum-mer 83149 (alt 21208).

12 OSNAZ – (russ.) Abkürzung für Einheiten der besonderen Verwendung. Dazu zählten alle Spezialtruppen der funk-und funktechnischen Aufklärung. Führungsverband in der DDR war bis 1994 die 82. selbstständige Warschauer funktechnische Brigade besondere Verwendung in Torgau, Feldpostnummer 41476, Tarnname „Nisina“.

13 Operativdienststellen der GRU in Rostock, Magdeburg, Leipzig, Dresden und Berlin-Karlshorst. In Rostock noch ergänzt durch eine GRU-Dienststelle des Marinenachrich-tendienstes der Baltischen Rotbannerflotte.

ritorium der DDR. Mit den Offizieren des sow jetischen Militärattachédienstes in den Legalresidenturen14 des Operationsgebiets, INF-Inspektoren15 und akkreditierten Mili-tärbeobachtern im zugewiesenen „Aufklä-rungsstreifen“ bestanden zusätzlich enge Arbeitsbeziehungen, soweit deren Einsätze aus politischem Kalkül heraus nicht di-rekt vom Moskauer Generalstab ohne das Wissen der VA Wünsdorf gelenkt wurden. Gerade Manöverbeobachter wollte die Bundesrepublik unter keinen Umständen zulassen, wenn sie aus den Reihen aktiver oder ehemaliger sowjetischer Militärver-bindungsmissionsmitglieder kamen. Die SMVM-Offiziere waren viel zu gut ausge-

14 GRU-Legalresidenturen in den Botschaften der UdSSR in Ostberlin und Bonn sowie unter Legendierung arbeitendes Personal in den Generalkonsulaten.

15 Darunter keine ehemaligen SMVM-Offiziere.

Abb. K305: Einfahrt zum Aufklärungszentrum der GRU in Berlin-Karlshorst. Von dieser Operativdienststelle aus leitete der militärische Geheimdienst der Sowjetarmee die Infor-mationsbeschaffung in Westberlin. Das Aufklärungszentrum Karlshorst war im Frühjahr 1989 mit Computern ausgestattet worden und besaß einen Anschluss an das Datennetz der Verwaltung Aufklärung Wünsdorf. 41

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Kapitel 3 – Bünde / Frankfurt-Niederrad / Baden-Baden

bildet, um sie nah an das Geschehen zu lassen, darin waren sich westliche Dienste und die NATO einig. Im britischen Sektor befand sich die sowjetische Militärverbin-dungsmission zuerst in Bad Salzuflen, dann in Lübbecke und ab 1957 bis zur Auflö-sung 1991 in Bünde/Westfalen. Kurzzei-tig spielte die britische Rheinarmee auch mit dem Gedanken einer Verlegung nach Düsseldorf-Hubbelrath, näher an das BA-ORHauptquartier16 in Rheindahlen heran. Dazu kam es aber nicht. In der Engelstr. 35,

16 BAOR – British Army of the Rhine

gleichbar. Vertraglich wurden der SMVM in Bünde zwölf Offiziere, zwei Fähnriche, fünf Kraftfahrer im Soldatenrang und ein Funker zugebilligt. Gemeinsam mit den Offiziersfrauen und Kindern schwankte die Zahl der Personen auf dem Gelände zwi-schen 30 und 35. Die Außensicherung der exterritorialen sowjetischen Insel17 inmit-ten des ebenfalls exterritorialen britischen Areals übernahmen britische Soldaten. Im Bereich der Ausfahrt parkte außerhalb der

17 Die innere Absicherung der SMVM-Objekte in der Bundes-republik oblag der GRU selbst, die Kontrolle übte aber das KfS aus. BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 315

Abb. K306: „Sowjet-Spione mitten in Deutschland!“ - Bericht der Neuen Revue Nr. 9 vom 22. Februar 1985 über die Arbeit der sowjetischen Militärverbindungsmissionen in der Bundesrepublik.

hinter hohen Zäunen und von einer weißen Sichtschutzwand zusätzlich abgeschirmt, befand sich die sowjetische Mission mit ihren Dienstwohnungen recht unauffällig in den Randbereich einer britischen Mili-tärsiedlung eingebettet. Alles zum Leben notwendige war in den acht zweigeschos-sigen Häusern vorhanden. Wohn-und Ar-beitsbereiche, eine kleine Gaststätte, ein Klub und mehrere Gästezimmer. Besonders repräsentativ wirkte die Mission nicht. Eher war das Ambiente militärisch knapp gehalten und nicht mit der prächtigen Villa der britischen MVM in Potsdam ver-

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BERLIN

Berlin-Karlshorst

MECKLENBURG-

VORPOMMERN

SACHSEN-

ANHALT

BRANDENBURG

THÜRINGEN

SACHSEN

BAYERN

BADEN-

WÜRTTEMBERG

RHEINLAND-

PFALZ

HESSEN

SAAR-LAND

NORDRHEIN-

WESTFALEN

NIEDERSACHSEN

SCHLESWIG

HOLSTEIN

0 100 Kilometer

DRESDEN

POTSDAM

SCHWERIN

BERLIN

MAGDEBURG

ERFURT

MÜNCHEN

STUTTGART

WIESBADEN

MAINZ

SAARBRÜCKEN

DÜSSELDORF

HANNOVER

BREMEN

KIEL

HAMBURG

Rostock

Leipzig

Aufklärungsstreifen der GRU-Operativdienststellen bis 1991

Wünsdorf

GRU-Dienststelle des Marinenachrichtendienstes der Baltischen Rotbannerflotte Rostock GRU-Dienststelle Rostock GRU-Dienststelle Magdeburg GRU-Aufklärungszentrum Berlin-Karlshorst Verwaltung Aufklärung der GRU Wünsdorf GRU-Dienststelle Leipzig GRU-Dienststelle Dresden

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Kapitel 3 – Bünde / Frankfurt-Niederrad / Baden-Baden

Mission oft ein Fahrzeug der britischen Militärpolizei vom 19. (Support) Platoon RMP aus Herford oder weniger auffällig ein Observationsteam des britischen Geheim-dienstes. In einem Wachhäuschen gegen-über der Missionsausfahrt waren ständig bis zu drei britische Beobachter stationiert. Sie registrierten jede sowjetische Fahr-zeugbewegung nach An- und Abfahrtszeit, Fahrzeugbesatzung und Fahrtrichtung. Per Telefon und Funk konnten von dort sofort die Observationsteams eingewiesen wer-den. Ab 1983 rüsteten die Briten zusätzlich auch Überwachungskameras nach, die auf die Zugänge der SMVM Bünde gerichtet waren. Sie gewährleisteten eine lückenlose Kontrolle aller Personen, die das Gelände betraten oder verließen. Die zugkräftigs-

ten „SMVM-Waffen“ im Kampf gegen den Imperialismus stammten ausgerechnet aus westlicher Produktion. Fahrzeuge der Marken Opel Rekord 2.0, Admiral 2.1 und Senator in gedeckten Farben erwarben die Sowjets über Jahrzehnte im Autohaus Jäcker in Bad Oeynhausen zu Diplomaten-konditionen.18 Sechs Fahrzeuge zählten zum Bestand der Mission in Bünde. Die Serienfahrzeuge hielten der strammen Beanspruchung durch ihre Wagenlenker jedoch selten länger stand. Zwei bis drei neue Opel Rekord lieferte das Autohaus Jäcker daher jährlich im Austausch für die Gebrauchtwagen an die Sowjets. Vor allem die Fahrten im Gelände bekamen

18 In den anderen sowjetischen Missionen kamen auch Fahrzeuge der Marken Mercedes und Ford zum Einsatz.

den eigentlich auf Komfort ausgelegten, weich gefederten Oberklasse-Limousinen überhaupt nicht gut. Die Bünder Mission war nicht nur ein sehr guter Kunde im Ein-kauf, sondern erwarb sich vor allem auch beim Reparaturservice der Firma Jäcker einen legendären Ruf. Was den Mechani-kern dort im Nachgang allzu wilder Touren noch selbstständig oder auf Trailern vor die Werkstatt rollte, ließ das Herz jedes Autoliebhabers bluten. Unter erschwerten Bedingungen mussten die Fahrzeuge dann wieder flott gemacht werden. Manchmal gegen Benzin statt Bares, denn Benzin be-kam die sowjetische Mission in gewissem Umfang von den Briten gestellt. Die Sow-jets ließen die Reparaturen nur tagsüber ausführen und bewachten ihre Autos zu-

Abb. K307: Ein sowjetischer Militärbeobachter im gemeinsamen Gespräch mit seinem Begleiter von der US-Army während der NATO-Übung „Reforger/Autum Forge ‚83“ in Ulrichstein. Trotz der vertrauensbildenden Maßnahmen fanden im Umfeld dieser Manöver immer auch verstärkt Aufklärungsfahrten der Militärverbindungsmissionen statt. Die Aktivitäten von Manöverbeobachtern, sowjetischen Militärverbindungsmissionen und später auch den INF-Inspektionsteams waren über den Militärgeheimdienst GRU aufeinander abgestimmt.

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dem mit Argusaugen. Die Zusatzeinbauten waren bereits entfernt wenn die deutschen Mechaniker an das Wageninnere durften. In den Verkleidungen der Fahrzeuge klaff-ten dann diverse Löcher. Ständig befand sich ein sowjetischer Offizier in der Werk-statt und überwachte jeden Handgriff. Ihre Angst war groß, dass die Fahrzeuge von westlichen Nachrichtendiensten ma-nipuliert oder verwanzt werden könnten. Ganz unbegründet schien diese Gefahr nicht. Militärischer Abschirmdienst und britischer Geheimdienst wurden tatsäch-lich regelmäßig mit solchen Ansinnen bei Besitzer Horst Jäcker vorstellig. Agenten ihrer Majestät wedelten mit Geld und ba-ten höflich um Nachschlüssel für die sow-jetischen Fahrzeuge. Vergeblich. Der MAD fiel nassforsch mit der Tür ins Haus und wollte sich gleich privilegierten Zugang zu den Fahrzeugen erkaufen. Sie fragten an, ob sie eigene Kfz-Techniker zum Ein-satz bringen dürften. Ersatzweise wäre der Dienst auch froh, so erklärten die Emis-säre aus der Kölner Zentrale, wenigstens über die guten Geschäftskontakte der Firma einen Agenten an bestimmte Mis-sionsmitglieder heranschleusen zu dürfen. Ebenfalls vergebens. Jäcker schienen die Avancen unheimlich. In Ostwestfalen, wo jeder jeden kennt, mochte er weder den eigenen Ruf noch den seines Autohauses aufs Spiel setzen und verzichtete auf diese Angebote. Eine diffuse Vorahnung ließ ihn Abstand nehmen von der Halbwelt der Ge-heimdienste. Als Reserveoffizier kam Horst Jäcker zwar vorsorglich nie wieder zu ei-ner Bundeswehr-Übung. Er galt in den Au-gen des MAD als Sicherheitsrisiko, so wie andere auch, die in engerem dienstlichen oder privaten Kontakt mit der SMVM stan-den. Doch wie so oft schlummerten die Risiken in der Realität dann an ganz ande-rer Stelle als erwartet. Nämlich beim MAD selbst. Ein Oberst im MAD mit Kontakten zur Bünder Mission flog später spektakulär als Agent der DDR auf. Im französischen Sektor befand sich die sowjetische Militärverbindungsmission beschaulich in Baden-Baden. Während

der ersten Nachkriegsjahre residierte die SMVM in der von den Franzosen beschlag-nahmten Villa Clemm von Hohenberg in der Fremersbergstraße 39. Anschließend in der noblen Villa Sorrento in der Lich-tentaler Allee 58 und ab etwa 1955 bis zur Auflösung 1990 wesentlich beschei-dener in der Zeppelinstraße 19-27. Das fünf Wohngebäude umfassende Gelände am Fuße des Merkur bildete eine in sich geschlossene Einheit und war mannshoch mit Stacheldrahtzaun umgeben. Bei dem französischen Oberkommando in Baden-Oos waren insgesamt sechzehn sowjeti-sche Militärangehörige akkreditiert. Im Vergleich zu den beiden anderen Missio-nen ging es in Baden-Baden vergleichs-weise streng reglementiert zu. Ausgang

für Einkäufe und Kulturveranstaltungen gab es für Offiziere, Fähnriche, Soldaten und Familienangehörige offiziell nur grup-penweise.19

Die Franzosen setzten gezielt Störgeräte ein, um den Funkverkehr der sowjetischen Mission mit ihrem Oberkommando in Wünsdorf zu behindern. Der französische Militärgeheimdienst brachte auch Beob-achtungsfahrzeuge gegen die SMVM zum Einsatz, konnte deren Fahrten aber nur symbolisch überwachen. Der spektakulä-re Fluchtfall des DDR-Spions Reiner Paul Fülle rückte die Mission in Baden-Baden in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Fülle,

19 SMVM-Mitglieder und Familienangehörige durften auch in den Läden der alliierten Militärs einkaufen. Die Waren dort unterlagen nicht der deutschen Mehrwertsteuer.

Abb. K308: Ein Offizier der SMVM Bünde fotografiert seinen Verfolger von der Polizei Meschede auf der Autobahn 46, 70er Jahre.

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Kapitel 3 – Bünde / Frankfurt-Niederrad / Baden-Baden

der sechzehn Jahre lang dem MfS gehei-me Unterlagen aus der Kernforschung be-schaffte, konnte am 20. Januar 1979 nach seiner Festnahme entkommen. Beim Aus-steigen aus dem Fahrzeug rutschte der zu Fülles Bewachung eingesetzte Polizist auf Glatteis aus. Diese Gelegenheit nutzte der Spion zur Flucht. Er verbarg sich zunächst in der Karlsruher Kunstakademie. Nachts fuhr Fülle mit einem gestohlenen Fahrrad zu den Sowjets nach Baden-Baden und bat dort um Hilfe. Zuerst wollte man ihn gar nicht auf das Gelände lassen. Erst ein Be-triebsausweis des Kernforschungszentrums Karlsruhe und seine Beteuerungen, ein Spi-on des MfS zu sein, verschafften ihm Zu-tritt. Dass KGB informierte umgehend das MfS über Fülles Ankunft in Baden-Baden und arrangierte dessen sichere Überfüh-rung in die DDR. Versteckt in einer Kiste, beförderte ihn ein Fahrzeug der SMVM unbemerkt über die Grenze.20 Die abenteu-

20 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 158

erliche Flucht mit Unterstützung der sow-jetischen Militärverbindungsmission wäre wahrscheinlich nie öffentlich bekannt ge-worden, wenn Fülle nicht in die Bundesre-publik zurückgekehrt wäre und ausgepackt hätte. Ein Gericht in Stuttgart verurteilte ihn im April 1984 wegen Spionage für die DDR zu sechs Jahren Freiheitsstrafe. Fül-les Aussagen brachten auch die Sowjets in Bedrängnis. In Baden-Baden war man sich offensichtlich der Tragweite des Aus-schmuggelns eines enttarnten Spions im klaren. Es lag beweiskräftig ein Missbrauch der bilateral zugestandenen Rechte vor. Der Chef der Baden-Badener Mission, Ge-neralmajor Nikolai Klimenko, wurde kurz danach aus angeblich „gesundheitlichen Gründen“ abberufen und nach Moskau zu-rückbeordert. Im Juli 1982 trat Oberst Jurij D. Glotow die Nachfolge des Missionschefs an. Stellvertretend führte Kapitän zur See Smolenzew die Geschäfte. In Frankfurt/Main bezogen die Sowjets den Sitz ihrer Militärverbindungsmission zum amerikanischen Oberkommando. Die linke Seite der Neuwiesenstraße (Ecke Königs-lacher Straße in Richtung Schwarzwald-straße) war nach dem Ende des zweiten Weltkriegs durch das US-Militär dafür beschlagnahmt worden. In diesem Be-reich zählte die Straße bereits zum exter-ritorialen Gebiet. Bewohner der rechten Straßenseite durften den Bürgersteig nur mit einer Sondergenehmigung benutzen. Ende der 60er Jahre zog die SMVM in ein neues Quartier. Der Umzug erfolgte von der Neuwiesenstraße in schmucklose Ka-sernengebäude an der Goldammerstraße. Das Gelände der SMVM wurde durch die amerikanische Militärpolizei bewacht. Die Militärmission war 1968 nach dem Einmarsch der Sowjetunion in die CSSR Ziel einer gewaltsamen Demonstration, die aus der Frankfurter Studentenbe-wegung heraus organisiert worden war. Es war bereits die zweite überregional beworbene Demonstration in Frankfurt-Niederrad. Die erste Demonstration hat-te 1956 nach der Niederschlagung des Ungarnaufstandes vor der Militärmissi-

on noch in der Neuwiesenstraße stattge-funden. Die Demonstranten drangen auf das eingezäunte sowjetische Territorium vor. Obwohl die Frankfurter Polizei anwe-send war, schritt sie mangels Sicherheit über die Zuständigkeiten nicht ein. Dafür umso heftiger die amerikanische Militär-polizei. Die MP21, damals schon martia-lisch mit Helmen, Schutzschilden, langen Holzknüppeln und Schnellfeuergewehren ausgerüstet, prügelten die Demonstrati-onsteilnehmer brutal von dem Gelände. Dass Frankfurt/Main insgesamt ein heißes Pflaster war, musste auch eine SMVM-Be-satzung schmerzhaft zur Kenntnis nehmen, nachdem sie eine Gruppe junger Skinheads tätlich angegriffen hatte. Die sowjetischen Missionsmitglieder waren zwar grundsätz-lich verpflichtet, in der Bundesrepublik ihre Uniform zu tragen, unterliefen aber aktiv diese Regelung, indem sie über der Uniform schwarze Lederjacken ohne Rangabzeichen trugen.22 Abseits solcher spektakulären Zwischenfälle sah der sowjetische Alltag in der Mission eher grau aus. Zumeist beka-men die Anwohner von den fremden Auf-klärern23 kaum etwas mit. Wenn sie in ih-ren Autos mit den gelben Kennzeichen von dem Gelände durch den Stadtteil preschten, tauchten für kurze Zeit Jeeps der amerika-nischen Militärpolizei zur Begleitung auf. Doch die sowjetischen Fahrzeuge schüttel-ten ihre Verfolger oft schon nach wenigen Kilomtern ab. Grundsätzlich durften die SMVM-Besatzungen bei ihrer Tätigkeit die Zone der jeweiligen Akkreditierung nicht verlassen. Innerhalb der Akkreditierungs-zone konnten sie sich mit Ausnahme von Sperrgebieten frei bewegen. Die Kuriere der SMVM genossen freie Durchfahrt auf dem Weg zwischen dem sowjetischen Oberkommando in Wünsdorf und den drei Missionen. Eine Dienstreise von einer Mis-

21 MP – Military Police22 Im Bereich der Städte Bünde/Westfalen, Herford und

Baden-Baden war den SMVM-Angehörigen auch das Tragen von Zivilkleidung erlaubt.

23 Nicht alle akkreditierten Militärangehörigen der SMVM gehörten direkt zum Kader des sowjetischen Militärge-heimdienstes GRU. Auch besonders zuverlässige, fähige und sprachbegabte Truppendienstoffiziere mit Spezialkenntnis-sen wurden für den Dienst in der SMVM herangezogen. Die Sicherheitsüberprüfung lief über das KGB.

Abb. K309: Verdienstabzeichen des russischen Militärgeheimdienstes GRU (2004).

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Abb. K311: Ford Nr. 61 der sowjetischen Militärverbindungsmission beim Stab der französischen Streitkräfte (CCFFA) in Baden-Baden, um 1980.

sion zur anderen erforderte für die akkredi-tierten Mitglieder der Missionen spezielle Durchreisegenehmigungen des alliierten Oberkommandierenden der anderen Zone. Auch die Familienangehörigen der SMVM benötigten spezielle Genehmigungen für den Fall, dass sie in den Verantwortungs-bereich eines anderen Oberfehlshabers einreisen oder hindurchreisen wollten.24 Das amerikanische Oberkommando zeigte sich gegenüber den Sowjets in Frankfurt/Main stets spendabel. Es stellte eine üp-pige Versorgung mit Lebensmitteln und Benzin sicher und belieferte die Mission darüber hinaus zusätzlich mit amerika-nischen Truppenzeitungen.25 Da sich alle sowjetischen Missionen sehr ausführlich

24 BStU. MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 128 f.25 Die GSSD verweigerte der amerikanischen MVM die

Lieferung sowjetischer Truppenzeitungen mit dem Hinweis, dass diese speziellen Presserzeugnisse der Geheimhaltung unterlägen. Die USMLM beschaffte die Exemplare durch eine mühsame Suche im Müll sowjetischer Kasernen und Truppenübungsplätze.

der Auswertungstätigkeit westlicher Pub-likationen widmeten, konnte insbesonde-re die Frankfurter Mission stets sehr gute Bewertungen bei der GRU erringen.26 Das frühere Gelände der SMVM in Frankfurt/Main ist inzwischen neu bebaut worden. Nur ein Teil des Originalsichtschutzes und die Stacheldrahtzäune der ehemaligen so-wjetischen Militärmission werden weiter-hin genutzt. Von Zwischenfällen mit den sowjetischen Militärverbindungsmissionen in der Bun-desrepublik erfuhr das MfS zumeist auch

26 Die Auswertung offener Quellen durch die SMVM führte zu einer gewissen Konkurrenzsituation mit den fünf Ope-rativdienststellen der GRU in der DDR. Diese Dienststellen werteten gezielt und koordiniert westliche Presserzeugnisse des zugewiesenen Aufklärungsstreifens aus, um über die VA Wünsdorf auch der jeweiligen SMVM aktuelle Informatio-nen über den Informationsbedarf zu bestimmten Beobach-tungszielen zukommen zu lassen. Für den operativen Zweig der GRU war dann die Feststellung frustrierend, dass die SMVM oft bereits identische Zeitungen und Zeitschriften wegen des besseren Zugangs in der Bundesrepublik viel frü-her ausgewertet hatten und die eigenen Meldungen daher durch die Informationsauswertungszentrale eine niedrigere Bewertung erfuhren.

Abb. K310: Die 8. Abteilung ist die geheimste Diensteinheit des russischen Militärnachrichtendienstes. Sie chiffriert und dechiffriert alle ausgehenden und eingehenden Berichte. Deshalb kennen die Mitarbeiter dieser Abteilung sämtliche Geheimnisse der GRU. Der gewaltige Nachrichtenfluss aller GRU-Einheiten läuft über die Hauptnachrichtenzentrale „Aurora“ in Moskau ein und gelangt dann in das Zentrale Informationsverarbeitungzentrum „Fasatron“. Inzwischen ist auch die GRU im Informationszeitalter angekommen und unterhält zur Abschirmung und Sicherung der eigenen Datennetze ein „Zentrum für Computersicherheit“ in der Snamenkastr. 19 im Herzen Moskaus.

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Kapitel 3 – Bünde / Frankfurt-Niederrad / Baden-Baden

Abb. K312: Oberstleutnant Scott Lang, Leiter des amerikanischen „On-Site Inspection Agency Teams“, und der sowjetische Teamleiter Wladmir Tselischew unter-zeichnen 1989 Dokumente im Zusammenhang mit einer sowjetischen Überprüfung der 38th Tactical Missile Wing in Wüschheim. Zum Leiter der amerikanischen INF-Kontrollbehörde wurde der frühere Chef der USMLM, Brigadegeneral Roland Lajoie, ernannt. In der Gruppe der Inspektoren, die laut INF-Vertrag in der DDR kontrollierten, waren ebenfalls weitere bekannte Namen ehemaliger USMLM-Mitarbeiter zu finden: LtCol. Kelley, LtCol. Wurzburger, LtCol. Guiler, Capt. Troyan. Auch die Franzosen und Briten besetzten ihre Kontrollorganisationen bevorzugt mit MVM-Veteranen. Oberst Roy Giles von der BRIXMIS leitete die Joint Arms Control Implementation Group und auf französischer Seite Oberst (später Brigadegeneral) Jean-Paul Huet die L‘Unité Française de Vérification. Die sowjetische Seite entsandte für die Überprüfung der Rüstungskontrollabkommen keine SMVM-Veteranen.

SMVM-Abwehr der Westalliierten in der BRD*

HQ USAREUR Intelligence Devision 69 Heidelberg

Tel. Heidelberg 88 - 8137außerhalb der DienstzeitHeidelberg 88 - 8844

HQ BAOR G Security 405 Mönchengladbach-Rheindahlen 2

Tel. Mönchengladbach02161 - 25721

CCFFA 2. Bureau, Section Realion Extérieures 757 Baden-Baden-Oos

Tel. Baden-Oos 07 221/21 826707 221/21 8266außerhalb der DienstzeitTel. Baden-Oos 07 221/21 8262

* nach BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 138 f.

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StabschefGSSD/WGT

VBA KfSAbteilung MVM

Außenpolitische Abteilungdes Stabes der GSSD/WGT

Abteilung SMVM/(S)MIGRU

Dolmetschergruppe

Operativ-technische Gruppe

2. VerwaltungStab

Verwaltung AufklärungWünsdorf

5. Verwaltung

Chef InformationGRU

6. Verwaltung

Vereinfachtes Strukturschema der Verwaltung Aufklärung der GRU auf Armeegruppenebene (bis 1990)

1. Abteilung

taktischeAufklärung

2. Abteilung

operativeAufklärung(Agenten)

3. Abteilung

Spezznaze

4. Abteilung

Information

5. Abteilung

ElektronischeAufklärung

Aufklärungs-einheiten der

Divisionen

Regimenter

Rostock I

Rostock II (Marine)

Magdeburg

Leipzig

Dresden

AufklärungszentrumBerlin

SpN-Brigade

SpN-Kompanien

SpN-Basis

Auswertungs-zentrale (KRZ)

OsN-Regimenter

REB-Hubschrauber-schwadron

2. VerwaltungVerwaltung Aufklärung

Baltische Rotbannerflotte

Leiter der AbteilungenAufklärung der Armeen

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Kapitel 3 – Bünde / Frankfurt-Niederrad / Baden-Baden

nur aus westdeutschen Zeitungen. Die Kie-ler Nachrichten schrieben am 31. Januar 1983 über einen Unfall mit Totalschaden: „Drei Offiziere der sowjetischen Militär-mission in der Bundesrepublik [aus Bünde] sind am Sonnabend auf einer Erkundungs-fahrt bei Flensburg im für sie gesperrten Militärgebiet der Bundesmarine in einen Verkehrsunfall verwickelt worden. Der Unglücksort liegt in der Nähe der neuen Marinefunkstelle, über die der Großteil des Funkverkehrs zwischen dem Flottenhaupt-quartier Glücksburg-Meierwik und den Marineeinheiten in der Ostsee abgewickelt wird. Die uniformierten Sowjets prallten auf der B 199 mit einem Personenwagen zusammen, wobei einer von ihnen leicht verletzt wurde. Sie blieben nach dem Un-fall im Fahrzeug sitzen und bekundeten deutschen Polizeibeamten lediglich ein freundliches „Njet“. Zur Abwicklung der Formalitäten mußte britische Militärpoli-zei eingeflogen werden.“27 Der Zeitungs-bericht verschwieg einige Details und auch das Nachspiel dieser Aktion. Am Unfallort bot die Polizei ein massives Aufgebot auf, um die ohnehin schon in misslicher Lage festsitzende SMVM-Besatzung einzu-schüchtern. Rasch sammelten sich zahlrei-che Schaulustige an der Unfallstelle. Ganz offensichtlich war dieser Zwischenfall im

27 Bei Flensburg kamen die Sowjet-Späher vom rechten Weg ab. Kieler Nachrichten vom 22. März 1985 (Die Berichterstattung im Zusammenhang mit der Tötung von Major Nicholson griff auch den zwei Jahre zurückliegenden Zwischenfall wieder auf.)

Abb. K313: In Westberlin arbeitete unter britischer Legendierung ein spezieller Observationsdienst gegen sowjetische Staatsbürger. Das MfS taufte diesen Dienst „Charly“. Die Observationsteams von „Charly“ waren auch für die Kontrolle der sowjetischen Militärinspektionen (MI) bei ihrer Einfahrt in die Westsektoren der Stadt zuständig. Ein fester Beobachtungspunkt am Grenzübergang Checkpoint Charlie mit Kameraüberwachung und Funkverbindung zur Zentrale stellte einen schnellen Informationsfluss zu den Observationsteams bei der Einreise „verdächtiger“ sowjetischer Fahrzeuge sicher. Sehr zum Leidwesen des MfS verschlüsselte „Charly“ Anfang der 80er Jahre sein Funknetz, so dass in der HA III des MfS keine direkte Abschöp-fung mehr möglich war. Auch die Zentrale wurde in ein anderes Gebäude verlegt. Ein Team der HA VIII klärte den neuen „Charly“-Standort in der Joachimstaler Straße 19 auf und fertigte eine ausführliche Fotodokumentation.

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Schleswig-Holsteinischen eine kleine Sen-sation. Wann bekam man dort schließlich schon einmal uniformierte Sowjets aus nächster Nähe zu Gesicht? Durch Presse-vertreter28 und die Polizei wurden das Fahr-zeug sowie die Besatzung von allen Seiten fotografiert. Der Unfallgegner war so auf-gebracht über das störrische Verhalten der sowjetischen Besatzung, dass er mehrfach an den verriegelten Fahrzeugtüren rüttelte, um die Militärangehörigen zum aussteigen zu bewegen. Erst die britische Militärpolizei beruhigte die Gemüter. Auf britische Ver-anlassung holte die Firma Jäcker aus Bad Oeynhausen das stark beschädigte Fahr-zeug mit einem Trailer ab. Den Rücktrans-port nach Bünde begleiteten Leutnant W. T. Zakharow, sein sowjetischer Fahrer und der britische Verbindungsoffizier James. In Bünde konfiszierten die Briten das Fahr-zeug für drei Stunden, brachten es auf ihr Militärgelände und verweigerten der sowjetischen Seite den Zugang. Tags da-rauf stellte die Bünder Mission bei einer Untersuchung des Fahrzeugs fest, dass die Briten die Gunst der Stunde genutzt hat-ten, um einen Blick hinter alle Verkleidun-gen zu werfen. Gefunden hatten sie nichts. In dem Fahrzeug war keine Spezialtechnik eingebaut. Alle Proteste des sowjetischen Missionschefs wegen des angetasteten Fahrzeugs und der Behinderung der Besat-zung bügelte das britische Oberkommando mündlich und schriftlich ab. Bei der HA III des MfS lagen seit Mitte der 70er Jahre einige Kenntnisse aus der systematischen Abschöpfung der Quelle „Urwald“29 vor. Hinter diesem Tarnnamen verbarg sich das westdeutsche Behör-denfunknetz. Soweit es den Spezialfunk-diensten des MfS gelang, Meldungen der westdeutschen Polizeien oder von Obser-vationsgruppen des Verfassungsschutzes über die Sichtung, Bewegung und Verfol-gung der SMVM-Fahrzeuge abzufangen, flossen diese Erkenntnisse in Monatsbe-

28 vgl. Bunte Nr. 16 vom 11. April 1985, S. 181 mit einem Foto des Unfalls bei Flensburg. BStU, MfS, ZAIG Nr. 1572, S. 40

29 In der HA III auch als Vorgang „Fahndung West“ bezeichnet.

richten zusammen.30 Im Bereich der funk-und funktechnischen Aufklärung unterhielt die HA III regelmäßige Konsultationen und Arbeitskontakte zu den Angehörigen der 6. Verwaltung der GRU.31 Der Besuch des amerikanischen Präsidenten zur 750-Jahr-Feier Berlins bot aus der Sicht des MfS eine gute Gelegenheit, in der mehr aus Geben statt Nehmen bestehenden „Zusammen-arbeit“ auch einmal eigene Wunschnoten vorzutragen. Ronald Reagans beabsich-tigter Auftritt vor dem Brandenburger Tor warf 1987 ideologisch bedrohlich seine Schatten voraus. Ebenso die Konzerte be-

30 Im Wrjan-Programm der KGB kam der Intensität der SMVM-Überwachung durch westlichen Polizei- und Si-cherheitsorgane als Indikator Bedeutung zu. KGB und MfS erfassten dazu gezielt Informationen.

31 Bedingt durch das in Aufklärungsplänen festgeschriebene, arbeitsteilige Zusammenwirken mit der GSSD auf dem Gebiet der funk- und funktechnischen Aufklärung (u. a. Wrjan, DHS). Die sowjetischen Funkaufklärungseinheiten unterstanden dem Befehl der 6. Verwaltung der GRU.

kannter westlicher Rockgruppen auf der Wiese vor dem Reichtag in unmittelbarer Mauernähe. Über das Pfingstfest, zwischen dem 6. und 8. Juni 1987, traten dort Da-vid Bowie, Phil Collins und die Eurythmics auf. Die Signale waren eindeutig. Nicht nur die Musik für die Jugend spielte zu die-sem Zeitpunkt längst im Westen. Dieses Gefahrenpotential hatte man im MfS be-reits richtig eingeschätzt. Im Vorfeld hei-ßer Rhythmen und markiger Politikerworte wollte deshalb sondiert sein, wie groß die geplante Beschallungsanlage ausfiel und in welche Richtung sie vor allem Reagans Worte tragen würde. Mehr nach Westen oder, um die DDR und Sowjetunion zu är-gern, auch oder vor allem nach Osten, zu den eigentlichen Adressaten? Mit Groß-veranstaltungen auf der Westseite des Brandenburger Tors hatte die DDR generell

Abb. K314: Im Parkhaus Meinekestraße fotografierte das MfS die Parkplätze der „Charly“-Observationsfahrzeuge. Hier die Einfahrt zur gesperrten 3. Etage.

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Kapitel 3 – Bünde / Frankfurt-Niederrad / Baden-Baden

ihre Probleme, da sie regelmäßig zu Mas-senaufläufen auch auf der Ostseite führten und die Gefahr bestand, dass die Grenz-anlagen überrannt wurden. Entsprechend nervös reagierten Partei, MfS, Militär und Polizei. Über den Abteilungsleiter MVM in der Verwaltung Aufklärung Wünsdorf beauftragte die HA III zwei sowjetische Militärinspektionsbesatzungen32 damit, die Beschallungstechnik auf der Bühne am Brandenburger Tor und in der Straße des 17. Juni zu fotografieren. Die sowjeti-schen Offiziere genossen Immunität in den Westsektoren der Stadt. Ihre Anwesenheit konnte nicht unterbunden werden. Die Verwaltung Aufklärung der GRU reagierte umgehend auf den Wunsch des MfS und lieferte am 11. Juni, einen Tag vor Reagans Auftritt, die gewünschte Fotodokumenta-tion mitsamt einer Lageeinschatzung. Zur Erleichterung des MfS stellten die sowje-tischen Aufklärer fest, dass die Beschal-lungsanlage rechts und links der Tribüne in Richtung Siegessäule ausgerichtet war und auch die zwei anderen Anlagen entlang der Straße des 17. Juni nicht in Richtung Hauptstadt der DDR wiesen. Die sowjeti-schen MI lieferten noch über den Auftrag hinausreichendes Bildmaterial. Zusätzlich beigefügt waren „Fotos der Mauer direkt vor dem Brandenburger Tor (von der West-seite) mit antiamerikanischen Losungen“ und von „Containern an der Straße des 17. Juni (mit Posten)“, deren Zweckbe-stimmung noch unklar war.33 Die HA III des MfS hatte zur Sicherheit und ohne das Wissen der sowjetischen MI noch ei-gene Experten zu den Beschallungsproben entsandt. Reagans markige Worte vor dem Brandenburger Tor läuteten am 12. Juni 1987 den Anfang vom Ende des Kalten Krieges ein. Er forderte mit unmissver-ständlicher Deutlichkeit: „Mr. Gorbatchev, open this gate! Mr. Gorbatchev, tear down

32 Markham, James M.: Im Streifenwagen in Ostdeutschland unterwegs. Eine Gruppe von GI Spionen.(Übersetzung) New York Times, 21. April 1984. (In diesem Bericht über die alliier-ten MVM war unter anderem ein Foto der sowjetischen MI in Westberlin abgedruckt.) BStU, MfS, ZAIG Nr. 15772, S. 198 ff.

33 Die in der Anlage des Schreibens 1532/87 Männchen/Schwanitz genannten Fotos der sowjetischen MI fehlen leider in der Akte. BStU, MfS, HA III Nr. 11670, S. 43

this wall!“ Wer nicht zu den 10 000 gela-denen Gästen gehörte, konnte die Veran-staltung live im Westfernsehen verfolgen. Die „Prawda“ titelte noch: „Daraus wird nichts! Der antifaschistische Schutzwall bleibt!“ 881 Tage später fiel die Mauer. Nicht die Supermächte, sondern die DDR-Bürger hatten sie eingerissen. Mit der Erklärung Großbritanniens, Russ-lands und Frankreichs vom 12. Septem-ber 1990, zur Aussetzung ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten für Berlin und Deutschland als Ganzes, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Wiedervereinigung bis zum Inkrafttreten des Vertrages über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, erloschen die alliierten Vor-behaltsrechte. Alle Militärverbindungs-missionen der einstigen Siegermächte stellten offiziell die Arbeit ein und zogen sich aus ihren Standorten zurück. Der so-wjetische Rückzug aus Frankfurt/Main, Bünde und Baden-Baden verzögerte sich wegen praktischer Schwierigkeiten trotz-dem bis in das Frühjahr 1991.34 Ab dem 3. Oktober 1990 verloren die gelben Kenn-zeichen der Militärverbindungsmissionen ihre Gültigkeit. Sie waren von den drei Stäben der Westalliierten sofort eingezo-gen worden.35 Angesichts der vollen Sou-veränität Deutschlands und vertraglicher Regelungen war den sowjetischen Militär-angehörigen nur ein Aufenthalt auf dem Territorium der fünf neuen Bundesländer gestattet. Ehemalige SMVM-Offiziere und deren Angehörige mussten die Bundesre-publik deshalb so schnell wie möglich ver-lassen. In den sowjetischen Missionsge-bäuden lagerten zu diesem Zeitpunkt noch

34 Ein als Fahrer tätiger Fähnrich der SMVM hatte sich im März 1990 in den Westen abgesetzt und bei westlichen Nachrichtendiensten ausgespackt. Der zweite Fall betraf im gleichen Jahr eine Schreibkraft aus dem GRU-Aufklärungs-zentrum Kalshorst. Am 18. November 1991 verhafteten Beamte des BKA den Chef der GRU-Dienststelle Magdeburg bei einem Agententreff in Wernigerode. Aus verschiedenen Funkaufklärungseinheiten der GRU begingen Wehrpflich-tige Fahnenflucht und suchten um politisches Asyl in der Bundesrepublik nach. Diese Überläufer sorgten dafür, dass westliche Dienste erstmals ein sehr präzises Bild vom Innenleben der GRU gewinnen konnten.

35 Die Einziehung der gelben Kennzeichen geschah nicht nur aus rechtlichen Erwägungen, sondern auch vor dem Hintergrund sie als Souvenirs mitzunehmen. Originalkenn-zeichen der alliierten MVM haben heute einen erheblichen Wert als Sammlerstücke. Die Bünder Mission erhielt für die Abzugsphase britische Militärkennzeichen.

erhebliche Mengen geheimer Materialien. Unter anderem Fahrtberichte, Fotos, Filme, Videos, Zeitungen und Zeitschriften. Die Verwaltung Aufklärung Wünsdorf ordne-te im Herbst 1990 eine Teilvernichtung entbehrlicher Unterlagen noch vor Ort an und die Rückführung aller geheimen Un-terlagen nach Moskau. Je nach Größe der Mission umfasste die abtransportierte Pa-piermenge trotzdem noch mehrere LKW-Ladungen. Ganz geordnet verlief der Rück-zug nicht. Aus Zeitmangel landeten viele Unterlagen einfach im Müll und wurden dort von westlichen Nachrichtendiens-ten direkt wieder geborgen. Die Dienste inspizierten auch die Missionsgebäude unmittelbar nach dem Abzug. Unterlagen der früheren sowjetischen Militärverbin-

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dungsmissionen lagern heute im Archiv des Generalstabs der russischen Armee. Sie befinden sich noch immer unter Ver-schluss.36 Alle SMVM-Fahrzeuge wurden zuerst nach Wünsdorf überführt und ver-schwanden dort auf wundersame Weise im Privatbesitz russischer Offiziere. Die Deak-tivierung der sowjetischen Missionen in der Bundesrepublik bedeutete 1990 noch nicht das Ende der militärischen Aufklärungs-tätigkeit. Nach der Wiedervereinigung bis zum endgültigen Truppenabzug im August 1994 stand Generalmajor Jewgeni Nikola-jewitsch Faleew der Verwaltung Aufklärung Wünsdorf vor. Ihm fiel eine sehr schwie-rige Aufgabe zu. Einerseits musste er die

36 Archiv des Generalstabs der russischen Armee, 103160 Moskau, K-160, Feldpostnummer 61379

Strukturen der militärischen Aufklärung – nun ohne die drei SMVM – an die neuen Bedingungen in einem wiedervereinigten Deutschland anpassen. Andererseits galt es, bei erhöhtem Fahndungsdruck durch westliche Dienste, die Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich aufrechtzuerhalten. Die russischen Militärliegenschaften waren nun förmlich umzingelt von westlichen Spionen. Der Verlust des MfS als Koopera-tionspartner verkomplizierte die Situation der GRU in der Anfangsphase erheblich.37 Dem Generalstab direkt unterstellte Ver-bände wie die 82. funktechnische Bri-gade besonderer Verwendung in Torgau,

37 Das MfS hatte der GRU umfangreiche logistische Unterstützung gewährt, die mit der Wiedervereinigung wegfiel. Unter anderem falsche Kennzeichen, konspirative Wohnungen, Telefonleitungen, Postfächer usw.

1994 der letzte noch voll funktionsfähige GRU-Truppenteil auf deutschem Boden, berichtete angesichts der neuen Situa-tion teilweise nun auch ohne Umwege nach Moskau, an den ersten Stellvertreter des Hauptstabs der GRU, Generalleutnant Wassili Alexandrowitsch Poscharski.38 Das Fachwissen früherer SMVM-Offiziere wird auch weiterhin vom russischen General-stab geschätzt. Die Spezialisten waren und sind teilweise bis heute in den russischen UN-Kontingenten im internationalen Ein-satz zu finden.

38 Wassili A. Poscharskii ist nicht mehr im aktiven Dienst der GRU. Er hat als Vize-Direktor der IWK Aktiengesellschaft inzwischen in die Wirtschaft gewechselt, wobei er seinem früheren Metier in gewisser Weise treu geblieben ist. Die IWK AG Moskau stattet das Verteidigungsministerium, die russischen Geheimdienste, Behörden und Sicherheitsfirmen mit speziellen Hard-und Softwarelösungen aus.

Abb. K315: Einer der Kontrollpassierpunkte zum Oberkommando der Westgruppe der

Truppen in Wünsdorf. Dort befand sich auch die für die SMVM zuständige Verwaltung

Aufklärung des Militärgeheimdienstes GRU.

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Operative Beobachtung

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Abb. K401: Im Zusammenwirken von operativen Beobachtungskräften der

Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt und der Deutschen Volkspolizei konnte die

B-MVM Nr. 5 am 23. Juni 1981 auf einer Kreuzung mitten in Karl-Marx-

Stadt erfolgreich blockiert werden. Den Insassen Capt. Mc Leod, Sgt. Haw und

Cpl. Roper wurde die Missachtung eines MVM-Verbotsschildes vorgeworfen. Als Lehrbeispiel für konspiratives Arbeiten

konnte diese Blockade nicht gerade gelten. Die Straßenkreuzung säumten

mehrere hundert Schaulustige.

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Kapitel 4 – Linie VIII

Überwachung der MVM/MI

M it dem Befehl 28/671 übertrug der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke im August 1967 die

gesamte Verantwortung für die Organisa-tion, die Planung und den Vollzug der po-litisch-operativen Abwehrarbeit gegen die Tätigkeit der drei westlichen Militärverbin-dungsmissionen und Militärinspektionen an die Hauptabteilung VIII. In diesem Be-fehl und der dazu erlassenen 1. Durchfüh-rungsanweisung2 wurden alle Aufgaben, die zuvor in der Dienstanweisung 2/603 ge-regelt waren, präzisiert und zugleich eine Grundlage für eine tatsächlich linienbezo-gene Abwehrarbeit geschaffen. Die Spezifik der Abwehrarbeit innerhalb der bisherigen „Abteilung MVM“ und deren Unterstellung unter zuvor wechselnde Linien des MfS machte eine Verlagerung der Aufgaben in eine Hand notwendig. Das hatte eine Analyse der Wirksamkeit der bisherigen Strukturen ergeben. In der Konsequenz be-deutete das eine Verlagerung der Abwehr-arbeit. Sie musste nun überwiegend mit den Kräften, Mitteln und Methoden der operativen Beobachtung realisiert werden und übertrug der HA VIII den Hauptanteil an der Aufdeckung und Beweisführung der „Feindtätigkeit“ des MVMPersonals.4 Im Zuge der kommenden Aufgabenüber-tragung wurde die Linie VIII bereits 1966 grundlegend mit neuer Fahrzeugtechnik ausgestattet, besonders der Typen BMW 1800 und 2000. Mit den schnellen Flit-

1 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 0012372 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 0012393 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 0022664 Der Befehl 28/67 sah vor, innerhalb der HA VIII die Abtei-

lungen 9 (Militärverbindungsmissionen) und 10 (Verkehrs- und Transitwege – Straße – und Militärinspektionen) sowie in den Abteilungen VIII der Bezirksverwaltungen jeweils ein Referat 4 (Verkehrs- und Transitwege – Straße – und Militärverbindungsmissionen) bzw. in Groß-Berlin ein Referat 4 (Verkehrswege) zu bilden. Dazu waren innerhalb des MfS die bisherige Abteilung 6 der HA VII (operati-ve Bearbeitung und Überwachung der drei westlichen Militärverbindungsmissionen) und die bisherige Abteilung 7 der Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung (Sicherung der Verkehrswege) aus den Hauptabteilungen mit Personal und Technik herauszulösen und der HA VIII zu unterstellen. In den Bezirksverwaltungen Rostock, Neubrandenburg, Schwerin, Frankfurt/Oder, Potsdam, Magdeburg, Halle, Cottbus, Dresden, Leipzig, Erfurt, Karl-Marx-Stadt und Gera erfolgte die Herauslösung von Mitarbeitern mit den Planstellen, der Technik und den Kraftfahrzeugen aus den Abteilungen Passkontrolle und Fahndung, Arbeitsgruppe Sicherung der Verkehrswege, in die Unterstellung der jeweiligen Abteilung VIII. Das Sachgebiet „Militärverbin-dungsmissionen“ der Abteilung VII der Bezirksverwaltungen wurde an die Abteilungen VIII der Bezirksverwaltungen übergeben. BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 001237, S. 2 f.

zern aus westlicher Produktion sollten die Verfolger des MfS wenigstens in die Lage versetzt werden, den MVM-Fahrzeugen auf Augenhöhe zu begegnen. Neben der operativen Beobachtung der Fahr- und Aufklärungstätigkeit des MVM-Personals wurden die Mitarbeiter der HA VIII auch zur operativen Beobachtung der MVM-Angehörigen während ihres Aufenthalts in Hotels, Gaststätten und Bars eingesetzt. Zu diesem Zweck fuhren die Mitarbeiter des MfS bei Bekanntwerden der Übernachtung von MVM-Angehörigen in den Abend-stunden zu den Übernachtungsorten, führten über Nacht die Beobachtungen in den Gaststätten und Bars durch und hat-ten dann die Aufgabe, am nachfolgenden Tag die Beobachtung fortzusetzen. Diese Methode war äußerst personal- und zeit-aufwändig, verschaffte den Beobachtern jedoch zeitweise sehr gute Erfolge. Bei Übernachtungen der MVM-Angehörigen, besonders in den Nordbezirken, fuhren zu-dem „sowjetische Tschekisten“ mit, um in den Hotels eigene Überwachungsaufgaben zu lösen.5 Mit dem Befehl 28/67 erging an die Hauptverwaltung VIII auch die Aufgabe zur Schaffung einer operativen Beobacht-ergruppe mit hauptamtlich tätigen inoffi-ziellen Mitarbeitern. Ohne Zeitverzug wur-de unter erheblichen Problemen mit der Umsetzung dieses Vorhabens innerhalb des MfS begonnen. Die IM-Beobachtergruppe war vorwiegend zum Einsatz gegen die drei westlichen MVM vorgesehen6 und sollte dafür bis 1980 – entsprechend des Pers-pektivplans der HA VIII – personell kräftig aufwachsen. In der Anfangsphase bestand der Zwang zum schnellen Aufbau einer funktionsfähigen Beobachtergruppe. Aber schon der Aufbaustab brachte wenig Erfah-rungen auf diesem Gebiet mit und ließ bei der Suche und Auswahl möglicher Kandi-daten zudem auch noch die nötige Sorgfalt vermissen. Aus Gründen der Bequemlich-keit und um möglichst schnell Erfolge nach oben vermelden zu können, übernahm die

5 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 2626 In der Realität wurden die operativen MVM-Beobachter in-

nerhalb der Linie VIII oft für andere Zwecke herangezogen, z. B. zur Transitbeobachtung.

HA VIII/57 zahlreiche inoffizielle Mitarbei-ter anderer Linien in ihre Reihen, unab-hängig davon, welche Aufgaben sie vorher erfüllt hatten. Ihre bereits unter Beweis gestellte Treue und Ehrlichkeit zum MfS war zunächst wichtiger als jede Eignung für die operative Beobachtung. Einige Li-nien hatten eindeutig auch Kandidaten zur Übernahme „angeboten“, für die sie selbst keine Verwendung hatten und auf diesem Weg loswerden wollten. Schon zu Beginn der 70er Jahre stellte sich in der tägli-chen Praxis heraus, dass von dem ange-heuerten Personalbestand die geforderten physischen, intellektuellen und fachlichen Anforderungen für die „Arbeitsrichtung MVM“ nicht erbracht werden konnten. Selbst Qualifizierungslehrgänge schafften kaum Abhilfe. Die breite Masse hauptamt-licher IM-Beobachter ließ sich nicht auf das geforderte Niveau heben. Bezüglich der Gewinnung geeigneten Nachwuchses beschritt die HA VIII/5 daher den vermeint-lichen Königsweg aller anderen Linien des MfS auch, nämlich zunächst systematisch unter den künftigen Wehrpflichtigen des Wachregiments „Feliks E. Dzierzynski“8 Ausschau zu halten. Das Gerangel um die Kandidaten aus dem Wachregiment ging aber häufig zugunsten der Diensteinheiten des MfS aus, die lukrative Posten mit Auf-stiegsmöglichkeiten zu vergeben hatten. Dazu zählte die operative Beobachtung der HA VIII nicht. Eine gute Reifeprüfung für das Beobachtungswesen beschied neben dem Wachregiment auch der vorgesehene Einsatz an der Staatsgrenze West.9 Bedingt durch die Aktion „Grün“ lagen dortbereits bestimmte Überprüfungsergebnisse vor, die einen Ausgangspunkt für die Suche nach geeigneten Kandidaten10 bildete. Nach einer kurzen Personenaufklärung, die bis zur endgültigen Übernahme als IM-Beobachter weitergeführt wurde, erfolgte

7 In den 70er Jahren fand eine erneute Umgliederung inner-halb der HA VIII statt. Die Abteilung MVM wechselte die Nummer von HA VIII/9 auf HA VIII/5 und die MI-Beobach-tung ging von der HA VIII/10 an die HA VIII/3.

8 Wachregiment des MfS9 Einsatz bei den Grenztruppen der NVA, später Grenztruppen

der DDR10 häufig bereits schon im jugendlichen Alter

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zunächst die Werbung des Kandidaten als IMS11 und mit Beginn des Wehrdienstes die Übergabe an die HA I.12 Nach der Ableis-tung des Wehrdienstes mit positiver Be-urteilung übernahm dann nahtlos die HA VIII/5 den IMS, um ihn nach einer weiteren bestandenen Eignungsprüfung als haupt-amtlichen IME13 für die HA VIII zu bestä-tigen.14 Für dieses Vorgehen setzte die HA VIII auf die territorial guten Beziehungen mit dem Referat Abwehr/Aufklärung der Bezirksverwaltung Potsdam im Wehrbe-zirkskommando, um einen direkten Zugang zu den angehenden Wehrpflichtigen zu erhalten. Die HA VIII/5 nahm die Werbung der IMS selbst vor und begründete das mit einer Entlastung der Mitarbeiter des

11 IMS – Inoffizieller Mitarbeiter, der mit der Sicherung eines gesellschaftlichen Bereichs oder Objekts beauftragt ist.

12 HA I – zuständige Diensteinheit des MfS für die Abwehrar-beit in der Nationalen Volksarmee und den Grenztruppen der DDR

13 IME – Inoffizieller Mitarbeiter im bzw. für einen besonderen Einsatz, 1958 unter der Bezeichnung „Geheimer Mitarbeiter im besonderen Einsatz“ eingeführte, 1968 spezifizierte Kategorie des inoffiziellen Mitarbeiters, der aufgrund seiner Fähigkeiten und Voraussetzungen sowie vorhandener oder zu schaffender Möglichkeiten außerhalb seines sonstigen Tätigkeitsbereichs „zur Lösung spezieller politisch-opera-tiver Aufgaben“ eingesetzt wird. Mit Richtlinie 1/79 vom 8.12.1979 nochmals definiert.

14 BStU, MfS, JHS, MF, GVS Nr. 161/76, S. 9

Referats Abwehr/Aufklärung, die ohnehin verpflichtet gewesen wären, in jeder Kom-panie inoffizielle Mitarbeiter zu gewinnen. Der Vorteil für die HA VIII/5 bestand bei diesem Vorgehen vor allem in der langfris-tig gesicherten Möglichkeit zur kontinuier-lichen Personalgewinnung, einer Überprüf-barkeit der Zuverlässigkeit des IM während des Grenzdienstes und die Einflussnahme auf die Ausbildung durch den Besuch von Sonderlehrgängen im Interesse der späte-ren Einsatzrichtung MVM. Die Potsdamer Wehrpflichtigen mit einem Einberufungs-befehl zu den Grenztruppen erhielten zu einem überwiegenden Teil ihre Ausbildung im Grenzausbildungsregiment 7 in Halber-stadt. Um die Laufbahn ihrer Schützlinge beeinflussen zu können und den Kontakt der IM zu den verantwortlichen operati-ven Mitarbeitern in Potsdam auch wäh-rend des Wehrdienstes aufrechtzuerhalten, stellte die HA VIII/5 feste Arbeitskontakte zu der jeweiligen Unterabteilung der HA I in den Grenztruppen her. Die Fahrten der drei westlichen Militärinspektionen (MI) in die sowjetische Besatzungszone Ostberlin rückten erst nach dem Bau der Berliner

Mauer am 13. August 1961 verstärkt in den Blickwinkel des MfS. Denn von die-sem Zeitpunkt an waren die in Westberlin stationierten Besatzungsmächte faktisch gezwungen, bei ihrer Ein- und Ausreise in die Hauptstadt der DDR nur noch einen Grenzübergang, den „Checkpoint Charlie“15 an der Friedrich/Zimmerstraße, zu benut-zen.16 Diese erzwungene Kanalisierung des alliierten Ein- und Ausreiseverkehrs ver-setzte das MfS erstmals in die Lage, einen genauen Überblick über die rund um die Uhr passierenden Personen und Fahrzeuge zu gewinnen, selbst wenn die Grenzab-fertigung formal ohne jegliche Kontrolle erfolgte. Nur alliierte Militärangehörige in zivil zeigten den Passkontrolleuren des MfS ihre Militärkennkarten vor. Da die MI-Angehörigen im Gegensatz zu den MVM nicht bei der GSSD akkreditiert waren, bestand bis Mitte der 60er Jahre für das MfS kaum ein Überblick, um welche Perso-nen es sich bei den Militärangehörigen der Militärinspektionen tatsächlich handelte.

15 Allied Checkpoint Charlie hieß der Grenzübergang nur auf der Westberliner Seite.

16 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5820, S. 89

Abb. K402: Capt. Mac Leod verhandelt nach einer aufgelösten Blockade am 23. Juni 1981 mit sowjetischen Offizieren vor der Kommandantur Karl-Marx-Stadt. Rechts im Bild ein operativer Beobachter des MfS.

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Kapitel 4 – Linie VIII

Der Personenkreis wechselte häufig und die MI-Fahrzeuge waren auch nicht durch besondere Nummernschilder wie die der MVM kenntlich gemacht.17

Das MfS begann im Rahmen der inneren Abwehr mit einer systematischen Bearbei-tung der Angehörigen der in Westberlin stationierten amerikanischen, britischen und französischen Besatzungstruppen. Dafür bot sich das „Schlupfloch“ an der Friedrich-/Zimmerstraße förmlich an. Die Dienst einheit HPF18 erfasste bei der Ein-reise zunächst alle Fahrzeuge und Perso-nen und meldete sie umgehend an die HA VIII. Die HA VIII bereitete diese Daten nach Merkmalen wie Kraftfahrzeugtyp, Kennzei-chen, Anzahl der Insassen - getrennt nach Uniformierten und Zivilpersonen - auf und speiste sie in eine Datenbank. Zwi-schen 1967 und 1969 verzeichnete das MfS bei der Grenzpassage an der Friedrich/Zimmerstraße eine ständig steigende An-zahl alliierter Fahrzeuge. Gezählt wurden zunächst 9630, 10713 und dann 12212 Fahrzeuge. Davon betrug der Anteil der erkannten oder den MI zugerechneten Fahrzeugen 3715, 3695 und 4176. Im täg-

17 Stand 1989: Die MI der USA benutzten bei ihren Aufklä-rungsfahrten Pkw vom Typ Ford Scorpio 2.0 icl mit den Kennzeichen BC-102, BC-104 und BC-105 sowie einen Opel Kadett Diesel BC-103. Diese Fahrzeuge waren olivgrün lackiert. An den Kotflügeln und am Heckteil waren Abzieh-bilder mit der Flagge der USA angebracht. Die Kfz hatten geprägte Kennzeichen (gelber Untergrund und schwarze Beschriftung). An den Vordertüren befanden sich taktische Angaben (z.B. US-Army IB 500486). Auf dem hinteren Teil des Dachs war eine Funkantenne installiert. Die Aufklä-rungskräfte der MI Großbritanniens nutzten vorwiegend Fahrzeuge des Typs Mercedes 280 GE mit Dachluke in grü-ner Lackierung. Am Heck links war die Flagge Großbritanni-ens und rechts ein taktisches Zeichen (B/81) angebracht. Die Kennzeichen der Kfz waren geprägt, hatten einen schwarzen Untergrund und weiße Beschriftung. Sie setzten sich aus 2 Zahlen 2 Buchstaben, 2 Zahlen zusammen. Aktuell benutzte Kennzeichen waren 07XK90, 09XK10, 09XK11. Zeitweilig gelangten auch Fahrzeuge der Marken Opel Kadett und Rekord weiß oder schwarz und VW-Kleinbusse, grün, zum Einsatz. Die MI Frankreichs setzten Fahrzeuge der Typen Mercedes Jeep Diesel mit den Kennzeichen 6871-3875 sowie Opel Kadett ein. Die Mercedes waren grün lackiert und mit Dachluken ausgestattet, schwarz lackiert waren die Opel Kadett. Die geprägten Kennzeichen wiesen eine weiße Beschriftung auf rotem Untergrund auf. Am Anfang des Kennzeichens befand sich die französische Flagge, danach folgten 3, nach einer Trennung 4 Ziffern (z.B. 6910059) oder 4 und nach einer Trennung nochmals 4 Ziffern (z.B. 6801-1247). Am Heckteil der Fahrzeuge befanden sich verschiedene taktische Zeichen. Die Funkantennen waren auf dem Dach der MI-Fahrzeuge installiert. BStU, MfS, HA IX Nr. 4741, S. 32 f.

18 HPF – Der Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung oblag als Diensteinheit des MfS mit ihrer Gründung im Jahr 1964 die alleinige Zuständigkeit für die Passkontrolle und Fahndung (vorher gemeinsam mit Grenzkontrollkräften der NVA). 1970 erfolgte die Eingliederung der HPF in die neu gebildete HA VI.

lichen Durchschnitt waren in den Jahren 1967, 1968 und 1969 somit acht amerika-nische19, zwei britische und zwei französi-sche Militärinspektionen in die Hauptstadt der DDR eingereist. Die gestiegene Tendenz in der Gesamtzahl der Einreisen alliier-ter Militärangehöriger rechnete das MfS vor allem den Privatfahrten und nicht der Aufklärungstätigkeit zu.20 Nur 15 bis 25 % aller eingereisten MI-Fahrzeuge konnte die HA VIII im Durchschnitt teilweise oder durchgehend unter konspirative operati-ve Kontrolle stellen. Der Einsatz der ope-rativen Beobachter folgte den Kriterien „politisch-operative Gesamtsituation“21 und „Schwerpunktfahrzeuge“22. Da auch die privat eingereisten Militärangehörigen einer sporadischen Überwachung durch die HA VIII unterlagen und andere Dienstein-heiten des MfS zusätzlich gezielte Obser-vationen von Ausländern in Auftrag gaben, bestand ein gewisser Zwang zur Bündelung der Beobachtungskräfte in der Hauptstadt. Sie standen nur begrenzt zur Verfügung. Besichtigungsfahrten, Einkäufe und Gast-stättenbesuche von alliierten Besuchern genossen vergleichsweise wenig Priorität, selbst wenn das MfS argwöhnisch die Kon-takte mit DDR-Bürger verfolgte. 1968 stell-te das MfS mehrfach fest, dass Fahrzeuge der drei westlichen MI an verschiedenen Stellen das Stadtgebiet von Ostberlin un-kontrolliert in Richtung DDR verlassen hat-ten, sich unbestimmte Zeit dort aufhielten und auch wieder unkontrolliert zurückfuh-ren. Die Blockade einer MI-Besatzung am VP-Kontrollpunkt Schönerlinde zeigte der DDR das Dilemma des Berlin-Status auf.23 Die formal zuständige Stadtkommandantur der NVA Berlin konnte zwar die Klärung der Identität der MI erzwingen, war dazu aber dazu im Grunde nicht ermächtigt. Ech-te Sanktionsmöglichkeiten gegen die MI

19 Die HA II gab 1970 als Quartier der amerikanischen MI die Rohlfstraße 15 in Berlin 33 an. BStU, MfS, HA VIII Nr. 5820, S. 145

20 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5820, S. 9121 Fest- und Feiertage, Staatsbesuche, Militärparaden, militä-

rische Übungshandlungen22 Fahrzeuge und Besatzungen, die durch ihr Verhalten bereits

in vorherigen Beobachtungen aufgefallen waren (Fahrver-halten, Interesse für spezielle Objekte, Personenanspra-chen).

23 BStU, MfS, HA VIII Nr. 1525, S. 112

standen ihr ohnehin nicht zur Verfügung. Für die nicht direkt unter Kontrolle gestell-ten Fahrzeuge sah die Meldeordnung der HA VIII im Rahmen der Aktion „Aufbau“24 vor, die MI-Feststellungen der Wach- und Sicherungskräfte der NVA, VP und des Wachkommandos Missionsschutz an den Botschaften und diplomatischen Vertre-tungen an die HA VIII fließen zu lassen, um das Überwachungsnetz enger knüpfen und die jeweiligen Aufenthaltsorte erfas-sen zu können. Durch Koordinierung und wechselseitigen Informationsaustausch mit anderen Diensteinheiten und Linien sollte eine Konkretisierung und Straffung der Abwehrmaßnahmen erreicht werden. Bestimmte Objekte waren im Zusammen-spiel von HA II und den Kreisdienststellen abzusichern. Die Vorbereitung und Absi-cherung von Paraden in Berlin erforderte besondere Anstrengungen vom MfS. Die Linen I und XIX waren dann auf die Infor-mationen der HA VIII angewiesen, um die dafür notwendigen Truppenbewegungen und Sperrräume vor den Blicken der MI zu verschleiern. Im Rahmen der Spezialaufga-be „Wetka“25 kam 1981 die Abteilung 4 der Hauptabteilung II mit großen Erwartungen auf die HA VIII/5 zu und meldete gleicher-maßen detailgenauen wie umfangreichen Informationsbedarf an. Doch „... da die übersandten Monatsberichte der HA VIII/5 nur einen Teil der angegriffenen Objekte beinhalten und hauptsächlich statistischen Charakter tragen, macht sich die Prüfung einer Möglichkeit, folgende Fragen präzise

24 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5820, S. 92 und BStU, MfS, HA VIII Nr. 1525, S. 42 „Erfassung von Personen und Fahrzeugbe-wegungen der in die Hauptstadt der DDR eingereisten Per-sonen aus Westdeutschland, anderen nichtsozialistischen Staaten und Westberlin“ mit methodischen Erläuterungen. Aufbauend auf der Aktion „Vorwärts“ (Instruktion vom 13.4.1967) nahm das MfS am 23.9.1967 für seine Mitarbeiter und Zivilangestellten ein neues, automati-siertes Telefonsystem in Betrieb genommen. In der Aktion „Aufbau“ waren MI-Feststellungen durch MfS-Mitarbeiter über dieses System sofort meldepflichtig. Sie sollten dafür aus dem öffentlichen Fernsprechnetz die Nummern 554078 oder 554143 (MfS-Hausapparat 3800) wählen, die Bandansage „Hier ist der Kundendienst. Die von Ihnen ge-wählte Rufnummer ist zur Zeit gestört. Bitte legen sie auf!“ abwarten, nach fünf akustischen Zeichen das Kennwort „Aufbau“ sagen und dann die Meldung unter Nennung der handschriftlich im Dienstausweis eingetragenen Mitarbei-ternummer durchgeben.

25 Der operative Komplex „Wetka“ der HA II/4 bezog sich auf eine Verbesserung der Militärspionageabwehr an sowjeti-schen Flugplätzen. BStU, MfS, HA II Nr. 33507, S. 10

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zu beantworten, erforderlich: 1. Konkrete Angaben zum aufgeklärten Objekt (nicht Stadtobjekte im Komplex, sondern einzeln aufführen). 2. Was war während der Aufklärungs-handlung im jeweiligen Objekt feststellbar? 3. Handlungsweisen der Besatzungs-mitglieder der MVM-Kfz am Objekt (Beob-achtung, Fotodokumentation, Notizen u. a.) 4. Festgestellte Standorte der MVM-Kfz an Objekten bzw. in ihrer Nähe wie z. B. Einflugschneisen u. a. (Eintragung dieser Standorte auf Skizzen und Weiter-leitung an die HA II/4) 5. Verletzungen der MVM-Sperrgebiete und Benennung der im Sperrgebiet ange-griffenen Objekte. 6. Bei festgestellter verstärkter Auf-klärungstätigkeit der drei westlichen MVM in bestimmten Räumen bzw. an einzelnen Objekten unverzügliche Informierung der Abt. II der jeweilgen BV und der HA II/4. 7. Bei verstärkten militärischen Ak-tivitäten wie Übungen, Manöver u. a. der GSSD und NVA ausschließlich detaillierte Informationen über Handlungen der MVM, Standorte, Dauer des Aufenthaltes, was konnte zu dem Zeitpunkt gesehen werden? 8. Bei unplanmäßiger Turnusänderung eines oder mehrerer MVM-Kfz der HA II/4 möglichst bald Kenntnis geben über ein-geschlagene Richtung und neuen Aufklä-rungsraum. (Was wurde in diesem Raum festgestellt und hat das Interesse der MVM hervorgerufen?) 9. Wenn möglich Karte mit Einzeich-nung der ständigen Fahrtstrecken der MVM auf dem Gebiet der DDR (Potsdam als Aus-gangspunkt. Wenn keine Karte vorhanden dann Beschreibung der Strecken.) 10. Alle festgestellten Kontakte von MVM-Angehörigen zu DDR-Bürgern sowie Angehörigen der GSSD und NVA mit fest-gestellten Personalien, Art des Kontaktes und Gesprächsthemen an HA II/4. 11. Prüfung der Möglichkeit der Er-arbeitung einer Analyse der am meisten durch die MVM angegriffenen Objekte der GSSD und NVA. Derart detailgenaue Daten konnte die Linie

Abb. K403: Ein operativer Beobachter des MfS fotografiert am 23. Juni 1981 vor der sowjetischen Kommandantur in Karl-Marx-Stadt mit versteckter Fototechnik in das Innere der B-MVM Nr. 5.

