Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung
paraplegie
Nur ein Ziel vor Augen: Gold!Marcel Hug hat sich für die Paralympics hohe Ziele gesteckt
September 2012 / Nr. 143 / Standard
Ueli Maurer im Gespräch | Akutversorgung in Nottwil | Ein Tag mit Eveline Siegel
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Paraplegie, September 2012 | 3
Editorial
Liebe Gönnerinnen und Gönner
in Goethes «Faust» findet sich der Satz: «Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.» Geschrieben vor mehr als 200 Jahren, fasst diese Aussage auch
etwas ganz Wesentliches für die Mitarbeitenden der Schweizer Paraplegiker-Gruppe zusammen: Die Aufgabe nämlich, ein Werk nie als vollendet zu betrachten, sondern dessen kontinuierliche Weiterentwicklung aktiv anzugehen.Unter dem Schirm der 1975 von Guido A. Zäch gegründeten Schweizer Paraplegiker- Stiftung ist ein einzigartiges Leistungsnetz für die ganzheitliche Rehabilitation von querschnittgelähmten Menschen entstanden. Es hat Tausenden von Betroffenen geholfen, in ein selbstbestimmtes Leben zurückzufinden. Die erfreulichen Erfolge zielgerichteter Arbeit über bald vier Jahrzehnte sind Genugtuung; aber kein Anlass, sich mit dem bisher Erreichten zu begnügen und dieses nur noch zu verwalten. Alle, die heute Verantwortung tragen, sind vielmehr aufgefordert, die sich wandelnden Bedürfnisse der Patienten abzu - holen und neue Antworten in einem sich ständig verändernden Umfeld zu finden. Beides betrifft auch die Rekrutierung von neuen Mitgliedern der Gönner-Vereinigung. Um die jungen Menschen zu erreichen und für einen Solidaritätspakt zu gewinnen, müssen wir uns moderner Kommunikations-Instrumente bedienen.Die Erkenntnis, einen gemeinsamen Auftrag den neuen Anforderungen entsprechend weiterzuführen, bildet die Grundlage für die Zukunft. Wenn Innovationsgeist und Verän-derungswille bestimmende Faktoren unserer Tätigkeit sind, lassen sich die bevor stehenden Herausforderungen meistern. Gleichzeitig wissen die Gönner das «Ererbte» in guten Händen. Ihr Vertrauen ist unser Kapital. In diesem Bewusstsein will ich meine neue Aufgabe als Direktor der Schweizer Paraplegiker-Stiftung wahrnehmen.
Joseph HofstetterDirektor Schweizer Paraplegiker-Stiftung
IMPRESSUM: Paraplegie. Das Magazin der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, www.paraplegie.ch 36. Jahrgang. Ausgabe: September 2012 / Nr. 143, West | Erscheinungsweise: vierteljährlich in Deutsch, Französisch und Italienisch | Gesamtauflage: 1‘018‘000 Exemplare | Auflage West: 232‘000 Exemplare | Copyright: Abdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin und der Redaktion.Herausgeberin: Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, 6207 Nottwil, [email protected] | Verantwortlich: Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Unternehmenskommunikation, 6207 Nottwil | Redaktion: Roland Spengler (Leitung), Christine Zwygart. Bild: Walter Eggenberger, Beatrice Felder, Astrid Zimmermann-Boog, [email protected] | Layout: Regina Lips, Karin Distel | Anzeigen: Fachmedien Axel Springer Schweiz AG, 8021 Zürich, [email protected] | Vorstufe/Druck: Swissprinters AG, 4800 Zofingen.
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Paraplegie, September 2012 | 5
Inhalt
28 ZeIt haben, Zuhören, begleIten Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum arbeiten zwei Seelsorgerinnen. Sie
helfen Patienten wie auch Angehörigen bei Sinn- und Lebensfragen.
32 MeIn tag IM rollstuhl
Eveline Siegel-Hegi schaut jeden Tag bei ihrem Pferd Bumby im Stall vorbei. Mit dem Irish Tinker geht die Aargauerin oft spazieren oder fährt Kutsche.
34 FInale Ansichten zum Thema Party- und Musik-Sommer von Martin Senn.
7 news
250 Hilfshunde hat der Verein «Le Copain» bisher ausgebildet und an Behinderte abgegeben. Jubiläumshund Inca begleitet neu SPS-Präsident Daniel Joggi.
12 Marcel hug
Er ist ein Modellathlet schlechthin – und momentan kaum zu schlagen. Der 26-jährige Thurgauer freut sich auf die Paralympics in London und hat ein klares Ziel: Gold holen.
18 uelI Maurer
Der Sportminister wird die Behindertensportler an den Paralympics besuchen. Im Gespräch erzählt der Zürcher, wie er seine Hemmungen gegenüber Rollstuhlfahrern überwunden hat.
22 DIe ersten stunDen IM sPZ
Das Leben kann sich von einer Sekunde auf die andere ändern. Ein Unfall, der Transport ins Spital, diverse Untersuche – und dann die Diagnose: Querschnittlähmung. Die Akutversorgung eines Frisch-verletzten kann den weiteren Verlauf beeinflussen. Was geht in Betroffenen vor? Wie reagieren Angehörige? Und was passiert in den ersten Stunden im Schweizer Paraplegiker-Zentrum?
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Paraplegie, September 2012 | 7
nEws
Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) und
die Institution de Lavigny spannen für ein Pilot-
projekt zusammen. In den Räumlichkeiten der
«Site Plein Soleil» in Lausanne wurde ein Am-
bulatorium für querschnittgelähmte Menschen
eröffnet. Hier können Rollstuhlfahrer aus der
Westschweiz neu zur Jahreskontrolle kommen
und erhalten wohnortsnah Hilfe bei gesund-
heitlichen Problemen. Betreut werden sie von
einem Team des Schweizer Paraplegiker-Zen-
trums (SPZ) Nottwil, bestehend aus einem Arzt
und je einer Physio- sowie Ergo therapeutin. Sie
sind an fünf Tagen pro Monat in der Aussen-
stelle tätig. Das Pilotprojekt läuft vorerst ein
Jahr. Die SPS erhofft sich davon eine noch bes-
sere Versorgung und Begleitung von Para- und
Tetraplegikern in der Romandie.
Ambulatorium in der Westschweiz
Im Tessin gibt es einen neuen Roll stuhlclub.
Er heisst «Gruppo Carrozzella Insuperabili»
und wird von Walter Lisetto (Lugano) prä-
sidiert. Schweizweit sind es nun 27 Rollstuhl-
clubs, die fast 11’000 Mitgliedern diverse
Dienstleistungen offerieren.
Ratten mit durchtrenntem Rückenmark
können ihre Hinterbeine, dank Elektrostimu-
lation und unterstütztem Lauftraining, wieder
aus eigenem Antrieb bewegen. Dies ergaben
neuste Studien unter der Leitung von Prof.
Grégoire Courtine von der ETH Lausanne.
Die Forscher wollen die Methode nun für
Menschen anwendbar machen.
Das Kontinenz- und Beckenbodenzentrum
des SPZ Nottwil wurde als erste Einrichtung
der Schweiz von der deutschen Kontinenz-
gesellschaft zertifiziert. Menschen mit Quer-
schnittlähmung leiden oft unter Blasen- und
Darmfunktionsstörungen, deren Therapie
spezialisierte Kompetenz erfordert.
splitter
Ein Freund fürs lebenMehr Autonomie. Acht behinderte Menschen haben vom Verein «Le Copain» einen Hilfshund erhalten.
Der Verein «Le Copain» bildet seit 19 Jahren Hilfshunde für behinderte und kranke Menschen aus. Die Vierbeiner verstehen bis zu 50 Befehle und sind in der Lage, unterschied-lichste Aufgaben zu erledigen: beispielsweise Türen öffnen, Gegenstände vom Boden aufheben oder das Licht einschalten. An einer kleinen Feier in Nottwil überreichten die Verantwortlichen des Vereins den 250. Begleithund an Daniel Joggi, Präsident der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS). «Das ist ein phantastisches Geschenk», bedankte sich der Tetraplegiker. Sein neuer Begleiter heisst Inca, ist ein Golden Retriever-Rüde und zweiein-halb Jahre alt. Insgesamt erhielten acht behinderte Menschen einen Hund.Die SPS unterstützt «Le Copain» seit vielen Jahren. Der Verein übernimmt die Erziehung der Hunde, die in einer Gastfamilie aufwachsen. Mit 15 Monaten kommen die Vierbeiner nach Granges VS ins Schweizerische Zentrum für die Ausbildung von Hilfshunden, wo sie die verschiedenen Befehle und Aufgaben intensiv trainieren. «Unser Ziel ist es, behinderten Menschen dank des Hundes wieder eine gewisse Autonomie zu geben – und einen Freund fürs Leben», sagt Präsident Charles-Albert Antille.
Ausgezeichnete ForscherEin Team der Clinical Trial Unit des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ) Nottwil wurde mit dem Forschungsförderpreis 2012 der DMGP (Deutschsprachige Medizi-nische Gesellschaft für Paraplegiologie) ausgezeichnet. Er gilt einer Studie, die den Verlauf des Knochenabbaus bei Menschen mit Querschnittlähmung untersucht. Entsprechende Erkenntnisse sind wichtig in der Entwicklung adä quater Therapien zur Reduktion der hohen Knochenbruchrate bei Querschnittgelähmten. Den Schellenberg Preis für Forschung in Paraplegiologie erhielten Prof. Volker Dietz und Prof. Armin Curt. Sie teilen sich das Preisgeld von CHF 150’000 und ver-wenden dieses für weitere Forschungsprojekte. Dietz war bis 2009 Direktor und Chefarzt des Zentrums für Paraplegie Balgrist in Zürich, Curt ist sein Nachfolger.
