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DEUTSCHLANDFUNK
Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel
Redaktion: Ulrike Bajohr
Feature
Die persische Gattin.
Von der Herausforderung, im Iran zu heiraten.
Von Renata Borowczak
Regie: Renata Borowczak
Erzählerin: Melina von Gagern
Schwiegermutter: Friederike Frerichs
Simin/Roma-Frau: ev. Gabriele Blume
Naida/Anführerin: Sabrina Tannen
Ahmed: Mohammed Nasseri:
Agha Ramin: (Fajed) Seied Nasseri:
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- unkorrigiertes Exemplar -
Sendung: Freitag, 14. November 2014, 20.10 - 21.00 Uhr
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01 O-Ton (Schwiegervater) : (Aufnahme eines Telefongesprächs aus dem Jahr 1974, es knistert, brummt)
Hallo Berlin, excuse me, operator 6:4 , 6 16 4, operator 16 4, thank you very much, yes,... mister Nasseri, no...operator 66 4, yes 6:4 , this is Iran…
Erzählerin:
Das ist mein Schwiegervater. Das Telefonat fand 1974 statt, dem Jahr,
in dem sein Sohn den Iran verließ, um in West-Berlin zu studieren. Mein
Schwiegervater hat ihn oft angerufen, manchmal auch die Gespräche
mitgeschnitten. Mein Schwiegervater ist 1996 gestorben, ich habe ihn
nie kennengelernt.
auf O-Ton (Schwiegervater) Fortsetzung
Ahmed und ich haben in Berlin geheiratet, ganz schlicht und
standesamtlich. In der Stadt, in der wir uns ineinander verliebten. Ich bin
in Polen geboren und er in Teheran, die Entfernung zwischen unseren
Geburtsorten beträgt laut Google Maps 4.547 km.
Ansage:
Die persische Gattin. Von der Herausforderung, im Iran zu heiraten.
Von Renata Borowczak
(Atmo im Flugzeug)
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Erzählerin:
Wir sitzen in einer Maschine nach Teheran. Ich war noch nie in Ahmeds
Heimat. Ich bin neugierig auf seine Familie, ich will, dass sie mich, die
Fremde, akzeptiert. In etwa 6 Stunden werden wir auf dem Flughafen
„Imam Khomeini“ landen…Ich bin aufgeregt.
Die Mahnungen meiner Mutter kommen in mir hoch…Was ist, wenn mir
mein frisch Angetrauter die Ausreise aus dem Iran verbietet? Sperrt er
mich ein, vielleicht in einem Wandschrank? Das ist doch das Land der
Mullahs, das Land mit der Scharia, das Land, in dem die Frauen machen
müssen, was die Männer sagen. Aber … mein Ahmed? Wieso sollte er
in Teheran ein anderer sein als in Berlin…
(Geräuschkulisse Kopftücher)
Erzähler Ahmed:
Wir landen gleich… Es wird Zeit, setze es auf, sonst kommen die
Revolutions-Wächter und holen dich ab.
Erzählerin:
Ahmed hält mir mein Halstuch hin. Alle Frauen im Flugzeug werfen sich
synchron, wie auf Befehl, einen Schal oder ein Tuch über die glänzend-
schwarzen oder blond gefärbten Haare. Ab diesem Zeitpunkt ist das lila
Tuch mein ständiger Begleiter. Eigentlich find ich mich damit ganz schick
- wie ein Kinostar in einem Cabrio.
(Atmo Ankunftshalle)
Erzähler Ahmed:
Schau, da stehen sie alle ….die ganz linke, die mit der Brille, ist meine
Mutter….
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Erzählerin:
Unter den übergroßen Porträts des Ajatollah Khomeini und aktueller
geistlicher Anführer an der Rückwand der Empfangshalle winkt uns
Ahmeds Familie zu. Ehe ich alle auch nur erkennen kann, lande ich in
den Armen meiner Schwiegermutter, einer zierlichen, aber sehr
lebhaften Frau von 84 Jahren. Ich werde geküsst und weitergereicht und
mit Blumen überhäuft. Mir treten Freudentränen in die Augen, ich
schäme mich meiner Zweifel. Es ist schön hier zu sein.
O-Ton: Straßengeräusche - Autos, Motorräder, Hupen, entferntes Gesang eines Muezzins.
Erzählerin: Wir fahren zu sechst in einem Auto, es kümmert niemandem
hier, dass der Wagen nur für 4 zugelassen ist. Alle reden fröhlich
durcheinander, ich identifiziere nur einzelne Worte.
Plötzlich wird mein Mann ernst.
Erzähler Ahmed:
Hör mal, wir werden gefragt, ob wir auch hier sind, um nach den hiesigen
Sitten zu heiraten. ….Willst Du das?
Erzählerin:
Ich lächle unsicher. Das nimmt die Familie wohl als „Ja“ - alle klatschen
laut und beglückwünschen uns. Ich blicke Ahmed hilfesuchend an, der
zuckt die Schultern.
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O-Ton: Die persische Familie unterhält sich beim Abendessen - Stimmengewirr, alle reden durcheinander.
Erzählerin:
Die Familie hat sich bei meiner Schwiegermutter versammelt. Ihre
Wohnung verfügt über alle Errungenschaften der modernen
Haushaltstechnik– ohne die persischen Teppiche und die mit goldenen
Fransen geschmückte Vorhänge käme man sich vor wie in Berlin.
Es gib ein üppiges Abendessen, einen Eintopf mit Kräutern und
Lammfleisch, Gorme Sabzi genannt, und einem typisch persischen
Reiskuchen. Natürlich fließt kein Alkohol – offenbar kann man auch
ohne Hochprozentiges feiern. Bald werden Geschichten erzählt, Lieder
gesungen, ich amüsiere mich prächtig, obwohl ich noch nicht alles
verstehe.
O-Ton (Schwiegermutter singt/ Farsi)
Erzähler Ahmed darauf:
Du hast eine Last zu tragen, mein Mädchen, deine Brüste sind zwei
Granatäpfel. Gibt mir deine Granatäpfel, damit ich den Saft daraus
sauge, meinen Schmerz stillt nur dein Granatapfelsaft.
(Gespräche, Klatschen in die Hände)
O-Ton: Stimmengewirr, die persische Familie unterhält sich, alle
sprechen durcheinander. Auf dem O-Ton - die Stimme der:
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Erzählerin: An diesem Abend kommt es mir so vor, als hätten im Iran
die Frauen das Sagen, jedenfalls in dieser Familie. Die Männer halten
sich bedeckt.