Erkannte Aufklärungsfahrten der MVM (1960-1987)*

1960 1978 1982 1987

Fahrten 1534 3023 3000 2314

Aufenthaltsdauer (Stunden) 14740 43427 45161 47799

Aufklärungshandlungen 262 1197 2061 3093

Vorbeifahrten an mil. Objekten und Kfz 120 1046 9190 12493

* BStU, MfS, HA VIII Nr. 8893, S. 10

Abb. K404: Operative Beobachter des MfS fotografieren dem aus einer Blockade entlassenen OpelSenator 3.0 S der B-MVM Nr. 11 in Havelberg, Bezirk Magdeburg, hinterher.

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Kapitel 4 – Linie VIII

waren diese Hinweise kaum von prakti-schem Nutzen. Tatsächlich standen die MVM-Fahrzeuge nur minimal unter di-rekter „operativer Kontrolle“ der Beobach-tungskräfte. Da die westlichen Missionen sich mit ihren Fahrzeugen überwiegend in den späten Abend- und Nachtstunden in die DDR begaben, standen zu dieser Zeit fast gar keine Kräfte der operativen Be-obachtung zur Verfügung. Nachts schien die MVM-Beobachtung des MfS zudem im wahrsten Sinne des Wortes blind zu sein. Es fehlten Nachtsichtgeräte, um die mit Infra-rotlicht fahrenden MVM-Fahrzeuge zu ver-folgen oder die Besatzungen an Objekten und Marschstraßen konspirativ aufspüren zu können. Das theoretisch gut durchdach-te MVM-Meldesystem des MfS krankte in der täglichen Praxis an Gleichmut, Büro-kratie und mangelnder Einsicht die Not-wendigkeit. Das Zusammenwirken mit den anderen Schutz- und Sicherheitsorganen lief nur an der langen Leine. 1985 sank

das Niveau der Meldungen erneut. Über-prüfungen und Recherchen des MfS in den einzelnen Bezirksverwaltungen ergaben, dass IM-Feststellungen oder Meldungen von Angehörigen der VP und ihren Helfern entweder gar nicht oder nur in ganz ge-ringem Maße über die Vorgesetzten an die HA VIII/5 weitergeleitet wurden. Von den 100 000 gedruckten und ausgegebenen Meldezetteln kam nur ein kleiner Teil zur Linie VIII zurück. Durch die Auswertungs- und Kontrollgruppe der HA VIII erfolgte anhand der Rückläufe eine Einspeiche-rung in der Zentralen Personendatenbank (ZPDB) der Abteilung. Allerdings nur dann, wenn das MfS zu der Meldung auch einen operativer Sachverhalt erarbeitete. Alle Hinweise, zu denen nur ein Aufenthalt in der DDR an den verschiedenen Orten ge-meldet wurde, galten als nicht speicher-würdig in der ZPDB. Die Chance einer EDV-Aufbereitung aller Meldungen, gleichgültig ob vollständig oder nicht, wurde vertan. Diese Daten hätten zu Bewegungsprofi-len für jedes Fahrzeug zusammengefasst werden können. Selbst nachträgliche Tie-fenrecherchen nach bestimmten Kriterien wären auf diesem Weg möglich geworden. Das MfS erfasste die Einzelmeldungen da-gegen nur noch statistisch und archivierte die Originalmeldungen in Papierform. Dem schnellen Zugriff an zentraler Stelle waren sie damit entzogen. Neben den Schwächen im Meldesystem bestanden auch Schwie-rigkeiten im Zusammenwirken der ein-zelnen Beobachtergruppen verschiedener Bezirke und die jeweilige Übergabe unter Beobachtung stehender MVM-Fahrzeuge an den Bezirksgrenzen.27 Obwohl der HA VIII/5 täglich die zur Verfügung stehenden MVM-Beobachtungskräfte aller Bezirke gemeldet wurden, kam es in der Praxis vor, dass sie auf Abruf nicht zur Verfügung standen, da sie in den Bezirken kurzerhand für andere Aufgaben herangezogen wur-

27 Die vier Beobachtungssektoren der westlichen MVM gingen quer über mehrere Bezirksgrenzen der DDR. Das führte zu praktischen Schwierigkeiten in der Abstimmung der operativen Beobachter untereinander, wenn sie an der Bezirksgrenze das zu verfolgende MVM-Fahrzeug an das nächste zuständige Beobachtungsteam der anderen Bezirksverwaltung übergeben mussten.

VIII nur in ganz wenigen Ausnahmefäl-len liefern. Die HA II/4 bemängelte intern schon kurze Zeit nach dem vereinbarten Informationsaustausch mit der Linie VIII die offenkundig bestehenden strukturel-len Probleme in der HA VIII/5.26 Bereits die bei der HA VIII/5 überhaupt einlaufenden Informationen über sämtliche Bewegungs-abläufe der drei westlichen MVM auf dem Territorium der DDR waren für eine Bewer-tung unter operativen Gesichtspunkten der vorbeugenden Spionageabwehr völlig unzureichend. Für jedes eingereiste MVM-Fahrzeug gingen Mitte der 80er Jahre im Schnitt vier bis fünf Hinweise über Fahrt-strecken und Aufenthalte beim MfS ein. Den überwiegenden Teil dieser Feststellun-gen bildeten Fahrten auf den Transitauto-bahnen, denn dort lag eine vergleichsweise engmaschige Kontrolle des Verkehrs vor. Selbst für die MVM-Beobachtungskräfte

26 BStU, MfS, HA II Nr. 33507, S. 39 f.

Abb. K405: Bildmappe der MfS-Kreisdienststelle Wernigerode zur Identifizierung des aktuellen Fahrzeug-bestands der drei westlichen Militärverbindungsmissionen. Geländewagen Typ Range Rover, 1980 bei der USA-MVM mit den Nr. 27 und 29, B-MVM mit den Nr. 3, 4 und 5 und der F-MVM Nr. 37 im Einsatz.

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den. Häufig arbeitete die Einsatzrichtung MVM „zweckentfremdet“ im Bereich der personalintensiven und stets unterbesetz-ten Transitbeobachtung. Die Umsetzung der zentralen Vorgaben für einen Über-gang zum System der „Erwartungsbeob-achtung“ fand in allen Bezirken der DDR nicht statt. Langfristig durch die HA VIII/5 geplante Großeinsätze28 zur Feststellung von MVM-Bewegungen und Aktivitäten zeigten an Schwerpunktobjekten zwar gewisse Erfolge. Der oft mehrwöchige Ein-satz in einem eng begrenzten Gebiet band aber so viele Kräfte verschiedener Dienst-einheiten, dass Aufwand und Nutzen häu-fig in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu den erzielten Ergebnissen standen. Die Konspiration dieser Großeinsätze ließ in ländlichen Regionen zudem zu wünschen übrig. Wochenlang im Wald eingegrabe-ne Beobachtungskräfte fielen der Bevöl-kerung schlicht auf. Spätestens wenn die Dorfjugend auf Anweisung der Eltern den „armen Soldaten“ Bier und Stullen vorbei-brachte, konnte das MfS sprichwörtlich einpacken. Die westlichen MVM waren durch ihre tägliche Arbeit im Feld so gut geschult, dass ihnen jede noch so kleine Abweichung auffiel und sie das Gebiet da-raufhin sofort verließen. Die aus der Sicht des MfS „zunehmende Aggressivität“29 der Militärverbindungsmissionen durch zielgerichtete Aufklärungsaktivitäten ge-gen das militärische und ökonomische Potential auf dem Territorium der DDR verlangte ab etwa Mitte der 70er Jahre nach grundlegenden Reformen der Be-obachtungsstrukturen und veränderten Wegen in der MVM-Abwehr. Die MVM-Beobachung stagnierte. Mit wachsender Sorge verfolgte das MfS gleichzeitig den immer größeren Stellenwert der drei MVM im Bereich der westlichen Nachrichten-dienste. Der Löwenanteil aller bedeut-samen NATO-Erkenntnisse hinsichtlich

28 Beispielsweise Komplexeinsatz „Nordlicht“. 1986 plante die HA VIII/5 zwei mehrwöchige Großeinsätze unter Einbeziehung der Bezirke Frankfurt/Oder, Neubranden-burg, Schwerin, Rostock (Mai 1986) und Cottbus, Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt (Juni 1986). BStU, MfS, HA II Nr. 33507, S. 40

29 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 206

militärischer Stärken und Schwächen der GSSD und NVA gingen direkt auf die Ar-beit der MVM zurück. Kein anderer Zweig der westlichen Geheimdienste konnte aus nächster Nähe vergleichbar zielgerichtet und erfolgreich militärische Erkenntnisse des Gegners direkt vor Ort beobachten, erheben und analysieren. Entsprechend argwöhnisch beäugte das MfS die Zusam-mensetzung des Personals bei den Missi-onen. Ausgemacht wurde schließlich eine „... zunehmende Durchdringung des Perso-nalbestandes mit nachrichtendienstlichen und technischen Spezialisten ...“ sowie die enge Verflechtung „... der personellen und institutionellen Beziehungen zu den Ge-heimdiensten der drei Westmächte.“30 Unabhängig von dem strukturellen Um-bau in der HA VIII/5 verschoben sich mit der Dienstanweisung 2/7731 des Ministers für Staatssicherheit die Zielstellungen und Schwerpunkte der MVM-Abwehr eindeutig in Richtung einer Personenaufklärung. Im Tenor entsprach auch die Dienstanweisung 2/77 den vorhergehenden Weisungen32 zur MVM-Abwehrarbeit. Die DA 2/77 for-mulierte alle grundsätzlichen Aufgaben der HA VIII und der Abteilungen VIII der Bezirksverwaltungen:33

1. Die operative Beobachtung der An-gehörigen der MVM/MI auf dem Territorium

30 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 20631 Dienstanweisung 2/77 zur politisch-operativen Abwehrar-

beit gegen die Angehörigen der drei westlichen Militärver-bindungsmissionen und Militärinspektionen. BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065

32 Dienstanweisung Nr. 2/60 vom 19.2.1960 „Westliche Mili-tärverbindungsmissionen“ GVS MfS 324/60; Änderung der Dienstanweisung Nr. 2/60 vom 15.3.1960 GVS MfS 389/60; Schreiben des Ministers zur Dienstanweisung Nr. 2/60 vom 2.6.1962 GVS MfS 007-791/62; Befehl Nr. 293/65 vom 29.5.1965 „Maßnahmen zur Sicherung der Dienstobjekte des MfS vor provokatorischen Handlungen der amerikani-schen, englischen und französischen MVM in den Bezirken der DDR“ GVS MfS 007-213/65; 1. Ergänzung vom 1.8.1967 zum Befehl Nr. 293/65 GVS MfS 008-266/67; Befehl Nr. 294/65 vom 29.5.1965 „Maßnahmen zur Sicherung der Dienstobjekte des MfS vor provokatorischen Handlungen der amerikanischen, englischen und französischen MVM in der Hauptstadt der DDR“ GVS MfS 007-215/65; Befehl Nr. 28/67 vom 1.8.1967 „Politisch-operative Absicherung der zeitweilig zugelassenen Verkehrs-und Transitwege – Straße – und die Abwehrmaßnahmen, mit denen subversive Handlungen der drei westlichen MVM und der drei MI verhindert werden müssen“ GVS MfS 008-263/67; Durch-führungsanweisung Nr. 1 vom 1.8.1967 zum Befehl Nr. 28/67 „Die politisch-operative Absicherung der zeitweilig zugelassenen Verkehrs-und Transitwege (Straße) zwischen Westdeutschland und Westberlin, der Transitwege (Straße) und der Objekte sowie Tätigkeit der drei westlichen MVM auf dem Gebiet der DDR und der MI in der Hauptstadt der DDR“ GVS MfS 008-264/67.

33 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 8 ff.

der DDR sicherzustellen. 2. Im abgestimmten Vorgehen mit der sowjetischen Militärabwehr eine Aufklärung der Angehörigen der MVM zu organisieren. 3. Zum wirksamen Schutz der Angehö-rigen der drei westlichen MVM und ihrer Objekte in Potsdam Maßnahmen zu tref-fen, die sie vor terroristischen Gewaltakten und anderen provokatorischen Handlungen schützt, im Zusammenwirken mit der sow-jetischen Militärabwehr. 4. Aufklärung und operative Bearbei-tung bedeutsamer Kontakte der MVM-An-gehörigen zu Personen, die im Sicherungs-bereich der Objekte der MVM beobachtet werden. 5. Durchführung und personen- und vorgangsbezogenen politisch-operativen Maßnahmen in und nach dem Operations-gebiet Westberlin. 6. Zentrale Auswertung aller Informa-tionen über die Bewegungen, den Aufent-halt und die Handlungen der Angehörigen der MVM/MI auf dem Territorium der DDR. 7. Erarbeitung von Informationen für die in die politisch-operative Abwehrarbeit einbezogenen operativen Diensteinheiten über in ihrem Verantwortungsbereich er-kannte politisch-operative Schwerpunk-te, Angriffsrichtungen, Pläne, Absichten, Maßnahmen, Mittel und Methoden sowie operativ bedeutsame Handlungs- und Ver-haltensweisen der MVM. Die operative Beobachtung war auf sol-

Kennzeichen der drei westlichen MVM (1989)*

GB-MVM

1 - 15

USA-MVM

19 - 29

F-MVM

30 - 39

* BStU, MfS, HA IX Nr. 4741, S. 32

61

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Kapitel 4 – Linie VIII

che Angehörigen der MVM/MI zu kon-zentrieren, bei denen das MfS erkannt haben wollte oder zumindest annahm, dass sie Mitarbeiter eines westlichen Ge-heimdienstes waren oder mit westlichen Geheimdiensten zusammenarbeiteten. Ei-ner verstärkten Kontrolle unterlagen auch Angehörige der MVM/MI, die durch die Art ihrer Aktivitäten und Verbindungen, durch ihre Vorgehensweise und die Auswahl be-sonderer Angriffsziele für das MfS eine Gefährlichkeit erkennen ließen. Unabhän-gig von ihrem Verhalten konnten MVM/MI-Angehörige auch durch das Interesse anderer Diensteinheiten oder der sowjeti-schen Militärabwehr „operativ bedeutsam werden“ und in die verstärkte Beobachtung der Linie VIII einbezogen werden.34

Im Zeitraum der Akkreditierung sollte nach dem „Wer ist wer?“-Prinzip nun so viel wie möglich Aufklärung gegen das MVM-Personal betrieben werden. Über die Iden-tifizierung nachrichtendienstlicher und technischer Spezialisten unter den MVM-Angehörigen galt es für das MfS Ansatz-punkte für eine gezielte Abschöpfung oder Kompromittierung zu finden.35 Erst an die zweite Stelle nach den Personen trat eine Feststellung und Überwachung relevanter Aufklärungsabsichten und -handlungen, Kontakten auf dem Territorium der DDR, die Herausarbeitung ihrer Angriffsrichtun-gen und Angriffsziele, die beweiskräftige Beschaffung von Informationen über ak-tive Spionagehandlungen, die strukturelle Durchdringung mit der Aufdeckung des Beziehungsgeflechts zwischen den MVM und „Feinddienststellen im Operationsge-biet“ und die Erarbeitung von Hinweisen über die Weiterverwendung von MVM-Angehörigen nach ihrem MVM-Einsatz, besonders innerhalb der Aufklärungs-und

34 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 935 Die Aufklärung geschäftlicher und anderweitiger Bezie-

hungen der Angehörigen der MVM zu Personen in der DDR sowie zu den im Befehl Nr. 21/74 genannten Personenkreis. Diese Aufgaben waren in enger Zusammenarbeit mit der sowjetischen Militärabwehr, den Diensteinheiten der Linien II, XVIII und XX, den selbstständigen Abteilungen III, 26, M, PZF, der Bezirksverwaltung Potsdam, der Kreisdienststelle Potsdam und im operativen Zusammenwirken mit dem Wachkommando MVM des VPKA Potsdam zu realisieren. BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 14

Abwehrdienste.36 Unter dieser veränder-ten Gewichtung sollte die Erarbeitung von Erkenntnissen als Grundlage für eine richtige Einschätzung der Lage dienen. Die erlangten Erkenntnisse bildeten den Aus-gangspunkt für gezielte Abwehrmaßnah-men gegen einzelne MVM-Besatzungen.37 Insbesondere „... MVM-Angehörige, welche durch ihre Funktion, Ausbildung, Aktivitä-ten und Verbindungen, die Art und Weise ihres Vorgehens sowie die Bedeutsamkeit ihrer Angriffsziele Ansatzpunkte für eine gezielte Abschöpfung oder Kompromittie-rung bieten. Im Mittelpunkt stehen dabei erkannte und vermutliche nachrichten-dienstliche sowie technische Spezialis-ten. Kommunikationen, Beziehungen und Verbindungen der MVM, besonders zu Geheimdienststellen und Mitarbeitern im Operationsgebiet sowie operativ bedeut-same Kontakte auf dem Gebiet der DDR.“38 Die Kräfte der operativen Beobachtung der Linie VIII sollten dabei schwerpunktmäßig folgende Aufgaben lösen: 1. Aufdeckung und Dokumentation von Aufklärungs- bzw. Spionagehandlun-gen, Provokationen, Sperrgebietsverlet-zungen, das unberechtigte Verlassen des Gebietes der Hauptstadt der DDR, Berlin, durch Fahrzeuge der MI, von Fahrten in die Hauptstadt der DDR, Berlin, durch Fahrzeu-ge der MVM und anderen Handlungen, die Angehörige der MVM unter Überschreitung der ihnen zugebilligten Rechte begehen. 2. Feststellung der Aufklärungsschwer-punkte der MVM/MI sowie der angewand-ten Mittel und Methoden. 3. Feststellung, Dokumentierung und Identifizierung von Verbindungen, Kon-takten und Anlaufstellen der Angehörigen

36 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 20737 Personen- und vorgangsbezogene Maßnahmen nach dem

Operationsgebiet Westberlin waren auszurichten auf die „Aufklärung der Verbindungen von Angehörigen der MVM zu imperialistischen Geheimdiensten, anderen feindlichen Zentren, Organisationen und Kräften sowie dem in meinen Befehlen Nr. 16/74 und Nr. 17/74 genannten Personenkreis. Erkundung und Aufklärung der Konzentrierungspunkte und Kontaktstellen von Angehörigen der MVM.“ Die Realisierung dieser Aufgaben erforderte eine Abstimmung und koordinierte Zusammenarbeit der Linie VIII mit der sowjetischen Militärabwehr, der Hauptverwaltung A, der Hauptabteilung II und der Abteilung XV der Bezirksverwal-tung Groß-Berlin. BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 15

38 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 207 f.

der MVM/MI. Die Einleitung von politisch-operativen Maßnahmen zu deren Verhin-derung bedarf meiner Bestätigung bzw. der meines 1. Stellvertreters. 4. Veranlassung von Sofortmaßnahmen zur Unterbindung von Aufklärungs- bzw. Spionage-, provokatorischen und anderen feindlichen Handlungen von Angehörigen der MVM/MI. 5. Feststellung von Bedingungen und Umständen, die die Durchführung ihrer subversiven Handlungen begünstigen.39

Um die gestellten Aufgaben lösen zu kön-nen und die Beobachtung zielstrebig zu qualifizieren, sah die DA 2/77 strukturelle Veränderungen in der HA VIII und den Be-zirken vor. Durch den Aufbau von Beob-achtergruppen in der Einsatzrichtung MVM innerhalb der Abteilungen VIII der Bezirks-verwaltungen sowie die Erweiterung der bestehenden Gruppen durch besser geeig-nete operative Mitarbeiter und IME sollte ein insgesamt dichteres Überwachungs-netz aufgebaut werden. Dazu sollte ver-stärkt Nutzen aus den aktuellen Überwa-chungsergebnissen der Bewegungen, des Aufenthalts und der Handlungen der MVM/MI-Angehörigen gezogen werden, um an militärischen Einrichtungen, Kasernen oder anderen erkannten Zielobjekten unter Ab-wehrgesichtspunkten auch zu Sofortmaß-nahmen übergehen zu können. Die ver-stärkte Anwendung von Mitteln der persönlichen Maskierung operativer Beob-achter und zur Legendierung eingesetzte Kraftfahrzeuge sollten helfen, die eigenen Kräfte und Mittel nicht zu enttarnen. Der Einsatz von Frauen und Ehepaaren sollte bei der erfolgreichen Lösung von Teilauf-gaben der operativen Beobachtung helfen, besonders wenn sich MVM/MI-Angehörige in Hotels, Gaststätten, Messen, Bars und Einkaufsstätten aufhielten. Die Achillesfer-se der operativen Beobachtung in der Ein-satzrichtung MVM blieb die Meldetätig-keit, selbst wenn die DA 2/77 eine Straffung der Strukturen und verstärkte Anstrengun-gen nicht nur innerhalb des MfS forderte.

39 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 1062

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Abb. K406: Ausbildungsmaterial der MfS-Kreisdienststelle Wernigerode mit Fotos ausgewählter Air-Teams der USA-MVM, 70er Jahre. 63

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Kapitel 4 – Linie VIII

Das Meldesystem sah eine generelle Ein-bindung aller hauptamtlichen und Inoffizi-ellen Mitarbeiter des MfS vor. Die Inoffizi-elle Basis sollte durch weitere Werbungen von zusätzlichen IM/GMS als Beobach-tungskräfte verbreitert werden. Die HA VIII und Abteilungen VIII hatten in das Melde-system unter den Aspekten der Zweckmä-ßigkeit auch alle anderen verfügbaren Schutz- und Sicherheitsorgane sowie ge-sellschaftlichen Kräften differenziert ein-zubinden. Dazu wurde in ausgewählten Kreisen „Öffentlichkeitsarbeit“ betrieben. Die Einbeziehung der gesamten DDR-Be-völkerung in das MVM-Meldesystem war nicht vorgesehen, um die Konspiration zu wahren. Der Einsatz der Beobachtungs-kräfte der HA VIII und Abteilungen VIII der Bezirke erfolgte durch die jeweils zustän-dige Abteilung der Hauptabteilung VIII nach den Erfordernissen der aktuelle Lage unter zentralen Leitungsaspekten. Um MVM/MI-Bewegungen über das Melde-system wirksam erfassen zu können, wa-ren neben einem engen Netz von Meldern vor allem die Operativen Leitzentren der Linie VIII gefordert. Die OLZ40 hatten recht-zeitig Vorinformationen an die territorial zuständigen und spionagegefährdeten Objekte weiterzuleiten. Das geschah über die zuständigen Diensteinheiten, Kreis-dienststellen, Unterabteilungen der HA I und die sow jetische Militärabwehr. So konnten die in Fahrtrichtung liegenden Bezirke und Kreise ihre Melder aktivieren, deren Beobachtungen entgegennehmen und das OLZ per Rückmeldung unterrich-ten. In der Meldetätigkeit des MfS wurde

40 Leitzentrum Operative Beobachtung, Aufgabenstellung (1979): „Verantwortlich für die Durchführung der direkten Absprachen über die Auftragsersuchen mit der vorgangs-führenden und beobachtungsführenden Diensteinheit. Sicherung des notwendigen Informationsbedarfs und des Austausches zwischen den beteiligten Diensteinheiten (Abstimmung, Koordinierung, Einleitung von Erstmaß-nahmen der Überprüfung der Karteien, Vorbereitung von Leiterentscheidungen usw.) Gesamtübersicht über alle in der Hauptstadt der DDR befindlichen Auftragsersuchen der operativen Beobachtung. Das Führen und Erarbeiten von Lagefilmen über politischoperativ bedeutsame Auf-tragsersuchen. Sicherung und Koordinierung der stabilen drahtgebundenen und drahtlosen Nachrichtenverbindungen zwischen den im Einsatz befindlichen Beobachtungskräf-ten, Stützpunkten und Diensteinheiten. Kontrolle über die Einhaltung der Funkbetriebsvorschrift und der Erarbeitung sowie Sicherung des Umgangs mit Chiffriermitteln (Durchführung von Schulungen über Anwendung der Chiffriermittel).“ BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 23

nach Erstmeldungen, Ergänzungsmeldun-gen, Nachmeldungen, Vorinformationen und Rückmeldungen unterschieden, um über die Bewegungen, den Aufenthalt und die Handlungen der MVM/MI-Besatzun-gen und der anderen Angehörigen der in Westberlin stationierten alliierten Militär-angehörigen abhängig vom Informations-bedarf ein aktuelles Lagebild zu bekom-men.41 Erstmeldungen waren aktuelle Meldungen über die Bewegungen, den Aufenthalt und Handlungen der MVM/MI und alliierten Militärangehörigen in der DDR und Berlin. Sie waren sofort fern-mündlich, fernschriftlich oder per Funk zu übermitteln. Ergänzungsmeldungen dien-ten der Vervollständigung oder Bestätigung vorausgegangener Erstmeldungen. Nach-meldungen beinhalteten Informationen über die Rekonstruktion von Bewegungs- und Handlungsabläufen, die nach Klärung von Zwischenfällen und Beobachtungen nachträglich erhoben wurden. Sie erreich-ten das MfS verspätet. Vorinformationen waren Erstinformationen für die Organisie-rung einer weitgehend lückenlosen Über-wachung und Kontrolle sowie zur Einlei-tung von politisch-operativen Maßnahmen der Beobachtung, Einschränkung und Ver-hinderung möglicher Aufklärungstätigkei-ten der MVM/MI. Ausgehend von erkann-ten oder zu erwartenden Fahrtrichtungen waren die Vorinformationen an die territo-rial zuständigen Objekte, Einrichtungen und Diensteinheiten weiterzugeben sowie die benachbarten Bezirke und Kreise zu in-formieren. Rückmeldungen waren bei neu erkannter oder veränderter Fahrtrichtung der MVM/MI-Angehörigen zur Aufhebung bereits eingeleiteter politisch-operativer Sofortmaßnahmen abzusetzen. Als Faust-regel galt im MfS, dass jedes Fahrzeug der MVM/MI unverzüglich zu melden war. Zur Deckung des Informationsbedarfs hatten alle Diensteinheiten des MfS Informatio-nen über die Bewegungen, den Aufenthalt und die Handlungen der Angehörigen der MVM/MI und der anderen Angehörigen der

41 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 43 f.

in Westberlin stationierten Besatzungs-truppen zu erarbeiten und in Form von Erst-, Ergänzungs- und Nachmeldungen an die Line VIII zu übermitteln. Melde-pflichtig war eine lange Liste möglicher „Verfehlungen“42 der drei westlichen MVM/MI: Verletzungen von ständigen oder zeit-weiligen Sperrgebieten. Die Missachtung von MVM-Verbotsschildern. Der Aufenthalt von MVM/MI-Fahrzeugen an militärisch, ökonomisch und politisch bedeutsamen Objekten und Einrichtungen einschließlich Anlagen der Deutschen Reichsbahn. Das Beobachten und Fotografieren dieser Ob-jekte und Einrichtungen. Die Begleitung, Beobachtung und das Fotografieren von militärischen Transporten auf Straßen- und Schienenwegen, Einzel-oder Kolon-nenfahrten führender Repräsentanten der DDR und ihrer ausländischen Gäste. An-fertigen von Skizzen und Aufzeichnungen. Notizen polizeilicher Kennzeichen von Fahrzeugen. Die Anwendung technischer Mittel zu Spionagezwecken, zur Aufrecht-erhaltung ihres Verbindungswesens und zur Feststellung der Kontroll- und Über-wachungsmaßnahmen der Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR. Unberechtig-tes Verlassen des Gebiets der Hauptstadt der DDR durch MI, Einfahrt von Fahrzeu-gen der MVM in die Hauptstadt der DDR. Aufklärungshandlungen im Bereich der Staatsgrenze der DDR. Verletzungen des Grenzgebiets der DDR. Anwerbung und Ausschleusung von DDR-Bürgern in direk-ter Zusammenarbeit mit professionellen Schleusern unter Missbrauch der Kontroll-befreiung. Agitations- und Propagandatä-tigkeit gegen die DDR, UdSSR und andere sozialistische Staaten, einschließlich des Verbreitens oder Ablegens von Zeitungen, Broschüren, Flugblättern und anderen Druckerzeugnissen, deren Einfuhr verboten war und sich inhaltlich gegen die sozialis-tische Staats- und Gesellschaftsordnung richteten. Politisch-ideologische Diversion in Form gegnerischer Kontaktpolitik und Kontakttätigkeit. Aufnahme von Kontakten

42 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 45 ff.64

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zu Bürgern der DDR und anderer sozialisti-scher Staaten (Personenkreise nach Befehl Nr. 16/74 und Nr. 17/74). Zerstören, Be-schädigen und Entfernen von Fahnen, Symbolen und Sichtagitationen. Beschädi-gung, Beseitigung oder Diebstahl von MVM- und anderen Verbotsschildern und weitere gegen die Rechtsordnung der DDR gerichtete kriminelle Handlungen. Provo-katorisches Verhalten und Auftreten wäh-rend des Aufenthalts in der DDR und deren Folgen, insbesondere Negierung und grobe Missachtung der Rechtsordnung der DDR sowie der zu ihrer Durchsetzung erteilten Weisungen von Angehörigen staatlicher

Organe durch demonstratives Nichtbefol-gen, rowdyhaftes Verhalten, Androhen von Tätlichkeiten oder Gewaltanwendung, rücksichtslose Fahrweise und das Beob-achten und Fotografieren von Sicherungs-kräften. Verletzungen von Straßenver-kehrsvorschriften der DDR, insbesondere, wenn durch schuldhaft verursachte Ver-kehrsunfälle, pflichtwidriges Verhalten nach einem Verkehrsunfall, verkehrsge-fährdende Verhaltensweisen (Fahren unter Alkohol-und Drogeneinfluss) das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteil-nehmer erheblich gefährdet wurden. Ver-kehrsunfälle mit Beteiligung von Angehö-

rigen der MVM/MI und anderer in Westberlin stationierter westlicher Besat-zungstruppen. Begehung von Zollstrafta-ten durch ungesetzliche Ein- und Ausfuhr von Waren und Zahlungsmitteln. Provoka-torisches Verhalten und Auftreten im Zu-sammenhang mit dem Grenzübertritt an der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zim-merstraße und Bahnhof Friedrichstraße. Negierung und grobe Missachtung der Ordnung an der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin und des für den Grenzübertritt geltenden Abfertigungsregimes bei der Ein- und Ausreise. Darunter fiel die Ver-weigerung der Identifizierung durch Nicht-vorzeigen der Militärkennkarte. Verweige-rung des Vorzeigens von so genannten Identitätskarten (Spezialisten, technisches Hilfs-und Hauspersonal sowie Familienan-gehörige von in Westberlin stationierten alliierten Besatzungstruppen). Verweige-rung der Einsichtnahme in die Reisepässe von mitreisenden Zivilpersonen in Kraft-fahrzeugen der westlichen Alliierten. Nichtbefolgen anderer Weisungen der Grenzkontrollkräfte der DDR. Androhung von Tätlichkeiten, Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zum Zwecke der Er-zwingung der Ein- und Ausreise. Verleum-dung, Beleidigung der Grenzkontrollkräfte und höhnische Gesten. Lautstarkes Auftre-ten gegenüber den Grenzkontrollkräften der DDR.43 Spekulative Einkäufe. Der Einwurf von Postsendungen. Das Aufsu-chen von Veranstaltungen, Ausstellungen, Geschäften, Gaststätten und Bars. Über-nachtung in Hotels oder im Freien. Die Be-nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Poli-tisch-operativ bedeutsame Handlungen, Vorkommnisse und Erscheinungen im Zu-sammenhang mit der Einreise und dem Aufenthalt von Angehörigen der in West-berlin stationierten westlichen Besat-zungstruppen in der Hauptstadt der DDR waren nach den gegebenen Möglichkeiten

43 In diesen Fällen war eine exakte Einschätzung der einge-tretenen oder möglichen Folgen hinsichtlich der Störung/Gefährdung der Sicherheit und Ordnung, insbesondere der Behinderung/Beeinträchtigung der Grenzkontrollkräfte sowie der Auswirkungen auf die zügige und reibungslose Abfertigung an den Grenzübergangsstellen, vorzunehmen. BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 50

Abb. K407: Bildmappe der MfS-Kreisdienststelle Wernigerode zur Identifizierung des aktuellenFahrzeugbestands der drei westlichen Militärverbindungsmissionen. Mercedes Typ 350 SE,1980 bei der USA-MVM mit den Nr. 22, 23, 24 und 28 im Einsatz.

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Kapitel 4 – Linie VIII

beweiskräftig in Text und Bild zu doku-mentieren. Die Dokumentationen und alle andern zur Deckung des Informationsbe-darfs geeigneten Informationen waren un-verzüglich der HA VIII zu übergeben. Foto-dokumentationen mussten „neutral“ aufbereitet und unbeschriftet eingereicht werden, um sie bei Notwendigkeit zur offi-ziellen Auswertung weiterverwenden zu können. Des Weiteren unterlagen der Mel-depflicht alle die Rechte und Immunität der MVM beeinträchtigen Maßnahmen der Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR und anderer stattlicher Institutionen. Dazu zählte die Anwendung und Androhung von Schusswaffen. Provokatorisches Auftreten und Verhalten. Anwendung körperlicher Gewalt. Durchsuchung ihrer Fahrzeuge und andere Zwangsmaßnahmen. Die Anwen-dung dieser Maßnahmen gegenüber Ange-hörigen der in Westberlin stationierten westlichen Besatzungstruppen, einschließ-lich der MI, unterlagen ebenfalls der Mel-depflicht.44 Der Informationsfluss im MfS war folgendermaßen organisiert: Alle außerhalb der Hauptstadt der DDR sta-tionierten Diensteinheiten des MfS Berlin meldeten an die zuständigen Kreisdienst-stellen. Diensteinheiten der Bezirksver-waltungen/Verwaltung, einschließlich der Kreisdienststellen und Objektdienststellen, meldeten an die zuständigen Abteilungen VIII. Die Abteilungen VIII der Bezirksverwal-tungen/Verwaltung hatten alle Meldungen an die Hauptabteilung VIII/5 weiterzulei-ten. Als Verbindungen waren Funk, die Di-rektverbindung Transit oder Fernschreiber vorgeschrieben.45 Die Passkontrolleinheit „Brücke der Einheit“ der Abteilung VIII der BV Potsdam meldete direkt an die HA VIII/5. Alle Informationen, die durch die Dienst-einheiten nicht als Erstmeldung übermittelt werden konnten, da sie zu einem späte-ren Zeitpunkt bekannt wurden, hatten in schriftlicher Form die HA VIII/5 oder die Bezirksverwaltungen/Verwaltung zu errei-chen. Die Organisation der Vorinformation

44 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 45 ff.45 Telefon: Bezirksverwaltung Potsdam, Apparat 619/620 oder

621; Fernschreiber: 8 ppm

über die Bewegungen der Angehörigen der drei westlichen MVM lief auf dem um-gekehrten Weg. Über alle in Potsdam von Westberlin einfahrenden beziehungsweise die Objekte der MVM verlassenden Fahr-zeuge, waren die Bezirksverwaltungen in der voraussichtlichen Fahrtrichtung durch die Hauptabteilung VIII zu informieren. Die Abteilungen VIII der Bezirksverwaltungen hatten die Vorinformationen den in Fahrt-richtung liegenden Kreisdienststellen/Ob-jektdienststellen und Bezirksverwaltungen/der Verwaltung „W“ zu übermitteln. Bei politisch-operativen Erfordernissen waren die zuständigen Diensteinheiten der Linien II, VI, VII und XIX zu benachrichtigen. Die Kreisdienststellen/Objektdienststellen hat-ten entsprechend der erkannten oder zu erwartenden Fahrtrichtung die Meldekräf-te, die VPKÄ, die Nachbarkreise sowie die voraussichtlichen Zielobjekte zu verstän-digen. Für die Militärinspektionen galt ein geringfügig abweichendes Meldeschema. Die Passkontrolleinheit „Friedrich-/Zim-merstraße“ der Hauptabteilung VI meldete alle Ein-und Ausreisen von Angehörigen der MI und allen anderen Angehörigen der in Westberlin stationierten westlichen Be-satzungstruppen an die Hauptabteilung VIII. Meldungen über Fahrzeugbewegun-gen der MI und der westlichen „Besatzer“ waren entsprechend der Weisung des 1. Stellvertreters vom 31.5.1974 „Erfassung von Personen- und Fahrzeugbewegungen der in die Hauptstadt der DDR eingereisten Personen aus der BRD, anderen nichtsozi-alistischen Staaten und Westberlin sowie die Angehörigen der drei in Westberlin stationierten Besatzungsmächte“ und dem dazu vorgegebenen Informationsbedarf abzusetzen. Darüber hinaus waren zur Or-ganisation der Abwehrarbeit gegen die MI telefonische Erstmeldungen an die HA VIII notwendig. Diese Meldungen waren haupt-stadtspezifisch durch folgende Einheiten zu gewährleisten:46

1. Die für die Sicherung der Objekte und Einrichtungen des MfS Berlin verant-

46 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 54

wortlichen Leiter, den Leiter der Bezirks-verwaltung Groß-Berlin und den Komman-deur des Wachregiments „F. E. Dzierzynski“ von allen Objekten ihrer Verantwortungs-bereiche in der Hauptstadt der DDR. 2. Die Hauptabteilung I aller Objekte/Einrichtungen der NVA und der Grenztrup-pen der DDR in der Hauptstadt der DDR. 3. Die Hauptabteilung VII von allen Objekten/Einrichtungen des Ministeriums des Innern in der Hauptstadt der DDR. 4. Den OpD47 der Bezirksverwaltung Groß-Berlin von allen Objekten und Ein-richtungen des Präsidiums der DVP. 5. Den OpD der Bezirksverwaltung Groß-Berlin bei Vorkommnissen mit Ange-hörigen der MI, die durch Kräfte der DVP festgestellt wurden. Die Verbindungen waren innerhalb Ber-lins über das Telefonnetz abzuwickeln.48 Alle erarbeiteten Beweismittel und Do-kumentationen zu den Handlungen und Vorkommnissen mit den westlichen MI waren in dreifacher Ausfertigung über die Abteilungen VIII der Bezirksverwaltungen/Verwaltung an die Hauptabteilung VIII, aus dem Bereich der Bezirksverwaltung Groß-Berlin direkt an die HA VIII weiter-zuleiten. Eine Vormeldung von Fahrzeugen der MI innerhalb der Hauptstadt der DDR fand nicht statt, da der Handlungsraum schlicht zu klein war. Für die Mitarbeiter des MfS sah die DA 2/77 auch konkrete Handlungsanweisungen für einen Umgang mit den MVM/MI vor. Sie hatten durch ihr Verhalten zu gewährleisten, dass es zu kei-nen Konfrontationen zwischen den Ange-hörigen des MfS und den Angehörigen der westlichen MVM/MI kommen konnte. Sie hatten bei eingeleiteten Sicherungsmaß-nahmen gegen die MVM/MI den Weisun-gen der Wach- und Sicherungskräfte zu folgen. Hielten sich Angehörige der MVM/MI in unmittelbarer Nähe der Objekte und Einrichtungen des MfS auf, so hatten die Angehörigen des MfS die Objekte erst dann zu betreten, zu befahren oder zu verlassen,

47 OpD – Operativer Diensthabender48 Telefon MfS: 75277; Telefon Präsidium DVP: 7048; öffentli-

ches Netz: 509005366

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Legende:1. HA II – Spionageabwehr2. HA VIII – Beobachtung/Ermittlung3. HA VIII/9 – Abteilung 9 Militärverbindungsmissionen der HA VIII. Am 1.8.1967 gebildete Abteilung, vorher Abteilung 6 der HA VII (operative Bearbeitung und Überwachung der drei westlichen Militärverbindungsmissionen).4. HA VIII/10 – Abteilung 10 Verkehrs- und Transitwege (Straße) sowie Militärinspektionen der HA VIII. Am 1.8.1967 gebildete Abteilung, vorher Abteilung 7 der HPF (Sicherung der Verkehrswege).5. HA VII – Abwehrarbeit MdI/DVP

6. HPF – Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung. 1964 gebildet Diensteinheit des MfS für Zwecke der Passkontrolle und Fahndung. 1970 Eingliederung in die neu gebildete HA VI. APF – Abteilung Passkontrolle und Fahndung des Bezirksverwal-tungen/Verwaltung7. FFG – Fahndungsführungsgruppe. Von 1971 bis 1.4.1987 selbstständige Abteilung, danach als Abt. Fandung in die HA VII eingegliedert.8. Abt. F – selbstständige Abteilung Funkabwehr. 1955 bis 1983, dann in die HA III eingegliedert.9. ASR – Arbeitsgruppe Sicherheit des Reiseverkehrs. Selbst-ständige Arbeitsgruppe auf ministerieller und bezirklicher

Ebene. 1964 gebildet, 1970 zusammen mit der HPF zu HA VI umgebildet.10. HA I – Abwehrarbeit in der NVA und den Grenztruppen der DDR11. PZF – Postzollfahndung. Auf ministerieller und bezirklicher Ebene tätige selbstständige Diensteinheit. Am 1.1.1984 in die Abt. M eingegliedert.12. HA XIX – Verkehr, Post, Nachrichtenwesen13. HA XVIII – Sicherung der Volkswirtschaft14. Arbeitsgruppe des Ministers

* BStU, MfS, HA VIII Nr. 5820, S. 15

*

wenn die MVM/MI das betreffende Gebiet verlassen hatten. Alle Mitarbeiter des MfS hatten die Wach- und Sicherungskräfte bei den Sicherungsmaßnahmen zu unterstüt-zen. Insbesondere sollte ein umsichtiges Verhalten dazu beitragen, dass auch inner-halb der MfS-Objekte die Wach- und Si-cherungskräfte nicht durch Personen- und Fahrzeugansammlungen behindert wer-

den. Die Leiter aller Diensteinheiten hat-ten innerhalb ihres Zuständigkeitsbereich auf die Einhaltung der Meldetätigkeit zu achten. Verkehrsunfälle mit Beteilung von Angehörigen des MfS und Angehörigen der MVM/MI mussten in jedem Fall durch die Deutsche Volkspolizei, Verkehrsunfall-bereitschaft, aufgenommen werden. Die beteiligten MfS-Angehörigen hatten am

Unfallort gegenüber den MVM/MI keiner-lei Auskünfte zu geben und ihr Verhalten so anzupassen, dass keine Rückschlüsse auf eine Zugehörigkeit zum MfS möglich wurden. Bei Personenschäden waren die Angehörigen des MfS zur Leistung der Ers-ten Hilfe verpflichtet. Wirksame politisch-operative Maßnahmen zur Bearbeitung der erkannten personellen Schwerpunke

Abb. K408: Schema der Verantwortungsbereiche und das Zusammenwirken bei der Bearbeitung der drei westlichen MVM und MI (1967).

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Kapitel 4 – Linie VIII

hatten ausgehend von der Linie VIII in Ab-stimmung mit der HA II und der VBA des KfS der UdSSR für die GSSD zu erfolgen. Innerhalb der HA VIII/5 wirkten auf der Grundlage der personellen Schwerpunk-te die Referate 1, 2, 3, 4, 5 und Linie 26 der Abteilung zusammen.49 Das Referat 4 bereitete die Erkenntnisse auf. Innerhalb der Hauptabteilung VIII befassten sich die Abteilungen 1, 3 und 10 ausschließlich mit Aufgaben der operativen Beobachtung.50 Ihr Einsatz wurde durch das OLZ koordiniert. Die Abteilung 3 sicherte über ihre Referate auch die Beobachtung von Angehörigen der drei westlichen Besatzungstruppen (Mili-tärinspektionen) während ihrer „Inspekti-onsfahrten“ in der Hauptstadt der DDR.51

Zur Durchsetzung der Dienstanweisung 2/77 war der koordinierte Einsatz aller Po-tenzen der HA VIII/5 und der auf der Linie MVM in den Bezirksverwaltungen vorhan-denen operativen Kräfte, einschließlich al-ler IM/GMS, vorgesehen. Der Einsatz hatte gestaffelt nach den personellen Möglich-keiten, den Schwerpunkten, ausgearbei-teten Operativplänen und dem gegensei-tigen Informationsaustausch zu erfolgen. Unübersehbar war an diesem Konzept die verstärkte Abstützung auf die Bezirksver-waltungen, um die HA VIII/5 zu entlasten. Die neue Abwehrkonzeption beruhte auf

49 Ab 1979 bestand die HA VIII/5 nur noch aus vier Referaten. BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 27

50 (1979) Abteilung 1, fünf Referate: Vorbereitung und Durchführung operativer Beobachtungen von Personen in der Hauptstadt der DDR, Berlin, die in Operativen Vorgängen (Spionage, staatsfeindlicher Menschenhandel,ungesetzlicher Grenzübertritt, staats-feindliche Hetze usw.) erarbeitet wurden. Übernahme und Durchführung von operativen Beobachtungen entsprechend dem Ersuchen sozialistischer Bruderorgane bzw. die Übergabe von Personen an diese zur operativen Beobachtung. Abteilung 3, neun Referate: Vorbereitung und Durchführung operativer Beobachtungen von Personen, die über die Grenzübergangsstellen von Westberlin mittels Kfz, S-Bahn oder als Fußgänger in die Hauptstadt der DDR, Ber-lin, einreisten (Dabei handelte es sich um Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland, vorrangig aus der BRD und Westberlin, die meist mittels Tagesaufenthaltsgenehmigung einreisten). Beobachtung der MI-Besatzungen. Abteilung 10, 6 Referate: Operative Beobachtung von bevorrechteten Personen sowie von Korrespondenten nichtsozialistischer Staaten zur Feststellung und Dokumentierung feindlich-negativer Handlungen, von Verbindungen und Anlaufstel-len, Verhaltensweisen, Persönlichkeitseigenschaften usw. Aufklärung und Dokumentierung der Regimeverhältnisse an den politisch-operativ interessierenden Botschaften und Vertretungen. Nutzung der operativen Möglichkeiten, insbesondere der Stützpunktsysteme für die Erarbeitung von Hinweisen, die der Sicherheit und dem Schutz bevor-rechteter Personen dienten. BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 22

51 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 21 f.

den vier Säulen verstärkter IM-Einsatz, bessere Lastenverteilung zwischen der HA VIII/5 und den Abteilungen VIII der Bezir-ke, Einsatzrichtung MVM, besserer Ausbau des Meldewesens und wirksame Sicherung militärischer Schwerpunktobjekte durch ortsfeste Beobachtung. Das Referat 1 der HA VIII/5 war federführend für die Erarbei-tung der Operativpläne und das Vorgehen gegen ausgewählte MVM-Angehörige zu-ständig. Es veranlasste und koordinierte den IM-Einsatz in den Objekten der drei west-lichen MVM in Potsdam und Neu Fahrland entsprechend der Sicherungskonzeption so-wie an den Aufenthaltspunkten von MVM-Angehörigen auf dem Territorium der DDR, insbesondere in Potsdam und der Haupt-stadt der DDR. Das Referat 1 leitete an den Schwerpunkten gezielte Überprüfungen von Verbindungen, Kommunikationslinien und Kontaktstellen der drei westlichen MVM im Operationsgebiet52 ein, vor allem um per-sonelle und institutionelle Beziehungen zu den Geheimdienststellen aufzudecken. Auch die operative Kontrolle der Bearbeitung von MVM-Kontakten auf dem Gebiet der DDR unter Einflussnahme auf andere Dienstein-heiten zur Wahrung der Linieninteressen koordinierte das Referat 1 in enger Zusam-menarbeit mit dem Referat 2 der Abteilung 5. Für die „Einsatzrichtung Westberlin“ stan-den dem Referat 1 im Operationsgebiet fünf IM zur Verfügung, die nach Absprache mit der sowjetischen Abwehr aber nicht direkt an den drei MVM-Objekten in Westberlin eingesetzt werden durften.53 Fünf weitere IM führten von Ostberlin aus Telefoner-mittlungen für das Referat 1 in Westberlin

52 Der Bereich 6 der HA VIII arbeitete im und in das Operati-onsgebiet, vor allem in Richtung BRD und Westberlin. Der Bereich 6 hatte drei Stellvertreterbereiche und dreizehn Referate: Durchführung operativer Beobachtungen, Ermittlungen und anderer operativer Maßnahmen im Operationsgebiet, die sich vor allem gegen Mitarbeiter imperialistischer Geheimdienste und anderer feindlicher Zentren richteten bzw. gegen Bürger der DDR, die nach der BRD/WB reisten und der Feindtätigkeit verdächtig schienen. Nutzung der inoffiziellen Quellen, um politisch-operative, ökonomische, militärische und andere Informationen aus dem Lager des Feindes zu gewinnen. BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 25

53 US-MVM Berlin-Dahlem, Föhrenweg 19-21; B-MVM Berlin-Charlottenburg, Olympiastadion Gloucester-Block (gemeinsamer Sitz mit dem britischen Aufklärungsdienst); F-MVM Berlin-Reinickendorf, Quartier Napoleon Block 25 (gemeinsamer Sitz mit dem französischen militärischen Aufklärungsdienst)

aus. In der „Einsatzrichtung MVM-Objekte“ standen dem Referat 1 vierzehn IMV in den Objekten der drei Missionen direkt zur Verfügung und zur Kontaktbearbeitung zu-sätzlich zehn weitere IMV. Für jeden IMV schuf das Referat 1 zielgerichtet Opera-tivpläne zur Bearbeitung einzelner MVM-Angehöriger und dokumentierte die Er-gebnisse. Die Operativpläne bestätigte der stellvertretende Leiter der Hauptabteilung VIII.54 Das Referat 2 der Hauptabteilung VIII/5 informierte die Abteilungen VIII der Bezirksverwaltungen über die personellen Schwerpunkte, um eine wirksame Umset-zung in der Fläche der DDR zu gewährleis-ten. Das Referat gewährte den Bezirksver-waltungen Hilfe und Unterstützung bei der Organisation notwendiger Maßnahmen zur Kontrolle und Überwachung der MVM-Angehörigen bei Aufklärungsfahrten im jeweiligen Territorium. Die Abstimmung erfolgte über das OLZ der Abteilung. Im Mittelpunkt standen dabei: – Aktivierung der Meldetätigkeit, – Einleitung operativer Kontroll-, Über-wachungs- und Blockierungsmaßnahmen bei personellen Schwerpunkten, – Einleitung von Abwehrmaßnahmen an den Zielobjekten, – Einleitung von operativen Maßnah-men an Übernachtungsstätten und bedeut-samen anderen Aufenthaltsorten sowie – Hilfe und Anleitung bei der Aufklärung und Bearbeitung von MVM-Kontakten.Die Referate 3 und 5 der HA VIII/5 organi-sierten die Zielbeobachtungen der perso-nellen Schwerpunkte und dokumentierten bedeutsame Handlungen aller MVM-An-gehörigen. Beide Referate schufen in ge-genseitiger Abstimmung die Vorausset-zungen für Blockierungsmaßnahmen und regelten den Kräfteeinsatz der HA VIII/5 mit den Kräften der Abteilungen VIII der Bezirksverwaltungen. Die Koordinierung lief über das OLZ der Abteilung. Im Ergeb-nis operativer Beobachtungen gewonnene Einschätzungen über einzelne MVM-An-gehörige wurden in beiden Referaten auf-

54 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 209 f.68

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bereitet.55 Das Referat 4 der HA VIII/5 war für die Verarbeitung aller eingehenden In-formationen über die MVM-Angehörigen zuständig. Eine exakte Vergleichsarbeit und Analyse der Informationen diente dort zur Bestimmung der personellen Schwer-

55 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 210

punkte unter den MVM-Angehörigen. Das Referat 4 informierte alle an der Beobach-tung beteiligten Kräfte entsprechend den Erfordernissen. Diese Aufgabe umfasste auch die Erstellung von Auskünften, Infor-mationen und Analysen für andere Dien-steinheiten des MfS, soweit ein ständiger Informationsaustausch vereinbart war (HA

II). Alle zur Person und den personellen Schwerpunkten eingehenden Informati-onen, Daten und Verbindungen unterzog die Abteilung 4 der Speicherung, um sie im Zugriff für eine Vergleichs- und Ver-dichtungsarbeit zu halten. Die Analytiker organisierten das MVM-Meldesystem des MfS und prüften die Rückläufe aus der

Abb. K409: Schema der Verantwortungsbereiche und das Zusammenwirken bei der Bearbeitung der drei westlichen Militärinspektionen (1967).

Legende:1. HA II – Spionageabwehr2. HA VIII – Beobachtung/Ermittlung3. HA VIII/10 – Abteilung 10 Verkehrs- und Transitwege (Straße) sowie Militärinspektionender HA VIII. Am 1.8.1967 gebildete Abteilung, vorher Abteilung 7 der HPF (Sicherung der Verkehrswege).4. Dispatcher/Funkzentrale der HA VIII, gegründet 1963.5 HA I – Abwehrarbeit in der NVA und den Grenztruppen der DDR

6. HPF (GÜST) – Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung, Grenzübergangsstelle. 1964 gebildet Diensteinheit des MfS für Zwecke der Passkontrolle und Fahndung. 1970 Eingliederung in die neu gebildete HA VI.7. BdL – Büro der Leitung des MfS8. OvD der HA PS – Offizier vom Dienst der Hauptabteilung Personenschutz9. OvD des Wachregiments – Offizier vom Dienst des MfS-Wachregiments „Feliks E. Dzierzynski“10. OvD der Verwaltung Groß Berlin – Offizier vom Dienst der

Verwaltung Groß Berlin11. Abt. VII BV Potsdam – Abteilung12. ASR – Arbeitsgruppe Sicherheit des Reiseverkehrs. Selbstständige Arbeitsgruppe auf ministerieller und bezirklicher Ebene. 1964 gebildet, 1970 zusammen mit der HPF zu HA VI umgebildet.13. Abt. F – selbstständige Abteilung Funkabwehr. 1955 bis 1983, dann in die HA III eingegliedert.14. HA XIX – Verkehr, Post, Nachrichtenwesen

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Kapitel 4 – Linie VIII

Meldetätigkeit. Sie erarbeiteten allge-meine statistische Daten über das Fahr-verhalten der westlichen MVM, aber auch Detailberichte bis hinunter auf die Ebene einzelner Fahrten. Alle erkannten Aufklä-rungsaktivitäten und Aufklärungsziele des Referats 4 dienten als Grundlage für die praktische Tätigkeit der gesamten Abtei-lung. Die Linie 2656 der HA VIII/5 unterstütz-te die operative Beobachtung durch die Beschaffung und Aufbereitung von Hin-weisen und Hintergrundinformationen aus der Telefon- und Raumüberwachung. Gegenstand der Abhörmaßnahmen in der Einsatzrichtung MVM waren nicht nur die MVM-Mitglieder selbst, sondern auch de-ren Familienangehörige, Verwandte und Freunde. Auf diesem Weg gewann die Linie VIII Einblick in die privaten Gewohnheiten, Charaktere, Schwächen und Probleme der einzelnen Personen. Die Linie 26 fokussierte nicht primär nur auf „Belastungsmaterial“. Sie sammelte auch alle Hinweise aus gegenseitigen Mit-teilungen zum Sicherheitsverhalten, über Dienstbesprechungen und Konferenzen. Einmal erfasste Grunddaten aus dem Te-lefonverkehr wie Personendaten, Telefon-nummern, erkannte Wohnsitze oder Kon-taktpartner flossen an die Analytiker des Referats 4. Auch die Erstellung von „Stim-mungsbildern“ zum Personal allgemein und den Regimefragen innerhalb der MVM gehörten zu den Aufgaben der „L 26“.57 Die Dienstanweisung 2/77 formulierte den ein-deutigen Führungsanspruch der Linie VIII bei der MVM-Abwehr gegenüber anderen Linien des MfS und grenzte thematisch die Arbeitsfelder ab. „Die Hauptabteilung VIII hat federführend die politisch-operative

56 Die Abteilung 26 des Ministeriums für Staatssicherheit wird gewöhnlich als Telefonüberwachung bezeichnet. Doch ihre Aufgaben umfassten von Anfang an mehr. Neben der Kontrolle des Fernmeldeverkehrs und der Telexnetze gehörte die akustische Überwachung in geschlossenen und begrenzten freien Räumen, die optische und elektronische Beobachtung von Räumen sowie der Einsatz von speziellen sicherungstechnischen Einrichtungen und chemischen Mar-kierungsmitteln ebenfalls zum Aufgabenfeld der Abteilung 26. Ende 1989 beschäftige die Abteilung 26 mehr als 400 hauptamtliche Mitarbeiter in den Bereichen der Berliner Zentrale und 600 weitere in den Bezirken.

57 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 211

Abwehrarbeit gegen die MVM/MI zu ge-währleisten. Die Federführung der Haupt-abteilung VIII beinhaltet die – Herausarbeitung der Angriffsrich-tungen, Schwerpunkte und Mittel und Me-thoden der durch Angehörige der MVM/MI organisierten Feindtätigkeit; – Aufklärung der Pläne und Absichten der MVM/MI, die gegen das militärische und ökonomische Potential der DDR und gegen die GSSD gerichtet sind; – Überwachung und Aufklärung der Be-wegungen, des Aufenthaltes und der Hand-lungen der Angehörigen der MVM/MI; – Einengung und Unterbindung feind-licher Aktivitäten von Angehörigen der MVM/MI, besonders der Spionage, des staatsfeindlichen Menschenhandels, der poltisch-ideologischen Diversion und der gegnerischen Kontaktpolitik/-tätigkeit; – Anleitung und Unterstützung der anderen operativen Diensteinheiten bei der Aufklärung operativ bedeutsamer Kontakte der Angehörigen der MVM/MI zu Personen auf dem Territorium der DDR; – operative Bearbeitung von Kontakten der Angehörigen der MVM/MI, bei denen die Möglichkeit einer offensiven Nutzung der Kontaktperson besteht oder sich eine derartige Notwendigkeit unter Berück-sichtigung des beteiligten Personenkreises bzw. aus dem Charakter und dem Inhalt des Kontaktes ergibt. Diese Aufgabenstel-lung ist in enger Zusammenarbeit mit den Abteilungen VIII der Bezirksverwaltungen/Verwaltungen und anderen zuständigen operativen Diensteinheiten zu realisieren; - Durchführung von Maßnahmen zum Schutz der Angehörigen der MVM und ih-rer Objekte in Potsdam im Zusammenwir-ken mit der sowjetischen Militärabwehr; – Aufdeckung und Einflussnahme auf die Beseitigung begünstigender Bedin-gungen und Umstände für subversive und andere rechtswidrige Handlungen von An-gehörigen der MVM/MI; - einheitliche Durchsetzung der poli-tisch-operativen Aufgaben der Abwehr-arbeit gegen die MVM/MI, Koordinierung, Anleitung und Auswertung der poltisch-

operativen Abwehrmaßnahmen unter Einbeziehung der Abteilungen VIII der Be-zirksverwaltungen/Verwaltung.“58

Die Erfüllung der gestellten Aufgaben, wie sie die DA 2/77 forderte, nahm aber auch die anderen Diensteinheiten des MfS in die Pflicht, sich aktiver in die MVM-Abwehr einzubringen. Die Linien I59, II60, VI61, VII62, XVIII63, XIX64, XX65, PS66, III67 und die Abtei-lungen 2668, M69 und N70 waren durch die VIII stärker zu fordern. Im Detail kamen den anderen Diensteinheiten folgende Aufgaben und damit Verantwortung zu:71 Die Hauptabteilung I hatte die Meldetätig-keit über die Bewegungen, den Aufenthalt und die Handlungen der Angehörigen der drei westlichen MVM an die Kreisdienst-stellen, der MI an die Hauptabteilung VIII und die Aufklärung der Kontakte von MVM/MI-Angehörigen zu Angehörigen und Zivilbeschäftigten der NVA/Grenztrup-pen zu gewährleisten. Rechtzeitig waren bedeutsame militärische Informationen wie geplante Baumaßnahmen, Manöver, Militärparaden, große Truppenbewegun-gen der NVA im Zusammenwirken mit Truppen der Warschauer Vertragsstaaten an die HA VIII weiterzuleiten. Die HA I war insgesamt angehalten, auf der Grundlage der Weisung des Ministers für Nationale Verteidigung vermehrt Kräfte der NVA in die Meldetätigkeit einzubinden. Innerhalb der NVA sollte eine Sensibilisierung für die Sicherung militärischer Transporte, Bewe-gungen, Objekte und Handlungsräume ge-genüber MVM/MI-Aufklärungsaktivitäten erreicht werden. Das MfS versprach sich davon auch eine Befähigung der NVA hin-sichtlich einer selbstständigen Einleitung von Maßnahmen gegen die MVM/MI-Be-satzungen, um mögliche Aufklärungshand-

58 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 6 ff. 59 I – Abwehrarbeit in der NVA und den Grenztruppen der DDR60 II – Spionageabwehr61 VI – Passkontrolle, Tourismus, Interhotel62 VII – Abwehrarbeit MdI/DVP63 XVIII – Sicherung der Volkswirtschaft64 XIX – Verkehr, Post, Nachrichtenwesen65 XX – Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund66 PS – Personenschutz Betreuung67 III – Funkaufklärung, Funkabwehr68 26 – Telefonüberwachung69 M – Postkontrolle70 N – Nachrichten71 BStU, MfS, BdL Dok. Nr. 005065, S. 15 ff.

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lungen rechtzeitig zu unterbinden. Der Hauptabteilung II und den Abteilungen II kamen im Zusammenwirken mit der Linie VIII Aufgaben zur Identifizierung der An-griffsrichtungen, angewandten Mittel und Methoden bei der Spionage unter beson-derer Berücksichtigung der erwarteten und erkannten MVM-Aktivitäten zu. Dazu war ein ständiger Informationsaustausch zwi-schen beiden Linien vereinbart worden. Der Spionageabwehr kam auch die Überwa-chung von Kontakten zwischen den MVM/MI und anderen bevorrechteten Personen und Korrespondenten zu. An besonders spionagegefährdeten Objekten72 verein-barten beide Linien Komplexeinsätze zur Überprüfung der Umfeldsicherung. Diese Einsätze dienten auch dazu, das Interesse des Gegners an bestimmten Objekten fest-zustellen. Der Hauptabteilung VI und den Abteilungen VI oblag die Aufgabe einer lückenlosen Kontroll- und Meldetätigkeit über die Ein-und Ausreisen von Angehö-rigen der MVM/MI an die Linie VIII. Dabei waren fotografische Dokumentationen zu fertigen. Ein enges Zusammenwirken der Linien unter Einbeziehung von IM/GMS sollte die Handlungs- und Verhaltenswei-sen der MVM/MI-Angehörigen offen legen und insbesondere bei einem Aufenthalt in Interhotels einen schnellen Informati-onsfluss garantieren. Die Hauptabteilung VII und die Abteilungen VII der Bezirks-verwaltungen gewährleisteten eine diffe-renzierte Einbeziehung der Kräfte der DVP, einschließlich ihrer freiwilligen Helfer, in die MVM-Meldetätigkeit. Kräfte der Li-nie VII überwachten an den Stadtgrenzen der Hauptstadt der DDR die Bewegungen von MI-Besatzungen. Rechtzeitig über-mittelte das HA VII Informationen über zentrale Baumaßnahmen und Übungen der Bereitschaftspolizei, Zivilverteidigung und Betriebskampfgruppen an die Linie VIII. Die Absicherungsaufgaben der HA VII und Abteilungen VII erstreckten sich über den gesamten Zuständigkeitsbereich des

72 Solche Objekte waren beispielsweise Raketenobjekte, die das MfS in der 80er Jahren unter dem Tarnnamen „Ant-wort“ führte und besonders sorgfältig abschirmte. BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S.309

Abb. K410

Abb. K411

Abb. K412

Abb. K410 – K412: Blockierte B-MVM Nr. 11 in Havelberg, Bezirk Magdeburg. Das Fahrzeug wird von Mitarbeitern der MfS mit einem Tarnnetz abgedeckt.

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Kapitel 4 – Linie VIII

MdI. Von der Hauptabteilung XVIII und Abteilungen XVIII erwartete die HA VIII eine Mitarbeit ihrer offiziellen und inof-fiziellen Mitarbeiter in der Meldetätigkeit. Rechtzeitig hatte die Linie zudem Infor-mationen über bedeutsame Bauvorhaben der Volkswirtschaft bereitzustellen. Die Hauptabteilung XIX und Abteilungen XIX gewährleisteten den Informationsfluss über bedeutsame Militärtransporte an die Diensteinheiten der Linie VIII, arbeiteten in der Meldetätigkeit mit und sicherten unter Einbeziehung der Transportpolizei Bahnhöfe und Schienenwege. In Zusam-menarbeit mit der Linie VIII sicherte die Hauptabteilung XX und die Abteilungen XX bedeutsame Objekte und Einrichtungen im Verantwortungsbereich des Post- und Fernmeldewesens gegen Aufklärungs- und Spionagehandlungen von Angehörigen der MVM/MI ab. Von der Hauptabteilung Personenschutz flossen Informationen aus der Objekt- und Personenabsicherung in die MVM-Meldetätigkeit ein. Die HA III und Abteilungen III übermittelten operativ bedeutsame Informationen über die Ange-hörigen der MVM/MI, ihrer Tätigkeit und Ausstattung entsprechend der Führungs- und Informationsordnung der Linie III an die HA VIII. Von den Abteilungen 26, M und N gelangten Abschöpfungsinforma-tionen aus der Telefonüberwachung und Postkontrolle zur Linie VIII. Über den Auf- und Ausbau notwendiger drahtgebundener Nachrichtenverbindungen gewährleisteten die Abteilungen N technische Unterstüt-zung für eine reibungslose Meldetätigkeit. Auch von den Bezirks- und Kreisdienststel-len des MfS wurde ein eigener Beitrag zur MVM-Abwehrarbeit eingefordert. So hat-ten die Leiter in ihren Zuständigkeitsberei-chen die Einhaltung der Meldetätigkeit zu überprüfen, Erfahrungen und Erkenntnisse der MVM/MI-Beobachtung unter den re-gionalen Besonderheiten auszuwerten und im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit anderen Schutz- und Sicherheitsorganen konkrete Konzepte zur Unterstützung bei der MVM-Abwehr auf der Linie VIII anzu-bieten.

Abb. K413

Abb. K414

Abb. K415

Abb. K413 – K415: Blockierte B-MVM Nr. 11 in Havelberg, Bezirk Magdeburg. Der sowjetische Kommandant weist sich gegenüber den Briten aus und nimmt die Sperrgebietsverletzung zu Protokoll.

