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Schwerpunkt Digitale Kompetenz &...

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Demokratie pflegen und verteidigen Demokratie pflegen und verteidigen 67. Jahrgang · Nr. 259 · November 2016 Die Österreichische Volkshochschule Magazin für Erwachsenenbildung Verfahren zur Kompetenzbilanzierung Möglichkeit der Selbsterkundung Seite 29 Schwerpunkt Digitale Kompetenz & M edienkompetenz Früher Ausbildungsabbruch Ansätze zur Prävention Seite 32 Präsident Fischer bei der VÖV Hauptversammlung Seite 26
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Demokratie pflegen und verteidigenDemokratie pflegen und verteidigen

67. Jahrgang · Nr. 259 · November 2016

Die ÖsterreichischeVolkshochschule Magazin für Erwachsenenbildung

Verfahren zur KompetenzbilanzierungMöglichkeit der Selbsterkundung

Seite 29

Schwerpunkt

DigitaleKompetenz &

Medienkompetenz

Früher AusbildungsabbruchAnsätze zur Prävention

Seite 32

Präsident Fischer bei der VÖV Hauptversammlung

Seite 26

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Inhalt

Editorial 1 Gerhard Bisovsky, Grundbildung für Alle!

Medienpreise 2 Gerhard Bisovsky, 18 Sendungen aus 133 Einreichungen für den 19. Radiopreis der Erwachsenenbildung nominiert

Schwerpunkt Digitale Kompetenz & Medienkompetenz 3 Peter Baumgartner, Gerhard Brandhofer, Martin Ebner, Petra Gradinger & Martin Korte, Medienkompetenz fördern – Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter 10 Renee Hobbs, Digitale und Medienkompetenz: ein Aktionsplan 14 Gaby Filzmoser, Wie wollen wir es nennen: Computerkompetenz, Medienkompetenz oder digitale Kompetenz 18 Gaby Filzmoser, Tabellarische Zusammenfassung der Begriffe 20 Birgit Maria Langeder, Mediale und interpersonale Kommunikation im Zusammenhang mit Flucht und Asyl. Chancen für den DaF/DaZ-Unterricht

Bildungsthemen aktuell 26 Heinz Fischer, „Demokratie muss immer aufs Neue bestätigt, gepflegt, am Leben erhalten und verteidigt werden“ 28 Leonhard Dobusch, Die Volkshochschulen in der digitalen Welt 29 Julietta Adorno, Kompetenzbilanzierungsverfahren als Möglichkeit der produktiven Selbsterkundung 32 Mario Steiner, Ausmaß des frühen Ausbildungsabbruchs und Ansätze zur Prävention 36 Birgit Aschemann, Weiterbildung im Großformat 38 Elisabeth Feigl, SAPA goes blended 41 Elisabeth Feigl, „Knowledge Changes Everything“

Geschichte 43 Stephan Ganglbauer, Eine erfolgreiche Kooperation: Die 31. Konferenz zur Aufarbeitung historischer Quellen der Erwachsenenbildung

Aus den Volkshochschulen 45 Gerhard Bisovsky, VÖV-Hauptversammlung 46 Gerhard Bisovsky, Volkshochschule Götzis erhält den Österreichischen Inklusionspreis 47 Gerhard Bisovsky, Volkshochschul-Jubiläen

Personalia 49 Gerhard Bisovsky, Neuer Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen: Herbert Schweiger 50 Michael Ludwig, Rudolf Egger, Dagmar Mikasch-Köther, Verabschiedung von Willi Filla

Rezensionen 54 Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung (Hrsg.): Policy Making in Adult Education. A Comparative Approach across 21 European Regions. 55 Klaus-Peter Hufer: Politische Erwachsenenbildung. Plädoyer für eine vernachlässigte Disziplin. 56 Ewelina Mania/Monika Tröster: Finanzielle Grundbildung. Programme und Angebote planen. 57 Reinhard K. Sprenger: Das anständige Unternehmen. Was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt. 58 Karim El-Gawhary/Mathilde Schwabeneder: Auf der Flucht. Reportagen von beiden Seiten des Mittelmeers.

AutorInnen 59 Für diese Ausgabe der Österreichischen Volkshochschule haben geschrieben 60 Impressum

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Editorial

gerhard bisovsky

Grundbildung für Alle!

