+ All Categories
Home > Documents > SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream...

SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream...

Date post: 29-Jun-2020
Category:
Upload: others
View: 0 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
24
SEP.12 Kunst
Transcript
Page 1: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

SEP.12

Kunst

Page 2: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

EINSCHLAUFENSauber gerahmt hängen die Fotos an den Wän-den, gedämpfte Schwarz-Weiss-Bilder fl immern über die Videobildschirme. Der Betrachter bricht zu einer Zeitreise auf – und fi ndet sich 1966 in New York wieder, wo der Künstler Ro-bert Rauschenberg und der Elektroingenieur Bil-ly Klüver zum Happening «9 Evenings» stattfi n-den liessen. Mit dem Ziel, die Grenzen zwischen Musik, Film, Tanz, und Theater zu verwischen, hatten die beiden Initianten zehn Künstler und 30 Techniker zur Interaktion eingeladen. Eine nicht ganz einfache Ausgangslage, doch die mo-tivierende Frage, die dem Anlass zugrunde lag, lautete schlicht: «Why not?»Nun, «9 Evenings» entpuppte sich bei seiner Austragung als Flop – «langweilig», lautete ei-nes der vielen negativen Urteile damals. Rückbli-ckend aber war es die Geburtsstunde der interak-tiven Performance-Kunst. Robert Rauschenberg selbst inszenierte damals ein Tennismatch mit verkabelten Schlägern, die bei Ballberührung jeweils eine Lampe der Saalbeleuchtung zum Er-löschen brachten. Der Musiker John Cage über-trug per Telefon Geräusche von zehn verschie-denen Orten in New York in die Halle, derweil die Choreografi n Deborah Hay ihre Tänzer auf motorisierten Podesten herumkurven liess.Aus heutiger Sicht mögen die neun Abende in Manhattan seltsam harmlos wirken, doch die Aktionen der damals aktiven Artisten hallen

Impressum Nº 07.12DER MUSIKZEITUNG LOOP 15. JAHRGANG

P.S./LOOP VerlagPostfach, 8026 ZürichTel. 044 240 44 25, Fax. …[email protected]

Verlag, Layout: Thierry Frochaux

Administration, Inserate: Manfred Müller

Redaktion: Philippe Amrein (amp), Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe

Mitarbeit: Reto Aschwanden (ash), Anna Frei (af), Christian Gasser (cg), Michael Gasser (mig), Nino Kühnis (nin), Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl), Mathias Menzl (men), Philipp Niederberger, Christian Pauli, Sarah Stähli, Miriam Suter

Druck: Rotaz AG, Schaffhausen

Das nächste LOOP erscheint am 27. 9. Redaktions-/Anzeigenschluss: 20. 9.

Titelbild: Sonic Youth

Ich will ein Abo: (Adresse)10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz).LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, Postfach, 8026 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected]

Betrifft: Hallen, von klugem Schweigen durchfl utet

nach – und lösen auch Jahrzehnte später noch ein Echo aus. Nehmen wir nur mal Robert Rauschenberg. Der hatte bereits in den frühen Fünfzigerjahren eine geradezu geniale Idee und radierte eine Zeichnung des damals geschätzten Neo-Expressionisten Willem de Kooning – mit dessen Erlaubnis – in monatelanger Fleissarbeit weg. Die Fachwelt war aufgebracht, man sprach von «Vandalismus» – doch inzwischen hängt Rauschenbergs rubbelige Leere in San Fran-cisco im dortigen MoMA und gilt als Meister-werk. Und angesichts dieses mutigen, letztlich höchst erfolgreichen Eingreifens in ein bereits bestehendes Werk müssen wir an dieser Stelle natürlich auch auf Cecilia Giménez zu sprechen kommen. Die 80-jährige Hobbymalerin hat mit ihrer «Res tauration» eines Jesusbildes in einer Dorfkappelle im Nordosten Spaniens eine inter-nationale Lachnummer generiert. Von «Vanda-lismus» mögen angesichts der hehren Intention der Rentnerin freilich bloss übereifrige Erzkon-servative sprechen – die zahlreichen originellen Nachahmungen im Internet deuten vielmehr auf einen ziemlichen Wurf hin.Wir verneigen uns vor Frau Giménez und prä-sentieren eine Ausgabe, die dem gewidmet ist, was auch sie geschaffen hat: Kunst. Möge auch ihr Werk dereinst in von vielwissendem Schwei-gen durchfl uteten Hallen ausgestellt werden.

Guido Bruegel der Ältere

Page 3: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

LIEBE PATTI

Patti Smith hat sich auf etlichen Ebenen kunstschaffend betätigt – als Musikerin, Muse, Autorin und Fotografi n. Ein Dankesbrief.Es muss vor etwa drei Jahren ge-wesen sein. Damals entdeckte ich in einer Kiste auf dem Floh-markt eine Platte, die ich nur aufgrund des Covers kauf-te. Darauf war ein hageres Mädchen in einem weissen Hemd, mit Hosenträgern und Anzugsjacke über der Schulter zu sehen. Die schwarzen Haa-re zerzaust, der Blick fordernd in die Kamera gerichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich viel-leicht schon einmal etwas über diese Patti Smith gelesen, von ihrer Musik hatte ich aber keine Ahnung. Als ich die Platte dann zuhau-se auf meinem billi-gen Plattenspieler aus Plastik anhörte, hattest Du mein Herz gewonnen. Etwas in mir hast Du mit dem Album berührt. Meine wil-de Seite, die, der das ganze Riot-Grrrl-Zeug etwas zu eintönig war. Dieser Seite hast Du mit «Horses» den Soundtrack geliefert. Ehrlich gesagt hattest Du mich schon nach dem ers-ten Satz: «Je-sus died for somebody’s sins but not mine». Dein «Gloria» ist eine radikale Hommage an den Them-Song, der neben Deiner Version wie ein Wiegenlied klingt. Als ich beim Titelsong des Albums angelangt war, war ich endgültig Wachs in Deinen Händen – auch, weil ich endlich die Wurzel der Libertines-Hom-mage «The Boy Looked at Johnny» gefunden hatte. Ab sofort verschlang ich alles, was irgendwie mit Dir zu

tun hatte, was irgendwie aus Deinem Mund oder

Deiner Feder kam. Ich sass vor

dem Bild-schirm

und schaute mir stundenlang Videos auf Youtube an von die-sem jungen, mageren, wütenden Mädchen auf der Bühne des New Yorker CBGB’s, sah Deine Spoken-Word-Performances und bekam wieder Lust, etwas Eigenes zu kreieren. Und es tat sich ein unglaubliches Universum auf – ich glaube sogar, dass ich über Dich letztlich zur Beat-Generation kam, zu Kerouac und Ginsberg, und schon alleine dafür bin ich Dir unendlich dankbar. Du hast mir völlig neue Möglichkeiten gezeigt, mei-ne Energie, welcher Art auch immer, zu kanalisieren. Dank Dir wurde ich kreativ wie nie zuvor, in ganz unterschiedli-

chen Bereichen. Als Dein Buch «Just Kids» erschien, habe ich mich in einem Nest aus Decken auf meinem Bett ver-schanzt und es in fast einem Zug durchgelesen. Du hast mir gezeigt, dass es nicht viel braucht zum Leben, aber irgendwie doch viel, nicht viel Materielles, aber dafür ganz viel Spirituelles. Ich wollte sofort in einem kleinen Drecksloch wohnen – mit nichts als meiner Macchinetta und einem Notizbuch – und mir ein kleines Reich aus

Büchern, Platten, Lichterketten und meinen Ideen bauen. Seither reicht ein Gedanke an Deine Geschichte, und ich bin wieder auf dem Boden zurück, wenn das Chaos und die Angst in meinem Kopf mal wieder zu viel werden. Das hat niemand bisher geschafft. Dann kam «Twelve», Dein Album mit Covers von «Helpless» von Crosby, Stills,

Nash and Young oder «The Boy in the Bubble» von Paul Simon. Dessen Al-

bum «Graceland» habe ich mir nur wegen Deiner Version

des Songs gekauft. Als ich letztes Jahr in New York war, platzte mein Herz fast vor Freude, als ich in ei-

ner Galerie in SoHo eine Ausstellung mit Robert Mapplethorpes Bildern besuchen konn-te. Ich hatte fast das Gefühl, ein bisschen von Eurer märchenhaf-ten Verbindung spüren zu können. Liebe Patti, mein Mami wird bald 50, und du wirst diesen Dezember 66. Ich sage immer, dass ich froh bin, wenn ich mit 50 noch so schön bin wie mein Mami – und wenn ich mit 66 so eine coole Sau bin wie Du, dann hab ich keine Wünsche mehr offen. Ich durfte Dich auch schon tref-fen, vor zwei

Jahren wäh-rend einer Signierstun-

de Deines Buches. Ich musste l a n g e anstehen und hatte genügend Zeit, mir zu überlegen, was ich Dir alles sa-gen will. Die Sätze lagen zurechtgezimmert in meinem Kopf. Aber alles, was ich stam-meln konnte, als ich endlich vor Dir stand,

war: «Thank you so much!» Dem habe ich bis heute nichts hinzuzufügen. Miriam Suter

Page 4: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

SEPTEMBER 2012VON SCHINKEN UND SCHAULUST

SPANISCHES KINO NACH FRANCO

am Helvetiaplatz, Tel. 044 242 04 11, www.xenix.ch

SZENE

CD�OUT�NOW�

Plakataushangund FlyerverteilSehr gezielt und in jeder Region der Schweiz

Telefon 044 404 20 20 www.propaganda.ch

Badenerstr. 798004 Zü[email protected]

Tel: 044 241 10 17Fax: 044 291 53 27

www.crazybeat.ch

VINYL-, CD-, DVD-IMPORTseit 1981seit 1981

hip hop, neo soul, headz, house, electro, dubstep, d&b, breaks,

funk, disco, soul, latin, jazz, afro, reggae,

rock, pop

OCUEJKP�EJ

YGD�FGUKIP�CPF�ETGCVKQP

reged sie sich über ihri websiite uuf...?

stauffacherstr. 1278004 zürich 043 311 09 91

Page 5: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

UNTER KUNSTVERDACHTDie «Mutter aller Art-School-Bands» meis terte den Zwiespalt zwischen Pop und Kunst bravourös – aufgelaufen sind Sonic Youth an der Gender-Hürde.Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen, sagt es einfach: «Als junger Punk war mir ‹Kunst› pauschal sus-pekt. Ich empfand das elitär und lehrerhaft.» 1 Heute, da Kamerun als Theaterregisseur zwischen Underground und Kulturestablishment wandelt, sieht er das anders: «Ein Bild kann lauter sein als jede aggressive Rockmusik.» Recht hat er, der Schorsch. Angesichts der heutigen Regulierungs-gesellschaft müsste er aber gleich nachschicken: «Leisen Rock gibt es nicht.» Auf der Bühne haben die Goldenen Zitronen, die Schritt für Schritt den weiten Weg zur Kunst gegangen sind, die Lautstärke glücklicherweise nie in den Hintergrund gedrängt.

AM FALSCHEN ORT

Rock und Kunst? Nur Hornochsen glauben, dass dies zu-sammen nicht geht. Ein Vorurteil, das möglichweise dazu geführt hat, dass es nicht viele Bands gibt, die diese Liai-son offen und selbstbewusst leben. Neben den Goldenen Zitronen, die vom Punk her kommend die Improvisation, elektronische Musik und Krautrock erspielten, sind für mich Sonic Youth in dieser Hinsicht das Paradebeispiel. Obwohl bei Sonic Youth der Anfang Punk und Kunst war. Lee Ranaldo, Kim Gordon und Thurston Moore waren als Kunststudentinnen, Kuratoren und Journalisten tätig, ehe sie sich 1981 im hybriden Kunstmilieu von Downtown Manhattan zu einer Band zusammenschlossen. Seither bringen Sonic Youth das Kunststück fertig, konsequent die radikale und experimentelle Seite von Rock und Punk zu verfolgen – und das bei respektablem Erfolg und somit popkultureller Bedeutung.

Gut illustrieren lässt sich das Rock-Kunst-Verhältnis von Sonic Youth am epo-chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem Major-label unterschrieb. Das Cover zeigt ein Bild von Gerhard Richter: «Die Ker-ze», ein an sich «klassisches Bild» eines «konservativen Künstlers». Der deutsche Maler, der einst aus der DDR gefl ohen war, malte es 1982. Er wollte damit an die Protestbewegung in seiner alten Heimat erin-nern, die mit der Kerze ein Symbol des stillen Protests etabliert hatte. Stiller Pro-test als Illustration für ein Doppelalbum, das ein Ma-jorlabel bestärken sollte, eine laute, aggressive und experimentelle Band unter Vertrag zu nehmen? Ironie der Geschichte: Der Mu-sikmulti hatte den Braten zwar gerochen, allerdings am falschen Ort – Richters «Kerze» wurde im Okto-ber 2011 in London für 12 Millionen Euro versteigert (was den Künstler masslos ärgerte). Für Sonic Youth’ Musikindustrie debüt «Goo» gab es weltweit lediglich vier Chartsplätze.

EINE UNABHÄNGIGE STRATEGIE

Jutta Koether, deutsche Künstlerin, einstige «Spex»-Au-torin und Freundin von Kim Gordon, erinnert sich, dass die melancholisch anmutende Kerze von «Daydream Na-tion» sie nachhaltig verwirrte: «Auf mich wirkte das re-aktionär.» 2 Gordon sagt dazu: «Uns gefi el es, ein Cover zu haben, das nicht nach Punk aussieht; wo das Äussere nicht mit dem Inneren übereinstimmt – wie ein trojanisches Pferd. Das Cover passte auch zur Reagan-Ära mit all ihrer grauen Depressivität und Lethargie.» 3 Für Sonic Youth ist Kunst die Möglichkeit, Erwartungen, die man an sie als eine Rockband heranträgt, zu unterlaufen. 1990, beim Debüt für Geffen, ging die Band dann genau den anderen Weg: Das schwarz-weisse Cover von «Goo», der bisher poppigsten Platte, ziert eine Illustration von Raymond Pet-tibon, der als einstiges Mitglied von Black Flag unzweifel-haft Punk ist. Jutta Koether: «Mir wurde klar, dass Sonic Youth den Trends folgen, aber eine unabhängigen Strategie wählen.» Bezeichnenderweise scheint die Band denn auch nicht an Kunstanspruch oder Popverwässerung zerbrochen zu sein, sondern – wenn man so will – an good old gender troub-les. Letzten Herbst gaben Gordon und Moore das Ende ihrer Ehe bekannt – seither ruht die Band auf Eis. Die bei-den Solokonzerte, die Kim Gordon und Thurston Moore unabhängig voneinander, aber in der gleichen Woche im August im Bad Bonn gaben, zeigten eines: Kunst und Punk ist beiden noch kommun. Kim Gordon aber scheint ihr Erbe als weibliche Gallionsfi gur der weltweit bekanntes-ten Art-School-Band besser zu bewältigen als ihr Ex, der tendenziell den Leader dieses Künstlerkollektivs gab und nun alleine nicht mehr recht zu wissen scheint, was er will.