O-Ton wird ausgeblendet
Erzählerin: Die Frage, ob ich meinen Mann auch nach hiesiger Sitte
heiraten würde, geht mir nicht aus dem Kopf. Am späten Abend, als alle
nach Hause gegangen sind, bitte ich meine Schwiegermutter, von den
Frauen der Familie zu erzählen.
Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"
Erzählerin:
Schwiegermutter erzählt: Das Leben von Kobra Hanum.
O-Ton (Schwiegermutter),darauf:
Erzählerin Schwiegermutter:
Besmella el Rahmone Rachim - Im Namen des allmächtigen Gottes.
Kobra war sehr klein, 2 Jahre alt, da starben ihre Eltern. Ein Onkel, er
war Arzt, nahm Kobra zu sich. Sie blieb bei ihm und seiner Frau, schaute
ihm bei der Arbeit zu, schnappte in der Praxis das eine oder andere auf.
Dann starben die beiden auch.
Kobra war jetzt 18. Sie kam zu ihrem Bruder. Das ging nicht lange gut,
die Frau des Bruders warf sie raus. Gut, Kobra war robust. Und die
Männer - du weißt ja, wie sie sind - sie sahen sie - eine Jungfrau, kräftig,
alleine in der Welt, ohne Mann – und fingen an, sie zu belästigen. Dann
hielt einer von ihnen bei der Familie um ihre Hand an. …Der Mann hieß
Amir, aber er wollte dass man ihn Ghossem nennt, dieser Schwindler! Er
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hatte seine Geburtsurkunde geändert. Aber Kobra kapierte gleich, dass
er Christ ist. Die Christen haben da so ein Problem...eine Frau versteht
das schnell. Am Abend vor der Hochzeit kam sie zu mir: - Er ist kein
Muslim, Tante, was soll ich tun? Aber er liebt mich, wir werden
zusammen leben, macht ja nichts, ich heirate ihn. - Sie hat ihn, egal was,
geliebt.
Fünf Jahre ging das gut. Er war Mechaniker und hat gut verdient, aber
dann stellte sich heraus, dass er eine andere Frau hat! Und drei Kinder.
Sie lebten trotzdem weiter zusammen. Kobra wurde schwanger. Als sie
in fünften Monat war, verschwand er. Kobra kam - außer sich durch den
Schnee, es war so kalt - zu mir und klagte: - Mein Amir, wieso kommt er
nicht?- Dann sagte sie: - Ich werde das Kind nicht behalten, ich treibe es
ab.- Und so war es. Amir kam zurück, sie lebten zusammen, aber er
ging oft zu der anderen Frau, er ging hin und her. Und meinte: -Ich hab
schon drei Kinder, ich will kein Kind mehr.- Und zu Kobras Arzt sagte
er: - Mach sie unfruchtbar! -.
Und Kobra wurde nicht mehr schwanger, ein Jahr, zwei Jahre, drei
Jahre…Da wusste Kobra, dass Amir mit dem Arzt gesprochen hat. Der
Mann entscheidet und Schluss. Kobra war sehr traurig. Sie lebten noch
etwas zusammen, und dann war Amir weg und kam lange Zeit nicht
wieder. Kobra sagte zu mir: -Ich weiß nicht mal, ob er noch lebt, ich weiß
gar nichts. Also ging Kobra zu den Behörden und ließ ihre Ehe
annullieren, ließ sich bescheinigen, dass sie eine unverheiratete Frau ist,
und nahm den alten Namen wieder an. … Sie ist älter geworden, die
Männer wollen eine junge Frau und vor allem keine, die schon mit einem
anderen gelebt hat. Man muss ja Jungfrau sein. So wollen sie es haben
und nicht anders. Wenn die Frau sagt- ich bin nicht mehr ganz, und
habe schon ein Loch, dann sagen sie: hau ab, geh weg von mir! Du bist
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jetzt verdorben, andere Männer haben dich angefasst! Ja, so ist das
hier…
Musik hoch und weg
Erzählerin: Am nächsten Tag erkenne ich, dass wir zu einem sehr
ungünstigen Zeitpunkt in den Iran gekommen sind. Es ist Dezember -
der Trauer-Monat.
Erzählerin: Simin
In diesem Monat wurde Imam Husain ermordet, der Enkel des
Propheten Mohammed.
Erzählerin:
Imam Husain ist eine Zentralfigur des schiitischen Glaubens, und fast
alle Iraner sind Schiiten.
Erzählerin: Simin
Seine Gegner töteten Husain in der Schlacht bei Kerbala. Er hatte 33
Wunden von Speeren, 34 von Schwertern - und unzählige Pfeile
durchbohrten ihn.
Erzählerin:
Simin, die Frau eines Cousins, entscheidet sich, mich, eine polnische
Katholikin,
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Erzählerin Simin … eine Ungläubige
Erzählerin:
zu den religiösen Feiern für Husain mitzunehmen. Sie heißen Sine-
Bezani, was sich auf die Brust schlagen bedeutet. Frauen und Männer
verleihen damit ihrer Trauer Ausdruck.
Simin ist eine attraktive, schlanke Frau Mitte 50, und obwohl sie weder
lesen noch schreiben kann und aus einem kleinen Dorf im Norden Irans
stammt, ist sie wie immer sehr elegant und geschmacksvoll gekleidet:
olivfarbene Hose, beiger Mantel, passendes Seidenkopftuch. Nicht in
Schwarz, der Farbe der Trauer. So verzichte ich auf meinen dunklen
Wintermantel und ziehe eine helle Hose und einen dünnen Mantel an.
O-Ton: Straßengeräusche - entfernte Stimme eines Muezzins
Erzählerin:
Nach einer halben Stunde Autofahrt parken wir vor einem prachtvollen
4stöckigen Haus in einer der besten Gegenden Teherans. Hinter der
Eingangstür hängen mehrere schwere Vorhänge hintereinander. So
gelangen wir zuerst in eine Art Schleuse, wo die Frauen ihre Schuhe
ausziehen und in Plastiktüten verstauen. Ich erkenne Simin kaum
wieder. Sie hat ihren beigen Mantel abgelegt und einen schwarzen
Tschador übergeworfen. So ähnelt sie all den Frauen, die das Gebäude
stürmen und wie Krähen aussehen. Ich fühle mich unwohl, ich gehöre
einfach nicht hierher!