1 Programme for the International Assessment of Adult Competencies.

2 Siehe Programmplanungsdokument Initiative Erwachsenenbildung 2015–2017, S. 16. Verfügbar unter: https://www.initiative-erwachsenenbildung.at/fileadmin/docs/PPD_2015-2017_Stand_11_12_2015.pdf [22.11.2016].

3 Im Detail siehe: Steiner, Mario & Vogtenhuber, Stefan (2014): Grundlagenanalysen für die Initiative Erwachsenenbildung. Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) Wien im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur. Verfügbar unter: https://www.initiative-erwachsenenbildung.at/fileadmin/docs/BLI-PPD-Grundlagenanalysen-end.pdf [22.11.2016].

4 Stoppacher, Peter & Edler, Marina (unter Mitarbeit von Karin Reinbacher-Fahrner) (2014): Evaluation der ersten Periode der Initiative Erwachsenenbildung. Institut für Arbeitsmarktbetreuung und Forschung, Graz. Im Auftrag der neun Bundesländer und des Bundesministeriums für Bildung und Frauen. https://www.initiative-erwachsenenbildung.at/fileadmin/docs/Evaluation_Abschlussbericht.pdf [22.11.2016].

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 1

Seit der PIAAC-Studie1 der Organisation für wirtschaft-liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wis-sen wir relativ genau, wie viele Menschen in Österreich niedrige Kompetenz im Bereich des sinnerfassenden Le-sens, der Alltagsmathematik und des Problemlösens mit Computer und Internet haben. Hierbei handelt es sich um grundlegende Kulturtechniken, deren Niveau sich auf die Beschäftigungsfähigkeit, auf die Teilhabe an Ge-sellschaft, auf die Akzeptanz von Demokratie aber auch auf die soziale Einbettung und auf die eigene Gesund-heit und das Gesundheitsbewusstsein auswirkt.

Hierzulande sind nicht weniger als 970 tausend Men-schen von niedrigen Lesekompetenzen betroffenen, 811 tausend Personen verfügen nur über geringe alltagsma-thematische Fertigkeiten und 879 tausend Menschen haben ungenügende Computerkenntnisse. Rund 640 tausend Menschen befinden sich in allen drei getesteten Domänen auf einer niedrigen Stufe.

Diese Befunde geben wichtige Begründungen für die „Initiative Erwachsenenbildung“ ab, welche die kos-tenfreie Basisbildung und den ebenfalls kostenfreien erwachsenengerechten Pflichtschulabschluss beinhal-tet. Das Ziel der „Initiative Erwachsenenbildung“ ist es daher, Voraussetzungen für die „Teilnahme an den ge-sellschaftlichen, kulturellen, technologischen und wirt-schaftlichen Entwicklungen“ zu schaffen sowie „allen Menschen eine chancengerechte Teilhabe an der Wis-sensgesellschaft zu ermöglichen und jede Einzelne bzw. jeden Einzelnen zu befähigen, die Veränderungsprozes-se des eigenen Lebensumfeldes aktiv mitzugestalten“2 .

Für die beiden Programme im Rahmen der Initiative wurde die Zielgruppengröße berechnet: 243.000 Perso-nen für die Basisbildung und rund 220.000 Personen für den Pflichtschulabschluss.3 Die Zielgruppengrößen vari-ieren nach Bundesländern, Bedarfe gibt es allerdings in allen Bundesländern und insgesamt können wir im Rah-men der „Initiative Erwachsenenbildung“ von 463.000 Personen für beide Programmbereiche ausgehen, die Bedarf an Höherqualifizierung haben. In der ersten Programmperiode von 2012 bis 2014 haben rund 21.000 Personen an beiden Maßnahmen teilgenommen.4 Für die zweite Periode 2015 bis 2017 liegen naturgemäß noch keine Zahlen vor, wir gehen von einer Verdoppelung der Kursplätze aus. Demnach werden bis Ende 2017 rund 63.000 Personen an den Maßnahmen der Initiative Er-wachsenenbildung teilgenommen haben. Das wären dann rund 14 Prozent der gesamten Zielgruppe, die in sechs Jahren die Programme absolviert hätte. Um den Bedarf zu decken wären bei gleichbleibender Anzahl von Kursplätzen weitere 42 Jahre notwendig. Der neu entste-hende Bedarf ist allerdings noch nicht berücksichtigt.

Es wird daher dringend notwendig sein, die für die „Initiative Erwachsenenbildung“ benötigten Mittel deut-lich anzuheben und Lehrkräfte auszubilden, damit der

Bedarf in überschaubarer Zeit wenigstens einigermaßen bedeckt werden kann.