Christian Pauli

1 Programmzeitung der Dampfzentrale Bern (September/Oktober 2012)2 The Art of Noise, Interview mit Kim Gordon im Monopol (April 2009)

3 Sonic Youth etc.: Sensational Fix. Saint-Nazaire, Bozen, Köln 2010

sonic youth

Page 6: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

MIT HUND IM UNTERGRUNDDas Waadtländer Ehepaar Ceresole begleitet die New Yorker Artpunk-Szene bereits seit etlichen Jahrzehnten – sie als Fotografi n, er als «Financier». Dabei kam es früh zu prägenden Begegnungen mit Sonic Youth.Catherine and Nicholas Ceresole sind ein sympathisches Ehepaar mit sympathischem Dackel und sympathischem Zuhause im sympathischen Rolle in der Waadt. Nicht ge-rade so, wie man sich wichtige Figuren der Artpunk-Szene vorstellt. Es gibt goldene Türklingeln an der Hausmauer, und es gibt einen schönen Garten, all das. Der eigentliche Schatz fi ndet sich aber in zwei unscheinbaren Seemanns-kisten. Die Arbeit der begnadeten autodidaktischen Foto-grafi n Catherine Ceresole: mehrere tausend Bilder vom Un-derground der experimentellen New Yorker Musikszene der frühen Achtzigerjahre. Ceresole begleitete mit eigener Ästhetik und bestimmtem Blick als Fahrtenschreiberin die Szene an der Grenze zwischen Kunst und Musik und do-kumentierte die ersten Konzerte der Artpunk-Legenden So-nic Youth ebenso wie die Performances von Lydia Lunch. Catherine und Nicholas Ceresole, die ihren Dackel stets zu den Konzerte mitnahmen, verblieben aber nicht nur in der beobachtenden Rolle. Grund genug für «Loop», sich auf zehn Zigaretten mit den Ceresoles zu treffen und etwas mehr zu erfahren.

Catherine, seit über 30 Jahren bist Du nicht nur mit Mann und Hund an Kon-zerten von New Yorker Undergroundmusikerinnen anzutreffen, sondern – vor allem – auch mit deiner Kamera. Wie kam es dazu und warum hörst Du bis heute nicht auf damit?Catherine: Wir zogen 1979 nach New York – offi ziell, da-mit Nicholas ein Toningenieurstudium beginnen konnte. Eigentlich gingen wir aber der Musik wegen. Der Platten-laden 99 Records war dabei so etwas wie ein Treffpunkt, wo wir viele Undergroundbands, MusikerInnen und Pro-duzenten kennenlernten. So kamen wir auch auf Sonic Youth, die wir bei ihrem ersten Konzert mit Schlagzeuger im CBGB’s vor neun Leuten sahen. Ich hatte damals eine kleine Touristenkamera mit Blitz und Farbfi lm und begann damit Fotos an Konzerten zu machen, damit die Bands sehen konnten, wie sie wirkten. Ich gebe den MusikerIn-nen immmer die Bilder, die ich mache. Das ist so eine Art Tauschgeschäft: Sie geben mir ihre Musik, und ich ihnen als Dankeschön meine Bilder. Als Thurston Moore meine Bilder sah, sagte er: «Du solltest weitermachen. Du spürst die Musik!». Also machte ich weiter, wechselte aber bald zu Schwarzweiss-Filmen und liess den Blitz weg, nach-dem mich Lydia Lunch bei einem Konzert einmal heftig anschrie deswegen. Thurston Moore empfahl uns dann weitere Bands, und so lernten wir die Live Skulls, Swans oder Christian Marclay kennen, die alle im gleichen Ku-chen rumhingen, und rutschten allmählich immer mehr in die Szene rein. Nicht nur mit Fotografi e. Wir halfen auch schon mal aus, wenn Bands kein Geld hatten, um Covers für ihre Platten zu machen. Nicholas: Für Rick Rubins Band Hose kauften wir bei-spielsweise braune Papiersäcke, wie man sie für Alkohol benutzen muss in den USA. So war deren erste Single we-nigstens irgendwie eingepackt. Rubin schuldet uns eigent-lich immer noch 50 Dollar, die wir dafür ausgaben (lacht).

Catherine: Wir liehen das Geld eigentlich immer nur aus. Das waren also keine Investitionen in dem Sinne. Dazu hatten wir auch einfach das nötige Kleingeld nicht, wir wa-ren ja selber Studenten. Auch Christian Marclays «Record Without a Cover» haben wir auf diese Weise lediglich vor-fi nanziert. Dabei ging es immer um Freundschaft, Passion und Emotionen. Das ist auch bei meinen Bildern so. Ich bin in dieser Hinsicht eine sehr unprofessionelle Fotografi n. Wenn ich die Musik einer Band nicht mag, dann werden meine Bilder schlecht. Ich habs versucht. Ich sage keine Na-men, aber die Bilder waren wirklich schlecht. Der Grund, wieso ich immer noch Undergroundbands fotografi ere, heisst schlicht und einfach Musik. Musik ist meine Passi-on, und sie hilft mir, durchs Leben zu gehen. Auch heute habe ich noch ein inneres Bedürfnis, zu fotografi eren, wenn ich Musik höre. Und es sind immer kleine Bands. Chan Marshall (Cat Power, d.V.) beispielsweise, die ich 1996 im Dolce Vita in Lausanne fotografi erte. Als sie vor zwei Jah-ren in Genf spielte, liess sie anordnen, dass niemand am Konzert fotografi eren dürfe ausser mir, weil ihr die Bilder von damals so gefi elen. Das war ein Riesenkompliment. Ich habe das ja nie gelernt, meine einzige Ausbildung war die als Bildentwicklerin. Cat Power, die Young Gods, Honey For Petzi: Du bist stets bei Indiebands geblie-ben. Warum fi ndet kein Bruce Springsteen, keine Cyndi Lauper statt in deinem Werk? Catherine: Weil es die Hölle ist! Das sollen von mir aus professionelle FotografInnen machen. Die arbeiten ja auch digital, laden die Bilder gleich hoch, und es geht nur noch am Rand um die Musik. Mich interessiert das einfach nicht. Ich bin froh, dass die Fotografi e für mich immer noch ein Vergnügen ist.

Du selbst arbeitest ja nur mit analogen Kameras. Ist das eine Hommage an die Bands, die Du fotografi erst, die auch mehrheitlich mit analogen Instrumenten arbeiten? Oder ist das als Widerstand gegen die Digitalisierung zu verstehen? Catherine: Für mich hat ein digitales Bild einfach nicht die-selbe Atmosphäre wie ein analoges. Es ist zu perfekt. Aber ein Bild braucht nicht perfekt zu sein. Für die zweite Plat-te von Sonic Youth habe ich das Bild fürs Inlay gemacht. Ich habe es vergrössert, als ausgebildete Filmentwicklerin selbst entwickelt und es Thurston Moore gezeigt. Er sagte «Toll!», zerknüllte im nächsten Moment das Bild, faltete es

wieder auf und fragte mich: «Ist es nicht auch so grossar-tig?» Zuerst fi el ich natürlich aus allen Wolken, aber nach-dem ich es wieder nüchtern betrachten konnte, musste ich ihm Recht geben.

«Heute dreht sich alles um Geld. Und dabei ist es nicht einmal Geld zum Überleben. Sondern man will Geld, um reich zu sein, Geld für das ausschweifende Leben.»

Catherine Ceresole

bitte umblättern

Page 7: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

catherine und nicholas ceresole Foto

: Nin

o Kü

hnis

Page 8: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

In Deiner Ausstellung letzten November im Musikklub Le Romandie in Lau-sanne konnte man mehrere Fotos von Sonic Youth sehen. Wie in Michael Azze-rads Buch «Our Band Could Be Your Life» zu erfahren ist, hattet Ihr nicht durch die Fotolinse mit der wahrscheinlich wichtigsten Artpunk-Band zu tun. Am Ran-de werdet ihr als deren Mäzene erwähnt. Wie muss man sich das vostellen?Catherine: Nun, Mäzene ist ein grosses Wort. Wir hatten ja selber kaum Geld. Ja, wir hatten Glück und genügend Geld, um in New York studieren zu können. Und ja, wir halfen aus, wenn es darum ging, etwas rauszubringen, aber das waren keine Riesensachen. Nur ein Beispiel: Drei von vier Mitgliedern von Sonic Youth weilten in den frühen Achtzigerjahren in Frankreich und Italien, nur Kim Gor-don fehlte. Also dachten wir uns, wir suchen ein paar Gigs für sie und boten Gordon an, das Flugticket zu überneh-men, damit sie als Band in Europa spielen konnten. Das klappte dann auch, und das erste von neun Konzerten der Tour fand in Bellevaux in Lausanne statt.Nicholas: Das Wort Mäzene hören und lessen wir immer wieder, und dass wir das erste Sonic-Youth-Album fi nan-ziert hätten. Aber was heisst schon fi nanziert? Niemand spricht über die Zahlen! Es waren sehr bescheidene Beträ-ge, und wie gesagt haben wir die jeweils nur vorgeschossen. Thurston Moore denkt, es wären 10 000 Dollar gewesen, Catherine sagt, es waren 500, Lee Ranaldo spricht sogar von nur 300. Der einzige, der es wirklich wusste, war mein verstorbener Vater. Ich habe mir das Geld bei ihm ausgelie-hen mit der Ausrede, ich müsste zum Zahnarzt (lacht). Na-türlich hat er es schliesslich rausbekommen, er war ja nicht blöd. Aber so und ähnlich lief das eigentlich immer. Chris Marclay fehlte ebenfalls das Geld, um seine Platte «Record Without a Cover» rauszubringen. Wir fragten also den Avant-Garde-Gitarristen Glenn Branca, ob er das Album nicht auf seinem Label Neutral Records rausbringen wolle. Branca fand es gut, hatte aber kein Geld für die Pressung. Also ernährten sich Catherine und ich einfach einen Monat lang von billigen Hamburgern und kratzten so die vielleicht 200 Dollar zusammen.

Das tönt ja in den gängigen Nacherzählungen schon etwas anders. Man gewinnt eher den Eindruck von versnobten SchweizerInnen vom Arc Lémanique mit grossen Portemonnaie…Catherine: Ja, leider. Aber so war es nicht. Auch heute: Wenn die befreundeten Bands von damals bei uns zu Be-such kommen hier in Rolle, dann denken die sich natürlich schon «Oho, ein Haus am See mit einem Riesengarten, die haben Geld wie Heu». Logisch! Aber Nicholas hat dieses Haus einfach von seinem Vater geerbt, und wir können bloss deswegen hier im untersten Stock wohnen, weil wir oben renoviert und kleinere Wohnungen eingebaut haben

und diese nun selber vermieten. Wir sind auch die Haus-abwarte hier. Wir leben überhaupt nicht auf grossem Fuss. Heute nicht und auch damals nicht.

Du hast vorhin das Bild erwähnt im Inlay der zweiten Sonic-Youth-Platte, das Du gemacht hast. Hat es eure Beziehung zur Band verändert, dass Du nun damit auch berufl ich mit ihnen zu tun hattest?Catherine: Nein. Es war ja keine klassische Arbeitssituati-on, eher ein Austausch. Ich habe kein Geld bekommen für mein Bild, vielleicht ein T-Shirt oder einen Eintrag auf der Gästeliste oder so etwas. Ich habe mich auch nie als pro-fessionelle Fotografi n verstanden. Ich machte das immer aus Vergnügen und Leidenschaft und konnte so auch dem Druck entgehen, Bilder verkaufen zu müssen. Heutzutage spüre ich zwar auch Druck, weil Erwartungen an mich he-rangetragen werden. Damit kann ich allerdings ganz gut umgehen. Bei Fragen, ob die Bilder wohl gut werden wür-den, sage ich immer:«Ich hoffe es!»

Wenn wir gerade bei Beziehungen sind: Seit Thurston Moore und Kim Gordon sich 2011 scheiden liessen, ist es auch mit Sonic Youth vorbei, wenigstens für den Moment...Nicholas (unterbricht): Sie pausieren, würde ich sagen.Catherine: Ich denke Kim und Thurston müssen die Situ-ation einfach klären. Dann wird man sehen, ob und wie es weitergeht. Ich hoffe, sie kommen darüber hinweg und können Freunde werden.

Hat diese Trennung eure Beziehung zu ihnen als Personen und zu Sonic Youth verändert?Catherine: Nein. Ich bin noch immer befreundet mit Thurs-ton, mit Kim, mit Steve und mit Lee. Wir wissen, dass Kim und Thurston dieses Problem haben, aber wir reden nicht gross über das Thema, etwa mit Lee oder Steve. Mit Thurs-ton spreche ich schon darüber, und ich denke, ich darf das auch. Wir haben ja gewissermassen die Adoleszenz zusam-men verbracht, fast gleichzeitig geheiratet und gehören derselben Generation an. Aber das ist ein Problem von Kim und Thurston. Und sie sind es, die es lösen müssen.Nicholas: Natürlich sind wir da für sie, wenn sie darüber sprechen wollen. Aber es sollte von ihnen aus kommen.Catherine: Wir sind ja keine Groupies. Und auch keine JournalistInnen.

Typisch für Sonic Youth und deren Mitglieder war ja nicht nur diese offen-sichtlich bloss scheinbar unzerrüttbare Ehe, sondern auch das beständige oszillieren zwischen Kunst und Musik. Das ist ja auch typisch für das New York der frühen Achtzigerjahre – eine Zeit und ein Ort, die euch sicherlich auch geprägt haben. Was zog euch nach New York, diesem damals oft als dreckig und gefährlich beschriebenen Moloch? Was habt ihr euch erhofft von der Stadt, die niemals schläft?Catherine: Wenn du irgendwohin gehst, kommst du ja auch von irgendwo. In unserem Fall war das die Westschweiz der Siebzigerjahre. Hier gab es keine Plattenläden, keine Musikklubs. Das Dolce Vita in Lausanne, das Fri-Son in Fribourg, die L’Usine in Genf, das kam alles erst später. In New York hingegen haben die Leute bereits Konzerte bei sich zu Hause gemacht. Du konntest Elliott Sharp in einer Wohnung sehen, die für einen Abend zum Konzertraum erklärt wurde. Diese Räume waren auch Treffpunkte. Es waren andere MusikerInnen da und haben gesagt: «Mor-gen spiele ich da und da. Hast Du Lust mitzuspielen?» Es war einfach ein unglaublich inspiriertes und natürliches Umfeld. Von der Unsicherheit und der Gefährlichkeit New Yorks habe ich – ich lange Holz an – nie etwas mitbekom-men. Und wir gingen wirklich überall hin.Nicholas: Dazu gibt es eine lustige Geschichte. Wir haben ja in Uptown Manhattan gewohnt zu der Zeit, und Bill Laswell, von dessen Band Material wir grosse Fans waren, hat uns nach einem Konzert einmal gefragt, ob wir die da-malige Sängerin seines Projektes – die blutjunge Whitney Houston – nach Hause begleiten könnten. Da es ja ohne-hin in unserer Richtung lag, sagten wir natürlich ja – und fanden uns als einzige Weisse an der Seite eines 17-jährigen

MIT HUND IM UNTERGRUND

sonic youth (1983)

Page 9: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

Mädchens mitten in Harlem wieder, wo sie abgeholt wur-de, aber wir einfach dastanden (lacht). Leider hat Catheri-ne davon kein Foto gemacht (lacht). Per Taxi kamen wir dann auch wieder ohne Probleme aus Harlem raus. Du hast vorhin noch das Überkreuzen von Kunst und Mu-sik angesprochen: Der Gitarrist in Rhys Chathams Band dieser Zeit war Robert Longo, der anderen vor allem als Maler ein Begriff wurde. Ich denke, dieses Crossing-Over kam zustande, weil diese ganze New Yorker Szene damals einfach sehr offen war. Die gleiche Person konnte Musik, Bilder und Filme machen zur gleichen Zeit. Auch der Re-gisseur Jim Jarmusch spielte ja in Undergroundbands. Das war schon eine sehr interessante Zeit.Catherine: Ich denke, das hat sogar noch früher angefan-gen in New York. John Lennon und Yoko Ono waren ja irgendwie auch schon gleichzeitig Kunst und Musik. Ich denke, die New Yorker Szene der frühen Achtzigerjahre war einfach prinzipiell offen eingestellt gegenüber dem Konzept der Improvisation. Man musste nicht Gitarre spielen können, um eine gute Gitarristin zu sein.