Aber Simin schubst mich nach vorne, wir betreten den komplett mit
Teppichen ausgelegten Raum von der Größe eines Fußballfeldes.
Rundherum, an die Wände gelehnt, sitzen vielleicht 200 Iranerinnen,
Junge, Alte, kleine Mädchen. Alle in Schwarz.
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O-Ton: Geflüster der Frauen anwesend bei der Veranstaltung, ein leiser
Gemurmel erfüllt den Raum.
Erzählerin:
Wir setzen uns in eine Ecke.
Erzählerin Simin (flüsternd):
Die Gastgeberin ist eine Araberin, aus dem Irak, ihr Mann ist sehr reich,
in dem ganzen Haus wohnt nur eine Familie. Sie sind wirklich
unbeschreiblich reich.
Erzählerin:
Es werden mir verschiedene Köstlichkeiten angeboten, ich bin froh, dass
ich die Höflichkeitsfloskeln gelernt habe.
0-Ton: (Gespräch)
Simin: Ist dir nicht kalt?
Erzählerin: Nein, alles gut, Mögen Ihre Hände niemals schmerzen.
Simin: Wieso nimmst Du kein Kuchen?
Erzählerin: Ich möchte jetzt kein Kuchen, ich bin sehr satt, habe zu viel Brot gegessen
Simin: Es ist sehr lecker, Du musst essen, iss, iss den Kuchen.
Erzählerin: Ich esse den später. Mögen Ihre Hände niemals schmerzen, danke, danke schön.
(O-Ton weg)
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Erzählerin:
Eine Frau nähert sich mir. Sie ist sehr groß, ihr Rücken breit wie bei
einem Holzfäller. Ihr Gesichtsausdruck…Na klar, ich falle auf, wie ein
Albino-Rabe unter diesen schwarzen Krähen. - Was suchst du hier, wer
bist du, zu wem gehörst du? - Mit zittriger Stimme antworte ich in
meinem besten Farsi. - Man Renata hastam, bo Simin omadam. Ich
zeige auf meine Begleiterin, die Gastgeberin lächelt versöhnlich.
Plötzlich:
O-Ton: (Die Anführerin singt am Mikro, eine melodische, ergreifende Stimme Hintergrundgeräusche- Frauengespräche, schallender Mikro-Geräusch, der Gesang wird lauter - es sind die Geschichten aus dem Märtyrer-Leben des Imam Husain´ s, sehr orientalisch und rhythmisch. Das Mikro ist so eingestellt, dass die Stimme der Sängerin, in dem Raum hallt, es klingt dramatisch und geheimnisvoll zugleich, und ein bisschen auch, wie bei einem Rock-Konzert.)
Erzählerin:
Ich schaue mich um - ausnahmslos alle Frauen fangen an, sich gegen
die Brust zu schlagen - Bum, Bum, Bum und dazu zu skandieren - Jo
Husain, Jo Husain! Und fast alle weinen, einige leise, und manche ganz
laut.
O -Ton - ( im Hintergrund Frauengeheul - dann die Stimme der
Anführerin /Farsi:
O-Ton Anführerin/Farsi:
Erzählerin Anführerin:
Zu Ehren von Sahra, der Tochter des Propheten, musst du weinen.
Wenn du nicht weinen kannst, sollst du wenigstens so tun. Verhülle dein
Gesicht, bedecke es mit dem Kopftuch, binde deinen Tschador enger
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zusammen. Dann kannst Du sicher sein, dass dir die Tore des
Paradieses offenstehen.
Erzählerin:
Eine junge Schönheit mit einer Haut wie Milch und Schnee, zerkratzt
sich das Gesicht. Die Tschadors fallen in dem ganzen Durcheinander.
Die Kleider darunter sind zwar alle schwarz, aber bei vielen
ausgeschnitten, manche mit Glitzer und Pailletten besetzt, wie zu
Silvester in einem polnischen Dorf. Na klar denke ich, wo sonst können
sie ihre besten Stücke zeigen?- Nur da, wo keine Männer Zutritt haben.
O-Ton: Der Rhythmus der orientalischen Klänge beschleunigt. Die Anführerin singt - die Frauen antworten, eine Ansprache an Allah den Allmächtigen.
Erzählerin:
Zwei alte Frauen sitzen einander gegenüber - und verpassen sich selbst
Ohrfeigen, heftiger und heftiger, sie scheinen sich gegenseitig
anzufeuern, welche am härtesten zuschlägt. Junge Frauen springen auf,
reißen sich die Tücher von den Köpfen und fangen an zu tanzen.
Springen nach vorne, und nach hinten, mit roten Gesichtern, werfen die
Köpfe, die langen Haare fliegen, bis zur Erschöpfung. Wie in einer
Gemeinschaftshysterie zeigen sie Trauer um den toten Imam. Ich
verdrücke mich neben die Tür, wo es kühler ist. Simin schubst mich in
Richtung der Frauen - ich soll mit ihnen tanzen? Nein, um Gottes Willen.
Ich weiche erschrocken zurück. Plötzlich bricht der Gesang ab, die
Lichter gehen an.
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(Atmo weg, Stille)
Forts. Erzählerin:
... ich bin gerettet, es ist zu Ende.
Die Frauen hüllen sich wieder in ihre Tschadors. Sofre - ein langes
Tischtuch, wird auf den Teppichen ausgerollt, darauf werden Getränke
gestellt, iranische 7Up´s und sehr süße Coca Cola. Reis und
Lammfleisch in Plastikbehältern. Ich krieg nichts runter, aber das macht
nichts, alle Reste werden eingepackt und nach Hause mitgenommen.
Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"
Erzählerin:
Das Leben von Elnaz Hanum und Elhan Hanum, den Ehefrauen von
Said
Erzählerin Schwiegermutter:
Said wollte nur eins - eine Frau. Er nahm eine, sie hieß Mariam. Kurz
nach der Heirat ließ er sich von ihr scheiden, weil es böse Gerüchte über
sie gab, sehr böse Gerüchte. Er sagte zu ihr: du wurdest meine Frau,
aber du warst keine Jungfrau mehr. Er ließ sie weiter in seinem Haus
wohnen, sprach aber trotzdem tallok - die Scheidung.