Übrigens: Die Initiative Erwachsenenbildung ist ein gutes Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Forschung zur Entwicklung von Programmen eingesetzt werden kann. Es wäre an der Zeit, auch Bildungsangebote auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung und Er-kenntnisse weiter zu entwickeln.

//Im Schwerpunkt dieser Ausgabe der ÖVH (Die Ös-

terreichische Volkshochschule) wird das Thema „Digi-tale Kompetenz und Medienkompetenz“ behandelt. In einem grundlegenden Beitrag von Peter Baumgart-ner et al. wird der Frage nachgegangen, warum beide Kompetenzen als gleichwertig zu betrachten sind. Ein konkretes Beispiel, wie die Umsetzung erfolgen kann, wird aus den Vereinigten Staaten gebracht, in einem weiteren Beitrag wird die Umsetzung im Unterricht mit Erwachsenen diskutiert. Dem Verständnis der verwen-deten Begriffe und der dahinter liegenden Inhalte wid-met sich ebenfalls ein eigener Beitrag.

Von der VÖV-Hauptversammlung werden zwei grundlegende Referate abgedruckt, eines zum Thema „digitales Lernen“ sowie die Grundsatzrede des VÖV-Präsidenten zur Demokratiebildung.

Die nächste Ausgabe der Zeitschrift „Die Österreichische Volkshochschule“ (Nr. 260) erscheint im Jänner 2017. Schwerpunkt: Bildung, Flucht und Migration.

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Medienpreise

18 Sendungen aus 133 Einreichungenfür den 19. Radiopreis der Erwachsenenbildung nominiertFür den Radiopreis der Erwachsenenbildung, der bereits zum 19. Mal vergeben wird, wurden von einer Jury aus VertreterInnen der preisstiftenden Verbände der Erwachsenenbildung am 11. Oktober 2016 in fünf Sparten 18 Produktionen nominiert.

Die Jury, der VertreterInnen der zehn Ver-bände der Konferenz der Erwachsenen-bildung (KEBÖ), das sind die Arbeitsge-meinschaft Bildungshäuser Österreich, das Berufsförderungsinstitut Österreich, der Büchereiverband Österreichs, das Forum Katholischer Erwachsenenbildung in Ös-terreich, das Ländliche Fortbildungsinsti-tut Österreich, der Ring Österreichischer Bildungswerke, die Volkswirtschaftliche Gesellschaft Österreich, der Verband Öster-reichischer Gewerkschaftlicher Bildung, der Verband Österreichischer Volkshochschulen und das Wirtschaftsförderungsinstitut der Wirtschaftskammer Österreich angehörten, hatte eine Auswahl aus 133 Produktionen zu treffen. Eingereicht waren 39 Sendungen vom ORF – Ö1, Radio NÖ, Radio OÖ, Ra-dio Salzburg und FM4 – sowie 94 von acht privaten und Freien Sendern. Das gestalteri-sche und inhaltliche Niveau war, wie schon die letzten Jahre, sehr hoch.Insgesamt wurden die Nominierungen für die Sparten Kultur, Information, Bildung/Wissenschaft (Eduard Ploier-Preis), Inter-aktive/experimentelle Produktionen sowie Sendereihen, vorgenommen.

In der Sparte Kultur wurden folgende vier Sendungen nominiert: Die Sendung „Uraufführung in Syrien. Eine westöstliche Komposition über den Genozid “aus der Sendereihe „Perspektiven“, die am 16. 3.2016 auf „radio klassik Stephansdom“ gesen-det und von Monika Fischer gestaltet wurde.Die beiden von Michael Huemer gestalteten Radio OÖ-Sendungen „Lieder des Leidens. Das reiche Erbe der armenischen Musik“ vom 1.11.2015 und „Die verlorenen Kinder Spani-ens. Eine jüdische Zeitreise“ vom 10. 4.2016 aus der Reihe „Lust aufs Leben – Kultur aus allen Richtungen“ und „Dürre Jahre“, ein Hör-