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Hauptabteilung VIII Berlin, März 1987 Leiter

Lageentwicklung auf dem Gebiet der Abwehrarbeit gegen die drei westlichen Militärverbindungsmissionen im Jahr 198673

Die drei westlichen MVM haben auch 1986 ihre Aufklärungs- und Spionagetätigkeit weiter intensiviert und vervollkommnet. Ihre Bemühungen zur aktuellen, umfassenden Aufklärung des auf dem Gebiet der DDR stationierten Militärpotentials sowie der militärischen Lage wurden verstärkt und die Vorgehensweisen sowie Mittel und Methoden noch raffinierter gestaltet. Im Ergebnis der Abwehrarbeit wird sichtbar, daß die imperialistischen Geheimdienste der Entsendestaaten der Aufklärungs-und Spionagetätigkeit der drei westlichen MVM auf dem Territorium der DDR eine wachsende Bedeutung beimessen. Sie bezogen diese noch bewußter und gezielter in das System ihrer Militärspionage ein und führten Maßnahmen durch, welche besonders die Aufwertung der USA-MVM, als vorgeschobene Operationsbasis im „Feindesland“ und die Bestrebungen des Gegners, schnell in den Besitz gesicherter, interessierender Informationen über die militärische Lage in dem von ihnen als Gefechtsfeld Nr. 1 bezeichneten Gebiet zu bekommen, verdeutlichen. So wurde Ende 1986 die 1985 gebildete Luftoperationsabteilung der USA-MVM in eine eigenständige Squadron mit der Be-zeichnung 7452nd Special Activities Squadron (SAS) benannt, aus dem Verantwortungsbereich der US-Luftwaffenaufklärung in Berlin (West) herausgelöst und direkt dem Stab der Luftaufklärung der US-Luftstreitkräfte in Europa unterstellt. Sie erhielt damit den Status einer direkt berichtenden Einheit. Die vom Stab der Aufklärung des US-Hauptquartiers in Heidelberg ge-plante Installierung einer sogenannten „Troposcatterverbindung“ – einer speziell abhörsicheren Funkverbindung auf Mikro-wellenbasis – ermöglicht es der USA-MVM, über die Schaltstation des US-Hauptquartiers Heidelberg in direkten Funkkontakt mit dem Pentagon in Washington zu treten und durch sie erarbeitete Informationen auf kürzestem Wege unter Ausschaltung aller zwischengeschalteten Ebenen bis in die höchsten militärischen Stellen in den USA zu leiten. In diesem Zusammenhang sind auch die durchgeführten Maßnahmen zur Erhöhung der inneren Sicherheit der drei westlichen MVM auf der Grund-lage von Schulungsprogrammen der militärischen Abwehrdienste ihrer Entsendestaaten und die Durchsetzung erarbeiteter Sicherheitsprogramme, bei deren Nichteinhaltung persönliche Konsequenzen angedroht und durchgesetzt werden, zu be-achten. Wie in den letzten Jahren reagierten die MVM auf jede Veränderung in der Stationierung, Dislozierung, Bewaffnung und Ausrüstung der NVA und besonders der GSSD mit gezielten Spionageangriffen und waren dabei noch mehr als in der Vergangenheit bestrebt, die Abwehrmaßnahmen des MfS und anderer Schutz- und Sicherheitsorgane zu erkennen und zu unterlaufen. Schwerpunktmäßig konzentrierten sie sich dabei auf: militärische Aktivitäten der GSSD, der NVA und teilweise der Polnischen Volksarmee im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung von Manövern und Übungen, unter anderem „Granit“ und „Drushba“ 86; Marschstrecken, Bahnlinien und Verladebahnhöfe, insbesondere im Bereich von und zwischen Truppenübungsplätzen; Flugplätze des Diensthabenden-Systems, Luft-Boden-Schießplätze, Radar-und Raketenob-jekte der GSSD und der NVA, unter anderem entlang der Staatsgrenze West; Baumaßnahmen in militärischen Objekten und Einrichtungen der Land- und Luftstreitkräfte sowie Neuausrüstungen von Einheiten mit Militärtechnik. Nach dem Inkrafttreten der neuen ständigen Sperrgebiete am 9. 6. 1986 (siehe Anlage 1) begannen die MVM-Angehörigen Anfang Juli intensiv die frei gewordenen Gebiete aufzuklären, besonders das Umfeld des Truppenübungsplatzes Letzlinger Heide und Altenrabow, den Raum Beeskow – Seelow sowie die Insel Rügen und Usedom. Mit der erheblichen Reduzierung des territorialen Umfanges der ständigen Sperrgebiete ergaben sich für die drei westlichen MVM Möglichkeiten, militärische Objekte/Einrichtungen aufzuklären, zu denen sie teilweise über viele Jahre keinen Zugang hatten. Mit der Festlegung der neuen ständigen Sperrgebiete gingen die Sperrgebietsverletzungen und Mißachtungen von MVM-Verbotsschildern zunächst zurück und die MVM-Angehörigen verhielten sich disziplinierter im Straßenverkehr. Dieses Verhalten änderte sich jedoch nach wenigen Monaten wieder (siehe Anlage 4). Veränderungen in den Vorgehens- und Ver-haltensweisen der Angehörigen der drei westlichen MVM, die offensichtlich mit dem Ziel vorgenommen werden, die Aufklä-rungs- und Spionagetätigkeit effektiver und aktueller zu organisieren, zeigen sich vor allem in: der zeitweiligen Verkürzung des Fahrturnusses von 20 auf 10 bis 11 Tage (ab Oktober 1986), wodurch es den einzelnen MVM möglich ist, in kürzeren Zeit-abständen in allen Bezirken der DDR Aufklärungs- und Spionagehandlungen durchzuführen, wenn dazu aus ihrer Sicht eine

73 BStU, MfS, HA VIII Nr. 1655/4, S. 1 ff.73

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Kapitel 4 – Linie VIII

besondere Veranlassung bestand; der Konzentration der Heeresaufklärer der MVM auf relativ begrenzte Schwerpunktterrito-rien (siehe Anlage 2): der bewußten Unterwanderung der Sperrgebietsverordnung durch die unauffällige Benachrichtigung von sich zum Zeitpunkt der Einrichtung von zeitweiligen Sperrgebieten auf dem Territorium der DDR befindlichen MVM-Auf-klärungsbesatzungen mit dem Ziel, diese zu beauftragen, in diesen Gebieten Aufklärungs- und Spionagehandlungen durch-zuführen; der weiteren Zunahme von zielgerichteten Fahrten, besonders der Sektion Heer, zur Aufklärung interessierender militärisch bedeutsamer Aktivitäten, Räume, Objekte und Einrichtungen, in Verbindung mit einer stärkeren Durchführung von Mehrtages- und spezifischen Nachtfahrten sowie des Fahrtenbeginns in den Abend- und Nachtstunden; der Verringerung der Aufenthaltsdauer der einzelnen MVM-Aufklärungsbesatzungen, besonders der Sektion Luft, an den Zielobjekten, verbunden mit häufigem Standortwechsel und von Täuschungsmanövern durch Scheinanfahrten an militärische Objekte/Einrichtungen. (Spezifische Angaben zu Vorgehens- und Verhaltensweisen der Sektion Luft und Heer siehe Anlage 3.) Der überwiegende Teil der MVM-Aufklärungsbesatzungen verstieß und verstößt nach wie vor grob gegen die Straßenver-kehrsordnung der DDR, besonders durch erhebliches Überschreiten der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit, Mißach-tung der Haltezeichen der VP-Kräfte bei Geschwindigkeitskontrollen, plötzliches Wenden über den Mittelstreifen der Auto-bahnen. Versuche, die MVM-Angehörigen durch gezielte Radarkontrollen im entsprechenden Zusammenwirken mit der Verkehrs-polizei, der Linie VIII und den Angehörigen der GSSD zu disziplinieren, führten bisher nicht zum gewünschten Erfolg. Zur Gewährleistung einer hohen Einsatzbereitschaft und Mobilität der MVM-Aufklärer unter allen Gelände- und Witterungsbe-dingungen wird der Fahrzeugpark der drei westlichen MVM ständig erneuert. Er besteht gegenwärtig fast ausschließlich aus Geländefahrzeugen der Typen Mercedes und Range Rover sowie einigen Limousinen mit Allradantrieb und hohen Spitzenge-schwindigkeiten. Mit der dargelegten Lageentwicklung gestaltete sich die Abwehrtätigkeit gegen die drei westlichen MVM noch komplizierter. Für die Bezirksverwaltungen, in deren Verantwortungsbereich zum Teil erhebliche Gebiete mit militärische bedeutsamen Objekten im Ergebnis der neuen Sperrgebietsordnung für die Spionagetätigkeit der MVM zugänglich wurden, entstand eine neue politisch-operative Lage, der Rechnung getragen werden mußte. In enger Zusammenarbeit der Diensteinheiten der Linie VIII mit den übrigen in die Abwehrarbeit einbezogenen Diensteinhei-ten des MfS sowie den Organen des Zusammenwirkens wurde zielstrebig daran gearbeitet, in diesen Gebieten ein wirksames Meldesystem sowie einen entsprechenden Schutz von bedeutsamen militärischen Objekten und Einrichtungen durch die Einleitung geeigneter Abwehrmaßnahmen zu erreichen.Die operative Beobachtung konzentrierte sich auf die Absicherung militärischer Handlungen der GSSD und der NVA sowie auf die Zielobjekte der Aufklärung der drei westlichen MVM und konnte operativ wirksamer organisiert werden. Unter Be-rücksichtigung der entstandenen politisch-operativen Lage wird die Erwartungsbeobachtung weiter profiliert, das operativ-taktische Vorgehen noch besser der neuen Situation mit der Zielstellung angepaßt; noch gründlicher die Aufklärungsinteres-sen der MVM und die dabei zur Anwendung gebrachte operative Technik aufzuklären und festzustellen, die Spionagetätigkeit beweiskräftig zu dokumentieren, die Konspiration weiter zu erhöhen. Aus der Lageentwicklung ergibt sich die Notwendigkeit, den wachsenden politischen Aspekt und die Ergebnisse der Verhand-lungen zwischen den Oberkommandierenden der GSSD und der US-Armee in Europa bei der Organisierung der Abwehrarbeit gegen die Spionagetätigkeit der MVM noch bewußter zu berücksichtigen und diese so zu organisieren, daß die offensive Friedenspolitik der UdSSR, der DDR und der übrigen sozialistischen Staaten unterstützt und nicht diskreditiert wird; in Durchsetzung der Dienstanweisung 1/87 die Zusammenarbeit mit der Linie II den operativen Erfordernissen entsprechend weiter vervollkommnet wird und dazu die notwendigen Informationsbeziehungen zwischen den zuständigen Diensteinheiten beider Linien herzustellen sind; unter besonderer Berücksichtigung der seit Inkrafttreten der neuen Sperrgebietsordnung für die MVM jetzt erreichbaren Gebiete die politisch-operative Abwehrarbeit so zu organisieren, daß die Aufklärungsinteressen der MVM und dabei angewandte Mittel und Methoden noch gründlicher aufgeklärt, die Feindtätigkeit noch wirksamer ein-geschränkt und nach Möglichkeit verhindert wird; das operativ-taktische Vorgehen der operativen Kräfte des MfS und der Organe des Zusammenwirkens noch konsequenter den operativen Lagebedingungen anzupassen. Die Erreichung dieser Zielstellung soll u. a. durch ein entsprechendes Schreiben des stellv. Ministers, Generalleut-nant Neiber, an die Leiter der HA I, II, III, VIII, XVIII und XIX und die Leiter der Bezirksverwaltungen unterstützt werden. Anlage 1: Karte Ständige Sperrgebiete für das Personal der drei westlichen Militärverbindungsmissionen mit Hauptangriffs-richtungen und Vorgehensweisen der angehörigen der Sektion Luft und Heer der drei westlichen Militärverbindungsmissio-nen [Diese Karte fehlt in den Unterlagen]

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Anlage 2: Hauptangriffsrichtungen und Vorgehensweisen der Angehörigen der Sektion Luft und Heer der drei westlichen Militärverbindungsmissionen

Die angehörigen der Sektion Luft der drei westlichen MVM konzentrierten sich bei der Aufklärung von Objekten der LSK/LV auch in diesem Jahr in starkem Maße auf den Luft-Boden-Schießplatz Retzow/Schw und den Luft-Boden-Schießplatz Ros-sow/Pdm. Beide Objekte wurden teilweise über einen längeren Zeitraum unter ständige(r) Kontrolle gehalten, insbesondere durch Besatzungen der britischen MVM. Dabei war zu verzeichnen, daß die Aufklärungsbesatzungen im Laufe des Tages zwischen beiden Objekte, die ca. 40 km voneinander entfernt liegen, wechselten. Als Schwerpunktzeiten der Aufklärungs-tätigkeit konnten die Nachmittagsstunden, aber auch die Nachtstunden erkannt werden. In diesen Zeiten fühlten sich die MVM-Aufklärer gegenüber Maßnahmen der Schutz- und Sicherheitsorgane offensichtlich am sichersten. Entgegen früheren Erkenntnissen konnte der Einsatz spezieller Foto- und Filmtechnik durch Besatzungen der britischen MVM auch in den Nachtstunden festgestellt werden. Besatzungen dieser MVM fotografierten bzw. filmten mehrfach in den Nacht-stunden das Abschießen von Luft-Boden-Raketen sowie das Schießen mit Bordwaffen von Maschinen der GSSD. Der Einsatz von Video-Aufnahmetechnik zur Aufklärung des Flugbetriebes an diesen Objekten konnte wiederum bestätigt werden. Erst-mals konnte beim Einsatz dieser Technik auch die Anwendung eines Mikrofons, offensichtlich zur Aufnahme der Anflugge-räusche der Waffen, festgestellt werden. Weitere Hauptangriffsobjekte der Angehörigen dieser Sektion waren Flugplätze des Diensthabenden-Systems, Flugplätze, die mit neuer Flugtechnik belegt bzw. in Übungs- und Manöverhandlungen einbezogen waren. Zu diesen Objekten gehörten die Flugplätze Wittstock/Pdm, Werneuchen/Ffo, Welzow, Brand und Cottbus/Ctb, Mer-seburg, Allstedt und Köthen/Hal, Mahlwinkel und Cochstedt/Mgb. Die Aufklärung der Objekte der Luftverteidigung entlang der Staatsgrenze „West“ erfolgte weniger durch sogenannte Routinefahrten, bei denen während einer Fahrt die Objekte vom Bezirk Magdeburg bis Suhl aufgesucht wurden, sondern überwiegend durch Zielfahrten zu einem oder einigen wenigen Objekten in einem begrenzten Territorium. Die Aufklärung bestimmter Objekte erstreckte sich teilweise über mehrere Tage hintereinander oder an mehreren Tagen innerhalb eines kurzen Zeitabschnittes. Einen Schwerpunkt bildete dabei – wie bereits im Jahr 1985 – das Funkobjekt „Schwarzer Kopf“ im Bezirk Suhl. In diesem Objekt wurden bis Oktober 1986 durch Spezialkräfte der NVA und Zivilbeschäftigte der Firma TESLA (CSSR) Baumaßnahmen realisiert. Zum Ende dieser Baumaßnahmen erhöhten sich die Aktivitäten der drei westlichen MVM in starkem Maße, insbe-sondere der britischen MVM. Die Angehörigen der Sektion Heer der drei westlichen MVM konzentrierten sich in ihrer Aufklä-rungstätigkeit vorrangig auf militärische Transporte auf Straßen und Schienen, Konzentrierungs- und Bereitstellungsräume, Truppenübungsplätze und die dorthin führenden Marschstraßen. Die Mehrzahl der Fahrten erstreckte sich über zwei Tage. Der Beginn der Fahrten wurde flexibel gestaltet und wechselte laufend zwischen den frühen Morgen- und Nachtstunden. Die sogenannten „Routinefahrten“ wurden zugunsten von Zielfahrten weiter eingeschränkt. Die Aufklärungstätigkeit erfolgte zunehmend in einem relativ begrenzten Territorium. Der Wechsel in andere Aufklärungsgebiete, die teilweise über 100 km entfernt waren, erfolgte oftmals während der Nachtstunden im Schutz der Dunkelheit. Während der Aufenthalte in den relativ begrenzten Zielgebieten der Aufklärung hielten sich die Besatzungen der MVM vorwiegend in den Gemarkungen und Wäldern auf, befuhren untergeordnete Straßen und meiden Städte und größere Ortschaften. Durch dieses Verhalten wurde die Meldetätigkeit über den Aufenthalt und die Handlungen dieser Besatzungen auf dem Territorium stark beeinträchtigt und die operative Kontrolle durch Kräfte der Beobachtung erschwert.

Anlage 3: Auserwählte Beispiele von Aufklärungshandlungen der Angehörigen der drei westlichen Militärverbindungsmissionen

Am 10. 4. 1986, 15.07 Uhr, standen die Angehörigen der französischen MVM Capitaine Mathern Sektion Heer, Adjt-Chef Blancheton und Adjt-Chef Genevois mit dem Fahrzeug Nr. 34 in einem Waldgebiet bei Kienberg/Burg/Mgb und beobachteten die Marschstraße Nr. 8. 15.13 Uhr näherten sich NVA-Fahrzeuge auf der Marschstraße Nr. 8 fahrend dem Standort der MVM-Angehörigen in Richtung Wald-rogäsen. Zwei MVM-Angehörige verließen sofort ihr Fahrzeug, liefen gedeckt zur Marschstraße und fotografierten aus einer Kiefernschonung heraus die vorbeifahrenden NVA-Fahrzeuge in einer Entfernung von ca. 10 bis 15 Metern. Die Kolonne be-stand aus Panzern, Typ T-55, SPW P-60 und BMP. Nach Passieren der Kolonne legten die MVM-Angehörigen ihre Fotoappara-te in ihrem Fahrzeug ab, begaben sich nochmals zur Marschstraße und betrachteten die Fahrzeugspuren der NVA-Fahrzeuge. Danach begaben sie sich in ihr eigenes Fahrzeug und verließen später gegen 16.50 Uhr den Standort in Richtung Theeßen.

10. 4. 198615.07 Uhr

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Kapitel 4 – Linie VIII

Am 17. 6. 1986, 20.26 Uhr, fuhren die Angehörigen der britischen MVM Warrent-Officer O’Hare Sektion Heer, Sergeant Fannon und Corporal Moffat mit dem Fahrzeug Nr. 8 über den Ortsverbindungsweg Bornitz-Ganzig/Oschatz/Lpz zur Bahnlinie Leipzig-Riesa und parkten ihr Fahrzeug in einem Getreidefeld ab. Die MVM-Angehörigen beobachteten den Zugverkehr auf der genannten Bahnlinie. Es passierten mehrere Personen-, D- und Güterzüge die Strecke. Zwei MVM-Angehörige hatten zeitweilig ihr Fahrzeug verlassen, sich zur Bahnlinie begeben und vorbeifahrende Güterzüge mit Halogenscheinwerfern abgeleuchtet. Der Fahrer des MVM-Fahrzeugs saß auf dem Dach seines Kübels und leuchtete von dort ebenfalls mit einem Halogenscheinwerfer die vorbeifahrenden Züge ab. Nach einem Aufenthalt von vier Stunden verließen die MVM-Angehörigen mit dem Fahrzeug Nr. 8 den Standort im Bereich der Bahnlinie. Am 2. 9. 1986, 07.37 Uhr, verließen die Angehörigen der USA-MVM Major Eschrich Sektion Heer, Major Wilson und Major Culpepper mit dem Fahrzeug Nr. 23 das Objekt der MVM in Neu Fahrland/Pdm-Land/Pdm zur Aufklärung von Objekten der GSSD im Raum des Truppenübungsplatzes Döberitz/Pdm. 07.39 Uhr fuhren sie auf der Ortverbindungsstraße von Neu Fahrland in Richtung Fahrland mit ca. 30 bis 40 km/h am GSSD-Objekt Krampnitz vorbei. Nach Passieren des Objektes kam ihnen eine Kolonne der GSSD, bestehend aus mehreren SPW-70 entgegen. Die MVM-Angehörigen hielten ihr Fahrzeug an und beob-achteten die SPW. Am Ortseingang von Fahrland bog das Fahrzeug rechts auf einen Feldweg ein, der zum Schießplatz der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Potsdam sowie in Richtung des Truppenübungsplatzes der GSSD führt. Die MVM-Angehörigen fuhren bis zur Höhe 34,1 und parkten dort mit dem Fahrzeug. Sie öffneten die Scheiben der Fahrzeugtüren und beobachteten die Gefechtsfahrzeuge des Objektes Krampnitz, darunter Panzer, Typ T-72, SPW, Typ BMP. Ein Insasse filmte mit der Video-Kamera diese Gefechtsfahrzeuge. Nach ca. 15 Minuten Aufenthalt wurde ein neuer Standort eingenommen, von dem nochmals diese Fahrzeuge sowie die Rückfront des genannten Objektes gefilmt wurden. Gegen 08.13 Uhr verließen die MVM-Angehörigen diesen Standort und fuhren nach Fahrland zurück. Am 18. 12. 1986, 13.18 Uhr, fuhren die Angehörigen der USA-MVM Capitain Hindrichs Sektion Luft und Master Sergeant Barry mit dem Fahrzeug Nr. 28 von Skaup/Großenhain/Ddn mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Skäßchen. 14.12 Uhr stand das Fahrzeug bei der Ortschaft Dorf der Jugend. Die Insassen des MVM-Fahrzeuges hatten Sicht zum Fugplatz der GSSD Großenhain und beobachteten die startenden und landenden Maschinen vom Typ SU-24. Der Offizier arbeitete mit einem bisher nicht identifizierten technischen Gerät, aus dem zeitweise ein Lichtstrahl hervortrat. Nach mehrmaligem Wechseln des Standortes im Bereich des Flugplatzes standen die MVM-Angehörigen 14.48 Uhr an der Ortverbindungsstraße Dorf der Jugend-Folbern., ca. 1200 Meter von der Start-und Landebahn des Flugplatzes entfernt. Die MVM-Angehörigen beobachte-ten den Flugplatz und die in die Flugübungen einbezogenen Maschinen. Gegen 15.15 Uhr wurde die MVM-Besatzung wegen aktiver Spionagetätigkeit, ca. 1000 Meter vom Flugplatz entfernt, durch Angehörige der GSSD vorläufig festgenommen.

Anlage 4: Auserwählte Beispiele von groben Verstößen gegen die StVO der DDR durch Angehörige der drei westlichen Militärverbindungsmissionen

Am 11. 4. 1986, 18.55 Uhr, durchfuhren die Angehörigen de französischen MVM Capitaine Kochanowski Sektion Luft, Adjt-Chef Rimek und Adjt-Chef Bock mit dem Fahrzeug Nr. 38 auf der Autobahn A 15, km 5,5, in Richtung Abzweig Rostock/Oranienburg/Pdm eine Radarkontrolle der DVP bei zugelassenen 80 km/h mit 144,0 km/h. Das Haltezeichen der Angehörigen der DVP wurde nicht beachtet, Die VP-Angehörigen mußten zur Seite springen, um nicht angefahren zu werden. Am 14. 4. 1986, 09.40 Uhr, durchfuhren die Angehörigen der französischen MVM Capitaine Kochanowski Sektion Luft, Adjt-Chef Schaer und Adjt-Chef Bock mit dem Fahrzeug Nr. 34 auf der Autobahn A 15, km 18,5/Neuruppin/Pdm in Richtung Autobahn A 1 eine Radarkontrolle der DVP mit 130 km/h bei einer zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Das Haltezeichen des VP-Postens wurde nicht beachtet. Er mußte zur Seite springen, um nicht angefahren zu werden. Am 5. 5. 1986, 15.20 Uhr, fuhren die Angehörigen der USA-MVM Lieutenant Colonel Shoffner Sektion Luft und Sergeant Kurtz mit dem Fahrzeug Nr. 21 auf der Autobahn A 15 vom Abzweig Rostock/Oranienburg/Pdm in Richtung Abzweig Wittstock mit überhöhter Geschwindigkeit ständig auf der Überholspur. 15.32 Uhr passierten sie am km 26,0 der A 15/Neuruppin/Pdm

17. 6. 1986 20.26 Uhr

2. 9. 1986 07.37 Uhr

18.12. 1986 07.37 Uhr

11. 4. 1986 18.55 Uhr

14. 4. 1986 09.40 Uhr

5. 5. 1986 15.20 Uhr

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eine Radarkontrolle der DVP mit 139,0 km/h bei zugelassener Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Das Haltezeichen des VP-Postens wurde nicht beachtet. Am 13. 5. 1986, 13.11 Uhr, passierten die Angehörigen der USA-MVM Major Silva Sektion Heer und Staff Sergeant Lawrence mit dem Fahrzeug Nr. 29 am Ortsausgang von Wanzleben/Wanzleben/Mgb in Richtung Domersleben einen Bahnübergang bei rot geschalteter Ampelanlage. Am 16. 9. 1986, 11.45 Uhr, hielten die Angehörigen der französischen MVM Capitaine Bristiel Sektion Heer, Adjt-Chef Rieth und Adjt-Chef Souquet mit dem Fahrzeug Nr. 32 auf der F 105 bei Kröpelin/Bad Doberan/Rst an der geschlossenen Bahnschranke. Nach Passieren eines Militärzuges setzten die MVM-Angehörigen verkehrswidrig bei noch geschlossener Halbschranke ihre Fahrt mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Kröpelin fort. Am Ortseingang mußten sie wiederum vor einer geschlossenen Bahnschranke halten. 11.47 Uhr passierte der genannte Militärzug diesen Bahnübergang. Der Beifahrer des MVM-Fahrzeuges fotografierte den Militärzug mit Hilfe eines Teleobjektives. Nach dem Öffnen der Bahnschranken fuhren die MVM-Angehörigen sofort zum Bahnhofsgelände. Am 1. 12. 1986, 13.01 Uhr, mußten die Angehörigen der britischen MVM Capitain Hogg Sektion Heer, Warrant-Officer Richart und Corporal Marshall mit dem Fahrzeug Nr. 5 auf der F 246 bei Wanzleben/Wanzleben/Mgb in Richtung Altenweddingen verkehrsbedingt an den geschlossenen Halbschranken des Bahnüberganges der Bahnlinie Oschersleben-Magdeburg, Abzweig Blumenberg, halten. Nachdem der Personenzug den Bahnübergang passiert hatte, setzten die MVM-Angehörigen die Fahrt trotz geschlossener Halbschranken fort. Am 12. 12. 1986, 13.09 Uhr, wendeten die Angehörigen der USA-MVM Major DeLeon III Sektion Heer und Staff Sergeant Lawrence in Malchow/Waren/Nbdb unter Verletzung der StVO der DDR verkehrswidrig und unter Gefährdung anderer Verkehrsteilneh-mer in der Langenstraße (Einbahnstraße) und fuhren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung auf der F 192 in Richtung Karow weiter.

13. 5. 198613.11 Uhr

16. 9. 198611.45 Uhr

10. 4. 198615.07 Uhr

12.12. 198613.09 Uhr

Abb. K416: Im Zusammenwirken von operativen Beobachtern der BV Karl-Marx-Stadt und der Deutschen Volkspolizei konnte die B-MVM Nr. 5 am 23. Juni 1981 nach einer Sperrgebietsverletzung in Karl-Marx-Stadt erfolgreich blockiert werden.

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Die FreundeAbb. K501: Der sowjetische Teil von Berlin-Karlshorst bestand aus exakt drei Buchstaben: KGB.

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Kapitel 5 – Potsdam/Berlin-Karlshorst

Das Bruderorgan

D ie zielstrebige „Aufklärung, Einen-gung und Verhinderung der feind-lichen Aktivitäten der Angehörigen

der drei westlichen MVM“1 und MI auf dem Territorium der DDR beziehungsweise Ost-berlins vollzog das MfS im engen Schul-terschluss mit dem „sowjetischen Bruder-organ“. Um den gemeinsamen Feind – so die östliche Diktion für die westalliierten Militärverbindungsmissionen – effektiv und erfolgreich abwehren zu können, re-gelten spezielle Arbeitsvereinbarungen den Informationsfluss zwischen der federfüh-renden Hauptabteilung VIII/5 des MfS und den sowjetischen Geheimdiensten. Auch auf Bezirks-und Kreisebene bestanden Ar-beitskontakte. In den Unterlagen des MfS sind Belege für diese vielschichtige Zu-

1 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5244, S. 2

Abb. K502: Die ehemalige Residentur des KGB in Berlin-Karlshorst. Nach der offiziellen Schließung 1992 zogen die Geheimdienstmitarbeiter in eine andere WGT-Kaserne nach Rehagen um.

Abb. K503: Büroräume in der ehemaligen KGB-Residentur.

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sammenarbeit überliefert, wenngleich die direkten Kooperationspartner aus Gründen der Konspiration dort selten offen benannt werden. Vom KfS2 oder dem sowjetischen Militärgeheimdienst GRU3 ist dort nicht die Rede. Stattdessen durchziehen sperrige und nebulöse Floskeln wie „Mitteilung an die befreundete Dienststelle“, „Ersuchen im Auftrag der Freunde“ oder „inoffiziell von der Verwaltung Militärabwehr bekannt gewordener Sachverhalt“ den Schriftver-kehr. Die sowjetische Seite überschrieb ihre Briefe lediglich kurz und knapp mit „sekretno“ – geheim. Ohne Absender, An-sprechpartner oder Telefonnummer zu vermerken. Doch die Kuriere beider Seiten wussten auch ohne diese Angaben, wo der richtige Adressat zu finden war. Einen Hauptumschlagplatz für geheime Infor-mationen bildete in der Hochphase des Kalten Krieges die Residentur des KfS im Ostberliner Stadtteil Karlshorst, Zwieseler Straße.4 Mehr als die Hälfte von Karlshorst war zu diesem Zeitpunkt ein weiträumig abgeriegeltes militärisches Sperrgebiet, um neugierige Blicke und aufgesperrte Ohren fern zu halten.5 Ein Wachregiment des KGB sicherte das Areal.6 Für die größte Niederlassung des sowjetischen Geheim-dienstes außerhalb der UdSSR arbeiteten in der DDR mehr als 1000 hauptamtliche Mitarbeiter. Allein 800 Telefonanschlüsse speiste die hauseigene Nachrichtenzent-rale7 Mitte der 80er Jahre aus dem noch von der Deutschen Wehrmacht gebauten Bunker in das Objektnetz von Karlshorst ein. Für ausgewählte Nutzer waren separa-te Nachrichtenverbindungen der höchsten Sicherstellungsebene im weitgehend ab-

2 KfS ist die allgemein gebrauchte Abkürzung innerhalb des MfS für KGB – Komitet gossudarstwennoi besopasnosti pri Sowete Ministrow SSSR – (russ.) Komitee für Staatssicher-heit beim Ministerrat der UdSSR, Bezeichnung seit 1954

3 Glawnoje raswediwatelnoje uprawljenie – (russ.) Hauptver-waltung für Aufklärung beim Generalstab der Sowjetarmee; sowjetischer Militärgeheimdienst

4 Feldpostnummer 54729. Die Nummer ist bis heute unverändert aktiv und gehört zum zentralen Apparat des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB am Lubjanka-Platz in Moskau.

5 BStU, MfS, HA VIII Nr. 1525, S. 1136 105. (Sonder-) Wachregiment des KGB, Feldpostnummer

70803 und 62504 für den Bereich Karlshorst; 10. Wachba-taillon des KGB, Feldpostnummer 74487 für den Bereich Potsdam.

7 Nachrichtenzentrale 58, Feldpostnummer 64040, Tarnname „Istok“

hörsicheren WtSch-Netz8 geschaltet. Diese „heißen Drähte“ verbanden die Residentur beispielsweise direkt mit den Genossen des Partei-und Staatsapparates in Moskau oder dem Oberkommandierenden der GSSD in Wünsdorf.Auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR betrieb zahlreiche eigene Dienst-objekte in Karlshorst. Eine große Anzahl inoffizieller Mitarbeiter wachte im Auftrag der Spionageabwehr, um jede Auffälligkeit im Zusammenhang mit dem „Sondergebiet Karlshorst“ zu melden. Hinter die hohen Mauern von „Karlowka“ hatten sich neben dem sowjetischen Geheimdienst vornehm-lich ranghohe Militärs, Parteimitglieder und Diplomaten mit ihren Familien zurückgezo-gen. Das Villenviertel der Privilegierten konnte neben Beschaulichkeit noch mit weiteren Annehmlichkeiten aufwarten. Die Betreuung der Kleinsten oblag dem sowje-tischen Kindergarten Nr. 1 „Druschba“. In

8 Hochfrequenz-Netz – (russ.) Abkürzung für das geheime Telefonnetz mit Nachrichtenverbindungen höchster Sicherstellung. Es dient der Verbindungsaufnahme von Führungskräften des MfS zu den Spitzenfunktionären der SED sowie zu den Führungskräften der NVA, des MdI, der Zollverwaltung, dem KfS und der GSSD. Je nach einge-setztem Schlüsselsystem gilt das System als weitgehend abhörsicher. Verbreitet in den Staaten des Warschauer Vertrages.

der 113. Schule der GSSD lernten fleißig die nächsten Generationen junger Komsomol-zen. Das Militärkrankenhaus stellte für alle sowjetischen Bewohner eine sehr gute und kostenlose medizinische Regionalversor-gung sicher. Karlshorst war angesichts die-ser Bedingungen nicht der Inbegriff eines Moskau im Kleinformat, sondern nach sow-jetischem Verständnis eher ein weltge-wandter deutscher Stadtteil mit fast west-lichem Flair. Eine Versetzung nach Karlshorst kam für jeden sowjetischen Mili-tärangehörigen einem Glücksgriff gleich. Da der Einsatz dort oft nur auf wenige Jah-re beschränkt war, genossen die Menschen das Leben auch nach Dienstschluss. Karls-horst wurde daher unübersehbar belebt und getragen von seinen vielen uniformier-ten und zivilen Sowjetbürgern, die dem pulsierenden Berliner Stadtteil zu einer ganz eigenen Note verhalfen. Diese Exotik zog wiederum auch zahlreiche DDR-Bürger an. Den kulturellen Mittelpunkt von Karls-horst bildete das Haus der Offiziere an der Treskowallee. In dem großzügigen Bau fan-den regelmäßig Theateraufführungen, Kon-zerte und Kinoabende statt. KGB-Angehö-rige, die dem allabendlichen Trubel

Abb. K504: Kindergarten Nr. 1 „Druschba“ in Berlin-Karlshorst.

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Kapitel 5 – Potsdam/Berlin-Karlshorst

entgehen wollten, bevorzugten dann aber doch lieber den wesentlich diskreteren Of-fiziersklub im Inneren des Sperrgürtels. Be-sonders großer Beliebtheit erfreute sich der knapp außerhalb des Sperrgebiets gelegene HO-Spezialhandel in der Rheinsteinstraße 31. Dort durften eigentlich nur sowjetische Militärangehörige und Geheimdienstmitar-beiter einkaufen. Aber das für DDR-Ver-hältnisse geradezu paradiesische Angebot zu unversteuerten Konditionen zog auch Kundschaft aus Westberlin magisch an. In den Kasernen der US-Army Berlin Brigade wurde der Laden als Geheimtipp gehandelt.

Zähneknirschend aber machtlos vermerkte das MfS, „dass sich ein reger Kundenkreis von USA-Besatzern in dieser Verkaufsstelle herausbildete.“9 Der besondere Status von Berlin gestattete ausdrücklich auch westal-liierten Militärangehörigen den Aufenthalt in sowjetischen Verkaufseinrichtungen, so-lange sich diese außerhalb von Sperrgebie-ten befanden. Deshalb entstand in der Rheinsteinstraße 31 die kuriose Situation, dass KGB-Mitarbeiter in einer Reihe mit dem Erzfeind aus dem Westen um Waren

9 BStU, MfS, HA VIII Nr. 1525, S. 119

anstanden. Zu den Grundlagen der sowjeti-schen Geheimdienststruktur gehörte das Dualprinzip. Die Partei-und Staatsführung der UdSSR forcierte zum eigenen Machter-halt stets zwei parallel und nach dem Kon-kurrenzprinzip arbeitende sowjetische Dienste: KGB als ziviler und GRU als militä-rischer Geheimdienst. Für die Arbeit mit den eigenen Militärverbindungsmissionen und der Bearbeitung der westlichen Mili-tärverbindungsmissionen bedeutete dies in der Konsequenz eine zweigeteilte Zustän-digkeit. Die Lenkung der SMVM in der Bun-desrepublik erfolgte direkt durch den mili-tärischen Geheimdienst GRU unter dem Aspekt der Aufklärung. Die Spionageab-wehr der westlichen MVM in der DDR so-wie die Kontrolle und Spionageabwehr in den Einheiten der GSSD/GRU ruhten dage-gen in den Händen des KGB. Aus Gründen der Tarnung waren die zwei unabhängig voneinander handelnden Abteilungen Mili-tärverbindungsmission GRU und KGB in die Strukturen der GSSD eingebettet. Als Ele-ment des Stabes beziehungsweise als Son-derabteilung unterschieden sie sich rein äußerlich nicht von anderen Militäreinhei-ten der GSSD. Aufklärung und Abwehr pflegten aber territorial getrennt ihren Auf-gaben nachzugehen. In Wünsdorf residierte die Abteilung MVM in der Verwaltung Auf-klärung (GRU).10 Die Abteilung MVM der VBA des KfS11 bei der GSSD (KGB) war da-gegen direkt im Dienstobjekt der sowjeti-schen Militärabwehr in der Berliner/Ecke Behlertstraße12 in Potsdam untergebracht.13 KGB und GRU gliederten sich in Verwaltun-gen auf. Dieses Grundgerüst durchzog auch ihre Strukturen in der DDR. Neben Karls-horst war das KGB mit seinen Dienststellen jedoch auch auf zahlreiche andere Orte in

10 Und damit nicht direkt in der Vertretung des Militärge-heimdienstes der UdSSR in der Kaserne Potsdam-Babels-berg, Feldpostnummer 18539 ?

11 UOO KGB po GSWG (russ.) – Verwaltung der besonderen Abteilung des Komitee für Staatssicherheit der UdSSR bei der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland. (Vollständig OWMS/UWK/UOO KGB po GSWG – Abteilung MVM, Verwaltung militärische Spionageabwehr, Verwaltung der besonderen Abteilung des Komitee für Staatssicherheit der UdSSR bei der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland.)

12 Feldpostnummer 3210213 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 195

Abb. K505: Auf dem früheren Gelände des KGB-Hauptquartiers in Berlin-Karlshorst betreibt der russische Geheimdienst (ehemals 16. Verwaltung des KGB, danach Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information) noch immer einen Abhörstützpunkt unter der Legendierung „Produktionslager der Bot-schaft der russischen Föderation“. Der heutige Dienst für Spezialnachrichtenverbindungen und Information (SSSI) ist dem Geheimdienst des russischen Präsidenten FSO unterstellt. Nur wenige Meter neben der Berliner Außenstelle des SSSI/FSO in der Straße am Heizhaus befindet sich der zentrale Telekommunikati-onsknoten von Berlin, über den fast alle Telefongespräche der Stadt laufen.

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der DDR verteilt, ebenso wie die militäri-sche Aufklärung nicht nur von Potsdam und Wünsdorf aus operierte. Das Komitee für Staatssicherheit der UdSSR war in der DDR personell, finanziell und logistisch der GRU weit unterlegen. Dieses Ungleichgewicht war historisch gewachsen. Schon kurz nach der Bildung und Funktionstüchtigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR unter maßgeblicher Schützenhilfe des KGB übertrug das „Bruderorgan“ seit den 60er Jahren schrittweise immer mehr zuvor selbst wahrgenommene Aufgaben an die deutsche Seite. Einhergehend mit dem Rückzug aus Teilbereichen der Aufklärung und Abwehr reduzierte das KGB sein eige-nes Personal in der DDR, wahrte aber sei-nen Einfluss durch eine strukturstarke Ver-tretung. Gelenkt durch Karlshorst sicherte sich vor allem die Gruppe der Verbindungs-offiziere des KGB in allen Hauptverwaltun-gen und Bezirksverwaltungen des MfS ei-nen privilegierten Zugang zum Wissen des Geheimdienstes der DDR. Der militärische Geheimdienst GRU konnte sich im Gegen-satz zum KGB jederzeit auf die gesamte Struktur des GSSD als stärkste Streitkräfte-gruppe der sowjetischen Armee außerhalb der UdSSR abstützen. Mit dieser mächtigen Streitmacht im Rücken bedurfte es keiner Vertretung im MfS wie sie das KGB unter-hielt. Ein Agentennetz im und nach dem Operationsgebiet sowie der Zugang zu den eigenen globalen Ressourcen der elektroni-schen Aufklärung sicherten der GRU einen gewissen Informationsvorsprung vor den „Komitetschiki“. Dennoch blieben die Leis-tungen beider sowjetischen Dienste bezo-gen auf die Schwerpunkte Westeuropa und NATO stets hinter denen des MfS zurück.14 Diese Tatsache war zumindest in den Lei-tungsebenen von KGB, GRU und MfS ein offenes Geheimnis. Die 3. Hauptverwal-

14 Das KGB arbeitete konservativ mit Agenten und erzielte mit dieser Taktik durchaus Spitzeninformationen. Es fehlte den Mitarbeitern des KGB aber durchweg am kulturellen Einfühlungsvermögen und nötigen Fingerspitzengefühl für das Operationsgebiet West, vor allem unter den besonderen Gegebenheiten des geteilten Deutschland. Bei der GRU liefen viele Rohdaten durch technische Aufklärung ein, aber fehlende Ressourcen in der Kryptographie und mangelnde Sprachfertigkeiten des Personals ließen die Auswertungser-gebnisse oft mangelhaft ausfallen.

Abb. K506: Nachrichtenzentrale 58 „Istok“.

Abb. K507: Telefonkabel im Keller der KGB-Residentur.

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Kapitel 5 – Potsdam/Berlin-Karlshorst

tung15 des KGB war für die Abwehr der drei westlichen Militärverbindungsmissionen und die innere Absicherung der GSSD zu-ständig. Grundsätzlich stellte das MfS die operative Beobachtung der westlichen MVM auf dem Territorium der DDR sicher und regelte das Zusammenwirken sowie den Informationsaustausch mit dem KGB durch spezielle Kooperationsvereinbarun-gen. 1973 verständigten sich beide Dienste hinsichtlich der Erhöhung der Wirksamkeit der gemeinsamen politisch-operativen Ab-wehrtätigkeit gegenüber den Angehörigen der drei westlichen MVM auf eine bessere Zusammenarbeit. Konkret auf der Ebene der VBA des KfS für die GSSD und der Hauptabteilung VIII des MfS.16 Aus diesen Konsultationen resultierten bis 1979 meh-rere Protokolle zum aktuellen Stand der Zusammenarbeit, Perspektivpläne und kon-kretisierte Pläne für den Informationsaus-tausch.17 Sie regelten grundsätzlich die Zu-ständigkeiten auf den verschiedenen Ebenen der Entscheidungsträger, die jewei-ligen Ansprechpartner, den Informations-bedarf und den Informationsfluss in beide Richtungen. Auf der Ebene der Leitung des MfS und der Leitung der Vertretung des KfS sollten demnach alle wesentlichen Erkennt-nisse über die erkannten Ziele, Pläne, Ab-sichten, Mittel und Methoden der MVM-Aufklärungstätigkeit ausgetauscht werden. Über bedeutsame Ergebnisse hatte eine So-fortinformation zu erfolgen. Ersuchen zur Durchführung besonderer Maßnahmen wie demonstratives Unterkontrollehalten, die Verhinderung der Weiterfahrt außerhalb der ständigen Sperrgebiete oder die Durch-suchung von Fahrzeugen richtete das MfS an das KfS. Ebenso alle Vorschläge zur Durchführung operativer Maßnahmen, zu deren Realisierung andere Diensteinheiten von MfS, NVA, Grenztruppen, Zoll oder MdI mit einbezogen werden mussten. Auf der Ebene der HA VIII des MfS und der Leitung

15 Ab 1982 wieder im Status einer Hauptverwaltung, davor 3. Verwaltung.

16 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 117 f.17 Informationsaustausch vom November 1975 mit Protokoll

vom November 1976 und der Perspektivplanung vom April 1978. BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 124 ff., 134 ff., 117 ff.

der VBA des KfS hatte ein Austausch über die Analysen der Feindtätigkeit und der da-bei angewandten Mittel und Methoden zu erfolgen. Dabei handelte es sich um Mate-rialien, die auch an die höhere Ebene über-geben wurden. Das MfS lieferte dem KfS alle erlangten Beweise über aktive Spiona-gehandlungen und andere grobe Verletzun-gen der zweiseitigen Vereinbarungen oder der staatlichen Rechtsordnung der DDR, die von der VBA für offizielle Proteste bei den Chefs des jeweiligen MVM genutzt werden konnten. Daneben operativ bedeutsame Kontakte der drei westlichen MVM, von de-nen beide Organe profitierten, oder unter Einbeziehung weiterer Diensteinheiten des MfS bearbeitet werden konnten sowie Auf-klärungsergebnisse über MVM-Angehörige mit Potential für Gegenmaßnahmen. Ferner erbeutete Materialien im Rahmen von Blo-ckierungen und gewonnene Erkenntnisse aus gemeinsam organisierten operativ-technischen Maßnahmen. Das MfS über-mittelte dem KfS auch alle Hinweise über das eingesetzte DDR-Dienstleistungsperso-nal in den Missionshäusern, um eine An-werbung von inoffiziellen Mitarbeitern besser koordinieren zu können und Doppel-werbungen auszuschließen. Unter Abwehr-gesichtspunkten sollte das MfS Anhalts-punkte für den Fall von Überwerbungen dieser IM durch westliche Dienste an das KfS liefern. Insgesamt bestand ein starkes Interesse des KfS an der Struktur und den Verbindungen der drei westlichen MVM im Operationsgebiet.18 Die Rückverbindungen zu den Westberliner Besatzungsbehörden und Geheimdiensten erregte die Aufmerk-samkeit der sowjetischen Seite ebenso wie alle Abläufe in den Westberliner Dienststel-len, der Schutz dieser Einrichtungen und die Abschirmung durch die westliche Spio-nageabwehr. Alle Erkenntnisse zu den han-

18 Das KfS hatte sich die alleinige Bearbeitung der West-berliner MVM-Objekte vorbehalten. An diese Absprachen hielt sich das MfS nur bedingt. In der Einsatzrichtung Operationsgebiet Westberlin kamen unter strengster Wahrung der Konspiration zur Aufklärung von Kommuni-kationsverbindungen und Kontaktstellen die inoffiziellen MfS-Mitarbeiter „Last“, „Kellner“, „Ellen“, „Michael“ und „Hedwig Balzer“ zum Einsatz. Für die Telefonermittlung im Westteil der Stadt vom Territorium der DDR aus setzte die Abteilung 5 der HA VIII fünf weitere IM ein. BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 209

delnden Personen der MVM, ihren Familien, Freunden, Bekannten, Hausangestellten und Kontaktpartnern genossen höchste Pri-orität. Ihre Wohnsitze waren aufzuklären. Ebenfalls ihr Reiseverhalten. Über ihre Her-kunft, Ausbildung, Qualifizierung und bis-herigen Einsatzorte erhoffte sich das KfS nähere Anhaltspunkte für operativ-techni-sche Maßnahmen. Das KfS wollte auch über technische Überwachungsmaßnah-men gegen einzelne MVM-Angehörige durch das MfS unterrichtet werden.19 Auf der Ebene der Abteilung 5 der HA VIII des MfS und der Leitung der Dienstelle der VBA des KfS20 erfolgte der konkrete Austausch von Erfahrungen und Erkenntnissen, die beide Seiten in der direkten Abwehrarbeit

19 Ohne gemeinsame Koordination konnte es bei Beobach-tungs- und Abhörmaßnahmen gegen MVM-Angehörige in den Hotels der DDR zur gegenseitigen Behinderung oder Dekonspiration von Kräften des KGB und des MfS kommen.

20 Konkret an die Abteilung MVM bei der VBA des KfS.

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gegen die westlichen MVM gesammelt hatten. Diese Schwerpunkte erfassten die Hauptangriffsrichtungen der MVM und die Identifizierung personeller Schwerpunkte unter den Mitarbeitern. Alle Erkenntnisse aus den verschiedenen Formen des takti-schen Vorgehens gegen die westlichen MVM waren auszuwerten. Der IMV-Ein-satz21 in den Objekten der MVM in Potsdam zwang im Interesse der Verschleierung der Mittel und Methoden beide Dienste zu ei-nem engen Austausch.22 Keinesfalls sollten in dieser Frage Kompetenzstreitigkeiten heraufbeschworen werden. Enttarnungen mit unerwünschten Folgen konnten sich

21 IMV – Inoffizieller Mitarbeiter, der unmittelbar an der Bearbei-tung und Entlarvung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen mitarbeitet. 1968 mit Richtlinie 1/68 vom Januar 1968 eingeführte Kategorie; teilweise aus der Kategorie GM entstanden. 1979 abgelöst durch die Kategorie IMB.

22 In den Objekten der USA-MVM arbeiteten 1979 4 IMV, der B-MVM 5 IMV und der F-MVM 5 IMV für das MfS. Zur Kontaktbearbeitung brachte die Linie VIII weitere 10 IMV zielgerichtet zum Einsatz. BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 209

beide Seiten nicht leisten. Aus der operati-ven Kontrolle oder der Meldetätigkeit ge-wonnene Erkenntnisse über alle Bewegun-gen und Handlungen der MVM-Angehörigen auf dem Gebiet der DDR, von der Sperrge-bietsverletzung bis zum privaten Einkauf, gingen nach der Wertigkeit gestaffelt an das KfS. Entweder in Tagesberichten, Beob-achtungsberichten, Einzeleinschätzungen oder statistischen Angaben. Den abgehör-ten MVM-Telefonverkehr23 lieferte das MfS nur in Teilen an die Freunde. Nur wenn die erlauschten Informationen Sicherheitsin-teressen der GSSD berührten, ging der voll-ständige Wortlaut an das KfS.24 Daten über die militärischen und zivilen Besucher der MVM erbat sich das MfS vom KfS. Ent-

23 Realisiert durch die Linie 26 in der HA VIII/5. 24 Ab 1978 erbat das KfS den gesamten abgehörten Telefon-

verkehr der MVM vom MfS. Der Bitte wurde mit Ausnahme aller Gespräche der eigenen IM entsprochen. BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 161, 306

deckte das MfS nach einem Speicherab-gleich unter den Besuchern der Potsdamer MVM-Residenzen einen Angehörigen westlicher Geheimdienste, sah der Infor-mationsaustausch ein gemeinsames Vor-gehen in der weiteren Bearbeitung vor. Sofortinformationen, telefonisch oder mündlich, lieferte das MfS bei besonderen Vorkommnissen wie 1) Verletzungen von ständigen oder zeitweiligen Sperrgebieten, 2) operativ bedeutsamen Aufklärungs-handlungen an Objekten und Einrichtun-gen der GSSD und der DDR, 3) Eindringen in Objekte und Einrich-tungen der GSSD oder der bewaffneten Or-gane der DDR bzw. in andere Objekte und Einrichtungen der DDR, 4) Nichtbefolgen bzw. Nichtbeachten von Haltezeichen und anderen Weisungen von Angehörigen der bewaffneten Organe der DDR und GSSD, 5) Beförderung von Personen in den Fahrzeugen der MVM, die nicht zum Per-sonalbestand der MVM gehörten, 6) Kontakte zu Angehörigen der GSSD, Bürgern der DDR oder in der DDR lebender Ausländer, 7) Behinderungen an der Weiterfahrt und Maßnahmen des Festhaltens/Blockie-rens von MVM-Fahrzeugen durch Angehö-rige bewaffneter Organe der DDR und der GSSD, 8) Verkehrsunfälle und schwere Sach-beschädigungen, 9) Grobe Verkehrsgefährdungen, 10) Hinweise über eine Gefährdung der Sicherheit der MVM-Objekte und des Per-sonals der drei westlichen MVM im Gebiet der DDR.25

Diese Sofortinformationen sollten der Au-ßenpolitischen Abteilung des Stabes der GSSD für Proteste und Gegenproteste an die Chefs der westlichen MVM dienen. Der Katalog zu übermittelnder Informationen durch die Dienststelle der VBA des KfS an die Abteilung 5 der HA VIII fiel nicht so umfangreich aus wie umgekehrt. Das

25 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 120 f.

Abb. K508: Gemeinsames Blockadetraining einer Gruppe für offensive Maßnahmen der GSSD mit Kräften der Abteilung VIII – Einsatzrichtung MVM – der Bezirksverwaltung Rostock.

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Kapitel 5 – Potsdam/Berlin-Karlshorst

KfS stellte demnach dem MfS die von den westlichen MVM eingereichten Akkreditie-rungsunterlagen für alle MVM-Angehöri-gen vollständig zur Verfügung. Damit war die DDR in der Lage, den jeweils aktuellen Personalstatus der MVM zu ermitteln. Per-sonenbezogen übergeben wurden ebenfalls alle Angaben zu den Gästen der Missionen mit den vorgesehenen Besuchszeiten. Er-mittelte das KfS weitere Daten zu den MVM-Mitarbeitern oder Angehörigen wie Einsatzdauer, Einsatzrichtung, Funktion, Beförderung, Besoldung, Lebensumstände oder Informationen nach dem Ausscheiden aus den MVM, informierte es darüber eben-falls das MfS. Bei jeder Ein- und Ausreise von MVM-Angehörigen oder ihren Gästen über die „Brücke der Einheit“ in Potsdam

informierte der sowjetische Kontrollpunkt das MfS unter Nennung der Personen und benutzten Fahrzeuge. An Sachinformatio-nen erbat das MfS vom KfS Informationen über geplante Übungen und Truppenbe-wegungen der GSSD, die für die Organi-sation zielgerichteter Abwehrmaßnahmen von Bedeutung waren, Informationen über offizielle Empfänge und Zusammenkünfte in den Dienstgebäuden der MVM und über die Ergebnisse von Verhandlungen der Au-ßenpolitischen Abteilung des Stabes der GSSD mit den drei westlichen MVM. Da auch unterhalb dieser Ebenen Kontakte zwischen den MfS-Kreisdienststellen und den Abwehroffizieren der jeweiligen GSSD-Objekte bestanden, diese aber nicht exakt geregelt waren, ergaben sich Schwierigkei-

ten und Lücken in den Meldeketten. Denn die Kreisdienststellen sollten bei der Avi-sierung eines MVM-Fahrzeugs durch das OLZ26 diese Informationen ihrerseits an die zuständigen Abwehroffiziere des KfS übermitteln. Das funktionierte nur in weni-gen Ausnahmefällen reibungslos.27 Die von der HA VIII/5 immer wieder eingeforderte Einbindung der GSSD in die Meldetätig-

26 OLZ - Operatives Leitzentrum27 Beispielsweise in Kreisdienststellen, die besonders wichtige

militärische Objekte oder Truppenübungsplätze abzusichern hatten und deshalb einen ständigen Kontakt zu den Verbindungsoffizieren des KfS pflegten. Das OLZ der BV Erfurt meldete ab November 1987 alle MVM-Feststellungen im Bezirk direkt an die Sonderabteilung der GSSD Nohra über die KD Weimar, Tel. 282, Boris Molochow bzw. den OvD der Sonderabteilung bei Abwesenheit von „Boris“. Die Sonderabteilung übermittelte umgekehrt alle MVM-Feststellungen der GSSD aus der Region an das OLZ. BStU, MfS, BV Erfurt, Abt. VIII Nr. S 506, S. 3 und BStU, MfS, BV Erfurt, KD Weimar Nr. 1299, S. 3 (MVM-Sperrgebietskarte für den Kreis Weimar, 1988)

Abb. K509: Gruppenfoto nach einem gemeinsamen Blockadetraining einer Gruppe für offensive Maßnahmen der GSSD und den Kräften der Abteilung VIII – Einsatzrichtung MVM – der Bezirksverwaltung Rostock. Die operativen Beobachter des MfS, rechts im Bild, tragen sowjetische Tarnanzüge.

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keit und den Meldeweg des MfS ließ die sowjetische Seite stets ins Leere laufen. Teilweise flossen spärliche Informationen an die HA VIII/5, in Form der gesammelten Meldeberichte des KfS, dann wieder nicht. Dafür kam im Zuge der Arbeitsberatung28 zwischen den Generälen Schubert und Ustinow Schwung in eine Diskussion um die „effektivste Maßnahme zur Herabset-zung der Aktivität der Aufklärungstätigkeit der MVM-Angehörigen: die Festnahme mit Beschlagnahme der Aufklärungstechnik und anderer Beweismittel.“29 Das KfS er-wartete diesbezüglich konkrete Vorschläge vom MfS und endlich vorzeigbare Erfolge. Obwohl es durch abgestimmtes Handeln zwischen KfS und MfS schon 1977 gelang, 42 vorläufige Festnahmen zu realisieren, konnte in keinem einzigen Fall die Technik aus den MVM-Fahrzeugen beweiskräf-tig sichergestellt werden. Das MfS ging daraufhin mit der sowjetischen Seite die Schwerpunktobjekte durch und schuf ab 1977 eine spezielle Beobachtergruppe der fähigsten Mitarbeiter und IME, die mit der erforderlichen Technik zur Dokumentie-rung ausgerüstet war und unter Beobach-tung des Turnus der Luftaufklärer unmit-telbar an den militärischen Objekten zum Einsatz kam.30 Den sowjetischen Abwehr-offizieren standen in ihren Objekten keine professionellen Beobachtungskräfte des KfS zur Verfügung, deshalb gingen sie dazu über, in Eigenregie „Gruppen für offensive Maßnahmen der GSSD“ aus dem Kreis der Wehrpflichtigen aufzubauen, die in Ab-stimmung mit den operativen Beobachtern der HA VIII/5 geschult und dann im geziel-ten Zusammenwirken gegen die MVM zum Einsatz kamen. Die vom MfS erkannten MVM-Schwerpunkte führten dazu, dass die ersten Gruppen für offensive Maßnah-men der GSSD bis 1982 zunächst alle an Flugplätzen und Luftbodenschießplätzen

28 Arbeitsberatung vom April 1978 mit einem vorangegange-nen regen Schriftwechsel aus den Monaten Januar/Februar 1978.

29 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 16130 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 186 f.

Abb. K510: Bis zum endgültigen Truppenabzug der WGT aus Deutschland setzte sich das Versteckspiel der Geheimdienst- und Spezialtruppenteile quer durch die neuen Bundesländer fort. In der Berlin Brigade der WGT traten 1993 diese unidentifizierten Spezialkräfte auf (möglicherweise Soldaten des 133. selbstständigen motorisierten Schützenbataillons Spezialaufgaben).

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Kapitel 5 – Potsdam/Berlin-Karlshorst

entstanden.31 Dort gelangen dann auch erstmals neben Störungen und Blockaden von MVM-Luftaufklärern qualifizierte Fest-nahmen mit der Sicherstellung der Beweis-

31 1982 an den Flugplätzen Großenhain, Brand, Zerbst, Allstedt, Welzow, Lönewitz, Parchim, Lärz, Finow, Neuruppin, Witt-stock, Pütnitz, Groß Dölln und den Luftbodenschießplätzen Retzow und Rossow. BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 301

mittel und technischen Ausrüstungen.32 Das Zusammenwirken der operativen Be-obachtungskräfte des MfS mit den Grup-pen für offensive Maßnahmen der GSSD sollte bis zum Ende des Bestehens der DDR zu einem der wenigen tatsächlich verbin-

32 1982 Festnahme der F-MVM Nr. 33 und B-MVM Nr. 6 mit Sicherstellung der Beweismittel am Flugplatz Pütnitz.

denden Elemente zwischen beiden Diens-ten werden. Das MfS feierte die gemeinsa-men Erfolge in diesem Bereich als Vorbild für die deutsch-sowjetische Freundschaft, umso mehr weil die Zusammenarbeit mit der sow jetischen Spionageabwehr in Fra-gen des vereinbarten Informationsaus-tauschs auf den höheren Ebenen teilweise frustrierend schlecht funktionierte. Das hinderte die HA VIII/5 und die Abteilun-gen VIII der Bezirksverwaltungen in ihren Bemühungen um den Aufbau einer MVM-Spionageabwehr mit vorbeugendem Cha-rakter. Die westlichen MVM waren über die GSSD und ihre Übungshandlungen zumeist präziser informiert als die Truppe selbst. Das mussten die operativen Beobachter des MfS und letztlich auch die sowjeti-sche Militärabwehr in der täglichen Praxis immer wieder resigniert feststellen.33 Ein exakt abgestimmtes Handeln der Sicher-heitsorgane war unter diesen Vorausset-zungen nicht realisierbar. Insbesondere bei der Bereitstellung wichtiger „Angaben zur Ausbildung/Qualifizierung und zu bis-herigen Einsatzgebieten von MVM-Ange-hörigen sowie zur Struktur/Verbindungen im Operationsgebiet, zu Organisationen und Einrichtungen der Geheimdienste und Besatzungsmächte sowie zu erkannten Ge-heimdienstmitarbeitern, die die Objekte in

33 Generalleutnant Jewdokuschin betonte in einem Gespräch mit dem MfS 1984 seine Bereitschaft, bei Manövern oder dem Austausch neuester Kampftechnik Informationen an die deutsche Seite zu übermitteln. Er schränkte aber ein, dass selbst das KfS nicht immer im Voraus über Aktivitäten und Übungen einzelner sowjetischer Einheiten Bescheid wusste, da diese von Moskau angeordneten Alarmübungen unangekündigt erfolgten. BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 314

Chefs der Militärabwehr GSSD/WGT

Generalleutnant Selenin, Pawel Wassilijewitsch

August 1945 – April 1947

Generalleutnant Korolew, Nikolai Andrianowitsch

1. April – 10. November 1974

Generalleutnant Iwaschutin, Peter Iwanowitsch

10. November 1947 – 18. November 1949

Generalleutnant Schelesnikow, Nikolai Iwanowitsch

Februar 1950 – August 1953

Generalmajor, Generalleutnant Zinew, Georgi Karpowitsch

9. Januar 1957, 21. September 1953 – 24. Juni 1958

Generalmajor Fedortschuk, Witali Wassilijewitsch

23. Februar 1966 – 15. September 1967

Generalleutnant Ljalin, Serafim Nikolajewitsch

7. Januar 1971 – August 1973

Generalleutnant Ustinow, Iwan Lawrentjewitsch

1974 – 1981

Generalmajor Matweew, Aleksandr Iwanowitsch

1980er

Generalleutnant Jewdokuschin, A. S. 1982

Generalmajor Iwanow, W. A. 1990

Generalleutnant Ryls, S. A. 1992 ?

stellv. Chef UOO KGB GSWG/SGW

Generalmajor Sokolow M. K. 1982

Oberst Bulgin, Y. E. 1983

Oberst Rodionow A. N. 1987

stellv. Chef UOO KGB SGW

Oberst Mizkewitsch W. F. 1990

stellv. Chef UWK MGB RF SGW

Oberst Bernazkii K. I. 1992

Organe der sowjetischen Militärabwehr bei der GSSD/WGT

UKR SMERSCH (bis Mai 1946)

UKR MGB (bis März 1953)

UKR MWD (bis März 1954)

UOO KGB po GSWG (bis 1988)

UOO KGB po SGW (bis 1990)

UOO MGB po SGW (ab 1991)

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Potsdam besuchen“, flossen trotz eindeuti-ger Vereinbarungen kaum Erkenntnisse des KfS an das MfS.34 Selbst praktische Dinge wie die Bereitstellung von Tarnanzügen, Kraftfahrzeugen oder die rasche Auswer-tung und Analyse gemeinsam beschlag-nahmter Gegenstände lief aus der Sicht des MfS bisweilen höchst schleppend. In allen Konsultationen betonte hingegen das KfS mit der Arbeit der Linie VIII und den übermittelten Informationen insgesamt sehr zufrieden zu sein. Neben der Spionageabwehr unterhielt die HA VIII des MfS auch direkte Arbeits-kontakte zum sowjetischen Pendant, der 7. Verwaltung des KfS.35 Der Informations-austausch bewegte sich dann weniger im Rahmen von Einzelthemen, sondern be-trachtete die operative Beobachtung und Kontrolle in den größeren Zusammenhän-gen. Verschiedene praktische Methoden der Beobachtung von Objekten, die Verfol-gung verdächtiger Personen, das Zusam-menwirken mit anderen Sicherheitsorga-nen und die analytische Aufbereitung der gewonnenen Erkenntnisse aus der operati-ven Beobachtung standen bei diesen Fach-konsultationen häufig im Vordergrund.36 Beobachtungskräfte der 7. Verwaltung des KfS wurden in der DDR und Berlin auf An-forderung anderer sowjetischer Dienstein-heiten gelegentlich gezielt gegen „operativ interessierende“ MVM/MI-Mitarbeiter zum Einsatz gebracht. Diese Observationen wa-ren dann aber Spezialeinsätze des sowjeti-schen Geheimdienstes. Sie gelangten dem MfS oft nur über Umwege zur Kenntnis und standen nicht im Zusammenhang mit der vorbeugenden Überwachung, Kontrolle und Einengung der MVM/MI-Aktivitäten. Denn diese Aufgabe lag im Zuständigkeits-bereich der HA VIII/5 des MfS.

34 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, S. 30535 Die 7. Verwaltung war in der KfS-Residentur Karlshorst

im Bereich operative und administrative Dienste vertreten und unterstand direkt dem Leiter (1985 Generaloberst Schumilow).

36 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1307, S. 1 ff.

Abb. K511: Abzugsplan für die letzten Einheiten der WGT, die Deutschland 1994 verließen.

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Abb. K601: Sowjetischer Kampfhubschrauber vom Typ Mi-24 W während eines Trainingsflugs über dem Flugplatz Mahlwinkel.

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Sperrgebiet 52

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Kapitel 6 – Tangerhütte

erfolglos.“3 Oberstleutnant Klebow schätz-te daher ein, dass die regional vollzogene „politisch-operative Abwehrarbeit“ gegen die MVM noch nicht den Forderungen der DA 2/77 entsprach. „Die Meldetätigkeit, die in den 70er Jahren beispielhaft für andere Bezirke der DDR war, ist rückläufig. Auf-klärungshandlungen über einen längeren Zeitraum werden oftmals nur dokumen-tiert und nicht unterbunden. Die Kräfte der operativen Beobachtung werden ungenü-

gend zur Aufklärung, Dokumentierung und Verhinderung der Feindtätigkeit der drei westlichen MVM eingesetzt. Ihr Einsatz erfolgt meist

stationär zur Absicherung bestimmter mi-litärischer Objekte. Bei diesen Einsätzen, die langfristig geplant und durchgeführt werden, wurde die aktuell entstandene Lage hinsichtlich der Fahr- und Aufklä-rungstätigkeit nicht immer genügend be-achtet. Die Aufnahme von Objekten und die Zeitdauer der Beobachtung am Objekt waren dadurch im Jahr 1982 zu gering.“4 Es fehlte vor allem an geeigneten Beob-achtungskräften. Dieser Mangel konnte erst mit dem Maßnahmenplan des Leiters der BV Magdeburg zur Organisierung der Abwehrarbeit zwei Jahre später ausgegli-chen werden. Es standen dann in der BV Magdeburg/Abteilung VIII/Referat 10 1:17 Beobachtungskräfte zur Verfügung, die nach Vorgaben der HA VIII/5 gezielt und vorwiegend mobil zum Einsatz kamen.5 Leiter dieser „selbständigen Gruppe MVM-Beobachtung“ war Hauptmann Rösner. Die Gruppe verfügte über drei Geländewagen (UAZ, Lada Niva, Trabant Kübel), vier PKW (zwei Wartburg, zwei Lada) und mehrere Fahrräder. Zur technischen Ausstattung gehörten Fotoapparate, Film- und Video-kameras.Neben der verbesserten stationären und mobilen Beobachtung durch die Abteilung

3 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 2914 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 2915 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 274 ff.

VIII des Bezirks waren vor allem die Kreise aufgerufen, ihre Meldetätigkeit unter Rückgriff auf das IM-Netz entscheidend zu verbessern.In komplexen Lageeinschätzungen und Si-cherungskonzeptionen suchten die Kreis-dienststellen des MfS im Bezirk Magdeburg daher seit 1985 verstärkt nach Lösungen, um die lästigen Zaungäste der MVM besser unter Kontrolle bringen zu können. Im Be-reich der Kreisdienststelle Tangerhütte traf das auf den „politisch-operativen Schwer-punktbereich GSSD-Flugplatz Mahlwinkel“6 zu. Der Flugplatz selbst, die Garnison mit ihren Kasernen und Wohnblocks sowie ein zugehöriger Objektschießplatz in Scheeren lagen für die westlichen MVM im ständi-gen Sperrgebiet.Die Umgebung des Flugplatzes versprach noch mehr Interessantes. In unmittelbarer Nähe führte ein intensiv genutzter Be- und Entladebahnhof gepanzerte Militärtechnik der GSSD und der NVA an die Konzentrie-rungsräume des „Polygon“ Colbitz-Letzlin-ger Heide7 heran. Eingeschränkte Möglich-keiten zur gedeckten Beobachtung dieser Technik ergaben sich zusätzlich an zwei Panzerfahrtrassen bei Mahlwinkel. Neben den Trainingsflügen der Mi-24 Kampf-hubschrauber8 des 337. selbstständigen Kampfhubschrauberregiments9 bot auch die Abwicklung des Truppenaustauschs10 mit mehreren tausend Soldaten der 3. Stoßarmee regelmäßig eine große Kulisse für die dauerneugierigen amerikanischen, britischen und französischen Militärauf-klärer. Auf dem vergleichsweise kleinen Flugplatz Mahlwinkel drängten sich zwei-mal jährlich im Frühjahr und Herbst Zivil-maschinen der Aeroflot vom Typ TU 154 und TU 134 in dichter Folge, um in einer logistischen Großaktion heimkehrende ge-gen neue Wehrpflichtige mit der UdSSR auszutauschen.