Dann nahm Said Elnaz zur Frau. Elnaz´ Vater war ein sehr angesehener
Mann. Ich fragte Elnaz` Mutter: - Wie alt ist sie denn, Ihre Tochter, sie ist
ja noch so klein? -Sie ist 15. Es ist Zeit. Said war eine gute Partie, hatte
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Geld, war jung, sehr tüchtig, die Mutter dachte praktisch, sie wollte ihn
unbedingt für ihre Tochter. Ich selbst hab die Braut zum Friseur geführt,
und geschminkt habe ich sie auch. Und in der Hochzeitnacht haben sie
ein Kind gemeistert.
Das Kind war so klein, so klein, das Gesichtchen winzig, wie eine Katze,
die Äugelein zu, 1 Kilo wog es nur, ein Junge. Ich sagte: - Jo Hossein,
und wer wird es pflegen?- Aber da wusste ich schon, ich werde das
Kind pflegen. Elnaz war ja selbst ein Kind, und hatte keine Übung!
Ich sagte: - Wie nennen wir es? –Surab-, sagte Said. Und - das Kind
gehört dir, ziehe es groß.- Als Surab 10 Jahre alt war, meinte Saids
Mutter, Elnaz habe wohl nur Kraft für ein Kind. Wieso wird sie nicht
wieder schwanger? Man muss zwei Kinder haben. Sie riet ihrem Sohn,
eine zweite Frau zu nehmen. Wenn Said ein Kind mit der zweiten Frau
zeugt, ist das ein Beweis, dass Elnaz krank ist.
Forts. Erzählerin Schwiegermutter:
Aber ich weiß - Said wollte einfach noch eine Frau, er hatte einfach
Feuer in den Schenkeln und Verlangen nach einer Jüngeren. Und er
nahm eine zweite Frau, Elhan ist ihr Name. Es verging ein Jahr, dann
ein zweites - kein Kind kam. Said ging zum Arzt - und der meinte zu
Said: Sie haben einfach nur ein Ei. Ein einziges Ei.
Nur ein einziges Kind hat der Said - den Surab. Said ist oft sehr traurig.
Ich sage: ein Kind reicht. Wenn es noch dazu ein Sohn ist - sehr gut! Der
Name bleibt. Und wenn nicht, muss man damit leben, aber ein Mädchen
taugt eben nicht so viel wie ein Junge (lacht)
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Atmo: Gespräche auf Persisch in einem Auto.
Erzählerin:
Die Familie will mir die schönste Stadt des Iran zeigen. Meine
Schwiegermutter, mein Mann Ahmed, sein Cousin Farzin und dessen
Frau Naida fahren mit einem Geländewagen nach Isfahan. Ich sinne
darüber nach, wie es wäre, sich den geliebten Mann mit einer anderen
teilen zu müssen. Ich habe Elnaz und Elham, die beiden Frauen Saids,
kennengelernt – und ich hätte nie gewagt, sie zu fragen. Ich frage lieber
Ahmed, ob er sich vorstellen könnte, eine zweite Frau zu nehmen.
Erzähler Ahmed: Ich? Nie im Leben!
Erzählerin:
Mich hat erstaunt, wie friedlich Elnaz und Elham beisammen leben.
Obwohl Elnaz nicht nur die ältere ist, sondern auch die erste. Sie hat
Said einen Sohn geschenkt, sie kümmert sich jetzt um das Enkelkind.
Wenn Elnaz` Handy klingelt, blickt Elham, die zweite Frau auf… Sie hat
kein Handy. Sie hat kein Kind zur Welt gebracht, obwohl sie kerngesund
ist. Ihr Daseinszweck hat sich nicht erfüllt.
Elnaz und Elham geht es materiell gut. Nach islamischem Recht darf ein
Mann bis zu vier Frauen heiraten. Jeder Frau hat er einen eigenen
Haushalt und eigenes Vermögen zu geben - so steht es in dem Koran,
Sure 4:3
Erzähler Ahmed:
„Und wenn ihr fürchtet, den Waisen nicht gerecht werden zu können,
nehmt euch als Frauen, was euch gut erscheint, zwei oder drei oder vier.
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Doch wenn ihr fürchtet, den Frauen nicht gerecht werden zu können,
heiratet nur eine …“
Atmo Isfahan: - Latfollah Platz und Basar
Erzählerin:
In Isfahan steuern wir sofort die Blaue Moschee an. Sie ist Touristen frei
zugänglich. Das Gebäude mit seinem türkis gekachelten Innenraum hat
eine unglaubliche Akustik.
Ein Muezzin steht in der Mitte unter einer der blauen Kuppeln. Er trägt
die traditionellen weißen Leinenkleider und lange Stiefel aus schwarzem
Leder. Ein sehr schlanker Mann mit einem markanten Gesicht und einer
scharfen Nase.
O-Ton (Muezzin Isfahan/Farsi)
Besmella el Rahmone Rahim- In Namen des allmächtigen Gottes.
( Gesang zuerst laut, dann leiser als Untermalung der Worte der
Erzählerin)
Erzählerin:
Seine Stimme hallt in dem Raum und prallt gegen die blaue Kuppel, wie
gegen das Firmament des Himmels. Ich bin fasziniert. Ich krieg
Gänsehaut und feuchte Augen.
Atmo hoch und weg.
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Erzählerin:
Wir wollen in einem Hotel übernachten. Die junge Empfangsdame,
elegant wie eine Stewardess der Emirates Airline, lächelt
zuvorkommend. Aber als sie erfährt, dass mein Mann und ich keine
Iranische Heiratsurkunde besitzen, wird ihr Gesicht ernst. Ich zeige die
Kopie unserer Eheurkunde vom Standesamt Berlin-Mitte. Sie schüttelt
den Kopf - nur das Original gilt.
Erzähler Ahmed:
Wir sind verheiratet! Wer verreist mit einem so wichtigen Dokument in
der Tasche?!
Erzählerin:
Die Empfangsdame telefoniert lange, sie erreicht die zuständige Person
nicht…. Ich murmele schon: - ist doch egal, schlafen eben die Frauen
zusammen - … da gibt die Empfangsdame Ahmed den Schlüssel für
unser gemeinsames Zimmer. Unsere Pässe behält sie.
In dieser Nacht liege ich in dem Doppelbett neben meinem Mann wie
eine Salzsäule, zwischen uns eine Kluft von mindestens einem Meter.
Ich habe Angst - kriegen wir morgen unsere Pässe zurück?