Wenn New York so spannend war, warum seid ihr eigentlich zurückgekehrt? Catherine: Als Nicholas’ Vater starb, erbte er dieses Haus hier in Rolle. Also überlegten wir uns, ob wir entweder weiter in New York bleiben und Jobs für drei Dollar die Stunde machen sollten, oder ob wir hierher ziehen und was mit dem Haus machen. Es sah ja nicht so aus, als hätten wir uns je ein eigenes Haus kaufen können mit den Jobaus-sichten in New York. Also kamen wir zurück.Nicholas: Das war eine sehr schwierige Entscheidung.Catherine: Nach einer gewissen Zeit fühlten wir uns aber auch hier wohl, und durch den Umbau in einzelne Woh-nungen können wir es uns leisten, uns weiter unserer Pas-sion, der Musik, zu widmen. Die Hälfte des Jahres hier in Rolle und die andere Hälfte auf Mallorca, wo wir auch ein kleines Label betreiben. Wir sind in einer sehr glücklichen Position.

Das muss ein ziemlicher Kulturschock gewesen sein, sich nach zwölf Jahren lautem, rauem und schnellem New York wieder ans schläfrige und pittoreske Rolle gewöhnen zu müssen.Catherine: Lustigerweise fi ng ich an, Rolle und die Schweiz bereits in New York zu mögen. Und zwar vor allem, weil in New York die Geschichte fehlt. Ich begann alte Gebäu-de zu vermissen. Unsere New Yorker FreundInnen fanden natürlich sowieso: «Was macht ihr in New York? Das ist ja das Paradies hier!» Was ausserdem half, war, dass kurz nach unserer Rückkehr langsam Musikklubs entstan-den wie das Dolce Vita in Lausanne, wo wir auch Sonic Youth, Swans, Don King und all diese Leute spielen sehen konnten. Es eröffneten mehr und mehr Plattenläden, und meistens, wenn New Yorker Bands in der Gegend spielten, kamen sie in Rolle vorbei, um Hallo zu sagen.

New York ist ja auch nicht stillgestanden in den 30 Jahren, in denen Du den Underground der Stadt fotografi ert hast. Die Stadt ändert(e) sich dramatisch und wurde sicherer, sauberer und – kausal damit verbunden – auch immer unbezahlbarer. Catherine (unterbricht): Ich weiss nicht, ob das eine gute Entwicklung ist. New York wurde so teuer, dass alles In-teressante nach Brooklyn abwanderte. Die meisten Kon-zerte fi nden heutzutage nicht mehr in New York (gemeint ist Manhattan, d.V.) statt, weil es schlichtweg zu teuer ist. Nicholas: Einige unserer Freunde müssen in ihren Tonstu-dios wohnen, weil sie sich nichts anderes leisten können.

Die hohen Lebenshaltungskosten betreffen dabei ja nicht nur die KünstlerIn-nen, sondern damit indirekt auch die Kunst selbst. Denkst Du, dass eine Cross-Over-Kultur, wie sie die Achtzigerjahre prägte, überhaupt noch möglich wäre unter den heutigen Umständen? Catherine: Ich glaube eher nicht. In den Achtzigern konn-test Du billige Lofts ohne Probleme fi nden – heute ist sowas nur für sehr viel Geld zu haben. Selbst Kim und Thurston sind weggezogen.

Nicholas: Auch ich halte es für unmöglich. Früher gab es viele kleine Labels, die mit wenig Geld viel machten, es gab Fanzines mit Flexidisks drin und so weiter. Das ist heute schlicht nicht mehr zu fi nanzieren, weil die Stadt so teuer wurde, dass kaum Geld für sowas übrig bleibt. Das spiegelt sich auch in der Arbeitsweise der MusikerInnen: Während MusikerInnen früher vor allem in einer Band spielten, ist beispielsweise Steve Shelley darauf angewiesen, gleichzeitig in vier Bands zu spielen, um über die Runden zu kommen. Catherine: Das Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass es un-glaublich viele Bands gibt heute. Aber die Frage ist: Wie viele davon werden bleiben? Heute dreht sich alles um Geld, Geld, Geld. Und dabei ist es nicht einmal Geld zum Überleben. Sondern man will Geld, um reich zu sein, Geld für das ausschweifende Leben.Nicholas: Es ist eine schreckliche Mentalität: Es muss im-mer mehr sein. Mehr Geld, mehr Geld, mehr Geld. Frü-her war man zufrieden, wenn man kein Geld verlor und es zurückbekam. Heute muss sich alles rentieren, sonst wird einem kein Geld geliehen.

Der Umstand, dass Geld eine immer grössere Rolle spielt, zeichnet sich in der Kunst ja noch viel deutlicher ab als in der Musik, und zwar weltweit. Kunst wird dabei mehr und mehr zum Investitionsvehikel – mit dem Resultat, dass zunehmend nicht KunstliebhaberInnen, sondern InvestorInnen Messen wie die Art Basel bevölkern.Catherine: Das kam mit der Bankenkrise. Heutzutage gel-ten Grundeigentum und Kunst als stabile Investitionen. Für KünstlerInnen ist das vielleicht sogar gut. Ein Freund von uns kann nicht zuletzt deswegen von seiner Kunst die Miete bezahlen.

Catherine, Du hast vorhin erwähnt, dass ihr hier Hausabwart, -verwalterin und -vermieter seid und so eure Lebenskosten deckt. Deine Kunst muss also nicht dafür hinhalten. War es je ein Ziel von Dir, von Deiner Kunst zu leben? Catherine: Ich habe ehrlich gesagt nie daran gedacht. Ich habe die Fotografi e aus Spass und Leidenschaft begonnen und ich hätte nie angenommen, dass ich diese Bilder ver-kaufen könnte. Deswegen habe ich sie ja auch nicht ge-macht. Dazu kommt, dass ich nicht gerne verkaufe. Das mag dumm sein, aber so ist es nun mal. Nein, für mich ist es eine durchwegs positive Sache, nicht von meinen Bildern leben zu müssen.

Interview Nino Kühnis

christian marclay (1985)

Page 10: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

londonlondonerscheint am 12.7. abotalon seite 2.erscheint am 12.7. abotalon seite 2.

SZENE

mus

ik im

brie

fkas

ten

– lo

opze

itung

.chTREE037

Fai BabaSnake Snake

LP / Download

TREE035

PapiroNegativ White 2

12” / Download

TREE034

Roy & theDevil’s MotorcycleGetaway Blues

7" Single

Gratis in voller Länge hören:^^^�H[YLLPUHÄLSKYLJVYKZ�JVT

…noch mehr

Kunstdie nächste Ausgabe von LOOP erscheint am 27. September.

Abotalon Seite 2

Page 11: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

bitte umblättern

MANHATTAN MANUFAKTUR

Die Factory von Andy Warhol war ein Refugium für talentierte Künstler und Möchtegern-Superstars. Mittendrin: The Velvet Underground. Eine knallgelbe Banane auf weissem Grund, daneben die kleingeschriebene Aufforderung an den Käufer: «Peel slow-ly and see.» Das Cover des 1967 erschienenen Albums «The Velvet Underground & Nico» hat Kunstgeschichte geschrie-ben. Andy Warhol konzipierte nicht nur das Plattencover, sondern managte auch gleich die Musiker, indem er sie zur

Hausband seiner Factory erkor. Eine experimentelle Rock-band, bestehend aus fünf Aussenseitern, die wirkte, als sei sie von Warhol selbst für ein Kunstprojekt gecastet worden: Ein pockennarbiger Schlacks, eine androgyne Schlagzeu-gerin mit dem Charme einer Supermarktkassiererin, ein blonder Heroin-Engel mit Marlene-Dietrich-Akzent, ein enigmatischer Teufelsgeiger aus Wales und ein kleiner Ty-rann mit den melancholischsten Augen New Yorks: Sterling Morrison, Maureen Tucker, Nico, John Cale und Lou Reed trugen ausschliesslich schwarz, und Hippies waren ihnen ein Graus. In ihren Songs huldigten The Velvet Underground harten Drogen, Transvestiten, Dealern und Prostitution und erhielten in der Factory bald einmal den Übernamen «The psychopath’s Rolling Stones». Ihre ersten Auftritte hatten sie als Teil von Warhols Multi-media-Happening «The Exploding Plastic Inevitable». Im Hintergrund fl immerten Filme des Meisters, und das trau-rigste Factory-Girl Edie Sedgwick tanzte sich auf der Bühne zum Lärm der Velvets die Seele aus dem Leib. Der Prototyp der Avant-Garde-Rockband war geboren. Kreiert von ei-nem blassen, silberhaarigen tschechischen Einwandererkind aus Pittsburgh, Pennsylvania.

This is a rock group called the Velvet Un-derground I show movies on them Do you like their sound ’Cause they have a style that grates and I have art to make («Style it Takes»)*

Die Factory war ein Refugium für talentierte Künstler und Möchtegern-Superstars, eine Drogenhölle und eine Platt-

Geister der Nacht Je vier Minuten dauern die Screen Tests, die Andy Warhol in den Jahren der silbernen Factory angefer-tigt hat. Kurze Stummfi lme auf 16mm-Rollen, die nun, knapp vierzig Jahre nach ih-rer Entstehung, wie bewegte Geisterbilder aus einer fer-nen Vergangenheit wirken. Alle waren sie Warhols Ka-mera ausgeliefert: die trau-rigsten Gestalten, die best-aussehenden Traumtänzer, die zerstörten Existenzen, die kommenden Stars, die coolen Nighthawks vor dem Absturz. All diese Charakte-re, die ihre Bedeutung und ihre Existenzberechtigung erst durch das Vorhanden-sein eines Publikums erhal-ten, versuchen ihr Image auch im leeren Raum so gut

wie möglich aufrecht zu er-halten.Dreizehn dieser legendären Screen Tests sind auf der DVD «13 Most Beauti-ful...» kompiliert. Für die stummen Filme spielte das Duo Dean & Britta Lieder ein, die den verborgenen Emotionen, den Abgrün-den der Charaktere auf den Grund gehen. Wir sehen, wie Ann Buchanan ihr Ge-sicht lange unter Kontrolle hält, ehe eine Träne ins Kul-lern gerät und sie sich ins «Girl Who Cries a Tear» verwandelt. Wir hören, wie Dean Wareham und Britta Phillips – bekannt aus den Proto-Traumpop-Bands Ga-laxie 500 und Luna – ihre warm pluckernden Synthies und ihre sinistren Velvet-

Underground-informierten Sounds sorgsam auslegt, wie sie Nico das Dylan-Cover «I’ll Keep it with Mine» widmen, wie sie das unsichere Sinnierende eines jungen Dennis Hopper mit lauernden Klängen einfan-

gen und für Ingrid Super-star beinahe ausgelassen ans Werk gehen. Und wie ehrt man musika-lisch einen jugendlichen und colatrinkenden Lou Reed – ein Screen-Test, der auch als Coke-Werbung durchgehen

könnte? Natürlich mit dem lange verschollenen Velvet-Underground-Lied «Not a Young Man Anymore», ehe mit Baby Jane Holzer die Zähne geputzt werden, um in die ungewisse Nacht zu steigen. (bs)

Die DVD: 13 Most Beautiful... Songs for Andy Warhol’s Screen Tests (Plexifi lm)

Page 12: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

SZENE

LIVE7.9. Molotov (MEX) Latino Crossover

8.9. Demented Are Go (UK) Psychobilly

21.9. Sebass (CH) Balkan Beats

24.9. A Place To Bury Strangers (USA) Indie

26.9. Soulfly (BRA) Metal

27.9. Luca Little (CH) Singer Songwriter Pop

11.10. Team Me (NOR) Jaill (USA) Indie

25.10. Philipp Fankhauser (CH) Blues

27.10. Der König Tanzt (D, Fettes Brot) Pop / Electro

2.11. Phillip Boa and the Voodooclub (D) Independent / Rock

10.11. Müslüm (CH) Balkanpop

11.11. I Like Trains (UK) Postrock / Indie

17.11. Lovebugs (CH) Pop / Indie

7.12. Shantel & Bucovina Club Orkestar (D) Balkanpop

20.12. Patent Ochsner (CH) Mundart

salzhaus.ch SALZHAUS WINTERTHUR starticket.ch

� � ������� &DUROLQH�.HDWLQJ��&$1��� 6XSSRUW��1DGLQH�&DULQD��&+���

9RUVFKDX�������� 5RELQ�0F.HOOH��7KH�)O\WRQHV��86$�)�������� �WK�6FRWWLVK�)RON�1LJKW�� $QQD�0DVVLH��0DLUHDUDG�*UHHQ��'DLPK��� (PLO\�6PLWK��-DPLH�0F&OHQQDQ�������� 6($7�0XVLF�6HVVLRQ�� :LOOLDP�:KLWH��&+���3DWULFH�&RYLQJWRQ��86$���XYP��������� /XND�%ORRP��,5/���.LHUDQ�*RVV��,5/��������� ,ULVK�)RON�)HVWLYDO������� ,DQ�6PLWK��0DWW��6KDQQRQ�+HDWRQ��7KH�)UHWOHVV��

&LRUUDV�������� 'UXP�:DUV��86$��±�&DUPLQH��9LQQ\�$SSLFH������� $0$*21*��%)�&+�������� +HLGL�+DSS\��&+���%LJ�)R[��6:(�������� 7KH�+ROPHV�%URWKHUV��86$���0DORMLDQ��8.�������� 0DGLVRQ�9LROHW��&$1���'D\GUHDPHUV��&+��������� $FLG�0RWKHUV�7HPSOH��-$3��������� .D]DOSLQ��%/5�&+��� $OELQ�%UXQ�$OSLQ�(QVHPEOH��&+���$NDQD��%/5��������� %DE\�-DLO��&+���$O�%HUWR��WKH�)ULHG�%LNLQLV�������� /(66��&+����/LYHVRXQGWUDFN�������� &UD]\�'LDPRQG��&+�������� -RKDQQD�-XKROD�7ULR��),1�������� %OLVV��&+��±�0HUU\�%OLVVPDV������� 6WUHVV��&+���0�$�0���&+��������� 6WLOOHU�+DV��&+��������� 1HZ�<RUN�6ND�-D]]�(QVHPEOH��86$��������� 6LOYHVWHU�6ZLQJ�±�OLYH��7KH�0LUDEHOODV��%DQG������ :LVKERQH�$VK��8.�������� 3DWHQW�2FKVQHU��&+��««««««««««««««««««««««««�«�� &KROOHUKDOOH���� ���������ZZZ�FKROOHUKDOOH�FK�� &KDPHUVWUDVVH����� ����������������99.��6WDUWLFNHW�� �����=XJ�

Sa. 1.9.12 Clubraum 20:30Sugarshit Sharp

OMAR RODRIGUEZ LOPEZ GROUPSupport

Di. 11.9.12 Ziegel oh Lac 21:30Ziischtigmusig

THE UNWINDING HOURS& Boy Android

Mi. 12.9.12 Clubraum 20:30Sugarshit Sharp

NOMEANSNOThe Shit

Do. 20.9.12 Clubraum 20:30Fabrikjazz

JEFF PARKER & BEANS: THE HUNGRY REAPERSJeff Parker & Beans: The Hungry Reapers

V o r v e r k a u f : w w w . s t a r t i c k e t . c h

Page 13: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

form für gnadenlose Selbstverwirklicher. Die Factory-Su-perstars trugen fl amboyante Namen wie International Vel-vet, Ondine, Candy Darling, Ingrid Superstar oder Rotten Rita. Beat-Poet William S. Burroughs ging hier ebenso ein und aus wie Grace Jones, Mick Jagger oder Truman Capo-te. Und um alle kümmerte sich der Hausmeister Andy War-hol persönlich, umgarnte sie mit seinen banalen und doch philosophischen Bonmots. Oder einfach nur mit einem entzückten «Oh, this is fabulous!» Aber Warhol war kein oberfl ächlicher Naivling, sondern ein Workaholic mit Ge-schäftssinn und einem unglaublichen Spürsinn für Talente sowie einem Händchen für extravagante Kollaborationen.

He said I was lazy, I said I was youngHe said, «How many songs did you write?» I’d written zero, I lied and said, «Ten.» «You won’t be young forever You should have written fi fteen» It’s work, the most important thing is work(«Work»)*

Dreimal musste Warhol mit seiner Factory zwischen 1962 und 1984 umziehen. Von der mit Alufolie ausgekleister-ten Silver-Factory in Midtown Manhattan, wo die Miete angeblich nur hundert Dollar betrug, ging es zum Union Square und schliesslich an den Broadway. Warhol wech-selte von seiner verrauchten Stammkneipe, dem Bohemi-an-Hangout Max’s Kansas City, wo die Velvets ihr letztes Konzert gaben, in die dröhnende Disco des Studio 54. 1968 nahm Warhols Offenheit und Gastfreundschaft, die er von seiner tschechischen Mutter geerbt hatte – «The way to make friends Andy is invite them up for tea» («Open House»)* – eine traurige Wende: Die geistig verwirrte Hardcore-Feministin Valerie Solanas schlich sich in die Factory – und schoss drei Mal auf Andy Warhol. Der King of Pop-Art überlebte das Attentat, aber sein beispielloses Grundvertrauen in die Menschen war erschüttert.

People said to lock the door and have an open house no moreThey said the Factory must change and slowly slip awayBut if I have to live in fear, where will I get my ideasWith all those crazy people gone, will I slowly slip away(«Slip Away (A Warning)»)*

Ein kleines bisschen Factory-Stimmung wurde im wun-derbaren Warhol-Museum in Pittsburgh konserviert: Der fantastischste Raum ist dort factorygetreu bis zur Decke mit silbernen Kissen-Ballons ausgefüllt, und im Muse-umsladen feierte beim Besuch vor über zehn Jahren gera-de Billy Name, enger Mitarbeiter und einstiger Liebhaber Warhols, eine Vernissage seines Factory-Fotobuches «All Tomorrow’s Parties». Der lebhafte Mann mit dem weis-sen Rauschebart versprühte einen Enthusiasmus und eine Herzlichkeit, welche die Einzigartigkeit von Warhols Fac-tory erahnen liess.Die schönste Hommage an Andy Warhol überhaupt ist Lou Reed und John Cale, den einst bis aufs Blut zerstrit-tenen, egomanischen Leadern von Velvet Underground, zu verdanken: Auf ihrem berührenden Konzeptalbum «Songs for Drella» (Drella – eine Mischung aus Dracula und Cin-derella –war Warhols Spitzname) rollen Cale und Reed Warhols Leben und Werk in 15 sehr persönlichen Songs auf. Die Lieder erzählen von Warhols Aufwachsen in der «Smalltown» Pittsburgh («Bad skin, bad eyes – gay and fatty. People look at you funny. When you’re in a small town») und reichen bis hin zur im Supermarkt gekauften Brillo-Seifenbox, die zum Kunstobjekt wurde. Schliesslich

MANHATTAN MANUFAKTUR

versuchen Cale und Reed die Lücke zu beschreiben, die Warhols Tod 1987 hinterlassen hat:

Andy it's me, haven't seen you in a while I wished I talked to you more when you were alive I thought you were self-assured when you acted shy I really miss you, I really miss your mind I haven't heard ideas like that in such a long, long time («Hello It’s Me»)*

Und heute? Lou Reed tourt zurzeit mit einem Best-of-Programm durch Europa, bei dem immer noch die Velvet-Underground-Songs am eindringlichsten nachhallen, und John Cale beehrt die Bühnen als Grüntee trinkender, mili-tanter Nichtraucher mit wechselnder Haarfarbe. Vor dem Standort der letzten Factory am Broadway steht eine überdimensionale und ziemlich hässliche Chromstahl-Statue von Andy Warhol und erinnert nur noch vage an die schillernden, silbernen Jahre der Factory, die neben Kitsch, traurigen Existenzen und den wohl besten Partys mit The Velvet Underground auch eine der einfl ussreichsten Musik-gruppen hervorgebracht hat, die auf coolstmögliche Weise Kunst und Musik zu einem Gesamtkunstwerk vereinte.

Sarah Stähli*Lyrics aus dem Album «Songs for Drella» von Lou Reed/John Cale, 1990

the velvet underground mit andy warhol

Page 14: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

Die Zähmung des Komplizierten: Die Münchner Band F.S.K. eignete sich in mehr als 30 Jahren kollektiver Feldfor-schung unzählige Musikstile an – und gilt als wohl meistzitierte LiebhaberIn-nenband Deutschlands. Versuch einer Assemblage. «Nimm dir einen Regelkreis – und tu dich mittendrein – Schnell erhältst du den Beweis – besser kann die Welt nicht sein» (Lob der Kybernetik, 1983)

MIT VORGEFUNDENEM MATERIAL DAS JETZT BETRACHTEN

Die bildende Künstlerin, Hörspielautorin und Multi-Instru-mentalistin Michaela Melián, der Autor, DJ und Radioma-cher Thomas Meinecke, der Kurator/Kunsthistoriker Justin Hoffmann und der Fotograf Wilfried Petzi formierten sich vor mehr als 30 Jahren zu ihrem eigenen Produkt «Band» aus der gemeinsamen Arbeit am Art-Fanzine «Mode & Verzweifl ung». Das war 1980, als John Lennon erschossen wurde und Roxy Music – F.S.K.s Lieblingsband – auf ihrer Deutschlandtournee zu Lennons Ehren spontan «Jealous Guy» spielten, was ihr einziger Nummer-1-Hit werden soll-te. Ein «Dankeschön, Bitteschön, Wiedersehen».Rund um F.S.K., damals KunststudentInnen, schwebte Punk und das grosse Nein. Sie aber affi rmierten und sag-ten «Ja zur modernen Welt» in Uniformen der Bundeswehr – Norbert Wiener und Warhols «Interview» irgendwo im Büchergestell – und praktizierten Neue Welle als hedonis-

tisches Hippie-Bashing in Flanellhemden und Jeans, denn «Tiere haben keine Hemden an» (1983). Seither haben sich F.S.K. unzählige Musikstile angeeignet und gelten als wohl meistzitierte LiebhaberInnenband Deutschlands. F.S.K. dekonstruierten deutsch-amerikanisches Liedgut und dessen vermeintlich identitätsstiftendes Authentizitätsver-sprechen – anhand langjähriger konzeptioneller Brechun-gen, unerwarteter Querverbindungen und Kollaborationen. Deutsche Schlagereinfl üsse in texanischen Country- oder af-roamerikanischen Bluessongs, die wiederum 1945 mit den GIs nach Deutschland zurückkehrten und dort das «neue Nationalgefühl» mitprägten, wurden in die Gegenwart zu-rück übersetzt, der Jodel kam als heftiges transatlantisches Feedback daher und wurde mit good old Country, Kraut und Post-Punk-Denke gebrochen. Rückkopplungen. Brüche. Remake, Remodel à la Roxy Music. Ihr Blues wollte eine Maschine werden. Ohne Kraftwerk in Düsseldorf kein Techno in Detroit. Analoge House-Alben als Band, Blackmusic-History geremixt von der Detroiter Technolegende Anthony «Shake» Shakir im bayrischen Kaff, plus Vocals von Melián als Nico in Drag. Vermeintliche Wurzeln und Identitätskonstrukte entblös-sen, sich Strategien aneignen und auf Verstrickungen einlas-sen, ohne in die Nostalgiefalle zu tappen. Ohne Angst vor Souveränitätsverlust. Denn wie kann es «Heimweh» geben, wenn es keine «Heimat» gibt? Authentizität gilt nicht, und wenn, dann als Strategie. Dies galt von Anfang an auch für die Band als solche, denn kaum geschah von aussen die Zuschreibung «Spezialistentum», brach F.S.K. Stil, aber nie Konzept. Und jedem Bruch ging und geht eine neue (musik)geschichtliche Analyse voran, eine Entschlüsselung komplexer Bewegungen durch ex-zessives Fantum. Die gemeinsame Rezeption von Musik, Literatur, Kunst und Philosophie «shows the new sound». Vermeintlich lineare Narrationen werden durchkreuzt und mehrschichtig verdreht: «Mit der Strassenkarte von London den Hartz durchwandern» (Alexander Kluge in Michaela Meliáns Hörspiel «Speicher»). Und so wanderten F.S.K.s Polka-House-Bastarde denn auch in die Plattenkisten von 30 Jahren jüngeren Techno-DJs.

DIE GEGENWART UND IHRE FREUNDE

«Äpfel – Birnen – Nicht zu – sammen – Nein, Nein – Äpfel – Birnen – Nicht zu – sammen – Nein, Nein – Nein, Nein – sonst re – den die – Leute – über – postmo – derne Belie – bigkeit» (Akt, eine Treppe hinabsteigend, 2012)

Die Alben von F.S.K. sind immer in ihrer Zeit zu denken, sie sind der Gegenwart verpfl ichtet. Die Untersuchung des Formats Track ist dabei als punktueller Kommentar zur ak-tuellen Lage gedacht. Aus der Distanz scheint es, als mach-ten sie immer gerade jetzt das, was man jetzt gerade nicht machen sollte – und nehmen damit Verschiebungen vor. Wie gerade jetzt mit dem kubistisch gedachten Rockalbum «Akt, eine Treppe hinabsteigend». F.S.K. betreiben wie damals Brian Ferry «music for the sake of music» mit popistischer Grundlagenforschung und Rekombinatorik – und unterlaufen so die klassische Avantgarde-Idee des Sich-Neuerfi ndens. Sie jonglieren mit einem Referenzialismus, den man in vielen Arbeiten zeitge-nössischer Kunst fi ndet. Comme l’art pour l’art, übertragen auf den Popkontext. In diesem sind F.S.K. immer mehr als ihre Beteiligten. Die Band als Versuchsanordung, als Man-nigfaltigkeit. Figuren des Begehrens aus verschiedenen Zei-ten treffen sich auf textlicher und musikalischer Ebene und beschreiben ein Fragment einer (un)möglichen Gegenwart. Jedes Album erscheint als gedeckter Tisch, FreundInnen

IT’S ABOUT AUSTAUSCH

thomas meinecke, michaela melián, carl oesterheit (2005)

Page 15: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

und FeindInnen sind geladen und switchen Rollen amorph. «Ein Kind für Helmut», «Karl-Eduard Von Schnitzler Pol-ka», «Mark Twain In Heidelberg», «the key of busta rhy-mes», «Kinski Jones», «Stalinbart Jodler», «Welche Farbe hat Mariah Carey», «Otto Hahn in Stahlgewittern», «Syl-vester», «Gypsy Rose Lee und ihre Freunde» – Songtitel wie Bildunterschriften. «Ich als Text meine Freundin als ihr Bild», wie es die Zeile auf dem Album «Tel Aviv» auf den Punkt bringt. Jeder Song ist ein «History Portrait» im Sinne Cindy Shermans – oder noch eher deren Appropriationen von Morimura Yasumasa. Die Bezüge werden fragmenta-risch offengelegt, weil noch so viel mehr zu erzählen wäre. Im Gespräch mit Melián und Meinecke wird klar, dass dies als eine inklusive Geste gedacht ist. Es geht hier nicht um Mystifi zierung oder Exklusivität. It’s about Austausch, aber

Act Up!Aus der Distanz betrach-tet, machen F.S.K. immer gerade jetzt das, was man jetzt gerade nicht machen sollte. «Akt, eine Treppe hinabsteigend». Zoom. Ein kubistisch gedachtes Rock-album, das nach Velvet Un-derground klingt, aber kein Rockalbum ist, gespickt mit kunsthistorischen Bezügen und allerlei Besuch von Re-ferenzfi guren wie u.a. der Burlesquetänzerin Gypsy Rose Lee, Erykah Badu, Josephine Baker und Lady Chatterley als Bloggerin. Die Altnazi-Jägerin Beate Klarsfeld wird fragmentierte Coverheldin und steigt zum Kanzler hinab, um ihm eine

reinzuhauen, wie damals der Titelgeber Marcel Duchamp den verhockten Salonkubis-ten. Duchamp wollte das Gemälde als Film denken, F.S.K. denken Duchamps Film als Aktion. Akt nicht nackt, sondern als Act up! Ein Darniedersteigen als ein sich herablassen, ein fe-ministischer Akt der Selbst-ermächtigung, und somit auch eine Dekonstruktion der männlich konnotierten, vermeintlich authentischen Rockgeste. (af)

F.S.K.: «Akt, eine Treppe hinabstei-

gend» (Buback)

Konzert: 30.11., Palace, St. Gallen

nie about Antworten. Fährten folgen und Fährten legen. So geht das.

