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Shared Space - adac.de · raum planen, der wiederum die neue Haltung „Miteinander statt Neben-...

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Shared Space Mehr Sicherheit durch weniger Regeln im Verkehr? ADAC – Wir machen Mobilität sicher
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Shared SpaceMehr Sicherheit durch wenigerRegeln im Verkehr?

ADAC – Wir machen Mobilität sicher

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Inhalt

Literaturempfehlungen:

Falk, M., Gerlach, J.: Gestaltung nach dem Shared Space-Prinzip in Deutschland – Analyse der Wirkungen von drei Beispielen, in: ZVS online, Heft 4, 2008

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 06, Köln 2007

Gerlach, J. u.a.: Sinn und Unsinn von Shared Space – Zur Versachlichung einer populären Gestaltungsphilosophie, in: Straßenverkehrs-technik 02/2008 und 03/2008

Gerlach, J. u.a.: Voraussetzung für die Umsetzung von Gemeinschaftsstraßen in Weiterentwicklung des Shared Space-Prinzips unter Beachtung der großstädtischen Rahmen-bedingungen der Freien und Hansestadt Hamburg, 03/2009 (Kurzbericht als Download unter www.hamburg.de)

Keuning Institut, INTERREG IIIB-Projektbericht „Shared Space – Raum für alle“, 05/2005

Keuning Institut, Senza Communicatie: Shared Space: Raum für alle, Groningen, NL, 2005

Ortlepp, J.: Shared Space – Wunschgedanke oder realistische Option, in: Unfallforschung kommunal, Nr. 4, 03/2009

Gesamtverband der Deutschen Versicherungs-wirtschaft e.V., GDV: Shared Space – eine neue Gestaltungsphilosophie für Innenstädte? Beispiele und Empfehlungen für die Praxis, Berlin, 2009

www.begegnungszonen.ch

www.bohmte.de: EU-Projekt Shared Space

www.fussverkehr.ch: Unfallgeschehen in Begegnungs zonen, Zürich 2008

www.sharedspace.eu: What does Shared Space mean, 04/2009

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Vorwort 3

Einführung 4

Rechtliche Grundlagen 5

Planerische Grundlagen 6

Anforderungen aus Sicht der Verkehrsteilnehmer 8

Anforderungen von Personen mit Mobilitätseinschränkungen 10

Shared Space aus Sicht der Verkehrssicherheit 12

Exkurs Begegnungszonen 14

Praxisbeispiel Bohmte 18

Praxisbeispiele aus den Niederlanden 20

Beispiele verwandter Maßnahmen 22

Beispiele nichtverwandter Maßnahmen 24

Fazit 26

Ausblick 27

Herausgeber:ADAC e.V., Ressort VerkehrAm Westpark 881373 München

Redaktion: Ronald Winkler

Die Broschüre kann direkt beim ADAC e.V. bezogen werden:ADAC e.V., Ressort Verkehr, Am Westpark 8, 81373 MünchenFax: (0 89) 76 76 45 67, E-Mail: [email protected].: 2830381Schutzgebühr: 5,– Euro

Nachdruck und fotomechanische Wiedergabe, auch auszugsweise,nur mit Genehmigung des ADAC e.V.

© 2009 ADAC e.V. München

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Die Städte in Europa stehen vor einem großen Umbruch. Mit Unterzeichnung der „Leipzig Charta“ im Mai 2007 durch die europäischen Bauminister steht nun erstmalig eine gesamt-europäische Strategie bereit, den Auswirkungen des demographischen, klimatischen und ökonomischen Strukturwandels in unseren Städten zu begegnen. Ziel ist es, der Einseitigkeit und Monotonie in den Innenstädten über eine integrierte Stadtentwicklungsplanung entgegenzuwirken, die darauf abzielt, den öffentlichen Raum zu stärken, die Bürger stärker an Planungsprozessen zu beteiligen und die Funktionen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit wieder stärker zu mischen.

Ähnliche Ziele wie in der Stadtentwicklung werden zunehmend auch im Verkehrsbereich verfolgt. Um der weiteren Abwanderung von Bevölkerung, Arbeitsstätten und Einkaufsorten in das Umland der Städte zu begegnen, ist es dringend erforderlich, die Attraktivität der Innenstädte zu stärken. Der Gestaltung des Straßenraums kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, schließlich müssen Aspekte des Städtebaus und Verkehrs mit vielfältigen Nutzungsansprüchen verknüpft werden.

Derzeit werden in mehreren europäischen Ländern Konzepte erprobt, über einen entspre-chenden Straßenentwurf in Kombination mit Verhaltensregeln und Vorschriften eine höhere Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit für zentrale städtische Bereiche zu erwirken. Beispiele sind der Verkehrsberuhigte Geschäftsbereich in Deutschland oder die Begegnungs-zone, die neben der Schweiz mittlerweile auch in Belgien und Frankreich Einzug gefunden hat. Noch relativ neu hingegen ist die in den Niederlanden entwickelte Idee von „Shared Space“. Im Gegensatz zu den konventionellen Ansätzen der Verkehrsberuhigung zielt Shared Space darauf ab, die Verkehrsteilnehmer ohne Verkehrszeichen und ohne fahrdynamisch wirksame Einbauten zu einem rücksichtsvolleren Verhalten zu bewegen. Erreicht werden soll dies über einen gemeinsam entwickelten und genutzten Straßenraum, der von sich aus niedrige Geschwindigkeiten nahelegt und die Kommunikation der Verkehrsteilnehmer unter-einander begünstigt.

Die Idee von Shared Space wurde von der EU aufgegriffen und in ein Pilotprojekt übergeführt, das 2008 abgeschlossen wurde. Die Erfahrungen, die dabei und im Rahmen ähnlicher Projekte gesammelt wurden, sollen Gegenstand dieser Publikation sein. Mit der vorliegenden Broschüre will der ADAC die oft kontrovers geführte Diskussion über Shared Space versach-lichen und die Kommunen von voreiligen Planungen und Umsetzungen außerhalb der Einsatzgrenzen abhalten. Schließlich ist es dem ADAC seit jeher ein großes Anliegen, an erster Stelle für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu sorgen.

Ulrich Klaus BeckerADAC-Vizepräsident für Verkehr

Vorwort

Ulrich Klaus BeckerADAC-Vizepräsident für Verkehr

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Ulrich Klaus Becker

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Einführung

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Von 2004 bis 2008 förderte die EU im Rahmen des Programms „INTERREG IIIB North Sea“ das Projekt Shared Space. Beteiligt waren sieben Modellstädte, darunter das deutsche Bohmte im Landkreis Osnabrück. Geleitet wurde das Projekt von dem niederländischen Verkehrsplaner Hans Monderman vom Keuning Institut in Groningen, der die Idee von Shared Space, dem „gemeinsamen Raum“ entwickelt hat. Spätestens seit Fertigstellung der Umbau-maßnahmen in Bohmte im Mai 2008 wird Shared Space in der Verkehrsplanung, Politik und Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Dazu beigetragen haben fehlende Definitionen, mangelhaf-te Evaluationen und ideologisch gefärbte Standpunkte von Planern, Politikern und Verbands-vertretern. Das vorliegende Papier soll dazu beitragen, die Diskussion zu versach lichen und die Einsatzgrenzen von Shared Space aufzuzeigen. Außerdem sollen alternative Ansätze zu Shared Space aus dem In- und Ausland näher beleuchtet werden.

Shared Space zielt darauf ab, den Straßenraum städtebaulich aufzuwerten, die Ansprüche aller Nutzergruppen (Kfz-Verkehr, Fuß- und Radverkehr, ÖPNV, Lieferverkehr, Personen mit Mobilitätseinschränkungen, Rettungsdienste) angemessen zu berücksichtigen, die Funktionalität der Straße über die reine Verkehrsfunktion hinaus zu stärken (Aufenthalt, Kommunikation, Wohnen, Einkaufen) und die Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer zu verbessern. Erreicht werden soll dies durch die Schaffung selbsterklärender, „aufgeräumter“ Straßenräume. Im Gegensatz zur Verkehrsberuhigung von Erschließungsstraßen der 70er und 80er Jahre soll Shared Space vor allem ein städtebaulich-soziologisch geprägter Ansatz für „menschlichere“ Hauptverkehrsstraßen sein. Nach Umgestaltung eines Straßenraumes im Sinne von Shared Space soll die „soziale“ Interaktion von Verkehrsteilnehmern Verkehrs-regeln mit Ausnahme des Rechtsfahrgebots und der Rechts-vor-Links-Regel weitgehend überflüssig machen.