O- Ton: Das Lied "Dooset daram" - "Ich liebe dich" von Mohsen
Yeganeh (moderne Disco-Musik)
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Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"
Erzählerin: Das Leben von Shirin
Erzählerin Schwiegermutter:
Shirin - meine Nichte, war sehr jung und sehr, sehr hübsch. Eines Tages
hielt jemand um ihre Hand an. Die Männer der Familie warnten Shirin -
dieser Junge - der ist nicht gut für dich, heirate ihn nicht! Aber sie wusste
es besser: er sieht so gut aus, ich will ihn. Ihre Mutter war auch der
Meinung - ein guter Junge, sehr ansehnlich. Der Junge hat auch
beteuert - ich arbeite doch, verdiene unser Brot, ich bin ein Guter. Und
Shirin heiratete, bald kam ein Junge – Azad - zur Welt.
Und erst da wachte Shirin auf: Denn ihr Mann ging nicht zur Arbeit, saß
nur zu Hause, und langsam, langsam, Stück für Stück, trug er Sachen
aus dem Haus und verkaufte sie. Shirin wusste sich ein noch aus,
schließlich hat sie ihrem Mann einen Aushilfsjob bei einem Arzt besorgt.
Und da arbeitete er eine Weile. Eines Tages stellte sich heraus, dass er
bei dem Arzt auch klaut. Und auch bei Shirins Schwester, da hat er Gold
geklaut. Shirin liebte ihn aber und gab ihren eigenen Goldschmuck: -
Geh, verkauf den, zahle deine Schulden.- Sie ging mit ihm auch ins
Krankenhaus, um herauszufinden, was ihm fehlt. Und sie fand es heraus
- Drogen, ja Drogen waren sein Problem. Nach der Behandlung wurde
es besser… aber dann hat er wieder angefangen.
Eines Tages wurden sie getrennt, aber nicht, weil Shirin sich von ihm
getrennt hätte, nein, er landete im Gefängnis. Da haben sie ihn gut
bewacht, aber schnell haben sie´s kapiert - es wird kein Mensch aus
ihm. Und er starb. Na ja, das war eine Scheidung aus Gottes Händen.
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Forts. Erzählerin Schwiegermutter:
Dann heiratete Shirin einen geschiedenen Mann. Einen LKW-Fahrer,
einen großen LKW hatte er, er war oft weg. Er hatte aus seiner ersten
Ehe zwei Kinder, zwei Jungs. Und Shirin kümmerte sich um die Kinder,
wusch und kochte für sie. Der Mann gab ihr auch ein gutes
Haushaltgeld. Aber – auch er hat gestohlen und kam ins Gefängnis.
Jetzt will Shirin sich scheiden lassen, sie will auch ihr Brautgeld, ihre
Mehrije... Shirin ist clever und gescheit, sie wird das Geld schon kriegen!
O- Ton: Fortsetzung - Das Lied "Dooset daram" - "Ich liebe dich" von Mohsen Yeganeh (moderne Disco-Musik)
Erzählerin:
Beim Auschecken schnappen wir uns die Pässe und verlassen fast
fluchtartig das Hotel. Erst als wir Isfahan 30 Kilometer hinter uns haben,
bin ich einigermaßen beruhigt. Plötzlich klingelt Naidas Telefon, sie
tauscht die üblichen Höflichkeitsfloskel aus…und dann erstarrt ihr
Gesicht: Die nette Empfangsdame ist dran: ihr wurde gekündigt, weil sie
mich und meinen Mann in einem gemeinsamen Zimmer übernachten
ließ. Ich bekomme einen Riesen-Schreck: Unseretwegen hat diese junge
Frau ihre Stelle verloren!
Ist es das wert? Sollten wir nicht einfach auf iranisch heiraten und gut?
Ahmed starrt vor sich hin …
O-Ton : Melodische Stimme eines Schauspielers, der die Gedichte von
Hafis liest, aus Lautsprecher, der O-Ton wird leiser, untermalt die
Stimme der:
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Erzählerin:
Wir sind nach Shiras weitergefahren. Hier steht das Mausoleum von
Hafis, dem berühmten persischen Dichter. Dessen Poesie tönt aus
riesigen Lautsprechern. Eine romantische Atmosphäre für heimliche
Rendezvous. Junge Menschen sitzen auf der Grabplatte von Hafis,
lachen, flüstern.
Atmo- Platz in Shiras.
Im Zentrum von Shiras, auf dem Platz vor der Zitadelle des Karim Khan,
steuern vier Zigeunerinnen in bunten, glitzernden, langen Kleider direkt
auf mich zu. Ich bin meilenweit als Touristin auszumachen. Die Älteste
greift nach meinem Ärmel, sie will aus meiner Hand lesen, mir die
Zukunft vorhersagen. Gut -sage ich, wenn ich ihre Stimme aufnehmen
darf.
O-Ton: Zigeunerin - die Zukunft -Vorhersage:
Erzählerin: Roma
Du fotografierst aber nicht? Schwöre bei Gott, dass Du keine Fotos
machst. Im Namen des Propheten Mohammad.
Du bist ehrenhafter als jeder Mann, du bist bei allen beliebt, du sprichst
nur süße Worte und du weißt dich zu benehmen. Du bist aber auch
starrköpfig und trotzig. Ich lese auf deiner Stirn: Eine Reise steht dir
bevor. Du hast einen Mann, der dich sehr liebt. Du bist aber auch
eigenwillig und akzeptierst keine Ungerechtigkeit. Auf deiner Stirn lese
ich: Du wirst zwei Kinder haben. Du wirst einen Sohn bekommen - nenne
ihn Golem Reza. Du wirst auch nach Mekka pilgern, und da erwartet dich
eine frohe Botschaft. Und noch etwas: Du hast eine Freundin in der
Familie, ehre sie.
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Erzählerin :
Ahmed lacht über die Prophezeiung, doch mir ist nicht zum Lachen.
Heute würde ich am liebsten im Auto schlafen, nicht wieder in einem
Hotel. Das Hotel, das wir betreten ist sehr schick, das Licht dezent, die
Möbel a la Louis Quatorze. In der Lobby sitzen zwei alte Frauen, ihre
Tschadors sind so tief in die Gesichter geschoben, dass ich nur ihre
Augen und die Nasenspitzen sehe. Ihre Blicke, die mich förmlich
durchbohren, sind nicht interessiert, wie die Blicke der Iraner auf den
Straßen, kein "how are you" wird fröhlich zur Begrüßung
ausgesprochen. Die Frauen schauen grimmig, fast verachtend, oder
bilde ich mir das nur ein…
Erzähler Ahmed(flüsternd):
- die Revolutionswächterinnen…
Erzählerin:
Ohne Diskussion nehmen wir zwei Zimmer - eines für die Frauen –
eines für die Männer.