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Paraplegie, September 2012 | 9
nEws
Die rundum modernisierte Sport Arena Nottwil hat ihre Feuertaufe bestanden. Offiziell eröffnet wurde sie mit den Offenen Schweizer-Meisterschaften der Rollstuhl-Leichtathleten, umrahmt von diversen anderen Attraktionen. Bei guten Bedingungen verfolgten die Besucher an zwei Tagen rund 180 Athleten aus 25 Ländern aller Kontinente – und erlebten dabei spannende Wettkämpfe auf Topniveau. «Sport kann zu einem neuen, besseren Lebensgefühl verhelfen», sagte Daniel Joggi, Präsident der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS), bei der stimmungs vollen Einweihungsfeier. Und Rollstuhlsportler Heinz Frei doppelte nach: «Ich appelliere an alle Athleten, mit gutem Beispiel voranzugehen und andere zu motivieren.» Prominentester unter zahlreichen Ehrengästen war Bun-desrat Ueli Maurer. Wie Aktive, Trainer und Funktionäre aus dem In- und Ausland zeigte sich der Sportminister von der Infrastruktur begeistert: «Jede Eröffnung einer Sportanlage, die höchste internationale Standards erfüllt, ist ein grosses Plus.» Denn die Schweiz verfüge über zu wenig davon. Ab schliessend segnete Pfarrer Josef Hochstrasser (Oberentfelden AG) die multifunktionale Wettkampf-stätte – damit sie unter einem guten Stern stehe: «Kraft, Freude, Fairness und Gesundheit erfülle all jene, die sich hier sportlich messen.»
Buntes Fest. Kinder und Erwachsene, Rollstuhlfahrer und Fussgänger waren bei der gelungenen Einweihung der neuen Sport Arena Nottwil dabei.
Premiere wie im Bilderbuch
namentlichEdison Kasumaj (Stein am Rhein SH) und
Patricia Keller (Waltenschwil AG) holten
bei ihrem Debüt an einer Leichtathletik-EM
der Elite-Behindertensportler gleich je
einen Titel in der Klasse Sitting. Dank zwei
weiteren Medaillen kam Kasumaj auf total
drei Auszeichnungen, desgleichen Alexan-
dra Helbling (Ettiswil LU). Insgesamt holte
die Schweizer Delegation 10 Medaillen.
Michelle Stillwell (Kanada) war die über -
ragende Athletin an den Offenen Schweizer
Rollstuhl-Leichtathletik-Meisterschaften. Sie
fuhr zwei von vier neuen Weltrekorden und
gewann, wie Shirley Reilly (USA) und Hannah
Cockroft (Grossbritannien), je drei Rennen.
Dominator im Feld der Männer war der
Schweizer Marcel Hug mit vier Erfolgen. Er
siegte, mit deutlichem Vorsprung, auch beim
Rollstuhl-Marathon in Schenkon LU. Edith
Wolf-Hunkeler (Dagmersellen LU) tat es ihm
bei den Frauen gleich.
Heinz Frei (Etziken SO) ist vom Internationa-
len Paralympischen Komitee (IPC) für einen
Sitz im Athletenrat nominiert worden. Er soll
in diesem Gremium die Interessen der Hand -
biker vertreten. Die Wahl findet demnächst
in London statt.
Karin Suter-Erath (Wettingen AG) und
Sonja Häsler (Basel) drückten der EM im
Rollstuhl-Badminton den Stempel auf. Die
Schweizerinnen waren in drei Wettbewerben
nie schlechter als Zweite. In Zahlen:
Zweimal Gold und einmal Silber für Suter-
Erath, dreimal Silber für Häsler.
Andreas Perez (Genf) bestritt als erster
Schweizer einen Ironman-Triathlon für
Rollstuhlfahrer. In Brasilien brachte er den
Wettkampf – 3,8 km Schwimmen, 180 km
Handbike-, 42 km Rollstuhlfahren – in
16 Stunden und 35 Minuten hinter sich.
Ursula Schwaller (Düdingen FR), Handbike-
Doppelweltmeisterin, und weitere Natio-
nalkader-Mitglieder bekamen die seltene
Gelegenheit zu ausgiebigen Tests im Wind -
kanal der RUAG (Emmen LU). Im Vorfeld
der Paralympics wurden dort Materialien,
Ausrüstung sowie Position der Athleten auf
Aerodynamik geprüft. Vereinzelt ergab sich
eine Verbesserung der Windschlüpfrigkeit
von rund 10%, was fallweise bis zu einer
Minute an Zeitgewinn heissen kann.
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Der neu eröffnete Swiss Seilpark in Fiesch VS bietet
eine Attraktion für Menschen im Rollstuhl. Einer der
insgesamt sechs Parcours ist nämlich so konstruiert,
dass sie sich selber von Baum zu Baum hangeln
können. Möglich macht dies ein umgebauter Gleit -
schirmsitz mit einer speziellen Beinpolsterung, die
vor Verletzungen schützt. Eingehängt in die Seile
können Para- und Tetraplegiker das Erlebnis eines
Baumwipfel-Pfades ganz ohne Rollstuhl geniessen –
dieser bleibt am Boden. Hinter der Idee steckt der
Integrationsgedanke, dass Fussgänger und Rollstuhl-
fahrer den Seilpark gemeinsam nutzen. Oder wie
Initiant Claudio Rossetti sagt: «Spass und Erlebnis
sollen keine Schranken kennen.» Entwickelt hat
er die Vorrichtung zusammen mit der Schweizer
Paraplegiker-Vereinigung (SPV), dem Dachverband
der Rollstuhlfahrer.
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Luftiges Abenteuer
Joseph Hofstetter (Sursee LU) hat am 1. August das Amt des Direktors der Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) übernommen. Der 51-jährige Jurist löste Daniel Joggi (Trélex VD) ab, der weiterhin Präsident des Stiftungsrates bleibt. In seiner neuen Funktion kann Hofstetter unter anderem auf die Erfah-rung von 12 Jahren Tätigkeit für diverse Organisationen innerhalb der Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG) bauen. Die Aufgaben des SPS-Direktors umfassen das Führen der Stiftung und der ihr zugewiesenen Supportbereiche, die Koordination der Zusammenarbeit zwischen Stiftung, Tochter- und Part-nergesellschaften sowie die Leitung der Direktorenkonferenz. Zudem vertritt Hofstetter die Interessen der gemeinnützigen Institution nach aussen.
neuer direktor im amt
31. august – 2. septemberSchweizer Meisterschaft Rollstuhl-Tennis
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15. September
Swiss Handbike-Day
SPZ Nottwil
Nationales Rollstuhlrennen
Schweizer Meisterschaft Handbike
(Junioren)
Steinen SZ
19. / 20. September
12. Kongress eHealthCare.ch
GZI Nottwil
8. November
Pflegesymposium, SPZ Nottwil
14. November
Lesung von Felicitas Hoppe
Bibliothek, GZI Nottwil
15. November
Vernissage Kunst-Ausstellung
(Bilder, Skulpturen usw.) von
Victor Bisquolm, SPZ Nottwil
17. November
Weihnachts-Markt, SPZ Nottwil
agenda 2012
Foto
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Erlebnis pur. Der spezielle Sitz ermöglicht Rollstuhlfahrern das Abheben.
12 | Paraplegie, September 2012
ParalyMPics
Ein Thurgauer startet durch. Marcel Hug ist ein Schweizer Hoffnungsträger
bei den Paralympics in London. Dem 26-Jährigen gelingt im Moment fast alles.
Beste Voraussetzungen also, um sein Ziel zu erreichen: eine Gold-Medaille.
Text: Christine Zwygart | Bilder: Walter Eggenberger, Thomas Studhalter, Astrid Zimmermann-Boog
«Marcel hug ist ein ausnahmetalent»
sein Markenzeichen: der silberne Helm. Sein Spitzname: «Swiss Silver Bullet»,
was so viel bedeutet wie Schweizer Silber- Geschoss. Doch eigentlich müsste er anders heissen. Gold-Rakete vielleicht, oder Gold-junge. Denn eines ist gewiss – wenn Marcel Hug mit seinem Rennrollstuhl über die Bahn flitzt, fährt er nicht selten auf Goldkurs. So hält der 26-jährige Thurgauer den Weltrekord über 800, 1500, 5000 und 10’000 Meter. «Ich mag die Dynamik der Rennen und geniesse den Rausch der Geschwindigkeit», sagt Hug. Mit über 30 Kilometern pro Stunde treibt er die Räder im Wettkampf vorwärts, einzig ange-trieben durch die Kraft seiner Arme. Kein Wunder, imponiert sein Oberkörper mit ath-letischen Formen, breiten Schultern und mus-kelbepackten Oberarmen. Er ist parat für die Paralympics in London: «Ich möchte eine Gold-Medaille gewinnen. Und ich werde in jedem Rennen darum kämpfen.»