Im Sinne des 2009 gegründeten Shared Space Institutes, das aus dem Keuning Institut hervorgegangen ist und die Shared Space-Philosophie Mondermanns weiterentwickelt hat, wird heute unter Shared Space weit mehr verstanden als ein von Verkehrsplanern und Bürgern gemeinsam entwickelter Straßenraumentwurf. Vielmehr wird Shared Space als Haltung verstanden, die ein rücksichtsvolles Verhalten in allen Lebenslagen bewirkt. Bezogen auf den Verkehrssektor kann dies bedeuten, dass Bürger in einem moderierten, demokratischen Prozess zusammen mit Experten aus allen Fachrichtungen „ihren“ Straßen-raum planen, der wiederum die neue Haltung „Miteinander statt Neben- oder gar Gegen-einander“ unterstützen soll. Aus diesem Grunde wollen sich die Geistesväter von Shared Space weder auf eine konkrete Definition noch auf exakte Vorgaben für die bauliche Umsetzung festlegen lassen.

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Rechtliche Grundlagen

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Die StVO lässt bereits heute – weit über das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme (§1) hinausgehend – die Realisierung von Shared Space-Inhalten zu, wobei v.a. die Inst-rumente des Verkehrsberuhigten Bereiches (VB) und des Verkehrsberuhigten Geschäfts-bereiches (VG) zu nennen sind. Theoretisch ließen sich niedrige Fahrgeschwindigkeiten und die Rechts-vor-Links-Regel auch über eine Ausweisung als Tempo 20- oder 10-Zone erreichen, allerdings müsste dann das Parken über Poller oder durch die Wahl enger Fahr-bahnquerschnitte unterbunden werden. Eine andere Möglichkeit zur Durchsetzung der Rechts-vor-Links-Regel bestünde darin, die Vorfahrtstraße entweder mit Zeichen 307 (Ende der Vorfahrtstraße) oder über abge-senkte Bordsteine im Bereich der Kreuzungen und Einmündungen aufzuheben. Allerdings wären dann zusätzliche Verkehrszeichen zur Reduzierung der Geschwindigkeiten und zur Einschränkung des Parkens aufzustellen.

VB (Zeichen 325.1 StVO) kommen dem Shared Space-Ansatz am nächsten, schließ-lich herrschen dort – vor allem durch den in der Regel niveaugleichen Ausbau – niedrige Fahrgeschwindigkeiten vor, Fußgänger und Kraftfahrer dürfen die Straße in ihrer ganzen Breite benutzen, es besteht der Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme und auf Schil-der innerhalb des Bereiches wird gänzlich verzichtet. Das Parken wird meist restriktiv gehandhabt und ist nur auf den dafür gekenn-zeichneten Flächen erlaubt. Allerdings sind VB – unabhängig von der Verkehrsbelastung – nur dort gestattet, wo die Aufenthaltsfunktion überwiegt (reine Wohngebiete, zentrale Geschäftsbereiche) und über bauliche Maß-nahmen eine Schrittgeschwindigkeit herge-stellt werden kann.

Auch der VG mit der Zeichenkombination 274.1 (Zone mit zulässiger Höchstgeschwin-digkeit) und 290 (Zone mit eingeschränktem Haltverbot) ist ein Instrumentarium zur städte-baulichen Aufwertung, zur Verkehrsberuhigung

und zur funktionalen Stärkung eines Straßen-raumes. Nach der StVO kommen dafür aber nur Straßen in zentralen städtischen Berei-chen mit hohem Fußverkehrsaufkommen und überwiegender Aufenthaltsfunktion in Frage. Niedrige Höchstgeschwindigkeiten (10 oder 20 km/h) und die zulässige weiche Abgren-zung zwischen Fahrbahn und Gehweg (z.B. Pflasterlinien, -rinnen, Flachborde, Markie-rungsknopfreihen) lassen Parallelen zu Shared Space erkennen. Trotzdem gilt hier weiter das Trennungsprinzip, wonach die Fahrbahn für Kfz und Radfahrer optisch eindeutig vom Gehweg abgetrennt sein muss, Fußgänger die Straße nicht in ihrer ganzen Breite nutzen dürfen und auch die Ansprüche des ruhenden Verkehrs zeitlich und räumlich zu regeln sind.

Für „echte“ Shared Bereiche ergeben sich aus rechtlicher Sicht diverse Fragen für den Fall, wenn es in dem völlig schilderfreien Raum zu einem Unfall kommt. Schließlich gilt im Amts-haftungsrecht die sogenannte Verkehrsrege-lungspflicht, wonach der Verkehr durch Ver-kehrszeichen möglichst gefahrlos zu lenken ist, sofern dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist (§45 Absatz 9 StVO). Allerdings dürfte dies für Shared Space-Bereiche nicht zutreffen, schließlich sind Gefahren dort – sofern überhaupt vor-handen – aufgrund der „aufgeräumten“ Stra-ßenräume leicht erkennbar und damit auch leicht abwendbar. Auf Nummer sicher gehen die Kommunen, wenn sie die jeweiligen Stra-ßenabschnitte als VB (mit „Vorrang“ für Fuß-gänger) oder VG (mit „Vorrang“ für den Kfz-Verkehr) ausweisen und damit zonenweit wei-tere Schilder zur Regelung der Vorfahrt, des Haltens und Parkens sowie der zulässigen Geschwindigkeit überflüssig machen. Unab-hängig davon, müssen die Kommunen gene-rell der Verkehrssicherungspflicht nachkom-men und darauf achten, dass Einbauten wie Bänke oder Laternenmasten nicht auf der Fahrbahn, sondern im Seitenraum aufgestellt werden.

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Planerische Grundlagen

6 Mischungsprinzip: Kfz, Fußgänger und Radfahrer auf einer Fläche

Im Gegensatz zum niederländischen Verständ-nis von Shared Space unternimmt Gerlach den Versuch, eine auf die deutschen Verhält-nisse zugeschnittene engere Definition von Shared Space zu unternehmen, die sich mehr auf die verkehrsplanerischen Aspekte konzen-triert. Danach bedeutet Shared Space die Anwendung des Mischungsprinzips auf dörf-liche Hauptstraßen und städtische Geschäfts-straßen, wobei der ruhende Verkehr aus dem Straßenraum verbannt und auf eine Beschil-derung weitgehend verzichtet wird. Dabei wird nach RASt 06 beim Mischungsprinzip „ver-sucht, durch intensive Entwurfs- und Gestal-tungsmaßnahmen mehrere Nutzungen mög-lichst weitgehend miteinander verträglich zu machen. Dies wird durch eine höhengleiche Ausbildung des gesamten Straßenraumes oder – insbesondere bei Umbauten unter Bei-behaltung der Borde – durch eine dichte Folge geschwindigkeitsdämpfender Entwurfselemen-te (z.B. Teilaufpflasterungen) angestrebt.

Bei den bisherigen Shared Space-Projekten wird das Trennungsprinzip der Verkehrsarten insbesondere in Platzbereichen weitest gehend durch niveaugleiche Gestaltung der Verkehrs-flächen und überwiegenden Verzicht von Parken am Fahrbahnrand aufgehoben. Die optische Dominanz der Fahrbahn soll damit gebrochen und eine flächenhafte Querung durch Fußgänger auch ohne Fußgängerüber-wege oder Lichtzeichenanlagen ermöglicht werden. Durch die bauliche Ausbildung und den weitgehenden Verzicht auf Verkehrszei-chen und Markierungen sollen die Kraftfahrer zu einem „sozialen“ Verkehrsverhalten moti-viert werden, sich als „Gast“ im Straßenraum fühlen und sich dementsprechend aufmerk-sam und rücksichtsvoll verhalten. Angepasste Geschwindigkeiten sollen damit auch ohne entsprechende Verkehrszeichen möglich sein, wobei die Akzeptanz durch intensive Bürger-beteiligung an der Planung weiter gefördert werden kann.