6 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 85 7 Truppenübungsplatz der GSSD zwischen Haldensleben und

Gardelegen8 NATO-Code Hind9 Feldpostnummer 0503910 Truppenaustausch der 3. Stoßarmee über den Flugplatz

Mahlwinkel nach MfS-Angaben nur bis Oktober 1985. BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 85

Von 410 in den Bezirk Magdeburg eingefahrenen MVM-Aufklärungsbe-satzungen konnte das MfS im Jahr 1982 nur 26 unter Kontrolle stellen

und 120 Stunden beobachten.

D ie grenznah gelegenen sowjeti-schen Großgarnisonen und Truppen-übungsplätze im nördlichen Bereich

des Bezirks Magdeburg zogen regelmäßig das besondere Augenmerk der westlichen Militärverbindungsmissionen auf sich. „Von den im Jahr 1982 eingesetzten 3000 Auf-klärungsbesatzungen der drei westlichen Militärverbindungsmissionen suchten 410 Aufklärungsbesatzungen den Bezirk Mag-deburg auf“, wie der Abteilungsleiter der HA VIII/5, Oberstleut-nant Hans-Jürgen Klebow, im Oktober 1983 feststellte.1 Neben ausgewählten Objekten, die immer wieder angesteuert wurden, „bildete die Vielzahl militärischer Übungen und Manöver im Bezirk Magde-burg einen Schwerpunkt in der Aufklä-rungstätigkeit der MVM. Die einzelnen Be-satzungen arbeiteten zur Aufklärung dieser Handlungen und der damit verbundenen Transporte teilweise nach einem Schicht-system, wodurch sie bestimmte Territorien oftmals tagelang unter Kontrolle hielten. Dabei kam der größte Teil der vom Fahrtur-nus abweichenden Besatzungen der MVM im Bezirk Magdeburg zum Einsatz.“2 Von den 410 in den Bezirk Magdeburg einge-fahrenen alliierten Militärverbindungs-missionen konnte das MfS im Jahr 1982 lediglich die verschwindend geringe Zahl von 26 unter Kontrolle stellen und 120 Stunden beobachten. „Bei diesen Einsät-zen fanden große Übungen und Manöver, insbesondere der GSSD, nur ungenügen-de Berücksichtigung. Teilweise wurden zu diesen Zeiträumen keine Kräfte zum Ein-satz gebracht, weil sie nach Angaben der Abteilung VIII der BV Magdeburg für ande-re Aufgaben benötigt wurden. Absprachen mit verantwortlichen Leitern der Abteilung VIII für einen kurzfristigen Einsatz von Kräften aus gegebenen Anlässen bzw. zur Umbesetzung der Kräfte entsprechend der entstandenen Lage blieben in der Regel

1 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 2902 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 291

Spionageabwehr am GSSD-Flugplatz Mahlwinkel

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In der territorial zuständigen MfS-Kreis-dienststelle Tangerhütte wurde am 9. Ok-tober 1987 die Außensicherung des Flug-platzes Mahlwinkel auf der Grundlage einer von der Bezirksverwaltung Magdeburg be-stätigten Konzeption vom 9. Mai 1985 or-ganisiert. Durch die Dienstanweisung 1/87 des „Genossen Minister“ sah sich die Kreis-dienstelle mit der Aufgabe konfrontiert, ihre Sicherungskonzeption auf der Linie II11 einer umfassenden Prüfung zu unterziehen.„Erkenntnissen der HA II zufolge, be-steht nach wie vor großes Interesse der

11 Auf der Ebene der Kreisdienststellen erarbeitete Konzepti-onen der Linie MVM wurden im Bezirk Magdeburg als Be-standteil der Sicherungskonzeption der Linie II betrachtet. BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 280

imp.(erialistischen) Geheimdienste darin (sic!), Informationen über Objekte, Anla-gen und Transporte der Luftstreitkräfte der GSSD und NVA zu beschaffen, und es ist deshalb davon auszugehen, daß es sich bei dem Militärflugplatz Mahlwinkel um ein Angriffsobjekt der imp. Geheimdiens-te handelt. Auf Grund der militärstrategi-schen Bedeutung des genannten Objektes wonach dieses im Verteidigungszustand zur 1. Staffel der VSK12 gehört und der Tatsache, daß sich der Militärflugplatz

12 Gemeint ist damit die ständige Einsatzbereitschaft der Kampfhubschrauberstaffel, um unter dem Befehl des Vereinigten Oberkommandos der Truppen des Warschauer Vertrages im Verteidigungszustand die mögliche erste Angriffswelle abzufangen bzw. zu bilden.

Mahlwinkel in einem für die MVM stän-dig gesperrten Gebiet befindet, ist davon auszugehen, daß für imp. Geheimdienste zur Aufklärung und Kontrolle des Objek-tes Mahlwinkel hauptsächlich ein Einsatz von Reisespionen und Standortquellen in Frage kommt.“13 Damit verdächtigte der DDR-Staatsicherheitsdienst neben den al-liierten Militärverbindungsmissionen auch Besuchsreisende und Anwohner als poten-tielle Spione des Westens und gab gleich zu bedenken, diesem Aspekt „in der weite-ren Perspektive der Blickfeldarbeit größere Bedeutung“14 beizumessen.

13 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 8614 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 87

Abb. K602: Kampfhubschrauber Mi-24 W

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In der Rückschau abgeschlossener Spiona-gevorgänge unter den Anwohnern und An-liegern des Flugplatzes Mahlwinkel konnte das MfS zwei erfolgreiche Inhaftierungen in den Jahren 1959-1962 vermelden. Alles Weitere verlief ernüchternd provinziell. Vier Untersuchungen in den Jahren 1962-1974 mussten mangels hinreichenden Tatver-dachts eingestellt werden. Die in diesem Zusammenhang abgeschlossenen opera-tiven Materialien wollte das MfS zwar als Beweis für einen direkten Angriff „imperi-alistischer Geheimdienste“15 gegen das Ob-jekt der GSSD gewertet wissen. Es gelang jedoch dann seit den 60er Jahren nicht mehr in so eindeutiger Form „operativ be-deutsame Anhaltspunkte in Richtung Spio-

15 Am GSSD-Objekt Mahlwinkel nach Auffassung des MfS durch den amerikanischen und britischen Geheimdienst.

nage“ zu finden. Sechs von sieben durch die MfS-Kreisdienststelle Tangerhütte eingelei-tete OPK16 verloren sich sang- und klanglos im Sand der Altmark. 1987 war nur noch die OPK „Dachdecker“17 offen. Bei diesem Vorgang schien dem MfS der Kontakt eines Bundesbürgers zu einer Familie aus Mahl-winkel suspekt. Doch auch der Einsatz des IMS „Reiner Müller“ zur „Feststellung der konkreten Verhaltensweisen des (Name geschwärzt) bei der nächsten Einreise nach Mahlwinkel sowie zur Überprüfung der An-gaben des (Name geschwärzt) im Rahmen einer besuchsweisen Ausreise des IM in die BRD“18 konnten bis Februar 1988 nicht die erwünschte Klarheit schaffen.

16 OPK – Operative Personenkontrolle17 OPK „Dachdecker“, Vorgang Nr. 270/2739, KD Tangerhütte18 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 88, 91

Klarheit dagegen konnte die Kreisdienst-stelle in der Frage der so genannten „Objekt-Umwelt-Beziehungen“ erzielen. Insgesamt 23 Betriebe und Einrichtungen unterhielten dienstliche und freundschaft-liche Kontakte zur sowjetischen Garnison Mahlwinkel. Vom VEB Eisenwerk „1. Mai“ Tangerhütte über die LPG/P Angern bis hin zum sicher unverdächtigen Kindergarten „Anne Frank“ Tangerhütte konnten daraus in den Augen des MfS leicht mehrere hun-dert Kontakte im Jahr erwachsen. Deutsch-sowjetische Freundschaft hin oder her, mehr noch als die Dienstleistungsbetriebe schienen die Patenschaftsbeziehungen des potentiellen Missbrauchs durch Spionage-tätigkeit verdächtig. Daher galt es inoffizi-ell zu klären, in welche konkreten Bereiche der militärischen Einheiten hinein Paten-

Abb. K603: Abgedeckte Mi-24 P auf dem Flugplatz des 337. selbstständigen Kampfhubschrauberregiments der GSSD in Mahlwinkel.

Kapitel 6 – Tangerhütte

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schaftsbeziehungen bestanden und Dienst-leistungen erbracht wurden, was in diesen Bereichen durch Außenstehende konkret feststellbar war und welche Möglichkeiten dort zur Spionage bestanden. Die Einschät-zung des MfS, dass „die inoffizielle Basis, insbesondere im Bereich der Aufklärung und Kontrolle der Patenschaftsbeziehun-gen weiter ausgebaut werden konnte“19 mündete zugleich in der Empfehlung für eine noch besser koordinierte Zusammen-arbeit mit den über IM/GMS verfügenden operativen Mitarbeitern, „die in den ge-nannten Betrieben und Einrichtungen für Patenschaftsarbeit verantwortlich sind.“20

Die Sicherungskonzeption der militäri-schen Einrichtungen in und um Mahlwin-kel bezog auch die Überwachung der per se schon verdächtig erscheinenden Per-sonenkreise mit ein. Dazu zählten in den Augen des MfS Ausländer, Rückkehrer, Zu-ziehende und auch Omas und Opas, die in den Westen reisen durften. In Mahlwinkel, Bertingen und Cobbel erfasste die Kreis-dienststelle insgesamt dreizehn Personen unter der Kategorie „Rückkehrer/Zuziehen-de“ sowie vier „Ausländer“ österreichischer Herkunft. Entsprechend der Sicherungs-konzeption klärte das MfS die Personenka-tegorien auf und erarbeitete entsprechen-de Auskunftsberichte. Außer Banalitäten wie der Feststellung, dass drei Zugezoge-ne und ein Rückkehrer aus der Gemeinde Mahlwinkel aktive Verbindungen in die Bundesrepublik unterhielten sowie ein Zurückgekehrter und ein Zugezogener aus der Gemeinde Cobbel der „Sekte Zeugen Jehova“ zuzurechnen waren, konnten keine Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen ge-funden werden. „Im Ergebnis dessen wurde erarbeitet, daß von seiten dieser Personen keine direkten Verbindungen zum Objekt Mahlwinkel bestehen.“21 Auch ohne jeden konkreten Verdacht wollte die Staatssi-cherheit dennoch den vier österreichischen Staatsbürgern mehr Beachtung schenken, allein aufgrund vorliegender zentraler Er-

19 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 8920 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 8921 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 90

kenntnisse der HA II, dass die imperialisti-schen Geheimdienste verstärkt dazu über-gingen in der DDR wohnende Ausländer für eine Spionagetätigkeit anzuwerben.Objektiv verbesserte Möglichkeiten impe-rialistischer Geheimdienste zur Personen-ansprache witterte die Kreisdienststelle auch hinter den Erleichterungen im Rei-severkehr. Unter Verzicht auf die Nennung konkreter Zahlen zu den reisefreudigen Rentnerinnen und Rentnern der Region konnte nur festgestellt werden, was oh-nehin gesetzlich geregelt und damit selbst in der DDR unveränderbar war. „Auch die pol.[itisch]-op.[erative] Lage in den An-liegergemeinden zum Objekt Mahlwinkel ist dadurch charakterisiert, daß seit dem 1.2.1986 eine steigende Tendenz an Ausrei-sen von Personen aus diesen Gemeinden in das NSA22, insbesondere in die BRD zu ver-zeichnen ist. Diese Tendenz muß sowohl in der künftigen Abwehr- und Blickfeldarbeit unbedingt berücksichtigt werden.“23 Die IM in den Schlüsselpositionen der Deutschen Volkspolizei sollten dafür konkret in die Pflicht genommen werden. „Zur schritt-weisen Beseitigung bestehender Mängel in der Arbeit mit IMB24 und der Blickfeldar-beit sind im Rahmen der Suche, Auswahl und Gewinnung geeigneter IM-Kandidaten die Möglichkeiten der Durchführung von Kontaktgesprächen im VKPA25 Tangerhüt-te vor und nach besuchsweisen Ausreisen von Personen in die BRD zu nutzen. Dabei ist der Differenzierungsprozeß konsequent durchzusetzen. Schwerpunktmäßig ist sich auf solche Personen zu konzentrieren, die über operativ-interessante Merkmale ver-fügen und dem Anforderungsbild für eine Blickfeldarbeit entsprechen.“26

Die Wirksamkeit der inoffiziellen Basis und der vorgesehene Einsatz von Kräften, Mitteln und Methoden zur militärischen Außensicherung der GSSD-Objekte in der

22 NSA – nichtsozialistisches Ausland23 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 9024 IMB – Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbin-

dung bzw. zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen, mit Richtlinie 1/79 vom 8.12.1979 eingeführte Kategorie.

25 VPKA – Volkspolizeikreisamt26 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 90

Region schätzte die Kreisdienststelle Tan-gerhütte 1987 insgesamt als kritisch ein. Zwei ehrenamtliche FIM27-Netze, „Tulpe“ und „Taube“, arbeiteten dem MfS zur äuße-ren Absicherung des Flugplatzes Mahlwin-kel und der GSSD-Militärteststelle Kehnert zu. Diese Netze befanden sich 1987 im Um-bruch, so dass sich aus der Sicht des MfS eine Verschlechterung der Situation ergab. „Bis zum 31.3.1987 stand zur Außensiche-rung des GSSD-Flugplatzes Mahlwinkel das hauptamtliche FIM-Netz „Tulpe“ in einer Stärke von 1:20 zur Verfügung. Auf Grund zentraler Weisungen erfolgte zum 1.4. 1987 die Beendigung der hauptamt-lichen Tätigkeit des FIM „Tulpe“. Derzeitig stehen zur Außensicherung des genannten militärischen Objektes 2 FIM (e)28, 8 IMS29 und 3 GMS30 zur Verfügung. Die Stärke des FIM (e)-Netzes „Tulpe“ beträgt 1:6. Der FIM (e) „Taube“ wurde im Mai 1987 zum FIM qualifiziert und befindet sich gegenwärtig im Erziehungs- und Befähigungsprozeß.“ Im Klartext bedeutete diese blumige Um-schreibung, dass die Person noch gar nicht befähigt war. Basierend auf dieser aktuel-len Lageeinschätzung wurde Oberleutnant Krause von der Kreisdienststelle Tanger-hütte mit der Anwerbung eines IMS aus dem Bereich der Anwohner und Anlieger des Flugplatzes Mahlwinkel beauftragt. Das FIM (e)-Netz „Taube“ sollte auf eine Stärke von 1:4 innerhalb von sechs bis acht Monaten ausgebaut werden. Oberleutnant Krause sollte durch Schulung und Quali-

27 FIM – Führungs-IM, mit Richtlinie 1/68 vom Januar 1968 eingeführte Kategorie eines inoffiziellen Mitarbeiters, der sich „politisch bewährt, Erfahrungen in der operativen Arbeit haben und die Eignung und Befähigung besitzen“ musste, im Auftrag des MfS und unter Anleitung und Kon-trolle eines operativen Mitarbeiters „inoffizielle Mitarbeiter oder Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit zu führen“. Mit Richtlinie 1/79 vom 8.12. 1979 wird die Kategorie präziser definiert als „IM zur Führung anderer IM und GMS“ unter Einbeziehung von IM-Ermittlern, IM-Beobachtern und IMK, sowie deren Einsatz „vorrangig zur komplexen politisch-operativen Sicherung von Bereichen, Territorien, Objekten und Personenkreisen.“

28 FIM (e) – ehrenamtliche Führungs-IM29 IMS – Inoffizieller Mitarbeiter, der mit der Sicherung eines

gesellschaftlichen Bereichs oder Objekts betraut ist, mit Richtlinie 1/68 vom Januar 1968 eingeführte Kategorie, 1979 präzisiert als inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwor-tungsbereichs.

30 GMS – Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit, mit Richtlinie 1/68 vom Januar 1968 eingeführte Kategorie, GMS wurden in der Regel nicht zur direkten Bearbeitung feindlich-negativer Personen und Personenkreise eingesetzt.

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Landkreis Börde

Jerichower-land

Stendal

Altmarkkeis Salzwedel

B188

B246a

B180

B245

B246a

B1

B188

B107

B71B248

B190

B189

B188

B189n

B1

B71

B246

B81

B246

B184

B246a

A2

A2

A14

Oschersleben

MagdeburgMagdeburg

BurgHaldensleben

Stendal

Salzwedel

Tangermünde

Gardelegen

Wolmirstedt

GenthinOebisfelde

Seehausen

Mahlwinkel

0 10 20 30 40 50 Kilometer

MVM-Sperrgebiet 1986-1990

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fizierung den beiden ehrenamtlichen FIM das nötige „politisch-ideologische“ und „tschekistisch-fachliche“ Rüstzeug zur selbstständigen Führung der übergebenen IM/GMS vermitteln. Beiden FIM-Netzen wurde offensichtlich aber nur ein sehr begrenzter Wert zuge-messen. „Unzureichend ist das Vorhanden-sein solcher IM innerhalb der inoffiziellen Basis, die über solche stabilen Verbindun-gen in das NSA verfügen, die eine pers-pektivische Blickfeldarbeit gewährleisten bzw. über die operativ bedeutsamen Ver-bindungen zu Personen und Einrichtungen verfügen, um als IMB wirksam zu werden. Hier gilt es, in der weiteren Perspektive die Einheit von Aufklärung und Abwehr zu

vervollkommnen, um zu Ersthinweisen in Richtung Spionage zu gelangen“.31

Wie mangelhaft das Potential der an-geheuerten Freizeitagenten unter Ab-wehrgesichtspunkten tatsächlich einge-schätzt wurde, beweist ein Blick in die örtliche Einsatzplanung des MfS zur Zu-sammenarbeit der Abteilungen II32, XIX33 und der SMA34. Außer der Meldung von verdächtigen Personen, Vorgängen und MVM-Aktivitäten durch die FIM an die Kreisdienststelle Tangerhütte war auf dieser Ebene kein Informationsfluss in umgekehrter Reihenfolge vorgesehen.

31 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 8732 Abteilung II – Spionageabwehr33 Abteilung XIX – Verkehr, Post, Nachrichtenwesen34 SMA – sowjetische Militärabwehr

Patenschaftsbeziehungen der Garnison Mahlwinkel (1987)*

VEB Eisenwerk 1. Mai Tangerhütte Transport- und Ausbildungseinheit Luft-streitkräfte, Artillerieregiment

ZBO Ländliches Bauen Tangerhütte Regiment der Kampfhubschrauber

LPG/P Tangerhütte Transport- und Ausbildungseinheit Luft-streitkräfte

VEB Holzindustrie Altmark Tangerhütte Regiment der Artillerie

VEG (Z) Sandbeiendorf Infanterie

LPG/P Angern Artillerie

VPKA Tangerhütte Regiment der Kampfhubschrauber

Rat des Kreises Tangerhütte Transport- und Ausbildungseinheit Luft-streitkräfte

Gemeinde Uchtendorf Transport- und Ausbildungseinheit Luft-streitkräfte

177. KGH** Transport- und Ausbildungseinheit Luft-streitkräfte

252. KGH Mot.-Schützen-Regiment

Wohnbezirk II Tangerhütte Magazin

POS Bellingen Schule Garnison

Betriebsschule Angern Transport- und Ausbildungseinheit Luft-streitkräfte

POS Angern Regiment der Kampfhubschrauber

Heinrich-Rieke-Schule Tangerhütte Schule der Garnison

Apotheke Tangerhütte Ärzte der Garnison

Kindergarten Anne Frank Tangerhütte Kindergarten der Garnison

* BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 88 f.** KGH - Kampfgruppenhundertschaft

Kapitel 6 – Tangerhütte

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Landkreis Börde

Jerichower-land

Stendal

Altmarkkeis Salzwedel

B188

B246a

B180

B245

B246a

B1

B188

B107

B71B248

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B188

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B1

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B246

B81

B246

B184

B246a

A2

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Oschersleben

MagdeburgMagdeburg

BurgHaldensleben

Stendal

Salzwedel

Tangermünde

Gardelegen

Wolmirstedt

GenthinOebisfelde

Seehausen

Mahlwinkel

0 10 20 30 40 50 Kilometer

MVM-Sperrgebiet 1986-1990

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Betriebe mit Dienstleistungen für die Garnison Mahlwinkel (1987)*

VEB Hoch- und Tiefbau Tangerhütte

ZBO Ländliches Bauen Tangerhütte

DLK Tangerhütte, BT Wäscherei Mahl-winkel

PGH Drei Schilde Tangerhütte

VEB Wasserversorgung Magdeburg, Pro-duktionsbetrieb Tangerhütte

OGS Osterburg

* BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 89

Die Abteilung II hatte die Ersthinweise in Richtung Spionage und IM-Vorläufe zu bearbeiten sowie bereits im Vorfeld mili-tärischer Bewegungen einen reibungslosen Informationsfluss mit der sowjetischen Abwehr sicherzustellen. Die Abteilung XIX hatte die Anwohner und Anlieger entlang der sowjetischen Objekte im Wohn- und Freizeitbereich unter Kontrolle zu stellen, wenn diese im grenzüberschreitenden Ver-kehr tätig waren. Bei der Be- und Entla-dung von Militärtransporten in Mahlwinkel und den Wasserstraßensperrungen an der GSSD-Militärteststelle Kehnert übermittel-te die Abteilung XIX diese Informationen an die Abteilung II.Alle Absicherungshandlungen des MfS an den sowjetischen Objekten hatten jedoch nur im Umfang der „Gewährleistung eines schwerpunktmäßigen und aufeinander abgestimmten Einsatzes der vorhandenen Hauptkräfte bei Truppenaustauschen, mili-tärischen Übungen und Manöver[n] unter Einhaltung der Konspiration und einer kla-ren Abgrenzung hinsichtlich der Geheim-haltung der Hauptkräfte“35 stattzufinden.Das MfS sollte also nach Möglichkeit sow-jetische Militärbewegungen und Objekte effektiv absichern und ihnen dabei gleich-zeitig den Rücken zukehren, um über die Details der eingesetzten Truppen oder de-ren militärische Aufgaben keine Kenntnisse zu erlangen.

35 BStU, MfS, BV Magdeburg AKG Nr. 24, S. 92

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Grenzkreis

Abb. K701: Grenzstreife auf dem Weg zum Scharfenstein, im Hintergrund der Brocken.

Wernigerode

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Kapitel 7 – Wernigerode

Während des Kalten Krieges befan-den sich nirgendwo in Deutschland so viele Abhöranlagen auf engstem Raum konzentriert wie beiderseits

der innerdeutschen Grenze im Harz.

I n der heißen Phase des Kalten Krieges bildete der Harz ein besonderes Auf-marschgebiet der westlichen und östli-

chen Nachrichtendienste. In keiner anderen Region des geteilten Deutschland befan-den sich beiderseits der Grenze so viele strategisch wichtige Abhöreinrichtungen auf engstem Raum konzentriert wie rund um den 1142 Meter hohen Brocken. Der Warschauer Vertrag und die NATO ließen an der Nahtstelle zwischen Ost und West bedrohlich ihre Muskeln spielen. Der Westen setzte den Höhenzügen Wurmberg1, Ravensberg2, Stöberhai3, Schalke4 und Bocksberg5 „elek-tronische Ohren“ auf. Der Osten sperrte für seine Anlagen den Brocken6, die Carls-haushöhe7 und den Rosentalskopf8. Dazu kam noch ein kleineres Objekt des Staats-sicherheitsdienstes bei Heudeber9, das zur Funkpeilung im Kurzwellenbereich genutzt wurde und mit dem MfS-Dienstobjekt auf dem Brocken direkt zusammenarbeitete.

1 Wurmberg: 971 m hoch, seit 1972 durch Kräfte des ame-rikanischen Militärgeheimdienstes Army Security Agency/Intelligence and Security Command als Spionagestandort „LFV, north tower“ genutzt.

2 Ravensberg: 659 m hoch, seit 1959 zuerst durch die C-Kompanie des 319th ASA Bataillons, dann durch die Fernmeldekompanie 945 der Bundeswehr im Auftrag des Bundesnachrichtendienstes genutzt.

3 Stöberhai: 700 m hoch, seit 1967 durch den Fernmelde-sektor C der Bundeswehr und der französischen Escadron Electronique Sol nachrichtendienstlich genutzt.

4 Schalke: 762 m hoch, seit den 60er Jahren mobil und ab 1979 ortsfest durch Kräfte der französischen Escadron Electronique Sol 33.351 nachrichtendienstlich genutzt.

5 Bocksberg: 726 m hoch, seit 1950 als Richtfunk-Relaisstelle der US Army genutzt.

6 Brocken: 1142 m hoch, seit 1947 von der Sowjetarmee militärisch besetzt und ab 1955 als Abhörstützpunkt durch selbstständige OSNAZ-Kräfte des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU genutzt. Neben diesem 218. selbstständigen Zentrum für funkelektronische Aufklärung, Tarnname „Jenissej“, Feldpostnummer 44961, betrieb die Hauptabteilung III des MfS in unmittelbarer Nachbarschaft ebenfalls einen leistungsfähigen Aufklärungsstützpunkt, Tarnname „Urian“, die HV A des MfS eine Anlage für den Funkverkehr mit Agenten und die SED eine Station im Richtfunknetz.

7 Carlshaushöhe (alte Schreibweise Karlshaus), Nähe Bärenhöhe bei Trautenstein: 627 m hoch, seit 1981 als 670. selbstständiges funktechnisches Zentrum, Tarnname „Koran“, Feldpostnummer 51821, durch selbstständige OSNAZ-Kräfte des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU mit dem System KRTP-81 „Ramona“ nachrichtendienstlich genutzt.

8 Rosentalskopf (F 81 bei Hasselfelde): 500 m hoch, seit den 60er Jahren als 714. funktechnischer Posten des 1571. funktechnischen Bataillons der GSSD, Tarnname „Wyrubka“, im DHS genutzt.

9 Heudeber (800 m westlich der Straße Heudeber-Minsle-ben): Dienstobjekt des MfS, Abteilung III der BV Magdeburg

Verantwortlich für die äußere Absicherung der militärischen Einrichtungen im Kreis Wernigerode war die MfS-Kreisdienststelle Wernigerode in der Goethestraße 110. Der Leiter des Referats 1, Major Uwe-Karsten Heimbürger, ließ 1987 die individuelle Gefährdungslage der Objekte seines Zu-ständigkeitsbereichs aus der Sicht des MfS neu bewerten und einen „Maßnahmen-

plan zur weiteren Qualifizierung der Abwehrarbeit gegen die Angehörigen der drei westlichen Mi-litärverbindungsmis-sionen für den Kreis

Wernigerode“11 erstellen. Einen wesentli-chen Grund dafür sah er vor allem in der Reduzierung der ständigen MVM-Sperr-gebiete durch Neufestlegung12 seitens der GSSD gegeben, in dessen Folge sich 1986 in den nördlichen Kreisen des Bezirkes Magdeburg „neue Spionagemöglichkeiten“ eröffneten, von denen die Besatzungen auch bereits intensiv Gebrauch machten. Für die militärisch bedeutsamen Objekte im Bereich der Kreisdienststelle Wernigerode wurde die Neufestlegung ständiger MVM-Sperrgebiete zwar zunächst als Entlastung gewertet, gleichzeitig aber das veränderte Fahrverhalten der MVM mit gewisser Sor-ge registriert. Die MVM-Besatzungen trä-ten immer weniger offen im Kreisgebiet in Erscheinung und bemühten sich zudem, Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen der Sicherheitsorgane zu unterlaufen, klagt das Papier.Eine Aufforderung zur Überprüfung der Sicherungskonzeption für Objekte der Landesverteidigung infolge veränderter Sperrgebietsgrenzen war in diesem Zusam-menhang zuvor bereits mit Befehl 58/86 des Ministers für Nationale Verteidigung13

10 Fernsprechbuch Bezirk Magdeburg 1987, S. 27811 BStU, MfS, BV Magdeburg KD, Wernigerode Nr. 16014, S. 1 ff.12 Mit Wirkung vom 10.6.1986, 00.00 Uhr, löste die Karte der

ständigen Sperrgebiete für ausländische Militärverbin-dungsmissionen die alte Karte aus dem Jahr 1974 ab.

13 Befehl Nr. 58/86 des Ministers für Nationale Verteidigung über die Neufestlegung der ständigen Sperrgebiete für die beim Oberkommandierenden der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland akkreditierten ausländischen Militärverbindungsmissionen vom 2.6.1986.

Passierschein für das Urlaubsparadies

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halb der ständigen Sperrgebiete befinden, durch das Aufstellen von Verbotsschildern an Zufahrtsstraßen und -wegen konse-quent durchzusetzen.“14 Abgesehen vom Umstellen der Verbotsschilder fielen die Ergebnisse im Zusammenwirken von MfS und NVA bei der Abwehrarbeit gegen die Angehörigen der drei westlichen MVM, insbesondere in Durchsetzung des Befehls 48/82, stets dürftig aus. Nicht nur im Kreis Wernigerode. Das Meldeaufkommen der NVA blieb mit nur 5 % aller Meldungen dauerhaft hinter den Erwartungen des MfS zurück. Die Reibungsverluste mit den mili-tärischen Einrichtungen in der Fläche der DDR-Bezirke waren im System der unter-

14 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 148Abb. K702: Kalt, kälter, Kalter Krieg am Brocken: Betörend schöner Blick über die Gleise der stillgelegten

Brockenbahn hinüber in die Bundesrepublik. Auf dem Gipfel galt strengstes Fotografierverbot. Die Aufnahme

der Grenztruppen entstand 1987.

Abb. K703: Grenzstreife unterwegs auf Skiern im Brockengebiet.

an alle nachgeordneten Verantwortungs-bereiche mit Vollzugsmeldung bis zum 15. Juli 1986 ergangen. Armeegeneral Heinz Keßler verwies dabei auf die bestehenden Festlegungen des Befehls 48/82 und ord-nete an, die geänderten Sperrgebietsgren-zen unverzüglich auszuwerten und zu ge-wähleisten, „daß die Grenzen der ständigen Sperrgebiete nicht mit Verbotsschildern für ausländische Militärverbindungsmissionen gekennzeichnet und in ständigen Sperr-gebieten vorhandene Verbotsschilder bis zum 30.06.1986 entfernt werden“ sowie „die unmittelbare Sicherung der Objekte der Landesverteidigung, die sich außer-

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Kapitel 7 – Wernigerode

schiedlichen Informationsbeziehungen der Abteilung VIII zu suchen und zu finden, die einerseits über die HA I zur NVA und an-dererseits in Absprache mit der HA I direkt zu den Diensthabenden der NVA-Einheiten realisiert wurden. Diese Informations-wege gerieten zu lang, um „den höheren Anforderungen der politisch-operativen Abwehrarbeit zu entsprechen.“15 Ein kon-sequent eingenständiges Reagieren der NVA-Einheiten beim Eindringen von MVM-Fahrzeugen in militärische Sperrgebiete blieb bei realistischer Betrachtungsweise bestenfalls das Wunschdenken des MfS.Auch die MfS-Kreisdienststelle Wernige-rode schätzte 1987 mit spitzer Feder ein, dass ihre bisher praktizierten Anstrengun-gen und Maßnahmen nicht ausreichten, um die „immer raffinierteren Angriffe die-

15 BStU, MfS, HA VIII Nr. 1949/6, S. 63

ser feindlichen Kräfte zu erkennen und ab-zuwehren.“ Der tatsächliche Grund dafür wird allerdings verschwiegen. Die Kreis-dienststelle Wernigerode hatte personell und logistisch in der Mitte der 80er Jahre längst ihre Belastungsgrenze erreicht. In den Grenzkreis einfahrende alliierte Mili-tärverbindungsmissionen aufzuspüren war bestenfalls zu einer Randnotiz verkommen. Die Grenz- und Vorgrenzsicherung band in Wirklichkeit die knappen Kapazitäten. Mehr als zwei Millionen Touristen aus dem In- und Ausland, die sich jährlich in der Stadt Wernigerode und im Kreisgebiet tummelten, machten die Situation für die Staatssicherheit unübersichtlich. Zusätz-lich verkomplizierten die Urlauberströme im Sperrgebiet die Lage. Denn gerade die beliebtesten Urlaubsorte des Oberharzes befanden sich alle im unmittelbaren Grenz-gebiet und waren gesperrt. Ob Schierke,

Elend oder Sorge: Dort durfte nur urlauben, arbeiten oder wohnen wer zuvor von der „Sicherheit“ überprüft worden war und als zuverlässig galt, was einen ausufern-den Verwaltungsaufwand nach sich zog. Den vermeintlich Zuverlässigen mit einem mühsam ergatterten Passierschein sollten Grenze und Grenzregime als Normalität suggeriert werden, doch die Grenze selbst durften sie weder in Augenschein nehmen noch darüber sprechen. Diesen eigentlich unüberbrückbaren Widerspruch galt es tausenden ausgewählten DDR-Urlaubern zu vermitteln, die in den Oberharzorten Schierke und Elend inmitten des Sperrge-biets unbeschwerte Tage verleben woll-ten, stattdessen aber an das Gängelband der Grenzordnung gelegt wurden. Bereits wenige Meter Spaziergang in Richtung Westen endeten stets vor dem Schild „Hier Ende des Wanderweges“ oder „Schutzstrei-

Abb. K704: 218. selbstständiges funkelektronisches Aufklärungszentrum besonderer Verwendung auf dem Brocken. Der westlichste Vorposten Moskaus unterstand der 6. Verwaltung des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU (Funk- und funktechnische Aufklärung).

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LaßlebenW
Textfeld
(Abbildung nur in der gedruckten Broschüre wiedergegeben)
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fen - Betreten und Befahren nur mit Son-dergenehmigung gestattet. Meldepflicht bei der Deutschen Volkspolizei!“Zwei Broschüren für Urlauber in Schier-ke und Elend erwähnen 1983 und 1989

immerhin zaghaft, was in der gesamten übrigen DDR aus dem aktiven Sprachwort-schatz gestrichen ist: die Grenze und den Brocken!„Die Besonderheit des Ortes unserer Tage

hat tiefe Wurzeln in der Geschichte, wird aber vor allem auch dadurch geprägt, daß dieser Kurort der Werktätigen mit seinem profilbestimmenden Feriendienst, einer beachtlichen Forstwirtschaft und wichti-gen Naturschutzgebieten in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenze zur BRD liegt. Auf dem rechten Ufer der Kalten Bode liegt der von vielen Teilen des Ortes zu sehende 971 m hohe Wurmberg, dessen Gipfelregion BRD-Territorium ist. Hier zeigt sich, daß im Harz zwei Welten aufeinandertreffen. Nicht zu übersehen, ist auf dem Berg ein mächtiger Betonturm errichtet worden, der aber keinesfalls als Aussichtsturm dient. Im Auftrage der NATO wird hier von der Bundeswehr (sic!) elektronisch weit in die Länder der sozialistischen Staatenge-meinschaft hineinspioniert. Die Grenznähe bringt es mit sich, daß eine hohe Ordnung und Sicherheit gewährleistet ist. Jeder Ur-Abb. K706: Sowjetischer Peilarbeitsplatz „Post 3 M“ für den Kurzwellenbereich (System 1 RL 220 M).

Abb. K705: Sowjetische Offiziere werden nach Dienstschluss mit dem LKW vom Brocken nach Quedlinburg-Quarmbeck gebracht, wo sie mit ihren Familien wohnen.

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Kapitel 7 – Wernigerode

lauber muß sich auf diese besonderen Be-dingungen einstellen und die Grenzordnung strikt einhalten. Die notwendigen Hinweise dazu erhält er von seinen Heimleitungen. Die Staatsgrenze West wird von den An-gehörigen der Grenztruppen der DDR zu-verlässig geschützt, die zu jeder Jahreszeit und bei jeder Witterung ihren schweren und verantwortungsvollen Dienst verse-hen. So gehören auch Grenzsoldaten zum gewohnten Ortsbild. Und diese Grenze hat schon Opfer gefordert. Am 18. Januar 1972

wurde der Leutnant Lutz Meier bei der Er-füllung seiner Pflichten hinterrücks ermor-det. Ein Gedenkstein an der Brockenstraße am oberen Ortsausgang erinnert daran und mahnt. In unzähligen Fällen wurde die Staatsgrenze West von seiten der BRD ver-letzt, die trotz des Grundlagenvertrages von 1972 die Grenze zwischen der DDR und der BRD völkerrechtlich nicht anerkennen will. Im Interesse der Erhaltung des Friedens ist sicherer Schutz durch die Grenztruppen der DDR unter Mithilfe der Bevölkerung

im grenznahen Raum notwendig. Die ex-ponierte Grenzlage des Brockens macht es aus Gründen der Sicherung unserer Staats-grenze auch nicht möglich, ihn zu besu-chen. Erfreuen wir uns daher an seinem majestätischen Anblick, wie er, gleichsam über dem Gebirge thronend, von einigen Punkten der Umgebung des Ortes zu be-trachten ist. Wehklagen ist unangebracht, ist er doch gewissermaßen ein Wächter für unser aller Sicherheit.“16„Helfen auch Sie mit, durch Ihr diszipliniertes Verhal-ten die Bestimmungen der Grenzordnung konsequent durchzusetzen. Beachten Sie unbedingt die von Ihrem Erholungsträger gegebenen Hinweise und Belehrungen.“17

Ohne lästige Belehrungen und Einschrän-kungen schätzten auch DDR-Offizielle die Abgeschiedenheit und Ruhe des Sperrge-biets im Oberharz und ließen es sich dort gut gehen. Im Erholungsheim des Ministe-riums für Staatssicherheit in Elend feierten Kanzleramtsspion Günther Guillaume und HV A-Chef Markus Wolf in trauter Runde Ihre Erfolge. Für den Chef des Grenzkom-mandos Nord, Generalmajor Harald Bär, existierte eine Datscha direkt auf dem Brockenplateau, mit Blickrichtung West. Erich Honecker blies zur Freude sowjeti-scher Generäle und Parteigenossen zum großen Hallali ins Staatsjagdgebiet im Oberharz. Chef-Propagandist Karl-Eduard von Schnitzler unterhielt ein idyllisches Wochenendgrundstück in Schierke. Privat konnte er sich ganz unpropagandistisch geben. Und der amerikanische Überläufer Jeffrey M. Carney alias „Kid“18 durfte sich vom Brocken aus in das westdeutsche Funktelefonnetz einwählen, um wenigstens ab und zu noch mit der Mama in den USA sprechen zu können. Die Gesprächskosten für diese illegale Nutzung trug selbstver-ständlich der Klassenfeind.Weil das Grenzsperrgebiet entlang der „Staatsgrenze West“ zumindest theore-tisch für die alliierten MVM als permanent gesperrt galt, klammerte die Sicherungs-

16 Oelsner 1983, S. 817 Wanderführer 1989, S. 218 BStU, MfS, HV A/MD/6, SIRA-TDB 21 Reg-Nr. XV/2047/84

Abb. K707: Am Pranger. Poster des Office of the National Counterintelligence Executive mit Fotografien von enttarnten und inhaftierten US-Bürgern, die für den Osten spionierten. Links unten Jeffrey M. Carney. Er lieferte streng geheime Dokumente aus seiner früheren Dienststelle, der 6912. Electronic Security Group in Berlin-Marienfelde, an die HV A des MfS.

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konzeption der Kreisdienststelle Wernige-rode alle innerhalb dieser Zone gelegenen Objekte aus. Neben den Grenzkompanien von Abbenrode bis nach Sorge wähnte das MfS damit auch das militärische Sperrge-biet Brocken als vermeintlich sicher vor den Spähern der Militärverbindungsmissi-onen, ohne dabei bedacht zu haben, dass die „spezifische Nutzergemeinschaft“ auf dem exponierten Berggipfel zahlreiche Ar-beitskontakte zu militärischen und zivilen Einrichtungen in dem für MVM-Besatzun-gen ansonsten frei zugänglichen übrigen Kreisgebiet unterhielt. Allein die sorgfäl-tige Beobachtung des regen Militärver-kehrs zwischen der sowjetischen Garnison Quarmbeck und den funktechnischen Ob-jekten Brocken, Hasselfelde, Trautenstein und Friedrichsbrunn19 außerhalb der Sperr-gebiete ließ die geschulten Beobachter von den MVM anhand der Kfz-Kennzeichen Rückschlüsse auf die jeweilige Zugehö-rigkeit der Fahrzeuge und Personen zu bestimmten militärischen Einheiten und Stäben ziehen. Im Zusammenspiel mit den im Hintergrund operierenden gewaltigen westlichen Geheimdienstapparaten konn-ten auf diesem Weg - unter Hinzuziehung weiterer Quellen - zahlreiche geheim-dienstlich gesteuerte Strukturen innerhalb der GSSD enttarnt werden.In zwei Fällen gelangten dem MfS sogar Informationsabflüsse aus dem sowjeti-schen Funkaufklärungszentrum auf dem Brocken zur Kenntnis. Die Mitarbeiter der HA III im Objekt mit dem wenig konspi-rativen Namen „Urian“ wurden daraufhin angewiesen, die Arbeitskontakte mit den sow jetischen Kollegen in der Nachbar-schaft auf das absolute Minimum zu redu-zieren.Selbst aus vermeintlichen Belanglosigkei-ten20 extrahierten die MVM noch wichtige Informationen heraus. Im Dezember 1984 bekam die amerikanische Militärverbin-

19 Relaisstelle der 132. Nachrichtenbrigade nahe der Victors-höhe, Feldpostnummer 44270, Tarnname „Kajomotschka“, Zuständigkeitsbereich der MfS-Kreisdienststelle Quedlinburg

20 Die MVM beschäftigten sich häufig mit Problemstellun-gen, die im Alltagskontext quasi als bedeutuungslos oder zeitverschwenderisch eingeschätzt werden würden.

Abb. K708: Planung für den Neubau des GRU-Aufklärungszentrums auf dem Brocken von 1989-1993. Unterbringung der Bautrupps am Schacht III bei Elbingerode.

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Kapitel 7 – Wernigerode

dungsmission im Rahmen einer Routine-fahrt Wind von verdächtigen Schachtar-beiten bei Wernigerode. Die GSSD hatte ein Disziplinarbataillon21 mit der Verle-gung eines Sonderkabels beauftragt. Von Hand, nur mit Schaufeln und Spitzhacken. Das Unterfangen geriet zur Schwerstarbeit und verlief alles andere als konspirativ. Die Schachtarbeiten funktionierten nur im Flachland. Den harten Granitboden im Oberharz hatten die Planer wohl etwas unterschätzt. Die Soldaten waren mit den Kräften rasch am Ende. Es ging kaum noch voran. Meterweise musste schließlich der Boden mit Sprengstoff bearbeitet werden, um das Kabel überhaupt unter die Steine zu bringen. Die dilettantisch ausgeführten Bauarbeiten hinterließen eine Schneise der Verwüstung. Der bei Wanderern be-liebte Glashüttenweg war anschließend

21 Im USMLM-Jahresbericht 1985 ist dagegen von „Spetsnaz“ (SPF) die Rede.

kaum mehr wiederzuerkennen. An der not-dürftig verschlossenen Kabeltrasse blieben als Garnierung hunderte leere Spreng-stoffkisten zurück. Wohin das krumm und schief verlegte Kabel führte, war nicht zu übersehen: direkt zum Brocken. Sofort nach der Entdeckung stimmten die drei westlichen Militärverbindungsmissionen untereinder die koordinierte Überwachung der Bauarbeiten22 ab und konnten so den Verlauf des Sonderkabels auf 40 km Länge verfolgen. Unter alliierter Überwachung stand ebenfalls die Verlegung eines zwei-ten Sonderkabels von Hasselfelde23 nach Trautenstein.Die gesammelten Informationen der Mis-sionen über den Anschluss bestimmter Objekte an das Sonderkabelnetz oder Bau-arbeiten an sensiblen sowjetischen Ein-richtungen wie den Weitverkehrstrassen mit ihren Verstärkungspunkten (NUP)24, lösten emsige Betriebsamkeit auch bei den technischen Geheimdiesten der westlichen Alliierten aus. Von dort folgten dann neue gezielte Beobachtungsaufträge an die Mis-

22 USMLM Unit History 1985, S, 2323 Sonderkabel Wernigerode-Hasselfelde Nr. 1136/1 und

Nr. 1136/1a24 Auf Basis der Befehle 156 und 157 der SMAD begann die

Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutsch-land (GSBT) nach Kriegsende bestimmte Leitungstrassen der früheren Reichspost zu beschlagnahmen, zu demontieren oder selbst zu nutzen. Eine vollständige Unabhängigkeit von der Telefoninfrastruktur des Besatzungslandes gelang den Militärs jedoch nicht. Das wäre nur um den Preis der kompletten Stillegung des zivilen Systems möglich gewe-sen. Die GSBT beschlagnahmte zwischen 1945 und 1956 deshalb zunächst bestimmte für sie wertvolle Kabeltrassen in Richtung West-Ost. Anfangs arbeitete die Technik in Z-4, dann in Z-12, später in V-60 (252 kHz). Darüber hinaus wurden zusätzliche Leitungen der Deutschen Post der DDR für militärische Zwecke angemietet. Bedingt durch mangelnde Kabelkapazitäten in bestimmten Gebieten der DDR sah sich auch die Deutsche Post nicht in der Lage, alle Wünsche der Sowjets zu bedienen. Die GSBT/GSSD baute deshalb zuerst das Richtfunkstammnetz aus, später auch das streitkräfteeigene Kabelnetz der Gruppe. Träger dieses Netzes und sicherstellender Verband war die 132. Nachrichtenbrigade. Wichtige Bestandteile des Netzes bildeten unbemannte Verstärker im Abstand von 19,1 km, so genannte NUP. Neben Übergabepunkten in die eigenen Netze und Einrichtungen gab es auf den Weitverkehrstras-sen diese NUP, die die Aufarbeitung der Signale und deren Verstärkung gestatteten. Sie waren fernüberwacht und ferngesteuert. Meist waren die Ferntrassen zur Sicherheit auch drucküberwacht. Das rein militärische Netz stellte nicht alles sicher, sondern bildete nur notwendige Quer- und Maschenverbindungen. Ein großer Teil der Verbindun-gen lief weiter über die Deutsche Post der DDR. Daher waren die NUP vorwiegend auf den besonders wichtigen eigenen Trassen zu finden, die die sowjetische Hauptnach-richtenzentrale „Ranet“ in Wünsdorf mit den Objekten der obersten Ebene, der Luftverteidigung, der Kernwaffenkräfte und der einzelnen Feldarmeen verband. Insgesamt nutzten die sowjetischen Streitkräfte rund 1240 Kabeltrassen als Miettrassen in der DDR und eine nicht näher bekannte Anzahl eigener Trassen.

sionen (Tipp-offs), auf technische Verände-rungen, soweit diese beobachtbar waren, ein besonderes Ausgenmerk zu legen. Mit hohem finanziellem Aufwand forcierte die NATO zu Beginn der 80er Jahre ihren „Krieg im Äther“. Gekoppelt mit einer er-drückenden Überlegenheit im technischen Sektor konnten letztlich auch die vielen kleinen Hinweise der Militärverbindungs-missionen und des westlichen Agenten-netzes Schritt für Schritt dazu beitragen, die geheimen militärischen Strukturen der GSSD auf oberster Ebene offen zu legen. Wie weit fortgeschritten das Wissen des „Gegners“ gerade in diesem Bereich bereits war, wurde der sowjetischen Seite erst schlagartig bewusst, als mehrere streng geheime Studien25 der National Security Agency und Defense Intelligence Agency, beschafft durch eine Top-Quelle der HV A, 1984 in Moskau eintrafen. Die Papiere lös-ten Schockwellen im KGB-Apparat aus.Eine Studie der DIA26 befasste sich in sehr detaillierter Form mit der Organisation, den Kräften und Mitteln der Nachrichten-sicherstellung auf der Ebene einer Front, dem System der Führungsstellen, der Rake-ten-Artilleriekräfte, der Aufklärungskräfte, des funkelektronischen Kampfes, der Luft-verteidigung und Frontfliegerkräfte. Den Entwicklungsstand sowjetischer Führungs-nachrichtenverbindungen27 auf Front- und Armeeebene sezierte eine weitere INSCOM-Studie28 und berichtete zugleich über das mobile rechnergestützte System der Amerikaner, welches in der Lage war, die Befehlshaber unter Gefechtsbedingun-gen vollständig mit Funkaufklärungsan-gaben aus diesen Frequenzbereichen des Gegners zu versorgen. In einer Arbeitshilfe der NSA29 fanden sich zudem genaue In-formationen über Struktur, Standorte und Nachrichtenverbindungen sowjetischer

25 BStU, MfS, HA III Nr. 13732 Bd. 2, S. 84-87, 95-10326 Analyse des zentralen militärischen Geheimdienstes der

USA (DIA) über die Kommando-, Kontroll- und Kommunika-tionsstruktur der UdSSR und des Warschauer Vertrages auf der Ebene einer Front vom 29. Oktober 1982. Secret

27 NSA-Direktive Nr. 205/Anhang A und B vom 25. Januar 1984, 13. April 1984 und 18. April 1984. Secret

28 INSCOM-Analyse für ein mobiles Mehrkanal-Erfassungs- und Aufklärungssystem der USA vom 25. Oktober 1983. Top Secret Umbra

29 Arbeitshilfe 16-83 der National Security Agency. Secret

Abb. K709: Das Sonderkabel zum Brocken hat immer noch Bestand. Das signalisiert zumindest der Trassenstein der „Deutschen Post“ am Glashüttenweg im Jahr 2006.

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Abb. K710: Die Fotografie aus dem Traditionszimmer der Grenzkompanie Schierke zeigt Soldaten der Einheit gemeinsam mit Sowjetsoldaten vom Brocken vor dem Lutz-Meier-Gedenkstein. Leutnant Lutz Meier war von einem flüchtenden Grenzsoldaten im Januar 1972 erschossen worden. Im Hintergrund ist der Wurmberg mit der innerdeutschen Grenze und dem Spionageturm der ASA/INSCOM zu sehen.

SS-20 Einheiten30 gebündelt. Diese Anga-ben sollten behilflich sein, deren Funkver-bindungen festzustellen und unter Kont-rolle zu halten.Das die „Antennenobjekte“ wegen ihrer militärischen Bedeutung vor möglichen Ausspähungsversuchen besonders sorg-fältig zu schützen waren, berücksich-tigte der „Maßnahmenplan zur weiteren Qualifizierung der Abwehrarbeit gegen die Angehörigen der drei westlichen Mi-litärverbindungsmissionen für den Kreis Wernigerode“ bereits.31 Allerdings nur auf dem Papier und nicht in der Praxis. Auf der Ebene der Kreisdienststelle Wernigerode konnte und durfte aus Gründen der Kon-spiration die streng geheime Einbindung einzelner Einheiten in das KGB-Programm „Wrjan“32 nicht offen thematisiert werden, was den Verantwortlichen auf der unte-ren Ebene letzlich den vollen Umfang der Gefährdung dieser Objekte verdeutlicht hätte. In der Folge wären erhebliche An-passungen der Sicherungskonzeptionen notwendig geworden. „Wrjan“ beinhaltete die ständige präventive Prüfung aller Mög-lichkeiten von nuklearen Überraschungs-angriffen durch die NATO und wurde durch den Warschauer Vertrag als wichtigstes strategisches Thema betrachtet33. Ein Be-standteil dieser Aufgabe gemeinsamen In-teresses war unter anderem die Einbindung spezialisierter Funkaufklärungseinheiten in ein System zur Prüfung und Überwachung des Signalspektrums aller erreichbaren NATO-Verbände mit Nuklearwaffenpotiti-al. Das Zusammenwirken dieser Einheiten konnte wie eine Art funkelektronisches Abwehrschild des Warschauer Vertrages agieren. Im Kreis Wernigerode arbeiteten die sowjetischen Objekte Trautenstein mit einem rechten Posten auf dem Brocken und einem linken Posten in Herreden bei Nordhausen, die sowjetische Station auf dem Brocken sowie das Objekt der HA III

30 SS-20 Einheiten befanden sich nicht auf dem Territorium der DDR.

31 BStU, MfS, BV Magdeburg KD, Wernigerode Nr. 16014, S. 2 ff.32 Wrjan - russ. Wnesapnoe raketnoe jadernoe napadenie,

unerwarteter Nuklearraketenangriff; im MfS auch verkürzt „Rjan“ genannt

33 BStU, MfS, HA III Nr. 13732 Bd. 2, S. 107 f., 112-118

des MfS auf dem Brocken permanent oder temporär an der Aufgabe „Wrjan“.In der Sicherungskonzeption der KD Wer-nigerode heißt es dazu etwas irrefüh-rend: „Das Objekt Trautenstein befindet sich zwischen den Ortschaften Hassel-felde und Trautenstein in einem Wald-

gebiet, im Staatsjagdgebiet Trautenstein. Es ist von der Landstraße aus nicht zu sehen. Seine flächenmäßige Ausdehnung beträgt 10 ha. Es bestehen feste Zu-fahrtswege, die für die MVM-Fahrzeuge gesperrt sind. Das Objekt liegt im ständi-gen MVM-Sperrgebiet. Es ist durch einen

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Kapitel 7 – Wernigerode

Abb. K711 – K714: Gebäude und Bunker (Typ Granit 1) des 760. selbstständigen

funktechnischen Zentrums besonderer Verwendung auf der Carlshaushöhe kurz nach dem Abzug der

letzten russischen Soldaten im Jahr 1993. Im Wald bei Trautenstein befand sich der zentrale Posten des Aufklärungssystems KRTP-81 „Ramona“ zur

Früherkennung von möglichen Raketenangriffen.

Zaun und durch Wachposten gesichert. Die Aufgabenstellung des Objektes besteht in der Verringerung der Vorwarnzeit für tief-fliegende Flugmarschkörper entlang der Staatsgrenze der DDR zur BRD. Das Objekt untersteht direkt dem Stab der GSSD in Wünsdorf.“34

Zur besseren Absicherung der sowjetischen Objekte im Kreisgebiet hatte das MfS im Jahr 1990 zumindest geplant, ein ehren-amtliches FIM-Netz35 zu schaffen.Insgesamt bezog das Papier vier besonders zu sichernde Bereiche in die Konzeption mit ein. Sie umfassten neben den GSSD-Objekten Trautenstein und Hasselfelde das Dienstobjekt der MfS-Kreisdienststelle Wernigerode selbst, das Objekt der Abtei-lung III des MfS in Heudeber und das NVA-Objekt 62036 in Blankenburg.Wie auf dem Präsentierteller bot sich das Dienstobjekt der Abteilung III des MfS in Heudeber und die Radarstation der GSSD in Hasselfelde für die alliierten Militärverbin-dungsmissionen an. Beide Objekte waren nicht durch MVM-Sperrgebiete geschützt, gewährten weithin Möglichkeiten zur Ein-sicht und ihre technischen Antennensyste-me konnten nicht effektiv getarnt werden. In Hasselfelde waren von sowjetischer Sei-te immerhin halbherzig ein paar Tarnnet-ze als Sichtschutz aufgeboten worden. In Heudeber existierte ein Holzzaun um das Objekt und ein Wachturm mit Suchschein-werfer thronte über dem Hauptgebäude. Auf dem Gelände waren ständig Wach- und Sicherungsposten eingesetzt.Neben den funktechnischen Liegenschaf-ten stufte die KD Wernigerode eine Bun-keranlage der Nationalen Volksarmee in Blankenburg unter dem Gesichtspunkt der Spionageabwehr (Linie II) als gefährdet ein. „Angriffe und Aufklärungsfahrten der MVM“ auf diesen im zeitweiligen MVM-Sperrgebiet liegenden „politisch-opera-tiven Schwerpunkt“ belegten das. Trotz günstiger Lage in einem Waldgebiet boten sich für die MVM Möglichkeiten zur Ein-

34 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Wernigerode Nr. 16014, S. 1535 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Wernigerode Nr. 16014, S. 1936 PBS-Projektnummer 16/07/620

sicht in die miltärisch genutzten Bereiche.„Das Objekt 620 liegt nordöstlich der Stadt Blankenburg, unterhalb des Regensteins. Es hat eine flächenmäßige Ausdehnung von 45 ha, die eingezäunt sind, und 55 ha, die militärisches Sperrgebiet darstel-len. Bei dem Objekt 620 handelt es sich um ein Komplexlager37 der NVA, welches als Neubau errichtet wurde. Die Lagerka-pazität befindet sich unter Tage. Über den Lagerhallen stehen Stabs-, Arbeits- und Wohnräume für den anwesenden Perso-nalbestand. Das Objekt 620 hat auf seinem Territorium einen gedeckten Verladebahn-hof. Die Bewegung auf den Gleisanlagen von und zum Objekt kann vom ‚Regenstein‘ und vom ‚Großen Rönneberg‘ beobachtet werden. Durch die Ausdehnung des mili-tärischen Sperrgebietes sind Einsichtmög-lichkeiten nur von erhöhten Geländepunk-ten möglich. Die Sicherung des Objektes erfolgt in enger Koordinierung mit der HA I, UA RD, HSG Blankenburg. Die KD Wer-nigerode ist laut Koordinierungsvereinba-rung vom 30. 05. 1985 für die wirkungs-volle politisch-operative Außensicherung des Objektes verantwortlich. Entsprechend dieser Vereinbarung erfolgt die Überprü-fung und Speicherung von Personen, die zur Realisierung von Bau- und Rekonstruk-tionsmaßnahmen im Objekt zum Einsatz kommen, durch die KD Wernigerode. Die Anfahrten dieses Objektes durch die west-lichen Militärverbindungsmissionen macht deutlich, daß es im Feindinteresse steht. Im Juni 1987 wurde eine Sperrgebietsverlet-zung bekannt.Im Planjahr 1987 wurde der Anfall einer Reihe von BRD- und DDR-Fahrzeugen am Objekt 620 bekannt. Die Anzahl beläuft sich auf jährlich 80 bis 100 Kfz. Die Über-prüfung und Speicherung erfolgte entspre-chend den Befehlen und Weisungen.“38

37 Komplexlager 2, PSF 71322, Tarnname „Katalog“38 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Wernigerode Nr. 16014, S. 16 f.

Abb. K711

Abb. K712

Abb. K713

Abb. K714

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Wrjan kann heute als Resultat kollek-tiven Versagens in der Geschichte des sowjetischen Geheimdienstes

bezeichnet werden. Kein anderes KGB-Programm und die damit verbundenen Irrtümer hat die Supermächte auf dem potentiellen „Kriegsschauplatz Europa“ so gefährlich nah an den Rand einer nu-klearen Auseinandersetzung geführt wie Wrjan. Nach dem NATO-Doppelbeschluss und der Stationierung von Mittelstre-ckenwaffen in der Bundesrepublik sah die Partei- und Staatsführung der UdSSR das Mutterland des Sozialismus einer perma-nenten atomaren Bedrohung ausgesetzt. Getrieben von irrationalen Ängsten und dem ausbleibenden Dialog mit den USA überboten sich die Parteispitze der KPdSU und das KGB gegenseitig in ihren Fehlein-schätzungen hinsichtlich der tatsächlich bestehenden atomaren Bedrohungssze-narien. Das Diensthabende System (DHS) als sehr gut funktionierendes multinati-onales Frühwarnsystem im Warschauer Vertrag war technisch nur bedingt in der Lage, auf das atomare Bedrohungsszenario durch die Mittelstreckenrakete Pershing II XR adäquat zu reagieren. Ein Durchlauf im DHS von der Erfassung des Ziels durch den Funkorter über die Informationsweiterlei-tung der verschiedenen Stäbe bis hin zur Darstellungswand der Entscheidungsträ-ger dauerte sieben Minuten. Acht Minu-ten nach Abschuss hätte die Pershing II XR aber bereits sowjetisches Territorium erreicht und die Führungsstellen ohne die Option eines Gegenschlags vernich-ten können. Die geringe Vorwarnzeit im Bereich weniger Minuten machte die Per-shing zu einer Erstschlagswaffe und droh-te das „Gleichgewicht des Schreckens“39 zugunsten der Amerikaner zu kippen. Auf politischen Befehl Moskaus wurde ab 1981 das globale KGB-Programm Wrjan mit dem Ziel gestartet, einen Katalog eindeu-tiger Signale, Indikatoren und Indizien für bevorstehende Maßnahmen zu verfolgen,

39 Szenario ungefähr gleich starker militärischer Supermächte, die mit den SALT-Verträgen verbindliche Obergrenzen für ihre strategischen Atomwaffenarsenale (Bomber, Interkon-tinentalraketen, U-Boote) festgelegt hatten.

Zwei Schutzschilde, zwei Irrtümer: Wrjan vs. Canopy Wing

Abb. K715: Pershing II Rakete 1988 (in White Sands, USA)

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Kapitel 7 – Wrjan vs. Canopy Wing

gen und die erlangten Informationen zur Auswertung an das MfS weitergereicht.40 Auf höchster Ebene setzte die UdSSR die DDR darüber in Kenntnis, dass sie von ih-rem Vasall an vorderster Front einen her-ausragenden Beitrag zur Erfüllung der Auf-gabe Wrjan erwartete. Die HV A richtete daraufhin ein eigenes Lagezentrum ein. Die Diensteinheiten des MfS und ausgewählte Stäbe der NVA arbeiteten fieberhaft an den Detailfragen. Das Hauptproblem von Wrjan kumulierte in der Gewichtung rela-tiv niedriger Einschreitindikatoren, was die Hintertür zu Irrtümern mit möglicherwei-se fatalen Folgen eröffnete. Immer wieder kam es zu gefährlichen Fehlalarmierungen und Fehlinterpretationen der Indikatoren. Wrjan-Merkmale41 waren 1984: – Aufenthalte und Bewegungsrichtun-gen führender Persönlichkeiten der BRD, anderer NATO-Staaten und Westberlins (Mitglieder der Bundesregierung bis auf Ebene Staatssekretär, Mitglieder der Lan-desregierungen, Regierender Bürgermeis-ter Westberlins und Senatoren, Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der Bun-destagsparteien, in der BRD akkreditierte Botschafter von NATO-Staaten), Verstär-kung von Personenschutzmaßnahmen des vorgenannten Personenkreises – Aufenthalte, Bewegungsrichtungen, Benachrichtigungen von NATO-Befehls-habern bis einschließlich Kommandeuren aller NATO-Kontingente von Armeekorps aufwärts sowie von mobilen Führungsstel-len der US-Streitkräfte (Salonzüge der US-Streitkräfte) – Veränderungen im Beobachtungs-regime gegen Fahrzeuge der SMVM42 und andere Fahrzeuge der sozialistischen Staa-ten im Operationsgebiet - Veränderungen im Einberufungsre-gime der Reservisten - Veränderungen bei der Sicherung mi-litärischer Objekte und anderer militärisch wichtiger Anlagen und Einrichtungen – Verstärkte bzw. veränderte Aktivi-

40 BStU, MfS, HA III Nr. 13732 Bd. 2, S. 104 ff.41 BStU, MfS, HA III Nr. 13732 Bd. 2, S. 80 f.42 SMVM – Sowjetische Militärverbindungsmissionen in der

Bundesrepublik

Abb. K716: In der Bundesrepublik formierte sich eine breite Protestbewegung gegen die Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenwaffen. Am Stationierungsort der Pershing II in Mutlagen und vor anderen US-Militäreinrichtungen kam es zu Blockaden, wie hier 1983 an der US Rhein-Main-Airbase in Frankfurt.

um die „verlorene“ Vorwarnzeit wieder zu-rückzuerobern. Mit allerhöchster Priorität und eigens geschaffenen Strukturen muss-ten zusätzlich zum DHS nun fest definier-te Wrjan-Merkmale dauerhaft bearbeitet und übermittelt werden. Der sowjetische

Geheimdienst setzte gezielt seine Ressour-cen auf die mit Pershing ausgerüstete 56. US-Raketenbrigade in der Bundesrepublik an. Binnen kurzer Zeit wurden Struktur, Arbeitsregime und Funkverbindungen der Brigade nachrichtendienstlich durchdrun-

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täten gegnerischer Geheimdienste (Spi-onagefunknetze, Observationsorgane, Befragungswesen) sowie festgestellte Auf-enthalte und Konzentration von Geheim-dienstmitarbeitern – Jegliche Veränderungen und Beson-derheiten im Regime der gegnerischen Grenzüberwachung und im grenzüber-schreitenden Reiseverkehr (verstärkte Zurückweisung und Ausreisestopp für be-sondere Personenkategorien, verstärkte Filtrierung des Ein- und Ausreiseverkehrs) – Besondere Aktivitäten gegnerischer Sicherheitsdienste und paramilitärischer Kräfte (z. B. Zivilverteidigung, Warnämter) – Im normalen Regime nicht übliche Aktivitäten von diplomatischen und an-deren akkreditierten Vertretungen der NA-TO-Staaten sowie Benachrichtigung und Rückführung anderer im Ausland aufhälti-ger Kräfte (Entwicklungshelfer, Kulturins-titute, Schiffe usw.) – Jegliche Abweichung vom normalen Funkregime auf allen Ebenen und in allen Netzen der politischen, militärischen, Ge-heim- und sicherheitsdienstlichen Führung sowie im kommerziellen Bereich (z. B. Ab-, Um- und Neuschaltungen, verstärkter Ein-satz von Chiffriermitteln, Veränderungen in der Intensität) Der überwiegende Teil von Wrjan-Merk-malen sollte durch funkelektronische Auf-klärung gewonnen werden, Teilaspekte auch durch den Einsatz des MfS-Agenten-netzes im Operationsgebiet. Nach langem Vorlauf und den Vorgaben aus Moskau schaltete auf Befehl von Generaloberst Markus Wolf die HA III des MfS erstmals während der NATO-Kommandostabsübung „Able Archer 84“ vom 4. bis zum 9. No-vember 1984 das gesamte ELOKA-System der DDR zur funk elektronischen Erkundung unter Wrjan-Gesichtspunkten zusammen. Die Informationen flossen über die HV A, AGM und HA I direkt an die sowjetischen Genossen vom KGB. Der Gegenseite fielen die Aktivitäten durch den sprunghaften Anstieg verschlüsselt übertragener Kom-munikation zwar sofort auf, jedoch ver-mochten die westlichen Geheimdienste die

Abläufe nicht so recht zu deuten. Solange die Raketenstreitkräfte in einer niedrigen Stufe der Gefechtsbereitschaft verblie-ben, sah das Frühwarnsystem der NATO keine echten kriegsvorbereitenden Hand-lungen. Die Kräfte des ELOKA-Bereichs waren insgesamt gezwungen, während AA-8443 teilweise erheblich von ihren standardisiert zugewiesenen Aufgaben im DHS abzuweichen. Der Übergang zu einer mehrtägigen Doppel- und Mehrfacherfas-sung stellte eine immense Belastung für die eingesetzte Technik und das Personal dar. Schnell wurde klar, dass ein Aufwand dieser Größenordnung nicht lange durch-zuhalten war. Als noch schwerwiegender sollte sich die Tatsache erweisen, dass ein in höchste Alarmbereitschaft versetz-ter militärischer und geheimdienstlicher Apparat eine vergleichsweise „normale“ NATO-Übung als Simulationsgrundlage für einen unmittelbar bevorstehenden ato-maren Schlagabtausch betrachtete, dann aber trotz intensivster Bemühungen darin keine Wrjan-Situation erkennen konnte. Die federführende HA III bewertete im Nachgang der Übung ihr Aufkommen an Wrjan als eher gering, da ihr Schwerpunkt in der laufenden Informationsgewinnung nicht in militärischen Verbindungskanä-len lag und auch nicht kurzfristig darauf umgeschaltet werden konnte. Jedoch „hat die Aktion AA-84 gezeigt, dass das gesam-te ELOKA-System der DDR (HA III, Bereich Aufklärung des MfNV, der GT der DDR, die FEK-Organe der NVA sowie die FuTechnTr LSK/LV) durch die HA III des MfS kurzfris-tig und reibungslos auf veränderte Auf-gabenstellungen in einer Rjan-Situation ausgerichtet werden kann.“44 Mit der Di-gitalisierung des US-Verbindungsnetzes „Autodin“ hatten sich die Abschöpfungs-möglichkeiten für die Spezialfunkdienste des MfS allerdings sehr verkompliziert.45 „Der gegenwärtige Entwicklungsstand der eigenen funkelek tronischen Aufklä-rungspotenzen ermöglicht es nicht, solche

43 AA 84 – Abkürzung für NATO-Kommandostabsübung „Able Archer 84“

44 BStU, MfS, HA III Nr. 13732 Bd. 2, S. 7945 BStU, MfS, HA III Nr. 13732 Bd. 2, S. 70

zentralen Quellen des Gegners zu bearbei-ten, aus denen mit geringem personellen und technischen Aufwand authentische Hinweise zu Rjan-Merkmalen und aussa-gekräftige Lagebeurteilungen im „Echt-zeitbetrieb“ erarbeitet werden können.“46 Die HA III teilte Generalleutnant Gerhard Neiber auch unverblümt mit, wie sie die Arbeitsweise des Gegners und damit die Wrjan-Chancen einschätzte: „Wenn die USA selbständig, ohne den NATO-Kon-sultationsmechanismus zu aktivieren, zu Aggressionshandlungen übergehen, wer-den gegenwärtig keine Möglichkeiten der Früherkennung gesehen.“47 Das KGB hielt trotzdem an Wrjan fest. Das Programm war von Beginn an zum Scheitern verurteilt, da es von politischer Indoktrination durch-zogen war. Die Entscheidungsträger der KPdSU hatten schon vorweggenommen, was das KGB und alle an Wrjan Beteiligten zu übermitteln hatten: eine permanente atomare Bedrohung durch die USA. Statt einer neutralen Bewertung lieferte das KGB pflichtbewusst und nach dem Gusto der Partei, selbst wenn kein einziger In-dikator Anlass zur Beunruhigung bot. Das gefährliche Spiel hätte die ganze Welt in den Untergang reißen können. Auf ame-rikanischer Seite wurde ebenso technisch und mitunter nicht minder halsstarrig gedacht, wenn es um die Kontrolle über den Gegner ging. In der streng geheimen „Canopy Wing“-Studie analysierte eine Sonderarbeitsgruppe der INSCOM48 unter Einbeziehung von Materialien weiterer US-Geheimdienste 1984 alle technischen Angriffsmöglichkeiten gegen die strate-gischen Verbindungen der sowjetischen Führung mit dem Ziel, im Spannungsfall die Ausschaltung der Führungs- und Kom-munikationslinien im Hochfrequenzbe-reich des sowjetischen Oberkommandos zu den nachgeordneten Führungsorganen und insbesondere zu den strategischen Ra-ketentruppen, der U-Boot-Flotte und den Luftstreitkräften der UdSSR zu realisieren.