Ein alter Rollstuhl für die Brüder
Marcel Hug kam mit offenem Rücken (Spina bifida) zur Welt, seinen ersten Rollstuhl erhielt er mit sieben Jahren. Er erinnert sich gerne zurück an seine Kindheit, an die Zeit mit den
drei grösseren Brüdern auf dem Bauernhof seiner Eltern in Pfyn TG. «Ich bin in der Natur aufgewachsen und fühle mich draussen noch heute am wohlsten.» Ganz selbstverständlich half er als Bub bei der Kartoffelernte mit, nahm Eier aus und sammelte Äpfel vom Boden auf – so gut das mit seiner Behinderung eben ging. Damit die Geschwister beim Spielen nicht immer im Vorteil waren, kauften die Eltern zusätzlich noch einen alten Rollstuhl. «Meine Brüder setzten sich dann da rein, und so kämpften wir auf Augenhöhe gegeneinander», erzählt Marcel. Die zwei, drei Stufen im Schul-haus waren anfangs, als der Bub noch mit Schienen und an Krücken gehen konnte, kein Problem. «Doch mit der Zeit wurde das zu um-ständlich.» Später baute ihm der Schulhaus-Abwart für den Rollstuhl eine Rampe. «Ich war gut integriert und erwartete auch keine Son-derbehandlung.»Damit der Bub den Umgang mit dem Rollstuhl erlernen konnte, besuchte er in den Ferien ein Lager. «Dabei lernte ich den Rollstuhlsport kennen und durfte einen alten Rennrollstuhl ausprobieren.» Marcel Hug erinnert sich noch genau an das eigenartige Gefährt – eine Art Kiste auf vier Rädern – mit dem er damals die
ersten Runden auf der Bahn drehte. Er fand schnell Freude an den Wettkämpfen, denn «die Sportart war mir bekannt, weil ich mal eine Geschichte in einem Heftli darüber gele-sen hatte».Als Marcel zehn Jahre alt war, lernte er Nach-wuchstrainer Paul Odermatt kennen. Der Coach erkannte früh, dass der Junge im Sport weit kommen könnte: «Marcel war sehr auf-merksam, interessierte sich und fragte viel.» Bis heute sei seine Bereitschaft ungebrochen, auch in härtesten Momenten alles zu geben. Längst hat sich Hug zum Vorbild der Nach-wuchsfahrer gemausert. Und Odermatt amtet heute als persönlicher Trainer, begleitet und berät ihn – und betont: «Marcel ist ein Ausnah-metalent.»
Pionier in der Sportschule
Der Spitzenathlet wohnt dort, wo er trainiert: in Nottwil. Hier lebt er gemeinsam mit Bruder Patric und dessen Freundin in einer geräumi-gen Wohnung. «Das ist praktisch und erleich-tert den Alltag», sagt der Rollstuhlfahrer. Vor-mittags erledigt er meistens administrative Aufgaben, betreut seine Homepage oder versendet bestellte Fan-Shirts. «Haushalten
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Fokussieren. Vor dem Rennen wärmt sich Marcel auf der Rolle auf, hört fetzigen Rock dazu (grosses Bild). Der Athlet mit Coach Paul Odermatt (r.) und Krafttrainer Peter de Regt (oben). Bei den Zuschauern ist Hug der Star, gibt Autogramme (Mitte) und nimmt Gratulationen entgegen (unten).
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« Ich trainiere 25 bis 30 Stunden pro Woche»
gehört definitiv nicht zu seinen Lieblingsbe-schäftigungen», frotzelt Patric. Seinen kleinen Bruder beschreibt er als zielstrebig. «Im Sport wohlverstanden, nicht im Kochen.» Über-haupt sei der Sport bei Marcel allgegenwärtig und beherrsche seinen Lebensinhalt.Hug war der erste Rollstuhlfahrer, der die Na-tionale Elite Sportschule Thurgau und später das Sportler-KV in Luzern besuchte. Bei seinen Mitschülern kam er gut an: «Sie zollten mir Respekt und anerkannten meine Leistungen.» Nach der Abschlussprüfung sammelte der aus-gebildete Kaufmann während eines Jahres erste Berufserfahrungen bei der Guezlifabrik Hug AG («Wir sind nicht miteinander ver-wandt»), und im Januar 2010 machte Marcel seinen Traum wahr: Berufssportler. Seither konzentriert er sich voll und ganz auf seine
Karriere. Geht das finanziell? «Doch, doch, ich komme über die Runde», meint er und doppelt nach: «Übrigens – ich beziehe keine IV-Rente.» Seinen Lebensunterhalt verdient sich der Ath-let mit Beiträgen von persönlichen Sponsoren und dem Sportverband, Preisgeldern und Re-
feraten. Durch die Auszeichnung «Behinder-tensportler des Jahres 2011» ist der Thurgauer nun zwar einem breiteren Publikum bekannt, doch rein finanziell gesehen habe ihm dies nicht viel gebracht. «Ich bin immer noch auf der Suche nach einem Auto-Sponsor.»
Der 12-Jahres-Plan
Um 11.30 Uhr beginnt das erste von jeweils drei Trainings pro Tag. In der Turnhalle des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ) Nott-wil absolviert Marcel Hug einen Parcours, flitzt im Slalom an Stangen vorbei, jongliert für mehr Geschicklichkeit, stählt mit Medizin-bällen die Rumpfmuskulatur. «Pro Woche trai-niere ich 25 bis 30 Stunden intensiv, dazu kom-men fünf bis sechs Trainingslager pro Jahr», erzählt er. Am Nachmittag gehts draussen weiter auf der Leichtathletikbahn, am Abend ebenso. «Wenn wir um 19.30 Uhr fertig sind, folgen Besprechungen mit dem Trainer.» Coach Odermatt räumt seinem Schützling für die Paralympics gute Chancen ein, eine Medaille zu gewinnen: «Marcel hat eine her-ausragende Persönlichkeit, denkt in Rennen taktisch mit, kann enorm gut fokussieren.» Wenn am Tag X alles stimme, müsste er über 800, 1500, 5000 Meter oder im Marathon aufs Podest fahren. Seit zwölf Jahren arbeiten die beiden auf diesen Moment hin; mit dem Ziel, in London Gold zu holen.
Entspannen. Daheim in Nottwil kochen Marcel und Bruder Patric ein paar Spiegeleier (l.). Seine Fan-Shirts verschickt der Sportler eigenhändig (r.). Auf dem Sofa im Wohnzimmer lässt sich gut arbeiten – so betreut Hug beis piels -weise seine Homepage selber.
Paraplegie, September 2012 | 15
In den letzten Monaten intensivierte Marcel Hug sein Krafttraining von zwei auf drei Mal pro Woche, dazu kommt ein mentaler Aufbau. «Im entscheidenden Moment ist es wichtig, auch im Kopf parat zu sein.» Sein Vater wird ihn nach London begleiten, tageweise kom-men die Brüder dazu. Mit im Gepäck hat der Athlet auf alle Fälle den MP3-Player mit seiner Musiksammlung. Rockig-fetzige Songs fürs Training, meditative Stücke unmittelbar vor den Rennen. «Das hilft mir, mich ganz in
Wettkampfstimmung zu versetzen und mich zu konzentrieren.»Die Fan-Gemeinde von Marcel Hug wächst mit jedem öffentlichen Auftritt. Der junge Mann ist sympathisch, aufgeschlossen, ohne Staral-lüren. Sein Herzenswunsch: «Mal ohne Renn-rollstuhl in der Welt herumreisen.» Ans Meer oder durch die USA. Er ist kein Mann der gros-sen Worte, wirkt bisweilen gar zurückhaltend. Vor allem wenns um sein Privatleben geht. «Ja, ich bin in festen Händen». Mehr gebe es dazu
ParalyMPics
nicht zu sagen. Marcel will kein Aufsehen um sich machen, wirkt im Gespräch stets beschei-den. So gesehen passt der silberne Helm eben doch perfekt zu ihm, mitsamt dem Spitz-namen «Swiss Silver Bullet». Ein bisschen tief-stapeln – aber im entscheidenden Moment Vollgas geben und auf die Überholspur wech-seln. Und am Schluss doch als Goldjunge über die Ziellinie fahren.
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ParalyMPics
Anekdoten über Zufall, Zeremonie und ZeitnotEdith wolF-hunkElErAlter 40 JahreWohnort Dagmersellen LUBeruf Sportlerin und MutterBehinderung Paraplegikerin seit
einem Autounfall im Februar 1994
Erfolge an Paralympics2004 in Athen: Silber über 1500 und 5000 Meter2008 in Peking: Gold im Marathon und Bronze über 1500 Meter
Von der Pechmarie zur goldmarie«Mit Paralympics verbinde ich starke Emotionen – vor allem mit den Wettkämpfen in Peking 2008. Damals stürzte ich im Rennen über 5000 Meter bei einer Massenkarambolage schwer. Ich realisiert gar nicht, was da passierte, sondern lang einfach plötzlich am Boden und dachte: NEIN! In mir war eine grosse Leere. Erst später merkte ich, dass ich Schürfungen und Quet-schungen erlitten hatte. Mit Massagen, Salben und Medikamen-ten versuchten die Betreuer ihr Bestes – und so startete ich ein paar Tage später am Marathon. Ich habe bei einem Rennen selten so gelitten und mit mir gehadert. Doch ich gab nicht auf, kämpfte, holte auf. Und überholt gar; am Schluss gings um Sekunden. Und ich fuhr als Erste über die Ziellinie. Bei mir brach das totale Gefühlschaos aus, ich war geschockt und glücklich zugleich. Und dann wollte ich nur noch heim.Diesen Sommer begleiten mich mein Mann Mark und unsere Tochter Elin an die Paralympics, denn der Sport ist bei uns mittlerweile ein Familienprojekt. Und das haben wir vergangenen Januar in Australiens Metropole Sydney geübt: Ich ging morgens ins Training, und irgendwo auf der fünf Kilometer langen Strecke traf ich dann plötzlich auf Mark und Elin. Ich wusste nie, wann und wo. Das war so berührend. Den sportlichen Ehrgeiz habe ich als Mami zwar nicht verloren, dennoch könnte ich mir nicht vorstellen, ohne die beiden nach London zu reisen.»