spiel von Helene Flöss in einer Bearbeitung von Martin Sailer, das am 4.10.2015 vom ORF Landesstudio Tirol ausgestrahlt wurde.In der Sparte Information wurden fünf Sen-dungen nominiert:Das Feature in acht Bildern von Bettina Fink mit dem Titel „Eingesperrt. Ausgesperrt. Grenzerfahrungen in der Südoststeiermark“, das auf Ö1 am 4.6.2016 ausgestrahlt wurde.Die Sendung vom 22.5.2016 mit dem Titel „Mein Recht auf Auskunft. Ein Selbstver-such“ von Julia Gindl aus der Reihe „matrix – Computer und neue Medien“ auf Ö1.„I bin froh, wann i di Zeit umedraht hab – 40 Jahre später“, ein Feature über VOEST-Lehr-linge aus dem Jahr 1976 und die Gegenwart der Hauptdarsteller von Rainer Rosenberg aus der Ö1-Reihe „Moment am Sonntag“, das am 1.5.2016 ausgestrahlt wurde.Die Sendung „Vertuschen Verleugnen Ver-gessen. Die Nuklearkatastrophe von Tscher-nobyl“ aus der Radio OÖ-Reihe „Schwer-punkt Zeitgeschichte“ vom 24.4.2016, gestaltet von Michael Huemer.Die 094SPEZIAL-Sendung mit dem Titel „Dinge in der Hand, die Sachen machen. Vom Sich-Schützen mit dem Finger am Abzug“ von Evelyn Blumenau und Walter Kreuz (gecko art), die am 18.8.2016 auf Radio Orange 94.0 gesendet wurde. In der Sparte Bildung/Wissenschaft wird der Eduard-Ploier-Preis vergeben:Nominiert wurde die Sendung „Hirnhö-ren – Weltdeutung von A bis Z“ mit dem Untertitel „Mercatorprojektion und Welt-wahrnehmung“ von Andreas Ranetbauer, Dominik Gruber und Christoph Krainer, ausgestrahlt vom Freien Rundfunk Salzburg am 24.12.2015.Die FM4 Extraleben-Sendung „Alles ist po-litisch“ von Robert Glashüttner, Conny Lee und Rainer Sigl vom 28.4.2016.

„Schwarz-österreichisch. Bergungsversuche verschütteter Geschichte(n)“, eine Sendung von Jackie Macumba, die am 16.8.2016 in der Reihe „Radio Stimme – Sendung der Initia-tive Minderheiten“ auf Radio Orange 94.0 ausgestrahlt wurde.Die Radiovorlesungen „Ich und die Ande-ren. Philosophische Betrachtungen über das Leben in einer pluralisierten Gesellschaft“, aus der Reihe Dimensionen-Sommervor-lesungen, die auf Ö1 vom 15.7. bis 19.8.2016 ausgestrahlt und von Isolde Charim gestaltet wurde.In der Sparte Interaktive und experimentel-le Produktionen wurden folgende zwei Pro-duktionen nominiert: „50 Hz – gefragt, gesagt, gespielt, gehört“, eine Sendung von Adele Knall, Ammar Nas-ser, Lisa Puchner, Miriam Hübl, Shafiq Isla-mi und Teresa Schwind, die am 26.1.2016 auf Radio Orange 94.0 ausgestrahlt wurde.Die gleichfalls auf Radio Orange ausge-strahlte Sendung „Stadtradio Orange – Dein Fenster auf Radio Orange“ mit offenem For-mat unter der Projektleitung von Jaqueline Gam vom 3.3.2016.Bei den Sendereihen wurde die Ö1-Som-merserie „Hidden Champions“ aus der Rei-he „Saldo – das Wirtschaftsmagazin“, die Reihe „Veggie House“, die auf Radio Orange 94.0 ausgestrahlt wird und „Oral History: LEBENSWEGE - Hörbilder“, eine Sende-reihe vom Freien Radio Salzkammergut, nominiert. Die PreisträgerInnen werden bei der Über-reichungsfeier, die am 25. Jänner 2017 um 18.30 Uhr im Radiokulturhaus stattfindet, bekannt gegeben.Für die Rede zum Radiopreis der Erwachse-nenbildung konnte die Schriftstellerin Doris Knecht gewonnen werden. //

Gerhard Bisovsky

Radiopreis der Erwachsenenbildung

2 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 3

Schwerpunkt Digitale Kompetenz & Medienkompetenz

Medienkompetenz fördern – Lehren und Lernen im digitalen ZeitalterDieser Beitrag widmet sich dem Stand in der Aus- und Weiterbildung zur Medienkompetenz mit besonderem Fokus auf interaktive digitale Medien. Wir gehen dabei davon aus, dass die Nutzung digitaler Medien zwar eine Reihe positiver Entwicklungen, sowohl in der Lehre als auch im Lernprozess, initiieren und freisetzen kann, dass aber Technikeinsatz allein noch keinen Garanten für eine Qualitätssteigerung im Bildungssystem darstellt. Die technischen Möglichkeiten digitaler Medien müssen im Hinblick auf die Realisierung eines didaktischen Mehrwerts beurteilt werden. Darunter verstehen wir die Gestaltung von medial unterstützten Lehr- und Lernsituationen, die einen Vorteil generieren, der ohne technische Unterstützung nicht vorhanden wäre.