46 BStU, MfS, HA III Nr. 13732 Bd. 2, S. 8247 BStU, MfS, HA III Nr. 13732 Bd. 2, S. 8248 Intelligence and Security Command, zur NSA zugehörig

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Kapitel 7 – Wrjan vs. Canopy Wing

Die HV A des MfS sah in Canopy Wing, sinngemäß mit Schutzschild übersetzbar, seitens der US-Geheimdienste bereits „... einen spezifischen Beitrag zur Nutzung des Überraschungsmomentes, um die Führung der UdSSR zu lähmen, einen vernichten-den Gegenschlag bei einer US-Aggression zu führen.“49 Dieses Fazit ist bei selektiver Betrachtung zutreffend, nicht aber aus der Gesamtheit der Studie ableitbar. Canopy Wing gelangte zwar zu der sehr optimis-tischen Einschätzung, dass unter dem Ein-satz von Waffen, Agenten und vor allem durch funkelektronische Einwirkung etwa Zweidrittel des sowjetischen Führungs- und Kontrollsystems unwirksam gemacht werden könnte, gestattete aber kaum In-terpretationsspielräume in Richtung eines übermächtigen Offensivinstruments mit der Option für einem atomaren Erstschlag. Innerhalb von vier bis fünf Jahren soll-te mit einem Entwicklungsaufwand von 65 Millionen US-Dollar unter dem Dach der INSCOM ein Prototyp des komplexen elektronischen Systems zur Unterbindung des sowjetischen Funkverkehrs im Hoch-frequenzbereich entwickelt werden. Ku-riositäten eingeschlossen. Ausgerechnet die technischen Anlagen von „Radio Free Europe/Radio Liberty“, „Stimme Amerikas“ sowie weiterer Rundfunkeinrichtungen der US-Streitkräfte sollten für Störmaßnah-men und funkelektronische Einwirkungen mitgenutzt werden. In der Rückschau betrachtet gelangte Canopy Wing nicht über den Status einer Machbarkeitsstudie hinaus, die etwas übermütig mit den tech-nischen Möglichkeiten der ausgehenden 80er Jahre spielte, Teilprojekte umsetzte und bestenfalls den Rahmen für weite-re langfristige Forschungsaufgaben auf-spannte. Wegen der bis heute strengen Geheimhal-tung durch die NSA haftet Canopy Wing noch immer ein gewisser Mythos an, den der Inhalt der Studie bei Offenlegung al-lerdings nicht länger zu tragen in der Lage wäre.

49 BStU, MfS, HA III Nr. 13732 Bd. 2, S. 132 f.

Abb. K717: „Pershing Cable“ war die Trup-penzeitung der 56. US-Raketenbrigade in der Bundesrepublik.

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Aufmerksame Augen und Ohren im Anlie-ger- und Anwohnerbereich sollten zusätz-lich die Außensicherung der militärischen Objekte verbessern, „um derartige Aufklä-rungsfahrten registrieren zu können.“50 Die-se Melder warb und führte die Kreisdienst-stelle. Nicht immer mit Erfolg. Ihre Anzahl wurde zwar als ausreichend eingeschätzt. Das Zusammenwirken der Melder mit den Sicherheitssorganen insgesamt, also dem MfS und dem Volkspolizei-Kreisamt, wurde dagegen bemängelt. „Der Notwendigkeit differenzierterer Zusammenkünfte muß konsequent Rechnung getragen werden, um die Meldekräfte in geeigneter Form an das MfS zu binden. ... Zur Erweiterung des Meldesystems erfolgt in den Refera-ten der KD eine Überprüfung, welche der vorhandenen IM/GMS als Melder genutzt werden können. Ihr Einsatz wird von ih-ren objektiven Möglichkeiten bestimmt. Die Realisierung dieser Aufgabenstellung erfolgt in Form einer Bestandsaufnahme und ist dem Referat 1 unter Angabe des Decknamens und des möglichen Einsatz-ortes zuzuarbeiten.“Fünf Tage vor dem Fall der Mauer, am 4. November 1989, legte das Referat 1 der MfS-Kreisdienststelle Wernigerode ihre letzte statistische Betrachtung zu den MVM-Bewegungen im Kreisgebiet vor. Sie

50 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Wernigerode Nr. 16014, S. 3

umfasste den Berichtszeitraum vom 1. No-vember 1988 bis zum 30. August 1989. Neun Aufklärungsfahrten registrierte die Statistik (Vorjahr 3 MVM-Feststellungen), zweimal britische, dreimal amerikanische und viermal französische Fahrzeuge. Der Kreisdienststelle standen 1989 sechs Mel-depunkte, sechs Melder und 35 IM/GMS zur Verfügung. Das MfS sah sich aber nicht in der Lage, die Wirksamkeit dieser MVM-Meldekräfte im Verantwortungsbereich der Kreisdienststelle einzuschätzen, „auf Grund der geringen Anzahl ... der ... durch-geführten Aufklärungsfahrten der MVM.“51 „In den Koordinierungsvereinbarungen zwischen der BV Magdeburg, Abteilung III, Referat 6, und der KD Wernigerode sowie der Koordnierungsvereinbarung mit dem Objekt 620 und der KD Wernigerode fan-den der Maßnahmeplan zur Organisierung der MVM-Abwehrarbeit entsprechende Berücksichtigung.“52 Außer statistischen Daten konnte die Kreisdienststelle aber kaum Konkretes vorlegen. „Im Berichtszeit-raum wurden keine operativen Materialien im Rahmen der operativen Bearbeitung der drei westlichen MVM entwickelt.“53 Haupt-mann Leuteritz, Verfasser der Jahresein-schätzung, sah lediglich in der intensiveren Öffentlichkeitsarbeit durch die Abteilung

51 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Wernigerode Nr. 16020, S. 13052 Ebd.: S. 13053 Ebd.: S. 130

VIII der BV Magdeburg einen Hoffnungs-schimmer. Die von „Gen. Major Kämpfe durchgeführte Öffentlichkeitsarbeit im VPKA [Wernigerode] hat eine Verbesserung der Meldetätigkeit bewirkt. Eine weitere gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit bietet sich unter den Forstarbeitern des StFB Blankenburg an.“54

Bezogen auf die MVM konnte die Kreis-dienstelle Wernigerode nicht mit solchen „Zufallstreffern“ bei der Abteilung VIII in Magdeburg punkten, wie sie der Nachbar-dienststelle Halberstadt beschieden waren. An der unweit hinter der Kreisgrenze lie-genden NVA-Radarstation in Athenstedt55 bekundeten die alliierten Militärverbin-dungsmissionen, insbesondere die ameri-kanische und britische, besonders offen-sichtlich ihr Interesse. Doch das wichtige Objekt der Luftstreitkräfte/Luftverteidi-gung56 im Harzvorland sollte sich als wahre „Mausefalle“ für die Missionen entpuppen.1979 erlitten zunächst die Amerikaner LtCol. Edward Hamilton und Ssgt. Hans-Joachim Tiffany mit der Nr. 29 einen Totalschaden vor dem Objekt. Nur die Über-rollbügel verhinderten Schlimmeres. 1982 erwischte es den britischen Missionschef, Brigadier (später General Sir) John Lear-

54 BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Wernigerode Nr. 16020, S. 13155 FuTK-613, PSF 7405556 Im Diensthabenden System (DHS) arbeitete die NVA-

Station im Wechsel mit dem 711. FuTP der GSSD in Ditfurt, Feldpostnummer 99849, zusammen.

Abb. K718: Nach dem Abzug vom Brocken im März 1994 wurden die zu der 82. funktechnischen Brigade besonderer Verwendung gehörenden Kräf-te zurückgeführt und sichern dort inzwischen die russische Westgrenze. Im Januar 2007 feierte die Brigade ihr 75-jähriges Bestehen. Der Komman-deur der Brigade zeigte und erklärte seinen Gästen aus dem Führungskreis der GRU die modernisierten Aufklärungsarbeitsplätze im Bataillon für Syn-chronpeilung Wjasma, Oblast Smolensk. Von links nach rechts: Oberst Oleg Jurjewitsch Perewalow (Kommandeur der 82. funktechnischen Brigade), Generaloberst Nikolai Nikolajewitsch Kostetschow (1. Stellvertreter des Chefs des Generalstabs der russischen Armee und Stabschef der GRU), Gene-ralleutnant Alexander Wassiljewitsch Leschnew (Chef der 6. Verwaltung der GRU), Generalmajor W. S. Aleksejew (Chef Aufklärung des Militärbezirk Moskau).

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Kapitel 7 – Wernigerode

mont. Ebenfalls Totalschaden an der sel-ben Stelle. 1984 erneut die Blockade einer BRIXMIS-Besatzung vor der Radarstation. Die Situationen jeweils zum Verwechseln ähnlich. Wie konnte es dazu kommen?„Am 13. März 1979, 09.45 Uhr, wurde die Besatzung des USA-MVM-Fahrzeuges Nr. 29 (Typ Dodge) LtCol. (Hamilton)57 und S/sgt. (Tiffany) im Hinblick auf die gegen-wärtig in der BRD stattfindende NATO-Kommandostabsübung „Wintex 79“ und die damit verbundenen verstärkten Auf-klärungsaktivitäten der amerikanischen Militärverbindungsmission im westlichen grenznahen Raum der DDR zur BRD ziel-gerichtet unter operative Beobachtung gestellt.“58

In der Mittagszeit klärt das Team ein Pio-nierobjekt der Grenztruppen bei Barneberg im Kreis Oschersleben auf. Die Fotoappa-rate klicken. Eine ganze Aufnahmeserie fertigen die Amerikaner während ihrer Objektumrundung von den Anlagen. Ihre Observateure vom MfS bemerken sie indes

57 Im Original geschwärzt. Namen der Beteiligten freundli-cherweise durch Veteranen der USMLM übermittelt.

58 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 52

MVM-Meldekräfte im Kreis Wernigerode 1987*

Tankstelle Elbingerode

Tankstelle Hasselfelde

Tankstelle Wernigerode (Anger)

Zeitungskiosk Blankenburg, Hasselfelder Straße

Pfeifenkrug Blankenburg

Tanne, Privatanschrift geschwärzt

Heudeber, Privatanschrift geschwärzt

Bahnhof Börnecke

Hasselfelde, Privatanschrift geschwärzt

IMS „B. Holz“ Objekt der GSSD Trautenstein

IMS „K. Meyer“ Objekt der GSSD Trautenstein

IMS „O. Müller“ Objekt der GSSD Hasselfelde

IMS „Ferdinand“ Objekt der GSSD Hasselfelde

IMK/KO „Hirsch“ Objekt der GSSD Hasselfelde

GMS „Schiller“ Objekt der GSSD Hasselfelde

IMS „E. Gebhard“ Objekt 620 der NVA Blankenburg

IMS „Karin Goldbach“ Objekt 620 der NVA Blankenburg

IMS „Kiefer“ Objekt 620 der NVA Blankenburg

* BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Wernigerode Nr. 16014, S. 7

Abb. K719: Unterkunftsgebäude des 714. funktechnischen Postens der GSSD auf dem Rosentalskopf bei Hasselfelde.

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gar nicht. Schon seit den frühen Morgen-stunden haben sich die Begleiter der HA VIII unauffällig an die Fersen der Nr. 29 geheftet. Der bullige Dodge macht ihnen die Arbeit leicht. Das imposante Auto ist selbst auf weite Entfernungen nicht zu übersehen.Zur selben Zeit schicken sich in der Radar-

station Athenstedt der Fernmeldemechani-ker Günther A. und sein Fahrer S. zu einer kleinen Probefahrt des frisch reparierten Tatra-LKW an. Wenn schwere Technik das Objekt verlässt, muss zur Sicherheit die Straße vor der Radarstation für den Ver-kehr gesperrt werden. Die Ausfahrt ist nur schlecht einzusehen. Deshalb existiert eine

Schranke auf der Ortsverbindungsstraße zwischen Danstedt und Athenstedt in Rich-tung Athenstedt. Sie befindet sich etwa 100 Meter von der Ausfahrt entfernt. Um 13.35 Uhr steuern Hamilton und Tiffany ihren Dodge auf der Straße von Athenstedt kommend der Radarstation zu. Ein Re-gulierer der NVA ist schon im Begriff die Schranke zu schließen, doch der Dodge der USMLM erhöht sein Tempo und fährt noch unter der halb geschlossenen Schranke hindurch. Die Geschwindigkeit des Dodge wird später auf 80 bis 100 km/h geschätzt.Im Glauben die Straße sei frei, schwenkt in diesem Moment der Fahrer des NVA-Tatra in weitem Bogen ausholend nach rechts auf die Straße. Als Fahrer S. und Beifahrer A. den Dodge sehen, ist es schon zu spät. Auf der Straßenmitte kommt der LKW zum Stehen. Der Dodge versucht noch dem Ta-tra nach rechts ausweichen, schleudert stattdessen aber in den Straßengraben und überschlägt sich mehrfach auf dem Acker.In einer Zeugenvernehmung bei der Krimi-nalpolizei Halberstadt gibt der Beifahrer später zu Protokoll:„Zu einer Berührung zwischen diesem Fahrzeug und unserem LKW kam es nicht. Ich verließ den LKW und stellte fest, daß es sich bei dem erwähnten Fahrzeug um ein amerikanisches Militärverbindungsmissi-onsfahrzeug handelte. Es war ein PKW vom Typ „Dodge“ mit der Nummer 29. Noch bevor ich das auf der linken Seite liegende Fahrzeug erreichte, kletterten zwei männ-liche Personen, die mit einer Uniform der amerikanischen Armee bekleidet waren, heraus. Es handelte sich um einen Offi-zier und einen Stabsfeldwebel. Der Offizier klagte über erhebliche Rückenschmerzen. Daher wurde er durch einen Krankentrans-portwagen zum Krankenhaus Halberstadt transportiert, nachdem er seine Zustim-mung gegeben hatte. Der Stabsfeldwebel hielt sich am Militärverbindungsmissi-onsfahrzeug auf. Er war offensichtlich unverletzt. Von diesem Vorkommnis setz-ten wir sofort die zuständige sowjetische Komandantur in Kenntnis, die die weitere Bearbeitung übernahm. Bemerken möchte

MVM-Bewegungen 1988/1989 im Kreis Wernigerode*

27.11.1988Feststellung MVM-Fahrzeug, Nr. und Insassen nicht erkannt, Blankenburg in Richtung Hasselfelde(Ifo OLZ, Abt. VIII)

06.12.1988, 15.30 UhrFeststellung Nr. 37, 2 uniformierte Insassen, Blankenburg in Richtung Hasselfelde(Ifo OLZ, Abt. VIII)

01.02.1989, 10:19 UhrFeststellung Nr. 37, durch IM-Basis, 2 Personen, Stiege in Richtung Albrechtshaus(Ifo OLZ, Abt. VIII)11:30 UhrFeststellung Nr. 37, 3 Personen im Kreis Nordhausen(Ifo vom OdH/VP)

23.02.1989, 18:25 UhrFeststellung Nr. 28, 3 Personen, Wernigerode, Tankstelle(Ifo OLZ, Abt. VIII)

14.05.1989, 12:15 UhrFeststellung Nr. 38, 3 Uniformierte und 1 Zivilperson, Wernigerode, Parkplatz Wernigeröder Krug, Spaziergang Richtung Markt(Ifo OLZ, Abt. VIII)

18.07.1989, 13:44 UhrFeststellung Nr. 6, 4 uniformierte Insassen, Blankenburg vermutlich Richtung Hasselfelde, Fahrzeug stark verschmutzt, durchfuhren in entgegengesetzter Richtung eine Einbahnstraße(Ifo OLZ, Abt. VIII)

20.07.1989, 12:10 UhrFeststellung Nr. 7 durch IM-Basis, 3 Insassen, aus Halberstadt in Richtung Blankenburg(Ifo OLZ, Abt. VIII)12:20 UhrFeststellung Nr. 7, Blankenburg, Pfeifenkrug Richtung NVA-Gelände(Ifo von NVA Blankenburg)14:23 UhrFeststellung Nr. 7, Blankenburg NVA-Gelände, ca. 30 Meter vorher gewandert und zurück in Richtung Blankenburg(Ifo OLZ, Abt. VIII)

* BStU, MfS, BV Magdeburg, KD Wernigerode Nr. 16020, S. 128 f115

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Kapitel 7 – Wernigerode

62 66

B79

B27

B245

B244

B6n

B6

B81

B185

Landkreis Harz

Quedlinburg

WernigerodeHalberstadt

Blankenburg

Thale

Brocken

Hasselfelde

Athenstedt

Heudeber

Trautenstein

Gernrode Ballenstedt

0 10 20 30 km

MVM-Sperrgebiete1986–1990

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Abb. K720: Außenansicht der MfS-Kreisdienststelle Wernigerode.

Abb. K721: Zum Tag der Sowjetarmee 1985 erhalten Sowjetsoldaten vom Brocken im Kreiskulturhaus Wernigerode Blumen und Präsente von der SED-Kreisleitung. 117

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Kapitel 7 – Wernigerode

ich, daß die an unserem Objekt vorbeifüh-rende Straße zwischen Athenstedt und Danstedt aus beiden Richtungen für Fahr-zeuge der Militärverbindungsmissionen gesperrt ist. Dies ist durch entsprechende Schilder deutlich gekennzeichnet.“59 Noch vor dem Krankenwagen und der Poli-zei trifft das Obervationsteam des MfS am Tatort ein. Die „operativen Beobachter“ haben das Fahrzeug kurz vor dem Unfall noch aus einiger Entfernung fotografiert und stehen nun direkt an den Trümmern. Sie können, so der spätere Rapport an Generalmajor Mittig, technische Ausrüs-tungsgegenstände und schriftliche Unter-lagen, die aus dem Fahrzeug auf den Acker geschleudert wurden, „sicherstellen“. Aus dem Wrack selbst entwenden sie nichts. Das erledigen wenig später sowjetische Soldaten. Ssgt. Tiffany wird festgenom-men, da er sich außerhalb des Fahrzeugs in einem MVM-Sperrgebiet befindet. In seiner Vernehmung durch die Kriminalpol-zei, die in Anwesenheit eines sowjetischen Offiziers der Kommandantur Magdeburg in Athenstedt stattfindet, verweigert Tif-

59 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 57

Abb. K722: Dienstobjekt „Urian“ der HA III des MfS auf dem Brocken.

Abb. K723: Militärisches Sperrgebiet Brocken 1987. Grenzoffizier des Sicherungszugs Schierke vor den Sendeanlagen der Deutschen Post.

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Abb. K724: Eine Schulklasse aus Wernigerode ist zu Gast bei ihrer Patenkompanie in der Garnison Quedlinburg-Quarmbeck.

fany die Aussage. Im Protokoll vom 13. März 1979 heißt es dazu: „Der Befragte erklärte, daß er mit seinem Vorgesetzten, Oberstleutnant Hamilton, gegen 09:00 Uhr, am heutige Tage in Potsdam abgefah-ren sei. Zur Fahrstrecke sagte er nur, daß die Fahrt über die Autobahn bis kurz hin-ter Magdeburg verlief. Danach sei ihm von seinem Vorgesetzten befohlen worden, wo er entlang fahren soll. Zur gefahrenen Strecke könne er keine Angaben machen. Das Ziel der Fahrt war ihm angeblich nicht bekannt. Zu dem vor der Unfallstelle an-gebrachten Verbotsschild für Fahrzeuge der Militärverbindungsmissionen und zum Unfallhergang befragt erklärte er, daß er nur Kraftfahrer sei und daher zu diesen Fragen keine Angaben machen werde. Er verwies in diesem Zusammenhang auf sei-nen Vorgesetzten und beantwortete keine weiteren Fragen.“60

60 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 55

LtCol. Hamilton wird in der Chirurgie des Kreiskrankenhauses Salvator in Halberstadt erstversorgt. Die Ärzte diagnostizieren ei-nen angebrochenen Lendenwirbel und eine Schürfwunde am Jochbein. Noch in der Nacht zum 14. März holt die USMLM den Verletzten aus Halberstadt ab. Auf Anwei-sung der Sowjets werden alle Röntgenbil-der an die Amerikaner ausgehändigt.61

Alle vom MfS entwendeten technischen Geräte und schriftlichen Unterlagen aus dem USMLM-Fahrzeug werden sofort auf-gelistet und fotografiert. Auch die später am Unfallort durch die GSSD aus dem Au-towrack entnommenen Ausrüstungsgegen-stände, Karten und Filmmaterialien werden der HA VIII vom KGB ebenfalls sofort zur Erstauswertung zugeleitet und gehen noch am gleichen Tag von dort an die Abteilung MVM des KGB zurück. Scheinheilig werden am 16. März 1979 dem Chef der amerika-

61 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 54

nischen MVM, Col. Stovall, die „zeitweilig sichergestellten technischen Ausrüstungs-gegenstände und Filmmaterialien“ überge-geben. Nur die Karten der USMLM bleiben beschlagnahmt.62

Zum Wert der Unterlagen vermerkt die HA VIII: „Die zeitweilig sichergestellten technischen Ausrüstungsgegenstände und Spionagematerialien tragen zur Nachweis-führung der Aufklärungs- und Spionagetä-tigkeit der Angehörigen der USA-Militär-verbindungsmission und des Mißbrauchs der ihnen zugestandenen Rechte und auf-erlegten Pflichten bei. Sie bestätigen be-reits vorhandene Kenntnisse über die An-griffsrichtungen und Aufklärungsziele der USA-MVM und geben weitere Aufschlüsse für die wirksame Gestaltung der politisch-operativen Abwehrarbeit.“63

62 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 5263 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 53

119

LaßlebenW
Textfeld
(Abbildung nur in der gedruckten Broschüre wiedergegeben)
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Kleine und große Zwischen- fälle

Abb. K801: Im Juli 1987 am Flugplatz Cochstedt beschlagnahmte Tourausrüs-tung der B-MVM Nr. 15.

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Kleine und große Zwischen- fälle

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Kapitel 8 – Löwenberg/Mark

Aufregung am Bahnhof Löwenberg/Mark

A m 5. Februar 1982 erhielten zwei Angehörige des Transportpolizei-reviers Wustermark den Befehl, ab

Bahnhof Wustermark einen begleitpflich-tigen Militärtransport der Nationalen Volksarmee zum Zentralen Nachrichtenge-rätelager1 des Ministeriums für Nationale Verteidigung in Rechlin zu überführen. Auf zehn Waggons befand sich verplombte Kfz-Technik. Insgesamt zehn Komman-deursfunkstellen auf Kübelwagen UAS-469 B und dreizehn GAS-66. Gegen 11 Uhr traf der Transport auf dem Bahnhof Löwen-berg/Mark ein und sollte dort an einen anderen Zug angekoppelt werden. Der Zug hatte jedoch einen längeren Aufenthalt.

1 Zentrales Nachrichtengerätelager 2 des MfNV, Postfach 26222, Tarnname Großlautsprecher

Den Transportpolizisten wurde in ihrem Gepäckwagen langweilig und so verließen sie den Transport, um in Löwenberg ein-kaufen zu gehen.2 Um 11.30 Uhr fuhr das MVM-Fahrzeug Nr. 25 mit der Besatzung Major John M. Greathouse, Ssgt. Herbert Framcke und Ssgt. Joseph C. Grazdzik3 auf die Ladestraße des Bahnhofs Löwenberg. Offensichtlich hatten die Amerikaner den Militärtransport bereits verfolgt und er-griffen nun, angesichts der abwesenden Bewacher, ihre Chance. Zwei Amerikaner kletterten ungehindert auf die Waggons, fotografierten die Fahrzeugantennen, öff-neten zwei UAS und einen GAS, stiegen in die Fahrzeuge ein und durchsuchten die-

2 BStU, MfS, ZAIG Nr. 15310, S. 453 BStU, MfS, HA VIII 5533, S. 47 f.

se. Höchstens drei Minuten dauerte diese Blitzaktion. Der Fahrdienstleiter des Bahn-hofs Löwenberg hatte die beiden Amerika-ner allerdings auf den Waggons beobachtet und die MVM sofort gemeldet. Als Mitar-beiter der Reichsbahn zu dem Zug gingen, verließen die Amerikaner fluchtartig den Bahnhof. Für Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn sahen die Meldeordnungen der einzelnen Reichsbahndirektionen eigene Meldewege für den Fall des „Auftauchen(s) von Fahrzeugen der westlichen Militärver-bindungsmissionen auf Reichsbahngebiet“4 vor. MVM-Feststellungen durch Bahnbe-

4 Beispielsweise Ordnung über die Erstattung von Meldungen über außergewöhnliche Vorkommnisse im Bereich des Rbd-Bezirkes Magdeburg vom 1. Dezember 1979, Punkt 2.2. Besonderheit im Meldeweg bei MVM-Feststellungen auf Reichsbahngebiet.

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dienstete waren dann unverzüglich und ohne Einschaltung der Transportpolizei an den Diensthabenden der Reichsbahndi-rektion5 zu übermitteln. Die herbeigerufe-nen Mitarbeiter der MfS-Kreisdienststelle Gransee sicherten die Spuren am Bahnhof Löwenberg, fotografierten die geöffneten Plomben an den Fahrzeugen und leiteten die Bildmappe6 an die sowjetischen Ver-treter weiter. Eine genaue Untersuchung der Fahrzeuge im Zentralen Nachrich-tengerätelager Rechlin ergab später, dass aus einer Kommandeursfunkstelle R-142 der Begleitschein am Fahrerhaus, ein

5 BStU, MfS, HA VIII Nr. 8056, S. 86 BStU, MfS, BV Potsdam, KD Gransee Nr. 274, S. 16 ff.

Schlüssel und das Werkzeug fehlten sowie aus zwei Kommandeursfunkstellen L-1125 weiteres Werkzeug gestohlen worden war. Die Plomben an der Funktechnik im Fahr-zeuginneren waren dagegen unversehrt geblieben. Das freche Auftreten in Löwen-berg blieb für die Missionsmitglieder zu-nächst folgenlos. Ein halbes Jahr später aber, am 1. August 1982, wurde es dann bitterer Ernst. Das MVM-Fahrzeug Nr. 27 fuhr mit fast iden-tischer Besatzung, Ssgt. Framcke als Fahrer und den Tour-Offizieren Major Greathouse und Capt. Vanderhoof, erneut einen Bahn-hof an. Hauptmann Vanderhoof befand sich noch in der Ausbildung zum Tour-Offi-

zier. Er sollte sich mit den Verhältnissen in der DDR vertraut machen. Seine Mitfahrt als dritter Mann diente nur Ausbildungs-zwecken. Alle Entscheidungen über die Tour oblagen Major Greathouse und Ssgt. Framcke. In Dallgow7 im Kreis Nauen fo-tografierte die Besatzung Verladearbei-ten der GSSD und wurde dabei entdeckt. Ein sowjetischer Offizier und drei weitere Soldaten versuchten daraufhin die MVM-Besatzung festzunehmen, indem sie sich dem Fahrzeug in den Weg stellten. Nach Rekonstruktion des MfS8 befahl Major

7 Die Amerikaner sprechen in der USMLM unit History 1982 von Elstal.

8 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 48 f.

Abb. K802: Panoramafoto des Militärtransports der NVA im Bahnhof Löwenberg/Mark mit Anfahrtskizze der USA-MVM Nr. 25.

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Kapitel 8 – Dallgow

Greathouse Ssgt. Framcke auf die GSSD-Angehörigen langsam loszufahren.9 Der sowjetische Leutnant ging dem Mercedes-Geländewagen 280 GE aber nicht wie er-wartet aus dem Weg, sondern wurde von diesem unglücklich erfasst, kam unter die Räder und erlitt dabei lebensgefährliche Verletzungen. Ein weiterer Soldat wurde ebenfalls angefahren und verletzt. Statt anzuhalten befahl Greathouse die Weiter-fahrt. Auf der Glienicker Brücke erfolgte die vorläufige Festnahme der drei Ameri-kaner. Ihre Festsetzung in der Potsdamer Kommandantur dauerte fast 24 Stunden. Der Chef der USMLM, Colonel Randall A. Greenwalt, forderte die sowjetische Aus-landsabteilung umgehend schriftlich auf, seine Männer freizulassen. Am 6. August 1982 schickte Greenwalt dann aber einen

9 Möglicherweise wird der an den Tag gelegte „Kampfeifer“ der Besatzung im Zusammenhang mit einem anderen Er-eignis verständlicher. Im Mai 1982 waren Major Greathouse und Ssgt. Schatz an einem Beobachtungspunkt in der Nähe von Naumburg von Soldaten der GSSD überrascht, aus dem Wagendach gezogen, gefesselt und verprügelt worden. Als Antwort auf den Protest des Stabschefs des USAREUR behaupteten die sowjetischen Vertreter, dass die Angaben bezüglich der Tätigkeit der Soldaten ungenau, der Missi-onschef falsch informiert worden sei und die sowjetischen Soldaten nichts Unangebrachtes getan hätten. Greathouse erlitt bei dem Zwischenfall schmerzhafte Verletzungen. Möglicherweise wollte er zu entschlossen verhindern, das sich die Situation vom Frühjahr wiederholt. Das Verhalten von Greathouse und Framcke in Dallgow war rücksichtslos und falsch.

Abb. K803: Spurensicherungsfoto der MfS-Kreisdienststelle Gransee: GAS-66 mit aufgebrochener Türplombe.

Entschuldigungsbrief an Oberst Polzow nach, worin er sein Bedauern über die Verletzung des sowjetischen Offiziers zum Ausdruck brachte. Für alle drei Beteiligten bedeutete der Zwischenfall in Dallgow das Ende ihrer Aufklärungstätigkeit in der DDR. Die sowjetische Seite entzog ihnen die Ak-kreditierung. Missionschef Greenwalt ver-trat zwar die Auffassung, dass Vanderhoof keine Schuld an den Abläufen in Dallgow traf und versuchte ihn wenig später erneut auf Tour zu schicken. Bei seiner Einreise am 6. August 1982 nach Potsdam erklärte ihn die sowjetische Auslandsabteilung aber sofort zur „persona non grata“. Hauptmann Thomas Vanderhoof, Marinerepräsentant der USMLM, kehrte daraufhin nach West-Berlin zurück. Über die Einarbeitungsphase kam er nicht hinaus und verließ die USMLM wenig später am 15. Oktober 1982. Major Greathouse verblieb vorübergehend10 noch als Staff Officer bei der USMLM in West Berlin, wo er Berichte bearbeitete. An sei-ne Stelle trat im Frühjahr 1983 Arthur D. Nicholson. Im Juli 1983 erfolgte die Abver-setzung von Ssgt. Framcke.

10 Bis März 1983, dann übernahm Major Greathouse eine Stelle in der Berlin Brigade.

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Z wei Jungjäger des Jagdkollektivs Ziesar hatten sich ihre Wildschwein-pirsch in der Nacht vom 27. zum 28.

Dezember 1988 eigentlich etwas anders vorgestellt. Ihre gute Laune war schlag-artig verschwunden, als sie bemerkten, dass die erwarteten Schwarzkittel wie vom Erdboden verschwunden waren. Irgendet-was hatte die Tiere aufgeschreckt und von ihrem angestammten Platz vertrieben. Ver-ärgert begaben sich die Waidmänner auf die Suche nach der Ursache. Sie benötigten nicht lange, um die „Störenfriede“ aufzu-spüren, die ihnen soeben die Jagd gründ-lich verhagelt hatten. Gegen 1.30 Uhr ka-

men sie zu Fuß auf dem Fi(e)ner Damm11 in Höhe Abzweig Müllkippe entlang und ent-deckten zwei Personen, die sich mit einem schweren Gegenstand auf der Müllkippe abschleppten.12 Die Jäger schlugen sich in die Büsche und beobachteten aus ihrem Versteck heraus das weitere Geschehen. Ihre Sicht war allerdings eingeschränkt. Erst als die Personen mit dem Gegenstand den Wald erreicht hatten, bemerkten die Jäger einen Geländewagen, der dort abgestellt

11 Die richtigen Straßen- bzw. Wegbezeichnungen wären Fiener Damm/Fiener Weg sowie Kobser Mühle/Kobser Weg gewesen. In den Dokumenten des MfS zu diesem Vorgang findet sich durchgängig die falsche Schreibweise Finer Weg.

12 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 1068, S. 1ff.

war. Sie gingen zunächst davon aus, dass es sich um Angehörige der Sowjetarmee handelte. Die Jäger hörten, wie mit einem hölzernen Gegenstand zunächst mehrfach gegen einen Baum geschlagen wurde, ohne ersichtlichen Grund. In den Protokollen der MfS-Kreisdienststelle Brandenburg heißt es über die weiteren Beobachtungen der Jäger in der Tatnacht: „Die Kontaktperson stellte dann fest, daß an den PKW geklopft worden war, woraufhin der PKW von innen geöffnet worden war, so daß im PKW eine weitere Person gewesen sein muß. Die Per-sonen luden ihren Gegenstand ein und alle Personen verließen mit ihrem PKW, ohne

Tatort Müllkippe

Abb. K804: Spurensicherungsfoto des MfS mit Materialien der sowjetischen Streitkräfte auf der Müllkippe bei Ziesar. Unterlagen zum Militär-LKW Kamas 4310.

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Kapitel 8 – Ziesar

MVM-Lage am 27./28. 12. 1988*

Land Turnus Datum/Zeit Kennzeichen Sektion Nummer Dienstgrad Name Sektion

N 26.12. 9:30 –28.12. 16:35

11 Luft 748 Fl Bouchard844 WO II Peacock851 Cpl Thomas

LLH

N 27. 12. 8:10 – 28.12. 21:50

31 Heer 928 ?952 A/C Souquet989 Dome

L

N 27.12 21:23 –28.12. 19:30

5 Luft 860 SL Orwell834 WO II Thompson839 Cpl Park

LLH

W 27.12. 10:50 – 28.12. 15:10

9 Heer 717 Mj Williams661 S/Sgt Geary842 Cpl Matthews

HHH

W 27.12. 12:30 – 28.12. 16:35

12 Heer 843 Mj Hill858 WO II Pepino832 Cpl Marshall

HHH

W 27.12. 11:46 – 28.12. 16:53

6 Heer 548 Mj Johnston883 W 2 Corcoran875 Cpl Collins

H

27.12. 9:05 – 28.12. 17:25

26 376 Mj MaggardKulturfahrt Ehefrau + 3 Kindern

H

S 27.12. – 28.12

27 378 Capt Anderson361 S/Sgt Gill, Glen Randal

HH

* BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 1068, S. 3126

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daß das Licht eingeschaltet worden war, die Müllkippe. Dabei fuhren sie in unmit-telbarer Nähe der Kontaktperson vorbei, hier erst stellte er fest, daß es kein Fahr-zeug der Sowjetarmee13 war. Bei der am nächsten Tag eingeleiteten Kontrolle durch die Kontaktperson konnte er feststellen, daß im Bereich der Müllkippe mehrere Rei-fenspuren des oder der MVM-Fahrzeuge, die teils älteren Datums waren, vorhanden waren.“14 Die beiden 21-jährigen gaben ihre Beobachtungen am 28. Dezember 1988 dem Abschnittsbevollmächtigten des Gruppenpostens Süd, Abschnitt 12, zu Protokoll. Nach dem Jahreswechsel ge-langte die Abschrift des Protokolls und so-mit der Sachverhalt auf den Schreibtisch von Major Räck, MfS-Kreisdienststelle Brandenburg. Räck selbst befragte am

13 Im Protokoll des ABV ist die Rede von einem dunklen aus-ländischen Jeep. MVM-Fahrzeug. Das Kennzeichen wurde von den Jägern in der Dunkelheit nicht erkannt.

14 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 1068, S. 2

13. Januar 1989 noch einmal ausführlich den Zeugen „Oliver“ und übergab die Un-terlagen dann an die für Militärspiona-geabwehr zuständige Abteilung II/4 der Bezirksverwaltung Potsdam. Die Abwehr führte den Vorgang unter dem Tarnnamen „Container“ weiter, kam aber in der Sache nicht richtig voran. Zwar ermittelte das MfS anhand der MVM-Lage alle für diesen Zeitraum infrage kommenden „verdächti-gen“ Fahrzeuge, aber handfeste Beweise gegen ein bestimmtes Team gab es nicht. In den Nachtstunden arbeiteten die Kräfte der operativen Beobachtung nicht. Präzise Daten lagen deshalb nicht vor. Dass drei britische Heeresteams, Nr. 6, 9 und 12, nahezu gleichzeitig im Turnus West unter-wegs waren, hätte aber selbst das OLZ der HA VIII stutzig machen müssen. Anstatt im Nachhinein die konkret verdächtigten MVM-Besatzungen über die HA VIII noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen,

beschritt die chronisch misstrauische Spi-onageabwehr einen anderen Weg.Immerhin im Juli 1989, mehr als ein halbes Jahr nach der Meldung, forderte die Ab-teilung II/4 über die Abteilung XVIII einen ausführlichen Wetterbericht der Tatnacht an, um die Zeugenaussagen noch einmal zu überprüfen. Die Daten des Hauptamts für Klimatologie Potsdam15 konnten die Anga-ben aber weder bestätigen noch demen-tieren. GMS „Wolfgang“ bekam daraufhin die Instruktion, sich nach Personen und Fahrzeugen umzuschauen, die sich häufig auf dem Müllplatz Ziesar aufhielten. Aber lediglich Anwohner, Betriebe und Einrich-tungen aus Ziesar nutzten die Kippe. Fahr-zeugspuren sollte er sich merken und diese sofort dem MfS melden. Die Aktivitäten des GMS förderten nur klägliche Informationen zu Tage. In der Anwohnerschaft Ziesars,

15 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 1068, S. 9 f.

Abb. K805: Das Panoramafoto des MfS zeigt die Sicht auf die Müllkippe bei Ziesar vom Standort des MVM-Fahrzeugs.

Tabelle links: Zur Ermittlung der MVM-Besatzung, die von der Mülkippe bei Ziesar einen schweren Gegenstand mitgenommen hatte und dabei von Jägern beobach-tet wurde, erstellte der zuständige MfS-Offizier im Vorgang „Container“ diese Liste. Sie verdeutlichte, welche MVM im fraglichen Zeitraum auf dem Territorioum der DDR im Turnus Nord, West oder Süd im Einsatz war. Der Militärspionageabwehr der BV Potsdam erschienen die britischen Fahrzeuge 9, 12 und 6 verdächtig. Sie befuhren den Turnus West, in dem sich Ziesar befand. Die westlichen MVM verwendeten andere Bezeichnungen für die Beobachtungsbereiche: Sektor A, B, C und L. Im Sprachgebrauch des MfS waren das Turnus Nord, West und Süd sowie Kurzfahrten im Nahbereich um Potsdam.

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Kapitel 8 – Ziesar

wo er sich bereits umgehört hatte, waren die alliierten Militärverbindungsmissio-nen bislang kein Gesprächsthema. Weite-re MVM-Feststellungen hatte „Wolfgang“ vor Ort nicht tätigen können. Gemeinsam mit seinem Führungsoffizier Oberleutnant Husser vervollständigte der GMS allerdings eine Lageskizze des Müllplatzes mit allen Anfahrtswegen und Anwohnern, darunter auch eine Familie mit acht Kindern. Die Spionageabwehr der Bezirksverwaltung Potsdam wertete die Karte aus und kam zu der Feststellung: „Die Müllkippe ist von Paplitz aus, über Feldweg, ohne Vorhan-densein von MVM-Sperrgebietsschildern

zu erreichen. Die Müllkippe wird von An-wohnern u. GSSD genutzt. (Material der GSSD vorhanden).“16

Mangels ausbleibender Ergebnisse knöpf-te sich die Spionageabwehr nun die Per-sonen auf der Karte des GMS und das Umfeld der Hinweisgeber vor. Zu realisie-rende Maßnahmen, lautete es militärisch knapp: „Überprüfung der Hausbewohner und Mitglieder der Jagdgesellschaft, In-formationsbedarf für IM des Genossen Husser, Informationsbedarf für KP der KD (am 27.7.1989) („Oliver“). Wurde über

16 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 1068, S. 4

Sachverhalt schon in der Jagdgesellschaft geredet?“17

Ein ernüchterndes Ende fand diese Zie-sarer Variante des Hornberger Schießens schließlich mit dem Auskunftsersuchen an die PDB18 zu „alle(n) Personen in 1807 Zie-sar, Finer Weg und Zum Kopf, vollständige Datensätze.“19 Die Wege waren noch nicht einmal im Verzeichnis des MfS enthalten. Datensätze: keine. Bis heute ist ungeklärt, was die britische MVM auf der Müllkippe in Ziesar tatsächlich „erbeutete“.

17 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 1068, S. 418 PDB -Personendatenbank19 BStU, MfS, BV Potsdam, Abt. II Nr. 1068, S. 5

Abb. K806: Spurensicherungsfoto des MfS von der Müllkippe bei Ziesar. Die Feldpostnummern auf der Tafel, 33571 und 51094, verrieten die Herkunft der Materialien. Sie stammten aus dem Ersatzteildepotlager der 42. Nachschubbrigade der Sowjetarmee in Ziesar/Bücknitz. (Credit BStU)

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MECKLENBURG-

VORPOMMERN

SACHSEN-

ANHALT

BRANDENBURG

THÜRINGEN

SACHSEN

BAYERN

BADEN-WÜRTTEMBERG

RHEINLAND-

PFALZ

HESSEN

SAAR-LAND

NORDRHEIN-

WESTFALEN

NIEDERSACHSEN

SCHLESWIG

HOLSTEIN

BERLIN

0 100 Kilometer

DRESDEN

POTSDAM

SCHWERIN

BERLIN

MAGDEBURG

ERFURT

MÜNCHEN

STUTTGART

WIESBADEN

MAINZ

SAARBRÜCKEN

DÜSSELDORF

HANNOVER

BREMEN

KIEL

HAMBURG

Rostock

Leipzig

Wünsdorf

A

B C

BritischeBesatzungszone

FranzösischeBesatzungszone

SowjetischeBesatzungszone

AmerikanischeBesatzungszone

L

GROUND

AIRGROUND

AIR

GROUND

AIR

Überwachungsbereicheder alliierten MVM/MI (1988)

Sektor A (Nord)Sektor B (Süd-West)Sektor C (Süd-Ost)Sektor L (lokaler Bereich, 30 km um Potsdam)

Sektor Westberlinsowjetische MI (GÜSt Friedrich-/Zimmerstraße, Checkpoint Charlie)- keine Beschränkung in West Berlin, außer Sperrgebiete- keine Beschränkungen in der DDR- keine Berechtigung für BRD

Sektor Ostberlinwestliche MI (Checkpoint Charlie/GÜSt Friedrich-/Zimmerstraße)- keine Berechtigung für DDR (außer Transit Alliierte, Checkpoint Bravo/GÜSt Drewitz und GÜSt Marienborn/Checkpoint Alpha)- keine Beschränkung in Ost Berlin, außer Sperrgebiete

sowjetische MVM (Checkpoint Alpha Helmstedt/GÜSt Marienborn)-keine Berechtigung für West Berlin-keine Beschränkungen in der DDR-keine Beschränkungen in der jeweilig akkreditierten Besatzungszone der BRD, außer Sperrgebiete (Transit in andere Zone innerhalb der BRD nur mit Genehmigung)

westliche MVM (GÜSt Glienicker Brücke und GÜSt Marienborn/ Checkpoint Alpha)- keine Berechtigung für Ostberlin- keine Beschränkungen in der BRD- keine Beschränkungen in der DDR, außer Sperrgebiete

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Kapitel 8 – Cochstedt

Qualifizierte Festnahme in der Einflugschneise

I n den Mittagsstunden des 8. Juli 1987 erreichte das MfS die Meldung von der Sichtung einer britischen MVM-Be-

satzung mit der Nr. 15 in Hakeborn, Kreis Staßfurt. Die Ortschaft lag knapp außer-halb eines ständigen MVM-Sperrgebiets. Aus langjähriger Erfahrung schlussfolgerte die Abteilung VIII der Bezirksverwaltung-Halle, dass der Übungsbetrieb am nahen GSSD-Flugplatz Cochstedt wieder einmal im britischen Interesse stand. Das MfS entschied sich für den Einsatz erfahrener operativer Beobachtungskräfte der HA VIII. Sie sollten die MVM ab den frühen Morgenstunden des Folgetages aufspüren. Ihr Einsatz rund um den Flug-platz Cochstedt hatte ursprünglich nicht die Festnahme des Air-Teams zum Ziel. Es ging vor allem darum, mögliche Aufklä-rungshandlungen zu dokumentieren und nach Möglichkeit mit sowjetischer Hilfe zu stören. Lange benötigten die Beobachter nicht, um die MVM aufzustöbern, da die Air-Teams für ihre Tätigkeit feste Beobachtungsplätze be-vorzugten. Fast alle diese Standorte waren dem MfS bekannt. Nach einstündiger Su-che waren die Briten nördlich der Ortschaft Schadeleben gesichtet worden, direkt in der Einflugschneise des Flugplatzes Cochstedt. Zuvor konnten nur Reifenspuren an mehre-ren bereits verlassenen Plätzen festgestellt werden. Zu diesem Zeitpunkt herrschte kaum Flugbetrieb in Cochstedt. Nur eine MiG-23 der GSSD aus Köthen überflog ge-gen 11.30 Uhr den Standort der MVM. Mit den einsetzenden Vorbereitungen für den Flugbetrieb verständigten die Beob-achter der HA VIII gegen 14.30 Uhr den Ab-wehroffizier des GSSD-Flugplatzes Cochs-tedt. Unter Leitung dieses Offiziers führten die Beobachter des MfS zwei Stunden spä-ter eine Gruppe für offensive Maßnahmen an den Standort der britischen MVM-Be-satzung heran. Diese speziell für Blockaden und Festnahmen geschulten Sowjetsolda-ten kreisten die Besatzung ein. Um 17.23 Uhr startete der erste Mi-8 Hubschrauber in Cochstedt. Etwas unvorsichtig entfern-ten sich kurz darauf zwei Briten von ihrem

Fahrzeug und bezogen unter Tarnnetzen Stellung an der Waldkante, um den Flugbe-trieb zu fotografieren. Sie fühlten sich sehr sicher an ihrem Standort, denn sie hatten zwischenzeitlich immer wieder ihr Umfeld kontrolliert. Ein Besatzungsmitglied blieb stets im Fahrzeug sitzen. Die Aktivitäten ihrer Verfolger hatten die Briten überhaupt nicht bemerkt. Der sowjetische Abwehroffizier ordnete den Zugriff an, auch wenn sich das Fahr-zeug und die Personen außerhalb des stän-digen Sperrgebiets befanden. Um 18.00 Uhr schlug die Gruppe für offensive Maßnah-men blitzschnell zu. Während die beiden MVM-Mitglieder außerhalb des Fahrzeugs förmlich überrumpelt wurden, versuchten weitere Soldaten den dritten Mann aus dem Fahrzeug zu ziehen. Das gelang zwar nicht. Dafür wurde aber die gesamte Tour-ausrüstung sichergestellt. Das MfS konnte nach langer Zeit einen greifbaren Erfolg gegen die Luftwaffenauf-klärer der britischen MVM vorweisen. Nicht nur die Beobachtung hatte professionell funktioniert. Auch das zuvor ausgiebig ge-übte Zusammenspiel mit den sowjetischen Festnahmegruppen war ausnahmsweise einmal reibungslos verlaufen. Die Protokolle des Cochstedt-Zwischenfalls sprudelten nur so vor Schadenfreude: „FL (Name geschwärzt) und W 2 (Name geschwärzt) waren durch die plötzliche Festnahmehandlung so überrascht, daß sie nicht in der Lage waren, sich zu wehren. Sie schafften es nicht, aus ihrer Sitzhal-tung aufzuspringen, sondern wurden im Sitzen überwältigt. Die Kamera Nicon mit dem 1000 mm-Objektiv wurde FL (Name geschwärzt) im Verlauf der Festnahme durch die sowjetischen Genossen sofort entrissen. W 2 (Name geschwärzt) dage-gen versuchte, sein Fernglas unter seiner Uniform zu verbergen, was jedoch durch die sowjetischen Genossen vereitelt wurde, in den sie dieses ihm nach kurzer Gegen-wehr abnahmen. Ssgt. (Name geschwärzt) dagegen wehr-te sich im Pkw sehr hartnäckig, in dem er anfänglich versuchte, die Tür, welche von

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Abb. K807: Karte des MfS mit dem genauem Festnahmeort (Standortkoordinaten M 32-11-B 51/64/09/07) der B-MVM Nr. 15 am 9. Juli 1987 sowie dem Sperrgebietsverlauf in der

Einflugschneise des GSSD-Flugplatzes Cochstedt

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Kapitel 8 – Cochstedt

innen nicht verriegelt war und von den sow jetischen Genossen geöffnet wurde, zuzuhalten. Nachdem ihm das nicht gelang, versuchte er ohne Erfolg das Eindringen ei-nes sowjetischen Soldaten zu verhindern, indem er ihn festhielt. Dieser öffnete dann die Beifahrertür. In diesem Augenblick griff der Fahrer nach zwei Taschen (Inhalt Fo-totechnik) und war bestrebt, diese festzu-halten, Nach kurzem Kampf gab er dies auf und hielt sich verkrampft am Lenkrad fest, um den Bemühungen der sowjetischen Genossen entgegenzuwirken, ihn aus dem Fahrzeug zu ziehen. Diese Gegenwehr war erfolgreich, da der Leiter der Gruppe für offensive Maßnahmen den Befehl gab, mit dieser Handlung aufzuhören. Nachfolgend blieb er ruhig im Pkw sitzen und verwehrte keinem mehr, den Wagen restlos auszuräu-men. Lediglich sein Lenkrad hielt er fest, vermutlich in der Befürchtung, doch noch aus dem Pkw entfernt zu werden. Im weiteren Verlauf verhielt sich W 2 (Name geschwärzt) äußerst ruhig, teil-weise dem Anschein nach desinteressiert bzw. resigniert. Da die MVM-Angehörigen getrennt bewacht wurden, sprach er mit keinem und versuchte auch nicht, sich seiner Bewachung zu entziehen. FL (Name geschwärzt) dagegen schien sehr erregt zu sein. Er versuchte ständig, näher an sein Fahrzeug zu gelangen, von dem er ca. 15 m entfernt bewacht wurde. Hierbei unterhielt er sich mit dem sowjetischen Leutnant und bewegte sich dabei, so daß sich zeitweise der Abstand von ihm zum Kfz verringer-te. Erst nach mehrmaligen Aufforderun-gen anderer sowjetischer Genossen ging er zurück zum Ausgangspunkt. Er wirkte motorisch unruhig und scheint dominant cholerische Temperamentseigenschaften zu besitzen, was zum Ausdruck kam, als er fotografiert werden sollte. Hierbei regte er sich sehr auf und verbarg sein Gesicht hinter erhobenen Händen. Selbst über das Fotografieren des MVM-Pkw ereiferte er sich. Getreu seinem Beispiel, ließen sich auch die anderen MVM-Angehörigen nicht fotografieren. Ssgt. (Name geschwärzt) zog sich die Jacke vor das Gesicht und

W 2 (Name geschwärzt) versteckte sich vor der Kamera hinter seinem Bewacher bzw. einem Baumstamm.“20

Ab 23 Uhr führte dann der nach Cochstedt gerufene sowjetische Kommandant aus Halberstadt die Verhandlungen im Wald. Doch die auf „frischer Tat“ ertappten Bri-ten torpedierten die protokollarische Auf-nahme ihrer „Verfehlungen“ nach Kräften. Sie protestierten vor allem gegen die Be-handlung durch die Festnahmegruppe. Ge-schickt zettelten sie ein Sprachwirrwarr an, das sich quer durch Russisch, Englisch und Deutsch zog. Unbequeme Fragen umging die Besatzung durch ausweichende Ant-worten. Die Dolmetscherin wurde häufig unterbrochen und korrigiert. Um 2.50 Uhr brach der Kommandant die Verhandlungen

20 BStU, MfS, HA VIII Nr. 1655/4, S. 54

in Cochstedt schließlich ab. Er händigte den Briten ihre persönlichen Sachen wie-der aus. Der Rest blieb konfisziert. Für die Beobachtungskräfte der HA VIII war der Einsatz damit beendet. Die MVM Nr. 15 fuhr unter sowjetischer Begleitung nach Potsdam in die Außen-politische Abteilung des Stabes der GSSD. Dort folgten weitere Verhandlungen bis in die frühen Morgenstunden. Um 6.58 Uhr war die Besatzung dann entlassen worden und konnte nach Westberlin ausreisen. Nach sorgfältiger fotografischer Dokumen-tation übergab die HA VIII des MfS noch in der Nacht die sichergestellte Technik aus dem Fahrzeug an den Abteilungsleiter MVM des KGB in Potsdam. Der Oberkom-mandierende der GSSD ordnete einen Tag später an, einzelne sichergestellte Gegen-stände nach Moskau zu überführen.

Abb. K808 – K811: Vom MfS sichergestellte „Spionagematerialien“ aus dem britischen MVM-Fahrzeug.

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Abb. K809

Abb. K810

Abb. K811

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„Juwel 853“Abb. K901: Zerstörter Mercedes der F-MVM Nr. 32 nach der ungebremsten Kollision mit dem Ural-LKW „Juwel 853“ (rechts). Die Wucht des Aufpralls hat den PKW von der Straße geschleudert und den LKW der NVA quer zur Fahr bahn verschoben. Der LKW links, „Juwel 852“, war nicht direkt unfallbeteiligt. Er wurde zur Abschirmung der Unfallstelle nachträglich in diese Position gebracht. An das Fahrzeug gelehnt der verletzte Stabsfeldwebel Blancheton.

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Kapitel 9 – Halle-Lettin

I n den Mittagsstunden des 22. März 1984 wird die Verkehrsunfallbereit-schaft der Volkspolizei Halle/Saale mit

einem Großaufgebot zur Nordstraße geru-fen. Ein Ural-LKW der Nationalen Volksar-mee hat dort einen Mercedes der S-Klasse unter sich begraben. Der Anblick ist nicht

schön. Von den drei männlichen Insassen des PKW ist der Fahrer tot und die beiden anderen sind schwer verletzt. Als die ersten Polizisten an der Unglücksstelle eintreffen wird ihnen rasch klar, dass es sich hierbei nicht um einen normalen Verkehrsunfall handeln kann. Die verletzten Männer tra-gen Uniformen einer fremden Armee, auf dem gelben Kennzeichen am Fahrzeug-wrack prangt neben der französischen Staatsflagge nur eine Nummer und, was noch ungewöhnlicher ist, es sind bereits mehrere Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit vor Ort. Sie geben den Polizisten gleich unmissverständlich zu verstehen, wer hier die Regie bei der Un-fallaufnahme führt. Schon die Abläufe, die zu diesem fatalen Ereignis geführt haben, waren offenbar Teil eines Plans. Der Volk-polizei bleibt nur die Aufgabe, es in ihren Akten und Protokollen wie einen normalen

Verkehrsunfall aussehen zu lassen. In Wirk-lichkeit ist an diesem Frühjahrstag mit den ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres gerade eine Geheimdienstoperation gewal-tig aus dem Ruder gelaufen. „Juwel 853“, so der Tarnname der LKW-Besatzung, soll-te das Fahrzeug der französischen Militär-

verbindungsmission nach „Variante 2“ an der Dölauer-/Ecke Nordstraße wegen einer Sperrgebietsverletzung blockieren. Tod, Verletzung und schrottreife Fahrzeuge wa-ren dabei aber – in Sichtweite zur Kaserne der 11. Motorisierten Schützendivision in Halle-Lettin – ursprünglich nicht geplant. Um deren Vermeidung aber hatte man sich ebenso wenig Gedanken gemacht. Das fa-tale Ergebnis schockt nun zunächst die un-mittelbar am Unfall Beteiligten ebenso wie die zur Unfallstelle eilenden Mitarbeiter des MfS. Angesichts eines toten Angehöri-gen einer Militärverbindungsmission steht ihnen der Schreck ins Gesicht geschrieben. Einigen dämmert bereits, dass der miss-glückte Verlauf ihrer Operation wohl ernste Konsequenzen nach sich ziehen könnte. In Halle-Lettin gilt es jetzt zunächst, die Fas-sung zu wahren und das einstudierte Pro-gramm abzuspulen. So gut es eben geht,

wird den Franzosen aus den Trümmern ge-holfen und Erste Hilfe geleistet. Die Dring-liche Medizinische Hilfe stellt wenig später den Tod von Oberstabsfeldwebel Philippe Mariotti fest und veranlasst den sofortigen Abtransport des schwer verletzten franzö-sischen Hauptmanns Jean-Paul Staub in das Bezirkskrankenhaus Halle-Dölau. Ein zweiter zwischenzeitlich am Unfallort ein-getroffener Arzt legt auch Stabsfeldwebel Jean-Marie Blancheton, ebenfalls erheb-lich verletzt, die stationäre medizinische Versorgung nahe, aber dieser weigert sich mitzukommen, damit das Fahrzeugwrack mit der Tourausrüstung nicht in die Hän-de der Observateure des MfS fällt. Seine Befürchtungen sind nicht unbegründet. Technische Geräte oder andere Materiali-en aus verunglückten MVM-Fahrzeugen zu entwenden, sobald es irgend möglich ist, findet die ausdrückliche Billigung der für solche Fälle eigentlich zuständigen sowje-tischen „Freunde“. Das offenbart ein Brief-wechsel zwischen dem KGB und der MfS-Hauptabteilung VIII aus dem Jahr 1969: „Wie die Praxis der Arbeit zeigt, kommen in der Regel Mitarbeiter der Polizei oder des MfS der DDR als erste zur Unfallstelle. Wir haben die Vorstellung, dass die deut-schen Freunde, ohne die Ankunft der sow-jetischen Vertreter abzuwarten, die Unter-suchung zu den Tatsachen des Vorfalls in vollem Umfang beginnen sollen und dabei unter Ausnutzung der an Ort und Stelle entstandenen Situation (Fehlen von Zeu-gen, Zustand der Insassen des Fahrzeugs, Notwendigkeit, das Fahrzeug von innen zu inspizieren, medizinische Hilfe zu erweisen usw.) Maßnahmen ergreifen, um techni-sche Hilfsmittel nachrichtendienstlicher Tätigkeit und andere operativ interessante Materialien, wenn diese gefunden werden können, an sich zu nehmen. Es wird wahr-scheinlich zweckmäßig sein, für diese Ar-beit schon vorher eine gewisse Anzahl von Mitarbeitern vorzubereiten, die dann an Ort und Stelle bestimmen könnten, ob das eine oder andere Gerät zu nachrichtendienstli-chen Zwecken gehört, und die in der Lage wären, die notwendigen Maßnahmen ope-

Das tödliche Ende einer Fahrt der franz. Militärverbindungsmission

Abb. K902: Sowjetische Akkreditierungskarte des tödlich verletzten Oberstabsfeldwebel Philippe Mariotti.

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rativ richtig durchzuführen.“1 Doch das MfS sieht keine Möglichkeit, in Halle-Lettin wie nach dem Lehrbuch zu verfahren und tele-foniert stattdessen weitere Unterstützung an die Unfallstelle herbei. Die alarmierte Militärabwehr der Gruppe der Sowjetischen Streitkäfte in Deutschland2 im benachbar-ten Dienstobjekt Halle-Heide informiert ihrerseits sofort die Kommandantur Halle. Der sowjetische Kommandant Oberstleut-nant Rodin trifft mit seinen Soldaten um 12:05 Uhr an der Nordstraße ein. Im all-gemeinen Durcheinander der beginnenden Unfallaufnahme schaffen es seine Männer, aus dem Fahrzeugwrack der Franzosen zwei Kartenabschnitte, einen Film, ein Dik-tiergerät und einen Kompass zu entwen-den. Auf dem Rücksitz des PKW finden sie mehrere aus den Filmpatronen herausge-rissene und nun unbrauchbare Filme. Trotz des Unfalls haben die Franzosen also noch ganz professionell belastende „Beweismit-tel“ vernichten können. Die sowjetischen Vertreter verzichten angesichts der Situ-ation auf eine Festnahme von Stabsfeld-webel Jean-Marie Blancheton, der eisern am Fahrzeug ausharrt, das Equipment be-wacht und keine Fragen beantwortet. An den Akkreditierungsunterlagen der Franzo-sen ist nichts auszusetzen. Unrechtmäßig – das stellen die sowjetischen Vertreter fest – ist allenfalls der Aufenthalt der Nr. 32 in einem ständigen MVM-Sperrgebiet. Aber Sperrgebietsverletzungen gehören zu den ungeschriebenen Gesetzen des auf Re-ziprozität beruhenden Geschäfts. Die sow-jetischen Militärverbindungsmissionen in der Bundesrepublik sind in ihrem Vorgehen auch nicht zimperlich und schlagen gele-gentlich ebenfalls kräftig über die Stränge. Erwischen lassen sollte man sich freilich nicht. Es gibt dann unterschiedlich lauten Protest, aber anschließend geht man hü-ben wie drüben wieder zur Tagesordnung über. In Halle-Lettin bleibt der Unfallort unverändert, um sich später nicht dem Vorwurf der Manipulationen auszuset-zen. Manipulationen finden dafür an den

1 BStU, MfS, HA VIII, Nr. 1525, S. 3 f.2 Die Spionageabwehr der GSSD unterstand dem KGB.

Protokollen statt. Telefonisch werden die Vorgesetzten der französischen Militär-verbindungsmission in Potsdam von dem „bedauerlichen Zwischenfall“ informiert und ebenfalls zur Unfallstelle gebeten. Der Unfallhergang wird wohldosiert unter deutscher Regie rekonstruiert. Die Sowje-tische Kommandantur, die HA VIII/5, die Abteilung VIII der Bezirksverwaltung Halle und die Unterabteilung der HA I/11. MSD stimmen ihre Maßnahmen untereinander ab. „Dementsprechend“, vermerkt das MfS intern, wird „... der Unfall durch die VUB3 Halle aufgenommen.“4 Die Rahmenhand-lung bleibt vorsorglich ausgeblendet. Schuld an dem Unfall, da sind sich alle so-fort einig, tragen nur die Franzosen. Wie aus dem Märchenbuch abgeschrieben fällt auch der offizielle Unfallbericht aus. Die Schlängelfahrt des französischen PKW wird zur Unfallursache erklärt. Dadurch sei der junge Lastwagenlenker der NVA angeblich in seinem Fahrverhalten so irritiert worden, dass er auf die Fahrbahnmitte auswich. Das MVM-Fahrzeug gerät daraufhin ins Schleudern und rast mit hoher Geschwin-digkeit ungebremst in die linke Vorderfront des LKW. Die fehlende Bremsspur des PKW wird als angeblicher Beweis herangezogen. Die Wucht des Aufpralls und der Schieb-druck des LKW-Anhängers heben den PKW von der Straße und stellen den LKW quer. Dem Fahrer des MVM-Fahrzeugs, Philippe Mariotti, wird aufgrund seines Manövers vor dem Zusammenprall auch noch das Fahren unter Alkoholeinfluss angedichtet. Das Resümee lautet: „Dieser Standpunkt wird von allen an der Untersuchung betei-ligten Organen getragen und von der GSSD als Grundlage der weiteren Verhandlungen vorgetragen.“5 Die nachträglichen internen Untersuchungen der HA IX/7 des MfS in Zusammenarbeit mit der Militärstaatsan-waltschaft der NVA kommen dagegen zu einem etwas differenzierteren Ergebnis des Unfallhergangs, vor allem auch zu dessen Vorgeschichte. „In Vorbereitung des bevor-

3 VUB – Verkehrsunfallbereitschaft der Volkspolizei4 BStU, MfS, HA VIII, Nr. 7123, S. 25 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 15310, S. 43

stehenden Manövers JUG 84 verbündeter Armeen der sozialistischen Staaten handelt seit dem 19. 3. 1984 die in Lettin statio-nierte 11. MSD. Zur offensiven Abwehr der in letzter Zeit verstärkt stattfindenden Aufklärungstätigkeit der Militärverbin-dungsmissionen USA, Frankreich wurde in operativer Zusammenarbeit der Abteilung VIII der BVfS Halle, der Hauptabteilung I/UA 11. MSD, der Kreisdienststelle Halle und im Zusammenwirken mit Kräften der 11. MSD ein Operationsplan für die Zeit vom 19. 3. – 23. 3. 1984 erarbeitet und durch den Stellvertreter Operativ der BVfS Halle bestätigt.“6 Dieser Stellvertreter Ope-rativ und damit verantwortlich für die Pla-nung ist der Oberst im MfS Wolff. Sein Plan sieht vor, Militärverbindungsmissio-nen, die das ständige Sperrgebiet verlet-zen, an der Aufklärung des NVA-Objekts in Lettin zu hindern, mit geeigneten politisch-operativen Maßnahmen offensiv zu stören oder zu blockieren.7 Konkret im Visier hat die MfS-Bezirksverwaltung Halle die Hee-resaufklärer der französischen Militärver-bindungsmission, die seit Anfang März 1984 den Turnus West befahren. Gerade die Heeresaufklärer gelten als besonders schwer zu fassen, da sie für ihre Beobach-tungen nicht wie die Luftwaffenaufklärer lange an einer bestimmten Stelle aushar-ren müssen, sondern sehr schnelle Stand-ortwechsel bevorzugen. Unter dem Aspekt einer komplexen Militärspionageabwehr soll die Bezirksverwaltung Halle des MfS Konzepte mit Modellcharakter für die ge-samte DDR entwickeln und steht diesbe-züglich unter dem Druck der Vorgaben aus Berlin.8 Das Problem des Operationsplans von Oberst Wolff besteht darin, in eine Richtung vorzupreschen die mit der Haupt-abteilung VIII gar nicht abgesprochen ist. Die Planungen der mit der MVM-Abwehr betrauten Diensteinheiten des MfS, HA VIII/5 und die Abteilungen VIII der Be-zirke, haben in den achtziger Jahren ein ehrgeiziges Ziel, nämlich die schrittweise

6 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 15310, S. 417 BStU, MfS HA VIII, Nr. 7123, S. 1 f.8 BStU, MfS, Sekr. Neiber Nr. 419, S. 12

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Kapitel 9 – Halle-Lettin

Qualifizierung ihrer Arbeit in Richtung einer sogenannten „Erwartungsbeobach-tung“. Doch diese Form der Observation birgt hohe Risiken und bedarf daher be-sonders qualifizierter Kräfte, wie das MfS selbst feststellt, da die Anwendung von Gewalt gegen Militärverbindungsmissio-nen mit ihrem quasi-diplomatischen Sta-tus grundsätzlich ausgeschlossen ist. Aus statistischen Daten, Erfahrungswerten und aktuellen MVM-Meldungen entsprechend der Meldeordnung sollen in den Operativen Leitzentren der Abteilungen VIII des MfS Informationen gebündelt werden, um dar-aus im Voraus mögliche Handlungsräume und Schwerpunktobjekte der alliierten Mi-litärverbindungsmissionen zu erkennen. Mit sorgfältiger Vorbereitung sollen geziel-te Operationen gegen einzelne Besatzun-gen folgen. Angesichts der Realitäten im alltäglichen Umgang mit den alliierten Missionen klingt das aber eher nach Zu-kunftsmusik. Die vorbereitete Blockade in Halle-Lettin ist ein Beispiel für eine Erwar-tungsbeobachtung, die dann letztlich auf brutale Art und Weise aus dem Ruder läuft. Die Planspiele des Oberst Gerhardt Wolff bilden den Handlungsrahmen, der später kaltschnäuzig von Befehlsempfängern aus-gefüllt wird. Sein „Operationsplan zur Durchführung eines operativen Einsatzes am Objekt der 11. MSD der NVA (Lettin) zur

offensiven Abwehr der feindlichen Tätig-keit der westlichen MVM in operativer Zu-sammenarbeit der Abteilung VIII, der HA I, UA 11. MSD, der Kreisdienststelle Halle und in operativem Zusammenwirken mit Ein-satzkräften der 11. MSD in der Zeit vom 19. 03. 1984 bis 23. 03. 1984“9 wird schließ-lich 19 Personen mit neun Fahrzeugen bin-den. Sie halten sich in diesem Zeitraum ununterbrochen für einen Einsatz gegen die Militärverbindungsmission bereit. Drei-einhalb Tage wartet die komplette Gruppe, bestehend aus Mitarbeitern des MfS und der NVA, vergeblich auf ein MVM-Fahr-zeug. Alles bleibt zunächst ruhig, bis am 22. März 1984 das Drama dann schließlich doch noch seinen Lauf nimmt. Das Fahr-zeug der französischen Militärverbin-dungsmission mit der Nr. 32 verlässt um 7:55 Uhr das Objekt in Potsdam und steu-ert über die Autobahn aus dem Bezirk Potsdam kommend die Region um Halle an. Nach dem Operationsplan beziehen da-raufhin die Einsatzkräfte der drei Blocka-de-LKW „Juwel 851, 852, 853“ und die Beobachter „Wolke 656, 657, 660“ des MfS ihre vorbereiteten Positionen. Egal, ob aus Richtung Kröllwitz, Dölau oder Lettin kom-mend, die MVM sitzt in der Falle, sollte sie sich dem Objekt der 11. MSD tatsächlich

9 BStU. MfS, HA VIII, Nr. 7123, S. 1

von einer der drei Seiten nähern. Um 10:45 Uhr wird die Nr. 32 in Halle auf der Seebe-ner Straße aus Richtung Halle-Trotha kom-mend gesichtet und die Anfahrt auf Lettin angekündigt. Geradewegs ahnungslos auf die Falle zustrebend. Dass an der Dölauer Straße weit außerhalb wartende Beobach-tungsfahrzeug „Wolke 656“ müsste die Franzosen jetzt längst sehen. Aber das Fahrzeug kommt nicht. Um 10:57 Uhr läuft dann plötzlich nichts mehr nach Plan. Wie aus dem Nichts taucht das französische MVM-Fahrzeug 400 m vor dem Objekt der NVA auf der Nordstraße auf. Die Franzosen haben einen Feldweg benutzt und sich da-mit ungewollt an den „Wolken“ vorbeige-mogelt. Sie passieren nun aus Richtung Lettin kommend in sehr langsamer Fahrt die Haupteinfahrt der NVA-Kaserne und gewinnen einen kurzen Einblick. Ein Wach-posten der NVA entdeckt und meldet das Fahrzeug schließlich. Daraufhin schnappt die Falle zu. Der LKW „Juwel 852“ blockiert hinter dem Missionsfahrzeug die Nordstra-ße. Als Mariotti im Rückspiegel die gefähr-liche Situation erkennt, beschleunigt er, um nach vorn zu entkommen. In diesem Moment biegt „Juwel 853“ aus dem Brand-bergweg auf die Nordstraße und fährt der Nr. 32 entgegen. Am Steuer des Ural-LKW mit Anhänger sitzt ein junger Wehrpflich-tiger der NVA, auf dem Beifahrersitz gibt

Abb. K903: Die frühere Unfallstelle in Halle-Lettin im Jahr 2007.