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Wasserablaufrinne: Sanfte Separation mit weichem Element

Absperrgitter: Sanfte Separation mit hartem Element

Im Sinne dieser Definition lassen sich durch-aus Anknüpfungspunkte zum bestehenden deutschen FGSV-Regelwerk erkennen. So war bereits in den EAHV93 die Möglichkeit gege-ben, Hauptverkehrsstraßen auf Teilabschnit-ten oder Platzbereichen im Mischungsprinzip auszuführen. Das Nachfolge-Regelwerk RASt 06 korreliert ebenfalls mit Inhalten des Shared Space-Prinzips. So kann etwa eine hohe Aufenthaltsfunktion auch über die Entwurfs-methodik der städtebaulichen Bemessung begründet werden, wonach eine „Straßen-raumgestaltung vom Rand aus“ den Seiten-räumen einen höheren Stellenwert einräumt als früher. Außerdem ermöglicht sie die An -lage von Fahrbahnen im Mischungsprinzip oder mit weicher Trennung, sofern die Ver-kehrsstärke von 400 Kfz/Spitzenstunde nicht überschritten wird und ein Tempolimit von 30 km/h gilt. In Ortsdurchfahrten können zur Geschwindigkeitsdämpfung an Knotenpunk-ten bzw. an städtebaulich- oder sicherheits-relevanten Stellen Anhebungen der Fahrbahn von 8-10 cm bei einer Rampenneigung von 1:15 erfolgen. In Verkehrsberuhigten Ge-schäftsbereichen sind selbst bei zulässigen Geschwindigkeiten von maximal 30 km/h Teil- und Plateauaufpflasterungen geeignet, wie sie sonst nur in Erschließungsstraßen üb-lich sind.

Ansätze wie Shared Space zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität sind also schon seit langem im deutschen Richtlinienwesen verankert, werden aber nur selten konsequent in der Praxis umgesetzt. Wirklich innovativ aus verkehrsplanerischer Sicht sind lediglich die Anwendung des Mischungsprinzips und der Rechts-vor-Links-Regelung auch bei höheren Verkehrsbelas-tungen sowie der weitgehende Verzicht auf Beschilderung.

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Anforderungen aus Sicht der Verkehrsteilnehmer

8 Auf Plätzen sinnvoll: Geschützte Aufenthaltsräume durch Poller und Absperrgitter

Fußgänger sind nach dem Shared Space-Ansatz die wichtigste Verkehrsteilnehmer-gruppe. Um ihnen in den weitgehend niveau-gleichen Straßenräumen der VB und VG Schutzflächen vorhalten zu können, muss eine Separation zum Kfz-Verkehr erfolgen. Diese kann über „weiche“ (z.B. Materialwechsel zwi-schen Fahrbahn und Seitenraum, Wasserab-laufrinnen, Tiefbordsteine, Möblierung) oder „harte“ Elemente (z.B. Poller, Absperrgitter/-ketten) erfolgen, wobei letztere auch gegen das Falschparken wirksam sind. Zur Steige-rung der Aufenthaltsqualität können Sitz bänke und gestalterische Elemente zum Einsatz kommen.

Radfahrer müssen bei Shared Space nicht zwangsläufig die Fahrbahn benutzen. Je nach Verkehrsstärke und persönlicher Neigung können sie selbst den für sie optimalen Ver-kehrsraum auswählen. Sind aufgrund hoher Radverkehrsstärken oder mangelnder Platz-

verhältnisse im Seitenraum Konflikte mit Fußgängern zu erwarten, sollte der VG dem VB vorgezogen werden. Auch sind die Park-bedürfnisse des Radverkehrs zu berücksich-tigen, um ein „wildes“ Abstellen von Fahr-rädern auf dem Gehbereich zu verhindern. Dazu bieten sich Abstellanlagen in den Sei-tenstraßen sowie Absperrgitter am Fahrbahn-rand an.

Autofahrer profitieren bei Shared Space von „aufgeräumten“ Straßenräumen und damit optimalen Sichtbeziehungen aufgrund des weitgehend eliminierten Schilderwaldes und Parkens am Fahrbahnrand. Um die Akzeptanz für niedrige Fahrgeschwindigkeiten zu gewähr-leisten, dürfen die niveaugleichen Abschnitte nicht zu lang sein, vor allem wenn keine Umfahrung im „schnellen Netz“ möglich ist. Bei höherer Verkehrsbelastung können die Zu- und Ausfahrten als Kreisverkehr ausgebildet werden, um den Verkehrsablauf zu verbessern

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Kaum vereinbar: Regelmäßiger Busverkehr und Shared Space

Voraussetzung gegen Falschparken: Ausreichend Stellplätze im Seitenraum

Geschwindigkeitsbremse: Kreisverkehre in den Zufahrten von Shared Space-Bereichen

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und eine „Torwirkung“ zur Geschwindigkeits-absenkung zu erzielen.

Um unkontrolliertes Halten und Parken in den Shared Space-Abschnitten zu vermeiden, müssen im nahen Umfeld ausreichend Stell-plätze vorhanden sein. Im Einzelfall können Parkstände für Behinderte und das Liefern und Laden angeboten werden, sofern daraus keine Gefährdungen durch Sichtbehinderun-gen resultieren.

Bei regelmäßigem Linienbusverkehr sollte Shared Space nur nach sorgfältiger Einzelfall-prüfung eingerichtet werden, vor allem dann, wenn es sich nicht um einen Platzbereich, sondern um einen längeren Streckenabschnitt handelt. In der Regel wird dabei eine Aus-weisung als VG die bessere Lösung darstellen als der VB, weil damit höhere Fahrgeschwin-digkeiten möglich sind. Sollte eine Haltestelle in einem Shared Space-Abschnitt liegen, ist sie auch entsprechend auszuschildern.

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Anforderungen von Personen mit Mobilitätseinschränkungen

10 Fußgängerüberweg: Aufgrund fehlender Bordsteinkante für Blinde trotz Leitstreifen problematisch

Niveaugleiche Verkehrsflächen stellen für Blinde und sehbehinderte Verkehrsteilnehmer ein großes Problem dar. Zum einen können sie nur eingeschränkt mit anderen Verkehrs-teilnehmern kommunizieren, zum anderen sind sie durch die fehlende Bordsteinkante (für Blinde mit Langstock und Blindenführ-hunde das wichtigste Orientierungsmerkmal) und durch die einheitliche Oberflächengestal-tung dringend auf zusätzliche Leitelemente angewiesen. Idealerweise sollten die Gehbe-reiche im Seitenraum durch mindestens 3 cm hohe Borde von der Fahrbahn weich separiert und die Gehbereiche selbst taktil und visuell differenziert gestaltet werden. Dies kann durch die Verwendung unterschiedlicher Pflaster-streifen erfolgen oder durch den Einbau von Leitstreifen und Aufmerksamkeits feldern ins-besonders im Bereich der Querungen und Haltestellen. Auch sollte der Gehbereich aus-reichend breit und frei von Hindernissen und parkenden Fahrzeugen sein. Einbauten am

Behindertenstellplätze: Gehbehinderte Personen sind auf Stellplätze nahe der Geschäfte angewiesen

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Taktiles Leitsystem: Sinnvoll, aber für Blinde kein Ersatz für Bordsteinkante

Bushaltestelle: Rollstuhlgerecht, aber für Blinde kaum auffindbar

Rande des Gehweges wie zum Beispiel Poller oder Absperrgitter sollten kontrastreich mar-kiert werden. Fußgängerüber wege sind am Anfang und Ende der Shared Space-Bereiche einzurichten sowie überall dort, wo ein be-sonderes Schutzbedürfnis besteht.

