Sektorenübergreifende Notfallversorgung KBV Sicherstellungskongress
28. Juni 2017
Prof. Dr. Boris Augurzky
KBV Sicherstellungskongress 2
Bestandsaufnahme
Handlungsempfehlungen
Agenda
KBV Sicherstellungskongress
Die Notfallversorgung basiert auf drei Säulen
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Quelle: RWI
Notfallversorgung
Ambulant Stationär Rettungswesen
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In den vergangenen Jahren wurden immer mehr ambulante Notfälle in der Krankenhausnotfallambulanz behandelt
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(1) Administrative Notfalldefinition: EBM 1.2 Quelle: Masterarbeit Dr. P. Wahlster (2017); RWI
32,7% 39,2% 40,1% 41,1% 43,0% 43,9% 44,9%
67,3% 60,8% 59,9% 58,9% 57,0% 56,1% 55,1%
200918,3 Mio.
201017,3 Mio.
201117,6 Mio.
201217,7 Mio.
201319,3 Mio.
201419,2 Mio.
201519,0 Mio.
Notfallambulanzen Bereitschaftsdienst
Verteilung der ambulanten Notfälle
Abschaffung der Praxisgebühr zum 1.1.2013
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Was wünscht sich die Bevölkerung?
Herkunft der Patienten in den Krankenhausnotaufnahmen
• 50% vom niedergelassenen Arzt an Notaufnahme verwiesen
• 50% hat keinen Termin bekommen oder fühlt sich im Krankenhaus besser versorgt
Notaufnahme aufgesucht
• hauptsächlich unter der Woche und zu regulären Sprechstundenzeiten
• überwiegend von berufstätiger Bevölkerung
Außerhalb der Sprechstundenzeiten: 17% gaben an, die 116 117 zu kennen, aber nur 6% konnten die korrekte Nummer angeben
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Patientenumfrage in zehn hessischen Krankenhausnotaufnahmen(1)
(1) Zeitraum: 12.2016 bis 02.2017; Regionen: Rhein-Main Metropolregion, Fulda, Gießen, Lahn-Dill-Kreis, Odenwaldwaldkreis, Main-Kinzig-Kreis und Kassel Quelle: Hessische Krankenhausgesellschaft
Backup
Patienten erwarten eine schnelle und vollumfängliche Behandlung Sie wählen den Weg, auf dem diese aus ihrer Sicht am schnellsten und besten verfügbar ist
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Auch gewinnt der Aufnahmeanlass „Notfall“ für die stationäre Krankenhausbehandlung immer mehr an Bedeutung
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Zunahme von 34% auf 45% zwischen 2005 und 2015
Anmerkung: Aufnahmeanlass wird in §301-Datenübermittlung nach SGB V nicht abgebildet, er soll übermittelt werden, wenn Patientenbehandlung dieses Zusatzmerkmal enthält Quelle: Krankenhaus Rating Report 2017; Statistisches Bundesamt 2015
59,7% 58,4% 56,7% 55,4% 54,7% 53,2% 52,5% 51,4% 50,0% 49,1% 47,8%
33,7% 35,1% 35,9% 37,3% 37,3% 39,3% 40,4% 41,5% 43,0% 43,8% 45,0%
3,9% 3,8% 3,6% 3,7% 3,6% 3,6% 3,5% 3,5% 3,5% 3,6% 3,7% 2,6% 2,6% 3,7% 3,5% 3,2% 3,9% 3,5% 3,5% 3,4% 3,5% 3,5%
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Einweisung durch einen Arzt Notfall Geburt (Neugeborene) Verlegung aus einem anderen Krankenhaus
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Stimmen zur Notfallversorgung
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(1) KV Hessen, f&w 5/17 Quelle: RWI; f&w 5/17
„Etwa ein Drittel dieser Patienten [in der Notfallambulanz des KH] könnte auch von einem niedergelassenen Arzt in seiner Praxis behandelt werden“ (UKB)
Die Patienten leitet der Wunsch, medizinische Leistungen aus einer Hand zu erhalten
Krankenhaus erhält 4,74 € für die Begutachtung eines Notfallpatienten und Weiterleitung zu KV-Praxis(1)
„Die Einführung einer Portalpraxis hat sich bewährt“ (UKB) – dort wurde aber Portalpraxis mit niedergelassenen Ärzten besetzt
Charité: „Davon seien aber gerade mal 30% echte Notfälle, die entweder stationär aufgenommen würden oder […] die ambulante Kompetenzen einer Uniklinik benötigten.“
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Gegenwärtig einige Probleme in der Notfallversorgung