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Störmaßnahmen ist der Vorrang vor Blockierungen einzuräumenGeneralmajor Albert Schubert

der hauptamtliche Inoffizielle Mitarbeiter des MfS Peter Beyer alias „Paul Schmidt“ die Befehle. Als Mariotti den LKW vor sich auftauchen sieht, geht er zur Schlängel-fahrt über und gibt noch mehr Gas, der LKW-Fahrer zieht immer weiter auf die linke Spur, um das Fahrzeug der Militärverbindungsmission zu einem Stopp zu zwingen. Bei dem Versuch, mit hoher Geschwindigkeit durch die ver-bleibende Lücke vor dem Lastzug hindurch-zufahren, kracht Mariottis Mercedes nahe-zu frontal im linken Bereich der Stoßstange unter den LKW. Erst jetzt vollzieht der LKW-Fahrer eine Vollbremsung. Der Hän-ger verschiebt den Ural quer über die Stra-ße. Die MVM Nr. 32 wird durch die Wucht des Aufpralls nach rechts von der Straße geschleudert. Diese Darstellung entspricht dem tatsächlichen Unfallverlauf.10 Der Fahrer des LKW hat durch das Einlenken in den Gegenverkehr erst die gefährliche Si-tuation heraufbeschworen, die zu dem Un-fall führen konnte. Daraus lässt sich wohl kaum die Schlussfolgerung ziehen, dass die gesamte Schuld für den Unfall letztlich in der Fahrweise Mariottis begründet liegt. Als um 18:33 Uhr weitere Mitglieder der französischen Militärverbindungsmission in Lettin eintreffen, um ihren Toten, die Verletzten und den Schrott abzuholen, stellen sie den sowjetischen Vertretern vor Ort keine Fragen zum Unfallhergang und erheben auch keine Forderungen. Sie si-chern selbst die Spuren am Unfallort. Stabsfeldwebel Blancheton übergibt die gerettete Tourausrüstung. Das französische Oberkommando richtet später einen ener-gischen Protest an die sowjetische Adresse in Wünsdorf. Von dort wird höflich kondo-liert, in der Sache aber auf die tatsächliche Sperrgebietsverletzung und die vom MfS frisierte Darstellung des Unfallhergangs verwiesen. Ein großes Presse-Echo findet der Vorfall nicht. Die französische Seite ist nicht daran interessiert, den Fall öffentlich

10 BStU, MfS, ZAIG, Nr. 15310, S. 41 f.

oder politisch zu instrumentalisieren. Die beteiligten Mitarbeiter des MfS und der NVA bekommen für die „erfolgreiche Blo-ckade“ Geldprämien zuerkannt. Nur hinter

den Kulissen wird eifrig zurückgeru-dert. Die DDR fürch-tet in der Sache um die ansonsten guten

diplomatischen Beziehungen zu Frankreich. Der Mielke-Stellvertreter und Vorgesetzte der Linie VIII, Generalleutnant Gerhard Neiber, ruft seine Untergebenen der Ein-satzrichtung MVM zur Ordnung. Nach ei-ner peniblen Auswertung unter der Regie von Generalmajor Albert Schubert wird kleinlaut nach oben gemeldet „grundsätz-lich derartige operative Maßnahmen quali-fiziert vorzubereiten und nur dort durchzu-führen, wo Auswirkungen, wie sie am 22. 03. 1984 auftraten, weitgehendst ausge-schlossen werden können.“11 Auf die Not-wendigkeit klarer Orientierungen auch für die Linie I wird eindeutig verwiesen, um zu gewährleisten „daß durch die eingeleiteten operativen Sicherungsmaßnahmen gegen Angehörige der MVM an Objekten und Ein-richtungen der NVA nicht solche Auswir-kungen wie beim genannten Vorkommnis

11 11 BStU, MfS, Sekr. Neiber Nr. 419, S. 10

eintreten, da sich daraus ernsthafte Prob-leme für die Tätigkeit der sowjetischen MVM in der BRD sowie [für] die politische Lage und Beziehungen der UdSSR und der DDR zu den USA, Großbritannien und Frankreich belastende Momente ergeben können.“12 Störmaßnahmen ist der Vorrang einzuräumen. Blockaden sollen nur bei vertretbarem Risiko und unter Ausschluss von Personen- und materiellen Schäden an geeigneten Objekten, die einer häufigen provozierenden militärischen Aufklärung durch die MVM unterliegen, organisiert werden. Im Rahmen einer komplexen MVM-Abwehrarbeit im MfS konnte die Er-wartungsbeobachtung der ihr zugedachten Rolle nie gerecht werden, denn die Missio-nen verstanden es durchaus trickreich, sich ihren Verfolgern zu entziehen oder gar nicht erst in deren Fallen zu tappen. Das MfS schaute in der Regel den Militärver-bindungsmissionen hinterher und nicht voraus. Oder um eine Metapher aus der Märchenwelt der Gebrüder Grimm zu be-mühen: Die Hasen fuhren Lada und die Igel Mercedes. Philippe Mariotti und seiner Nr. 32 hat das trotzdem nichts genützt.

12 12 BStU, MfS, Sekr. Neiber Nr. 419, S. 10 f.

Abb. K903: Von den Franzosen an der Unfallstelle aufgestelltes Kreuz, welches vom MfS sofort wieder entfernt wurde.

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Pushing his LuckA Mission with Lethal Consequences

Abb. K1001: Objekt der Begierde westlicher Geheimdienste: Fotos und technische Details des modernen sowjetischen Kampfpanzers T-64 A.Mit hohem persönlichem Risiko konnte Major Nicholson von der USMLM die gewünschten Informationen 1983 im Rahmen einer Sonderoperation beschaffen.

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Kapitel 10 – TechentinKapitel 10 – Techentin

Konzentrierungsräume entlang der Elbe9 ansteuern, von der USMLM als „Northern Elbe crossing sites“10 bezeichnet, auf denen sowjetische Einheiten gerade ihre Übun-gen beendet haben. Major Nicholson soll dort gründlich den zurückgelassenen Müll durchsuchen und dafür die gesamte zur Verfügung stehende Zeit verwenden. Rou-tinefahrten umfassen bei der USMLM im Schnitt 36 Stunden. Die gestellte Aufgabe ist jedoch unerwartet schneller erledigt als der RECON Brief11 ursprünglich dafür vor-sieht. Statt eines gesamten Tages entfal-len nur etwa zwei bis drei Stunden auf das Stöbern im Müll. Nicholson entscheidet sich in den Mittagsstunden des 24. März 1985 deshalb noch für eine Kontrollfahrt entlang eines anderen Ziels: Ludwigslust 475.12

Die Fortsetzung der Fahrt nach Lud-wigslust geschah, wie man heute weiß, mit einer Vorgeschichte und war keinesfalls Nicholsons einsame Entscheidung. Jedoch konnte die-se kurzfristige Abweichung von der ursprünglichen Planung durch Dritte so nicht vorhergesehen werden. Die-ser scheinbar nebensächliche Aspekt schließt die Möglichkeit einer vorbe-reiteten Falle aus. Major Nicholson und Ssgt. Schatz wurden im Verlauf dieses Tages weder von Kräften des KGB, der GSSD oder des MfS ver-folgt, noch ihr Eintreffen an einer bestimmten Stelle erwartet. Es lag auch keine Information des Ope-rativen Leitzentrums (OLZ) an die MfS-Kreisdienststellen vor, dass sich in ihrer Region gemäß der Meldeord-nung ein MVM-Fahrzeug aufhielt oder eine Anfahrt erwartet wird. Der spätere Revisionsbericht13 der

9 Die Übersetzstellen an Havel und Elbe im Raum Havelberg-Klietz wurden durch das MfS als Beobachtungsschwer-punkte der westlichen MVM im Bezirk Magdeburg eingestuft. BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 290

10 Beispielsweise zwischen Sandau und Wittenberge. Ausführ-licher aufgeschlüsselt (ÜST Elbe/Havel Rühstädt/Quitzöbel) auch in der Analyse zum Stand der Durchsetzung der 1. DB zur DA 2/77 der KD Perleberg aus dem Jahr 1989. BStU, MfS, BV Schwerin, KD Perleberg Nr. 10400, S. 32 ff.

11 Ein „reconnaissance briefing“ ging grundsätzlich jeder Fahrt der USMLM in die DDR voraus. Dort wurden unter Einbeziehung von Informationen aus früheren Touren die zu erfüllenden Aufgaben definiert, das Vorgehen geplant sowie etwaige Routen und Besonderheiten besprochen.

12 Stacy: The Nicholson Incident, S. 7 ff. Codierte Bezeichnung der Missionen für das Trainingsgelände des 221. selbststän-digen Panzerregiments der GSSD in Techentin.

13 BStU, MfS, HA VIII (AKG) Nr. 1651, S. 257 ff.

Hauptabteilung VIII/Auswertungs-und Kontrollgruppe geriet hinsicht-lich der territorialen „Wirksamkeit der politisch-operativen Abwehrar-beit gegen die Angehörigen der drei westlichen MVM“ ohnehin zu einer schallenden Ohrfeige für die Abtei-lung VIII der BV Schwerin. Unge-nügende Anleitung, unqualifiziertes Personal und mangelnde Zusammen-arbeit auf Seiten des MfS bereiteten den alliierten Militärverbindungs-missionen im Bezirk Schwerin leich-tes Spiel. Die MVM-Abwehrarbeit14 lag dort fast völlig brach.

Nicholson gibt Schatz Weisung, an diesem Sonntag im März 1985 von der Elbe weiter in Richtung Norden der DDR zu fahren. Die „Aufklärungsbesatzung“ der USMLM Nr. 23 wird um 13.32 Uhr in Havelberg, Bezirk Magdeburg, gesehen und als Standort dem MfS gemeldet. Das Fahrzeug bewegt sich zu diesem Zeitpunkt der Meldung aber be-reits weiter in Fahrtrichtung Glöwen, Be-zirk Schwerin.15 Es bleibt die einzige und auch letzte offizielle Sichtung der Nr. 23 an diesem Tag.

Doch welche Gründe bewogen Major Nicholson dazu, nach der vorzeitig erfüllten Aufgabe entlang der Elbe noch das Übungsgelände in Techen-tin anzusteuern anstatt nach Pots-dam zurückzukehren?16

In den Monaten vor der Fahrt erreichen die USMLM über verschiedene Geheim-dienstkanäle immer wieder unbestätigte Gerüchte, wonach es in der Region um Ludwigslust einen neuen Panzertyp geben soll. Als Heeresaufklärer gilt Major Nichol-sons besondere Aufmerksamkeit diesem modernsten Kampfgerät der Sowjetar-mee. Seit 1983 ersetzen in ausgewählten vorderen Linieneinheiten17 der GSSD T-80

14 zumindest zwischen 1983 und 198515 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 1916 Da alle Touren einer Planung unterlagen, wozu auch der

Zeitpunkt der Rückkehr zählte, schied diese Option aus. Es wurden dann andere Ziele in der DDR angefahren. Die Missionen schöpften die Fahrzeiten in der DDR entlang militärisch wichtiger Gebiete und Fernverkehrsstraßen nach Möglichkeit voll aus, da so auch die Wahrscheinlichkeit von Zufallstreffen stieg.

17 Im Jahr 1984 unter anderem das 23. PzRgt./9 PzDiv., Feldpostnummer 58639.

D as Operative Leitzentrum der Haupt-abteilung VIII registriert die Ausfahrt des Fahrzeugs Nr. 23 der USMLM

mit der Besatzung Nicholson1/Schatz2 am Sonntag, 24. März 19853 um 10.11 Uhr4. Der Volkspolizei-Sicherungsposten grüßt noch freundlich, dann entfernt sich der dunkelgrüne Mercedes-Benz Geländewa-gen5 vom Grundstück in Neu Fahrland ohne „operative Beobachtung“6, wie das MfS feststellt, denn die knappen Observations-kapazitäten sind an diesem Wochenende bereits anderweitig gebunden. So können Nicholson und Schatz ihre Tour ohne die lästigen „Narks“7 beginnen.

Zwei Tage zuvor, am 22. März 1985, hatte Nicholson die geplante Fahrt-route ausführlich mit Major Thomas G. Wyckoff und Major Robert W. Wise besprochen. Gefährliche Akti-onen, wie das vorsätzliche Verletzen von Sperrgebieten oder ein gezieltes Eindringen in Objekte der GSSD zur geheimen Informationsbeschaffung waren für diese Tour nicht vorgese-hen.8 Alles schien auf reine Routine hinauszulaufen. Das Ziel der Fahrt ist zunächst auch nicht der spätere „Tatort“ Ludwigslust-Techentin.

Nicholson lässt Schatz die ausgedehn-ten Manövergelände, Übersetzstellen und

1 BStU, MfS, F 16 Personenkartei Nicholson, Artur (Arthur) Vorderseite; BStU, MfS, HA VIII/5 USA-MVM-KK Nicholson, Arthur Vorder- und Rückseite; BStU, MfS, HA II AKG-VSH-KK Nicholson Jr., Arthur D. Vorder- und Rückseite; BStU, MfS, HV A, MD 6; SIRA-TDB 21 Reg.-Nr. XV/1566/68 im SiVo „Nordpol“ unter der Kennung HV A/IX/C/3/830 vom 17.3.1981

2 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 263 Tatsächlicher Ausgangspunkt der Unglückstour ist die

West-Berliner Dependance der USMLM in Dahlem am Föhrenweg 19-21. Dort ist das Team Nicholson/Schatz um 9 Uhr gestartet. Die Fahrt führt sie zunächst nach Potsdam, um dort Proviant und Ausrüstung zu laden. Major Nichol-son hat im Potsdam House noch eine längere Diskussion mit dem Chef der Mission, Colonel Roland Lajoie, der an diesem Tag staff duty officer ist. Der Inhalt des Gesprächs ist unbekannt. Die Abfahrt verzögert sich. Kurz nach 10 Uhr verlässt das Fahrzeug Nr. 23 dann das Potsdam House. Stacy, William E.: The Nicholson Incident. A case study of US-Soviet Negotiations. Heidelberg 1988, S. 6

4 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 195 Bei diesem Mercedes-Benz G 280 handelt es sich um einen

Zweitürer.6 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 27 Ironische Bezeichnung der westlichen MVMs für die Verfol-

ger vom Staatssicherheitsdienst der DDR8 Solche gefährlichen Operationen der USMLM wurden in

Ausnahmefällen unter strenger Geheimhaltung und sorgfäl-tiger Abwägung der Chancen und Risiken durchgeführt. Sie bedurften der Genehmigung durch den Chef der Mission.

Die Akte Arthur D. Nicholson Jr.

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Abb. K1002: Portraitfoto der US-Army von Major Arthur D. Nicholson Jr. (ca. 1984)

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Kapitel 10 – TechentinKapitel 10 – Techentin

Kampfpanzer die völlig veralteten T-62. Gleichzeitig erneuern weitere sowjetische Panzereinheiten ihren Bestand von T-64 A auf T-64 B.18

Die Missionen fanden bei ihren ko-ordinierten Aufklärungsfahrten her-aus, dass sich diese Modernisierung entlang einer Nord-Süd-Aufspaltung vollzog. Die Armeen im Süden (1. Garde Panzerarmee und 8. Garde Armee) rüsteten langsam mit dem T-80 nach, während die Armeen im Norden (2. Garde Panzerarmee, 3. Stoßarmee, 20. Garde Armee) – auch nicht gerade im Eiltempo – den T-64 B bekamen. In den südlichen Armeen ersetzte der T-80 den T-62 vollstän-dig. In den Regimentern der nördli-chen Armeen führten dagegen, zu-mindest rein technisch gesehen, der T-64 A und T-64 B über längere Zeit noch eine „friedliche Koexistenz“. Obwohl die Missionen diesen Trend

18 Im Jahr 1984 unter anderem die 35. MSD, Feldpostnummer 34167.

mit T-80 im Süden und T-64 B im Norden schnell realisierten, konnten sie nicht prognostizieren, ob es auch dabei bleibt. T-64 B und T-80 ähnel-ten sich zwar in vielen Dingen. Unter anderem in der äußeren Form und den Waffenleitsystemen. Doch der T-80 war dank seines Gasturbinen-antriebs eindeutig der schnellere und damit kampfstärkere Panzer. Nicht nur unter logistischen Gesichtspunk-ten wäre eine Vereinheitlichung der Panzertechnik in der schlagkräf-tigsten sowjetischen Armeegruppe sinnvoll gewesen, orakelten westliche Geheimdienste und Militärstrategen, und die Aufrüstung des Nordens mit T-80 könnte demnach nur eine Frage der Zeit sein. Doch weil diese Stra-tegen mit ihren Gedankenspielen oft weit ab von den Realitäten saßen, mussten die westlichen Militärver-bindungsmissionen in der DDR diese Informationsdefizite gewissermaßen aus erster Hand ausgleichen. Die USLMLM war keine Einrichtung des Politikbetriebs und verfolgte auch

keine eigene Agenda. Sie war eine militärische Einheit. Bei nüchterner Betrachtung glich ihre Arbeit vor Ort dem Zusammentragen eines Puzzle-Spiels, von dem noch niemand wuss-te wie es zusammengesetzt genau aussehen würde, aber aus dessen Teilen sich neue Ansätze für die Auf-klärungstätigkeit ableiteten ließen, die dann wiederum das Puzzle weiter ergänzten. Oft genug jagten die Mis-sionen aufgrund äußerst vager Ver-mutungen auch der einen und ande-ren Schimäre nach. Keine Schimäre blieb die erste Sichtung eines Panzers vom Typ T-80 im Februar 1983 bei Halle/Saale. Die westlichen Mili-tärverbindungsmissionen verstärk-ten daraufhin in den Folgemonaten entlang von Bahnlinien, Umschlag-bahnhöfen, Stationierungsorten und Truppenübungsplätzen ihre Beob-achtungsaktivitäten. Sie wollten den neuen Panzer fotografieren. Für handfeste Informationen waren die Missionen gelegentlich auch be-reit, etwas mehr zu riskieren. Sonder-

Abb. K1003: Hauptquartier des amerikanischen Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency in der Nähe von Washington, District of Columbia (DC), Bolling Air Force Base. Die DIA kooperierte eng mit der amerikanischen Militärverbindungsmission.

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operationen19 sollten dem Blick auf die Sprünge helfen. An den T-80 war unter Abwägung aller Risiken jedoch kein Herankommen. Aussichtslos. Zu gefährlich. Der US-Militärge-heimdienst DIA20, einer der heimli-chen „Flüsterer“ hinter der USMLM, meldete bezüglich der Panzer immer wieder dringenden Informationsbe-darf21 an. Daraufhin plante und be-schloss der Chef der amerikanischen Militärverbindungsmission eine hoch riskante Aktion, allerdings ohne zu-vor weitere US-Stellen, auch nicht die DIA, davon zu unterrichten. Ein Team der USMLM sollte die Panzer-typen T-64 A und T-64 B von innen und außen fotografieren. Ausgewählt wurden risikofreudige, motivierte und hoch professionell agierende Mitglie-der der USMLM: Major Clyde Evans, Major Arthur D. Nicholson, Ssgt. Michael D. Poindexter und Sgt. Steve Eairheart. Nach extrem sorgfältiger Planung und ausgiebigem Training drangen im Herbst 1983 Major Evans und Major Nicholson in der Nähe von Ludwigslust auf ein Gelände der GSSD vor, öffneten mit ihrem mitge-brachten Nachschlüssel einen abge-stellten T-64 A und fotografierten das Panzerinnere. Die Aktion gelang und wurde deshalb in der Nacht des Jah-reswechsels 1983/198422, diesmal an einem anderen Standort der GSSD im Norden der DDR, wiederholt. Wäh-rend die Sowjetarmee feucht-fröhlich Silvester23 feierte und erwartungsge-mäß die Wache teilweise vernach-lässigte, entstanden detaillierte Fo-toaufnahmen von der Bewaffnung, Panzerung und den Spezialgeräten im Inneren24 eines T-64 B. Die Eindring-linge wurden von der Sowjetarmee nicht einmal bemerkt. So schnell wie sie gekommen waren, verschwanden sie auch wieder. So konnten die Fah-rer der beiden Touren, Feldwebel Po-indexter und Eairheart, ihre Offiziere mit einer gewissen Erleichterung je-

19 Mit unterschiedlich hohem Risiko von allen drei westlichen Militärverbindungsmissionen realisiert.

20 Als Dienst zuständig für Military Intelligence.21 Requirements Lists22 USMLM unit history 1984, S. 4 ff.23 Die „Silvestertour“ wurde vom MfS zumindest unter der

internen Reg.-Nr. 271/83 am 30. Dezember 1983 durch die HA VIII/5 erfasst. Die Unterlagen zu diesem Vorgang konn-ten in der BStU bislang nicht aufgefunden werden. BStU, MfS, HA VIII/5 USA-MVM-KK Nicholson, Arthur, Rückseite

24 beispielsweise vom Laser-Zielgerät

weils unbeschadet wieder nach Pots-dam zurückbringen. Die Ausbeute des riskanten Abenteuers war in Fach-kreisen eine Sensation. Vor allem die DIA profitierte davon. Vermutungen von Militärexperten, dass der T-64 B mit einer Vorrichtung zum Abschuss kleiner Raketen ausgestattet ist, be-stätigten sich durch die Fotos. Durch die Auswerter des „Sanddune“-Pro-gramms25 konnten die erlangten tech-nischen Informationen später weiter verdichtet werden. Diese Informa-tionen flossen über die US-Geheim-dienste unter anderem der US-Rüs-tungsindustrie zu. Ohne die „Tatorte“ und Details der beiden Operationen zu benennen, war im Jahresbericht der USMLM 198426 eine Innenaufnahme des Panzers vom Typ T-64 B abgebil-det. Ebenfalls schmückten den Jah-resbericht zwei Fotos der Auszeich-nungszeremonie vom 24. Februar 1984 mit den Beteiligten der Aktion. Der Oberkommandierende des US-Army Europakommandos, General Glenn K. Otis, würdigte die Leistun-gen der Majore Evans und Nicholson mit der Defense Meritorious Service Medal und die der Tour-Fahrer Po-indexter und Eairheart mit der Joint Service Commendation Medal. Zwischen den beiden Sonderaktio-nen der USMLM 1983/1984 und den Abläufen der Tour mehr als ein Jahr später bestand kein direkter Zusam-menhang.

Nicholson lässt die Region Ludwigslust durch seinen Fahrer ansteuern, da es so im RECON Brief an zweiter Stelle vermerkt ist. Nicholson kennt die Region27 gut, weil die Objekte dort routinemäßig durch die westlichen Militärverbindungsmissionen angefahren werden, er kennt sie aber auch nicht besser als die verschiedenen Objekte entlang der Elbe, die er und Schatz soeben gerade aufgeklärt haben.

25 Tarnname für ein Spezialprogramm der USMLM in Koope-ration mit weiteren US-Nachrichtendiensten (DIA, CIA), welches sich der Sammlung und Auswertung von erbeute-ten Originaldokumenten und Geräten aus dem Bereich der GSSD und NVA widmete.

26 Der Jahresbericht für das abgelaufene Jahr wurde immer erst zum Beginn des Folgejahres veröffentlicht, also für 1984 Anfang 1985.

27 Etwaige bessere geographische Kenntnisse der Region um Ludwigslust sind keine plausible Erklärung für Nicholsons Entschluss zur Weiterfahrt dorthin.

Eine „anziehende Wirkung“ des Schießplatzes Techentin auf die Tour zu unterstellen bliebe reine Speku-lation unter der Annahme, dass Ni-cholson dort an den Coup mit dem T-64 A vom Herbst 1983 anknüp-fen wollte. Die Objekte waren nicht identisch. Seine größten Erfolge fan-den nicht auf dem Schießplatz in Te-chentin statt und zumindest teilweise auch nicht im Ludwigsluster Raum. Möglicherweise suchte Nicholson den Ort in der Hoffung auf, dort dem ge-rüchteweise gemeldeten neuen Panzer auf die Spur zu kommen. Möglicher-weise galt seine Suche Hinweisen, die auf eine Einführung des T-80 in den Regimentern des Nordens hin-deuteten, was eine militärisch sehr hochwertige Information gewesen wäre. Als gesichert kann aber heute angenommen werden, dass Nicholson in der Panzerhalle auf dem Schieß-platzgelände bei Techentin zu diesem Zeitpunkt keinen T-80 finden konn-te, da das zugehörige Panzerregiment der GSSD diesen Typ ebenso wenig besaß wie die gesamte 2. Garde Pan-zerarmee.

Die wahrscheinlichste Erklärung für die Anwesenheit der USMLM Nr. 23 in Techen-tin in den Folgestunden ist die Nachkont-rolle des Geländes, auf dem die GSSD tags zuvor noch geübt hat – was ebenfalls kein unbedeutendes Detail ist.

Mit Major Robert W. Wise hatte Ssgt. Jessie G. Schatz das Gelände bereits Tage zuvor, am 18. März 1985, im Rahmen einer anderen Tour aufge-sucht und rasch wieder verlassen, da zwei sowjetische Soldaten aufge-taucht waren. In der Vorbesprechung zu Nicholsons Tour hatten sich beide Offiziere, Wise und Nicholson, dazu am 22. März 1985 ausgetauscht. Die Tour brachte sogar noch ein aus grö-ßerer Entfernung gefertigtes Foto von der Panzerhalle mit. Darauf war ein Panzer vor einer Halle mit halb ge-öffneten Toren abgebildet, in dessen Nähe sich Soldaten aufhielten.28 Mit großer Wahrscheinlichkeit stand das Gelände zuvor unter Beobachtung

28 Stacy, William E.: The Nicholson Incident. A case study of US-Soviet Negotiations. Heidelberg 1988, S. 8

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Kapitel 10 – TechentinKapitel 10 – Techentin

der Tour von Major Wise, da es im Zusammenhang mit Übungshand-lungen von sowjetischer Seite zum „zeitweiligen Sperrgebiet“ erklärt worden war. Diese zeitweilige Sper-rung endete für die ausländischen Militärverbindungsmissionen am 24. März 198529 und damit vor Ni-cholsons Ankunft in Techentin. Der RECON Brief sah für die Weiterfahrt der Tour von Major Nicholson nach Ludwigslust 475 folgende Optionen vor: Überwachung der Aktivitäten in der Region, Identifizierung mili-tärischer Fahrzeuge und Registrie-rung von Kennnummern bzw. Kfz-Kennzeichen. Zusätzlich galt für alle Übungsgelände auch das Fotogra-fieren neuer Trainingstafeln oder je nach Situation und Möglichkeit die Ermittlung von Fahrgestellnummern unbewacht abgestellter Fahrzeuge so-wie die Erhebung technischer Daten und Details unbewacht abgestellter Militärtechnik hohen Interesses.30

Die Annäherung von Nicholson und Schatz an Ludwigslust 475 geschieht über die Fernverkehrsstraße 5.31 Bis zu diesem Punkt herrscht noch Übereinstimmung in der Darstellung der Abläufe. Ab dann klaffen die Auffassungen allerdings weit ausein-ander. Nach amerikanischer Version stellen Nicholson und Schatz Verschmutzungen auf der Fahrbahn durch Panzerbewegun-gen fest. Sie folgen diesen Spuren, die den Weg auf das Übungsgelände weisen. Der Mercedes Geländewagen Nr. 23 biegt gegen 15.20 Uhr32 von der F 5 aus Rich-tung Grabow kommend auf Waldwege ab und tastet sich vorsichtig von südöstlicher Seite an den Schießplatz des Panzerobjekts der GSSD heran. Diese „subcaliber range“ erstreckt sich gegenüber des 221. selbst-ständigen Panzerregiments33 Techentin mit seinen Schießbahnen auf rund 1,5 km Länge. Das erheblich größere Trainingsge-

29 Aufhebung des zeitweiligen Sperrgebiets wahrscheinlich um 00.00 Uhr in der Nacht vom 23. zum 24. März 1985

30 Stacy, William E.: The Nicholson Incident. A case study of US-Soviet Negotiations. Heidelberg 1988, S. 6

31 Die Fernverkehrsstraße 5 lag südlich der Fernverkehrsstraße 191 nicht in einem ständigen MVM-Sperrgebiet. Bei der Anfahrt verletzte Nr. 23 kein MVM-Sperrgebiet.

32 Nach KGB-Informationen trifft das Fahrzeug erst später, zwischen 15.40 Uhr bis 15.45 Uhr, auf dem Schießplatz in Techentin ein. BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 8 und 39

33 Feldpostnummer 93273

lände ist von allen Seiten offen zugänglich, allerdings mit militärischen Sperrschildern „Halt – Es wird geschossen“ gekennzeich-net und wird durch einen beweglichen Posten gesichert. Diese Sperrschilder sind für die westlichen MVM rechtlich nicht bindend. Der Truppenübungsplatz ist auch in den Karten der GSSD, die extra für die alliierten Militärverbindungsmissionen herausgegeben werden, nicht als perma-nentes Sperrgebiet ausgewiesen. An der Waldkante angelangt, die zugleich die na-türliche Begrenzung des Schießplatzes34 bildet, stoppt der Wagen. Offensichtlich ist Schatz zu weit nach Südosten abgekom-men. Er wendet daher, fährt einen Teil des Weges zurück in nördlicher Richtung und zweigt dann auf einem anderen Weg wie-der scharf nach Westen ab. Nicholson und Schatz erreichen die Waldkante erneut, diesmal in Höhe der Panzerhalle. Beide bemerken nicht, dass sie soeben einen nur wenige Meter entfernt stehen-den sowjetischen Wachposten passiert haben. Der Posten an der Waldkante ver-hält sich völlig ruhig. Er beobachtet das amerikanische Fahrzeug zunächst und greift nicht ein. Nr. 23 fährt langsam an der Panzerhalle mit den sechs verschlos-senen Garagen entlang. Nicholson und Schatz passieren dabei auch einen offenen Postenstand mit Telefon direkt neben der Halle. Den sowjetischen Posten können sie nicht sehen, er befindet sich jetzt in ih-rem Rücken. Nicholsons sucht mit seinem Fernglas das Übungsgelände ab. Sonntags-ruhe. Schatz dreht eine Schleife um das Gebäude und bleibt dort stehen. Nichts bewegt sich. Auch nicht auf der Rückseite der Halle. Daraufhin entscheidet sich Ni-cholson zum Verlassen des Fahrzeugs. Er steckt eine kleine Nikon-Kompaktkamera ein und geht hinter die Halle. Schatz öff-net das Schiebedach und beobachtet auf dem Sitz stehend die Umgebung. Major Nicholson fotografiert die Trainingsta-feln hinter der Halle und kehrt dann zum

34 Übungsplatz und Schießstand gehörten zusammen. Als „Ludwigslust Training Area 475“ bezeichneten die Amerika-ner den Schießstand und das gesamte ihn fast umschließende Übungsgelände.

Fahrzeug zurück. Schatz und Nicholson fahren anschließend wieder vor die Halle. Mit einem Fernglas beobachten sie weiter gründlich die Umgebung und inspizieren auch die Fenster in der Gebäudemitte. Dort will Schatz etwas Verdächtiges entdeckt haben. Es ist aber nur eine Uniformbluse, die harmlos im Fensterrahmen baumelt. Schatz wird auf Nicholsons Anweisung hin das Fahrzeug so abstellen, dass der Major erneut aussteigen kann. Schatz soll die vi-suelle Absicherung übernehmen, damit Ni-cholson die Halle untersuchen kann. Major Nicholson verlässt mit dem Fotoapparat das Fahrzeug. Gerade als Schatz die Türen verriegelt und seine Beobachterposition aus dem Schiebedach heraus eingenom-

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Schatz zeigt daher mit dem Finger auf das Rote Kreuz und dann in Richtung Nichol-son. Aber der nervöse Rjabtsew gestikuliert wild und weist zurück auf das Fahrzeug, in das Schatz wieder einsteigen soll. Mit der Situation völlig überfordert hält er ihm auch noch drohend seine Waffe an den Kopf. Aus Angst, ebenfalls erschossen zu werden, folgt Schatz daher der Anweisung und setzt sich zurück in das Fahrzeug. Er steht unter Schock. Im Rückspiegel des Mercedes kann Schatz Nicholson zwar se-hen, aber in diesem Moment nicht erken-nen wo und wie schwer ihn die Kugel von Rjabtsew tatsächlich verletzt hat, denn der Major ist kopfüber gestürzt, liegt auf dem Bauch, einen Arm nach vorn gestreckt, das Gesicht halb im Sand verborgen. Der Posten bewegt sich rückwärts gehend auf das Telefon an der Querseite der Halle zu und ruft von dort Unterstützung herbei. Schatz kann mehrfach das Wort „Missi-ja“ – Militärmission – verstehen. Nach wenigen Minuten treffen drei weitere Soldaten ein, die das Fahrzeug umstellen. Geistesgegenwärtig verbirgt Schatz das Tour-Equipment unter einer Decke. Danach schaltet er den Kassettenrekorder ein und spricht die Chronologie der Ereignisse auf Band. „15.45 Uhr, Major Nicholson nieder-geschossen.“ Ein sowjetischer Wachoffizier trifft mit weiterer personeller Verstärkung um 16.05 Uhr an der Halle ein. Niemand kümmert sich um den am Boden liegen-den Nicholson. Erst um 16.20 Uhr kommt ein Soldat mit einem Verbandspäckchen, doch er untersucht Nicholson ebenfalls nicht. Noch eine Person im blauen Trai-ningsanzug bringt Verbandsmaterial zum Tatort und händigt es dem Soldaten mit dem Verbandspäcken aus. Er handelt eben-falls nicht. Gegen 16.50 Uhr, mehr als eine Stunde nach den Schüssen, kniet der Mann im blauen Trainingsanzug endlich neben Nicholson nieder und fühlt dessen Puls. Schatz hört ihn sagen „njet“. Nein – kein Puls mehr. Major Nicholson ist tot.35

35 Stacy, William E.: The Nicholson Incident. A case study of US-Soviet Negotiations. Heidelberg 1988, S. 6 ff.

men hat, entdeckt er den sowjetischen Wachposten etwa 75 Meter südöstlich an der Waldkante. Der Posten hält seinerseits die Kalaschnikow direkt auf Schatz gerich-tet und strebt seitlich auf das Fahrzeug zu. „Sir, kommen Sie zurück ins Auto“, schreit Schatz Nicholson zu. Daraufhin eröffnet der Posten ohne Vorwarnung das Feuer auf Schatz. Die Kugel verfehlt nur knapp seinen Kopf. Schatz lässt sich blitzschnell auf den Fahrersitz fallen, entriegelt die Beifahrertür, startet das Fahrzeug und setzt zurück, um das Auto schützend zwi-schen Nicholson und den Wachposten zu bringen. Der Posten feuert derweil zwei weitere gezielte Schüsse ab. Ein Schuss trifft Major Nicholson. Zehn Meter hinter

dem Fahrzeug sackt er zusammen. Schatz fährt weiter rückwärts bis auf zwei Meter an Nicholson heran und verriegelt zur Si-cherheit wieder die Beifahrertür sowie das Schiebedach. Anschließend kurbelt er das Fenster auf der Fahrerseite herunter und dreht sich zu Nicholson um. „Jess, ich bin getroffen!“, ruft Nicholson ihm schmerz-verzerrt zu. Schatz greift nach dem Erste-Hilfe-Kasten, steigt aus dem Fahrzeug und will zu Nicholson gehen. In diesem Moment hat auch Unteroffizier Alexan-der Rjabtsew, der sowjetische Posten, das Fahrzeug erreicht. Beide stehen sich nun direkt gegenüber. Die Situation ist sehr angespannt. Schatz spricht kein Russisch. Rjabtsew weder Deutsch noch Englisch.

Abb. K1004: Kampfpanzer T-64 A 147

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Kapitel 10 – Techentin

W enn Major Nicholson in die Pa-radeuniform schlüpfte, um das bisweilen spiegelglatte Parkett

der Militärdiplomatie zu betreten, fielen für ihn Pflicht und Kür zusammen. Solche Termine genoss er besonders. Allerdings litt Nick unter gesunder Selbstüberschätzung, zumindest was seine diplomatischen Fähig-keiten anbelangte. Er agierte ungelenk und bisweilen viel zu auf-dringlich im Umgang mit der sowjetischen Seite. Das Jahr 1983 konfrontierte die USMLM und auch Nicholson mit einem besonders heiklen Repräsentationstermin. Der US-Kriegsveteran Joseph (Joe) Polows-ky36 hatte in seinem letzten Willen die Bei-setzung auf dem evangelischen Stadtfried-hof in Torgau verfügt und damit ungewollt handfeste diplomatische Verwicklungen heraufbeschworen. Private Joe Polowsky gehörte zu dem ersten der drei amerikani-schen Aufklärungstrupps37, die am 25. April 1945 bei Torgau die Elbe überquert hatten und dort mit der Sowjetarmee zusammen-trafen. „Nie wieder Krieg“, schwor Polows-ky damals im Freudentaumel an der Elbe. Die Fotos vom historischen Handschlag amerikanischer und sowjetischer Soldaten auf der zerstörten Elbbrücke gingen zwar um die Welt und im Sog des historischen Ereignisses bekräftigten die Alliierten noch mit gemeinsamer Stimme ihren Willen zur vollständigen Vernichtung des Dritten Reichs. Nur wenig später fanden sich die Kriegsgewinner dann aber schon in Feind-

36 geb. 2. Oktober 1916, gest. 17. Oktober 198337 69. Infanterie-Division, 273. Infanterie-Regiment,

G-Kompanie

schaft gespalten, Westmächte gegen die Sowjetunion und umgekehrt. 1946 ent-ließ die Army Polowsky. Zurückgekehrt in die USA fanden die Mahnungen des einfachen Mannes mit seinem „Oath at the Elbe“ bei der großen Politik kein Ge-hör. Dafür erlangte er Aufmerksamkeit im sozialistischen Lager. Polowsky folg-

te Einladungen in die UdSSR und die DDR. Er traf Nikita Chruschtschow und Walter Ulbricht. Seine jährlichen Mahnwachen auf

der Michigan Avenue Bridge in Chicago wurden in den USA als lästig empfunden, die Friedensforderungen sogar als „un-amerikanische Umtriebe“ diffamiert. Am 18. Oktober 1983 verstarb der Taxifahrer Joe Polowsky an einem schweren Krebs-leiden. Erich Honecker genehmigte die Beisetzung des Amerikaners in der DDR, wenn auch mit Unbehagen. Einem so prominenten Kriegsveteranen und Frie-densaktivisten den letzten Willen zu ver-wehren, traute sich selbst der mächtigste Mann der DDR nicht. Den amerikanischen Vorstellungen einer Beerdigung mit allen militärischen Ehren wollten dann aber die Sowjets unter keinen Umständen zustimmen. Dem State Department in Washington gefiel die Vorstellung nicht, Polowskys Beisetzung in der DDR könnte durch die sozialistische Propaganda dau-erhaft instrumentalisiert werden. Dass ausgerechnet auch noch Reverend Wil-liam Sloane Coffin Jr.38 am Grab Polows-kys in Torgau sprechen sollte, setzte dem

38 geb. 1. Juni 1924, gest. 12. April 2006

Ganzen schließlich die Krone auf. Coffin, vom CIA-Agenten zum Friedensaktivisten gewandelt, war für die Falken des Penta-gon ein Schreck und für das konservative politische Lager der USA ein rotes Tuch. Das Ringen um die Formalitäten zog sich bis auf den Tag vor der Beisetzung am 26. November 1983 hin. Dann gab die sowje-tische Seite nach. Statt der bewaffneten Ehrengarde sollten die Offiziere der ame-rikanischen Militärverbindungsmission er-satzweise einspringen, teilte die außenpo-litische Abteilung des Stabes der GSSD mit. Diese hätten schließlich Genehmigungen für den Aufenthalt in der DDR. Großzügig durften noch zwei weitere amerikanische Unteroffiziere der Ehrengarde einreisen. Das State Department entsandte einen Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft nach Torgau. Von sowjetischer Seite wur-den Kriegsveteranen und eine Abordnung von Offizieren der außenpolitischen Abtei-lung des Stabes der GSSD aufgeboten. Die Abteilung VIII der MfS-Bezirksverwaltung Leipzig aktivierte rasch einen Observati-onstrupp, um wenigstens die Teilnehmer der Veranstaltung zu fotografieren.39 In seinem Bericht an das USAREUR zeigte sich der Chef der USMLM, Oberst Roland Lajoie, im Nachgang mit dem Ablauf der Zeremonie zufrieden. Auch Coffins Toten-spruch war aus seiner Sicht „überraschend apolitisch“ ausgefallen. Der heikle Termin war gemeistert. Die bislang einzigen be-kannten Fotos des MfS von Major Arthur D. Nicholson entstanden in Torgau vor und während der Beisetzung von Joe Polowsky. Das Observationsteam der Abteilung VIII aus Leipzig hatte sie aufgenommen.

39 BStU, MfS, HA VIII Nr. 5548

Kapitel 10 – Polowsky

Letztes Geleit für Joe Polowsky in Torgau

Abb. K1005: Historisches Zusammentreffen im April 1945, Joe Polowsky (stehend im Jeep) mit sowjetischen Soldaten in Burxdorf, Dorfstraße 49.

„A simple soldier far ahead of his government in his quest for a peaceful relationship between the superpowers.“

Rev. William Sloane Coffin am Grab von Joe Polowsky

Abb. K1006: Ankunft der USMLM vor dem Central-Hotel in Torgau.

Abb. K1007: Col. Lajoie überreicht am Grab die US-Flagge an Polowskys Sohn Ted.

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LaßlebenW
Textfeld
(Abbildung nur in der gedruckten Broschüre wiedergegeben)
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Abb. K1009: Col. Lajoie und Major Nicholson am Grab Polowskys.

Abb. K1008: Observationsfoto des MfS, aufgenommen vor dem Central Hotel Torgau:

Major Nicholson (Mitte) im Gespräch Major Boles, rechts

halb verdeckt Reverend Coffin.

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Abb. K1010: Tatortskizze des Kriminalistischen Instituts der Deutschen Volkspolizei.

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Kapitel 10 – Techentin

Das MfS erstellte nach mündli-chen Mitteilungen der „befreunde-ten Dienststelle“ am 25. März 1985 verschiedene Zusammenfassungen des möglichen Tatablaufs. Der Wahr-heitsgehalt dieser ersten Schilderun-gen musste jedoch insgesamt stark angezweifelt werden.40 Die HA VIII glich daraufhin die Schilderungen mit ihren eigenen Informationen aus der Telefonüberwachung (Linie 26) ab. Oberstleutnant Hans-Jürgen Klebow übermittelte dem Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit, Gene-ralleutnant Gerhard Neiber, und dem Leiter MVM-Abwehr des KGB, Oberst Tuissow, die vorläufigen Erkenntnis-se des MfS zum Tathergang:41 „... Am 24.03.1985, 20.40 Uhr, wurde ich vom Operativen Leitzentrum der Hautabteilung VIII darüber infor-miert, dass entsprechend einer Mit-teilung der befreundeten Dienststelle ein Angehöriger der USA-MVM im Raum Schwerin während der Durch-führung aktiver Spionagehandlungen von einem Angehöriger der GSSD erschossen wurde ... Inoffiziell wur-de bekannt, daß die Außenpolitische Abteilung des Stabes der GSSD gegen 18.00 Uhr der USA-MVM in Berlin (West) mitteilte, daß ein Fahrzeug der USA-MVM ca. 3 km südlich von Ludwigslust einen Unfall hat, der Lei-ter der Außenpolitischen Abteilung der GSSD, Genosse Oberst [Juri W.] Pereverzew, sich bereits am Ereignis-ort befindet und darum bittet, daß sich der Chef der USA-MVM, Colo-nel Lajoie, ebenfalls an den Ereignis-ort begibt. Als konkreter Ereignisort wurde Techentin, Kreis Ludwigslust, angegeben. Der Chef der USA-MVM Colonel Lajoie und die Angehörigen seiner MVM LtC Kel[l]ey, Ssgt Eve-rett reisten 19.55 Uhr mit dem Pkw Nr. 20 von Berlin (West) kommend über die GÜST Glienicker Brücke in Potsdam in die DDR ein, passierten 21.11 Uhr auf der Autobahn A 16 den km 56,7, Kreis Parchim/Schwe-rin in Richtung BRD und begaben

40 Sofortinformation des OLZ für Generalmajor Carli Coburger vom 25. März 1985. BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 4 Operative Information 357/85 (Erstinformation) der HA VIII/OLZ vom 25. März 1985. BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 2

41 Schreiben A 66/85 des Leiters der HA VIII, Generalmajor Carli Coburger, an Generalleutnant Gerhard Neiber. BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 10

sich zum Ereignisort. Dort erhielten sie die Mitteilung, daß die Insassen des Pkw Nr. 23 im Raum Techentin, Kreis Ludwigslust, einer Panzerko-lonne der GSSD gefolgt waren und diese beobachtet hatten. Im weiteren Verlauf ihrer Handlungen waren die MVM-Angehörigen mit ihrem Kfz auf das Übungsgelände, welches mit militärischen Sperrschildern „Halt! – Es wird geschossen!“ gekennzeich-net ist, gefahren, wobei sie zweimal den Sicherungsbereich eines Postens der GSSD passierten. Nicholson ließ ca. 10 Meter vor dem Panzer-Hangar halten, verließ sein Fahrzeug und be-gab sich mit dem Fotoapparat zum Fenster des Hangars. Er schob eine Plane zur Seite und fotografierte in das Innere des Hangars. Schatz si-cherte aus der geöffneten Fahrzeuglu-ke die Handlungen des Nicholson. Der Posten der GSSD rief Nicholson mit den Worten „Halt – stehen blei-ben!“ an, worauf Nicholson in Rich-tung seines Fahrzeugs lief. Der Posten gab im weiteren Verlauf einen Warn-schuß und dann gezielte Schüsse ab, an deren Folgen Nicholson am Ereig-nisort verstarb. Schatz versuchte das Fahrzeug zu verlassen, vermutlich um Nicholson zu helfen. Der Posten der GSSD verhinderte das Verlassen des Fahrzeuges ...“42 Nur einen Tag später, am 26. März 1985, korri-gierte und präzisierte das MfS seine Erkenntnisse zum Tatverlauf. Gene-ralleutnant Neiber wurde nunmehr mitgeteilt: „... Gegen 15.40 Uhr fuhr das Fahrzeug auf den Schießplatz ... Mit Erscheinen des Fahrzeuges be-fand sich der sowjetische Posten (Sol-dat) am Rande des Schießplatzes im Wald und beobachtete das Fahrzeug, welches in unmittelbarer Nähe von Panzerboxen anhielt. Nach kurzem Halt fuhr das Fahrzeug in Richtung Straße Techentin-Dömitz. Zu diesem Zeitpunkt hat sich der sowjetische Posten gegenüber den Angehörigen der USA-MVM nicht zu erkennen ge-geben. Nach ca. 10 Minuten fuhr das Fahrzeug erneut auf den Schießplatz und hielt ca. 30 m vor den Panzer-

42 Bericht zum Vorkommnis mit Angehörigem der Ameri-kanischen Militärverbindungsmission am 24. März 1985 bei Ludwigslust, Bezirk Schwerin. 25.3.1985, Leiter der Abteilung 5 der HA VIII, Oberstleutnant Klebow. BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 19 f.

boxen. Major Nicholson verließ das Fahrzeug, begab sich zu den Pan-zerboxen, versuchte diese zu öffnen und fotografierte. Diese Handlungen wurden vom sowjetischen Posten be-obachtet. Um 15.55 Uhr handelte der Posten entsprechend seiner Instruk-tionen. Nach erfolgtem Warnruf, auf den Nicholson nicht reagierte, gab der Posten einen Warnschuß ab. Nichol-son reagierte darauf nicht, lief schnell und direkt zu seinem Fahrzeug. Auf-forderungen zum Stehenbleiben kam er nicht nach. Daraufhin schoß der sowjetische Posten gezielt, Nichol-son fiel ca. 3 m vor sein Fahrzeug. Ssgt Schatz wurde vom sowjetischen Posten daran gehindert, das Fahrzeug zu verlassen. Nicholson verstarb am Ereignisort. Am Ereignisort wurden von der befreundeten Dienststelle die Fahrzeugspuren gesichert, der von Nicholson verwendete Fotoapparat sichergestellt. Die Entwicklung des Films ergab, dass er neben anderen Spionageaufnahmen auch Aufnah-men vom Ereignisort enthält ...“43

43 Information zum Vorkommnis mit Angehörigen der Ame-rikanischen Militärverbindungsmission in Techentin, Kreis Ludwigslust, Bezirk Schwerin. 26.3. 1985, Leiter der HA VIII, Generalmajor Carli Coburger. BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 39 ff. In der Quartalsinformation I/1985 der HA VIII/5 vom 23. April 1985 wird die Behauptung aufgestellt, dass sich während des Zwischenfalls mit Major Nicholson Panzer in der Halle befanden. „Er öffnete die Tür des Hangars und fotografierte die Kampftechnik.“ BStU, MfS, ZAIG Nr. 15194, S. 44

Abb. K1011: „Für eine bessere Zukunft“: Wahlspruch des U.S. Army Russian Institute in Garmisch-Partenkirchen.Vor seinem Einsatz bei der amerikanischen Militärverbindungsmission absolvierte Arthur D. Nicholson 1980 am USARI einen zweijährigen Fortbildungskurs.

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Kapitel 10 – Techentin

Abgehörter Telefonverkehr der Tatnacht

Hauptabteilung VIII Abteilung 544 Potsdam, 24. 3. 1985 Information zum Vorkommnis mit dem US-MVM-Fahrzeug Nr. 23, Insassen: Major Nicholson und SSG Schatz am 24. 3. 1985 um 15:55 Uhr

Aus inoffizieller Quelle [Linie 26] wurde bekannt, daß zwischen Angehörigen der US-MVM in Potsdam und Westberlin bzw. Vertretern der Auslandsabteilung der GSSD Potsdam folgende Unterhaltungen geführt wurden:

Sgt. Schwab, US-MVM Westberlin Major Silva, US-MVM PotsdamSchwab sagt, daß er gerade den Dienst übernommen hat. Ob Silva mit dem Verkehrsunfall des Fahrzeugs Nr. 23 vertraut ist. Schwab habe gerade die französische MVM an der Strippe. Silva solle nicht auflegen. Schwab meldet sich wieder und sagt, daß die Verbindung unterbrochen wurde. Silva solle bitte noch warten. Schwab meldet sich wieder und sagt, daß er zurück-rufen wird. Silva läßt sich den Inhalt der Unterhaltung zwischen Schwab und den Franzosen darlegen. Er fragt, ob die Fran-zosen angerufen haben, um zu sagen, daß „wir einen Unfall in der DDR haben?“ Schwab bejaht und sagt weiter, daß sie auch gesagt haben, daß Oberst Lajoie, der Chef der US-MVM, davon unterrichtet sei. Es handele sich um das Fahrzeug Nr. 23. Silva wundert sich und meint, daß Oberst Lajoie doch gar nichts davon erwähnt habe. Ob Schwab weiß, wann der Unfall stattfand. Schwab verneint. Die Verbindung sei nicht gut gewesen. Silva sagt, daß er sich mit der F-MVM in Verbindung setzten wird. Major Eschrich, US-MVM Westberlin Major Silva, US-MVM Potsdam Eschrich interessiert sich dafür, was Silva weiß. Silva sagt, daß Schwab ihn informiert habe, daß das Fahrzeug Nr. 23 einen Unfall hatte. Silva habe gerade mit den Franzosen gesprochen. Die wissen nichts davon. Schwab sagte auch, daß Oberst Lajoie schon informiert sei. Lajoie habe Silva aber kein Wort davon gesagt, als er losfuhr. Wann Lajoie losgefahren ist, will Eschrich wissen. S.(ilva) sagt: „Um 17:55 Uhr.“ Ob Lajoie nochmals zurückgekommen ist? Silva verneint. Eschrich nennt Silva noch die Telefonnummer, die Schwab in der Unterhaltung bekommen hat. Sie lautet: 245962. Silva sagt, daß das doch die Telefonnummer der sowjetischen Auslandsabteilung sei. Silva soll diese Nummer anrufen. Er wird ja sehen, wer sich meldet, meint Eschrich. Major Silva, US-MVM Potsdam männliche Person, sowj. AuslandsabteilungSilva und die männliche Person unterhalten sich russisch. Silva erkundigt sich nach der amerikanischen Fahrzeugkatastrophe in der DDR. Ob es eine schwere Katastrophe war. Er habe von dieser Katastrophe aus Berlin erfahren. Was die männliche Person davon weiß. Die männliche Person sagt, daß sie nur von dem Fakt wisse. Mehr nicht. Silva fragt, ob es stimmt, daß Oberst Lajoie davon Kenntnis hat. Die männliche Person bejaht. Er sei angerufen worden. Silva fragt, ob die männliche Person wisse, wo die Katastrophe stattfand. Das weiß die männliche Person nicht. Wenn die männliche Person Näheres erfährt, soll sich die männliche Person doch mit Silva in Verbindung setzen. Silvas Telefonnummer sei die 248757. Major Silva, US-MVM Potsdam Cptn. Hindrichs, US-MVM Westberlin, 8196041Silva verlangt Major Eschrich. Hindrichs sagt, daß Eschrich nicht hier sei. Silva sagt, daß er doch gerade mit ihm gesprochen hatte. Dann ist Eschrich wohl zu Hause. Hindrichs fragt, ob Silva etwas erfahren hat. Silva verneint. Er habe mit der Außen-stelle gesprochen. Dort sagte man ihm, Col. Lajoie wisse Bescheid. Man habe mit ihm gesprochen. Hindrichs vergewissert sich, daß von der Außenstelle gesagt wurde, daß sie mit Col. Lajoie gesprochen haben. Silva bejaht. Aber die männliche Person sagte ihm auch, daß sie nicht wisse, wo der Unfall war, nicht wisse, ob er schwer ist, nicht wisse, was überhaupt passiert sei. Fakt sei nur, daß ein Unfall war. Wenn die männliche Person mehr weiß, würde sie Silva anrufen. Silva habe seine Telefonnummer hinterlassen. Hindrichs sagt, daß Col. Lajoie überhaupt nichts wisse. Silva sagt, daß er mit Sgt. Schwab spre-chen möchte. Als dieser sich meldet, fragt Silva, ob Schwab sicher sei, daß er nicht von der sowjetischen Auslandsabteilung angerufen wurde. Schwab sagt, daß es die Auslandsabteilung war. Er habe das durcheinandergebracht. Er entschuldigt sich. Silva sagt, daß die Leute von der F-MVM gar nichts mit seinem Anruf anfangen konnten. Die Situation sei nun so, daß Oberst Lajoie konfus ist, daß die Außenstelle, als sie mit Schwab sprachen, annahmen, er sei Oberst Lajoie. Auf jeden Fall sei soviel gesagt, es hat einen Unfall gegeben. Näheres ist nicht bekannt. Hindrichs sagt, daß Oberst Lajoie und Major Eschrich unter-wegs zur Dienststelle sind. Wenn sie etwas erfahren, sollen sie Silva anrufen, damit auch er Bescheid weiß, was los ist. Major Eschrich, Westberlin Major Silva, US-MVM PotsdamEschrich fragt, ob Silva etwas weiß. Silva fragt, wo Eschrich ist. Eschrich ist noch zu Hause. Er fährt dann gleich los zur Dienststelle. Silva wiederholt, was er Hindrichs bereits gesagt hat.

44 BStU, MfS, Sekr. Neiber Nr. 419, S. 87-94

24. 3. 1985 18:11 Uhr

24. 3. 1985 18:25 Uhr

24. 3. 1985 18:27 Uhr

24. 3. 1985 18:32 Uhr

24. 3. 1985 18:38 Uhr

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Colonel Lajoie, Chef der US-MVM, Westberlin Major Silva, MVM PotsdamSilva sagt Lajoie, daß er noch keine weiteren Informationen hat. Er erläutert Lajoie von den Telefongesprächen. Es gab einen Unfall, aber nähere Informationen gäbe es noch nicht. Lajoie sagt, daß Major Tschernik mit Sgt. Schwab gesprochen hatte. Lajoie will jetzt selber in der sowjetischen Auslandsabteilung anrufen. männliche Person, sowjetische Auslandsabteilung Major Silva, MVM Potsdam Die männliche Person fragt nach Oberst Lajoie. Silva sagt, daß Lajoie in Westberlin ist und die sowjetische Auslandsabteilung anrufen will. Major Silva, MVM Potsdam Sgt. Schwab, Diensthabender, US-MVM Westberlin Silva sagt, daß ein Vertreter der sowjetischen Auslandsabteilung mit Colonel Lajoie sprechen möchte. Schwab sagt, Lajoie versucht, die Auslandsabteilung zu erreichen. Aber bisher ohne Erfolg. Major Silva, MVM Potsdam männliche Person, sowjetische Auslandsabteilung Silva versucht russisch zu erklären, daß jemand von der Auslandsabteilung Colonel Lajoie in Westberlin anrufen soll. Ihm wird gesagt, daß jetzt jemand kommt, der englisch mit Silva sprechen wird. Die männliche Person, die sich jetzt meldet, sagt, daß sie vor 30 Minuten etwa die US-MVM-Dienststelle in Westberlin angerufen hat. Sie nahm an, mit Oberst Lajoie gespro-chen zu haben. Die männliche Person sagt dann weiter, daß Oberst Pereverzev, Leiter der sowjetischen Auslandsabteilung der GSSD, sich gegenwärtig an dem Ort befindet, wo der Unfall stattfand. Er bittet darum, daß Oberst Lajoie zu diesem Ort hinkommt. Oberst Pereverzev erwartet ihn dort. Ob Oberst Lajoie in Westberlin ist? Major Silva bejaht. Er fragt die männ-liche Person, ob sie etwas von einem Unfall eines Fahrzeugs der US-MVM wisse. Die männliche Person sagt, daß sie dazu etwas mehr wissen. Silva fragt, wo der Unfall stattfand. Die männliche Person sagt: „Drei Kilometer südlich von Ludwigslust. Konkret in Techentin.“ Silva erkundigt sich wiederum nach der Schwere des Unfalls. Doch dazu konnte ihm die männliche Person nichts sagen. Silva fragt, was von der US-MVM jetzt erwartet wird. Die männliche Person erwidert darauf, daß Oberst Pereverzev am Unfallort ist und Oberst Lajoie dort erwartet. Silva erkundigt sich nach dem Namen der männlichen Person. Er lautet Tschernik. Major Silva, MVM Potsdam Sgt. Schwab, Oberst Lajoie, US-MVM Westberlin Silva sagt zu Schwab, daß er mit Major Tschernik gesprochen habe. Schwab sagt, daß Oberst Lajoie auch gerade mit Major Tschernik spreche. Silva sagt, daß der Unfall drei Kilometer südlich von Ludwigslust, in Techentin war. Schwab solle dem Chef sagen, daß Silva ein fahrbereites Fahrzeug hier in Potsdam habe, er könne losfahren. Lajoie spricht dann mit Silva und sagt, daß er mit Larry (LTC Kelley) hinfahren wird. Major Eschrich, US-MVM Westberlin Major Silva, MVM Potsdam 19:54 Uhr Eschrich fragt, ob es etwas neues gibt. Silva verneint. Eschrich sagt, daß der Chef (Colonel Lajoie), Larry (LTC Kelley) und Randy (Sgt. Everett) direkt nach dort unterwegs sind. Neil (Major Black) kommt zu Silva, falls sich etwas ergibt. Wenn Silva etwas erfährt, solle er anrufen. Major Eschrich, US-MVM Westberlin Major Silva, MVM Potsdam 22:65 Uhr Eschrich sagt, daß er nur die Telefonleitung kontrollieren wollte, ob sie auch funktioniert. Was Silva und Black machen? Silva sagt, daß sie hier sitzen und warten. Colonel Lajoie, Gebiet der DDR - [Intertankstelle Stolpe] Major Silva, US-MVM PotsdamLajoie sagt, daß er schlechte Nachrichten hat. Nich (Major Nicholson) ist getötet worden. Er wurde von einem sowjetischen Wachposten beschossen und getötet. Lajoie kommt jetzt mit Sgt. Schatz zurück, Randy (Sgt. Everett) mit dem Fahrzeug und Kelley ist mit Nich (Nicholson) in einem Krankenfahrzeug unterwegs zum Potsdamer Leichenhaus. Folgende Dinge sind zu erledigen: Silva soll die Mission anrufen, daß einige Leute zur Mission kommen, die sich mit dem Bericht über diesen ernsten Zwischenfall beschäftigen. Des weiteren soll jemand vom Hospital verständigt werden, daß morgen früh ein Arzt zur Verfügung steht, der an der in Potsdam stattfindenden Autopsie teilnimmt. Es sind welche zu bestimmen, die zu Karen (Mrs. Nicholson) gehen. Findet die beste Freundin von Karen oder einen Kaplan, am besten wäre, Eschrich macht das, der das bestimmt. Sie sollen sich bereithalten, in ca. zwei Stunden wird Lajoie in Westberlin sein und dann gehen sie gemeinsam zu Mrs. Nicholson. Eine Sofortmeldung ist an das USCO telefonisch abzusetzen. Folgende Details sind zu übermitteln: Major Nicholson wurde im Gebiet Ludwigslust um 15:55 Uhr erschossen. Lajoie wiederholt dann nochmals, daß, wenn er in ca. zwei Stunden eintreffen wird, ein Kaplan da sein soll und Karen Nicholsons beste Freundin oder wer das auch immer sein mag, daß sie zu Karen Nicholson gehen können. Jesse (Ssgt. Schatz) ist bei Lajoie. Everett fährt mit dem G-Wagen (Geländewagen) und Kelley fährt mit Nicholsons Leiche mit zum Leichenhaus. Lajoie sagt, daß er nicht zum Potsdam-Haus kommen wird. Sie fahren direkt nach Westberlin.