ÜBERLAPPENDE VERWEISSYSTEME

Der Sound von F.S.K. ist ein Produkt kollektiver Gedan-kenvermengung und ihrer Verdichtung auf ein diskursives Wesentliches. Die Selbstkontrolle fi ndet freiwillig statt, die Montage im Kopf ist kybernetisches Spiel. Über Kostümie-rung singen, ohne sie zu tragen, und damit kostümiert sein. Die Struktur ist vielschichtig, der Auftritt immer gerne etwas unspektakulär, die Ästhetik des Sounds immer reduktionis-tisch repetitiv. Was die jeweiligen Biographien ausserhalb der Bandformation verbindet, ist eine Praxis der Erinne-rungsarbeit, die Auseinandersetzung und das Spiel mit und Infragestellung von sexuellen und nationalen Identitätskon-strukten und eine campsche, neugierige Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Dies äussert sich auch in überlappenden Arbeitsweisen. Viele der Songtexte von «Akt, eine Treppe hinabsteigend» sind inspiriert von Meineckes letztem Ro-man «Lookalikes», aus dem er wiederum einen Hörspiel-House-Track mit dem Elektronikproduzenten Move D für den Bayrischen Rundfunk erarbeitete. Michaela Meliáns musikalische Praxis beeinfl usst ihre künstlerische Arbeit, diese wiederum ihre Soloalben und Hörspiele. Die minimalen elektronischen Loop-Gefl echte auf ihren Soloalben «BadenBaden» und «Los Angeles» sind, mit Ausnahme der konzeptionell gewählten Roxy-Music-Covers, in Zusammenhang mit ihren Installationen entstanden. Artistic Compilations. Jeder Song verweist auf eine komplexe künstlerische Arbeit, wie auch F.S.K.-Songs immer auf weiteres verweisen. Melián webt soziokulturelle Historiografi en zu Hörspielen und multimedialen Installati-onen, wie vor kurzem das Grossprojekt «Memory Loops». Ein kartografi sches, auditives Holocaust-Opfer-Gedenkar-chiv, das sie als herunterladbares Netz aus Stimmen von ZeitzeugInnen und Sounds über die Stadt München legte. Durch die Wahl von Medien wie Hörspiel, Wandbild oder Video scheinen Meliáns Werke immer einer Flüchtigkeit, ei-ner Musikalität verpfl ichtet. Das Werk ist solange da, wie das Gedächtnis des/der RezipientIn es im Speicher behält. Und solange, bis die Geschichte es in sich aufnimmt.

Anna Frei

Page 16: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

DIE NEUEN PLATTEN

Cat Power Sun (Matador/MV)

Seit den kargen, minimalis-tisch arrangierten Songs ih-rer Anfänge hat sich Chan Marshalls Musik konti-nuierlich weiterentwickelt – vom satt produzierten, sinnlichen Memphis-Soul auf «The Greatest» (2006) bis hin zum eingängigen, vibrierenden Electro-Pop ihres aktuellen Albums. Nach der gescheiterten Beziehung mit dem Schau-spieler Giovanni Ribisi ist dies ihr «Trennungsalbum» – allerdings eines, das überraschend optimistisch klingt. In den elf Songs ist zwar Tiefe und Dunkelheit auszumachen, doch selbst hinter dem traurigsten Songtitel «Always On My Own» verbirgt sich eine positive Einstellung. Beson-ders muntere Töne schlägt die Single «Ruin» an. Eine repetitive Latin-Pianofi gur, die geschmeidige Basslinie und die agile Perkussion weisen Richtung Dance-fl oor. Diese Lebenslust dominiert auch «Nothing But Time», ein elfminütiges Mantra, wo sie frohlockt: «It’s up to you/ To be a su-perhero/ It’s up to you/ To be like nobody.» Aus dem Hintergrund tönt es «they wanna live!», ehe die Sän-gerin und ihr Gast Iggy Pop gemeinsam in den Refrain einstimmen: «The world is just beginning.» Erstmals hat die 40-Jährige alle Ins-trumente selber eingespielt. «Sun» beweist, dass sie vol-le Kontrolle über ihr Talent und ihr persönliches Leben erlangt hat.

tl.

Grizzly BearShields(Warp)

Mit ihrem letzten Album «Veckatimest» stiegen die vier Grizzlys aus Brooklyn unverhofft in die oberste Indie-Liga auf. Ein solcher Erfolg war angesichts ihrer fi ligranen, manchmal ge-radezu unnahbaren, zere-bralen Kammer-Popmusik kaum zu erwarten, straft aber einmal mehr den Mainstream Lügen, der glaubt, komplexe, unge-wöhnliche Musik könne man nur Verlierertypen und Aussenseitern verkau-fen. Nun stellen Grizzly Bear mit ihrem vierten Album das Publikum er-neut vor Rätsel: Wer in den verästelten Arrange-ments des letzten Werkes die Sterne und den Mond gesehen hat, wird ab der unbestreitbaren Süffi gkeit des neuen Wurfes verblüfft sein. Das erste Stück be-ginnt noch wie gehabt, vertrackte Rhythmen, ku-riose melodische Haken etc. – aber schon jetzt ist zu erkennen, dass die Band eine neue Wärme entdeckt hat. Fürs Songschreiben hat man sich diesmal aufs Land zurückgezogen und dabei offenbar auch ziem-lich gestritten. Das merkt man dem Album nicht an: Wie aus einem Guss kom-men die Chorknabenge-sänge nun in deftigen Ins-trumentalkostümen daher. So beginnt Track sechs, «A Simple Answer», mit rumpelnden Gary-Glitter-Drums, um sich wie das hässliche Entlein alsbald in den schönsten Song des Jahres zu verwandeln. Ein grosses Album, ganz klar.

hpk.

Get Well SoonThe Scarlet Beast O’ Seven Heads(City Slang/Phonag)

Das musikalische Wunder-kind Konstantin Gropper präsentiert uns sein drittes Meisterwerk. Der Süddeut-sche kredenzt 13 Songs, die überquellen vor Opulenz und Bombast. Er kreiert damit ein neues Sub-Genre: Barock-Indie-Rock.Wer Get Well Soon kennt, der weiss: Er macht es sich nicht leicht. Jede Platte, je-der Song ist wohl überlegt in Komposition und Lyrics. Selbst Lala-Refrains weisen bei Gropper wohl eine tie-fenpsychologische Bedeu-tung auf. Das Leitmotiv von «The Scarlet Beast O’ Seven Heads» ist italieni-sche Filmmusik. Die ganze Platte darauf zu reduzieren, wäre jedoch zu kurz gegrif-fen. Gropper verwendet eine gewohnt üppige Instru-mentierung und noch mehr Stilelemente als sonst – alles aufzuzählen, wäre seiten-füllend. Generell herrscht das Gefühl vor, dass die neue Get-Well-Soon-Platte weniger eingängig daher-kommt als der Vorgänger «Vexations». Nichtsdesto-trotz bezeichnet Gropper selber die neue Platte als sein «Sommeralbum». Wie er das meint? «Ich wollte mich locker machen. Mal schön fl uffi g aus der Hüfte, dachte ich, und hab mal ein bisschen Dolce Vita zuge-lassen.» Herrlich. Er sollte seine Plattenkritiken selber schreiben.

men.

Animal CollectiveAlles wieder offen, alles wieder unberechenbar: Das war vor eineinhalb Jahren, als das Animal Collective nach seinem tropisch und herzlich fl irrenden Pop-Meisterwerk «Merriweather Post Pavilion» wieder die Konzertbühnen aufsuchte. Was zu beobachten war auf dieser glücklich taumelnden Tour: Die vier Sound-Abenteurer Avey Tare, Panda Bear, Geologist und Rückkehrer Deakin traten nach Jahren der Elektronik als beinahe kommune Band auf, spielten manipuliertes Schlagzeug und verfremdete Gitar-ren und präsentierten bis anhin unbekanntes Material. Material, das in Jamsessions in ihrer Heimatstadt Balti-more entstanden ist und nun auch das neue, bereits zehnte reguläre Album «Centipede Hz» bestimmt.«Centipede Hz» funkt radiophonisch los, beginnt mit ei-ner hart-verzerrten Marschfi gur und explodiert mit dem schnarrenden Gesang von David Portner alias Avey Tare. Weich und samten wie auf dem Vorgänger ist hier zunächst nichts, und die Chorgesänge zwischen Portner und dem gross schlagzeugspielenden Noah Lennox (Panda Bear) feh-len gänzlich. Dennoch spielt das Animal Collective unüber-hörbar Popmusik. Pop, der befreit ist und nach allen Seiten absucht – nach der Melodie, der Trance, dem Lärm, dem Rock. Eine zwirbelnde Spielart der Popmusik, die mit der Fülle an herumschwirrenden Soundpartikeln immer wie-der überfordert, zuweilen jamhaft ausfranst («Monkey Ri-ches»), süss verführt («Rosie Oh» und «Applesauce») und die Lust am Dasein als Band zelebriert («Mercury Man»).Zusammengehalten wird «Centipede Hz» durch Radio-jingles, durch Auslotungen des grenzenlosen Soundwelt-alls und einen Grundvibe, den das Quartett in brasiliani-schen Obskuritäten, neuerem Portishead-Material oder psychedelischen Klassikern wie Pink Floyds «Astronomy Domine» fand. Mit das Schönste an diesem so dichten Al-bum aber ist, dass nach dem ausgelassenen Karneval des Schlusssongs «Amanita» in der Welt des Animal Collective alles wieder offen ist – und alles wieder unberechenbar.

Benedikt Sartorius

Animal Collective: «Centipede Hz» (Domino/MV)

Konzerte: 19.11., Les Docks, Lausanne; 20.11., X-Tra, Zürich

Page 17: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

DIE NEUEN PLATTEN

The xx Coexist(XL Recordings/MV)

Vor drei Jahren haben uns drei Teenager namens Romy, Oliver und Jamie eine Platte geschenkt, die eingeschlagen hat wie eine Bombe. Zurückhaltend, steif und schüchtern zeig-ten sie sich vor Live-Pub-likum, dennoch zogen sie einen mit dem Klang der Stille in ihren Bann. Mi-nimal-Pop mit R&B- und Electro-Facetten. Das Kon-zept der Reduktion und der Zurückhaltung haben The xx beibehalten und gar noch weitergeführt. Die Gitarre scheint auf «Coexist» noch spärlicher vor zu kommen, Bass und Drumcomputer tragen die Kompositionen, und auch der Gesang nimmt deutlich mehr Raum ein. Wohl auch aufgrund des gesteigerten Selbstwertgefühls von Sän-gerin Romy Madley Croft und Bassist Oliver Sim, die sich die Gesangsarbeit aufteilen. Auch die stärke-re elektronische Akzentu-ierung der Songs fällt auf, überrascht aber nicht und wurde ehrlich gesagt auch erwartet, da Jamie alias Ja-mie xx mit seinen elektro-nischen Seitenprojekten ja mehr als aufhorchen liess. Natürlich ist mittlerweile der Novitäts-Faktor weg, aber «Coexist» ist eine gute Platte geworden, angesichts des Erwartungsdruckes so-gar eine äusserst gute.

men.

James YorkstonI Was a Cat from a Book(Domino/MV)

Nachdem sein letztes kre-atives Produkt ein schrul-liges, witziges Buch mit handgestricktem Cover und einer Fülle von gno-menhaften Tournee-Erinne-rungen gewesen war (seine allererste Tournee bestritt er im Vorprogramm des schwierigen, wenngleich grossartigen John Martyn), hat James Yorkston seine Muse nun zum ersten Mal seit vier Jahren wieder in einem Album erblühen las-sen. Yorkston wohnt in der Umgebung von Anstruther an der schottischen Ostküs-te. Die trendige Welt der Londoner Jung-Folkszene interessiert ihn kaum, auch wenn er sich bei Domino Records in supercoolster Gesellschaft befi ndet. Da-bei ist Yorkston so wenig ein «Folkie», wie es Bonnie Prince Billy ist – es gefällt ihm einfach, seine fein ge-sponnenen Lieder in akus-tische Instrumentalklänge zu hüllen. Er ist indessen weder Elektronik (à la Four Tet) noch Elektrizität oder gar heftigem Schlag-zeug prinzipiell abgeneigt. Das neue Album ist innert fünf Tagen in einem Studio in Nordwales entstanden – mit einer neuen Band, zu der Mitglieder von Lamb, dem Cinematic Orchestar und «ein paar alte Freun-de» gehören. Die Resultate decken ein breiteres Stil-panorama ab als frühere Yorkston-Werke. Es ist der bisher beste Wurf eines be-gnadeten Songschreibers.

hpk.

Amanda Palmer and The Grand Theft OrchestraTheatre Is Evil(8ft. Records/Phonag)

Eine Geschichte liefert die-ses Album auch ungehört. Die Geschichte einer Mu-sikerin, die in den Ruinen der Plattenindustrie eine Verbindung zwischen öko-nomischer Notwendigkeit und künstlerischer Freiheit fand. Amanda Palmer ist nicht die erste, die sich die Auslagen für ein Album per Crowdfunding hereinholt. Doch bei ihr wirkt es ganz natürlich. Was es auch ist, denn vor dem Durchbruch mit den Dresden Dolls ver-diente sie bereits Geld als Strassenmusikerin. Nun liess sie den Hut im Netz rumgehen. 100 000 Dollar sollten für die Produkti-on dieses Albums zusam-menkommen. Es wurden insgesamt 1,2 Millionen. Amanda Palmer hat also Geld, aber keine Platten-fi rma, die reinredet. Das schlägt sich in der Musik nieder. «Theater Is Evil» ist zwang- wie masslos geraten: überschwänglich inszeniert, spendabel mit Melodien, ausufernd in der Spieldauer. Liebevoll im Detail und neckisch in den Ehrerbietungen: «Trout Heart Replica» heisst ein Song, «Grown Man Cry» ein anderer, der dann auch klingt wie The Cure – ge-covert von Garbage. Wir schreiben es mit Respekt und weil sie es so will: Amanda Fucking Palmer.

ash.

The HeavyThe Glorious Dead(Counter/Namskeio)

Die Freundschaft von Gi-tarrist Dan Taylor und Sänger Kelvin Swalby soll nicht zuletzt auf ihrer ge-meinsamen Vorliebe für Filme von Jim Jarmusch gründen. Was überrascht, hält sich ihre gemeinsame Musik als The Heavy doch kaum mit Feingeistigem auf, eher mit Deftigem. Das dritte Werk der Briten aus Bath schwelgt in einem überbordenden Soundbad aus Soul, Blaxploitation-Soundtracks und verfunk-tem Acid-Rock. «Can’t Play Dead» zitiert Friedhof und Zombies und zeigt sich von heftigen Basslines, fetttriefenden Gitarren und Swalbys Gesang umwir-belt. Einem Gesang, der gar nicht erst vorgibt, nicht von Curtis Mayfi eld be-einfl usst zu sein. Während sich «Curse Me Good» am countryesken Swamp-Rock von Creedence Clearwater Revival orientiert, klin-gen The Heavy auf «Same Ol’» wie ein gemeinsamer Zögling von Arthur Brown («Fire») und Lynyrd Sky-nyrd und auf «Don’t Say Nothing» wie gewiefte Gnarls-Barkley-Kopisten. Das Quartett gibt sich ganz seiner Lust und Laune hin und treibt es nicht bloss auf die Spitze, sondern gerne over the top. Das ist hochunterhaltsam, wenn-gleich nicht immer ganz geschmackssicher.

mig.