Blinde und Sehbehinderte haben auch be-sondere Ansprüche an die Ausstattung von ÖPNV-Haltestellen. Dazu gehören eine gute Erkennbarkeit und sichere Erreichbarkeit der Haltestelle sowie ein barrierefreier Zustieg in das Fahrzeug über erhöhte Wartebereiche mit Rampen. Gehörlose sind vor allem durch Straßenbahnen gefährdet, weil diese sich nahezu lautlos nähern. Deshalb sollten Berei-che mit Straßenbahnen nicht mit Shared Space verknüpft werden.

Kinder und Senioren stellen eine weitere Risikogruppe bei Shared Space dar. Zwar profitieren sie von den aufgeräumten und verlangsamten Verkehrsräumen, sind aber aufgrund ihrer eingeschränkten sensorischen und motorischen Fähigkeiten dennoch beson-ders gefährdet. Auch ist deren Kommunika-tionsfähigkeit (Blickkontakte) durch geringe Körpergröße, mangelhaftes Sehvermögen oder verminderte Aufmerksamkeit deutlich eingeschränkt. Aus diesem Grunde sollten in Shared Space-Abschnitten mit Teilseparation vorgezogene Seitenräume, Mittelinseln oder Fußgängerüberwege in kurzem Abstand ein-gerichtet werden, sofern erhöhte Anforde-rungen dieser Personengruppen – etwa durch nah gelegene Schulen, Alten- oder Blinden-heime – an die Überquerbarkeit gestellt werden.

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Shared Space aus Sicht der Verkehrssicherheit

12 Torenstraat/De Drift (Drachten): Keine Führungshilfen für Radfahrer

Über die Wirksamkeit von Shared Space auf die Verkehrssicherheit lässt sich bisher nur wenig sagen, schließlich liegen bis auf Bohm-te keine Erfahrungsberichte aus Deutschland vor. Nach einer Analyse der Polizeiinspektion Osnabrück für den betroffenen Shared Space-Abschnitt der Bremer Straße in Bohmte hat sich dort das Unfallgeschehen keinesfalls ver-bessert. So traten in den 15 Monaten nach Fertigstellung des Umbaus mit 23 Unfällen fast drei Mal so viele Unfälle auf wie im Jahr 2007, dem Jahr vor Baubeginn. Sorge bereitet auch die Tatsache, dass sich nach dem Umbau bereits drei Unfälle mit Radfahrerbe-teiligung ereignet haben, gegenüber vier Rad-verkehrsunfällen in den gesamten vier Jahren zuvor.

Günstiger fällt die Bewertung von Shared Space aus, wenn man anstelle von Bohmte die Daten von Kevelaer und Brühl zu Grunde legt, wo jeweils ein Platz als Verkehrsberuhig-ter Bereich im Sinne von Shared Space um gebaut wurde. Nach einer Analyse der Unfallsituation für den Roermonder Platz in Kevelaer, den „Stern“ in Brühl und die Strese-mannstraße in Mönchengladbach (Verkehrs-beruhigter Geschäftsbereich) durch Falk/Ger-lach schneiden Platzbereiche tendenziell bes-ser ab als Streckenabschnitte.

Unfallsituation: Während auf den beiden Platzbereichen keine Veränderung des Unfall-geschehens eintrat erhöhte sich die Unfallzahl auf dem Streckenabschnitt signifikant, wobei 50% der Unfälle mit dem ruhenden Verkehr verbunden waren.

Fahrgeschwindigkeiten: Auch wenn die zuläs-sigen Höchstgeschwindigkeiten in allen drei Bereichen überschritten wurden, bleibt fest-zuhalten, dass sich die Geschwindigkeiten immer noch auf stadtverträglichem Niveau befinden (v85 von 17 km/h auf den Plätzen und von 27 km/h auf dem Streckenabschnitt).

Akzeptanz: Das Verhalten der Pkw-Fahrer wur-de auf den beiden Plätzen besser bewertet als auf dem Streckenabschnitt. Möglicherweise lag dies an der größeren Verunsicherung der Autofahrer und der damit einhergehenden defensiven Fahrweise auf den beiden Plätzen durch die dort komplexere Verkehrssituation und die schwierige Unterscheidung zwischen Fuß- und Gehweg.

Konflikte: Während auf den beiden Plätzen in Brühl und Kevelaer keine schwerwiegenden Konflikte beobachtet werden konnten, gab es

Bremer Straße 2004 2005 2006 2007 2008* 2008** 2009***Gesamt 5 7 11 8 2 11 12Getötete 0 0 0 0 0 0 0Schwerverletzte 0 0 1 0 0 0 0Leichtverletzte 2 1 2 1 0 2 0Sachschäden 3 6 8 7 2 9 12

* 10/2007 bis 05/2008 (Bauphase) ** 06/2008 bis 12/2008 *** 01/2009 bis 08/2009

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Laweiplan (Drachten): Radfahrerfurten sind deutlich erkennbar

davon zahlreiche in Mönchengladbach, die vor allem aus den Begegnungen zwischen dem Parksuchverkehr und fließenden Kfz-Ver-kehr resultierten.

Für die niederländischen Shared Space-Pro-jekte gibt es keine detaillierten und statistisch abgesicherten Unfalluntersuchungen. Die Fall-zahlen sind insgesamt nur gering und auch lassen sich die teilweise positiven Unfallent-wicklungen nicht immer eindeutig auf Shared Space zurückführen.

In Drachten ergibt sich ein differenziertes Bild bei der Betrachtung der Unfallsituation: Während sich die Unfallsituation am Knoten-punkt Torenstraat/De Drift leicht verschlech-tert hat – auffällig ist der Anstieg der Unfälle mit leichtem Personenschaden – kam es am Laweiplan nach Umbau des zuvor lichtsignal-geregelten Knotens in einen Kreisverkehr zu einem deutlichen Rückgang der Unfälle. Dieser dürfte allerdings weniger eine Folge von Shared Space sein – entsprechende bau-liche Elemente wurden hier nur sparsam ver-wendet – als vielmehr ein Resultat der nach-

weislich positiven Wirkung des Kreisverkehrs auf die Verkehrssicherheit. Am eindeutigsten zeigt sich das unfallsenkende Potential von Shared Space am Beispiel des Rijkstraatwegs in Haren. Auffällig ist, dass dort nach dem Umbau keine Unfälle mehr mit Personenscha-den auftraten und auch bei den Sachschäden ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen war.

Laweiplan Schwer- Leicht- Sach-(Drachten) Getötete verletzte verletzte schaden Summe1997–2000 0 2 6 33 412001 (Umbau) 0 0 0 4 42002–2006 0 0 2 15 17

Torenstraat/De Drift Schwer- Leicht- Sach-(Drachten) Getötete verletzte verletzte schaden Summe1994–1997 0 0 1 19 201998 (Umbau) 0 0 1 2 31999–2006 0 0 9 28 37

Rijkstraatweg Schwer- Leicht- Sach-(Haren) Getötete verletzte verletzte schaden Summe1997–2003 0 2 8 70 802003 (Umbau) 0 0 0 11 112004–2006 0 0 0 17 17

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Exkurs Begegnungszonen

Deutliche „Torwirkung“: Schilder und Fahrbahnmarkierungen kennzeichnen den Eingangsbereich

Die Begegnungszone stellt – bezogen auf die zulässige Geschwindigkeit – eine Zwischen-form zwischen der Tempo 30-Zone und dem VB dar. Sie kommt neben der Schweiz mittler-weile auch in Belgien und Frankreich auf Nebenstraßen in Wohn- oder Geschäftsberei-chen zum Einsatz. Die zulässige Geschwindig-keit ist dort auf 10 oder 20 km/h begrenzt. Fußgänger haben gegenüber dem Fahrverkehr Vorrang. Sie dürfen die gesamte Fahrbahn nutzen und queren, sofern sie den Fahrver-kehr nicht unnötig behindern. Parken ist nur auf gekennzeichneten Flächen erlaubt. Die rechtliche Regelung entspricht somit dem VB, allerdings ist Kinderspiel nur im Seitenraum erlaubt. Eine Niveaugleichheit der Verkehrsflä-chen ist nicht zwingend vorgeschrieben und wird daher (aus Kostengründen) nur selten realisiert. Die Philosophie der Begegnungs-zone setzt wie Shared Space auf Gleichbe-rechtigung, Freiwilligkeit und Interaktion der Verkehrsteilnehmer. Von der Umsetzung in der Praxis machten sich ADAC Vertreter im Rah-men einer Exkursion im Juli 2008 ein Bild.