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sch 25 schweizer dabei
Die Paralympics 2012 finden vom 29. August bis 9. September in London statt. Unter rund 4200 Teil-nehmern aus 150 Nationen – neuer Rekord – wer-den in 20 Sportarten mehr als 500 Medaillensätze vergeben. Die Schweiz stellt 25 Athleten (davon 19 im Rollstuhl) in sieben Disziplinen. 2008 gab es elf Medaillen.
Das Swiss Paralympic Team 2012Sitting. Bogenschiessen: Magali Comte (Onex GE), Philippe Horner (Archamps / F). – Leichtathletik: Beat Bösch (Nottwil LU), Heinz Frei (Etziken SO), Sandra Graf (Gais AR), Alexandra Helbling (Azmoos SG), Marcel Hug (Nottwil LU), Patricia Kel-ler (Waltenschwil AG), Bojan Mitic (Hochdorf LU), Manuela Schär (Kriens LU), Edith Wolf-Hunkeler (Dagmersellen LU). – Handbike: Jean-Marc Berset (Bulle FR), Tobias Fankhauser (Hölstein BL), Heinz Frei, Sandra Graf, Ursula Schwaller (Düdingen FR), Lukas Weber (Zürich). – Schiessen: Paul Schnider (Mels SG). – Tennis: Yann Avanthey (Champéry VS), Daniel Dalla Pellegrina (Ennenda GL). – Tischtennis: Silvio Keller (Wallbach AG).Standing. Leichtathletik: Christoph Bausch (Pfäf-fikon SZ), Philipp Handler (Embrach ZH), Chri-stoph Sommer (Utzenstorf BE). – Rad: Annina Schillig (Steyr / Oe), Sara Tretola (Biberist SO). Blinde. Schwimmen: Chantal Cavin (Bern).Delegationsleitung: Ruedi Spitzli (Chef), Christof Baer, Roger Getzmann (Teamchefs), Matthias Strupler (Arzt), Therese Müller (Administration), Urs Huwyler (Medien).
Paralympics im TV: Diverse TV-Sender berichten re-gelmässig über die Wettkämpfe. Permanente Live-Berichterstattung unter: http://www.youtube.com/user/ParalympicSportTV
Starkes Engagement der SPSDie Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) för-dert den Breiten- und Spitzensport für Menschen mit Behinderung seit Jahren. Sie unterstützt die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) bzw. deren Abteilung Rollstuhlsport Schweiz. Weiter ist die SPS Premium Partner von Swiss Paralympic und Mitglied der gleichnamigen Stiftung.
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christoPh soMMErAlter 39 JahreWohnort Utzenstorf BEBeruf BetriebsdisponentBehinderung Linker Unterarm
amputiert seit einem Unfall 1979
Erfolge an Paralympics2000 in Sydney: 6. Rang über 5000 Meter (Diplom)2004 in Athen: Neuer Schweizer Rekord über 5000 Meter, 6. Rang (Diplom)2008 in Peking: Saisonbestleistung über 5000 Meter, 7. Rang (Diplom)
anstandsdame für rasierklinge«Ich habe vor gut zehn Jahren mit einem Ritual begonnen: Vor grossen Sport-Events lasse ich mir einen kleinen Kinnbart wachsen. Abrasiert wird die Haarpracht immer unmittelbar nach dem letzten Einsatz, noch in den Garderoben des Stadions. Als abergläubisch würde ich mich nicht bezeichnen, dennoch gehört diese Prozedur mittlerweile fix dazu. So auch an den Paralympics 2008 in Peking. Mein letztes Rennen stand kurz bevor, und ich machte mich auf den Weg in die Katakomben des Stadions. Mit dabei hatte ich eine Tasche mit Schuhen, Kleidern und einer Rasierklinge. Wie bei einer Flughafenkontrolle durchleuchteten uniformierte Beamte mein Gepäck, entdeckten das ‹Messerli› – und dann ging’s los! Aufgeregtes Geschrei, grimmige Gesichter, immer mehr Beamte formierten sich um meine Tasche. Ich sprach Englisch, sie nur Chinesisch.Ein einheimischer Athlet half mir schliesslich beim Übersetzen. Doch so leicht liessen sich die Kontrolleure nicht überzeugen. Die Rasierklinge wurde konfisziert, in eine Tüte gesteckt, diese versiegelt und einer Dame zum Aufbewahren überreicht. Ich bekam das Messerli tatsächlich erst nach dem Rennen wieder, als ich die Arena mit ihren 90’000 Zuschauern bereits verlassen hatte und in der Garderobe stand. Dort rasierte ich mir dann genüsslich den Bart ab – und freute mich über meine Saisonbestzeit über 5000 Meter.»
hEinZ FrEiAlter 54 JahreWohnort Etziken SOBeruf Sportreferent und CoachBehinderung Seit einem Unfall bei
einem Berglauf im Jahr 1978 Paraplegiker
Erfolge an Paralympics14 Gold-Medaillen sowie 18 mal Silber und Bronze an 13 Paralympics (7 mal im Sommer, 6 mal im Winter).
Eine Militärübung mit umwegen«Wir haben an den Paralympics auf und neben der Rennbahn immer wieder witzige, nervige und auch aussergewöhnliche Sachen erlebt. Zum Beispiel 1984 in England: Als der Startschuss für die 4-mal-100-Meter-Staffel fiel, spurteten alle vier Sportler aus Jordanien gemeinsam los. Das gab ein Durcheinander! Oder 1988 in Seoul, wo im 14-stöckigen Hochhaus nur ein einziger Lift zur Verfügung stand. Dafür war aussen an der Fassade eine steile Rampe angebracht, über die wir auch in unsere Zimmer im 12. Stock gelangen konnten. So gab es vor dem Zubettgehen hie und da ein Extra-Training. In guter Erinnerung sind mir die Spiele in Barcelona 1992, wo ich den Marathon gewinnen konnte. Damals unterschätzten mich meine Gegner und liessen mich zwei Kilometer vor dem Ziel davonziehen – ich hielt das Tempo durch. Wenn wir uns heute an einem Wettkampf sehen, lachen wir herzhaft über diese Überrumpelungs-Aktion. Als anstrengend empfand ich die Paralympics in Atlanta 1996, denn die Wertschätzung gegenüber Behindertensportlern war kaum da. Die Männer, die uns vom Hotel ins Stadion fahren sollten, waren vom Militär und absolvierten eine Art Übung. Blöd nur, dass der halbstündige Weg volle drei Stunden dauerte, da sie das Stadion nicht fanden. Einige Athleten bangten, ob sie es überhaupt rechtzeitig an die Rennen schaffen würden.Alles in allem erlebte ich vor vier Jahren in Peking mein persön liches Highlight. Mit 50 Jahren noch immer vorne mitfahren zu können, war ein Privileg. Ich verletzte mich während meiner Karriere nie schwer und habe zu meinem Körper stets Sorge getragen. Das hat viel mit Disziplin und Selbstverantwortung zu tun – und das hat mich der Sport gelehrt.»
Heinz Frei 1984
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Sein Besuch an der Eröffnung der Sport Arena in Nottwil ist typisch: Ueli Maurer
steht regelmässig bei Wettkämpfen in den Zuschauerreihen und feuert Rollstuhl-
sportler an. Der 61-jährige Bundesrat über abgebaute Hemmschwellen, alpine
Sommerträume und politische Fouls.
Interview: Christine Zwygart | Bilder: Astrid Zimmermann-Boog
«der behindertensport fristet ein Mauerblümchen-dasein – zu unrecht»
die Paralympics beginnen bald. Sind
Sie in London mit dabei?
Natürlich! Sogar mehrere Bundesräte werden den Athleten einen Besuch abstatten. Schein-bar hat es sich herumgesprochen, dass da gute Wettkämpfe zu sehen sind.
Für welche Sportart interessieren Sie sich
besonders?
Leider fallen die Paralympics in die Vorberei-tungszeit der Herbstsession. Somit kann ich keine einzelnen Rennen oder Wettkämpfe aussuchen, sondern muss dann nach London reisen, wenn es die Agenda zulässt.
Welchen Stellenwert besitzt der Behin-
dertensport heute in der Schweiz?
Wenn wir ehrlich sind: Er fristet ein Mauer-blümchen-Dasein – zu Unrecht. Der Behin-dertensport verfügt zwar über eine grosse Insider-Familie, aber von aussen nimmt man ihn zu wenig wahr. Es fehlt die Publizität. Ge-winnt ein Rollstuhlfahrer eine Medaille, ist das den meisten Medien höchstens eine Kurz-meldung wert. Dabei sind die Leistungen, die da vollbracht werden, aussergewöhnlich. Deshalb nehme ich auch immer wieder an Veranstaltungen teil und versuche so, Hemm-schwellen abzubauen.
Zu Besuch in Nottwil. Anlässlich der Sport Arena-Eröffnung unterhält sich Ueli Maurer mit Rollstuhlsportler Heinz Frei (ganz oben), probiert einen Segway aus (oben) und besichtigt das Klinik-Areal (rechts).
Paraplegie, September 2012 | 19
ParalyMPics
Hatten Sie selber Berührungsängste?
Am Anfang war auch ich gehemmt im Um-gang mit Behinderten. Was soll ich sagen? Was soll ich machen? Muss ich irgendwie hel-fen? Da gab es sehr viele Fragezeichen. Doch je öfter man sich trifft, desto unkomplizierter und lockerer wird der Umgang.