Zersplitterte Versorgungslandschaft bei hohen Vorhaltekosten • Fast alle Allgemeinkrankenhäuser nehmen an der Notfallversorgung teil(1) • Ungenügende Abstimmung zwischen ambulant, stationär und Rettungswesen • Hohe Vorhalteleistungen Nachfrage nach und Angebot an Notfallleistungen decken sich nicht • Zum Teil überfüllte Notaufnahmen der KH • Zum Teil zu geringes Angebot der KV-Praxen, Notrufnummer 116 117 noch wenig bekannt • Präferenzen der Patienten gehen Richtung Krankenhäuser mit umfassender Ausstattung • Gewähltes Versorgungsangebot passt nicht immer zu vorliegendem Schweregrad • Unterschiedliche Vergütung ambulanter und stationärer Notfallversorgung • Keine effektive Steuerung der Patienten Wachsendes Unterangebot in ländlichen Regionen • Zunehmende Schwierigkeiten bei Nachbesetzung von Haus- und Fachärzten Wenig Information über Qualität der Notfallversorgung • Keine einheitliche Definition und Standards der Notfallversorgung • Keine entsprechende Datenbasis
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Werden die Ressourcen in der Notfallversorgung derzeit sinnvoll eingesetzt?
(1) Im Jahr 2014 hatten 143 Krankenhausstandorte einen Abschlag für die Nichtteilnahme an der Notfallversorgung vereinbart (GKV in f&w 5/2017) Quelle: RWI
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Divergierende Interessen der einzelnen Akteure …
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Quelle: RWI
Auf „normalen“ Märkten führt das Preissystem einen Ausgleich der Interessen herbei
Klinik
KV-Arzt Patienten Gute Erreichbarkeit
Geringe Zeitkosten
Zur Sicherheit umfangreiches medizinisches Angebot
Geringe Kenntnisse über Notfallversorgungssystem
Kostenlose Inanspruchnahme
Kostendeckende Vergütung
Keine komplexen Fälle
Günstige Arbeitszeiten
Kostendeckende Vergütung
Keine Bagatellfälle
Keine Abweisungen aus haftungsrechtlichen Gründen
Auslastung der stationären Kapazitäten
Rettungsdienst Abrechenbare Einsätze
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… mit zum Teil ungünstigen zu erwartenden Folgen
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Quelle: RWI
Übernachfrage hinsichtlich • örtlicher Erreichbarkeit • zeitlicher Erreichbarkeit • medizinischer Ressourcen Patienten
KV-Arzt
Unterangebot an • zeitlicher Erreichbarkeit • örtlicher Erreichbarkeit
Klinik
Unterangebot an kurzen Wartezeiten in Notaufnahme
Überangebot an stationären Aufenthalten
Entweder Steuerung über Preise oder über zentrales Verteilungssystem
Gemeinsame Nutzung der Ressourcen vieler Praxen und Krankenhaus, Verteilung der Lasten
Unabhängige Meinung über stationäre Weiterbehandlung
Kostendeckende ambulante Versorgung
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Vertragsärzte
Konzept der Portalpraxen • Vertragsärztliche Notdienstpraxen in
oder an Krankenhäusern oder • alternativ Notfallambulanzen der
Kliniken direkt einbinden
Krankenhaus
3-Stufenmodell vom GBA ursprünglich bis 31.12.2016 zu entwickeln, im Zuge des PsychVVG Verlängerung bis 31.12.2017 und Erweiterung um wiss. Folgeabschätzung Struktur- und Prozessvorgaben • Art und Anzahl der vorzuhaltenden Fachabteilungen • Anzahl und Qualifikation des Fachpersonals • Kapazitäten zur Versorgung von Intensivpatienten • medizinisch-technische Ausstattung • Strukturen und Prozesse der Notaufnahme Zu- / Abschläge für Teilnahme / Nichtteilnahme • Bis 30.6.2018 durch GBA in Zusammenarbeit mit InEK zu
ermitteln
Das KHSG soll einige Änderungen in der Notfallversorgung bringen
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Quelle: RWI; f&w 5/2017
Vergütung
Entsprechende Anpassung der Vergütungsregelungen Investitionskostenabschlag für Kliniken bei ambulanter Vergütung aufgehoben
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Probleme und aktuelle Veränderungen
Anpassungsbedarfe
Agenda
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Zentrale Anforderungen an die Notfallversorgung
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(1) Fernbehandlungsverbot, Vergütung von telefonischen Beratungsleistungen, rechtliche Haftungsfragen Quelle: RWI
Effektive Patientensteuerung Dafür auch Definition des Notfalls nötig und ggf. Fernbehandlung(1)
Unabhängigkeit der Entscheidung bzgl. stationärer Weiterbehandlung in Verbindung mit einem kostendeckenden Vergütungssystem
Bündelung der Ressourcen zur Erbringung der Notfallversorgung und Nutzung moderner Technologie zur Überbrückung von Distanzen Dabei jedoch Beachtung der Erreichbarkeit der Notfallversorgung (Prüfung der Distanzen, im Zweifel Sicherstellungszuschlag)
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Patientensteuerung in Dänemark als Vorbild?