Frankfurt am MainIm August 2008 wurden im Frankfurter Stadt-teil Nordend in der Rotlintstraße und Vogels-

bergstraße die ersten Begegnungszonen Deutschlands eingeweiht, weitere Straßen folgten im Sommer 2009. In denen als VB ausgewiesenen Zonen (auf einer Straßenseite steht Zeichen 325.1, auf der anderen das inoffizielle Zeichen „Begegnungszone“) gilt anders als in der Schweiz jedoch nicht Tempo 20, sondern Schrittgeschwindigkeit. Im Gegen-satz zum konventionellen VB gibt es in den Frankfurter Begegnungszonen keine niveau-gleichen Verkehrsflächen, das heißt Fahrbahn und Gehwege sind baulich durch Hochbord-steine voneinander getrennt. Dennoch dürfen Fußgänger die Straße in der gesamten Breite nutzen, selbst Kinderspiel ist erlaubt. Um Autofahrer trotz Separationsprinzip zur Einhal-tung der Schrittgeschwindigkeit zu motivieren, wurden diverse Fahrbahnmarkierungen ange-bracht. Dazu zählen neben den Piktogrammen für Zeichen 325.1 (VB) und 136 (Kinder) rot eingefärbte Aufmerksamkeitsfelder im Bereich von Gefahrenstellen, grüne Schraffuren in den Kreuzungsbereichen und schwarz-weiße Schachbrettmuster in den Einfahrten. Im Gegensatz zum Schweizer Vorbild wurden aufgrund des hohen Parkdrucks Längs- und Senkrecht-Parken (zum Teil sogar beidseitig oder auf dem Gehweg) über Verkehrszeichen

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15Neues „Verkehrszeichen“: Begegnungszone

Ersatz für bauliche Maßnahmen: Piktogramme und Einfärbungen

Gefährlich für Fußgänger: Schlechte Sichtbeziehungen durch parkende Autos

zugelassen, was mit Shared Space genauso unvereinbar ist wie die zahlreichen Verkehrs-zeichen zur Regelung des Parkens innerhalb der Zone. Eine Vor-Ort-Besichtigung der Frankfurter Begegnungszonen durch ADAC-Experten im Mai 2009 führte zu der Einschät-zung, dass dort meist 30 km/h und schneller gefahren wird, obwohl nur Schrittgeschwin-digkeit zulässig ist. Außerdem entstand der Eindruck, dass Kraftfahrer Fußgänger auf der

Fahrbahn eher als „Störkörper“ denn als gleichberechtigten Verkehrsteilnehmer be-trachten. So wunderte es nicht, dass weder Fußgänger noch Kinder „ihre“ Straße in Anspruch nahmen. Die Durchführung bauli-cher Maßnahmen, eine starke Begrenzung des Parkens sowie ein realistisches Tempo-limit von 20 km/h scheinen damit neben dem Fußgängervorrang wichtige Erfolgsfaktoren von Begegnungs zonen zu sein.

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Exkurs Begegnungszonen

16 Biel: Dunkle Pflasterstreifen dienen als Fahrbahnbegrenzung

Biel (Schweiz)Ende 2002 wurde der Zentralplatz von Biel nach umfangreichen Umbaumaßnahmen als Begegnungszone in Betrieb genommen. Über den Platz verkehren täglich etwa 10.000 Kfz und 5.500 Fahrräder. Darüber hinaus kommt es aufgrund der 1.200 Busse pro Tag zu einer sehr hohen Anzahl an Fußgängerbewegungen.

Der Platz ist niveaugleich in hellem Asphalt gestaltet und weitgehend von Verkehrszeichen und Lichtsignalanlagen befreit. Die Abgren-zung der Fahrbahn vom Seitenraum erfolgt über dunkle Pflasterstreifen und vereinzelte Pflanzkübel. Große Freiflächen und der weit-gehende Verzicht auf Möblierungselemente verleihen dem Platz eine gewisse Großzügig-keit und „Aufgeräumtheit“. Bezüglich der Ver-kehrssicherheit lassen sich positive Tenden-zen ableiten. Eine Geschwindigkeitsmessung aus dem Jahre 2003 ergab, dass drei Viertel aller Kraftfahrer die zulässige Geschwindigkeit von 20 km/h einhielten. Eine für den Zentral-

platz durchgeführte Unfallauswertung ergab, dass die Zahl der jährlichen Unfälle von durchschnittlich 2,2 auf 1,8 zurückgegangen ist. Die niedrigen Fallzahlen lassen allerdings keine repräsen tativen Aussagen zu.

Biel:Fußgänger und Radfahrer haben freie Bewegungsräume

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17Könitz: Schutzstreifen für Radfahrer und Mittelstreifen als Querungshilfe für Fußgänger

Könitz (Schweiz)Der Berner Vorort Könitz wurde durch seine Vorreiterfunktion bei der Verkehrsberuhigung von Hauptverkehrsstraßen bekannt. So wurde dort auf der mit 16.000 Kfz pro Tag stark befahrenen Schwarzenburgstraße zwar keine Begegnungszone, dafür aber Tempo 30 ange-ordnet und ein – durch Laternenmasten nicht befahrbarer – Mittelstreifen angelegt, um Fuß-gängern ein flächiges Queren der Fahrbahn – allerdings ohne Vorrang – zu ermöglichen. Punktuell wurden nachträglich Fußgänger-überwege eingerichtet, um auch schwächeren Verkehrsteilnehmern das Queren der Fahr-bahn zu erleichtern. Für den Radverkehr wur-de auf beiden Straßenseiten ein Schutzstrei-fen markiert. Daneben wurden die Eingangs-bereiche markant gestaltet (Tempo 30-Schild und -Piktogramm). Poller grenzen den Seiten-raum von der Fahrbahn ab und verhindern ein Abstellen von Fahrzeugen. Parken wird restriktiv gehandhabt und ist nur auf gekenn-zeichneten Flächen zulässig. Eine Zufluss-

dosierung über Pförtnerampeln lässt nur so viele Fahrzeuge in die Straße einfahren, wie es die Kreisverkehre der Ortsdurchfahrt verkraf-ten. Parallelen zu Shared Space er geben sich aus der weichen Trennung der Verkehrsarten, dem aufgeräumt wirkenden Straßenraum und der flächenhaften Überquerbarkeit der Fahr-bahn für Fußgänger.

Könitz: Poller zur Verhinderung von Falschparkern

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Praxisbeispiel Bohmte

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Ausgangssituation für die Einrichtung von Shared Space in Bohmte war die hohe Ver-kehrsbelastung der Ortsdurchfahrt mit 12.500 Kfz und 1.000 Lkw pro Tag bei gleichzeitig schlechter Aufenthaltsqualität und geringer Attraktivität für Kunden der ansässigen Geschäfte. Durch die Teilnahme am EU-Pro-jekt Shared Space ergab sich für Bohmte die Chance, sich einen Teil der Planungs- und Baukosten durch die EU finazieren zu lassen. Der im April 2008 beendete Umbau hat 2,35 Millionen Euro gekostet, davon hat die EU 576.000 Euro übernommen.