Gibt es in Ihrem persönlichen Umfeld
auch Rollstuhlfahrer?
Ja, in meinem Bekanntenkreis passierten ein paar tragische Unfälle beim Skifahren und
Klettern. Ich kenne die Thematik dadurch ein bisschen. Und im Schweizer Paraplegiker-Zentrum war ich schon mehrmals als Besu-cher.
Wer ist Ihr Lieblings-Athlet im Behinder-
tensport?
Heinz Frei hat die Szene geprägt und reisst mich auch heute noch mit. Bei den Frauen ist Edith Hunkeler das Aushängeschild. Marcel Hug erkenne ich bei den Rennen im-mer an seinem silbernen Helm. Und dann
hats viele Junge, die mit Enthusiasmus mit-machen. Alles in allem ist da ein tolles Team am Start.
Was tut Ihr Departement für den
Behindertensport?
Der Behindertensport ist nicht bei uns, son-dern im Bundesamt für Sozialversicherungen angegliedert; aber natürlich pflegen wir durch das Bundesamt für Sport einen engen Kon-takt. In den letzten Jahren haben wir uns be-müht, den Behindertensport auf die gleiche
Ueli Maurer wurde am 1. Dezember 1950 in Wetzikon ZH geboren. Er absolvierte eine Kaufmännische Lehre und übernahm mit 23 Jahren die Geschäftsleitung der Landi Hinwil-Bauma. Von 1994 bis 2008 führte Maurer den Zürcher Bauernver-band. Seine politische Laufbahn startete in den 70er-Jahren als SVP-Gemeinderat in Hinwil. 1983 wurde er in den Zürcher Kan-tonsrat, 1991 in den Nationalrat gewählt. Von 1996 bis 2008 amtete er als Präsident der SVP Schweiz. Am 10. Dezember 2008 wählte ihn die Vereinigte Bundesversamm-lung in den Bundesrat. Maurer ist verhei-ratet und Vater von sechs Kindern.
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Stufe wie den «Fussgänger-Sport» zu stellen. Und zwar so unkompliziert wie möglich, indem wir im Sportzentrum Magglingen ver-mehrt Trainingsmöglichkeiten für Behin-derte anbieten.
Sie sind immer wieder an Handbike-
Rennen anzutreffen. Politische Pflicht oder
persönliches Interesse?
Beides. Ich besuche nicht nur die grossen, po-pulären Veranstaltungen, sondern schaue mir auch Randsportarten an – dazu gehört bei-spielsweise ein Match der Schweizer Fussbal-lerinnen, aber auch ein Handbike-Rennen. Wie die Rollstuhlfahrer da agieren, ist hoch faszinierend und spannend. Die fahren mit einem Affenzahn und mit nur fünf Zentimeter Abstand hintereinander her. Als passionierter Velofahrer weiss ich, was das bedeutet …
Sind Sie selber schon mal mit einem
Handbike gefahren?
Ja, ich habe das mal ausprobiert. Ich wäre mit diesem Gefährt aber keine fünf Kilometer weit gekommen. Die Position der Arme war sehr ungewöhnlich, und ich brauchte Mus-keln, die sonst nie im Einsatz sind. Da merkte ich erst richtig, welche Leistung dahinter-steckt.
Wie steht es um Ihre persönliche Fitness?
Danke, nicht schlecht. Ich nehme pro Jahr an zwei bis drei Grossanlässen teil. Auf dem Pro-gramm sind heuer der Gigathlon sowie der Wasalauf. Ich möchte aufs Finsteraarhorn – eine hochalpine Tour auf über 4000 Meter ist für mich auch eine sportliche Leistung. Viel-leicht kommt noch ein Bike-Rennen dazu. Ich brauch den Druck, an einem Anlass teilzuneh-men. Nur so schaffe ich es, zu trainieren statt immer im Büro zu sitzen. Der Ehrgeiz treibt mich dann an; wenn ich mitmache, möchte ich nicht als Letzter über die Ziellinie.
Was für Parallelen gibt es zwischen Sport
und Politik?
Sieg und Niederlage gehören bei beiden dazu. Wer verliert, muss die Situation analysieren, Änderungen vornehmen und es beim nächs-ten Mal besser machen. Das funktioniert im Sport wie auch in der Politik. Und: In der Po-litik fährt besser, wer Niederlagen sportlich statt persönlich nimmt.
Fairness?
In der Politik sind die Fouls nicht so offen-sichtlich, Intrigen laufen im Geheimen. Und ganz entscheidend: Im Sport verhängt ein Schiedsrichter wenn nötig Strafen bis hin zu Sperren. In der Politik spielen die Medien manchmal Schiedsrichter – aber da gehts alles andere als unparteiisch zu und her.
Ihre Sportbegeisterung zeigt sich auch
im persönlichen Engagement für die
Olympiakandidatur 2022 in Davos und
St. Moritz. Haben wir eine Chance?
Ja. Aber da steht nicht der Sportgedanke im Vordergrund. Die kleine Schweiz muss sich wieder mal als leistungsstarkes Land zeigen. Olympische Spiele sind eine gute Gelegenheit, um sich zu präsentieren. Und zwar mit einem kreativen, zukunftsorientierten Projekt. Ich bin überzeugt, dass sich der Wintersport durch die Klimaerwärmung verändern wird. Die Schweiz könnte zum Beispiel aufzeigen, wie das Leben im Gebirge in 30 Jahren aus-sieht, wie die Leute mit der neuen Situation umgehen. Erst an zweiter Stelle stehen für mich dann der Sport und die Spiele, die positive Impulse für die Gesellschaft mit
sich bringen. Und zwar punkto Emotionen, Fairness und Gesundheit.
Können das die Schweizer – sich präsen-
tieren? Wir machen uns doch eher klein.
Diese Frage stelle ich mir fast jeden Tag – und ich schwanke. Der Funke ist definitiv noch nicht auf die Schweizer übergesprungen. Und wenn er dies nicht tut, dann müssen wir in ein, zwei Jahren die Gnade haben, die Übung abzubrechen. Aber es wäre eine riesige Chance, wenn wir das hinbekämen.
Was wünschen Sie sich für den
Schweizer Sport?
Wir brauchen eine möglichst breite Sportbe-wegung in der Bevölkerung und vor allem bei der Jugend. Jeder, der Sport treibt, hat dabei positive Erlebnisse. Man gehört zu einem Team, man hat sich bewegt, der Kopf ist frei. Und je mehr Menschen diese Erfahrung ma-chen, desto mehr greift das Phänomen um sich. Es braucht dazu den Spitzensport, der die breite Masse mobilisiert. Im Gegenzug sind wir auf den Breitensport angewiesen, weil dar-aus Spitzensportler hervorgehen. Ich wünsche mir einfach viele Leute, die sich bewegen.
Ein Tipp für alle Stubenhocker?
Ein Beispiel: Ich konnte meinen Chauffeur motivieren, gemeinsam mit mir auf die Lang-lauf-Loipe zu kommen, statt auf mich zu war-ten. Oder anders gesagt: Am besten gehts, wenn man nicht alleine trainiert. Wichtig ist, sich nicht zu überschätzen. Klein beginnen und sich stetig steigern. Dann machts Spass und kommts gut.
Im Zeitmessturm. Bundesrat Maurer mit Ruedi Spitzli,
Leiter Rollstuhlsport Schweiz, und Thomas Troger, Direktor Schweizer
Paraplegiker-Vereinigung (v. l.).
RepoRtage
22 | Paraplegie, September 2012
Erwachen. Die ersten lichten Momente auf einer Intensivpflege-station können ganz schön verwirrend sein. Wo bin ich? Was ist passiert? Wer sind diese Menschen?
RepoRtage
Paraplegie, September 2012 | 23
Zurück ins Leben
Das Schicksal schlägt plötzlich zu. Jedes Jahr erleiden in
der Schweiz rund 200 Menschen nach einem Unfall eine
Querschnittlähmung. Die ersten Stunden und Minuten
sind entscheidend: Wird das Richtige getan, lassen sich
weitere Schäden vermeiden. Dazu brauchts Spezialisten –
bei Rettung, Behandlung und Betreuung.
RepoRtage
24 | Paraplegie, September 2012
RepoRtage
Durch das Absaugen von Luft schmiegt sich das Material an den Körper des Verletzten. «Er ist dann wie einbetoniert und kann sich nicht mehr bewegen.»Ivo Breitenmoser nimmt Anteil am Schicksal seiner Patienten: «Häufig sind junge Menschen betroffen. Gleitschirmflieger, Kletterer, Snowboarder.» Sie erzählen dem Notarzt ihre Geschichte, schildern, wie es zum Unfall kam. «Querschnittgelähmte haben bei der Bergung oft einen wachen Geist und glasklaren Verstand.» Mit dem Helikopter bringt der Notarzt seine Patienten in eine der schweizweit elf Kliniken, die für die Aufnahme von frischverletzten Querschnittgelähmten ausgerüstet sind.