Meine Schwiegermutter schläft nach dem anstrengenden Tag sofort ein
und schnarcht leise. Naida und ich finden keine Ruhe. Ich vertraue Naida
an, dass ich überlege, im Iran noch einmal nach den hiesigen Sitten zu
heiraten und frage, was sie davon hält.
Statt zu antworten erzählt sie mir von den Vorkehrungen für die
Festivitäten. Das hört sich nach sehr viel Arbeit an.
Orientalische Hochzeitsmusik: Bodo Bodo mubarak.
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Erzählerin Naida:
Also, es fängt an mit Hosstegori. Der Bräutigam in spe kommt, begleitet
von seinen Eltern, ins Haus seiner Auserwählten. Früher hat das
Mädchen ihren Zukünftigen bei dieser Gelegenheit das erste Mal flüchtig
gesehen. Er durfte auch einen Blick von ihr erhaschen, in den paar
Sekunden, in denen sie ihm den Tee serviert hat. Heutzutage kennt sich
das junge Paar schon, zumindest meistens. Das wichtigste ist - die
Eltern des Mädchens müssen einverstanden sein. Wichtig ist auch die
Höhe der Mehrije, einer Art Geldanlage für die Braut. Falls die jungen
Leute heiraten, muss der Ehemann seiner Gattin zu jedem Zeitpunkt die
Summe der Mehrije auszahlen können, ansonsten wandert er ins
Gefängnis. 500 Goldstücke ist so der Standard. Dafür kann eine Frau im
Iran bis an ihr Lebensende fast sorglos leben. Am häufigsten wird die
Zahlung der Mehrije in dem Fall einer Scheidung verlangt, aber
manchmal will die Frau das Geld ohne Grund, einfach so. Vor allem die
Mutter der Braut ist daran interessiert die höchst mögliche Summe für
ihre Tochter auszuhandeln.
Erzählerin: (Naida erzählt weiter..)
Ich frage mich, wer unter diesen Umständen im Iran überhaupt heiraten
kann und bin froh, dass mein Ahmed sich keine Sorgen um Brautgeld für
mich machen muss – und Hosstegori ist für uns nicht mehr nötig.
Erzählerin Naida:
Nach Hosstegori kommt Ard, die amtliche Registrierung der Ehe. Ein
paar Monate nach Ard folgt das Fest aller Feste - Arrusi, also - die
Hochzeit.
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Erzählerin :
Und sofort öffnet Naida die Fotogalerie auf ihrem Handy.
Sie als Braut im weißen Kleid – aber was für ein Make-up -stark,
glitzernd, provokativ…. Es aufzutragen muss Stunden gedauert haben.
Auch Farzin ist geschminkt wie ein Fernsehstar - Puder, Lipglos,
korrigierte Augenbrauen. Die Fotos, sagt Naida, seien gar nichts gegen
den Hochzeitsfilm – der sei 3 Stunden lang.
Den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag verbrachten Naida
und Farzin mit dem Fotografen und dem Kamera-Team. Die arbeitslosen
Filmemacher in Iran haben ihre Nische gefunden.
Erzählerin Naida:
Wir mussten zig Mal durch einen Park rennen, uns im Laub wälzen, die
Blätter von den Kleidern abschütteln, uns auf der Treppe einer kleinen
Pagode hindrapieren, uns in die Augen schauen und hier ….
Erzählerin:
… ihre Lippen kommen einander ziemlich nahe …aber noch kein Kuss,
um Gottes Willen nicht küssen! Noch waren sie ja nicht verheiratet!
Naida gähnt, der Rest des Bericht fällt knapp aus: auf der Straße vor
dem Festsaal wurde ein braunes Lämmchen mit einem Messerschnitt
durch die Kehle, also Halal, geopfert. 200 Gäste waren da - das Paar
wurde mit Geldscheinen förmlich überschüttet.
Farzin ist nur kurz bei der Braut geblieben und dann zu den Männern in
ein anderen Saal rübergegangen.
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Erzählerin Naida:
Als Farzin den Frauenraum verlassen hatte, fand ich meine Hochzeit
dann nicht mehr ganz so schön.
Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"
Erzählerin: Das Leben von Parwaneh Hanum
O-Ton (Schwiegermutter):
Erzählerin Schwiegermutter:
Parwaneh lebte 22 Jahre mit Mahmud zusammen, sehr gut, sehr
fröhlich. Es gab auch manchmal Streit, klar, aber nichts Wichtiges. Nach
22 Jahren nahm Mahmud eine andere Frau! Parwaheh ließ sich
daraufhin scheiden. Dann vertrugen sie sich aber wieder, und kurze Zeit
später nahm Parwaneh Mahmud wieder bei sich auf. Doch Mahmud ging
wieder zu der anderen Frau und Parwaneh wurde klar, dass sie ihren
Mann nicht mehr will.
Mahmud verstand das nicht: - Ich will euch beide, ist doch kein Problem.
Sie: -Verschwinde, ich will dich nicht mehr! Du hast eine andere Frau
genommen! - Nein, das stimmt nicht, ich habe gelogen, ich will keine
Andere, nur dich! - Und abends, wo gehst du denn hin?
Eines Tages ließ Parwaneh das Wohnungsschloss austauschen. Als
Mahmud zurückkam, sagte sie zu ihm: Geh, dorthin, woher du kommst.
16 Jahre lang war Mahmud weg. Aber neulich kam er zurück und hat
Parwaneh angefleht - bitte vertrage Dich wieder mit mir, damit wir
zusammen leben können, ich verzeihe dir, was du gemacht hast. Aber
Parwaneh antwortete: ich will dir aber nicht verzeihen! Ich liebe dich
nicht mehr. Sie ist etwas traurig deswegen, aber sie ist auch sehr stolz.
Ja, so ist sie.
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O-Ton- Gespräche auf Farsi in der Wohnung der Schwiegermutter, im
Hintergrund ein Fernsehapparat.