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Seit 2014 Organisation der Notfallversorgung durch Call-Center
Quelle: RWI; KCE Report 263
Backup
Bedarf eines Rettungswagens:
Notrufzentrale 112 Sonst (außerhalb der Öffnungszeiten) stets Call-Center
Rettungsdienst
Medizinische Beratung und Regelung der weiteren Versorgung im Call-Center durch Allgemeinmediziner und Pflegekräfte
• Verweis an eines von 46 Service-Centern (i.d.R. an Kranken-häusern gelegen, aber von diesen unabhängig organisiert)
• Vereinbarung eines Hausbesuchs mit Allgemeinmediziner • Überweisung an eine Notaufnahme
Zugang zur Notaufnahme in Krankenhäusern nur für Patienten, die mit einem Rettungswagen eingeliefert werden oder eine Überweisung von einem Call-Center/Allgemeinmediziner vorweisen können
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Thesen zur Reform der Notfallversorgung: Generell
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(1) Als Notfallpatienten werden alle Personen eingestuft, die körperliche oder psychische Veränderungen im Gesundheitszustand aufweisen, für die der Patient selbst oder eine Drittperson unverzügliche medizinische und pflegerische Betreuung als notwendig erachten .
Quelle: RWI
Primat der Notfallversorgung: Patienten mit zeitkritischen Diagnosen zeitnah identifizieren und effizient versorgen 1
Der Notfall muss klar, umfassend und unabhängig vom Ort der Versorgung definiert werden(1) Dabei Trennung der schwerwiegenden von einfachen, weniger zeitkritischen Fällen 2a
Ganzheitliche Organisation der Notfallversorgung: ambulant, stationär und Rettungswesen aus einer Hand, dabei Abstufungen vorzunehmen 2b
Effektive Patientensteuerung zur korrekten Zuordnung der Notfälle gemäß Definition unter 2a Zentrale Anlaufstelle für Patienten über Telefon/Apps Elektronische Patientenakte mit für Notfallversorgung wichtigen Patientendaten
2d
Unabhängigkeit des Triage-Prozesses vom Krankenhaus, Portalpraxen mit niedergelassenen Ärzten 2c
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Elektronische Patientenakte nutzen
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Quelle: RWI/hcb; Stiftung Münch
Aktuelle Studie des Instituts für angewandte Versorgungsforschung (inav) im Auftrag der Stiftung Münch
Ranking bei der Entwicklung der ePA
Deutschland auf Platz 10 von 20 untersuchten Ländern
Elektronische Patientenakte (ePA) zur direkten struktu-rierten Datenerfassung in der Akte, z.B. • Befunde, Behandlungen • Impfstatus • Rezepte • „Bonushefte“ • Arzneimittel • …
2d Backup
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Thesen zur Reform der Notfallversorgung: (Schwere) Notfälle
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(1) Neben lebensrettenden und stabilisierenden Maßnahmen insb. diagnostische Abklärung von akut aufgetretenen Symptomen. Diese notfallmedizinische Erstdiagnostik erlaubt die Durchführung der weiteren adäquaten Therapie.