Von der Bahre in den Operationssaal
Oberarzt Hans Georg Koch arbeitet seit über 20 Jahren im Schweizer ParaplegikerZentrum (SPZ) Nottwil. Ist er auf Pikett, trägt er ein Diensttelefon mit sich. Notärzte, die einen Frischverletzten einliefern wollen, werden direkt mit ihm verbunden. «Wir müssen wissen, ob nebst der Querschnittlähmung noch andere Verletzungen vorhanden sind», erklärt Koch. Derweilen kommt im SPZ eine Notrufkette in Gang: Die Zentrale bietet Radiologen, Paraplegiologen und Anästhesisten auf, alarmiert Mitarbeitende des Labors, der Operationssäle sowie der Intensivpflegestation. Wenn der Patient eintrifft, stehen alle Fachpersonen parat.Gemeinsam mit den RegaLeuten bringt das SPZTeam den Patienten in den so genannten Schockraum. Hier erfolgt der mündliche Rapport des Notarztes, von jetzt an übernehmen die Klinikärzte die Verantwortung. «Nebst den Vitalwerten überprüfen wir als erstes Sensibilität und Motorik, um die Lähmungshöhe zu ermitteln», erklärt Koch. Wichtig ist dem Oberarzt, dass der Patient weiss, wer die Spezialisten um ihn herum sind und was sie machen. «Das schafft Vertrauen.»
töne, die sich langsam zu Buchstaben und Worten formieren. Lichtstrahlen, die das
Bewusstsein kitzeln. Berührungen, die den Körper ins Hier und Jetzt zurückholen wollen. «Wo bin ich? Was mache ich hier? Was wird mit mir gemacht?» Der Moment des Erwachens auf der Intensivstation einer Klinik ist ein einschneidendes Erlebnis. Vielleicht weiss der Patient, wieso er hier liegt. Vielleicht fehlen diese Erinnerungen – Ärzte und Angehörige müssen ihm die Ereignisse schildern, bis der Betroffene weiss: «Ich bin in Nottwil, im Schweizer ParaplegikerZentrum. Mit Diagnose Querschnittlähmung.»Manchmal genügt ein Ausrutscher auf einer Treppe. Ein missglückter Sprung mit dem Snowboard. Oder eine Unachtsamkeit beim Autofahren. Und plötzlich sind da Rettungssanitäter, Helikopter, Ärzte, Untersuchungen, Ergebnisse, Eingriffe. Der Betroffene kämpft mit tausend Fragen und sucht nach Antworten: Da ist die Angst vor der Zukunft. Die Hoffnung auf Besserung. Die Verzweiflung ob der Diagnose.
Vom Unfallort in die Spezialklinik
Eine korrekte Rettung ist für den weiteren Verlauf einer Querschnittlähmung entscheidend. Ivo Breitenmoser ist Notarzt bei der Schweizerischen Rettungsflugwacht Rega und weiss, worauf es ankommt. «Wichtig ist, dass wir die Wirbelsäule nicht drehen oder stauchen.» Die Bergung erfordert Fachwissen und das richtige Material. Noch vor dem Umlagern überprüft der Arzt die Atmung des Patienten. «Das Herz eines Tetraplegikers schlägt oft langsamer, und sein Kreislauf ist unbeständig», erklärt Breitenmoser. Er verabreicht Medikamente, um den Patienten zu stabilisieren und Schmerzen zu lindern. Erst dann wird der Verunfallte mit einer speziellen Trage und Griffen, die die Wirbelsäule fixieren, angehoben und auf eine Vakuummatratze umgebettet. Deren Vorteil:
Text: Christine Zwygart | Bilder: Walter Eggenberger, Astrid ZimmermannBoog
Die Rettungskette.1 Bei Verdacht auf Rückenverletzung überlässt man
die Rettung besser den Profis. 2 Im SPZ warten bereits Spezialisten aller Disziplinen
und nehmen den Patienten in Empfang.3 Im Schockraum erfolgt die Übergabe des Patienten.4 Ein CT-Bild zeigt, dass Wirbel gebrochen sind.5 Ein Patient wird im Computertomographen (CT)
untersucht.
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Foto: Rega
Paraplegie, September 2012 | 25
Wie erkennt ein Laie, dass ein Verletzter Schäden am Rücken
erlitten hat?
Wenn der Patient bei Bewusstsein ist, klagt er über Schmerzen im Rücken oder über das fehlende Gefühl in Füssen und Beinen. Ist der Patient bewusstlos, muss man sich die UnfallUrsache anschauen: Ist er von einer Leiter gefallen? Oder mit hoher Geschwindigkeit auf den Skis in eine Stange gefahren? Solche Vorfälle können auf Verletzungen des Rückens hinweisen.
Was kann ich an einer Unfallstelle dann konkret tun?
Den Patienten nicht bewegen – ausser er atmet schlecht und muss reanimiert werden. Vielleicht kann man dem Verletzten helfen, indem man seinen Kopf stabilisiert. Denn bis professionelle Hilfe kommt, können bis zu 20 Minuten vergehen.
Sie bergen die Verletzten mit speziellen Bahren und Matratzen, die
weitere Schäden verhindern. Wie reagieren die Betroffenen auf Sie?
In all den Jahren barg ich etwa zwanzig Querschnittgelähmte. Die meisten, die bei meinem Eintreffen ansprechbar waren, wussten über ihr Schicksal Bescheid. Viele klammern sich auch an die Hoffnung, dass das Gefühl zurückkommt. Andere wirken abgeklärt und schauen voraus. So erklärte mir ein Betroffener mal, er müsse jetzt dann wohl zügeln. In seiner Wohnung könne er mit einem Rollstuhl nicht leben.
Und die Angehörigen?
Sie verbreiten meistens Optimismus und versuchen, dem Betroffenen Mut zu machen, auch wenn viele insgeheim wissen, was los ist. Unsere Piloten und Rettungssanitäter haben Erfahrung mit solchen Situationen und können sich der Angehörigen annehmen. Ich lasse sie manchmal auch den Infusionsbeutel halten oder den Kopf stützen – damit sie nicht hilflos danebenstehen. Wir haben auch die Möglichkeit, eine Begleitperson im Helikopter mitzunehmen – ausser bei sehr schwierigen Fällen oder in grosser Höhe.
Kann ein Patient wünschen, in welche Klinik Sie ihn bringen?
Wenn es von der Distanz her keine grossen Unterschiede gibt, kann der Patient einen Wunsch anbringen. Denn es macht kaum Sinn, dass wir ihn in ein Spital fliegen, wo er weder Freunde noch Familie in der Nähe hat. Wenn die Distanz viel länger ist, macht die Einsatzzentrale eine Offerte und die Differenz muss dann der Patient übernehmen.
«Oft wissen Verunfallte über ihr Schicksal Bescheid»
Notarzt Ivo Breitenmoser arbeitet seit 1999 für die Schweizerische Rettungs-flugwacht Rega. Er ist Leiter Ausbildung der Helikopter-Ärzte und steht selber im Einsatz, meistens von der Basis in Erstfeld UR aus.
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RepoRtage
Mit einer Schaufeltrage legen die Fachpersonen den Patienten dann auf den Tisch des Computertomographen (CT), um ihn vom Scheitel bis zu den Oberschenkeln zu scannen. Auf den CTBildern erkennen die Ärzte nebst Schäden an der Wirbelsäule auch Begleitverletzungen wie Knochenbrüche und Veränderungen an inneren Organen. «Diese Untersuchung dauert fünf bis sieben Minuten», erzählt Hans Georg Koch. Sobald klar ist, wo die Wirbelsäule beschädigt wurde, machen die Radiologen von diesem Bereich eine Magnetresonanztomographie (MRI). «Erst damit sehen wir, ob das Rückenmark gequetscht oder durchtrennt ist.» Gemeinsam beurteilen die Ärzte danach, ob eine Operation nötig ist, um die Wirbelsäule aufzurichten, zu stabilisieren oder um Knochenfragmente, die auf das Rückenmark drücken, zu entfernen.Ist der Patient im OP, hat Hans Georg Koch Zeit für die Angehörigen. «Manchmal warten sie bereits im Restaurant der Klinik», sagt er. Anhand von Zeichnungen und Bildern erklärt er ihnen, was passiert ist. Was eine Querschnittlähmung ist und wo die Wirbelsäule gebrochen ist. Meistens wurden die Angehörigen vorher von der Polizei informiert oder waren beim Unfall dabei. «Manchmal muss ich aber auch einfach eine Telefonnummer wählen und die traurige Wahrheit an bisher unbekannte Gegenüber übermitteln.» Es brauche immer Überwindung, solche Gespräche zu führen. Selbst nach über 20 Jahren im Dienst.
Vom Eingriff auf die Intensivstation
Wenn der Frischverletzte nach der Operation von der Intensiv pflegestation (IPS) in Nottwil übernommen wird, begleitet ihn Hans Georg Koch noch bis zur Übergabe. «Jeder hat in diesem Moment das Recht, der wichtigste Patient für mich zu sein.» Erst wenn er wisse, dass jetzt das Bestmögliche getan sei, könne er loslassen und seinen Dienst beenden.
Ein Querschnittgelähmter bleibt ein bis zwei Wochen auf der IPS. Wenn er zusätzliche gravierende Verletzungen hat, kann der Aufenthalt auch mehr als einen Monat dauern. «Wir haben mit Menschen zu tun, die sich in einer Extremsituation befinden», sagt IPSLeiter Tom Hansen. Umso wichtiger sei deshalb ein respektvoller und persönlicher Umgang mit den Patienten. «Wir vermitteln zwischen Medizin und Mensch, sorgen für die fachkundige Pflege und klären das Umfeld über den Zustand des Betroffenen auf.»Angehörige sind bei ihrem ersten Besuch auf der IPS erleichtert oder überfordert. Tom Hansen hat Verständnis für beides. Eine Quer
schnittlähmung bedeutet auch für das Umfeld eines Betroffenen den Beginn einer neuen Ära. Bevor der Fachmann die Angehörigen in die IPS mitnimmt, erklärt er ihnen, was sie sehen werden. «Damit sie auf die Schläuche und Geräte vorbereitet sind.» Und wenn irgendwo ein Alarm schrillt, ist das ein wichtiger Hinweis – aber nicht immer ein Grund zur Sorge. «Denn er kann verhindern, dass später grössere Komplikationen auftreten.»