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Kapitel 10 – Techentin

Major Silva, US-MVM Potsdam Major Eschrich, US-MVM WestberlinSilva übermittelt Eschrich die von Colonel Lajoie mitgeteilte Nachricht. Eschrich sagt, daß Neil (Major Black) und Jim (Sgt. McDowall) in Potsdam bleiben sollen. Silva sagt noch, daß es ihm leid tut, daß er derjenige war, der Eschrich die schlechte Nachricht überbrachte. Major Black, US-MVM Potsdam Mrs. Bohn, Major Bohn, Westberlin 8262554Als sich Mrs. Bohn meldete, verlangte Black nach Skip (Major Bohn). Zu diesem sagt er, daß er ihm nicht sagen kann, was passiert ist. Er brauche von Bohn die Telefonnummer vom Stellvertrteter (LTC Boyette). Bohn fragt, von wo Black anruft. Black sagt: aus Potsdam. Er braucht unbedingt die Telefonnummer. Bohn fragt: Ist jemand verletzt? Black bejaht. Schwer? Black bejaht. Ist jemand tot? Black bejaht wiederum. Die gewünschte Telefonnummer lautet: 8326127. Major Black, US-MVM Potsdam LTC Boyette, Major Bohn, Westberlin, 8326127 Black sagt, daß er schlechte Nachrichten für Boyette habe. Boyette sagt, daß er gerade Bescheid bekommen hat, daß er sofort zur Dienststelle kommen solle. Ob Black in der Dienststelle ist. Black sagt, daß er im Potsdam-Haus sei. Boyette sagt, daß er die Nachricht auf der Arbeitsstelle erhalten wird. Major Eschrich, US-MVM Westberlin Major Black, US-MVM Potsdam Eschrich fragt, ob Major Silva weiß, wo das Potsdamer Armee-Hospital sei. Silva verneint. Aber Major Black und Sgt. Mc-Dowall wären doch hier. Eschrich fragt, ob Silva den Sedan da hat. Silva bejaht. Silva soll die Auslandsabteilung anrufen und sagen, daß er beabsichtigt zum Krankenhaus zu fahren, um dort auf LTC Kelley zu warten, der in ca. 30 bis 40 Minuten eintreffen wird. Major Black und Sgt. McDowall sollen im Potsdam-Haus bleiben, falls sich noch etwas ergibt, so daß McDo-wall im Haus bleiben kann. Eschricht nimmt an, daß sie die Leiche in das Hospital in der Nähe von der sowjetischen Schule bringen. Wo es nach Sanssouci rübergeht. Es seien rote Häuser. Silva soll die Außenstelle anrufen, ob ihn jemand dorthin begleitet. Zum anderen ist die US-MVM in der Lage ein Krankenfahrzeug nach Potsdam zu schicken. Major Silva, US-MVM Potsdam männliche Person, sowj. AuslandsabteilungSilva sagt, daß er gern zu dem Krankenhaus möchte, wo die Leiche Major Nicholsons hingebracht wird. Die männliche Person kann ihm nicht sagen, wo sich dieses Krankenhaus befindet. Sie will sich melden. Major Tschernik45, sowj. Auslandsabteilung Major Silva, US-MVM PotsdamMajor Tschernik sagt, daß Silva warten soll. Die gewünschte Auskunft könne er ihm gegenwärtig nicht erteilen. Major Silva, US-MVM Potsdam LTC Boyette, US-MVM Westberlin Silva setzt Boyette von der Unterhaltung mit der sowjetischen Auslandsabteilung in Kenntnis. Boyette sagt, daß sich Silva bereithalten soll. Vorkehrungen wurden getroffen, ein Krankenfahrzeug nach Potsdam zu schicken. Aber man müsse erst einmal abwarten. Major Silva, US-MVM Potsdam Major Nelson, US-MVM Westberlin Silva sagt, daß er gegen 02:00 Uhr beauftragt wurde, zu dem Krankenhaus zu fahren, zu dem man die Leiche von Nicholson bringt. Er hat Major Tschernik von der Auslandsabteilung gesprochen. Der sagte, Silva solle warten. Silva habe zweimal ver-sucht, die Auslandsabteilung zu erreichen. Es ertönte jedes Mal ein Besetztzeichen. Sicherlich hat man den Hörer daneben-gelegt. Was er machen soll? Nelson rät, auf LTC Kelleys Anruf zu warten und wiederum zu versuchen, die Auslandsabteilung zu erreichen. LTC Kelley, US-MVM Potsdam Major Eschrich, US-MVM WestberlinKelley sagt, daß er im Potsdam-Haus ist. Man wartet auf ihn, um ihn zum Leichenhaus zurückzubringen. Die Situation ist fol-gende: Sie sind jetzt in Potsdam. Er hat ihnen gesagt, daß ein Spezialist kommen würde, wenn keiner kommt, würde Kelley an der Autopsie teilnehmen, da sie es wünschen, daß jemand von ihnen dabei ist. Eschrich sagt, daß sie solch einen Spezialisten nicht bekommen können. Medizinisches Personal steht bereit. Die Autopsie soll in Westberlin gemacht werden. Kelley fragt, wann Eschrich in Potsdam sein könnte, um Absprachen mit der Auslandsabteilung zu tätigen. Eschrich könnte in 30 Minuten da sein. Um über die Brücke zu kommen, müßte er sowieso mit der Auslandsabteilung sprechen. Kelley soll Bescheid sagen, daß sie Nich[olson] rüberbringen wollen, ohne Durchführung einer Autopsie. Kelley soll noch fünf Minuten warten. Bis dahin kann Eschrich noch einiges klären. Kelley soll dann Jim (Major Silva) mitnehmen, herausfinden, was sich tut. Kelley sagt, daß sich im Moment noch gar nichts tut. Sie kommen gar nicht auf das Gelände, da die Leute nicht von dieser Einrichtung sind. Sie stehen praktisch vor dem Tor, Man habe ihm aber versichert, daß das Auto dort stehen bleibt, wo es jetzt ist bis Kelley

45 Dem MfS ist ein kleiner Fehler bei der Wiedergabe des Namens unterlaufen. Bei dem Offizier handelt es sich um den ehemaligen Jagdpiloten Major Wladimir A. Tschernych (ab 1986 Oberstleutnant), amtierender sowjetischer Kommandant des Kriegsverbrechergefängnis Spandau. Er wohnte in Potsdam und unterhielt dort auch sein Büro. Mit der sowjetischen Auslandsabteilung arbeitete er eng zusammen.

25. 3. 1985 00:08 Uhr

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zurückkommt. Wenn Eschrich ihn erreichen will, muß er es über die Auslandsabteilung versuchen oder direkt zu der Stelle kommen, wo sie sind. Major Black und Sgt. McDowall sind im Potsdam-Haus und könnten zur Brücke kommen, um die Leute abzuholen, die die Leiche überführen. Eschrich will sich gleich wieder melden. Major Eschrich, US-MVM Westberlin LTC Kelley, US-MVM PotsdamEschrich sagt, daß der Chef keinesfalls eine Autopsie wünscht. Kelley und Silva sollen dorthin fahren, wo Nich[olson] ist. Kelley soll dort bleiben. Silva, der dann weiß, wo Kelley ist, soll zur Auslandsabteilung fahren und Bescheid sagen, daß sie einen Krankenwagen schicken mit mindstens drei Personen. Einer von ihnen ist Arzt. Silva soll dann Bescheid geben. Kelley fragt nach den Namen der Leute, die da kommen sollen. Eschrich sagt: Spec 4 Shubring, Spec 4 Gonzales und ein Arzt im Rang eines Majors oder Oberstleutnants und 1 Krankenfahrzeug. Sie halten sich bereit und könnten in 15 Minuten an der Brücke sein. Sgt. Everett oder jemand anders würde sie zur Brücke bringen und Silva könnte sie dann dorthin führen, wo die Leiche ist. Major Black und Sgt. McDowall sollen im Potsdam-Haus bleiben, falls einer als Bote gebraucht wird und der andere Telefondienst macht. Major Eschrich, US-MVM Westberlin Major Black, US-MVM Potsdam Eschrich fragt, ob die beiden (Kelley und Silva) losgefahren sind. Black bejaht. Eschrich sagt, daß der Arzt Major Michael A. Morgenstern ist. Die einzige Nummer, die Eschrich hat, ist dessen Versicherungsnummer. Sie lautet: (geschwärzt) Die anderen beiden sind Spec. 4 Terese Marie Shubring, Ausweis-Nr. H (geschwärzt) und Spec 4 Joseph Anthony Gonzales, Ausweis-Nr. G (geschwärzt). Eschrich meldet sich bei Black, wenn diese Leute abgeholt wurden und bereitstehen. Das sind die inhaltlich bis 04:55 Uhr im Zusammenhang mit dem genannten Vorkommnis geführten Unterhaltungen. F.d.R.d.Ü. Albrecht Oltn. Leiter der Abteilung Klebow Oberstleutnant

25. 3. 1985 04:00 Uhr

25. 3. 1985 04:23 Uhr

Abb. K1012: Im Auftrag des KGB fotografierten MfS-Kriminaltechniker des OTS, Abteilung 32, am 25. März 1985 die Leiche von Major Nicholson in Potsdam. Die Beschriftung des Briefumschlags ist falsch. Es handelt sich nicht um Material aus dem Kriminalistischen Institut der Deutschen Volkspolizei. Die sechzehn Farbfotografien zeigen zunächst Nicholson in blutdurchtränkter Uniform mit geöffneten Augen, anschließend die entkleidete und gewaschene Leiche mit den kriminalistischen Vermessungen der Ein- und Austrittswunde aus verschiedenen Perspektiven. Die GSSD verweigerte den Amerikanern später die Herausgabe der Fotografien vom Tatort, der Leichenfotos und der entwickelten Fotos aus Nicholsons Kamera.

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Kapitel 10 – Techentin

Nicholson und Schatz konnten als eingespieltes USMLM-Tourteam be-zeichnet werden. Sie absolvierten acht gemeinsame Fahrten in der DDR, darunter auch einige mit durchaus riskanten Aufträgen.46 Ihr persönli-

46 Die Kräfte der operativen Beobachtung des MfS charakte-risierten Schatz als routinierten, ruhigen und gelassenen Kraftfahrer, der aber trotzdem eine gewisse Risikobereit-schaft mitbrachte.

ches Verhältnis war allerdings nicht frei von Konfliktpotential. Intellek-tuell und charakterlich trennten sie Welten. Beide waren überaus ehr-geizig, beide galten als risikofreudig und beide waren in der Lage, sich mit den Unbequemlichkeiten des All-tags auf den Touren zu arrangieren. Sie bildeten aber kein gleichwertiges Team, welches sich etwa auf Augen-höhe begegnete. Das nötige Wissen und Format brachte lediglich Major Nicholson mit. Schatz war und blieb dagegen „nur“ der Fahrer47. Die-se feste Rollenzuweisung bereitete dem Feldwebel zuweilen Probleme, denn er verfügte über den sehr lan-gen Zeitraum seiner Zugehörigkeit zur USMLM48 durchaus über mehr praktische Erfahrung „im Feld“ als der einzelne Tour-Offizier. Diesen Erfahrungsschatz sah er durch Major Nicholson nicht in dem Maße gewür-digt wie von anderen Tour-Offizie-ren, mit denen er ebenfalls Fahrten absolvierte.49 Mehr als einmal klagte Schatz gegenüber Dritten, nicht son-derlich gern mit Nicholson zu fahren. Nicholson sei in seinen Augen arro-gant und wisse alles besser.

Jessie George Schatz wird 195450 in Offen-bach geboren. Er wächst in sehr schwieri-gen Familienverhältnissen bei der Oma auf.51 Seine Mutter52 ist Deutsche. Sie hei-ratet später einen US-Militärangehörigen53

47 Tatsächlich umfasste das Aufgabenfeld des Tour-NCO erheblich mehr als nur das geschickte Fahrzeuglenken.

48 MVM-Zugehörigkeit von Ssgt. Schatz: 8.2.1979 – 3.11.1982 und dann wieder ab 5.7.1984 [bis Frühjahr 1989, danach Volksfest Branch Public Affairs Office USCOB]. BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 26

49 In der Einschätzung seiner Fahr- und Aufklärungstätigkeit im Zeitraum der zweiten Akkreditierung vom 5.7.1984 -31.10.1985 zählte das MfS für Schatz 99 Fahrten. Damit war er einer der erfahrensten Mitglieder der USA-MVM überhaupt. Die 99 Aufklärungsfahrten teilten sich wie folgt auf: 72 Fahrten in alle drei Aufklärungszonen, 2 spezielle Nachtfahrten, 8 Fahrten mit Angehörigen der Sektion Luft, 27 Kurzfahrtzyklen mit durchschnittlich drei Ausfahrten. Er bestritt die Touren nicht wie die anderen Feldwebel mit wenigen, sondern mit fast allen Offizieren der USMLM. In Zahlen mit Maj. Lyons 22, Maj. Wise 13, Maj. Wykoff 12, LtCol. Peters 11, Maj. Leahy 10, Maj. Milton Jr. 8, Maj. Silva 8, Maj. Eschrich 6 und LtCol. Kelley 5 Fahrten. Die Air-Team-Besatzungen, bei denen Schatz als Fahrer fungierte, waren LtCol. Shoffner, Capt. Croxall, Capt. Gallagher und Capt. Hindrichs. BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274

50 Jessie George Schatz, geb. 12.8.1954, gest. 9.8.1996 Escambia County, FL

51 Frau Pertold, gest. 30.8.1982 in Offenbach, verheiratet mit Artur Pertold.

52 Hannelore Bervine Schatz, geb. 10.12.1935, gest. 13.5.1996 Escambia County, FL

53 SFC Robert L. Bervine, US-Army.

und zieht mit ihrem Mann in die Staaten. Der Junge bleibt derweil in Deutschland sich selbst überlassen. Zwar werden ihm monatlich 100 Dollar zum Leben überwie-sen, doch Jessie wird seine Mutter später nur noch „Hannelore“ und seine Oma „Mutter“ nennen. Erst als 13-jähriger über-siedelt er in die USA, um dort seine tat-sächliche Mutter zum ersten Mal kennen-zulernen. Lange hält er es nicht aus. Mit 15 ist der Teenager zwischen den Kulturen hin-und hergerissen. Er zieht zur Oma nach Deutschland zurück, um zwei Jahre später erneut in die Staaten zu wechseln. Dort er-hält er die amerikanische Staatsbürger-schaft.54 Ohne Ausbildung tritt Schatz 1972 als 18-jähriger in die US-Army ein. Im gleichen Jahr heiratet er. Seine berufli-che Karriere verläuft wenig geradlinig. Sie-ben Jahre nach dem Eintritt in das Militär hat er noch immer den niedrigsten Unter-offiziersrang. Schatz selbst führt das dar-auf zurück, zu ehrlich und zu offenherzig mit seiner Meinung umzugehen. Das käme nicht gut an. Im Januar 1979 wird Schatz schließlich von der US-Army doch noch eine sehr interessante Stelle bei der ameri-kanischen Militärverbindungsmission in Potsdam und Westberlin offeriert. Er wil-ligt ein und zieht, jetzt mit eigener Familie, erneut nach Deutschland. Die USMLM sucht zu diesem Zeitpunkt dringend Perso-nal mit guten Sprachkenntnissen. Der Deutsch-Amerikaner wird gebraucht. Er ist nun bei einer Spezialeinheit eingesetzt, dem Detachment A.55 Mit der USMLM-Er-stakkreditierung beim Stab der Gruppe der

54 SSN 447-56-397055 Das MfS vermerkte dazu: „Nach vorliegenden Erkenntnissen

gehört Ssgt. Schatz zum Detachment A. Das Detachment A ist eine Heeresspezialeinheit, die sich als Abteilung der 10. Special Forces Group der US-Army innerhalb des Bestandes der US-Berlin Brigade verbirgt. Es handelt sich hierbei um eine Spezialaufklärungs-, Diversions- und Kampfunterstüt-zungseinheit für Operationen im feindlichen Hinterland (Di-versantenaufgaben). Diese Einheit ist teilweise der CIA als auch den militärischen Geheimdiensten der USA unterstellt. Die 10. Gruppe in Bad Tölz (BRD) ist besonders für Operati-onen auf dem Territorium der europäischen sozialistischen Länder bestimmt. Die Abteilung A ist eine Abteilung, die für selbständige Operationen im Hinterland des Gegners bestimmt ist. Die einzelnen Kommandos bestehen aus be-sonderen Spezialisten für Diversions- und Subversionsakte. In die USA-MVM wurden durch das Detachment A in der Vergangenheit bereits Kader, die vorrangig als Kraftfahrer zum Einsatz gelangten, lanciert. Sitz des Detachment A in Westberlin ist 1 Berlin 45, Andrew Barracks, Haus 904, Block A und B.“ BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 182

Abb. K1013 - K1015: Independence Day Picknick am 3. Juli 1982 auf dem Gelände der amerikani-schen Militärverbindungsmission in Neu Fahrland. An den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag nahmen mehrere hundert geladene Gäste teil, darunter auch Vertreter der GSSD (Generalmajor Worobjow). Die Observationsfotos des MfS zeigen Jessie G. Schatz.

Abb. K1012

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Abb. K1014156

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sowjetischen Streitkräfte in Deutschland landet ein Duplikat seiner Unterlagen auch auf dem Tisch des MfS. Das soll die Grund-steinlegung für eine 10 Jahre anhaltende Dauerüberwachung sein. Erich Mielkes Wahlspruch „Genossen, wir müssen alles wissen“ setzen die hauptamtlichen und in-offiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter des Ministeriums für Staatssicherheit im Fall Jessie G. Schatz wortwörtlich um. Mit beklemmender Akribie wühlen sie sich unbarmherzig durch alle Höhen und Tiefen seines Lebens. Kaum ein anderes Mitglied der USMLM wird jahrelang so intensiv aus-gespäht und terrorisiert wie Schatz. Dabei ist der Staff Sergeant ein vergleichsweise kleines Licht, ganz und gar unverdächtig einem der zahlreichen US-Nachrichten-dienste direkt anzugehören. Aber Schatz gerät im Berlin des Kalten Krieges, dem Haifischbecken aller Nachrichtendienste von Rang und Namen, in den Verdacht eine leichte Beute zu sein. KGB, GRU und MfS haben es auf die alliierten Militärverbin-dungsmissionen abgesehen. Die Beobach-terrolle genügt ihnen nicht. Sie wollen die Missionen nach Möglichkeit auch infiltrie-ren und sind daher mit allen Mitteln auf der Suche nach geeigneten Innenquellen. Um ihr Ziel zu erreichen, überlassen sie nichts dem Zufall. Schon wenige Monate nach der Aufnahme seiner Tätigkeit bei der USMLM stellt das Ministerium für Staats-sicherheit mit wachsendem Interesse fest, dass Jessie G. Schatz sich in seiner Freizeit höchst merkwürdigen Nebenbeschäftigun-gen und Hobbys widmet, die mit den Si-cherheitsbedürfnissen einer geheimen Ein-heit nicht so recht in Einklang zu bringen sind. Schatz erledigt seine Arbeit bei der USLM zwar ohne Anlass zur Kritik. Doch der Sergeant ist nicht nur Militäraufklärer, sondern offensichtlich auch eine verhin-derte Krämerseele vor dem Herrn. Und da jeder Krämer einen großen Lieferantenkreis und einen noch größeren Kundenkreis um sich herum versammelt, zieht solcherlei Geschäftsgebaren schnell auch andere als die gewünschten Interessenten an. Zumal wenn die Lieferanten wie bei Schatz aus

der DDR kommen und die Kunden aus dem Kreis der US-Berlin Brigade, vom kleinen Soldaten bis hinauf zum General. Die Alli-ierten bringen Geld in die geteilte Stadt und Schatz hegt den festen Vorsatz, sich mit speziell auf diese Armeekundschaft zu-geschnittenen Souvenirartikeln einen luk-rativen Nebenerwerb zu erschließen.56 Das funktioniert natürlich nur unter Umgehung deutscher Steuer- und Devisengesetze. Die Akkreditierung bei der sowjetischen Seite ist diesbezüglich eine Einladung zum Rechtsbruch, gewährt sie dem Inhaber doch Immunität vor jedweder Strafverfol-gung. Sgt. Schatz nutzt dieses Privileg auch

56 Eine Stelle bei der USMLM wurde mit den normalen Bezü-gen wie für alle anderen Militärangehörigen auch vergütet. Während der Fahrten auf dem Territorium der DDR kamen begrenzt Tagesspesen hinzu.

für seine privaten Zwecke aus. Er handelt nebenbei nun mit allem was Rendite ver-spricht. Briefmarken, Münzen, Modellei-senbahnzubehör, Glas, Porzellan, Spielwa-ren aus Taiwan, selbst gebrannte Keramik, Schachfiguren. Ganz oben auf der Beliebt-heitsskala stehen aber seine in Handarbeit gefertigten Berlin- und Alf-Uhren mit nur einem kleinen Schönheitsfehler. Die Lauf-werke sind Made in Hongkong statt Made in Germany. Trotzdem werden die Uhren bei allen militärischen Rängen als Ge-schenke sehr geschätzt. Es gibt Liefereng-pässe. Oft muss Schatz nun schon zur Kleinserienproduktion übergehen, um die große Nachfrage überhaupt befriedigen zu können. Neben dem MfS wird auch die so-wjetische Seite frühzeitig auf die Aktivitä-

Abb. K1016: Die handgefertigten „Berlin-Uhren“ von Jessi G. Schatz waren nicht nur ein Verkaufsschlager in seinem zweiten Standbein, dem Ladengeschäft „Schatzis gift world“ am Teltower Damm 39-41. Schatz bereiste neben seiner Tätigkeit bei der USMLM als fliegender Händler Trödelmärkte und unterhielt zahlreiche abenteuerliche Geschäftskontakte in die DDR. Seine emsige Geschäftstätigkeit, der ausufernde Bekannten- und Kundenkreis, die privaten und finanziellen Schwierigkeiten sowie eine ausgeprägte Leiden-schaft zum Pokerspiel lenkten rasch die Aufmerksamkeit des MfS und auch der sowjetischen Freunde auf seine Person. Schatz bekam wegen der illegalen Nebengeschäfte auch ernsthafte Schwierigkeiten mit seinem Arbeitgeber.

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Kapitel 10 – Techentin

ten des umtriebigen Feldwebels aufmerk-sam. Schon im Mai 1979, da ist er noch keine drei Monate auf der neuen Stelle, fühlt ihm ein GRU-Offizier der Außenpoli-tischen Abteilung des Stabes der GSSD ge-hörig auf den Zahn. Schatz merkt gar nicht, in welche für ihn ungünstige Richtung das Gespräch läuft. Er berichtet etwas zu of-fenherzig über seine Herkunft und die Tä-tigkeit als Fahrer bei der USMLM.57 Mögli-cherweise erweckt er damit bei den Sowjets den falschen Eindruck, einer Zusammenar-beit nicht ganz abgeneigt zu sein. Dem Sergeant haftet bisweilen eine ambivalent jugendliche Unbedarftheit an. Sie verhilft ihm bei den eigenen Kameraden zu den beiden Spitznamen „Bubi“ und „Bübchen“. Unter dem Vorwand Briefmarken tauschen zu wollen, nimmt nur wenige Monate spä-ter ein gewisser „Stefan“ Kontakt mit Schatz auf.58 Offensicht handelt es sich dabei um einen Major mit dem Tarnnamen Stepan Saweljewitsch Maltsew. Er tritt wie einige andere KGB-Offiziere gegenüber der USMLM als Mitarbeiter der Außenpoliti-schen Abteilung des Stabes der GSSD auf und spricht bis 1985 immer wieder Perso-nen aus den Missionen an.59 Maltsew be-herrscht fließend die deutsche Sprache und versteht es geschickt mit Leuten umgehen. Alle drei westlichen Missionen sind sich der Gefahren bewusst, die von den Kontak-ten mit bestimmten sowjetischen Offizie-ren ausgehen können und begegnen ihnen daher mit entsprechender Vorsicht. Maltsew interessiert sich besonders für Major Nicholson. Seine Bemühungen sind so offensichtlich, dass die anderen Tour Offiziere der USMLM schon zu witzeln be-ginnen, auch vor Nicholson, dass er nun wohl seinen persönlichen „Nachrichten-händler“ gefunden hat. Das Spiel ist für alle Beteiligten nur allzu durchsichtig. Auch dem sowjetischen Geheimdienst ist bewusst, dass Anwerbungsversuche bei dem Personal der westlichen MVM mehr oder weniger aussichtslos sind. Probiert

57 Bericht IMV „Manfred“ BStU, MfS, HA VIII Nr. 7273, S. 2558 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7275, S. 21259 Diese Ansprachen erfolgten vor allem auf Empfängen.

wird es trotzdem. Durch den Kauf eins Ge-brauchtwagens knüpft der kontaktfreudige Schatz engere Bande zu dem Inhaber von „Harrys used Cars and Service Automobile“ unweit der amerikanischen Abhörstation in Marienfelde. Der Händler hat sich auf die autovernarrte amerikanische Kundschaft spezialisiert. Dank steuerlicher Sonderbe-handlung60 sind die Fahrzeuge für die Alli-ierten in Berlin ein Schnäppchen. Die Ge-schäfte florieren. Fortan setzt Schatz seine militärischen Kontakte auch für die Ver-mittlung von Autokäufen durch GIs ein. Er rückt damit völlig ahnungslos in die Nähe des Dunstkreises der HV A. Die DDR-Aus-landsaufklärung hat seit 1982 zwei Top-Quellen an strategisch bedeutsamer Stelle beim Gegner platzieren können. Das Team Hüsseyin Yildirim (Tarnname „Blitz“) und James W. Hall III (Tarnname „Devil“)61 lie-fert ab 1982 für stattliche Agentenlöhne streng geheime Unterlagen der amerikani-schen Abhörstation Teufelberg an den Os-ten. Hall arbeitet auf der Field Station Ber-lin. Er hat direkten Zugang zu den Verschlusssachen und liefert sie über Yildi-rim an die HV A. Yildirim ist der Werber von Hall und betreibt als Kfz-Meister eine Schrauberwerkstatt namens „Auto Craft Shop“. „The Meister“ ist auf den Berliner Kasernenfluren eine allseits bekannte und beliebte Größe. Yildirim kennt viele Mili-tärangehörige, die ihren Dienst in streng geheimen amerikanischen Einrichtungen versehen und versucht sie für die HV A an-zuwerben. Zwischen beiden Autowerkstät-ten, „Harrys used Cars and Service Auto-mobile“ und dem „Auto Craft Shop“, bestehen zu dieser Zeit rege geschäftliche Verbindungen. Auch Sgt. Schatz kauft im Shop des Meisters und „Meisterspions“ Yil-dirim regelmäßig Ersatzteile, Zündkerzen und Öl. Das MfS betreibt von Anbeginn ei-nen ungewöhnlich großen Aufwand zur Abschöpfung von Sgt. Schatz. Die Interes-sen richten sich gezielt auf seine dienstli-chen, privaten und nebengeschäftlichen

60 Den Alliierten wurde auf Antrag die Mehrwertsteuer erstattet.

61 Zuerst als „Devil“, später auch unter den Tarnnamen „Ronny“ und „Paul“ für die HV A tätig.

Verbindungen. Im Fall der „Auto-Connec-tion“ genügt dem MfS selbst die Überprü-fung und Aufklärung der Kontaktpartner nicht. Es werden zusätzlich weitere inoffi-zielle Mitarbeiter im Umfeld angeworben, die nun ihrerseits die Kontaktpartner von Schatz bespitzeln.62 Leichtfertig tappt Schatz von einer unglücklichen Situation in die nächste. Das MfS ist in tagebuch-ähnlicher Ausführlichkeit stets mit von der Partie. Wenn der Familienvater dienstfrei hat, zieht es ihn an den Wochenenden als fliegenden Händler auf die Berliner Trödel-märkte. Dort verdient er nicht nur an zwei Tagen soviel Geld wie bei der Army in zwei Monaten, sondern lernt auch zahlreiche interessante Menschen kennen. Ausge-rechnet die Bekanntschaft mit einer Frau, die ihm stets freundliche Augen macht und Waren reserviert, beschert ihm allerdings gewaltigen dienstlichen Ärger. Diese Frau spricht Schatz nämlich nach längerer Zeit63 unvermittelt darauf an, ob er sich nicht 50 000 DM verdienen wolle. Das hat mit dem Trödelmarktgeschäft nun nichts mehr

62 Die Anzahl der Suchaufträge in der Personenakte von Jessie G. Schatz lässt den Schluss zu, dass das MfS nicht nur aus eigenem Interesse, sondern auch auf Veranlassung des KGB derart ausufernde Personenüberprüfungen einleitete. Dazu wurden jeweils separate Vorgänge beim MfS angelegt. DieÜberwachung dehnte sich in Einzelfällen selbst auf das weitere Umfeld dieser Kontaktpartner aus.

63 Zeitraum ca. 1981/82

Abb. K1017: Portrait von Ssgt. Jessie G. Schatz, aufgenommen im Frühjahr 1985 vor der USMLM-Villa im Föhrenweg 19-21.

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gemein. Mehr als eine Woche läuft er mit dem Gedanken dieser gewaltigen Summe Geld im Kopf umher und der Tatsache, dass er ständig mit seinem privaten Auto un-kontrolliert über die Grenze nach Ostberlin fahren kann. Die Frau vom Trödel möchte, dass Schatz Flüchtlinge schmuggelt. Schatz wird nur deshalb misstrauisch, weil sie sehr gut über seine Tätigkeit bei der USMLM in-formiert zu sein scheint. Ein wenig zu gut für eine einfache Händlerin vom Trödel-markt. Schatz berichtet gegenüber einer inoffiziellen Mitarbeiterin des MfS Jahre nach dem Vorfall etwas zweideutig: „Du weißt, wo nur irgendwie eine Mark neben-bei ist, da bin ich zu haben. Es kann auch etwas schmutzig sein, aber nicht so, dass es meiner Laufbahn schadet.“ Aus Angst, bei der Ansprache durch die Frau vom Trö-delmarkt könnte es sich um eine Falle der eigenen Spionageabwehr handeln, die sei-ne Zuverlässigkeit überprüfen will, geht Schatz zu Col. Randall A. Greenwalt. Er er-zählt seinem Chef von dem ungewöhnli-chen Angebot der Frau. Nun bekommt er es tatsächlich mit der US-Spionageabwehr zu tun.64 Was folgt sind jede Menge unange-nehme Fragen. Schatz zieht seine eigenen Lehren aus der hochnotpeinlichen Proze-dur. Für den Wiederholungsfall beschließt er künftig zu schweigen.65 Im März 1982 steigen Schatz die nebengeschäftlichen Anfangserfolge zu Kopf. Er schmiedet Plä-ne für eine weitere Professionalisierung und eröffnet schließlich ein eigenes Laden-geschäft „Schatzis gift world“ am Teltower Damm. Zusätzlich verkauft er seine Pro-dukte nun auch in den Westberliner Shops für Militärangehörige. Doch die Geschäfte entwickeln sich nicht wie erhofft. Die In-vestitionen übersteigen die Einnahmen. Das Kapital ist gebunden. Ihm gehen die liquiden Mittel aus. Zu seiner anstrengen-den Tätigkeit bei der USMLM treten nun

64 Die US-Spionageabwehr steckte nicht dahinter. Das MfS auch nicht, es versuchte vielmehr vergeblich, etwas über diese Frau in Erfahrung zu bringen. Entweder war sie tat-sächlich Teil eines Netzwerks professioneller Westberliner Fluchthelfer oder Mitarbeiterin eines anderen Geheimdiens-tes, um ihn zu ködern.

65 Bericht IM „Inge Kater“ (vom 20.11.85, bezieht sich rückbli-ckend auf die Zeit seiner 1. Akkreditierung). BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 136

auch noch die geschäftlichen Schwierig-keiten hinzu. Auf dem Familienvater lasten weitere kleine und große Alltagssorgen. Die Rolle als aufopferungsvoller Ehemann konterkariert Schatz durch private Fehltrit-te. Der Haussegen hängt deshalb gewaltig schief. Im August 1982 stirbt auch noch seiner Großmutter in Offenbach, was ihn zusätzlich schwer belastet. Die Beerdigung in der Bundesrepublik wird teurer als er-wartet. Schatz muss dringend Geld be-schaffen, um die noch ausstehenden Schulden bezahlen zu können. Was sich nicht durch die Arbeit oder seine Nebentä-

tigkeiten erwirtschafteten lässt, versucht er fatalerweise durch Spielglück auszuglei-chen. Der Sergeant pokert für sein Leben gern. Doch das Geld rinnt ihm dabei wie Sand durch die Finger. Aus der anfängli-chen Leidenschaft werden bald regelmäßi-ge Pokerabende im Hause Schatz. Eine Zo-cker-Gesellschaft mit bis zu 14 wechselnden Teilnehmern trifft sich monatlich bei ihm. Gespielt wird nicht nur um kleine Beträge. Bei der US-Spionageabwehr würden sicher die Alarmglocken schrillen, wenn sie von den Veranstaltungen überhaupt wüsste oder – noch schlimmer – um die Zusam-

Abb. K1018: IMS „Steinfurt“ nahm für das MfS Anfang September 1982 den Laden von Jessie G. Schatz unter die Lupe. Aus dem Briefkasten von „Schatzis gift world“ war ein Brief mit Kontoauszügen herausge-fallen, den der IM entwendete. Wie in vergleichbaren Fällen üblich, machte er sich nicht einmal die Mühe nur den Inhalt zu kopieren und den Brief dann unbemerkt zurückzugeben. IMS „Steinfurt“ behielt direkt das Original für die Akte ein. Das ist nur ein konkretes Beispiel für die vielen hinterhältigen Eingriffe des MfS in die Privatsphäre der Familie Schatz.

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Kapitel 10 – Techentin

mensetzung der illustren Runden. Dort spielen unter MfS-Überwachung stehende Westberliner Bekannte und Geschäftspart-ner von Schatz mit Militärangehörigen der Abhörstationen Teufelsberg und Marien-felde, USMLM, JAROC (B), Army Communi-ty Service, BARTCC, Signal Support Com-pany oder dem Hausmeister des Gäste-Hauses der CIA. Dank abgehörter Telefonate ist das MfS stets bestens über die Teilnehmer unterrichtet. Die US-Spio-nageabwehr schläft derweil den Schlaf der Gerechten. Der Herbst 1982 bläst Schatz dann einen kräftigen Wind ins Gesicht. Al-les scheint schief zu laufen. Er muss sein Ladengeschäft am Teltower Damm schlie-ßen und ist wirtschaftlich völlig ruiniert. Sein Abstieg scheint sich unaufhaltsam fortzusetzen. Im Dezember 1982 wird selbst das MfS von Schatz plötzlicher In-haftierung durch die amerikanische Mili-tärpolizei (MP) überrascht. Der Hintergrund ist ein anderer als zunächst vom MfS an-genommen.66 Nicht Steuerhinterziehung, sondern Urkundenfälschung und Betrug gegenüber der eigenen Dienststelle werden ihm zum Vorwurf gemacht. Schatz soll mehr als die tatsächlich geleisteten Fahrt-stunden aufgeschrieben haben und damit die Army wirtschaftlich geschädigt ha-ben.67 Pikant daran ist, dass Schatz gegen-über einem IM des MfS auch anderen USMLM-Offizieren eine Beteiligung an den Manipulationen der Fahrtenbücher unter-stellt. Der ermittelnde Offizier kommt da-gegen zu der Feststellung, dass allein Schatz für die gefälschten Daten verant-wortlich ist. Dafür muss er sich gerichtlich verantworten. Er wird degradiert und in die

66 „Inoffiziell wurde bekannt, dass Schatz im November 1982 durch die US-Militärpolizei in Westberlin inhaftiert wurde. Zur Last wurden ihm unerlaubte Geschäfte und Steuerhinterziehung gelegt im Zusammenhang mit seiner nebengeschäftlichen Handelstätigkeit. Durch operative Maßnahmen wurden verschiedene Beziehungen des Schatz im Operationsgebiet gestört und verunsichert. Diese Aktivitäten trugen mit zur Durchführung der Untersu-chungsmaßnahmen der MP gegen Schatz bei. Im Dezember wurde Schatz in die USA überführt. Er soll dort vor ein Gericht gestellt werden. Seine Möbel u. a. Wertgegenstände wurden durch die Transportfirma ATG Westberlin an die Anschrift Fort Still, Oklahoma City/USA überführt. Fort Still soll der neue Stationierungsort von Schatz sein.“ BStU, MfS, HA VIII Nr. 7273

67 Die USMLM gewährte pro Fahrt in die DDR Tagesspesensätze.

USA zurückversetzt. Ironie des Schicksals: Die Rückführung seiner Habseligkeiten an den Ort der Gerichtsbarkeit stellt bereits einen weiteren Schmuggel dar. Allein fünf große Kisten bringen insgesamt stattliche 800 kg Übergepäck auf die Waage. Der In-halt ist in der DDR erworbenes Glas, Por-zellan und Alabasterfiguren. Vor einem Militärtribunal in den USA kommen nun auch noch die hinterzogenen Steuern für sein Ladengeschäft „Schatzis gift world“ zu Ungunsten des Berliner Fiskus zur Sprache. Es wird eng. Schatz schrammt knapp an einer Gefängnisstrafe vorbei. Sein Stiefva-ter zahlt schließlich die Kaution, um ihn aus der Sache herauszuholen. Danach bre-chen harte Zeiten an. Neben seiner Tätig-keit beim Militär versucht Schatz sich und seine Familie durch den Verkauf von Pizzen über die Runden zu bringen und die Schul-den abzustottern. Überraschend bekommt Jessie 1984 eine zweite Chance einge-räumt. Seine erneute Bewerbung bei der USMLM wird positiv beschieden. Er darf sich wieder bewähren. Nicht zuletzt Dank einflussreicher Fürsprecher, bei denen er noch etwas gut hat.68 Selbst das MfS zeigt sich über seine Rückkehr erstaunt, bewer-tet die Wiedereinstellung aber unter einem anderen Gesichtspunkt: „In den US-Streit-kräften besteht eine Weisung seit der Amtsübernahme von Präsident Reagan, wonach qualifizierte Kräfte der Special Forces reaktiviert werden, um Ausbildungs-kosten und -zeit zu sparen und um auf vorhandene Fähigkeiten zurückgreifen zu können. Unter diesem Aspekt ist auch der Neueinsatz des Ssgt. Schatz einzuordnen.“69 Sofort wird auch die Überwachung wieder aufgenommen, selbst wenn Schatz in den ersten Monaten überkorrekt seiner Arbeit nachgeht und die Nebenbeschäftigungen vorerst ruhen lässt. Die Disziplin ist aber nur von kurzer Dauer. Auf einen Rückfall in

68 Schatz leistete stets tadellose Arbeit als Tour-Fahrer bei der USMLM. In einer riskanten Operation gelang es ihm zusammen mit einem Offizier wichtige Informationen zu beschaffen, die später im Jahrbuch „Soviet Military Power“ veröffentlicht wurden. Nach Auffassung der Fürsprecher verdiente er neben seinen Leistungen für die USMLM auch wegen seiner schwierigen persönlichen Situation eine zweite Chance.

69 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 182 f.

die alten Verhaltensmuster setzen auch seine Verfolger. Das MfS entwirft am 6.2.1985 einen neuen „Maßnahmenplan zur Bearbeitung des Angehörigen der USA-MVM Ssgt. Schatz.“ Die vorrangige Ziel-stellung besteht „... in der weiteren geziel-ten Abschöpfung des Ssgt. Schatz während seines Aufenthalts im MVO70 durch die dort eingesetzten inoffiziellen Kräfte, besonders auch in der Hinsicht, für welche Zivilbe-schäftigten zeigt er ein besonderes Inter-esse und welche Angaben kann er durch diese für die MVM erarbeiten. In der weite-ren Klärung des Charakters sowie die Prü-fung der operativen Nutzbarkeit seiner Verbindungen und Kontakte zu den Perso-nen (geschwärzt) und (geschwärzt) über deren DDR-Verbindungen. Herausfilterung weiterer Verbindungen und Kontakte des Schatz mit dem Ziel der Prüfung, ob geeig-nete Abschöpfungslinien aufgebaut wer-den können. In der Herausarbeitung von persönlichen Ansatzpunkten zu Schatz und seiner Frau, die für die Kompromittierung geeignet sind. In der Feststellung der Über-wachung relevanter Aufklärungshandlun-gen und -absichten, vor allem solcher, die auf die Realisierung von speziellen Aufträ-gen hindeuten.“71 Im Objekt der US-MVM Neu Fahrland setzt das MfS auf Schatz di-rekt die IMS „Inge Kater“ und „Rudi Bell-mann“ an. Die Bearbeitung der „Auto-Con-nection“ übernehmen die GMS „Biene“ und „Alexander“. Alle seine Verbindungen, Kon-takte und Beziehungen in das Operations-gebiet werden durch abgehörte Telefone von der Linie 26 kontrolliert. Dazu kommen nach Notwendigkeit Ermittlungen im Ope-rationsgebiet, die Überprüfung aller be-kannten Verbindungen in den Speichern des MfS und die Rückinformation an alle Beobachtungsreferate bei Fahrten mit be-stimmten Schwerpunktoffizieren. Regel-mäßig werden Sachstandsberichte erarbei-tet.72 Die verhängnisvolle Fahrt nach Techentin und der Tod von Major Nichol-son am 24. März 1985 bringen auch für

70 MVO – Abkürzung des MfS für das Objekt der Militärver-bindungsmission in Neu Fahrland.

71 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 57 ff. 72 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 59 f.

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Abb. K1019: Generalleutnant Charles J. Fiala, Stabschef der US Army Europe und verantwortlich für die Untersuchungen im Fall Nicholson, lud Ssgt. Schatz zum Essen ein. 161

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Kapitel 10 – Techentin

den zwischenzeitlich wieder zum Ssgt. be-förderten Schatz einschneidende Verände-rungen mit sich. Schatz macht sich nach dem Schock der ersten Tage schwere Vor-würfe, eine Mitschuld am Tod von Nichol-son zu tragen, obwohl Nicholson als Offi-zier der Tour für sein Handeln auf der ganzen Linie selbst verantwortlich war. Das wird Schatz von seinen Vorgesetzten auch immer wieder bestätigt.

Drei unterschiedliche Schilderungen des Tatablaufs in Techentin schnapp-ten die IM des MfS in den Monaten März und April 1985 im Objekt der US-MVM auf. Schatz selbst er-zählte IM „Rudi Bellmann“ am Tag nach dem Vorfall von drei abgefeu-erten Schüssen. Der erste Schuss galt Schatz, der sich zu diesem Zeitpunkt außerhalb des Fahrzeugs befand und sich in das Auto retten konnte, die beiden anderen Schüsse zielten auf Nicholson.73 IM „G. Krause“ fragte am 1. April 1985 Major Wise nach den Abläufen. Dieser berichtete da-von, dass der sowjetische Posten drei Schüsse abgab. Der erste traf nicht, der zweite tötete Nicholson, der dritte galt Schatz, als dieser helfen woll-te.74 Erneut berichtete IM „G. Krau-se“ nach einem Gespräch mit Schatz am 18. April 1985. Demnach befand sich Schatz 200 m von der Panzer-halle entfernt und konnte Nicholson nicht zurufen, da er sich nach dem ersten Schuss ins Auto hatte fallen lassen. Schatz habe nach dem Zwi-schenfall keine ruhige Minute mehr gehabt und hätte sechsmal in den Staaten aussagen müssen.75

Durch die gewaltige politische Aufmerk-samkeit und den einsetzenden internatio-nalen Presserummel im Fall Nicholson sieht sich die USMLM in ihrer Arbeit behindert. Das Erfolgsrezept aller Missionen beruht schließlich auch darauf, möglichst wenig öffentliches Interesse auf die eigene Arbeit zu lenken. Damit wird es nun für die nächs-

73 IM „Rudi Bellmann“ 25. (24.) März 1985 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 78

74 IM „G. Krause“ 1. April 1985 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 78 f.

75 IM „G. Krause“ 18. April 1985 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 82

ten Jahre vorbei sein. Da die Amerikaner im Zuge der einsetzenden Untersuchungen um den Tod von Major Nicholson gegenüber den Sowjets immer wieder durchblicken lassen, dass eine Ausweisung von Schatz76 mit Gegenmaßnahmen bei der sowjeti-schen Militärverbindungsmission in Frank-furt beantwortet werden würde, entsteht eine Pattsituation. Die Rückendeckung von höchster Stelle zeigt Wirkung. Schatz wird die Akkreditierung nicht entzogen. Trotz-dem beschließt die USMLM, ihn aus der Schusslinie zu nehmen und keinen weite-ren Risiken mehr auszusetzen. Auf eigenen Wunsch geht er vorläufig auch nicht mehr auf Fahrten in die DDR, denn ihn plagen panische Ängste vor den Sowjets und auch Bedenken, dass diese auch seiner Frau und den Kindern etwas antun könnten. Schatz äußert gegenüber dem Chef der USMLM

76 Schatz als direkt Beteiligter und auch die anderen in der Tatnacht nach Techentin gerufenen Mitglieder der USMLM (Col. Lajoie, LtCol. Kelley, Sgt. Everett) gingen wegen der lautstarken Auseinandersetzungen mit der SERB und dem Stabschef der GSSD fest davon aus, zur persona non grata erklärt zu werden. Dazu kam es aber nicht. Es wurde auch keine explizite Drohung der GSSD gegenüber Schatz ausgesprochen.

den Wunsch, Wirtschaftsleiter im Potsdam House werden zu wollen.77 Dieser Posten wird ihm in Stellvertreterfunktion ab De-zember 1985 zugewiesen.78 Jessie kämpft nun zunehmend auch mit gesundheitli-chen Problemen. Die Fitnessnormen der US-Army kann er kaum noch erfüllen.79 Hätten nicht weiterhin seine Vorgesetz-ten die Hand schützend über ihn gehalten, wäre sein Ausscheiden aus der Mission unvermeidbar gewesen. Schatz kann in der neuen Funktion als „Hauschef“80 auf die Er-fahrungen aus seiner nebengeschäftlichen Tätigkeit zurückgreifen. Als Organisations-talent macht er seine Aufgabe sehr gut. So gut, dass sich das Verhältnis mit den DDR-Zivilbeschäftigten erheblich verbessert. Die IM-Berichte sind voll des Lobes für Schatz Neuerungen. Er bemüht sich, jedem Zivil-

77 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 11778 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7274, S. 18079 Schatz litt an einem Herzfehler. Seine Kameraden kamen

bereits Mitte der 80er Jahre zu der Einschätzung, dass er seine Gesundheit arg vernachlässigte. Die US-Army wollte ihn 1988 an eine andere Stelle in den Staaten versetzen. Lediglich ein Verwaltungsfehler bewahrte Schatz davor. Er hatte kurz zuvor eine Vertragsverlängerung bis 1991 unterschrieben.

80 Diese Funktion übernahm er offiziell erst ab dem Sommer 1986.

Abb. K1020: Auszug aus den wenigen nicht geschwärzten Teilen des Chief of Staff for Intelligence-Jahres-berichts der US Army 1988/89 mit Angaben zu den Ermittlungen gegen WO James W. Hall III wegen Spionage für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR.

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beschäftigten zum Geburtstag ein kleines Geschenk zukommen zu lassen. Bei der US-Army versucht er zusätzlich finanzielle Mittel für einen Wettbewerb „bester ziviler Mitarbeiter“ aufzutreiben. Auch kleinere Geschäfte wickelt er für das DDR-Personal ab. Aus Westberlin bringt er für sie auf Be-stellung Radios, Medikamente und Spiel-zeug mit. Doch gedankt wird ihm dieses Engagement nicht. Im Gegenteil. In ihrer Funktion als inoffizielle Mitarbeiter des MfS nutzen die Zivilbeschäftigten Schatz Hilfsbereitschaft und Gutmütigkeit scham-los aus. Seine Kleidung wird durchwühlt. Geld, private Briefe, dienstliche Notizen und Kreditkartenbelege werden gestohlen. Selbst der Abdruck seiner Stiefelsohle lan-det auf dem Schreibtisch des MfS, ganz so, als wäre er der Staatsfeind Nummer eins. Schatz zieht als Wirtschaftsleiter in die nach Major Nicholson benannte Villa auf dem Grundstück der USMLM in Neu Fahr-land ein und tätigt erneut Nebengeschäfte. Wie das MfS bereits richtig voraussieht, reaktiviert er dafür zahlreiche Kontakte aus der Zeit seiner ersten Akkreditierung. In der Villa Nicholson wird eine kleine Werkstatt eingerichtet und Schatz verlegt seine Uh-renproduktion dorthin. Das MfS hat nun alle Hände voll damit zu tun, das gesamte Schatzsche Lieferantennetz unter Kontrolle zu halten. Dann startet das KGB einen ag-gressiven Anwerbungsversuch bei Schatz. Dieser scheitert zwar, aber der Umworbene reagiert in den Folgemonaten zunehmend misstrauisch und wittert an jeder Ecke Ver-rat. Mit ungeschicktem Aktionismus ver-sucht er den Spieß umzudrehen. Er fängt an, sich im Dunkeln an den VP-Posten vor dem Missionsgebäude anzuschleichen, um nach vermeintlichen Verfolgern Ausschau zu halten. Jetzt fühlt sich der VP-Posten von Schatz kontrolliert. Die Zivilbeschäfti-gen versucht er offensiv zu verunsichern, indem er ihnen erklärt, die USMLM wüsste genau über ihre Zuträgerschaft zum KGB und MfS Bescheid. Schatz gibt gegenüber einer Zivilbeschäftigten zu erkennen, dar-über informiert zu sein, dass sie persönlich für seine Bespitzelung zuständig sei. Damit

ist die inoffizielle Mitarbeiterin des MfS faktisch enttarnt. Schatz wird im Aufde-ckungseifer nun auch auf die schon seit Jahren andauernden telefonischen Nach-stellungen durch Unbekannte in seinem persönlichen und geschäftlichen Umfeld aufmerksam.81 Es sind Personen des MfS, die sich als Mitarbeiter amerikanischer Dienststellen ausgeben und Informationen über Schatz und seine Familie einholen. Wie beiläufig lassen sie gegenüber sei-nen Geschäftspartnern durchblicken, dass Schatz ein unsicherer Kantonist mit man-gelnder Zahlungsmoral sei. Mit diesen Dif-famierungen will ihm das MfS wirtschaft-lichen Schaden zufügen. Der Psychoterror am Telefon reicht auch bis in den Privatbe-reich der Familie Schatz hinein.

Das sowjetische Vorgehen gelangte auch dem MfS zur Kenntnis. Zitat: Nach „... Angaben von Schatz ge-genüber verschiedenen Quellen (ZB, VP, Anwohner) habe ihn die sow-jetische Seite unter Nutzung seiner Geschäftsaktivitäten anwerben und zum Agenten machen wollen. Vorge-hen: Anruf des Schatz in Westberlin auf seinem Privatanschluß und Ver-einbarung eines Trefftermins. Schatz: Der Privatanschluß steht in keinem Telefonbuch und nur seine Freunde kennen die Nummer. Nutzung die-ses Treffs zu bestimmten Angeboten des Kaufs von Souvenirartikeln, die Schatz herstellte. Aufsuchen des Schatz im USA-MVM Objekt in Pots-dam mit Preisgabe ihrer Interessen, Besorgung britischer und französi-scher Telefonbücher für 700 Dollar. Nach dem Anruf informierte Schatz seine Vorgesetzten, die die Abwehr einschalteten und den Kontaktpart-ner fotografierten. Schatz gab ge-genüber den DDR-ZB zu verstehen, dass einer, der die Sache mit Major Nicholson mitgemacht habe, nicht für diese Seite spioniert. Er sei zwar nicht der beste Amerikaner. Er brau-che zwar Geld, aber die angebotenen 700 Dollar bekäme er alle 14 Tage von der US-Army. Was sich die Sow-jets geleistet haben sei in seinen Au-

81 Die Anrufe gingen eindeutig von der HA VIII/5 des MfS aus, wie der Personenakte von Schatz zu entnehmen ist. BStU, MfS, HA VIII Nr. 7273/7274/7275

gen etwas primitiv, denn man sollte auch bedenken, wie hoch die Strafen seien und man sollte gut überlegen. MVM-Chef Col. Halloran bezeichne-te die Angelegenheit als lächerlichen Rekrutierungsversuch und er selbst kümmerte sich in der Folgezeit per-sönlich um Schatz. Halloran legte bei der SERB deswegen Protest ein.“82

Die langen Schatten des Nicholson-Zwi-schenfalls holen Schatz bis zu seinem Aus-scheiden aus der USMLM immer wieder ein. Er freut sich zunächst riesig, als eine Delegation der GSSD 1988 erstmals im Rahmen eines Besuchs der USMLM wieder die Villa Nicholson betritt und dort an ei-nem Arbeitsessen teilnimmt.83 Doch seine persönlichen Hoffnungen auf eine Norma-lisierung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen in dieser Angelegenheit wer-den dann herb enttäuscht. Die Vorstellung aller Mitarbeiter der amerikanischen Missi-on gegenüber der sowjetischen Abordnung gerät zu einem Desaster. Als die Reihe an Schatz ist, verfinstert sich das Gesicht des anwesenden sowjetischen Generals und er wendet sich wortlos von ihm ab. Dafür halten ihm die eigenen Leute die Treue. General Charles J. Fiala lädt ihn sogar zum Essen ein.

Die Aversionen wollte das MfS auf beiden Seiten ausgemacht haben, wie einem Spitzelbericht aus der Missi-on zu entnehmen ist: „Im Einschät-zungszeitraum wurde sichtbar, dass Ssgt. Schatz gegenüber Kontakten mit Angehörigen der GSSD eine Ab-neigung besitzt, die sich nach dem bereits dargelegten Anwerbeversuch verstärkt hat. Im MVM-Objekt un-terhält er nur kurze notwendige Kon-takte, besonders wenn die Lebensmit-tellieferung erfolgt und er quittieren muss. Schatz selbst hat auch Angst vor bestimmten Maßnahmen der GSSD ihm gegenüber, besonders bei Fahrten nach Potsdam bzw. West-berlin. In diesem Zusammenhang ist das Bestreben von Schatz zu sehen,

82 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7275, S. 5 83 Nach dem Nicholson-Zwischenfall weigerten sich sowje-

tische Vertreter jahrelang, die nach Nicholson benannte USMLM-Villa in Neu Fahrland zu betreten.

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Kapitel 10 – Techentin

nicht wieder als Aufklärungsfahrer eingesetzt zu werden, da er befürch-tet, daß ein sogenannter Unfall von sowjetischer Seite provoziert werden könnte, den sie dann nutzen, um ihn auszuweisen. Schatz brachte zum Ausdruck, dass ihm bewusst ist, daß er in gewisser Weise einen Spielball zwischen den beiden Seiten – USA/UdSSR – darstellt und die Sowjets ihn gern loswerden möchten, da er ja der Mitwisser der Tötung von Major Ni-cholson ist. In den USA erschien ein Buch über die Erinnerungen der Frau Nicholson an ihren Mann und seine Tätigkeit.84 1987 stellte der bekann-te Stars and Stripes Journalist Jack Anderson85 Ermittlungen an, um den Fahrer von Major Nicholson – Ssgt. Schatz – ausfindig zu machen. An-derson plante eine Artikelserie über den Nicholson-Vorfall. Er hatte dafür ebenfalls Kontakt mit Frau Nichol-son aufgenommen. Die Ehefrau von Schatz weiß um die Absichten und ist an den Modalitäten interessiert. Sie kennt auch das Buch von Frau Nicholson mit dem Titel „Überleben einer Frau“ und ist der Meinung, daß sie mit der Story Geld verdie-nen kann. Schatz selbst erklärte, daß er zu einer Veröffentlichung seines Wissens keine Erlaubnis habe. Dafür hätte er Unterschriften leisten müs-sen. Erst nach seinem Ausscheiden aus den Streitkräften kann er dazu seine Erinnerungen bringen. Schatz instruierte seine Frau hinsichtlich ihres Verhaltens, damit nicht bekannt wird, wo er wohnhaft ist. Gleiches sollte er mit seiner Tochter bespre-chen. Hierzu muß erwähnt werden, daß Schatz an seiner Klingel unter seiner Westberliner Wohnanschrift keinen Namen vermerkt hat.“86

1988 hat Schatz seine Finanzen soweit wieder konsolidiert, dass er erneut den Schritt zur Öffnung eines Ladengeschäfts

84 Hier irrt der IM des MfS oder hat etwas komplett falsch verstanden bzw. wiedergegeben. Ein solches Buch von Frau Nicholson ist nie erschienen.

85 Jack Anderson war kein Journalist der „Stars and Stripes“, sondern ein politischer Kommentator, dessen Beiträge über Jahrzehnte hinweg regelmäßig in verschiedenen Zeitungen der USA erschienen. Er war auf politische Enthüllungen spezialisiert. Gemeinsam mit dem Co-Autor Dale Van Atta veröffentlichte er eine sechsteilige Serie. In einem Teil ging es um die Tötung von Major Nicholson. Schatz fand darin namentlich Erwähnung.

86 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7275, S. 5 ff.

wagt. Er nennt ihn „Deutsch-amerikani-scher Shop“.87 Die Geschäfte laufen nun in stabileren Bahnen. Schatz lässt sich steu-erlich beraten, um nicht erneut mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Der USMLM-Chef ist über die Geschäfte informiert. Nur noch ausnahmsweise geht Jessie G. Schatz auf Fahrt und begleitet beispielsweise 1988 LtCol. Evans auf dessen letzter Auf-klärungstour.88 Ssgt. Schatz verlässt im Ap-ril 1989 die USMLM89 und wechselt an das Volksfest Branch Public Affairs Office US-COB. Die Organisation des deutsch-ame-rikanischen Volksfestes in Berlin ist seine künftige Aufgabe. Der Posten scheint wie für ihn geschaffen. Der letzte MfS-Bericht in der Personenakte von Jessie G. Schatz datiert auf den 21.6.1989. IM „Inge Kater“ berichtet darin über die Beförderungsfeier von Col. Govan zum General am 13.6.1989 im Potsdam House. Auch Jessie weilt zu-sammen mit seiner Frau Wanita als nun-mehr Ehemaliger unter den geladenen Eh-rengästen.90 Nach der Wiedervereinigung

87 Der Laden befand sich in der 1 Berlin 37, Neue Straße 3 b. 88 Eine Kurzfahrt am 21. und 22.1.1988

von 18.12 Uhr – 2.15 Uhr.89 Schreiben vom 14. April 1989. BStU, MfS, HA VIII Nr.

7275, S. 49090 BStU, MfS, HA VIII Nr. 7275, S. 499

möchte Schatz gern für immer in Berlin bleiben. Doch seine Familie hat Heimweh und will unbedingt in die Vereinigten Staa-ten zurückkehren. Der Familienvater gibt schließlich dem Drängen von Frau und Kin-dern nach. Im Alter von nur 42 Jahren stirbt Schatz 1996 in den USA. Sein Grab befindet sich auf dem Memory Park Cemetery in Milton, Santa Rosa County, Florida. Einen Antrag auf Einsicht in seine Stasi-Unterlagen hat er nie gestellt.

Im Verlauf der Ermittlungen um den Tatablauf und seine Hintergründe erbat das KfS alle im MfS verfüg-baren Informationen zu Nicholson, um in den Verhandlungen mit der amerikanischen Seite auf der Ebene der Stabschefs so viel Belastungsma-terial wie möglich präsentieren zu können. Bei der Spionageabwehr des MfS als vorwiegend informations-empfangende Einheit lagen nur sehr wenige und zudem veraltete Erkennt-nisse zur Person Nicholson vor.91 Die HA II hatte zu keinem Zeitpunkt sei-ner Akkreditierung bei der USMLM ein besonderes Augenmerk auf ihn gerichtet. Informationen über die

91 Zwei Signaturen in der Zentralen Materialablage der HA II/AKG-VSH: ZMA 020717 und 032367. vgl. Fußnote 1

Abb. K1021: Zielkontrollauftrag vom 10. August 1984 mit der Lauftzeit „S“, also zeitlich unbegrenzt, zur Überwachung der Westberliner Telefonnummer 8326470. Bei dieser Nummer handelte es sich um den Privatanschluss der Familie Nicholson.

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Abläufe in Techentin ließen sich in-nerhalb der HA II überhaupt nicht durch eigene Erkenntnisse abstützen. Entsprechend abenteuerlich und grob verzerrend fiel die Auswertung der Drittquellen aus. Mit den tatsäch-lichen Abläufen stimmten sie kaum noch überein. „In der HA II liegen zum Tathergang folgende Hinweise vor. Die bisher in der HA II vorlie-genden Erkenntnisse stützen sich im wesentlichen auf die Erklärung der Botschaft der UdSSR in den USA. Der Vorfall ereignete sich in einem MVM-Sperrgebiet bei Techentin im Kreis Ludwigslust an einem Objekt der GSSD, in dem sich moderne Kampftechnik befindet. Nach Hin-weisen der HA II/4 kehrten sowjeti-sche Fahrzeuge vom Übungsgelände in das Objekt zurück. Das Fahrzeug der MVM näherte sich dem Objekt und fotografierte die zurückgeführte Kampftechnik. Durch die sowjeti-schen Abwehrorgane wurde uns be-kannt, daß das gesamte Vorkommnis vom zweiten MVM-Angehörigen fo-tografisch festgehalten wurde. Es er-folgte die Festnahme dieses Aufklä-rers. Die Filmnegative konnten durch die sowjetischen Genossen sicherge-stellt werden. In den Speichern der HA II/AKG liegen zu dem Angehöri-gen der US-MVM Nicholson, Arthur folgende Hinweise vor. Im März 1981 beabsichtigte eine Gruppe von Ange-hörigen einer in Garmisch-Partenkir-chen/Breitenau stationierten Einheit der US-Armee für 7 Tage zu einem Touristenaufenthalt in die VR Polen zu reisen. Darunter befand sich auch der Nicholson, Arthur D., Jr. geb. 7. 6. 1947, Dienstrang Hauptmann. Es ist nicht auszuschließen, daß es sich bei der Reisegruppe um Angehöri-ge des in Garmisch-Partenkirchen befindlichen US-Army Russian In-stitute handelte. Dieses Institut be-schäftigt sich mit „Osteuropafragen“ und hat Verbindung zu Dienststellen des US-Geheimdienstes. In diesem Institut werden u. a. Diplomaten vor ihrem Einsatz in sozialistischen Ländern geschult und ausgebildet. In einer Analyse der HA VIII/5 über Bewegungen und Handlungen der Angehörigen der drei westlichen MVM im Gebiet der DDR wurde N.

Abb. K1022: Major Nicholson wohnte mit seiner Familie während der Zugehörigkeit zur USMLM in der Ripleystraße 12, nur wenige Minuten vom Föhrenweg entfernt. Die Aufnahme zeigt das frisch herausge-putzte Haus im Februar 2008.

Abb. K1023: Colonel Bruce Fister, Kommandeur der 435th Tactical Air Wing, verabschiedet US-Verteidi-gungsminister Caspar Weinberger im März 1986 nach dessen Deutschlandvisite auf der Rhein-Main Airbase in Frankfurt/Main. Weinberger informierte sich unter anderem im USAREUR über die Hintergründe im Fall Nicholson und machte jede Verbesserung der amerikanisch-sowjetischen Position von einer offiziellen Entschuldigung Moskaus in Verbindung mit der Zahlung einer Kompensation an Familie Nicholson abhängig.

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LaßlebenW
Textfeld
(Abbildung nur in der gedruckten Broschüre wiedergegeben)
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Kapitel 10 – Techentin

im Monat November 1983 als Tur-nusabweicher benannt. Nicholson ist in der ZPDB92 für die HA VIII ohne Zugriff für andere Diensteinheiten eingespeichert.“93

Weitgehend im Dunkeln liegen bis heute die konkreten Erkenntnisse der Hauptverwaltung Aufklärung zur Person von Major Nichol-son.94 Auch über mögliche gezielte Operatio-nen der DDR-Auslandsaufklärung gegen ihn oder die USMLM kann bislang nur spekuliert werden, da die operativen Unterlagen der HV A im Zuge der Selbstauflösung 1989/90 einer vollständigen Vernichtung zugeführt wurden.95 Eine spezielle Zuständigkeit der HV A für die Militärverbindungsmissionen war ohnehin nur unter dem Gesichtspunkt gegeben, dass einzelne Mitglieder zugleich Mitarbeiter westlicher Geheimdienste sein konnten und damit eine Bearbeitung auch im Operationsgebiet notwendig wurde.

Die strukturelle und personelle Durchdringung westlicher Geheim-dienste stand im besonderen Interesse der Auslandsspionage. Federführend zuständig für die westlichen MVM war und blieb aber stets die HA VIII und nicht die HV A.

Auf Major Nicholsons KK-Erfassung96 für die HA VIII/5, angelegt im Dezember 1981, findet sich ein erster Hinweis auf seine

92 ZPDB – Zentrale Personendatenbank (MfS). Mit Dienstan-weisung 1/80 vom 20.5.1980 eingerichteter Informati-onsspeicher, in dem auf der Grundlage eines verbindlich vorgegebenen Schlüssels (Rahmenkatalog) so genannte operativ bedeutsame Informationen zu Personen und Sachverhalten gespeichert und verarbeitet wurden. Die Da-tenbank wurde auf Vorschlag des Zentralen Runden Tisches mit Ministerratsbeschluss vom 26.2.1990 bis zum 9.3.1990 vernichtet.

93 BStU, MfS, HA II Nr. 33507, S. 2994 Das MfS hatte Nicholsons US Social Security Number (SSN)

herausgefunden und auf seiner KK vermerkt: 228-62-6589.95 Ein Abgleich der früheren Signaturen auf den Karteien der

MfS-Diensteinheiten mit den noch vorhandenen Akten in der BStU zeigt keine offenkundigen Lücken. Die Unterlagen, die das MfS zu Major Nicholson und Ssgt. Schatz anlegte, dürften damit vollständig überliefert sein, ausgenommen etwaige HV A-Vorgänge.

96 Kerblochkarte – Datenträger zur Erfassung und Speicherung operativ bedeutsamer Informationen auf der Grundlage eines Schlüsselplans, eingeführt mit Befehl 299/65 des Ministers für Staatssicherheit und als System bis ca. 1980 gültig. Innerhalb der HA VIII/5 und anderer Diensteinheiten auch länger genutzt, teilweise bis 1989. Die KK-Erfassung wurde als aktive Erfassung von Personen (ohne Zwang zur Führung einer Akte) eingeführt und war nicht durch die Kerblochkarte selbst definiert, sondern durch die Qualität der auf ihr verzeichneten Informationen. Schrittweise er-folgte die Ablösung der Kerblochkarten durch elektronische Datenträger und Datenbanken.

separate Speicherung auch durch die Ab-teilung Gegenspionage der HV A. Die F 16-Kartei97 mit der Nummer XV/1566/68 und dem Vermerk D98 signalisiert, dass es sich um einen registrierten Vorgang han-delt, da bei den internen Angaben nur die Registriernummer vermerkt ist und weitere Daten fehlen. Nicholson gerät demnach schon fast zwei Jahre vor seiner Akkredi-tierung bei der USMLM in das Visier der HV A. Zu diesem Zeitpunkt besucht er noch Fortbildungskurse am USARI in Garmisch-Partenkirchen. Seine Ersterfassung im Si-cherungsvorgang „Nordpol“ erfolgt am 11. Februar 1980 durch die hauptamtliche Mit-arbeiterin Brigitte Elisath im Gegenspiona-gevorgang HV A/IX/C/3/83000.99 Der SIRA-

97 Die F 16 war der zentrale Datennachweis des MfS zu Per-sonen. Die Vorderseite der Karteikarte (DIN A6 Querformat) enthält auf der linken Seite Rubriken für Grunddaten zur Person, auf der rechten Rubriken für interne Angaben (Registriernummer bzw. Erfassungsart, Registrierbereich, Diensteinheit/Mitarbeiter, Archivsignatur, Karte angelegt am). Die Rückseite der F 16 war für die Notierung frü-herer Erfassungen vorgesehen. Handelt es sich um einen registrierten Vorgang, wird auf der F 16 bei den internen Angaben nur die Registriernummer und der Registrierbezirk angegeben. Nur über die Registriernummer ist der Zugang zu weiteren internen angaben auf der Vorgangskartei F 22 (Vorgangsart, Deckname, IM-Kategorie bzw. Delikt, Diensteinheit, Mitarbeiter) möglich. Bei Erfassungsarten wie KK-Erfassung oder VSH-Erfassung sind die internen Angaben vollständig auf der F 16-Karteikarte vermerkt.

98 D – Personendaten und Registriernummern sind auch in EDV-Anlagen des MfS erfasst.

99 vgl. Fußnote 1

Speicher100, Teildatenbank 21, gibt darüber Auskunft. Sicherungsvorgänge bezogen sich aber nie nur auf eine einzelne Person. In ihnen waren Personengruppen erfasst, die auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit durch das MfS vorbeugend zu sichern und aufzuklären waren. Insofern ist der bloße SiVo-Eintrag zunächst nur ein Indiz für das Interesse der HV A an Nicholson, lässt aber keine belastbaren Aussagen zu tatsächlich eingeleiteten Vorgängen zu. Konkret bekannt ist die Erteilung eines Zielkontrollauftrags an die HA III vom 10. August 1984. Die Zielkontrolle gilt dem privaten Telefonanschluss der Fami-lie Nicholson101 in Westberlin. Mit großer Wahrscheinlichkeit geht die Überwa-chung des Anschlusses auf ein Ersuchen

100 SIRA – System der Informationsrecherche der HV A mit fünf Teildatenbanken 11, 12, 13, 14 und 21. Die Teildatenbank 21 bildete die zentrale Registratur für Personen und Vor-gänge beim Stab der HV A unter der Bezeichnung „Zentrale Objekt- und Personendatenbank“ (ZOPA). Darin sind die Vorgangsdaten der F 22 Formblätter der HV A ab Juni 1960 bis zum 24. Mai 1989 im Umfang von 63 188 Vorgängen enthalten. In der Teildatenbank 14 speicherte die Abteilung IX/C der HV A ihre Erkenntnisse. Sie umfasst Eingangs- und Ausgangsinformationen zu erkannten Personen westlicher Geheimdienste und Personen, die das MfS Geheimdiensten zurechnete.