Erzählerin:
Wir sind wieder in Teheran in der vertrauten, schönen Wohnung meiner
Schwiegermutter. Wie jeden Tag sind Agha Ramin, ein pensionierter
Ministerialbeamter, und seine Frau Simin da. Wir essen die köstlichen
iranischen Windbeutel. Agha Ramin ist eine Art Familien-Oberhaupt, mit
Problemen kommen alle zu ihm. Ahmed und ich tragen ihm die Sache
mit unserer deutschen Eheurkunde vor:
O-Ton: Agha Ramin/ Erzähler Agha Ramin
Damit eine Frau mit einem Mann in einem iranischen Hotel übernachten
darf, braucht sie einen Personalausweis und eine Geburtsurkunde. In
die Geburtsurkunde der Frau und ebenso in die Geburtsurkunde des
Mannes muss zweifelsfrei die Ehe eingetragen sein.
Erzählerin:
Und muss ich, um nach dem islamischen Recht verheiratet zu sein,
Muslimin werden?
O-Ton und Erzähler: Agha Ramin:
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Ja sicher! Wenn du einen Muslim heiratest, bist du automatisch
Muslimin! Und wenn du schon im Ausland geheiratet hast, muss die Ehe
von unserer Botschaft bestätigt werden.
Erzählerin:
Mir wird mulmig zumute. Wenn ich nach islamischem Recht heirate,
werde ich nicht nur Muslimin, ich werde auch automatisch iranische
Staatsbürgerin… Wenn ich zurück nach Berlin will, brauche ich eine
schriftliche Bewilligung meines Mannes. Ich kann nicht mehr über mich
selbst bestimmen. Ich weiß, dass Ahmed nie etwas gegen meinen Willen
tun würde - trotzdem fühlt es sich bizarr an.
O-Ton: Agha Ramin
Wir alle hier lieben dich, bleib hier und lebe mit uns!
Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemble"
Erzählerin: Das Leben von Simin und Agha Ramin
O-Ton (Schwiegermutter):
Erzählerin Schwiegermutter:
Sie kannten sich kaum, und schon waren sie verheiratet. Simin sah Agha
Ramin - und um sie war es geschehen.
Na gut, Agha Ramin war schon mal verlobt. Seine Auserwählte war sehr
krank. I Vier Männer hatte sie an der Nase herumgeführt. Bis zu dem
Tag der Hochzeit, hatte sie immer gesagt, gut sehr schön, ich heirate
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dich. Doch vor dem Mulla hatte sie alles bestritten und wollte nicht mehr.
Und so war es auch mit Agha Ramin. Wir hatten ihr schon viel Gold
geschenkt und einen Ring. Doch am Tag der Hochzeit sagte sie: ich will
Agha Ramin nicht! Ich will ihn nicht! Und Agha Ramin fragte, wieso, ich
liebe dich doch! Ich liebe dich auch - meinte sie - aber ich will nicht,
dass du mein Ehemann wirst. Ich liebe dich als meinen Vater, meinen
Bruder, oder sonst noch was, aber nicht als meinen Mann. - Iran -
wieso? fragte er. Wir fragten alle: - wieso hast du Angst? Agha Ramin
weinte Tag und Nacht und mein Mann meinte zu ihm - höre auf, es ist
vorbei, sei nicht solch ein Esel, es gibt noch andere Frauen, diese Iran,
die ist nicht ganz bei Sinnen.
Danach suchten wir eine neue Frau für Agha Ramin. Jemand kannte
einen ehrenwerten Mann mit einer guten Tochter: Simin. Agha Ramin
besuchte sie und sagte zu mir: - Das Mädchen ist nicht schlecht. Was
machen wir?- - Wir nehmen sie!- Wir gingen hin, machten Hosstegori.
Sie saßen eng beieinander, Agha Ramin starrte sie an: ihr Gesicht, ihre
Augen, alles war an der rechten Stelle. Und Agha Ramin fragte:
möchtest du mich heiraten? Simin schämte sich, weil ich dabei war. Da
schob Agha Ramin seine Hand unter Simins Tschador und fragte noch
einmal: willst du mich? Sie nickte. Kurz danach haben wir ihre Hochzeit
gefeiert.
O- Ton: Eine iranische Familie - Gespräche. Alle reden durcheinander.
O-Ton: (Minoo, 9 Jahre alt) rezitiert ein Gedicht aus "Shachname"
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Erzählerin:
Wir sind zur Gast bei Mehran, noch einem von Ahmeds Cousins. Die
Atmosphäre, eine Mischung aus Familienessen und Kulturveranstaltung,
fasziniert mich. Die 9jährige Minoo rezitiert ein Fragment aus "
Shachname", dem Epos des Nationaldichters Ferdusi. Wir sitzen auf
dem Boden, vor uns duftender Reis, Hähnchen mit Nüssen und
Granatapfelsirup, scharfen Spinat- Jogurt Salat mit viel Knoblauch. Nach
dem Essen erzählt mein Mann von unseren Problemen in den iranischen
Hotels. Der Gastgeber, Richter von Beruf, weiß sofort Rat. Es gibt doch
noch Sikhe!
Erzähler Ahmed:
Sikhe, die Ehe auf Zeit. Damit könnten wir das Problem lösen.
Erzählerin:
Der Richter erklärt, dass Sikhe im Iran heute durchaus normal ist. Die
Ehe auf Zeit kann von einer Minute bis zu 200 Jahre dauern. Sie wurde
eingeführt, um uneheliche Kinder zu iranischen Bürgern erklären zu
können – denn Kinder bekommen immer die Staatsbürgerschaft des
Vaters – bzw. des Ehemannes der Mutter. In der Schah- Zeit war Sikhe
verboten, nach 1979 wurde sie wieder zugelassen.
Erzähler Ahmed:
Es sind bis zu 40 Zeitehen für jeden Mann möglich.
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Erzählerin:
Im Handumdrehen setzt der Richter ein Dokument auf: Es ist unser
Ehevertrag. Unsere Ehe wird auf 99 Jahre geschlossen. Man fragt mich,
welchen Betrag ich als Brautgeld haben will. - Gar nichts!
Erzählerin Simin:
Das geht aber nicht - Mehrije muss sein, mindestens Nabot und einen
Koran.
Erzählerin:
Ich will aber keinen Zucker, und mit dem Koran ….
Erzähler Ahmed:
Sie mag Rosen…. Ich gebe Dir statt 500 Goldmünzen 500 rote Rosen
als Mehrije!