Von der Intensivstation zurück ins Leben
Die Schicksale und die Geschichten hinter den Patienten lassen niemanden kalt. RegaNot arzt Ivo Breitenmoser erkundigt sich noch
Mensch und Maschine – das perfekte Gespann
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1 Spritzenpumpe zur kontrollierten Abgabe von Medikamenten
2 Infusionslösung für die Aufrechterhaltung des Flüssigkeitshaushaltes
3 Ernährungslösung als Kostersatz 4 Ernährungspumpe zur Abgabe von
flüssiger Nahrung via Magensonde 5 Spezialklemmen zwecks Sicherung
und zum Offenhalten der Thoraxdrainagen 6 Beatmungsbeutel mit Maske 7 Infusionskanüle zur Verabreichung von
Infusionslösungen und Medikamenten 8 Künstlicher Atemwegs-Zugang 9 Geschlossenes System zum Absaugen von
Sekreten in der Luftröhre10 Beatmungsschlauch mit Kohlendioxid-
messung zur Einstellung und Kontrolle der Beatmung
11 Fingersensor zur Messung der Sauerstoff-sättigung im Blut
12 Manometer zur Messung des Drucks im Ballon des Intubations-Schlauches
13 Druckbeutel des arteriellen Druckmess-Systems
14 Stethoskop15 Sauerstoffanschluss für das Beatmungs-
gerät16 Transducer – Sonde zur Messung des
arteriellen Blutdrucks17 Gerät für die Erwärmung und Anfeuch-
tung der Atemgase18 Beatmungsgerät zur Unterstützung der
Atmung des Patienten19 Monitor zur Darstellung der Vitalwerte
(Puls, Blutdruck, Körpertemperatur Patient)20 Monitor zur Darstellung der elektronischen
Krankenakte des Patienten21 Spülflüssigkeit zur Reinigung des
Absaugschlauchs22 Sauerstoff-Flasche23 Computer für die Krankenakte24 Künstliche Lunge zur Einstellung und
Kontrolle des Beatmungsgerätes
gleichentags, wie es den Menschen geht, die er eingeliefert hat: «Das gehört für mich dazu.» Immer wieder passiert auch Verblüffendes. So erinnert sich Oberarzt Hans Georg Koch an einen eingelieferten Lokführer, der pflichtbewusst darum bat, seine Dienststelle zu informieren – er komme heute nicht zur Arbeit. Oder IPSLeiter Tom Hansen erzählt von einem Jungen, der sich bei einem Trampolinsprung die Wirbelsäule brach. Sein eigener Sohn war damals gleich alt. «Trotz 20 Jahren Berufserfahrung haute mich das einfach um», sagt er.Breitenmoser, Koch, Hansen und ihre Teams – Menschen, die ihr Möglichstes tun, um Para und Tetra plegikern in den ersten Stunden,
Tagen und Wochen zu helfen. Von der Rettung über die medizinische Versorgung bis hin zur intensiven Betreuung. Oberarzt Koch ist es wichtig, den Betroffenen von Beginn weg eine Perspektive zu geben, ihnen zu zeigen: «Das Leben geht weiter.» Und sie zu motivieren, in der Rehabilitation, die zwischen sechs und neun Monate dauert, das Beste herauszuholen. Manchmal kehren Patienten von der normalen Station im SPZ für einen Besuch auf die IPS zurück. Dann wollen sie nochmals sehen, wo sie zu Beginn waren. «Das sind schöne Augenblicke», sagt Tom Hansen, «dann sehen wir, dass wir Patienten erfolgreich zurück ins Leben schicken».
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Mensch und Maschine – das perfekte Gespann
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Rund um die Uhr bereitDie Notfall-Aufnahme rund um die Uhr sowie die fachkompetente medizinisch-the ra peutische Versorgung im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil bilden zentrale Elemente des einzigartigen Leistungsnetzes für die ganzheitliche Rehabili tation von querschnittgelähmten Menschen in unserem Land. Getragen wird dieses von der Schweizer Paraplegi-ker-Stiftung (SPS). Sie sichert den Betrieb der Spezialklinik und kommt auch für Behandlungskosten auf, die anderweitig nicht gedeckt sind. 2011 mussten dafür 2,6 Mio. Franken aufgewendet werden.
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Praxis Zeit haben. Die Seelsorgerinnen Ursula Walti (l.) und Renate Förster kümmern sich um Angehörige eines Frischverletzten.
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Praxis
w ieso ist das ausgerechnet mir pas-siert? Wollte Gott das so? Wie soll es
jetzt weitergehen? Diese Fragen haben mit Medizin nichts zu tun, beschäftigen frisch verletzte Para- und Tetraplegiker aber oft Tag und Nacht. «An Schicksalsschlägen können Menschen zerbrechen oder über sich hinaus-wachsen», weiss Renate Förster aus ihrer Er-fahrung. Und Ursula Walti ergänzt: «Lebens - fragen sind immer auch spirituelle Fragen; das lässt sich nicht trennen.» Die zwei Frauen – eine katholisch, eine reformiert – arbeiten im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil als Klinik-Seelsorgerinnen. Bei-de haben Theologie studiert und bringen viel Lebenserfahrung in verschiedensten Berei-chen mit. Zusammen betreuen und begleiten sie auf Wunsch Betroffene wie auch Angehö-rige auf deren schwierigem Weg. Wichtig ist ihnen dabei, zunächst einmal Zeit zu haben, zuzuhören, einfach da zu sein. Denn ihre Arbeit erfordert Vertrauen. Erst daraus kann eine offene Begegnung oder ein tiefes Ge-spräch entstehen.«Viele Patienten sehen sich von ihrem bis-herigen Leben abgeschnitten», sagt Renate Förster. Das Vertrauen in den eigenen Körper ist erschüttert, Existenz-Ängste kommen dazu. Meist gebe es kaum Heilung der äus-seren Verletzungen, bei seelischen Wunden sei hingegen vieles möglich. Was den Seel-sorgerinnen anvertraut wird, steht unter Schweigepflicht. Ist der Austausch mit wei-
teren Bezugspersonen angezeigt, geben sie Informationen nur mit dem Einverständnis der Betroffenen weiter.Schicksalsschläge verändern den Glauben – da sind sich die Theologinnen einig. «Die ei-nen verlieren den Glauben an einen Schöpfer, der es gut meint mit ihnen. Andere suchen inneren Halt, wenden sich Gott neu zu – trotz allem», erklärt Ursula Walti.
Keine Frage der Religion
Die Seelsorgerinnen sind für alle da, unab-hängig vom Glauben, der Religions- und Kon-fessionszugehörigkeit. Im SPZ steht ein inter-religiöser Andachtsraum zur Verfügung, wo regelmässig Gottesdienste in ökumenischem Geist stattfinden. Im Umgang mit anderen Religionen sind die Seelsorgerinnen sehr offen und erleben auch von Patientenseite
viel Vertrauen. So erzählt Ursula Walti von einem querschnittgelähmten Muslim, der zum Gebet nicht mehr niederknien konnte und neue Formen suchte. «Er bat mich als re-formierte Pfarrerin, ein Mal pro Woche mit ihm zu beten – der Schöpfer der Welt, meinte er, sei ja schliesslich für alle der gleiche.»Die Theologinnen besuchen die Patienten am Spitalbett, treffen sie in den Gängen oder im Restaurant, gehen mit ihnen spazieren. Über-haupt sehen sich die beiden als Wegbeglei-terinnen, deren Angebot die Betroffenen annehmen oder ablehnen können. Als Plus-punkt werten sie in ihrer Arbeit, dass sie aus dem Moment heraus reagieren können. «Wir sind nicht in die Therapieplanung ein-gebunden», erklärt Renate Förster, «sondern stehen immer zur Verfügung, wenn die Pa-tienten uns brauchen.»
Eine Querschnittlähmung bedeutet für Betroffene oft einen Bruch im Leben. Unweigerlich
tauchen Fragen zu Sinn und Sein auf. Im SPZ helfen zwei Seelsorgerinnen, Antworten zu
finden – oder mit Unbeantwortbarem zu leben.
Text: Christine Zwygart | Bild: Walter Eggenberger
Für die Seele sorgen
Die Aufgaben der Seelsorgerinnen im SPZ umfassen viele Gebiete: Sie beglei-ten Betroffene, Angehörige und Mit-arbeitende persönlich, halten Gottes-dienste, führen Gespräche über Lebens- und Glaubensfragen, bilden Mitarbei-tende weiter, begleiten Sterbende in
den Tod und Angehörige zurück ins Leben, schlagen Brücken zu lokalen Pfarrämtern, Rabbinern oder Imamen. Die beiden Frauen teilen sich 130 Stellenprozente und arbeiten in der Klinik eng mit der Pflege, den Psycholo gischen Diensten und der Sozialberatung zusammen.
die brückenbauerinnen
Mehr Infos: www.paraplegie.ch / Bereiche / Seelsorge
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diE bEsondErE sPEndE
Fleissige VelofahrerDie Radsportgruppe «Restaurant Landhaus» aus Goldach SG hat an diversen Anlässen Geld für die Schweizer Paraplegiker-Stiftung gesam-melt. Die rund 20 Hobbysportler legten sich dabei mächtig ins Zeug, sodass ein Betrag von CHF 5000.– zusammengekommen ist. Für das Engagement bedankt sich die Stiftung herzlich.