101 Aufgefunden in der Außenstelle Suhl der BStU. Die Zielkon-trolle wurde 1984 offensichtlich von der HV A veranlasst. BStU, MfS, BV Erfurt ZKA Tel.-Nummer 030-8326470, S. 11361

Abb. K1024: Major Nicholson war seit 1980 in den Speichern der HV A erfasst.

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der HV A zurück.102 Einer Aktennotiz aus dem Jahr 1979 zwischen den Leitern der HV A/IX und der HA III ist zu entnehmen, welche grundlegenden Vorstellungen die Gegenspionage hinsichtlich der Informa-tionsübermittlung aus der Erfassung des gegnerischen Fernmeldeverkehrs hatte. Personendossiers und Auskunftsberichte zu Angehörigen westlicher Dienste domi-nierten die Prioritätenliste. Interesse wur-de auch an Berufssoldaten in perspektiv-voller Stellung und Spezialisten der NATO bekundet. Unter dem Gesichtspunkt der möglichen „Ansprechbarkeit“ durch die HV A sollten Daten übermittelt werden. Perso-nen mit finanziellen und privaten Proble-men, moralisch Wankelmütige oder Perso-nen mit Verbindungen in das sozialistische Lager rückten so in das nähere Blickfeld des MfS.103 Das Material der HA VIII/5 zu Nicholson ist insgesamt spärlich. Es liegen die amerikanischen Akkreditierungsanträ-ge an die GSSD und einige IM-Berichte in der Personenakte vor.104 Zwei Akten bün-deln das internationale Presseecho auf die Tötung von Major Nicholson sowie die po-

102 Solche Aufträge ergingen nicht ohne ein konkretes Inter-esse bestimmter Diensteinheiten an einer Person. Die HA III leitete Zielkontrollaufträge nicht von sich aus ein.

103 BStU, MfS, HA III Nr. 11675, S. 14104 BStU, MfS, HA VIII Nr. 8211

litischen Reaktionen.105 Drei weitere Akten beschäftigen sich teilweise mit den MfS internen Untersuchungen des Tatablaufs und der Übermittlung dieser aufbereiteten Ergebnisse an das KfS.106

Der frühere Chef der US-Spiona-geabwehr in Westberlin, Stuart A. Herrington, elektrisierte mit seinen Memoiren107 die Verschwörungstheo-retiker im Fall Nicholson, indem er unter anderem behauptete, die Erfol-ge des Majors seien durch den HV A-Spion James W. Hall III an die sow-jetische Seite verraten worden. Das liefe dann reflexhaft auf folgende Ar-gumentation hinaus: Die sowjetische Seite – im Idealfall das KGB – wollte sich dafür an Nicholson rächen und führte das Ereignis in Techentin qua-si als Hinterhalt herbei. Dann läge keine Verkettung unglücklicher Um-stände vor, sondern ein kaltblütig geplanter und heimtückisch vollzoge-ner Mord. Zweifelsohne könnte diese Darstellung der Abläufe jedem Holly-woodfilm zur Ehre gereichen. Nur mit der Realität hätte es nichts gemein. Nicholson war Heeresaufklärer und unterhielt keine direkten Kontakte zu den US-Funkaufklärern auf dem Teufelsberg. Die zukommandierten Eloka-Spezialisten108 in der USMLM kamen vor allem aus der Abhörsta-tion Marienfelde109 und nicht vom Teufelsberg.110 Es liegt im Bereich der Spekulation, ob Warrant Officer Hall Major Nicholson überhaupt kannte. Vieles spricht dagegen. Nicholson referierte zwar mindestens einmal vor größerem Publikum in Berchtes-

105 BStU, MfS, ZAIG Nr. 15772; BStU, MfS, HA VIII Nr. 1286; BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533

106 BStU, MfS, Sekr. Neiber Nr. 419; BStU, MfS, BV Potsdam, AKG Nr. 504; BStU, MfS, HA VIII Nr. 1714

107 Herrington, Stuart A.: Traitors among us: Inside the Spy catcher’s world.

108 Eloka – Elektronische Kampfführung109 Beispielsweise kam Tsgt. Bruce L. Dewey von der 6912.

Electronic Security Group Marienfelde zur USMLM. 110 Der Stellenplan der USMLM wies keine explizierten Stellen

für Eloka-Spezialisten aus. Offiziere und Feldwebel mit diesem Hintergrund wurden aus ganz verschiedenen Gründen zur amerikanischen Militärverbindungsmission versetzt. Wegen geeigneter Sprachkenntnisse, eigenem Interesse oder Vertrautheit mit sowjetischer Technik, nicht aber um bei der USMLM direkten Eloka-Aufgaben - wie Abhörmaßnahmen oder Funkpeilungen - nachzugehen. Das MfS vermutete zwar die Einbindung der USMLM in Eloka-Einsätze oder Eloka-Aufgabenstellungen (beispielsweise in das streng geheime Sonden-Projekt „Avid Guardian“), konnte aber in keinem einzigen Fall konkrete Beweise dafür erbringen.

gaden.111 Höchst unwahrscheinlich aber ist es, dass ausgerechnet Hall dort unter den Zuhörern weilte. Eine mögliche Weitergabe von Exemplaren der entsprechenden USMLM-Jahres-berichte112 mit den Schilderungen der Sonderaktionen an das MfS durch James Hall ließe sich heute nur noch mithilfe der SIRA-Auszüge113 nach-weisen. Eine wirksame Zusammenar-beit von Hall mit dem KGB kam nach den gemeinsamen Ermittlungen von CIA, FBI, NSA, INSCOM und dem amerikanischen Justizministerium aber erst lange nach 1985 zustan-de.114 Da war Nicholson bereits tot. Doch was sollte Hall dann zu Lasten Nicholsons noch verraten haben kön-nen? Die Wut Herringtons auf Yildi-rim und Hall scheint angesichts des Umfangs des begangenen Geheimnis-verrats und der Schmach des eigenen Versagens zweifelsohne verständlich. Ebenfalls der Eifer der amerikani-schen Ermittler, wenn es darum ging Hall so viele offene Rechnungen wie möglich im Zusammenhang mit tat-sächlichen oder vermeintlichen Spi-onagefällen anzuhängen. Hall wurde für seine Taten zu 40 Jahren Ge-fängnis verurteilt. Solange die USA alle Unterlagen des Verfahrens gegen Hall als Staatsgeheimnis unter Ver-schluss halten, wird sich Herringtons Aussage nicht überprüfen lassen.

Arthur Donald Nicholson Jr. wird am 7. Juni 1947 in Mount Vernon, Washington gebo-ren. Sein Vater ist Offizier der US-Navy, die Mutter Hausfrau. Nicholson hat noch eine Schwester Cathy. Seine Jugend verbringt er in Mc Lean, Virginia und Redding, Connec-ticut. 1965 schließt Nicholson junior die dortige High School (West Redding High

111 Im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz von USAREUR und BAOR etwa im Januar/Februar 1984.

112 Neben der Field Station auf dem Teufelsberg bekamen auch andere US-Einrichtungen Exemplare der mit „secret“ klassifizierten USMLM-Jahresberichte. Nachweislich hatten entweder KGB oder MfS dort zu verschiedenen Zeitpunkten Spione platziert. Wie in der 6912. ESG Marienfelde, im USARI oder der Field Station Augsburg.

113 In beiden Fällen, Hall und Yildirim, sind die entsprechenden BStU-Unterlagen gesperrt.

114 Hall versuchte zwar schon ab 1982 gelegentlich geheime Unterlagen neben dem MfS parallel auch dem KGB anzubieten. Doch bei diesen Unterlagen handelte es sich ausschließlich um Dokumente der NSA/INSCOM. Im April 1985 erfolgte die Rückversetzung von Hall in die USA. Erst 1986 kehrte er dann zum 302nd Military Intelligence Bataillon des 5. US Corps nach Frankfurt/Main zurück.

Abb. K1025: Jahresbericht 1985 der US Field Station Berlin Teufelsberg (USFSB).

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Kapitel 10 – Techentin

School) ab und wechselt dann an die Tran-sylvania University in Lexington, Kentucky. Die Universität verlässt er 1969 mit einem Bachelor-Abschluss. Nach dem Hochschul-studium tritt Nicholson in die US-Army ein. 1973/74 wird er als Offizier eines Ra-ketenbataillons, Bereich S-2, in Südkorea eingesetzt. 1974 erfolgt seine Versetzung in nicht näher bekannte amerikanische Aufklärungseinheiten (Military Intelligence units) in Frankfurt/Main und München.

Über seinen Aufenthalt in der Bundesrepu-blik bis etwa 1979 liegen keine Informati-onen vor. Hochzeit mit Karen V. Nicholson. Im April 1976 wird seine Tochter Jennifer in München geboren. Nicholson schlägt ehrgeizig die Laufbahn als Auslandsoffizier (FAO) mit dem Schwerpunkt Osteuropa/UdSSR ein, erlangt im Juni 1980 mit dem Thema „The Soviet Union and strategic nuclear war“ an der Naval Postgraduate School einen Master Abschluss und be-

sucht gleichzeitig 1979/80 einen zwei-jährigen Intensivsprachkurs Russisch am Defense Language Institute in Monterey, Kalifornien. Anschließend, 1981/82, belegt er einen weiteren Spezialkurs am USARI in Garmisch-Partenkirchen. Die theoretische Ausbildung in Garmisch ebnet Nicholsons Weg für den Einsatz bei der amerikani-schen Militärverbindungsmission in Neu Fahrland. Nicholson muss zuvor aber auch seine praktische Eignung unter Beweis stellen. Er besucht dafür einen entspre-chenden Vorbereitungskurs im britischen Ashford, Grafschaft Kent. Unabhängig von den militärischen Rängen müssen alle spä-teren BRIXMIS-115 und USMLM-Mitglieder diesen Kurs durchlaufen und bestehen. Zentral vom britischen Militärgeheim-dienst gesteuert, werden die Teilnehmer in Ashford darin geschult, Militärtechnik aus sowjetischer und DDR-Produktion zu identifizieren, die fotografischen Fertigkei-ten zu verbessern, möglichen Verfolgern zu entgehen und Karten zu lesen. Der Kurs in Ashford dient auch der Einstimmung auf das künftige Einsatzgebiet DDR. Mit dem Dienstgrad Hauptmann tritt Nicholson am 5. Mai 1982 in die Sektion Heeresaufklä-rung der USMLM ein und arbeitet dort zu-nächst ein Jahr lang als Tour Officer und nach der Versetzung von Major Graethouse für 15 Monate als „Production Officer“ im Auswertungsbereich.116 Auch als Production Officer unternimmt Nicholson Aufklärungs-fahrten, allerdings in reduziertem Umfang.

115 BRIXMIS – British Commanders-in-Chief Mission to the Group of Soviet Forces in Germany, britische Militärverbin-dungsmission in Potsdam

116 Das MfS umriss seinen Tätigkeitsbereich in einer Kurzein-schätzung so: „Major Nicholson gehört seit dem 5.5.1982 zum akkreditierten Personalbestand der USA-MVM. Er war zunächst als Sicherheitsoffizier (Fragen innere Sicherheit MVM) tätig. Nach Abbau dieser Funktion wurde er als Oberoffizier im Referat für analytische Aufgaben eingesetzt. Gegenwärtig übt er die Tätigkeit des Productions Officer in der Operationsabteilung Heer der USA-MVM aus. Der Productions Officer ist ein besonderer Aufklärungskader, der für die Beschaffung, erste Auswertung und Aufbereitung spezieller nachrichtendienstlicher Informationen aus dem Operationsgebiet (Territorium der DDR) verantwortlich ist. Major Nicholson absolvierte das US-Russian-Institut in Garmisch-Partenkirchen (BRD) und in den Jahren 1977 bis 1978 besuchte er einen Kurzlehrgang ADVANCED COURSE, Ausbildungsrichtung Officer Specialities 36 (Agenturaufklä-rung und Abwehr).“ BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 24 Diese Einschätzung ist nicht zutreffend und bezog sich auf eine Periode, in der Nicholson noch gar nicht bei der USMLM war. In der USMLM existierte keine Stelle für einen Offizier nur für Sicherheitsfragen.

Abb. K1024, K1025: Von einer Ehrengarde wird der Leichnam von Major Nicholson am 29. März 1985 an der Rhein-Main Airbase in Frankfurt/Main verabschiedet und in die Vereinigten Staaten überführt.

Abb. K1026

Abb. K1027

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Danach ist er bis 1985 wieder Tour Officer. Die Verfolger vom MfS zählen ihn zu den aktivsten und erfolgreichsten Aufklärern der USMLM, können aber gleichzeitig zwischen 1982 und 1985 kaum Substan-zielles zu seiner Person herausarbeiten.117 Dem MfS bietet der Familienvater wenig Angriffsfläche. Selbst die auf Nicholson angesetzten inoffiziellen Mitarbeiter „Rudi Bellmann“ und „Ulla“ können nur Banali-täten vermelden.118 Hobbys: Angeln und die Freundschaft zu seinem Nachbarn aus der Ripleystraße.119 1983 wird Nicholson zum Major befördert. Nicholsons Wunsch nach einer Stelle im militärdiplomatischen Dienst in Moskau erfüllt sich nicht. Er ist ehrgeizig, aber eben kein Wunderkind. Zum Zeitpunkt der tragischen Ereignisse in Techentin liegen ihm bereits die Verset-zungsunterlagen auf einen anderen Posten in den Vereinigten Staaten vor. Trotz der großen Enttäuschung darüber, dass es mit der Stelle in Moskau nichts wird, geht er wie gewohnt zielstrebig an die Arbeit bei der USMLM. Bis zum 24. März 1985. An diesem Tag bezahlt Nicholson seinen Hang zum vermeintlich kalkulierbaren Risiko und Perfektionismus mit dem Leben. Er wird ein Opfer der Umstände des Kalten Krieges, die er ironischerweise durch sein praktisches Handeln bei der Militärverbindungsmission wenigstens teilweise selbst mit bestimmen konnte.120 Die sowjetische und amerikani-sche Seite schieben sich in einem jahrelan-gen Streit, der selbst die Regierungsspitzen beschäftigt, gegenseitig die Schuldfrage zu. Erst die politischen Reformen unter Gorbatschow lassen schließlich auch die harte Haltung der sowjetischen Militärs und Geheimdienste langsam bröckeln. Vier Jahre nach der Tötung von Nicholson, im

117 Ebd. S. 24118 BStU, MfS, HA VIII Nr. 8211, S. 12 f. (entspricht Signatur

auf der HA VIII/AKG-VSH Dok 0882000177)119 Dabei handelt es sich um Major Terry Griswold vom

Detachment A, später Autor zweier Bücher über die US-Special Forces Delta.

120 Das MfS zählte für Nicholsons Fahrten bis 1985 penibel 15 Verletzungen ständiger Sperrgebiete und bei 32 Fahrten ein- und mehrmalige Missachtungen von MVM-Verbots-schildern. BStU, MfS, HA VIII Nr. 5533, S. 24 Eine ausführ-liche Auflistung aller erkannten Fahrten von Nicholson erfolgte als Zuarbeit für die Untersuchungen des KfS. BStU, MfS, HA VIII Nr. 1714, S. 280-336

Mai 1988, entschuldigt sich der sowjeti-sche Verteidigungsminister Jasow halb-herzig aber offiziell bei seinem amerika-nischen Amtskollegen Carlucci im Rahmen des Moskauer Gipfeltreffens für den unge-rechtfertigten Gewaltakt in Techentin.121

Das Grab von Arthur D. Nicholson Jr. befin-det sich auf dem Arlington National Ceme-tery in Virginia.122

121 So hatte die Presse die Ereignisse geschildert und vielleicht war dies genau zu diesem Zeitpunkt im Sinne von Vertei-digungsminister Carlucci. Zweifelhaft blieb, ob sich Jasow tatsächlich dafür entschuldigt hatte. Von Anfang an lautete die sowjetische Auffassung - formuliert vom Stab der GSSD und propagiert durch die sowjetische Nachrichtenagentur TASS - dass Nicholsons Tod bedauerlich, tragisch und aty-pisch für die sowjetisch-amerikanischen Verhältnisse war. Wenn man so will, kann man dieses „bedauerlich“ als eine Art Entschuldigung interpretieren. 1988 gab es genug gute politische Gründe für diese Interpretation. Gorbatschow hatte das Stockholmer Dokument (mit Inspektionen vor Ort) und den INF-Vertrag unterzeichnet, eine neue Militär-doktrin eingeführt, dem Militärapparat Zügel verpasst und eine radikal andere Außenpolitik in Gang gesetzt. Das hatte Ermutigung verdient. Gleichzeitig wussten die USA, dass mit Gorbatschows Kurswechsel die Unzufriedenheit der Militärs wuchs. Auf amerikanischer Seite war Caspar Wein-berger durch Frank C. Carlucci ersetzt worden. Weinberger war es, der sich zuvor geweigert hatte, den Fall Nicholson für geschlossen zu erklären, bevor sich die Sowjets dafür nicht offiziell entschuldigten und Kompensation zahlten. Weinberger wollte unbedingt die politischen Vorteile dieses Zwischenfalls ausspielen. Carlucci dagegen nutzte sein Treffen mit Jasow, um einen politischen Schlussstrich unter das Kapitel Nicholson zu setzen.

122 Sektion 7, Grab 171

Abb. K1028: Beisetzung von Major Arthur D. Nicholson Jr. mit allen militärischen Ehren auf dem Nationalfriedhof Arlington, Virginia am 30. März 1985.

Abb. K1029: Karen V. Nicholson engagiert sich seit dem Tod ihres Mannes als Zivilangestellte der US Army in einer Organisation zur Unterstützung von Familien, die mit dem Tod und tragischen Unglücksfällen ihrer Angehörigen konfrontiert sind.

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Föhrenweg 19 – 21

Abb. K1101: In der früheren Villa von Generalfeldmaschall Wilhelm Keitel bezog nach 1945 die amerikanische Militärverbindungsmission (USMLM) gemeinsam mit dem amerikanischen Militärgeheimdienst DIA Quartier. Die Adresse Föhrenweg 19-21 im vornehmen Berlin-Dahlem blieb auch nach

der Auflösung der USMLM im Jahr 1990 weiterhin geheimdienstlich genutzt. Nun als gemeinsame Dienststelle der DIA (Combat Analysis Detachment Berlin) und des BND 12YA (Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung). 2007 gab der Bundesnachrichtendienst die Liegenschaft endgültig auf.

Seit Januar 2008 sucht der Bund Kaufinteressenten. Mindestgebot: 2,7 Millionen Euro.

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Kapitel 11 – Berlin-Dahlem

M it der Wiedervereinigung Deutsch-lands 1990 stellten die alliierten Militärverbindungsmissionen ihre

Arbeit ein. Das bedeutete aber nicht auto-matisch auch das Ende der Militärspionage gegen die russischen Truppen auf nunmehr gesamtdeutschem Boden. Genau das Ge-genteil trat ein. Die Aufklärung von west-

licher Seite wurde intensiver und aggressi-ver betrieben, da die Erosion des einstigen Machtbereichs der UdSSR unübersehbar war und Zeiten des politischen Umbruchs schon immer günstige Voraussetzungen für Spionageanbahnungen schufen. Von dieser historisch einmaligen Chance woll-ten zu diesem Zeitpunkt alle westlichen Dienste profitieren, selbst wenn sich das ganze Ausmaß der Umwälzungsprozesse in Osteuropa noch nicht klar abzeichnete. Et-was kurzsichtig feierten sie sich als Sieger des Kalten Krieges. Doch mit dessen Ende hatten sie nicht nur den Gegner im Osten, sondern gewissermaßen auch sich selbst besiegt. In den wilden „Wendejahren“ zwi-schen 1990 und 1993 sollte die Sektlaune noch anhalten. Doch spätestens der alliier-te Truppenabzug 1994 läutete unmissver-ständlich das Ende dieser Goldgräberstim-

mung ein. Die im Schlepptau der Militärs bestehenden Geheimdienststrukturen in ehemals Deutschland Ost und West hat-ten ihre Existenzberechtigung verloren. Ihr Abzug war die folgerichtige Konsequenz aus dem Ende der Blockkonfrontation. Eine bilaterale deutsch-amerikanische Dienst-stelle entstand 1990 in der ehemaligen

USMLM-Dependance im Berliner Stadt-teil Dahlem. BND und DIA sollten aus der Keitel-Villa heraus gemeinsam den Abzug der Westgruppe der Truppen (WGT) beob-achten, geheime Dokumente und Wehr-technik beschaffen sowie Agenten unter den russischen Militärangehörigen werben, die zurückgespült in die Heimat Informati-onen aus Russland an den Westen liefern. Offiziell firmierte die BND-Dienststelle 12YA1 als „Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung“2 in der Liegenschaft Föhrenweg 19-21. Die Amerikaner gaben sich nicht offen zu erkennen. CAD-B3 hieß diese Diensteinheit der DIA. Sie setzte sich vor allem aus Analysten zusammen, die

1 Ab Mitte 1994 Umbenennung der Dienststelle in 12AF.2 Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (Dokumenta-

tionsstelle für Wehrtechnik und Umweltschutz), Föhrenweg 19-21, 14195 Berlin-Dahlem

3 CAD-B -Combat Analysis Detachment Berlin

zuvor bereits bei der amerikanischen Mi-litärverbindungsmission gedient hatten. Das deutsch-amerikanische Joint Venture bekam schwungvolle Tarnnamen: „Black-foot“ von amerkanischer und „Giraffe“ von deutscher Seite. Über die Aktivitäten der „Schwarzfußgiraffe“ wäre bis heute wahr-scheinlich kaum etwas in der Öffentlich-keit bekannt, wenn nicht ein im Unfrieden mit dem BND geschiedener Mitarbeiter aus dem Nähkästchen geplaudert hätte. Haupt-mann a. D. Norbert Juretzko4 veröffentlich-te 2004 das Buch „Bedingt dienstbereit“. Es schlug hohe Wellen, da Juretzkos persönli-cher Rundumschlag in Buchform den BND wie einen Dilettantenverein in der Öffent-lichkeit dastehen ließ. Die sicher nicht ganz zufällig gewählte Form der literarischen Kritik gab der interessierten Leserschaft bedauerlicherweise nicht die Möglichkeit, sich anhand der Lektüre ein einigerma-ßen objektives Bild von den tatsächlichen Fähigkeiten des deutschen Auslandsnach-richtendienstes zu verschaffen, sondern delektierte sich vor allem an dessen Fehl-tritten. „Bedingt dienstbereit“ kam mehr als Roman denn als Sachbuch daher. Als Sachbuch wollte es sich eigentlich verkau-fen. Doch ohne solides Hintergrundwissen waren die komplizierten Zusammenhänge des Schlapphut-Milieus für den Laien kaum zu erschließen. Die bewusste Veränderung von Personen, Orten und Abläufen vermin-derte zusätzlich den Wert des Buches als Zeitgeschichtsdokument. Der ungeschickte Schachzug des Bundesnachrichtendienstes gegen die Veröffentlichung und den Autor mit juristischen Mitteln vorzugehen, ver-stärkte in der Öffentlichkeit noch jenen Tenor, den der Inhalt des Buches ohnehin schon unverblümt vermittelte. Zur Scha-denfreude der Fachöffentlichkeit befeuerte der BND die für ihn überaus unangenehme Situation durch kleinkrämerisches Taktie-ren in einem nicht-öffentlichen Gerichts-prozess und unterlag schlussendlich mit einer schallenden Ohrfeige. Ein Freispruch

4 Norbert Juretzko, Jahrgang 1953, ehemaliger Fallschirmjä-ger der Bundeswehr, als Berufssoldat abkommandiert zum Bundesnachrichtendienst, „Stay Behind“-Struktur. 1999 aus dem BND ausgeschieden.

Operation Blackfoot/Giraffe

Abb. K1102: Hauptmann a.D. Norbert Juretzko in Neu-Mukran. Die WGT realisierte den Rücktransport ihrer Militärtechnik nach Russland über den Hafen Mukran. Dort war der BND mehrfach zur Observation im Einsatz.

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erster Klasse für Juretzko in allen Punkten der Anklage. Es wurde gerichtlich festge-stellt, dass er keinen Geheimnisverrat mit der Veröffentlichung begangen hatte. Der Weg bis zu diesem vorläufigen Schluss-punkt der Affäre war gepflastert mit Int-rigen, Inkompetenzen, Eitelkeiten, Ressort-denken und Behördenkleinkrieg. Norbert Juretzko hatte 15 Jahre lang unauffäl-lig und zuverlässig für den BND gewirkt. Von 1984 bis 1999. Abkommandiert von der Bundeswehr ar-beitete er zuerst in der strategischen Nachrichtengewin-nung des BND, die den Postverkehr aus der DDR öffnete und in fremden Briefen las. 1987 wechselte er in die Unterabteilung 12C des DDR-Referats, Außenstelle 12CC Hannover. 12C betreute die deutsche Sek-tion des Gladio-Netzwerks. Mit so genann-ten „Überrollagenten“ wollte sich der Wes-ten vor der militärischen Gefahr aus dem Osten schützen. Sie waren im Falle eines Einmarschs der Truppen des Warschauer Vertrages dafür vorgesehen, im Rücken des Gegners den bewaffneten Widerstand mit Partisanenmethoden aufzunehmen. Die Truppe hielt sich für sehr elitär, war para-militärisch organisiert und operierte streng konspirativ. Nur nicht konspirativ genug. Denn das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, so sollte sich später zur allgemei-nen Ernüchterung herausstellen, hatte die „Stay Behind Organization“ (SBO) – eine amerikanische Erfindung der Nachkriegs-zeit – zumindest in der Bundesrepublik vollständig enttarnt. Durch Anpeilung ih-rer Funkgeräte konnte die HA III des MfS systematisch alle Standorte der Agenten ermitteln. Im Ernstfall wäre das Netzwerk wertlos gewesen. Die deutsche Sektion von Gladio wurde nach dem Fall der Mauer von 1990 bis April 1991 abgewickelt. Für das hauptamtliche Personal mussten im BND andere Dienstposten gefunden werden. Norbert Juretzko wechselte daher mit wei-

teren ehemaligen Stay Behind-Mitarbei-tern in die gemeinsame Dienststelle von BND und amerikanischer DIA nach Berlin-Dahlem. Die Aufgabenstellung dieser von Anbe-ginn ungleichen Truppe ähnelte in großen Teilen der vorherigen Tätigkeit der Mili-tärverbindungsmission. Neben der reinen

Überwachung des Truppenabzugs der WGT gestatteten die veränderten politi-schen Rahmenbedin-gungen im Zuge der Wiedervereinigung nun aber auch den vollen Durchgriff westdeutscher Si-

cherheitsbehörden in den neuen Bundes-ländern und Berlin Ost. Neben die „nor-male“ Informationsbeschaffung traten rasch auch offensivere Methoden wie die Werbung und direkte Führung russischer Innenquellen aus der WGT. Die kleinen und großen Abenteuer des aufregenden Agen-tenlebens im wilden Osten der Republik zeichnete Juretzko mit lebhaften Bildern in „Bedingt dienstbereit“ nach. Die syste-

matische Suche nach russischen Hinter-lassenschaften auf deutschen Müllkippen, wie es schon die MVM taten. Inspektionen frisch verlassener Kasernen und Unter-künfte in Kooperation mit den regional zuständigen Bundesvermögensämtern. Der Tausch von Dienstvorschriften und anderen mehr oder minder „geheimen“ WGT-Un-terlagen gegen Toaster und Videorekorder vor den Kasernentoren. Auch zwei James Bond verdächtige Aktionen wurden akten-kundig. An der Bahnstrecke bei Samtens auf der Insel Rügen gelang es dem BND in Kooperation mit den Amerikanern die IR-Signaturen russischer Atomsprengköpfe auf einem vorbeifahrenden Zug auszule-sen. Über einen Militariahändler mit guten Kontakten zum russischen Militär konnte Juretzko gegen Bares sogar ein Freund-Feind-Kennungsgerät „Patrol“ aus einem russischen Hubschrauber beschaffen. So ein dicker Fang war dem BND zuvor noch nie geglückt. Norbert Juretzko zeigte sich nicht nur vom mangelnden Rückhalt des Berliner BND-Außenpostens in der Münch-ner Zentrale enttäuscht. Die tägliche Pra-xis im Föhrenweg bewies zudem, dass es im Dunstkreis von Geheimdiensten keine

Abb. K1103: Frontansicht der früheren Villa Keitel im Föhrenweg.

„Das bedeutet, mein lieber Norbert, dass wir hier im verbranntesten Objekt der westlichen Hemisphäre stehen. Die Super-Profis in Pullach wollen, dass wir

auf die Schnauze fallen. Herzlich willkommen.“

„Gert Arnstein“ zitiert nach Norbert Juretzko in „Bedingt dienstbereit“

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Kapitel 11 – Berlin-Dahlem

wirkliche Freundschaft gab. Das Ungleich-gewicht der vermeintlichen „Kooperations-partner“ diagnostizierte Juretzko treffend: „... Begünstigt durch die Unfähigkeit des bundesdeutschen Nachrichtendienstes, sorgte die DIA dafür, dass wir in Berlin gut motiviert blieben, dafür aber schlecht informiert. Die Amerikaner behandelten uns zuvorkommend, ließen uns aber nur an einem verschwindend geringen Teil der durch uns gewonnenen Informationen teilhaben. Das lag daran, dass es der BND nicht schaffte, eigenes Übersetzungsper-sonal zu rekrutieren. Also übernahmen die Yankees das Rohmaterial. Das saugten sie auf und gaben einen Bruchteil der daraus gewonnenen Erkenntnisse an uns zurück. An diesem Ungleichgewicht von 1991 hat-te sich fünf Jahre später noch nichts geän-dert. Wir bekamen es einfach nicht in den Griff.“5 Spätestens an dieser Stelle wären selbstkritische Töne des Autors ebenfalls angebracht gewesen. Denn weder Nor-bert Juretzko noch die meisten seiner Stay Behind-Mitstreiter in 12YA waren für diese anspruchsvolle Tätigkeit in Berlin hinrei-chend qualifiziert. Die Dienststelle stand gewissermaßen auf tönernen Füßen. Kein Nachrichtendienst der Welt ließe Quellen von Mitarbeitern führen, denen die nötige Qualifizierung dafür fehlt. Der BND tat es doch. Diese Unprofessionalität spielte der russischen Spionageabwehr von Anfang an in die Hände. Denn Informationen zu Gladio und seinen Agenten lagen nicht nur in den Speichern des MfS vor. Durch einen regelmäßigen Datenaustausch mit den „Freunden“ gelangten diese Informationen ebenso zum KGB. Insofern kann die Ent-scheidung des BND nicht besonders weise gewesen sein, ausgerechnet frühere Stay Behind-Leute zur Aufklärung gegen die abziehende Westgruppe der Truppe einzu-setzen. Quasi enttarntes Personal, das der russischen Sprache nicht mächtig war und zu allem Überfluss auch noch vom Föhren-weg aus operierte, einer Villa mit langer nachrichtendienstlicher Vergangenheit.

5 Juretzko, S. 146

Abb. K1104: Massiv gesicherter Haupteingang zu den Diensträumen des BND am Ostgiebel der Villa Keitel. 174

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„Das verbrannteste Objekt der westlichen Hemisphere“, so bezeichnete Juretzko es selbst in seinem Buch. Das konnte nicht lange gut gehen. Die russische Spionage-abwehr, auch bekannt als dritte Hauptver-waltung des KGB, war trotz der Wiederver-einigung 1990, dem damit verbundenen Verlust des Kooperationspartners MfS so-wie der Umbildung des KGB in ein MGB im Jahr 1991 jederzeit funktionsfähig, da sie als Diensteinheit vollständig in die Struk-turen der Westgruppe der Truppen integ-riert war und auch blieb. Sie arbeitete bis 1994 unvermindert vom exterritorialen Ge-biet russischer Kasernen aus, wenngleich die Standorte häufiger gewechselt werden mussten. Ebenso wie die GRU geriet das KGB/MGB lediglich 1991 für kurze Zeit in Turbulenzen. Aktivitäten westlicher Nach-richtendienste zwangen beide Dienste zur Schließung und Verlegung vor allem der früheren Operativdienststellen in den Be-zirksstädten der DDR und der Karlshorster Residentur. Daraus eine Schwächung oder Lähmung der russischen Spionageabwehr abzuleiten wäre einem folgenschweren Irrtum gleichgekommen. Offenbar hatte der BND diese Gefahren nicht richtig ein-geschätzt.

„Bedingt dienstbereit“ vermittelt einen au-thentischen Einblick in den Umfang und die Methoden der westlichen Militärspi-onage gegenüber der abziehenden West-gruppe der russischen Truppen aus dem vereinigten Deutschland der Jahre 1990 bis 1994. Dass die gesamte Operation fa-tal dem Griff nach einem fallenden Messer glich, wurde spätestens nach der Rückkehr des letzten Soldaten in die russische Hei-mat klar. Wieder mit sicherem Boden un-ter den Füßen sollte die Antwort der rus-sischen Spionageabwehr auf „Blackfoot/Giraffe“ nicht lange auf sich warten lassen. Per Paukenschlag enttarnte der Inlandsge-heimdienst FSB Mitte der 90er Jahre das gesamte Agentennetz des BND in Russ-land, fast allesamt zuvor rekrutiert unter den WGT-Rückkehrern. Nicht nur Juretz-kos Quellen und die seiner Kollegen wie „Eulenspiegel“, „Rübezahl“, „Küstennebel“, „Lilienthal“, „Ameisenbär“ oder „Basar“. Bis zu 20 Informanten, so wird es geschätzt, verlor der BND in kurzer Zeit. Vage Hinwei-se auf einen möglichen „Super-Maulwurf“ in der Teppichetage des BND hatte es zu-vor bereits gegeben. Nur keine Beweise. Norbert Juretzko bezichtigte zunächst im Dienst und später auch in seinem Buch

namentlich den Abteilungleiter 5 des Ver-rats. Gestützt auf vermeintlich belastendes Material aus Russland von seiner Quelle „Rübezahl“, traten Juretzko und sein Part-ner „Freddy“ eine Lawine interner Ermitt-lungen im BND los. So geriet die Affäre Juretzko fatal und unheilvoll zur Causa Volker Foertsch6. Mittels Spielmaterial aus Russland, wie sich später herausstellte. Im Ergebnis wurden Personen beschädigt, die Jahrzehntelang als Rückgrat des Dienstes galten. Bis heute ist im BND völlig un-klar, warum die Russen das Agentennetz tatsächlich sprengen konnten. Die Ermitt-lungen rissen Wunden auf, die noch lange nicht verheilt sind. Wahrscheinlicher als die Theorie vom Maulwurf in den eigenen Reihen dürfte eine weniger aufregende Variante sein. Möglicherweise waren alle Quellen des Teams Juretzko/Freddy von Anfang an durch die russische Abwehr ge-gengesteuert. Vielleicht wird man das erst in 20 Jahren genauer wissen, wenn wieder jemand mit der eisernen Grundregel der Branche bricht und aus dem Nähkästchen plaudert.

6 Volker Foertsch war von 1953 bis 1999 im Bundesnachrich-tendienst tätig, zuletzt als Leiter der Abteilung Sicherheit/Abwehr.

Abb. K1105: Notausstieg im Kellergeschoss des Föhrenweg. Im Keller residierte das CAD-B der DIA. 175

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Anhang – Literaturverzeichnis

Literatur

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Hörseljau, Hansjörg: Der Brocken – Ein freier Berg. Clausthal-Zellerfeld 2006

Juretzko, Norbert; Dietl, Wilhelm: Bedingt dienstbereit. Im Herzen des BND. Die Abrechnung eines Aussteigers. Berlin 2005 [CAD-B Combined Analysis Detachment Berlin; DIA Foehrenweg]

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Kowalczuk, Ilko-Sascha; Wolle, Stefan: Roter Stern über Deutschland. Berlin 2001

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Liebe, Joachim; Schneider, Rolf: Der rote Stern stirbt lei-se. Abzug der Russen aus Deutschland. Berlin 1995

Mission erfüllt. Die militärischen Verbindungsmissionen der Westmächte in Potsdam von 1946 bis 1990. Berlin 2004

Möse, Kurt-Dieter; Meißner, Matthias: Der Weg zum Landkreis Wernigerode und dessen staatliche Entwick-lung. 125 Jahre Landkreis Wernigerode. 1876-2001. Kreisgeschichtskommission des Landkreises Wernigero-de. Wernigerode 2001

Müller-Enbergs, Helmut: Rosenholz. Eine Quellenkritik. Berlin 2007

Mroß, Bernhard: Sie gingen als Freunde. Harrislee 2004

Oelsner, Manfred: Schierke im Harz. Kurort der Werktä-tigen. Elend im Harz. Räte der Gemeinden Schierke und Elend. Wernigerode 1983

Ramge, Thomas: Feind schaut zu. Der Kalte Krieg war die große Zeit der Spionage in Europa. An vorderster Front mit dabei: Alliierte Militärdiplomaten, die sich in BRD und DDR frei bewegen konnten. In: Die Zeit, Nr. 24, 7.6.2007

Schmole, Angela; Großbölting, Thomas; Kowalczuk, Ilko-Sascha; Süß, Walter; Auerbach, Thomas; Engelmann, Roger (Hrsg.): Anatomie der Staatssicherheit. Geschich-te, Struktur, Methoden. MfS-Handbuch Teil III/19. Ab-teilung 26. Telefonkontrolle, Abhörmaßnahmen und Videoüberwachung. Berlin 2006

Sefzik, Bernd-Horst: Lebe wohl Deutschland. Empfange uns Heimat. Potsdam 1994

Suworow, Viktor (Pseud.) [Bogdanowitsch, Resyn]: GRU. Die Speerspitze. Was der KGB für die Polit-Führung, ist die GRU für die Rote Armee. Spionage-Organisationen und Sicherheitsapparat der sowjetischen Militärs – Aufbau, Ziele, Strategie, Arbeitsweise und Führungska-der. Bern, München, Wien 1984

Ulfkotte, Udo: Verschlusssache BND. München, Berlin 1997

Wagner, Armin; Uhl, Matthias: BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR. Berlin 2007

Wanderführer der Kurorte Schierke und Elend. Harz. Rat der Gemeinde Schierke, Kurverwaltung. Schierke 1989

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Dokumente der Bundesregierung und der Bundeswehr

Dr. Schäfer, Gerhard: PKGr-Untersuchungsbericht. Offe-ne Fassung mit Ergänzungen. Deutscher Bundestag. Berlin 2006

Feldpostnummern der russischen Truppen 1990/1994. Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin, Mecklenburg, Sachsen, Thüringen. VS -Nur für den Dienstgebrauch BW 55/152 (5.12.94)

Sowjetische Militärmission (SMM) innerhalb des Ge-bietes der Bundesrepublik Deutschland. Neue Richtlinie über das Verhalten gegenüber Mitgliedern der SMM und ihren Familienangehörigen. VS -Nur für den Dienstgebrauch Der Bundesminister des Innern. Bonn 1970 ÖS 7 – 642 320/1 Abschrift des MfS, ohne Original und die Musterdoku-mente des Anhangs BStU, MfS, HA VIII Nr. 1651, S. 127-139

Dienstanweisungen und Dokumente der US-Army/State Department/US-Geheimdienste

Foreign Area Officer (FAO). Functional Area 48. Pamph-let P600-3-48. Unclassified 1. August 1987 Department of the Army, Washington, DC [Area 48E Soviet Union/Eastern Europe]

Instruktion (Nr. 1) für die Ein-und Ausfahrt (sowjeti-scher Sektor). Nur für den Dienstgebrauch 7. Juni 1963 Arbeitsübersetzung des MfS, ohne Original BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, Bl. 98-106 [Regeln, Rechte, Pflichten und Verbote für US-Regierungspersonal, Mili-tärs und Angehörige der Alliierten beim Grenzübertritt am Checkpoint Charlie mit Dienst-und Privatfahrzeu-gen, die amtliche Kennzeichen der US-Streitkräfte bzw. US-Regierungskennzeichen tragen.]

Gilbert, James L.: INSCOM and Its Heritage. An Organi-zational History of the Command and Its Units. Special Historical Series. 1985 U.S. Army Intelligence and Security Command, Arling-ton Hall Station, Virginia [deklassifiziert]

Annual Historical Review. Fiscal Year 1989. Top secret History Office/Office of the Deputy Chief of Staff, Operations/U.S. Army Intelligence and Security Com-mand, Fort Belvoir, Virginia [deklassifiziert] [James Hall case]

Annual Historical Review. 1 October 1988 to 30 Sep-tember 1989. Secret Department of the Army/Office of the Deputy of Staff for Intelligence, The Pentagon, Wasshington D.C. [deklassifiziert] [FS Berlin eine von neun Army operated Field Stations, p. 2-51] [James Hall/Yildirim case+Reaktionen, p. 3-31]

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Herbig, Kathrine L.; Wiskoff, Martin F.: Espionage Against the United States by American Citizens 1947-2001. Defense Personnel Security Research Center, Monterey, California 2002 [James Hall case, A 4 Beginn Spionage 12/82 bis 21.12.88] [Jeffrey M. Carney case, A 3 Beginn Spionage 04/83 bis 22.04.91]

Stacy, William E.: The Nicholson Incident. A case study of US-Soviet Negotiations. Confidential Headquarters US Army, Europe an 7th Army Military History Office. Heidelberg 1988 [deklassifiziert]

Dienstanweisungen der GSSD

Instruktion. Maßnahmen zur Absicherung der Truppen und Militärobjekte gegen das Eindringen von Mitglie-dern der beim Oberkommandierenden der Gruppe der zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streit-kräfte akkreditierten ausländischen Militärverbin-dungsmissionen. Nur für den Dienstgebrauch Leiter des Stabes der Gruppe der zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte, Generaloberst Turantajew Oberkommandierender der Gruppe der zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte, Armeege-neral P. Koschewoj 11. September 1967 Arbeitsübersetzung des MfS, ohne die Anlagen des Ori-ginals BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, Bl. 70-82 [§ 20 regelt bei festgestellten Vergehen von Angehöri-gen der ausländischen MVM die zentrale Berichtspflicht der Garnisonskommandanten an die FP-Nummer 71650-F, Stab GSSD Wünsdorf.]

Literaturverzeichnis

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Zusammenarbeit mit dem Komitee für Staatssicher-heit der UdSSR

Über einige neue Momente in der Aufklärungstätigkeit der westlichen Militärverbindungsmissionen im Jahre 1978. Geheim Arbeitsübersetzung des MfS BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, Bl. 168-174 [Material des KfS]

Beratung des Standes der Zusammenarbeit der Haupt-verwaltung VIII und der Besonderen Abteilung des KfS der UdSSR für die GSSD in der Abwehrarbeit gegen die Angehörigen der drei westlichen MVM und die sich da-raus ergebenden Schlußfolgerungen für eine höhere Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit. Protokoll vom 18. November 1975 BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, Bl. 134-147 Informationsaustausch zwischen der Verwaltung der Besonderen Abteilungen des KfS für die Gruppe der So-wjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD) und der Hauptverwaltung VIII des MfS der DDR. ca. November 1975 Arbeitsübersetzung des MfS mit russischem Original BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, Bl. 124-133

Perspektivplan des Zusammenwirkens und Informati-onsaustausches zwischen der Verwaltung der Besonde-ren Abteilungen des KfS der UdSSR für die GSSD und der Hauptverwaltung VIII zu Fragen der politisch-ope-rativen Abwehrarbeit gegen die drei westlichen MVM beim Oberbefehlshaber der GSSD. Potsdam, 13. April 1978. Generalleutnant Iwan Lawrentjewitsch Ustinov (KfS), Generalmajor Schubert (MfS) BStU, MfS, HA VIII Nr. 2039, Bl. 117-123

Analysen

Analyse des Abkommens zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über Fragen, die mit der zeitweiligen Stationierung sowjeti-scher Streitkräfte auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik zusammenhängen. Stationie-rungsabkommen vom 12. März 1957 sowie der auf sei-ner Grundlage abgeschlossenen Folgedokumente. Mi-nisterrat der Deutschen Demokratischen Republik. Ministerium für Nationale Verteidigung. 1988 AG 117 XXVI-06a/677-88 GVS A 426 034 11. Ausfertigung, Blatt 1 bis 88

Vertragsdokumente im Zusammenhang mit dem Stationierungsabkommen

Protokoll der Konferenz der Vertreter der Bahnen der UdSSR, der Polnischen Volksrepublik und der DDR zur Überprüfung der geltenden Regelung des Transitver-kehrs zwischen der UdSSR und der DDR über die Bah-nen der Polnischen Volksrepublik vom 21. April 1954. Ministerium für Verkehrswesen

Protokoll zwischen der Regierung der Deutschen Demo-kratischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über das Verfahren der Bereitstellung von Mark der DDR ... und deren Er-stattung in transferablen Rubeln durch die Regierung der UdSSR vom 26. November 1958. dazu: Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 10. August 1982, Ent-

scheidung des Generalsekretärs des ZK der SED vom 20. Dezember 1983 und Vereinbarung der Finanzminister der UdSSR vom 16. Februar 1984 über das Umrech-nungsverhältnis. Ministerium der Finanzen

Abkommen zwischen der Regierung der Deutschen De-mokratischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über Maßnahmen zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft auf dem Gebiet des Nachrichtenwesens vom 19. März 1968. Ministerium für Nationale Verteidigung

Protokoll vom 17. Dezember 1970 zum Abkommen über Fragen im Zusammenhang mit dem zeitweiligen Auf-enthalt sowjetischer Truppen auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. März 1957 über die Ordnung für das Überschreiten der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik durch Verbände, Truppenteile, Einheiten und Personen, die den sowjetischen Truppen angehören sowie deren Familienagehörige. Ministerium für Nationale Verteidigung

Abkommen zwischen der Regierung der Deutschen De-mokratischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über das Errichten und Betreiben eines Fernsehsystems für die Übertra-gung der Programme des zentralen Fernsehens der Uni-on der Sozialistischen Sowjetrepubliken in die Garniso-nen der sowjetischen Streitkräfte, die sich zeitweilig auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik befinden vom 8. April 1981. Ministerium für Post-und Fernmeldewesen

Abkommen zwischen der Regierung der Deutschen De-mokratischen Republik und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Ordnung der gemeinsamen Nutzung des Frequenzspektrums durch die Funkdienste der DDR und der Funkdienste der sowjetischen Streitkräfte, die sich zeitweilig auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik befinden vom 26. April 1981. dazu: 5 Vereinbarungen und mehrere Ordnungen Mit dem Ab-kommen wird die Ziffer 7 des Artikels 3 des Inanspruch-nahmeabkommens vom 25. Juli 1957 aufgehoben. Ministerium für Nationale Verteidigung

Geschlossene Vereinbarungen zwischen zentralen Staatsorganen der DDR und der GSSD

Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Verkehrs-wesen und dem Kommando der Gruppe der zeitweilig auf dem Territorium der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte über den Umschlag von Versorgungsgütern im Hafen Rostock und über den Umschlag flüssiger Stoffe im Hafen Wismar vom 1. April 1966. Ministerium für Verkehrswesen

Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Gesund-heitswesen der Deutschen Demokratischen Republik und der militärmedizinischen Verwaltung der GSSD über die gegenseitige Hilfeleistung zur Verbesserung der medizinischen Betreuung der Angehörigen der zeit-weilig auf dem Territorium der DDR stationierten sow-jetischen Streitkräfte und ihrer Familienangehörigen vom 5. Februar 1969. Ministerium für Gesundheitswesen

Handelsvertrag zwischen dem Sowjetischen Handels-unternehmen 147 und der Hauptdirektion Spezialhan-

del über Methoden und Bedingungen der Versorgung der sowjetischen Streitkräfte mit Konsumgütern vom 25. Juni 1979. Ministerium für Handel und Versorgung

Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Kohle und Energie und dem Stab der GSSD über die Abrechnung der Lieferungen von Elektroenergie, Gas und Wärme-energie vom 29. April 1981. Ministerium für Kohle und Energie

Grundsatzvertrag zwischen der GSSD und dem VEB Spezialbau Potsdam über die planmäßige Vorbereitung und Durchführung von Investitionen und Reparaturen sowie Materiallieferungen im Zeitraum 1981 – 1985 vom 12. November 1981. Ministerium für Bauwesen

Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Umwelt-schutz und Wasserwirtschaft und dem Stab der GSSD über die Lieferung von Trink-und Betriebswasser sowie die Ableitung von Abwasser in Abwasseranlagen und deren jeweilige Abrechnung vom 28. Januar 1982. Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft

Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Verkehrs-wesen und dem Stab der GSSD über Mittelcontainer-verkehr mit den sowjetischen Streitkräften in Deutsch-land vom 1. September 1982. Ministerium für Verkehrswesen

Vertrag zwischen dem Ministerium für Post-und Fern-meldewesen (HARFBV) und der Politischen Verwaltung der GSSD (Leiter des Studios Wolga) über die Vermie-tung von Rundfunksendeeinrichtungen für die zeitwei-lig in der DDR stationierte Gruppe der sowjetischen Streitkräfte von 1983. Ministerium für Post-und Fernmeldewesen

Vereinbarung zwischen dem Rat der sowjetischen Ar-meejagdgesellschaft und der Obersten Jagdbehörde der DDR über die Nutzung von Jagdgebieten, die Ausübung der Jagd und über die Beziehungen der sowjetischen Armeejagdgesellschaft und Mitgliedern der Jagdgesellschaft der DDR von 1984.

Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Verkehrswe-sen und dem Stab der GSSD über richtungsweise Bela-dung und Abbeförderung von Treibstoff (Kerosin) mit dem Kesselwagenpark „K 450“ aus dem Seehafen Rostock für die Einheiten der GSSD vom 1. September 1985. Ministerium für Verkehrswesen

Ordnung der Organisation des Zusammenwirkens bei der Durchführung von Militärtransporten von Spezial-ausrüstungen im internationalen direkten Eisenbahn-Fährverkehr zwischen der DDR und der UdSSR von 1986.

Bestimmungen für die Beförderung von Gütern in Wa-gen im internationalen direkten Eisenbahn-Fährverkehr zwischen der DDR und der UdSSR (IDEF-Bestimmun-gen) vom 15. September 1986.

Tarif für die Beförderung von Gütern in Wagen auf Fährschiffen zwischen den Häfen Mukran (DDR) und Klaipeda (UdSSR) (Fährtarif DDR-UdSSR) vom 15. Sep-tember 1986.

Besondere Bedingungen für Militärtransporte und Transporte von Spezialausrüstungen im internationalen Eisenbahn-Fährverkehr zwischen der DDR und der UdSSR (BB-IDEF) vom 15. September 1986.

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Anhang – Literaturverzeichnis / Abbildungsverzeichnis

Instruktion zu Verfahren und Form des Informations-austauschs über Militärtransporte und Transporte von Spezialausrüstungen im IDEF zwischen Häfen Mukran (DDR) und Klaipeda (UdSSR). 1988 noch nicht ratifiziert.

Dienstvorschrift zu den Bestimmungen für die Beförde-rung von Gütern und Wagen im internationalen Eisen-bahn-Fährverkehr zwischen der DDR und der UdSSR (IDEF-Bestimmungen) (DV IDEF) vom 15. September 1986.

Gemeinsame Festlegungen zwischen dem Ministerium für Nationale Verteidigung und dem Stab der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland zur Reali-sierung der Sperrgebietsverordnung vom 26. Juli 1979, vom 15. Januar 1988. Ministerium für Nationale Verteidigung

Vereinbarung zwischen dem Chef Militärtransportwe-sen der GSSD und dem Staatssekretär und Ersten Stell-vertreter des Generaldirektors der DDR über die Durch-führung von Militärpersonentransporten von Armeeangehörigen und Bürgern der UdSSR vom 1. Juli 1988.

Spezielle Rechtsvorschriften

Verordnung über die Erteilung und Durchführung von Regierungsaufträgen vom 17. Dezember 1953. GBl. (der DDR) Nr. 134, S. 1307

Erste Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Erteilung und Durchführung von Regierungsaufträ-gen vom 20. Mai 1954. GBl. (der DDR) Nr. 54, S. 554

Anordnung des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR über die Verfahrensweise bei der Bearbeitung von An-trägen des Oberkommandos der Gruppe der zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte auf Bereitstellung von Gelände, einschließlich Wasserflä-chen vom 22. August 1969. (nicht veröffentlicht)

Anordnung über das Statut der Hauptdirektion Spezial-handel vom 6. Mai 1971. GBl. (der DDR) II, S. 356

Gesetz über die Landesverteidigung der Deutschen De-mokratischen Republik (Verteidigungsgesetz) vom 13. Oktober 1978. § 13 – Maßnahmen zugunsten der verbündeten Streit-kräfte. GBl. (der DDR) I, Nr. 35, S. 377

Verordnung über Sperrgebiete für die Landesverteidi-gung (Sperrgebietsverordnung) vom 26. Juli 1979. GBl. (der DDR) I, Nr. 29, S. 269

Verordnung über die Inanspruchnahme von Leistungen, Grundstücken und Gebäuden für die Landesverteidi-gung der Deutschen Demokratischen Republik (Leis-tungsverordnung) vom 26. Juli 1979. GBl. (der DDR) I, Nr. 29, S. 265

Verordnung über Lieferungen und Leistungen an die bewaffneten Organe (Lieferverordnung LVO) vom 15. Oktober 1981. GBl. (der DDR) I, Nr. 31, S. 357

Anordnung des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR über die Planung des Bedarfs zur ökonomischen Sicher-stellung der Aufgaben der Fondsträger des Versor-

gungsbereiches „Verschiedene Verbraucher II“ vom 13. Oktober 1984. VVS B 2 –B 120 –R/128/83

Innerdienstliche Bestimmungen

Richtlinie über die Versorgung der Gruppe der zeitwei-lig auf dem Territorium der DDR stationierten sowjeti-schen Truppen mit Elektroenergie und Gas vom 25. September 1964. (Abgestimmt in der 17. Sitzung der Gemischen deutsch-sowjetischen Kommission am 25. September 1964) Ministerium für Kohle und Energie

Ordnung des Ministers für Nationale Verteidigung über den Grenzübertritt der den sowjetischen Streitkräften angehörenden Personen und deren Familienangehöri-gen an der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik – Ordnung über den Grenzübertritt sowjeti-scher Streitkräfte – vom 17. Dezember 1970.

Dienstvorschrift (der Deutschen Reichsbahn) für Mili-tärtransporte vom 1. August 1980. Dienstanweisung für die Vorbereitung und Durchführung von Militärtrans-porten mit Kenziffern der NVA und der Grenztruppen der DDR sowie der Sowjetarmee für konzentrierte Transportbewegung, über den Katalog für Lademaßü-berschreitungen bei Militärtransporten.

Anweisung 4/80 des Generalstaatsanwalts der DDR vom 22. September 1980. Bearbeitung von Strafsachen mit Beteiligung von Angehörigen der zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte und deren Familienangehörigen.

Anweisung 033/81 des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei über die Untersuchung strafbarer Handlungen, die von Angehörigen der Grup-pe der sowjetischen Streitkräfte und deren Familienan-gehörigen in der DDR begangen werden vom 12. De-zember 1980. VVS

Arbeitsbestimmungen des Militäroberstaatsanwalts vom 21. April 1981. Teil 1.15.

Sammelband über die Arbeits-und Entlohnungsbedin-gungen der DDR-Bürger, die in Einheiten, Einrichtun-gen, Betrieben und Organisationen der GSSD beschäf-tigt sind von 1982. Staatssekretariat für Arbeit und Löhne

Ordnung Nr. 041/9/001 des Ministers für Nationale Ver-teidigung über die Verhütung, Erfassung und Beseiti-gung von Schäden bei der Durchführung von militäri-schen Maßnahmen(Übungsschadenverhütungsverordnung ÜVO) vom 10. Januar 1983. AMBl. des MfNV E/4 – 2/1

Instruktion 018/85 des Leiters der Hauptabteilung Kri-minalpolizei über die Arbeitsweise bei der Aufklärung von Straftaten und der Untersuchung sonstiger Vor-kommnisse mit Beteiligung von Angehörigen der sow-jetischen Streitkräfte und deren Familienangehörigen in der DDR vom 8. Februar 1985. VVS

Spezielle Regelungen des Vorsitzenden der SPK zur Ausarbeitung der Planentwürfe zu den Jahresvolkswirt-schaftsplänen für den Zeitraum 1986 – 1990 und zur Durchführung der speziellen Staatsauflagen zu den Jahresvolkswirtschaftsplänen im Zeitraum 1986 – 1990 für die Fondsträger des Versorgungsbereichs 7770 „Ver-

schiedene Verbraucher II“ vom 20. Mai 1985. VVS B 120 – R/145/85

Gemeinsame Anweisung des Generalstaatsanwalts der DDR und des Ministers des Innern und Chefs der DVP über die Bearbeitung von Straftaten und Ordnungswid-rigkeiten gegen die Sicherheit im Straßenverkehr mit Beteiligung von Personen, die der Zuständigkeit der Mi-litärstaatsanwaltschaft der DDR unterliegen vom 28. April 1986.

Beschlüsse des ZK der SED

Beschluß des Politbüros des ZK der SED „Information über die Verantwortlichkeit und Aufgabenstellung der Arbeitsgruppe Militärbereich (GSSD) in der SPK und ähnlichen Gruppen in anderen Ministerien und ihre Un-terstellung“ vom 31. Januar 1978. GVS B 120 – 468/78

Beschluß des Politbüros des ZK der SED „Bestätigung der Beibehaltung des Tarifsatzes der GSSD von 160,-Mark je Doppelachse bei Militärtransporten (für NVA 720,-Mark)“ vom 4. Dezember 1979.

Beschluß des Politbüros des ZK der SED „zum Umrech-nungskoeffizienten Mark/transferabler Rubel für die Zwecke der Bereitstellung von Mark der DDR zur Be-zahlung von Lieferungen und Leistungen durch die GSSD“ vom 10. August 1982.

Beschluß des Politbüros des ZK der SED „Zur Gewähr-leistung der einheitlichen Bilanzierung aller Aufgaben des Volkswirtschaftsplanes“ vom 28. Januar 1986

Beschluß des Politbüros des ZK der SED „Maßnahmen zur weiteren Vervollkommnung der Leitung und Pla-nung der Bauaufgaben für die bewaffneten Organe der DDR und der GSSD“ vom 3. Juni 1986.

Abb. A01: Frühere sowjetische Kaserne in Quedlinburg-Quarmbeck

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Einleitung

Abb. E01: Wolfgang Chodan, AlliiertenMuseum, BerlinAbb. E02: Wolfgang Chodan, AlliiertenMuseum, BerlinAbb. E03: Archiv VerfasserAbb. E04: BStUAbb. E05: BStUAbb. E06: BStU

Kapitel 1

Abb. K101: U.S. ArmyAbb. K102: U.S. ArmyAbb. K103: U.S. NavyAbb. K104: U.S. ArmyAbb. K105: Archiv VerfasserAbb. K106: Mark Prüfer, BerlinAbb. K107: BStUAbb. K108: BStUAbb. K109: Mark Prüfer, BerlinAbb. K110: Mark Prüfer, BerlinAbb. K111: Mark Prüfer, BerlinAbb. K112: Mark Prüfer, BerlinAbb. K113: U.S. Army, Rami HarcsztarkAbb. K114: BStUAbb. K115: U.S. Army, Hendrik G. PastorAbb. K116: U.S. Army, Don SutherlandAbb. K117: U.S. Army, Thomas FarrAbb. K118: U.S. Army, Helga T.H. MellmannAbb. K119: Archiv VerfasserAbb. K120: U.S. Army, Hendrik G. PastorAbb. K121: U.S. Army, Thomas Farr

Kapitel 2

Abb. K201: BStUAbb. K202: BStUAbb. K203: BStUAbb. K204: BStUAbb. K205: BStUAbb. K206: BStUAbb. K207: BStUAbb. K208: BStUAbb. K209: BStUAbb. K210: BStUAbb. K211: BStU

Kapitel 3

Abb. K301: Archiv VerfasserAbb. K302: Wladimir KostinAbb. K303: Wladimir KostinAbb. K304: Archiv VerfasserAbb. K305: Archiv VerfasserAbb. K306: Revue, mit freundlicher Genehmigung der Heinrich Bauer Topas KG,HamburgAbb. K307: U.S. ArmyAbb. K308: Wladimir KostinAbb. K309: Archiv VerfasserAbb. K310: Archiv VerfasserAbb. K311: Mark Prüfer, BerlinAbb. K312: U.S. Army, Frank SimpkinsAbb. K313: BStUAbb. K314: BStUAbb. K315: Archiv Verfasser

Kapitel 4

Abb. K401: BStUAbb. K402: BStUAbb. K403: BStUAbb. K404: BStU

Abb. K405: BStUAbb. K406: BStUAbb. K407: BStUAbb. K408: BStUAbb. K409: BStUAbb. K410: BStUAbb. K411: BStUAbb. K412: BStUAbb. K413: BStUAbb. K414: BStUAbb. K415: BStUAbb. K416: BStU

Kapitel 5

Abb. K501: Archiv VerfasserAbb. K502: Archiv VerfasserAbb. K503: Archiv VerfasserAbb. K504: Archiv VerfasserAbb. K505: Archiv VerfasserAbb. K506: Archiv VerfasserAbb. K507: Archiv VerfasserAbb. K508: BStUAbb. K509: BStUAbb. K510: Archiv VerfasserAbb. K511: Archiv Verfasser

Kapitel 6

Abb. K601: Archiv VerfasserAbb. K602: Archiv VerfasserAbb. K603: Archiv Verfasser

Kapitel 7

Abb. K701: Grenztruppen der DDR, Major Wolfgang PätzAbb. K702: Grenztruppen der DDR, Major Wolfgang PätzAbb. K703: Grenztruppen der DDR, Major Wolfgang PätzAbb. K704: Hansjörg Hörseljau, www.brockenbuch.de, ClaU.S.thal-ZellerfeldAbb. K705: Archiv VerfasserAbb. K706: Archiv VerfasserAbb. K707: Office of the National Couterintelligence Executive, Washington D.C.Abb. K708: Archiv VerfasserAbb. K709: Archiv VerfasserAbb. K710: Archiv VerfasserAbb. K711: Archiv VerfasserAbb. K712: Archiv VerfasserAbb. K713: Archiv VerfasserAbb. K714: Archiv VerfasserAbb. K715: U.S. ArmyAbb. K716: U.S. ArmyAbb. K717: U.S. ArmyAbb. K718: GRU, Moskau/WjasmaAbb. K719: Archiv VerfasserAbb. K720: BStUAbb. K721: Archiv VerfasserAbb. K722: Archiv VerfasserAbb. K723: Grenztruppen der DDR, Major Wolfgang PätzAbb. K724: Rudolf Nüchterlein, Wernigerode

Kapitel 8

Abb. K801: BStUAbb. K802: BStUAbb. K803: BStUAbb. K804: BStU

Abb. K805: BStUAbb. K806: BStUAbb. K807: BStUAbb. K808: BStUAbb. K809: BStUAbb. K810: BStU Abb. K811: BStU

Kapitel 9

Abb. K901: BStUAbb. K902: BStUAbb. K903: Archiv VerfasserAbb. K904: BStU

Kapitel 10

Abb. K1001: Archiv VerfasserAbb. K1002: AlliiertenMuseum, BerlinAbb. K1003: DIA, WashingtonAbb. K1004: Archiv VerfasserAbb. K1005: Foto: Alexander U.S.tinowAbb. K1006: BStUAbb. K1007: BStUAbb. K1008: BStUAbb. K1009: BStUAbb. K1010: BStUAbb. K1011: U.S. Army Intelligence and Security CommandAbb. K1012: Archiv VerfasserAbb. K1013: BStUAbb. K1014: BStUAbb. K1015: BStU Abb. K1016: Wolfgang Chodan, AlliiertenMuseum, BerlinAbb. K1017: Archiv VerfasserAbb. K1018: BStUAbb. K1019: U.S. Army, Ernest K. PoulsonAbb. K1020: Department of the Army/Office of the Deputy Chief of Staff for IntelligenceAbb. K1021: BStUAbb. K1022: www.joergsteck.de, BerlinAbb. K1023: U.S. Army, Amn Doug LingefeltAbb. K1024: BStUAbb. K1025: U.S. ArmyAbb. K1026: U.S. Army, David NolanAbb. K1027: U.S. Army, David NolanAbb. K1028: U.S. ArmyAbb. K1029: U.S. Army

Kapitel 11

Abb. K1101: Jörg Steck, www.joergsteck.de, Berlin Abb. K1102: Wilfried Huismann, mit freundlicher Genehmigung der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAbb. K1103: Jörg Steck, www.joergsteck.de, BerlinAbb. K1104: Jörg Steck, www.joergsteck.de, BerlinAbb. K1105: Jörg Steck, www.joergsteck.de, Berlin

Anhang

Abb. A01: Archiv VerfasserAbb. A02: Archiv VerfasserAbb. A03: Archiv VerfasserAbb. A04: Archiv VerfasserAbb. A05: Archiv VerfasserAbb. A06: BStUAbb. A07: U.S. Army, Fernando Serna

Umschlag Innenseite U2: BStU BerlinUmschlag Innenseite U3: Department of Defense, Washington D.C.

Abbildungsverzeichnis

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Anhang – Autorenseite

Abb. A05: Söhnke Streckel, Jahrgang 1970, Kommunikationswissenschaftler M.A., Journalist und Autor mit den Schwerpunkten Politik, politischer Extremismus, Militär und Geheimdienste.

Abb. A04: Akkreditierungskarte vom 31. August 1994.

Abb. A02: Das russische Magazin „Guten Tag – Journal aus Deutschland“ berichtete in seiner September-Ausgabe 1994 von der letzten Truppenparade anlässlich des Abzugs der WGT aus Deutschland. Die Parade fand in Berlin-Köpenick am 28. Juni 1994 in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Eberhard Diepgen, dem WGT-Oberkommandierenden Generaloberst Matwej Burlakow und dem russischen Botschafter in Berlin, Wladislaw P. Terechow statt. 20 000 Besucher säumten die Strecke.

Abb. A03: Offizielle Verabschiedung der WGT aus Deutschland am 31. August 1994 im Treptower Park. Soldat der „6. Berlinskaja Brigada“ in Paradeuniform.

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Der Autor bedankt sich für die freundliche Unterstützung bei folgenden Personen, Behörden und Firmen:

Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Berlin (Irene Schaarschmidt, Simone Külow, Rüdiger Droysen von Hamilton, Astrid Möser, Jörg Stoye); AlliiertenMuseum, Berlin (Dr. Helmut Trotnow, Bernd von Kostka); Bundesver-mögensamt/Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Zutrittsgenehmigungen für die ehemaligen WGT-Liegenschaften Brocken, Halber-stadt, Quedlinburg-Quarmbeck, Magdeburg, Mahlwinkel, Wünsdorf, Berlin-Karlshorst); Fundus Gruppe, Heiligendamm (Zutrittsgeneh-migung für die ehemalige WGT-Liegenschaft Halbinsel Wustrow); Department of Defense/The Pentagon, Arlington; Defense Intelligence Agency, Bolling Air Force Base, District of Columbia; National Security Agency, Ft. Meade; Central Intelligence Agency, Washington; Focus Magazin Verlag, München; Spiegel Verlag, Hamburg; Ullstein Buchverlage, Berlin; Militäreinheiten 45807, 70850, 54799, 54023, Moskau; Militäreinheit 48886, Wjasma; Militärinstitut für Funkelektronik, Woronesch; Hochschule für Regierungsfernmeldewesen des FSO, Orjol; Generaloberst a.D. Matwej P. Burlakow; ehemalige WGT-Presseoffiziere Oberst Dimitrij N. Timaschkow, Oberstleutnant Leonid M. Los; Peter Rentsch; Mike Barton; Jörg Steck; Hansjörg Hörseljau; Wladimir Kostin; Mark Prüfer; Horst Jäcker Darüber hinaus haben zahlreiche weitere Personen mit Hintergrundinformationen zum Gelingen beigetragen. Der Autor respektiert ihren Wunsch, namentlich nicht genannt zu werden.

Abb. A06: Ford Galaxie 500 (Bj. 1971) 181

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Abb. A07: Alliierten-Kontrollpunkt Glienicker Brücke im Januar 1990.


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