Quelle: RWI
Wissenschaftliche Begleitung der Weiterentwicklung der Notfallmedizin, notfallmedizinische Lehrstühle mit einem entsprechenden Forschungsprofil 5
Definition der Prozessqualität für (schwere) Notfälle(1) 4
Speziell ausgebildete pflegerische und ärztliche Fachkräfte für (schwere) Notfälle sowie eine entsprechende Infrastruktur mit attraktiven Berufsbildern 3
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Thesen zur Reform der Notfallversorgung: Alle Notfälle
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(1) Denkbar sind teilstationäre oder Hybrid-DRGs Quelle: RWI
Verbesserung der Transparenz über das Notfallversorgungsgeschehen, eigene Statistik inkl. Qualitätsindikatoren 8
Neuadjustierung der Vergütung der Notfallversorgung: sektorenübergreifend, kostendeckend, Anreize zur ressourcenschonenden Nutzung der Kapazitäten(1) 7
Überprüfung der Zuständigkeiten bzw. Sicherstellungsaufträge bei ganzheitlicher Organisation der Notfallversorgung 6
Bündelung der Angebote im oder am Krankenhaus und bei Bedarf Nutzung der KH-Ressourcen Hohe Bekanntheit der Anlaufstelle für Bevölkerung 9
Im Ländlichen Ausbau rettungsdienstlicher und telemedizinischer Versorgung und generell gesamte medizinische Versorgung konzentrieren im integrierten Gesundheitszentrum 11
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Stationäres Notfallstufenkonzept der GKV
Voraussetzungen
Bundesweit einheitliche Definition der Fachabteilung Zuschläge müssen sich aus der Summe der Abschläge speisen (Umverteilung)
Konzept
Stets feste Anlaufstelle für den Patienten • Alle Notfallpatienten in einer ZNA aufnehmen • Überwiegend festes medizinisches Personal in ZNA mit
umfangreicher Erfahrung in Ersteinschätzung Differenzierung der Notfallstufen (insg. 1.724 Standorte) • Drei zuschlagsfähige Stufen(1) (ergänzt um 3stufiges Modell der
Kindernotfallversorgung) 1. Basis: Innere + Chirurgie + Anästhesie + CT, 774 Stück 2. erweitert, + MRT, ggf. + Traumazentrum, 219 Stück 3. Umfassend, 77 Stück
• Eine Stufe ohne Vergütungsänderungen (Spezialversorgung) • Eine Stufe der Nichtteilnahme mit Abschlägen
Einbindung der ambulanten Notfallversorgung und der Leitstellen des Rettungsdienstes
(1) In den höheren Stufen Ausstattung für Patienten mit notfallmedizinisch besonders relevanten Krankheitsbildern (Tracerdiagnosen): Schädel-Hirn-Trauma, Schlaganfall, Polytrauma, ST-Hebungsinfarkt, plötzlicher Kreislaufstillstand, Sepsis; zudem steigende Anzahl Intensivbetten und Anforderungen an Zuverlegung auf Luftweg, Aufnahmestation zur Abklärung des weiteren Behandlungsbedarfs mit mindestens sechs Betten
Quelle: RWI, GKV nach f&w 5/2017
Je KH-Notfallstufe Mindestvorgaben zu den vorzuhaltenden ambulanten Notfallstrukturen Herstellung einer Verknüpfung der Leitstellen des Rettungsdienstes und KV-Bereitschaftsdiensts
DKG: Auch 3-Stufen-Konzept, aber die Basisversorgung muss deutlich weiter definiert werden, damit mehr Häuser am Netz bleiben können, und die Basisstufe muss abschlagsfrei bleiben
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Integrierte Gesundheitszentren v.a. in ländlichen Regionen Zentralisierung, Versorgung aus einer Hand, Vorhaltekosten teilen
Quelle: Krankenhaus Rating Report 2016
Integriertes Gesundheitszentrum
Tele-medizin Akut
stationäre Vers.
Nachsorge, Reha
Vorsorge, Prävention
Notfall, Rettungsw.
Hausärzte Fachärzte
Pflege
Apotheke
Heil- und Hilfsmittel
Betreutes Wohnen
Mobilitäts-unter-
stützung
Dabei Vermeidung
von Interessens-
konflikten bei
Leistungserbringern
(Einweiser vs.
Behandler)