Einsatz für JugendlicheMitarbeitende der UBS haben im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil tageweise mit angepackt. Während eines freiwilligen Sozialeinsatzes halfen sie bei der Betreuung von Teilnehmern an den sogenannten Jugendrehab-Wochen. Dabei lernen die jungen Rollstuhlfahrer ihre Selbstständigkeit zu verbessern, unternehmen Aus- flüge und üben alltägliche Handgriffe. Michael Widmer ar bei tet bei der UBS Region Zentral schweiz und nutzte den Einsatz, um vertieften Einblick ins SPZ und das Leben von Quer schnittgelähmten zu erhalten. «Meine anfängliche Zurückhaltung war rasch überwunden und ich bemerkte, dass die jungen Leute mit ihrer Lebenssituation absolut offen umgehen», sagt der 28-Jährige aus Cham ZG. Beeindruckt hat ihn deren Lebensfreude – und das prägt nachhaltig: «Mir wurde einmal mehr bewusst, dass wir uns im Alltag über Kleinigkeiten erbosen, welche nüchtern betrachtet bedeutungslos erscheinen. Es war ein sehr eindrücklicher und interessanter Tag, den ich nie missen möchte.» Die UBS unterstützt die Jugendrehab-Wochen nicht nur mit eigenen «Arbeitskräften», sondern auch mit einer Spende von CHF 10‘000.–. Für beides bedankt sich die Schweizer Paraplegiker-Stiftung herzlich.
Mosaik
Erfahren. Radsportler Hans Lanter (r.) mit SPS-Präsident Daniel Joggi.
briEFE an diE stiFtungIch bedanke mich herzlich, dass Sie mir mit Ihrer Unterstützung auch den dritten und letzten Französischkurs ermöglichen. Mit diesem Können habe ich in der Arbeitswelt wieder bessere Chancen auf eine Stelle.Maria Loss, Buchrain LU
Die Solidarität der Stiftung erleichtert meine Lebenssituation massiv. Herzlichen Dank für die finanzielle Hilfe bei der Bezahlung meines Pflegepersonals.Simon Langenstein, Engelberg OW
Nach 12 Jahren guter Dienste musste ich mein Auto ersetzen. Dank Ihrer Unterstützung konnte ich nun mein neues Fahrzeug in Emp-fang nehmen. Damit bin ich wieder sicher auf den Strassen unterwegs zur Arbeit und in die Therapie.Marianne Englert, Hergiswil LU
Für die grosszügige Unterstützung und un-komplizierte Abwicklung beim Kauf meines Handbikes bedanke ich mich bei Ihnen. Die neue Anfahrhilfe ist der Hammer, und ich geniesse die Ausfahrten über Hügel und in die Wälder. Elke Meister, Seuzach ZH
Engagiert. Michael Widmer (l.) hilft Deborah Bossard beim Packen, Claudia Stofer (r.) macht den Schuh für Bettina Frey parat.
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Solidarische Töff-FahrerJeweils am dritten Sonntag im Mai führt der Motorradclub Born in Kappel SO eine Töff- Segnung durch. Bei schöns-tem Wetter fanden sich dieses Jahr über 800 Personen zu diesem Anlass bei der Kapelle ein. Die Kollekte zugunsten von querschnittgelähmten Menschen ergab CHF 3666.–. Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung dankt allen Beteiligten herzlich für die so gezeigte Solidarität.
Erfolgreiche gönneraktion
Mitglieder der Gönner-Vereinigung der Schweizer Paraple-giker-Stiftung (SPS) hatten die Gelegenheit, eine Jahreskarte für das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern vergünstigt zu beziehen. Für jede neu abgeschlossene Mitgliedschaft stiftete das Museum einen Betrag an die Stiftung. So kamen CHF 1800.– zusammen. Die SPS bedankt sich für die gute Zusammenarbeit.
Grosszügige GästeWir haben im Appaloosa Saloon in Spiez eine kleine Sammelaktion für die Schweizer Paraplegiker-Stiftung durchgeführt. Die Mitarbeitenden kleideten sich dazu in Ärztekittel und spendeten das Trinkgeld für Men-schen mit Querschnittlähmung. Dank grosszügiger Unterstützung der Gäste konnten wir CHF 1720.– überweisen. Sandra Zemp, Appaloosa Saloon Spiez BE
Gesammelt. Anita Steiner und Martin Bütikofer (beide Verkehrs-haus, l.) überreichen den Scheck an Joseph Hofstetter und Erika Schüpbach (beide SPS).
Gesegnet. Die Töff-Begeisterten übergeben Ski-Ass Christoph Kunz den Scheck für Nottwil.
rubrik
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Die 40-Jährige arbeitet an zwei Tagen pro Woche als Arztsekretärin in der Patho-logie des Triemlispitals Zürich. Gemeinsam mit ihrem Sohn Noel, 6, lebt sie in Schöft-land AG. Ihr grösster Wunsch: Mal wieder in die USA reisen, vor allem Las Vegas hat es ihr angetan. Im Rollstuhl ist Eveline Siegel-Hegi seit 28 Jahren; bei einem Verkehrsunfall während eines Ausritts erlitt sie eine Querschnittlähmung.
Eveline siegel-hegi
Dreigespann. Eveline Siegel-Hegi mit Sohn Noel und Wallach Bumby beim Spazieren in Kölliken AG.
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MEin tag iM rollstuhl
Ein Sprichwort sagt, dass sich Tiere und Men schen einander anglei-
chen. Das stimmt bei meinem Pferd Bumby und mir perfekt. Wir sind beide nur schwer aus der Ruhe zu bringen, und wenns ums Essen geht, schlagen wir gerne zu. Ich bin fast jeden Tag im Stall anzutreffen, manch-mal nur kurz zum Füttern, manchmal län-ger zum Striegeln oder wenn ich mit Ross, Hund und Kind in der Gegend spazieren fahre.
Der Morgen beginnt für mich um halb sie-ben, wenn ich zur Arbeit fahre sogar schon eine Stunde früher. Als Erstes schaue ich immer, was das Wetter macht. Nach dem Duschen und Anziehen wecke ich meinen Sohn Noel – oder ich versuche es zumin-dest, er ist nämlich ein ziemlicher Morgen-muffel. Ich mache ihm das Morgenessen, selber trinke ich so früh allerdings nur ein Glas Milch. Und dann bringe ich den Klei-nen in den Kindergarten. Zwei Tage pro Woche arbeite ich als Arztsekretärin in Zürich. Die Fahrt dorthin über verstopfte Strassen und Autobahnen ist eine un - be rechenbare Herausforderung, doch der Job macht mir Freude.
An freien Tagen fahre ich meistens in den Stall. Meine Leidenschaft für Pferde er-wachte bereits, als ich noch ein Mädchen war. Auf dem Weg in den Kindergarten musste ich immer an einer Ross-Weide vor-bei, und meistens blieb ich dort hängen. Später durfte ich bei Nachbarn im Stall mit-helfen, lernte das Ausmisten, Putzen und Striegeln. Und schliesslich auch das Reiten. Mein Traum ging mit 12 Jahren in Erfül-lung: Meine Gotte schenkte mir ein Pony. Ich hatte mein eigenes Pferd! Doch nur sechs Monate später verunfallte ich wäh-rend eines Ausritts schwer. Mein Pony und ich wurden von einem Tanklastwagen angefahren und überrollt – seither sitze ich im Rollstuhl.
Unterwegs mit der Kutsche
Mit meinem Leben bin ich sehr glücklich, denn ich habe viel erreicht. Früher spielte ich erfolgreich Rollstuhl-Tennis und die Ge-burt meines Sohnes war ein Erlebnis. Wer weiss, ob das alles auch so schön gekom-men wäre ohne Querschnittlähmung? Ge-ritten bin ich seither allerdings kaum mehr, weil ich zu sehr Angst vor Druckstellen am Körper habe. Mein Bumby ist ein Irish
Tinker, ein Zigeunerpferd. Er hat einen un-heimlich lieben Charakter. Und steht bock-still, auch wenn ich ihm beim Putzen mal aus Versehen in die Beine fahre. Er hat sich an den Rollstuhl gewöhnt. Oft gehen wir zusammen spazieren – ich im Handbike und er trottet an der Leine hinter mir her. Manchmal spanne ich ihn auch vor einen Jagdwagen und kutschiere so in der Gegend herum; für mich wurden extra Gurten an-gebracht und eine Handbremse montiert. Im Moment müssen wir leider davon abse-hen, denn Bumby hat Probleme mit Kreuz und Schultern. Er ist schliesslich schon über 20 Jahre alt.
Am Abend lese ich daheim die Post, mache das Nachtessen parat, schaue vielleicht noch ein bisschen fern – vor allem die Kri-miserien «Bones» und die Zeichentrick-Helden «Tom & Jerry» haben es mir ange-tan. Vor Mitternacht komme ich leider kaum ins Bett, auch wenn ich mir das im-mer und immer wieder vornehme. Dafür bin ich mit einem gesunden Schlaf geseg-net, und innerhalb von fünf Minuten reise ich bereits tief und fest durchs Land der Träume.»
«Mein Bumby hat sich an den Rollstuhl gewöhnt»
Seit einem Verkehrsunfall sitzt Eveline Siegel-Hegi im Rollstuhl, doch die Liebe
zu Pferden ist geblieben. Heute ist die 40-jährige Aargauerin oft mit ihrem
Bumby unterwegs.
Aufgezeichnet von Christine Zwygart | Bild: Walter Eggenberger
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FinalE
Martin Senn ist freischaffender Illustrator.
Es boomt auch im Rettungswesen ...
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