Baulich wurde dazu ein knapp 400 m langer Abschnitt der Bremer Straße als Mischfläche gestaltet, wozu ein einheitliches rötliches Betonsteinpflaster verwendet wurde. Fahr-bahn und Seitenraum werden lediglich durch eine Wasserablaufrinne „weich“ voneinander separiert, zusätzlich sollen Laternenmasten ein Befahren des Seitenraumes verhindern, der durch einen mittig verlaufenden Blinden-leitstreifen optisch in eine Innen- und Außen-zone gegliedert wird. Auf Beschilderung wur-de bis auf Zeichen 307 (Ende der Vorfahrt-straße) an allen Zufahrten und dem Schild „Achtung, Vorfahrt geändert“ gänzlich verzich-tet, es gilt „Rechts-vor-Links“ sowie eine

Funktionaler Mangel: Der Blindenleitstreifen suggeriert eine Begrenzungslinie für das Parken

Höchst-Geschwindigkeit von 50 km/h für Pkw und von 30 km/h für Lkw. Eine Besonderheit bildet ein kleiner Kreisverkehr, der nicht wie üblich mit Zeichen 215 (Kreisverkehr) be-schildert ist und daher auch ein Umfahren der Mittelinsel in beiden Richtungen zulässt. Auch fehlt das Zeichen 205 (Vorfahrt gewähren!) an den Zufahrten, so dass Fahrzeuge im Kreis-verkehr nicht vorfahrtberechtigt sind, sondern die Rechts-vor-Links-Regel einhalten müssen.

Im Rahmen mehrerer Ortsbesichtigungen durch ADAC-Experten konnte festgestellt wer-den, dass trotz der nach wie vor hohen Ver-kehrsbelastung kaum Störungen im Verkehrs-ablauf auftreten. Die Geschwindigkeiten wir-ken verträglich, Begegnungen zwischen zwei Lkw verlaufen weitgehend problemlos, indem kurzfristig auf den Seitenstreifen ausgewichen wird. Als problematisch erwiesen sich vor Ort die abgestellten Fahrzeuge im inneren Seiten-raum – offenbar wird der Blindenleitstreifen von einigen Autofahrern als Begrenzungslinie für Parkstände interpretiert – und die gemein-same Nutzung des äußeren Seitenraumes durch Fußgänger und Radfahrer. Offenbar meiden letztere den inneren Seitenraum, weil dieser in regelmäßigen Abständen mit Later-nenmasten versehen ist. Ebenfalls kritisch

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wurde die Überquerbarkeit der stark befahre-nen Straße für Kinder und Senioren einge-stuft, da keinerlei Querungsanlagen vorhan-den sind und damit auch kein Vorrang für diese Gruppen besteht.

Beteiligungsverfahren spielten in Bohmte – wie bei allen „echten“ Shared Space-Projekten – eine zentrale Rolle. Neben drei Einwohnerver-sammlungen fanden mehrere Bürger-Work-shops statt, die von der Verwaltung moderiert

Idealfall: Radfahrer befahren den inneren Seitenraum

Ungewohntes Bild: Beliebiges Befahren des Kreisverkehrs durch fehlendes Verkehrszeichen 215

Städtebaulich unbefriedigend: „Schilderwald“ im Kreisverkehr

wurden. Dabei wurden Leitvorstellungen für die Gestaltung der Ortsdurchfahrt entwickelt und an ein interdisziplinäres Planungsteam delegiert, das konsensfähige verkehrliche und städtebauliche Lösungen in einem koopera-tiven Planungs- und Entscheidungsprozess erarbeiten musste. Die intensive Bürgerbe-teiligung wurde u.a. auch deshalb durch-geführt, um auf das sonst erforderliche Plan-feststellungsverfahren verzichten zu können und damit die Planung zu beschleunigen.

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Praxisbeispiele aus den Niederlanden

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Shared Space wurde in den Niederlanden bereits in mehr als 100 Kommunen in die Praxis umgesetzt. Exemplarisch sollen hier die „Vorzeigeprojekte“ aus Drachten und Haren dargestellt werden, die von ADAC-Experten im Mai 2009 besichtigt wurden.

Laweiplan (Drachten)Lange Zeit galt der Kreisverkehr Laweiplan (18.000 Kfz/5.000 Radfahrer pro Tag) als Musterbeispiel für Shared Space, schließlich konnte dort die Unfallzahl durch Einrichtung eines Kreisverkehrs signifikant abgesenkt wer-den. Radfahrer können die Kreisfahrbahn und die Flächen im Seitenraum ohne Einschrän-kungen nutzen. Untypisch sind allerdings die zahlreichen Fahrbahnmarkierungen in den Zu- und Ausfahrten in Form von „Haifischzähnen“ und „Zebrastreifen“ zur Einräumung eines Vor-ranges für Radfahrer und Fußgänger. Bei der Besichtigung vor Ort war festzustellen, dass Radfahrer im Vertrauen auf ihre Vorfahrt oft-mals „blind“ in die Radfahrerfurten einfahren, ohne dabei auf Fahrzeuge zu achten, die gera-de die Kreisverkehrsfahrbahn verlassen.

Torenstraat / De Drift / Kaden (Drachten)Bei dieser Kreuzung handelt es sich um einen im Mischungsprinzip gestalteten Platzbereich mit 15.000 Kfz und 7.000 Radfahrer pro Tag. Die Flächenzuteilung erfolgt lediglich über Baumscheiben, Poller und Laternenmasten. Radfahrer können den Platz frei befahren, für Fußgänger wurde nachträglich auf der Haupt-zufahrt ein gepflasterter „Zebrastreifen“ ange-legt, der allerdings für Sehbehinderte auf-grund des nur wenig kontrastreich gestalteten Auffangstreifens kaum erkennbar ist. Vor Ort wurde vor allem das Verhalten der Radfahrer bemängelt, die häufig ohne Blickkontakt und Handzeichen ihre Fahrtrichtung ändern und damit kritische Situationen hervorrufen.

Laweiplan (Drachten): Vorrang für Radfahrer durch „Haifischzähne“

Torenstraat (Drachten): Fehlende Flächenzuteilung macht gegenseitige Kommunikation erforderlich

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Rijksstraatweg (Haren): Shared Space in „Reinkultur“

Rijksstraatweg (Haren): „Zebrastreifen“ und Shared Space – kein Widerspruch

Rijksstraatweg (Haren)Beim Rijksstraatweg handelt es sich um eine von Parkständen und Verkehrszeichen befreite Geschäftsstraße (8.000 Kfz pro Tag), bei der die Fahrbahn auf einer Länge von etwa 400 m nivaugleich zum Seitenraum gestaltet wurde. Die Trennung zwischen Fahrbahn und Seiten-raum erfolgt über weiche (Oberflächenbelag, Farbwahl) und harte Elemente (Gitter, Later-nenmasten). Im Bereich der beiden Einmün-dungen wurde die gesamte Verkehrsfläche einheitlich gepflastert, um die Rechts-vor-Links-Regelung hervorzuheben. Auf eine Flä-chenzuteilung wurde hier fast gänzlich ver-zichtet, lediglich Zebrastreifen und Bänke tra-gen zu einer gewissen Kanalisierung der Fuß-gängerströme bei. Die Zu- und Ausfahrten in den Rijksstraatweg wurden als Kreisverkehre gestaltet, den Erfordernissen des ÖPNV durch Einrichtung eines Haltestellenkaps mit Hoch-bord Rechnung getragen. Besonders ungüns-tig wurde die Situation für Blinde bewertet. So gibt es weder ein Blinden-Leitsystem, noch werden die Gehwege konsequent von Hinder-nissen (Fahrräder, Geschäftsauslagen) frei-gehalten.

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Beispiele verwandter Maßnahmen

Auch in Deutschland gibt es eine Reihe von Beispielen, die dem Gedanken von Shared Space nahe kommen. In der Regel handelt es sich dabei um VB und VG, die innerhalb des rechtlichen Rahmens im Sinne von Shared Space baulich gestaltet wurden. Die hier dar-gestellten Beispiele aus Brühl und Kevelaer wurden ebenfalls im Rahmen einer Fachex-kursion im Mai 2009 besucht.