Jeans Wilder Totally EP (Everloving Records)

So gehts natürlich auch: Sonne, Surf und Tralala des ungebrochen populären Genres Beach Pop abrufen, sich damit der Aufmerk-samkeit der Blog-Gemein-de versichern und dann mittendrin die Vorzeichen umdrehen. Zu beobachten ist dieses zunächst etwas berechnend anmutende Vorgehen bei Jeans Wil-der, dem Soloprojekt von Andrew Caddick, der auf seiner neuen EP «Totally» eine Reihe an sich heiterer Klangelemente zu seltsam verwunschenen Welten zu-sammenfriemelt – und zu einem überraschenden Er-gebnis kommt. Wo regulä-re Beach-Popperinnen der Stunde Werte wie Freund-lichkeit, Gutmütigkeit und die totale Harmlosigkeit verkörpern, glänzt Jeans Wilder mit Sonderlings-ästhetik und Verwunschen-heit. Statt gleissendem Gold gibt es entrückt-be-drückendes Hellgrau und abgedämpftes Petrol, statt Sand zwischen den Zehen dominieren verrostete Bier-dosen den Strand. Jeans Wilder dekonstruiert auf «Totally» nicht nur Beach Pop, sondern die Beach als Projektionsfl äche gleich mit und präsentiert diese nicht nur als Hort des endlosen Vergnügens, sondern eben als das, was sie auch noch ist: Endstation. Dass er das in beiläufi ger, geradezu be-dächtiger Weise tut, spricht für den kurligen Bartträ-ger. Grosse Geister, es zeigt sich einmal mehr, sprechen nicht durchs Megaphon.

nin.

Page 18: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

Fiona DanielBackyard(Kuenschtli.ch/Irascible)

Leicht macht es einem Fiona Daniel mit ihrem Zweitwerk nicht. Gut, auch das Debüt war keine Stimmungskanone. Hier aber musiziert die Zürche-rin phasenweise derart in sich gekehrt, dass die fei-nen Lieder schwer zugäng-lich wirken. Ein bisschen Geduld sollte also schon mitbringen, wer Einlass in diese detailverliebte, wun-derbare Klangwelt fi nden will. Oder an ein Konzert gehen, wo sich der Zauber der neuen Kompositionen freier entfaltet als auf dem Album. Im Zentrum der durchwegs unaufgereg-ten Stücke stehen Pianos oder Keyboards, manch-mal auch eine Gitarre, und drum herum klingeln und klackern allerlei Instru-mente und Gerätschaften. Und dann ist da diese Stim-me, die ätherisch und doch bluesgeerdet klingt. Viele Songs wirken zunächst wie Versuchsanordnungen und entpuppen sich beim wiederholten Hören dann doch als vollendet. Den Vergleich zu einer bekann-ten Zürcher Sängerin zu ziehen, wäre vorlaut. Ein vorsichtiger Verweis auf PJ Harveys «White Chalk» vielleicht eher angebracht. Gerecht wird Fiona Daniel aber nur, wer anerkennt, dass «Backyard» das Ge-heimnis seiner Schönheit nicht zu entlocken ist.

ash.

Heidi HappyOn the Hills(Silent Mode/Irascible)

Aus dem Nebel in die Son-ne und von drinnen nach draussen: Heidi Happy macht mit ihrem vierten Album keinen Schritt zu-rück und keinen vorwärts, aber einen zur Seite. «On the Hills» klingt nicht nur weniger verletzlich als der Vorgänger aus dem letz-ten Jahr, «Hiding with the Wolves», sondern auch eine Portion fröhlicher. Der von Melancholie durch-wobene Horizont ist ge-wichen und hat zugunsten von leise brummenden Gitarren («Canada»), ver-spieltem Elektropop («Pa-tient Heart») oder einem Crooner-Duett mit Scott Matthew («Not Long Ago») abgedankt. Die Luzernerin ist nahbarer geworden, experimentier-wütiger, aber auch weni-ger elegisch. Was zu Frage führt: Ist das besser oder schlechter? Antwort: Es ist anders. Aber kein biss-chen gewöhnungsbedürf-tig, denn ihrem gefühls-betonten Honiggesang, dem dicken roten Faden ihrer Werke, ist Heidi Happy treu geblieben. Ihre Plattenfi rma meint gar, ihre Stimme erklimme neue La-gen – was sein mag, aber irrelevant ist. Denn bei der 32-Jährigen zählen trotz allem nicht die Einzelteile, sondern die Musiksumme. Und die erweist sich die-ses Mal als unbekümmert, putzmunter und überaus aufgeräumt. Was gefällt.

mig.

DIE NEUEN PLATTEN

Dead Can DanceAnastasis(Pias/MV)

Die Rückkehr einer Legen-de. Von 1984 bis 1998 bil-deten Dead Can Dance für ihre Fans eine Art Ersatz-religion. Das war auch na-heliegend: Die Verbindung von Wave im 4AD-Stil, Neoklassik und Weltmusik führte das Post-Punk-Pub-likum in esoterische Gefi l-de, die man normalerweise mied. Zudem gab und gibt es wenige Sängerinnen, die ihre Hörerschaft derart in ihren Bann ziehen können wie Lisa Gerrard mit ihren Lautmalereien. Folgerichtig verdingte sich die Australi-erin nach dem Band-Ende als Filmmusikerin und komponierte die Sound-tracks für «Gladiator» (mit Hans Zimmer) oder «Black Hawk Down». Das erste gemeinsame Album mit Brendan Perry seit 16 Jah-ren knüpft nahtlos ans bis-herige Werk an: acht reich instrumentierte, entrückte Exerzitien, deren Weltmu-sik-Elemente diesmal vor-nehmlich Nordafrika und dem vorderen Orient ent-stammen. Unglücklich ge-wählt ist die von Perry ge-sungene Single «Amnesia», deren trippiger Reggae-Einschlag eher zu Massive Attack passen würde. In den vier von Gerrard into-nierten Songs, insbesondere dem orchestralen «Return of the She-King», gerät der Balanceakt zwischen Kunst und Kitsch aber zum Tri-umphzug. Ein anständiges Comeback-Album.

ash.

Manuel StahlbergerInnerorts(Irascible)

Manuel Stahlberger kehrt zurück zur Kleinkunst und macht gleich wieder einen Schritt Richtung Pop. «In-nerorts» heisst zunächst das Kabarettprogramm, mit dem der St. Galler derzeit durch die Theater tourt. Nach dem Erfolg mit der Band Stahlberger besinnt er sich damit auf sein Gewer-be vor der Popstarwerdung. Das Album «Innerorts» versammelt die besten Lie-der aus diesem Programm. Meist begleitet sich der Sänger zurückhaltend mit altmodischen Synthies oder Saiteninstrumenten. Auch die Produzenten Guz und Ben Stokvis sehen keinen Anlass, irgendwas aufzu-bauschen. Durch die spar-same Instrumentierung liegt der Akzent erst recht auf den Texten, und was die an-geht, ist Stahlberger derzeit unerreicht. «Härzige Bueb» und «Leaving Eggersriet» sind Dramolette mit Prota-gonisten, die ebenso Opfer der Umstände wie selber schuld sind. «Umgschuel-ti Pfärrer» und «Sauna» bevölkern gewöhnlich-skurrile, also typische Stahlberger-Figuren. Dass manche der simplen Melo-dien an Tonfolgen erinnern, die man von diesem Sänger auch schon gehört zu haben meint, stört spätestens beim dadaistisch-subversiven Bumm-Tschack von «Mir schaded de Wirtschaft» nicht mehr. Offen bleibt nur die Frage, ob Stahlberger das Albumcover bei Tori Amos oder bei Kate Bush abgeschaut hat.

ash.

The Souljazz OrchestraSolidarity(Strut/Namskeio)

Ein grosser Wurf. Nach dem instrumentalen und rein akustischen «Rising Sun» (2010), einem der überzeugendsten Afrobeat-Entwürfe aus der nördli-chen Hemisphäre, kehrt das kanadische Souljazz Orchestra mit seinem vier-ten Album «Solidarity» zu elektrifi zierter Tanzmusik zurück. Ergänzt um Sän-ger aus Kanadas World-Groove-Szene legen sie einen furiosen Trip durch westafrikanische, brasi-lianische, karibische und jamaikanische Musik hin. Der Opener «Bibinay» rollt noch gemächlich an, aber schon der zweite Track, «Kelen Ati Leen», ein Gas-senhauer des Orchestre Ba-obab, ist purer Afrofunk. Als nächstes gibts eine »Cartão Postal» aus Bra-silien, in «Ya Basta» revo-luzzern muntere Salsablä-ser, «Jericho» ist einer der beiden Abstecher nach Ja-maika, während «Serve & Protect» und «Conquering Lion» locker den Afrofunk und Afrobeat Nigerias und Ghanas beschwören. Und immer schwingen auch nordamerikanischer Soul und Jazz mit. Ein beliebiger, anbiedernder Mischmasch? Mitnichten. The Souljazz Orchestra und seine Gäste sind ebenso grossartige wie stilsichere Musiker, und es gelingt ihnen auf «Solida-rity», die unterschiedlichen Stile, Grooves, Instrumen-tierungen und Sprachen auf zwingende Weise zu einem funkensprühenden Vergnü-gen zu verschmelzen.

cg.

Page 19: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

DIE NEUEN PLATTEN

Bettye LavetteThankful & Thoughtful(Anti-/Phonag)

Auf «Thankful & Thought-ful» singt die Soul-Diva Bettye Lavette Songs von Gnarls Barkley, The Pogues, Tom Waits, Bob Dylan und anderen. Eigent-lich aber spielt es im Fall einer Sängerin wie Bettye Lavette keine Rolle, von wem der Song stammt und wie das Original klingt – Bettye Lavette gehört, wie etwa Johnny Cash, zu den Persönlichkeiten, die aus jedem Song ihren eigenen Song machen und ihn für sich selber neu erfi nden. Aus «Crazy» wird ein lang-sames Liebesdrama von glühender Intensität, «Dir-ty Old Town» dichtet sie zu einer Liebesgeschichte während der Rassenauf-stände in Detroit um, und wie persönlich, ja autobio-graphisch sie diese Songs deutet, wird besonders klar im Titelsong, «Thankful & Thoughtful» von Sly Stone – er wird zur Lebens-geschichte dieser Überle-benden des Soul: Sie ist dankbar, noch einmal eine Chance erhalten zu haben, «from the bottom all the way to the top» zu klet-tern. Denn da steht Bettye Lavette nun, nach fünfzig Jahren wechselhafter Karri-ere: Eine der letzten grossen Soulstimmen vom Kaliber einer Aretha Franklin und Tina Turner. Dazu trägt auch die Produktion von Craig Street bei – auf das Wesentliche reduziert, ein warmer Sound ohne Mätz-chen, genau so sollten Soul und R&B klingen.

cg.

Joss StoneThe Soul Sessions Vol. 2(S-Curve/Warner)

So richtig zufrieden mit ihrem Debüt «The Soul Sessions» (2003) schien Joss Stone nie. Trotz dessen Grosserfolg. Die Britin ver-suchte danach einen zuneh-menden Bogen um den Soul alter Schule zu machen und ihre Musik von Funk, Blues oder Euro-Pop durchdrin-gen zu lassen. Bloss: Dar-auf hatte niemand gewar-tet. Um ihrer ins Stocken geratenen Karriere wieder Schub zu verleihen, kehrt Stone mit ihrem sechsten Werk zum klassischen Soul zurück. Wohl ein wenig wi-derwillig. Weder ging die 25-Jährige allzu tief in alten Liedkisten grabbeln, noch gelingt es ihr, sich mit dem Material inständig ausein-anderzusetzen. Gesanglich kann man Stone nichts vorwerfen, ihre Stimme ist unverändert kraftvoll, theatralisch und bemüht, selbst das geringste Wort mit allerlei Gefühlen zu un-terlegen. Dennoch klingen ihre Versionen von Sieb-zigerjahre-Songs der Chi-Lites oder von The Dells in erster Linie kalkuliert. Was dazu führt, dass man die elf Stücke zur Kennt-nis nimmt, sie in Ansätzen schätzt, aber kein Feuer in ihnen ausmachen kann. Passable Fingerübungen, die vor allem zeigen, dass sich Stone von ihrem Pop-Diva-Traum noch nicht hat lösen können.

mig.

Ry CooderElection Special(Nonesuch/Warner)

«Election Special» ist ein Weckruf, bevor die USA in diesem Herbst ihren Präsidenten wählen. Zwar glaubt Ry Cooder nicht, mit seinem Protest das po-litische System zu verän-dern. Dennoch ist er von der visionären Kraft der Musik überzeugt. Cooder sieht sein Land am Schei-deweg – einen Schritt da-von entfernt, den Pakt mit dem Teufel zu schliessen. «Election Special», eine der stärksten Cooder-Platten überhaupt, ist das ätzende Statement eines Musikers, der nicht predigt, sondern Charaktere kreiert, de-ren Ansichten das ganze politische Spektrum der USA abdecken. «Brother Is Gone» schildert, wie die Ölmagnaten Charles und David Koch zum Hassfeldzug gegen Oba-ma aufgerufen haben. Im Blues «Cold Cold Feeling» schlüpfen wir in Präsident Obamas Schuhe, die nachts die Räume des Weissen Hauses durchschreiten. In «Going to Tampa», einem Countrystück, sieht sich ein Teilnehmer des repub-likanischen Parteikonvents schon im Paradies. «Kool-Aid» erzählt vom Schicksal eines jungen Mannes, der die Propaganda geglaubt hat, dass der Krieg im Irak eine gerechte Sache sei. «Take Your Hands Off It» schliesslich bezieht sich auf Woody Guthries «This Land Is Your Land» und entlarvt uramerikanische Werte wie Freiheit, Gleich-heit und Demokratie als Heuchelei.

tl.