Erzählerin:
Die kann ich jederzeit von meinem Mann verlangen! Ja, wunderbar. Die
versammelten Frauen sind mit meiner Entscheidung nicht besonders
glücklich. –
Erzählerin Simin/Naida:
Du verdirbst unsere Preise!
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Erzählerin:
Alle Anwesenden unterschreiben das Dokument, sie küssen und
beglückwünschen mich. Was? - frage ich, - das war´s? Mein Mann nickt,
küsst mich auf beide Wangen und dann auf den Mund.
Erzähler Ahmed.
Nun bis du meine persische Gattin.
Erzählerin
In dieser Nacht bin ich hellwach. Ich habe gerade geheiratet. Völlig
unspektakulär. Ahmed schläft den Schlaf der Gerechten. Meine
Schwiegermutter winkt mich zu sich.
Erzählerin Schwiegermutter: Heute erzähle ich dir meine Geschichte.
Einige orientalischen Klänge - Altpersische Musik von "Mehr Ensemle"
Erzählerin: Die Geschichte meiner Schwiegermutter
O-Ton (Schwiegermutter)
Erzählerin Schwiegermutter:
Meinen Mann lernte ich in einer Bäckerei kennen. Er backte und
verkaufte Brot. Er gab mir zwei Laibe Brot, es war ein sehr gutes Brot.
Als ich nach Hause kam, war die Frau meines Bruders verblüfft - das ist
kein normales Brot! Das ist das Brot der Liebe.
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Mein Bruder war wütend. Er setzte sich einen Hut auf und folgte mir
zum Bäcker. Ich bemerkte ihn nicht. Der Bäcker meinte: - Wie immer?
Zwei Brote?– Ich nickte. Er reichte mir das Brot, ich ihm das Geld. Das
war´s. Kein Wort mehr.
Er hatte meinen Bruder erkannt, mein Bruder betrieb ja ein Hamam. Und
eines Tages sprach der Bäcker meinen Bruder im Hamam an. -Ihre
Schwester wird erwachsen, sie sollte bald heiraten. Mein Bruder sagte: -
Kommen Sie in zwei Monaten. Doch mein Zukünftiger antwortete: - Ich
komme in einer Woche. Und mein Bruder wunderte sich: - Wieso diese
Eile? Die Antwort war: -Ich muss verreisen.
Und dann schlossen wir die standesamtliche Ehe. Das war´s. Erst
danach beichtete mir mein frisch angetrauter Ehemann: - Ich habe
nichts. Ich arbeite am Tag und abends essen wir das Brot, das ich
verdient habe.
Herrje!!! Mein Bruder wollte die Ehe annullieren, ja, - er wollte meinen
frisch Vermählten umbringen! Doch mein Mann blieb ruhig und sagte zu
meinem Bruder: -Ich nehme meine Frau mit und gehe. Doch er ging
allein weg und ließ mich zurück. Nach einem Jahr hatte ich immer noch
keine große Hochzeit, eine Schande. Mein Mann kam ab und zu, wir
sahen uns kurz, er ging wieder.
Mein Bruder sagte: - Du bist nicht mehr meine Schwester! Lass dich von
ihm scheiden, sonst enterbe ich dich! Ich sagte, ich lasse mich bestimmt
nicht scheiden.
Ich konnte nicht anders, ich liebte meinen Mann, er hat mich auch
geliebt. - Nach einem Jahr und 4 Monaten bin ich aus dem Haus meines
Bruders abgehauen (flüstert).
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Zwei Löffel hatten wir, zwei Teller, zwei Messer, zwei Töpfe, von allem
nur zwei, egal, ich wollte mit ihm zusammen leben. Wir hatten ein kleines
Zimmer.
Ich war sehr niedergeschlagen, ich verzehrte mich nach meiner Familie
und wurde krank, sehr krank. Ich verstand die Welt nicht mehr. Dass sie
mich verstoßen hatten.
Ich musste ins Krankenhaus, schluckte nichts als Medikamente. Mein
Mann besuchte mich, ich fürchtete mich vor ihm. Er flößte mir Löffel um
Löffel die Suppe in den Mund: Iss, stirb nicht! Iss, wenn du nicht isst,
stirbst du.
Nach 40 Tagen machte ich meine Augen auf und sah meinen Bruder. Er
stand da, neben meinem Bett und weinte. Als ich ihn sah, wurde ich
gesund. Dann kam ich nach Hause zu meinem Mann, und dann - wie es
so ist - wurde ich schwanger. Einen Jungen habe ich zur Welt gebracht,
er war sehr hübsch, sein Name war Faromarz. Als er 1 Jahr war, stab er.
Mein Leben war sehr schwer, aber jetzt geht es mir gut, sehr gut. Früher
ging es mir auch gut, ich hatte ja Liebe. Ja, ich habe meinen Mann
geliebt. Wohin er auch ging, was er auch getan hat, war ich immer bei
ihm. Ich war gern mit ihm zusammen. Wir haben drei Kinder
großgezogen.
O-Ton (Schwiegermutter singt ein Lied über Liebe)
Erzählerin: Es wird hell draußen, als meine 84jährige Schwiegermutter
von der Liebe singt. Sie streichelt mein Gesicht und zieht von ihrem
Ringfinger ihren Ehering ab. Vor 67 Jahren hat sie ihn von Ahmeds Vater
bekommen. Der Ring hat kleine Beulen und Kratzer, sie hat ihn nie
abgesetzt. Meine Schwiegermutter ergreift meine Hand und streift mir
den Ring über. - Jetzt ist er deiner - sagt sie. Ich denke an Parwaneh, die
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zu stolz war, sich mit ihrem ehebrecherischen Mann zu versöhnen, an
Shirin, die trotz zweier gescheiterter Ehen um ihr Recht kämpft, an
Kobra, die die Kraft gefunden hat, ihre große Liebe zu vergessen, und
vor allem an meine Schwiegermutter, die für mich mehr als die Mutter
meines Mannes ist. Sie ist meine Freundin. Ich bin ein Teil dieser
Familie, ich bin eine persische Gattin.
Absage
Die persische Gattin.
Von der Herausforderung, im Iran zu heiraten.
Sie hörten ein Feature von Renata Borowczak
Es sprachen: Melina von Gagern, Friederike Frerich s,
Gabriele Blume, Sabrina Tannen, Ahmed und Agha Ra min
Ton: Alexander Brennecke
Regie: Renata Borowczak
Redaktion: Ulrike Bajohr
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2014
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