“Stern” (Brühl)Beim sogenannten “Stern” handelt es sich um einen zentralen Platz mit hoher Einkaufszen-tralität, der trotz hoher Verkehrsstärke (7.500 Kfz pro Tag) und regelmäßigem Linienbusver-kehr als VB ausgewiesen ist. Die fünf versetzt einmündenden Straßen werden davon durch quer über die Fahrbahn verlaufende rote Pflasterbänder optisch abgegrenzt. Der Platz wurde niveaugleich mit diagonal laufenden Pflasterstreifen ausgeführt, die einen “opti-schen Durchschuss” verhindern. Über Gitter und Poller erfolgt eine starke Kanalisierung des Kfz-Verkehrs, Fußgänger werden über rote Pflasterbänder und Durchlässe in den Gittern an bestimmten Stellen “sanft” über den Platz gelenkt. Radfahrer benutzen meist die Ver-kehrsfläche innerhalb der Gitter zusammen mit dem Kfz-Verkehr, den dahinter liegenden Fußverkehrsraum fast nur zum Abstellen von Fahrrädern. Vor Ort wurde bemängelt, dass für Blinde und Sehbehinderte kein adäquates Leitsystem zur Verfügung steht.

Brühler “Stern”: Rotes Pflaster für Fußgänger, graues Pflaster für den Fahrverkehr

Brühler “Stern”: Ausweisung mit VZ 325.1

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Roermonder Platz: Sanfte Lenkung des Kfz-Verkehrs über Poller

Roermonder Platz: Ausweisung mit VZ 325.1

Roermonder Platz (Kevelaer)Beim Roermonder Platz handelt es sich um eine Örtlichkeit am Rande der Innenstadt, die trotz hoher Verkehrsstärke (10.000 Kfz pro Tag) als VB ausgewiesen ist. Aufgrund der hohen Bedeutung Kevelaers als Pilgerort, der unmittelbar angrenzenden Fußgängerzone und eines Einkaufzentrums direkt am Platz sind Fußgänger und Radfahrer optisch im Straßenraum stark präsent. Der Platz wurde niveaugleich mit diagonal verlaufenden Pflas-terbändern gestaltet, die aus roten und hellen Betonsteinen bestehen und sich damit optisch von den einmündenden Straßen abheben. Für den Kfz-Verkehr gibt es eine in beiden Rich-tungen befahrbare Hauptachse und eine dar-in einmündende Einbahnstraße, so dass die Verkehrszeichen 267 (Verbot der Einfahrt) und 209 (Vorgeschriebene Fahrtrichtung) sowie das Zusatzzeichen “Radfahrer frei“ er-forderlich wurden. Fußgänger und Radfahrer können den gesamten Platz frei benutzen, der Kfz-Verkehr wird über einzelne Poller kanalisiert. Der Platz wurde von den Exkursionsteilnehmern als gelungenes Bei-spiel für Shared Space bewertet, lediglich die mangelhafte Berücksichtigung von Blinden und Sehbehinderten (kein Leitsystem, wenig kontrastreiche Poller) wurde bemängelt.

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Beispiele nichtverwandter Maßnahmen

Maffeistraße (München)Bei der Maffeistraße handelt es sich um eine Fußgängerzone mit Straßenbahnbetrieb in Mittellage. Sie wurde durch das Zusatzzeichen „Radfahrer frei“ für den Radverkehr freigege-ben, um für diesen eine durchgehende Ost-West-Verbindung vom Promenadenplatz zur Schrammerstraße zu ermöglichen. Der Rad-verkehr ist damit dem Fußverkehr untergeord-net und muss auf diesen entsprechend Rück-sicht nehmen. Für Radfahrer gilt wie für die ebenfalls zugelassenen Lieferfahrzeuge und Straßenbahnen Schrittgeschwindigkeit. Von Shared Space kann bei Fußgängerzonen trotz dominierender Aufenthaltsqualität allerdings keine Rede sein, da Kraftfahrer grundsätzlich ausgeschlossen werden und auch städte-bauliche Gründe nicht das Hauptmotiv für die Umgestaltung des Straßenraumes sind. Darüber hinaus sind Fußverkehr und Straßen-bahnverkehr auf einer gemeinsamen Verkehrs-fläche (ohne eigenen Gleiskörper der Straßen-bahn) nicht miteinander verträglich. Schließ-lich haben Straßenbahnen auch in Fußgänger-zonen Vorrang und sind dort häufig schneller als mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs.

Hansastraße (Kiel)Die bereits 1992 als Fahrradstraße eingerich-tete Hansastraße stellt eine Mischverkehrs-fläche zwischen dem Kraft- und Radverkehr dar, da diese durch ein entsprechendes Zusatzzeichen für den Kfz-Verkehr frei gege-ben ist. Neben der Mischung dieser beiden Verkehrsarten stellen die niedrige Fahrge-schwindigkeit (zulässig sind 30 km/h) und die Rolle des Kfz-Verkehrs als „Gast“ weitere Merkmale von Shared Space dar. Dem Prinzip widersprechend sind allerdings die Führung des Fußverkehrs auf separaten Geh wegen, die untergeordnete Rolle des Aufenthalts von Fußgängern, die Zulässigkeit von Parken und die geringe Verkehrsbedeutung der Hansa-straße.

Maffeistraße: Fußgängerzone mit Straßenbahnbetrieb

Hansastraße: Fahrradstraße mit freigegebenem Kfz-Verkehr

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Neuer Wall: Einkaufsstraße mit Kfz-Verkehr

Neuer Wall: Parkflächen sind eindeutig erkennbar

Neuer Wall (Hamburg)Beim “Neuen Wall” handelt es sich um eine exklusive Einkaufsstraße von etwa 500 m Länge, die als VG ausgewiesen ist. Die Höchst-geschwindigkeit ist auf 20 km/h begrenzt, Parken nur auf ausgewiesenen Plätzen erlaubt. Trotz “weicher Separation” von Kfz- und Fuß-verkehr über 3 cm hohe Borde, Verzicht auf Beschilderung und einer hohen Aufenthalts-qualität kann nicht von Shared Space ge-sprochen werden. Schließlich ist Parken auf einer Straßenseite fast durchgängig erlaubt, wodurch die Sichtbeziehungen auf querende Fußgänger maßgeblich beeinträchtigt sind. Für Geschäftsstraßen, die sich für Shared Space auf Grund eines hohen Parkdrucks nicht eignen, stellt der Neue Wall aber durch-aus ein gelungenes Beispiel dafür dar, wie Aspekte des Städtebaus und ruhenden Ver-kehrs miteinander verknüpft werden können.

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Fazit

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Shared Space ist schon allein aufgrund der hohen Kosten für die bauliche Umgestaltung des Straßenraumes kein Allheilmittel zur Ver-meidung von Unfällen und Konflikten und kann daher lediglich eine Nischenlösung dar-stellen. Vor allem auf Straßen mit Verkehrs-sicherheitsproblemen, Störungen im Verkehrs-ablauf, knappem Parkraumangebot oder geringem Fußverkehr bedarf es stets einer kritischen und individuellen Betrachtung der Situation vor Ort und des Nachweises der Unbedenklichkeit der Planung über Sicher-heitsaudits, Leistungsfähigkeitsberechnungen und Parkraumkonzepte. Auch kann Shared Space nur dann funktionieren, wenn es gelingt, einen breiten Konsens in der kommunalen Politik, Verwaltung und Bevölkerung herzustel-len. Unabdingbar dafür sind eine Beteiligung aller Betroffenengruppen, die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Experten sowie die fort-laufende Information der Öffentlichkeit über die Planungsinhalte.

Für eine endgültige Bewertung von Shared Space ist es derzeit noch zu früh. So lassen sich weder die Beispiele aus den Nieder-landen ohne Weiteres auf Deutschland über-tragen, noch sind diese ausreichend evaluiert. Auch aus Deutschland liegen derzeit noch keine abgesicherten Ergebnisse über Shared Space hinsichtlich der Verkehrssicherheit vor. Ferner sind noch diverse rechtliche Fragen offen, die sich aus einem völligen Verzicht auf Verkehrszeichen ergeben. So ist unklar, wie rücksichtloses Fahren oder Parken zu ahnden ist oder ob Fußgänger haften, wenn sie abseits der Fußgängerüberwege die Fahrbahn queren und dabei in einen Unfall verwickelt werden. Der ADAC begrüßt deshalb die Durchführung weiterer Pilotversuche, sofern diese wissen-schaftlich begleitet und evaluiert werden. Dabei sollten nicht nur Aspekte der Verkehrs-sicherheit und des Verkehrsablaufes unter-sucht werden, sondern auch Fragen der Akzeptanz. Dabei muss geklärt werden, bis zu

welcher Streckenlänge niedrige Fahrgeschwin-digkeiten akzeptiert werden, inwieweit fehlen-de Überquerungsanlagen Nachteile für be-stimmte Personengruppen bewirken und ob Schulwege ein Ausschlusskriterium für Shared Space darstellen. Bis dahin sollten die Kom-munen von voreiligen Planungen Abstand nehmen.