Sound SurprisenDie beiden Sampler «Meet the Pearls» und «Country Soul Sisters» haben mehrere Gemeinsamkeiten – die offen-sichtlichste ist Jean Shepards «Two Hoops and a Holler» (1954). Darin beklagt sich die Sängerin, dass ein Mann saufen, fl uchen, sich prügeln und herumvögeln darf, wäh-rend eine Frau, sobald sie eine Zigarette raucht, einen Witz erzählt oder die Kinder mal nicht zur Schule bringt, gleich als Schlampe betrachtet wird. Dabei, schliesst Shepard: «The women ought to rule the world cause the men ain’t worth a d***». Diese selbstbewusste Haltung ist das un-ausgesprochene Motto von «Meet the Pearls» und «Coun-try Soul Sisters» – die Perlen und Schwestern stehen für die Frauen in zwei männlich dominierten und konservativen Szenen, Rockabilly und Country.Natürlich gehörte in jedes Ensemble der zahllosen Hill-billy- und Rock’n’Roll-Radio- oder Liveshows eine Frau, manchmal durften sie auch eine Platte beträllern, doch eine langfristige Karriere als selbstbestimmte Plattenkünstlerin blieb den allermeisten verwehrt. Noch 1953 räumte die Fachzeitschrift «Billboard» ein, dass «the country fi eld has always been tough for female thrushes». Just zu dieser Zeit änderte es sich langsam – dank Kitty Wells’ Nummer-Eins-Country-Hit «It Wasn’t God Who Made Honky Tonk An-gels». In diesem Song klagte sie die verheirateten Männer an, die sich in Bars als Singles ausgeben, um Frauen auf-zureissen – und zu «gefallenen» oder eben «Honky Tonk Angels» zu machen. Dieser Song sei zu explizit, beschie-den die konservativen Veranstalter der Grand Ole Opry. Kitty Wells durfte ihn am Radio nicht singen. Trotz der männlichen Tugendwächter ermutigte dieser Song andere Sängerinnen, in ihren Songs eine eigene, weibliche Haltung einzunehmen.Heute sind Dolly Parton, Tammy Wynette, Loretta Lynn und Tanya Tucker anerkannte Grössen der Countrysze-ne, aber sie mussten sich ihre Nischen hart erkämpfen. «Country Soul Sisters» (Souljazz Records) versammelt 25 Sängerinnen, neben den Stars auch völlig unbekannte Damen oder Sängerinnen wie Nancy Sinatra oder Bobbie Gentry, die in ihren Pop- und Schlagerkarrieren die Welt des Hillbilly nur streiften. Es mag überraschen, dass das Londoner Label sich plötzlich dem Country zuwendet, dem Inbegriff einer wertkonservativen weissen Musik. Die Absicht macht das lesens- und betrachtenswerte Booklet rasch deutlich: «Forget outlaw country or alt country», steht da provokativ zugespitzt, die «traditionellen» Werte der Countrymusik hätten aus den Frauen die eigentlichen Outsider gemacht – einfach weil sie Frauen waren.«Meet the Pearls» (Bear Family Records) präsentiert 25 Songs von 22 Sängerinnen, die sich in den Fünfzigerjah-ren zwischen Hillbilly, Honky Tonk, Rockabilly und Pop tummelten – grosse Hits, vergessene Perlen und charmante Merkwürdigkeiten, ergänzt um viele Informationen und Bilder im dicken Booklet. Besonders erfreulich: «Meet the Pearls» ist der Auftakt von «Juke Box Pearls», einer Reihe von Compilations und Künstlerinnenalben, die die Rolle der Frauen in der Popmusik der Fünfziger- und Sechziger-jahre aufarbeiten will.

Christian Gasser

Page 20: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

London HotlineEigentlich sah die Ausgangslage ja nicht besonders gut aus für The Legendary Lightness. Die Sonne schien, auf der Videowand links von der Bühne fl ogen knackige Beach-Volley-Hintern durch die Luft, der Duft von Bratwürsten und Raclette driftete über den Platz, und das Bier hatte schon prächtig für Festzelt-Holdrio gesorgt. Ja, man fühlte sich wie am ersten August rund ums House of Switzerland, wo die helvetische Nation ihre gewaltigen olympischen Tri-umphe gebührend feierte. Fast glaubte man, Angst haben zu müssen um die stillen Harmoniegesänge und die repeti-tiven, hypnotischen und unterspielten Lieder des Zürcher Quartetts. Die Musikanten schlichen denn auch ziemlich diskret an ihre Plätze. Immerhin trug der gänzlich un-trendig daher-kommende Dominik Huber ein verschmitztes Grinsen im Gesicht. Einerseits schien dieses ein gesundes Amüsement über die surreale Situation auszudrücken, andererseits auch ein gewisses Selbstvertrauen, dass man sich ob solchen Un-gemaches nicht ins Bockshorn jagen liesse. Das erste Set verlief dann schon mal weit besser, als zu er-warten gewesen war. Nach einer Weile drehten sich immer mehr Köpfe von den Biertischen in Richtung Bühne, um sich von den feinen Liedern einspinnen zu lassen. Noch be-merkenswerter war die Reaktion in der VIP-Loge. Die bei-den Herren vom Web-Magazin «Drowned in Sound», die sich zuvor in der arroganten Art ihrer englischen Zunftge-nossen desinteressiert an die Wand gelehnt und wenig Inte-resse an einer Konversation mit Ausländern gezeigt hatten, wurden plötzlich still («Ich hatte bis heute nicht gewusst, dass es überhaupt Bands gibt in der Schweiz», hatte der eine Herr so nebenbei zu mir gesagt). Am Anfang hatten sie noch versprochen, die Veranstaltung nach zwanzig Mi-nuten zu verlassen. Dann blieben sie auch noch fürs zweite Set. Es ist zu vermuten, dass sie nicht nur wegen den von der Stadt Zürich gesponserten Häppchen ausharrten. Und dieses zweite Set von The Legendary Lightness war dann eine richtige Offenbarung. Die Sonne war am Sinken, der Vorhang hinter der Bühne war beiseite gezogen worden, man sah die Skyline von London samt St. Paul’s Cathedral, es gab ein bisschen Trockeneis – und die Band lief zu ganz grosser Form auf. Noch erstaunlicher: Das Publikum hörte zu. Trotz Bratwürsten und fortgeschrittener Trunkenheit versammelten sich immer mehr Leute vor der Bühne, und immer mehr Passanten drängten sich auf den Platz. Am Schluss stiessen die Musikanten noch immer keine olym-pischen Triumphfäuste in die Luft. Aber sie gönnten sich ein verschmitztes Grinsen, wissend, dass sie verdammt gut gewesen waren, aber wohl auch ein bisschen erstaunt darü-ber, wie begeistert – ja, begeistert! – das Publikum reagiert hatte. Dieses hatte ja zum grössten Teil gar nicht damit ge-rechnet, dass es in den Genuss eines Live-Konzertes kom-men würde. Selbst die englischen Profi -Kritiker waren zum Schluss noch da und zeigten sich hingerissen. Kein Zweifel: Die letzte, euphorische halbe Stunde dieses Auftrittes war der schönste olympische Moment überhaupt.

Hanspeter Künzler

DIE NEUEN PLATTEN

Dublin Death PatrolDeath Sentence(Mascot Records/MV)

Ein Album nur für Metal-heads. Dublin Death Patrol (DDP) ist eine Art Kollek-tiv amerikanischer Thrash-Veteranen. Dublin bezieht sich nämlich nicht auf die irische Hauptstadt, son-dern auf eine Ortschaft in Kalifornien. Das musikali-sche Hauptmerkmal bil-det die ungewohnte Dop-pelspitze am Mikrofon: Chuck Billy von Testament und Steve Souza (Ex-Exo-dus). Die anderen Band-mitglieder, darunter Brüder der Frontmänner, tummeln sich ebenfalls seit den Acht-zigern in der legendären Bay-Area-Szene. «Death Sentence» ist das zweite Album und bietet – tja: Thrash Metal alter Schule. Könner raffeln sich spiel-freudig durch zehn recht rohe Stücke unterschied-licher Brachialitätsgrade. Billy grollt aus der Tiefe, während Souza durch die Hochtöne schneidet, als gälte es, Rob Halford den Schniedel abzukeifen. Ein Wechselbad der abhärten-den Sorte. «Dehumanize», «Blood Sirens» und «My Riot» warten zudem mit ansprechenden Melodien und wuchtigen Grooves auf. Begeistert reckt der traditionsbewusste Head-banger die Pommes-Gabel gen Himmel. Und wenn diese 40 Minuten nicht reichen: Das Debüt «DDP 4 Life» von 2007 wird pa-rallel zu «Death Sentence» wiederveröffentlicht.

ash.

Bloc PartyFour(Universal)

2005 hat Bloc Partys «Si-lent Alarm» mit postmo-dernem Indie-Rock den Nerv der Zeit getroffen. Nach zwei weiteren Plat-ten und vermehrten Aus-fl ügen in die elektronische Welt legte die Band eine Pause ein. Ihr Frontmann Kele Okereke nutzte diese Zeit für musikalische Ex-perimente mit noch mehr Elektronik auf der einen Seite sowie mit Folk-Rock und Singer/Songwriter auf der anderen Seite. Das war so gut, dass zuletzt sogar über ein Ende der Band spekuliert wurde. Doch das muss warten, denn die Eng-länder sind nun mit «Four» zurück, und die Hauptfra-ge lautet: Mehr Elektro-nik oder doch wieder zu-rück zu alten Tagen? Die Antwort: «Four» ist eine Rückbesinnung auf den alten Sound mit ein paar Abstrichen bei der Hibbe-ligkeit. «Real Talk», «Day Four» und «Octopus» sind äusserst intelligente Indie-Rock-Songs. Der Opener «So He Begins to Lie» und «Kettling» überzeugen durch eine wütende, auf-gekratzte Grundstimmung, simpel und eingängig – nur das Gitarrensolo bei «Kett-ling» ist dann doch etwas überengagiert. Alles in al-lem ist die Platte aber sehr direkt, à point und verdient deshalb ein wohlwollendes Fazit. Irgendwie wird man allerdings das Gefühl nicht los, dass da noch mehr möglich gewesen wäre.

men.

Tobi GmürWorld Famous in My Hometown(Rocket Racer/Irascible)

Nach 23 Jahren der Sei-tensprung: Tobi Gmür, Sänger und Gitarrist von Mothers Pride, hat sich ein Soloalbum gegönnt. Aus kreativer Ungeduld, wie zu lesen ist. Dass der Luzer-ner seiner Band weiterhin nah ist, beweist «We’re on a Mission», wo Gmür mit gmögiger und leicht nasa-ler Stimme singt: «We’re gonna cost you a fortune and a high-fi ve for my mo-thers pride.» Auch musika-lisch streunt der 38-Jährige nicht allzu weit vom Mut-terschiff. Die zehn Songs bieten gitarrenfrönenden Rock, der auf Umschweife verzichtet und schnell zur Sache kommt. Dennoch sind die Nummern alles andere als gleichförmig, hat Gmür doch allergröss-te Sorgfalt auf die kleinen und feinen Nuancen gelegt. «Standing Up On Your Shoulders» mischt Bläser mit Beatles-Feeling, «Your Aim Is True» begibt sich auf Dark-Folk-Territorium, und «High Hopes» dreht und wendet sich im Brit-Pop. Produziert hat der In-nerschweizer gleich selbst und das mit viel Under-statement. Was den eingän-gigen Liedern gut ansteht und ihre wohltuende Wir-kung unmittelbar zur Ent-faltung bringt.

mig.

Page 21: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

DIE NEUEN PLATTEN

Two GallantsThe Bloom and the Blight(Fargo/Irascible)

Fünf Jahre sind seit ih-rem letzten Album «Two Gallants» vergangen, und die beiden ersten Songs von «The Bloom and the Blight» – «Halcyon Days» und «Song of Songs» – ma-chen deutlich, dass Two Gallants gereift sind: Der Sound ist krachiger und explosiver, Adam Stephens und Tyson Vogel pendeln zwischen akustisch und elektrisch, laut und lei-se – «The Bloom and the Blight» ist weniger Folk und Country, dafür mehr Punk und Grunge. Anderer-seits legen sie mit «Sunday Souvenirs» und «Decay» sogar zwei betörende akus-tische Balladen mit Piano- bzw. Streicherbegleitung vor. In erster Linie haben Two Gallants ihr Songwri-ting verfeinert. Während sie sich früher kaum um Strukturen scherten und ihre Songs bis zu zehn Mi-nuten lang waren, um Ste-phens bildstarke Wortkas-kaden zu fassen, sind die Songs kürzer, fokussierter und um durchaus einpräg-same Refrains gebaut. Das bedeutet aber nicht, dass Two Gallants ihren explo-siven Country-Punk-Blues abgeschliffen haben und um Airplay buhlen – Ste-phens hoch emotionaler, heiserer Gesang und die Reduktion auf Gitarre und Schlagzeug machen aus den Songs weiterhin wilden und wütenden Stoff, sper-rig, schroff und strahlend in der natürlichen Rohheit wahrer Schönheit.

cg.

Becky Lee and DrunkfootHello Black Halo(Voodoo Rhythm/Irascible)

Da hat sich Reverend Beat-Man für sein Label Voodoo Rhythm einen echten Knül-ler angelacht: Die One-Wo-man-Combo Becky Lee and Drunkfoot, deren Debüt «Hello Black Halo» nicht weniger als ein vierzig Mi-nuten langer Rock’n’Roll-Fieberwahn mit grossem Potenzial ist. Auf der Büh-ne bearbeitet die in Arizona geborene und aufgewach-sene Becky Lee Gitarre und Schlagzeug im Alleingang, doch im Studio legte sie die Beschränkungen ihrer Bühnenexistenz als eine der seltenen Ein-Frau-Bands ab und nutzte die Möglichkei-ten der Mehrspuraufnah-me, um ihren Songs zu-sätzliche Kraft, Wucht und Schärfe zu verleihen. «Hel-lo Black Halo» ist elf Mal Rock’n’Roll pur, klassisch, aber nicht nostalgisch, Punkrock, in den Sechzi-gerjahren verwurzelt, mit einer starken Prise Blues gewürzt und hin und wie-der glamrockig glitzernd. «Lies», «The Track» und «Killer Mouse» sind gemei-ne Knaller, «One More» ist eine Ballade, geradezu singer-songwriterhaft, aber nicht minder verzehrend als die lauten Songs, und «Hip Kids» ist ein hübscher Girlgroup-Schlager mit viel «aahs» und «oohs». «Sie wird euch umhauen», schreibt Beat-Man begeis-tert, «so wie sie bei uns eingefahren ist im Büro von Voodoo Rhythm.» Recht hat er.

cg.

The DarknessHot Cakes (MV)

The Darkness sind ein Mix aus Spinal Tap und AC/DC, aus schwulem Pomp und der Machoattitüde pickli-ger Töffl ibuben. Nach zwei Alben erlosch der Stern der britischen Senkrechtstar-ter («I Believe In a Thing Called Love», 2003). Der Abgang von Sänger Justin Hawkins, dessen Humor das Image der Band defi -nierte, besiegelte 2006 de-ren Ende. Jetzt versuchen die Briten ein Comeback – in Originalbesetzung. Ob-wohl The Darkness stets mit den hedonistischen Klischees des Hardrock gespielt haben, sind sie im Kern eine Popband, der in den besten Momenten die eingängigsten, radiotaug-lichsten Singles jenseits von Abba gelingen. Jedes geile Cockrock-Riff fi ndet auf «Hot Cakes» seine Ent-sprechung in spritzigen, mit Zucker bestäubten Melodi-en, die in dafür geeigneten Hirnarealen unweigerlich Glücksgefühle auslösen. Musikalisch erinnert hier manches an Queen, nicht bloss wegen Hawkins’ Helium-Stimme. Songs wie «Nothin’s Gonna Stop Us» oder «Everybody Have a Good Time» sind klassi-sche Pop-Rockhymnen, wie sie Freddie & Co. in den Achtzigern veröffentlicht haben. Gleichzeitig servie-ren The Darkness epische Lovesongs wie «Forbidden Love» (klingt wie Boston) und das leidenschaftliche «Love Is Not the Answer» – Ohrwürmer, die den haa-rigsten MTV-Klassikern in nichts nachstehen.

tl.