Der ADAC plädiert dafür, das Mischungs -prinzip auf niveaugleichen Verkehrsflächen nur bis 4.000 Kfz/Tag anzuwenden, wobei die straßenverkehrsrechtliche Umsetzung über den VB erfolgen sollte, weil nur damit ein klarer Fußgängervorrang gegeben ist. Bei größeren Verkehrsstärken als 4.000 Kfz/Tag sollte der VB vorerst nur in Pilotprojekten zur Anwendung kommen und im Rahmen des VG eine „weiche“ Separation der Verkehrs-arten erfolgen.

Da beim VB Kinderspiel auf der Fahrbahn aus-drücklich erlaubt und beim VG kein Fußgän-gervorrang gegeben ist, muss grundsätzlich überlegt werden, ob man Shared Space-Räu-me zukünftig mit einem neuen Verkehrszei-chen beschildert, das einen entsprechenden Vorrang für Fußgänger einräumt, die Geschwin-digkeiten auf 20 km/h begrenzt und Kinder-spiel auf der Fahrbahn sowie Parken aus-schließt. Alternativ dazu könnte das bereits existierende Zeichen 325.1 dahingehend modifiziert werden, dass man abhängig von der Kfz-Verkehrsbelastung eine zulässige Höchstgeschwindigkeit definiert (z.B. von 10 km/h bei max. 4.000 Kfz/Tag und von 20 km/h bei 4.000 bis 10.000 Kfz/Tag), wobei für den letzten Fall das Ballsymbol für Kinderspiel aus dem Zeichen zu eliminie-ren wäre.

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Ausblick

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Der ADAC steht Ansätzen, die zu mehr Sicher-heit durch weniger Komplexität beitragen, offen gegenüber. Bereits 1998 hat der ADAC hierzu ein umfassendes Konzept zur Reduzie-rung des Schilderwaldes entwickelt, das in der westfälischen Stadt Selm erstmalig umge-setzt wurde und bis heute 150 Nachahmer gefunden hat. Shared Space hat diese Idee weiterentwickelt und kommt heute nahezu völlig ohne Verkehrszeichen aus, vorausge-setzt die Straßenräume sind baulich entspre-chend gestaltet. Vor dem Hintergrund leerer öffentlicher Kassen werden neue Ideen gefragt sein, um die städtische Mobilität im Sinne von „Weniger ist mehr“ konsequent zu verein-fachen. Eine solche bildet „Simply City“, die auf den gesamten städtischen Verkehrs- und Lebensraum abzielt und von allen Elementen befreien will, die für die Verkehrssicherheit und Orientierung unnötig sind, die Mobilität und den Aufenthalt erschweren und das Stadt-bild negativ beeinflussen. Ein gleichnamiger Pilotversuch des Landes NRW wurde 2009 in Mülheim a.d. Ruhr und Arnsberg gestartet.

Rahmenbedingungen für Gestaltungen im Sinne von Shared Space in Deutschland● Es liegen städtebauliche und funktionale

Mängel des Straßenraumes vor● Der Fuß- und Radverkehr spielt eine

wichtige oder dominierende Rolle● Aufgrund der vielen Geschäfte besteht

ein hoher Querungsbedarf● Der Abschnitt ist nicht länger als 400 m

(VB) bzw. 800 m (VG)● Schulen, Krankenhäuser, Polizei und Feuer-

wehr sind auch anderweitig erreichbar● Die Verkehrssicherheit und Leistungsfähig-

keit ist nachgewiesen● Die tägliche Verkehrsbelastung liegt unter

4.000 Kfz (VB) bzw. 10.000 Kfz (VG)● Die Straße ist eine dörfliche Hauptstraße

oder städtische Geschäftsstraße● Die Bürger haben den Planungsprozess

angestoßen oder tragen ihn zumindest mit● Ausreichend Parkraum steht im Umfeld

(bis 400 m) zur Verfügung

Shared Space im Vergleich zu straßen-verkehrsrechtlichen Verkehrsberuhigter VerkehrsberuhigterRegelungsinstrumenten Shared Space Bereich (VB) Geschäftsbereich (VG) Begegnungszone (Schweiz)Verkehrszeichen Nein 325.1 274.1 / 290 ~325.1+20 km/hAnwendungsbereich Überall Straßen mit überwiegender Zentrale Bereiche mit Nebenstraßen in Aufenthaltsfunktion starkem Fußverkehr Wohn-/GeschäftsbereichenTempolimit Nein 4 –7 km/h 20 (10) km/h 20 km/hMax. Kfz pro Tag Nein 4.000 (bei Mischungsprinzip) Nein NeinFußgängervorrang Nein Ja Nein JaParken Nicht erwünscht Gekennzeichnete Flächen Gekennzeichnete Flächen Gekennzeichnete FlächenKinderspiel Möglich Ja Nein Nur im SeitenraumFußgängerüberwege Nein Entbehrlich Ja NeinNiveaugleiche Flächen Ja In der Regel Möglich MöglichVerkehrsartentrennung Möglich Nur im Einzelfall Ja Ja

Shared Space im Vergleich mit anderen Instrumenten der Verkehrsberuhigung

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381/

11.0

9/5’

Diese Broschüren können direkt beim ADAC e.V. bezogen werden:ADAC e.V., Ressort Verkehr, Am Westpark 8, 81373 München, Fax (0 89) 76 76 45 67, [email protected]

Verkehrsunfälle in Deutschland

Die Zahlen der Verkehrsunfallstatistik bewegen sich zweifellos in eine ermutigende Richtung: Trotz zunehmender Fahrzeugbestände und trotz höherer Fahrleistungen verunglücken seit Jahren immer weniger Verkehrsteilnehmer. Am deutlichsten ist dieser Rückgang bei den schweren Unfällen mit Getöteten.Dennoch dürfen wir uns damit nicht zufrieden geben. Satzungsgemäß hat es sich der ADAC schon immer zur Aufgabe gemacht, die Verkehrs-sicherheit zu verbessern. Anlässlich seiner Hauptversammlung 2009 in Hamburg hat er ganz aktuell die Handlungsfelder für zukünftige Aktivitäten zur Verbesserung der Verkehrssicherheit mit der Broschüre „Wir machen Mobilität sicher“ verabschiedet (s.o.).Um die Sicherheit auf unseren Straßen verbessern zu können, müssen wir wissen, wo Gefahren zu beseitigen und wo entsprechende Maß-nahmen möglich sind. Diese Broschüre soll dafür eine Grundlage darstellen. Sie richtet sich an Fachexperten in Verbänden, Verwaltung, Hochschulen und Politik.

Verfasser: Wolfgang Steichele52 Seiten, 1. Auflage, 20095,– Euro, Artikelnummer: 2830291

ADAC – Wir machen Mobilität sicher

Das neue Grundsatzpapier zur Verkehrssicherheit dokumentiert die zahlreichen Aktivitäten des ADAC auf diesem Gebiet, unter anderem in den Bereichen Verkehrserziehung und -aufklärung, Sicherheits-training, Verkehrsmedizin, Fahrzeugtechnik sowie Luftrettung. Darüber hinaus werden Forderungen und Handlungsempfehlungen an die Politik adressiert und Denkanstöße für die geplante Über-arbeitung des europäischen und nationalen Verkehrssicherheits-programms gegeben.

Redaktion: Björn Dosch, Dr. Andrea David, Ronald Winkler36 Seiten, 1. Auflage, 2009kostenlos (in begrenzter Stückzahl), Artikelnummer: 2831791


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