45PrinceBevor King Louie mit den Missing Monuments zum Pow-er-Pop-Alpenfl ug ansetzte, hatte er seine grossartigen Loose Diamonds, mit denen er den relaxten Memphis-Roots-Pop erfand. Und so scheint «(I’m Gonna) Love You Back to Life» (Hozac) ein kurzer Rückblick über die Schulter zu sein. Mit seinem entspannten Gitarren-Picking ist dies kein Song, für den man alle Plattenläden der Stadt durchforstet, aber man ist doch unendlich dankbar, wenn er wieder im Radio läuft.Der Kalifornier Tim Presley schreibt als White Fence Songs, spielt diese Lo-Fi auf einem Vierspurkassettenge-rät ein und gestaltet gleich noch das Cover selber. Dabei verwendet er Schlagzeug-Samples und zig Gitarren, aus einer Ecke tönt kurz ein Akkordeon an, ein Schellenkranz rasselt, und überall blurpen undefi nierbare Geräusche. Aus seinen letzten 80 Songs hat er 30 ausgewählt und als Doppel-LP rausgebracht, davor gabs bereits zwei LPs. Also unendlich Gesprächsstoff für nervende Musikdetaillisten, aber auch nonstop Zimmer-Poterama. Da man jeden Song mindestens zehnmal hören muss, bis man nur annähernd kapiert, was hier eigentlich vor sich geht, empfi ehlt es sich, mit der Single «Green Balloon» (Sexbeat) einzusteigen, da-mit man nicht gleich völlig durchdreht. The Kinks schrei-ben die Songs, Roky Erickson und Syd Barrett besorgen das Catering und Afrika Bambaataa liefert die Beats. Klar gibt so viel Staunen mit der Zeit ohnmächtiges Kopfweh. Für die Live-Umsetzung hat er aus ökonomischen Gründen je eine Band in Los Angeles, San Francisco und New York. Ob diese tatsächlich zwischendurch auch an The Germs erinnert, werden wir im Dezember in St. Gallen erfahren.Am Stadtrand von Hardcore-Village tut sich was. New Yorks Hank Wood & The Hammerheads lassen in «Shoul-da Listen (to Mommah)» (Toxic State) eine Farfi sa-Orgel gegen eine Gitarrenwand fahren und spülen den Sänger mit dieser Drecklawine, damit ihn nach dem ersten minu-tenlangen Schrei nicht bereits die Stimme verlässt. «Fever Breaks» und «I’m Hungry» geben leicht nach im Tempo, sind aber immer noch ein standesgemässer Soundtrack zu Wutausbrüchen in Psychiatrie-Zellen. KBD-Punk, wie er nicht besser sein kann.

Philipp Niederberger

Page 22: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

SZENE

GrabenhalleSeptemberAugust

2012

Rockkonzert mit : Oil (Bolivia)_21.0020.30

Eivor (Färörer Inseln)

Juhana Iivonen (Fin) Zwei vom Stern (SG) _20.00

_20.30Good Counselors (SG)

Märli Poetry Slam_20.305.St.Galler Literaturtage Wortlaut

4 JAHRE REGGAE REVOLUTION_21.30

This is Tigerr Fest Nr. 1

Ja Schatz _Earth Shaking_ Helge Timmerberg

5.St.Galler Literaturtage Wortlaut_17.15

STANLEY BRINKS aka ANDRÉ HERMAN DÜNE (usa)CLEMENCE FRESCHARD (F) & THE WAVE PICTURES (UK)

COMA (Kompakt/Köln) & LEMONADE (usa)

21.00:

Bruchteil präsentiert ab 20.00:

Albumrelease: "ODIUM FÜRS VOLK"

_22.00

unterer Graben St.Gallen

06.09. BIG HARP (US)07.09. OPENING PARTY16.09. O EMPEROR (IE) 4TH TIME AROUND (CH)19.09. WE HAVE BAND (UK) LEMONADE (US)21.09. EMERALD (CH) GONOREAS (CH) SHADOWSFEAR (CH)22.09. CHATEAU RÖSTI HATHORS FEUERZEUG THE E’S28.09. RAPHELSON, FAUVE NICK PORSCHE

r P r R r E r V r I r E r W r S r

GRAVENHURST, RUE ROYALEWE ARE AUGUSTINES

1995FLYING LOTUS

SHABAZZ PALACES THE MACCABEESMARK KOZELEK

WOODKID TWO GALLANTS

FATHER JOHN MISTY THE YOUNG GODS

WWW . F R I - S O N . C HRoute de la Fonderie 13 | P.o.Box 15 | 1705 Fribourg

[email protected] | www.fri-son.ch+41 (0)26 424 36 25

Tap Tab MusikraumBaumgartenstrasse 19Postfach 1583 CH-8200 Schaffhausen

Sept«Camera Obscura» XI – Filme bei TapTabAll The Colours Of The Dark

«HAUSU»(J 1977, N. Obayashi)

«TEARS OF THEBLACK TIGER»(Thai 2000, W. Sasanatieng)DJ Tentacolo

Balkan Beats, Electro Swing, Gipsy«Never Mind The Balkans»

MAX PASHM & BAND (GB)Trubaci Soundsistema und Spezialgast

Minifestival – Punk/Oi!

S.I.K.,GEWOHNHEITSTRINKER,LAMMKOTZE (alle D)

FRONTAL (ZG)

ALARMSTUFE BLAU (SH)DJs Pazi the Fist, Eggi

Good HipHop Music

«COLORS»DJs CutXact, Mack Stax, hosted by: Sulaya

Radiohead Meets Beach Boys – In Concert

O EMPEROR (IRL)Tom Huber Band (ZH) & DJs

Mod-Rock From Denmark«They Are, They Are, They Are The Mods»

THE MOVEMENT (DAN) DJ Eggi

Radioshow – Rasa Live From Planet TapTab

«BLOODY BASTARD»& «FAVORITE ONE»Soulful Music – Soul, Funk, Reggae,Calypso, Rap, Afro, Disco

«TANZBAR»DJs Natty B & Doublechin

«Brothers Are Worldwide» – PlattentaufeOld School Motherfuckin’ HipHop

TREBEATS (SH)

feat. PSL PERSOONLIJK (NL)

BABYLON WARCHILD (CAN)

C-REAL (SH)«HipHop On Air»-DJ-Team

TapTab Table Tennis TrophyTischtennis-Plauschturnier feat.

DEIN SCHLÄGER UND DUDJs Pong und Ping

Indie-Pop, Singer/Songwriter – In Concert

MYKUNGFU (Winti)plus Support, Afterparty

«Knights Of The Underground»4 Years B-Day EditionDeep/Tech/Minimal-Techno

DJS MIKE VÄTH (ZH)Dan@Work, Marc Maurice

Mittwoch

06Film

Freitag

07Live

Samstag

08Live

Freitag

14Tanz

Samstag

15Live

Dienstag

18Live

Donnerstag

20Bar

Freitag

21Tanz

Samstag

22Live

Donnerstag

27Spiel

Freitag

28Live

Samstag

29Tanz

www.taptab.chm

usik

im b

riefk

aste

n –

loop

zeitu

ng.c

h

Page 23: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

NACHTSCHICHT

Schwelgen mit dem Admiral

David Langhard ist ein vielbeschäftigter Mann. Meist werkelt der Win-terthurer im eigenen DALA-Studio an Songs seines Alter Egos Admiral James T. oder produziert Bands der Sparten Rock, Punk und Ska. Zudem spielt er seit Jahren in unübersichtlich vielen Bands Gitarre. Wer alle auf-zählen kann, darf seinen Namen im Restaurant Widder an die Toiletten-wand schreiben. Trotz seiner Schaffenswut schaffte es der Admiral bis-lang, grösseren Erfolg zu vermeiden. «Still unknown since 1994», lautet das Motto des Nostalgikers, der am liebsten Gerätschaften verwendet, die schon Eddie Cochran und die Beatles zu schätzen wussten. Folgerichtig klingt auch sein aktuelles Projekt ein bisschen altmodisch. Gemeinsam mit Verena von Horsten inszeniert er sich als schweizerische Variante von Lee Hazlewood & Nancy Sinatra. Im Duett schwelgen sie über Beatnummern und Orchesterarrangements, dass es eine verkitschte Freude ist. Allerdings ist die Grossformation etwas unpraktisch für Konzerte, und so dürften die anstehenden Auftritte mit Orchester kaum eine Wiederholung erfahren. Also: Nicht verpassen. (ash)

31.8., Helsinki, Zürich; 6.9., Café Kairo, Bern; 8.9., Kühltür, Grosshöch-stetten; 14.9., Kiff, Aarau; 21.9., Kaserne, Basel

Sandwurzeln mit Calexico

Die Wüste behält Calexico weiterhin im Griff. Auch auf ihrem sechs-ten regulären Studioalbum, das nach einem Stadtteil von New Orleans, «Algiers», benannt ist. Vier Jahre hat sich die Band um Joey Burns und John Convertino für den Nachfolger des eloquenten «Carried to Dust» Zeit gelassen und muss dabei zum Schluss gekommen sein: Never change a winning recipe. Die Zutaten sind also grosso modo dieselben geblieben, selbst wenn da und dort zu spüren ist, dass man bei den Aufnahmen nicht bloss metaphorisch ein wenig näher ans Meer gerückt ist. Die Mariachi-Trompeten hat man in den Hintergrund verschoben, und das Soundbild ist in gleichen Teilen von Leichenzügen aus New Orleans («Para») wie von Kakteen («Puerto») geprägt. Ihre Wurzeln im Sand hat die Formation aus Tucson, Arizona, aber beibehalten. Entsprechend verströmt man nach wie vor ebenso warme wie leise schwingende Klänge. Nachdem es Calexico bereits geschafft haben, dass ihre Lieder amerikanischen Astronauten im All als Weckmusik vorgesetzt wurde, dürfte es ihnen auf ihrer ausgedehn-ten Europatour leicht fallen, das Publikum mit ausgesuchten Stücken von «Algiers» aufzurütteln. (mig)

21.9., Volkshaus, Zürich; 15.11., Volkshaus, Basel

Aufspannen mit Big Harp

Musizierende Ehepaare? Nun, sie kommen in den besten Familien vor, doch nicht immer erweist sich das Teilen von Tisch, Bett und Bühnenbrett auf die Dauer als gutes Konzept. Bei Chris Senseney und dessen Gattin Stefanie Drootin sind die Befürchtungen diesbezüglich allerdings gering. Während sie in der Vergangenheit als Bassistin von The Good Life und Tourband-Mitglied der Bright Eyes durch das gedimmte Rampenlicht zog, betätigte er sich als Gitarrist am Azure-Ray-Nebenprojekt Art in Manila. Bei einer gemeinsamen Show lernte man sich kennen, schätzen, lieben, und mittlerweile lebt das Paar in Los Angeles. Dort wurde auch das Debütal-bum «White Hat» des gemeinsamen Duos Big Harp aufgenommen, das Drootin und Senseney ein knappes Jahr nach der Veröffentlichung nun auch hierzulande präsentieren. Ein Anlass zu grosser Freude, denn in ihren Songs benutzt das Ehepaar Americana als Mytho- und Phänomenologie dieser Welt, die sich da zwischen Motelzimmern, Diners und verlassenen Tankstellen aufspannt. Sie greifen auf Country und Chansons zurück, und mit «Goodbye Crazy City» haben sie einen ziemlich perfekten Abschieds-song für jeden Konzertabend. Man sollte ihn sich in vier verschiedenen Schweizer Städten anhören. Die Gelegenheit dazu ist äusserst günstig. (amp)

6.9., Fri-Son, Fribourg; 7.9., Kiff, Aarau; 12.9., El Lokal, Zürich; 13.9., Parterre, Basel

Unterhalten mit Dent May

Vor drei Jahren entdeckte das Animal-Collective-Label Paw Tracks – bis dato spezialisiert auf experimentellen Noise und rückwärtsspulende Pop-songs – die Freundlichkeit. «The Good Feeling Music of Dent May & His Magnifi cent Ukulele» hiess die Platte, die sommerliche Leichtigkeit und Nerdtum aufs Schönste verband und in Dent May einen Rollenspieler mit Jonathan-Richman- und Stephin-Merritt-Qualitäten präsentierte. Der kur-lige Entertainer aus Oxford, Mississippi, setzt nun auf seinem Zweitling «Do Things» – ebenfalls auf Paw Tracks erschienen – nicht mehr auf die kleine, schrummende Hawaii-Gitarre, sondern auf kosmische Synthies, analoge Drum-Maschinen und weiteren retroseligen Kram. Wie das denn so klingt? «Pet Sounds for the Smirnoff Ice generation» oder «A wedding reception band on acid», antwortet der Filmschulabbrecher May – und so folgen wir dem Herrn, der selbst Grateful Dead mit einem Lächeln in die Cheesy-Pop-Schule schickt, auf seinen Pfaden durch den lieben und lind-wahnsinnigen Pop-Kosmos. (bs)

3.9., El Lokal, Zürich; 4.9., Volière, Luzern

Page 24: SEP - loopzeitung.ch › wp-content › uploads › 2017 › ... · chalen Album «Daydream Nation», das die Band 1988 veröffentlichte, bevor sie im Zuge des Grunge-Hypes bei einem

CAFE ZÄHRINGER

zähringerplatz 11 // 8032 zürich // www.cafe-zaehringer.ch

ARCHE Bröko-ZentrumHohlstrasse 4898048 ZürichTel. 043 336 30 00www.archeZH.ch

DVD, CD & VinylCD-Café verkauft

b B nnoBnegnibüD

a

zu hause oder am konzert: unser lieferdienst sorgt schnell für feuchte kehlen.

044 274 10 10 www.intercomestibles.chbinzstrasse 23, 8045 zürich

������DQ���YHUNDXI�YRQ�&'V��'9'V�XQG�YLGHRVSLHOHQ�

OLHEHU�]X�XQV�DOV�]X�WHXHU��

SUHLVZHUWH�&'V��'9'V�VRZLH�YLGHRVSLHOH��

JLEWV�EHL�XQV���

VLOYHU�GLVF�OLPPDWVWUDVVH����������]�ULFK�����������������ZZZ�VLOYHUGLVF�FK�

neue adresse: neue adresse: amthausgasse 22, 3011 bern, tel. 031 311 07 57amthausgasse 22, 3011 bern, tel. 031 311 07 57

SZENE SZENE SZENE SZENE SZENE


Recommended