Schwerpunkt

Weil im Rahmen des Nationalen Bildungsberichts die-se spezielle – aber umfassende – Thematik bisher noch nicht behandelt wurde, konzentrieren wir uns auf die Situation bei den Lehrenden. Diese Beschränkung ist auch inhaltlich gerechtfertigt, weil aus unserer Sicht die Medienkompetenzen der Lehrenden der entscheidende Faktor für eine didaktisch sinnvolle Nutzung digitaler Medien im Unterricht sind.

Wir beginnen diesen Beitrag daher mit einer Diskus-sion zum Begriff der Medienkompetenz, um die unter-schiedlichen inhaltlichen Dimensionen, die es hier zu beachten gilt, darzulegen. Daran schließt sich ein kriti-scher Blick zum Status quo in Österreich an, wobei wir insbesondere Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung von Lehrpersonen in den Blick nehmen. Danach disku-tieren wir Potenziale digitaler Medien zur Erhöhung der Lehr- und Lernqualität an drei aktuellen Beispielen. Das Schlusskapitel dieses Beitrags fasst unsere Einschätzun-gen zusammen und stellt denkbare politische Strategien und Maßnahmen sowohl zur Nutzung digitaler Medien als auch zur Kompetenzentwicklung zur Diskussion.

1. MEDIENKOMPETENZ HEISST HEUTE VOR ALLEM DIGITALE KOMPETENZ

In der modernen Wissensgesellschaft haben Informa-tions- und Kommunikationstechnologien (IKT) bereits einen bedeutenden Stellenwert eingenommen. So sind 28 Prozent des österreichischen Wirtschaftswachstums

auf diese Technologien zurückzuführen und Prognosen gehen von einer weiteren Steigerung der Wertschöp-fung durch diesen Bereich aus (Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH, 2012). Inzwischen durchdringt IKT alle gesellschaftlichen Bereiche und sind allgegen-wärtig („ubiquitous“) geworden. Sie haben unseren All-tag sowohl im beruflichen (Arbeit) als auch im privaten (Freizeit) Bereich verändert. Digitale, interaktive Medi-en spielen auch für die Entwicklung der Zivilgesellschaft eine immer wichtigere Rolle (Baumgartner, Tarnai, Wolf & Ertl, 2014, S. 376 f.): Gesellschaftliche Teilhabe, und damit die Entwicklung und Festigung demokratischer Strukturen, erfolgt in zunehmendem Maß über digitale Medien. Sachgerechter und kritisch-reflektierter Um-gang mit diesen Technologien wird daher folgerichtig als eine der acht Schlüsselkompetenzen für Lifelong Lear-ning gesehen (Europäische Union [EU], 2006).

Eine Definition von Medienkompetenz ist nicht ein-fach, weil es eine Vielzahl von Faktoren zu berücksich-tigen gilt: Es müssen inhaltliche Beschreibungen wie Medien, Computer, IKT mit Bildungskonzepten wie Fertigkeiten, Literarität (Literacy) und Kompetenz mitei-nander verknüpft werden.

Entsprechend der neueren EU-Diktion haben Ilo-mäki, Kantosalo und Lakkala (2011) den Begriff Digital Competence (digitale Kompetenz) in den Mittelpunkt gestellt, der sich zunehmend durchsetzt und einige wichtige Vorteile hat: Mit der allgemeinen Bezeichnung „digital“ werden Wortkombinationen mit Computer, In-ternet, IKT vermieden, die in ihrem Gegenstandsbezug die angestrebten Inhalte zu eng fassen.

Ähnliches gilt auch für den Kompetenzbegriff, der gegenüber Fertigkeiten (Skills) und der auf kulturelle Grundkenntnisse abzielenden Literarität breiter ge-fasst ist.

Der von der EU und auch von uns favorisierte Be-griff der digitalen Kompetenz macht deutlich, dass der Inhalt von Medienkompetenz sich gewandelt hat und heute mit digitaler Kompetenz gleichgesetzt werden kann. Digital Competence stellt in der heutigen Wis-sensgesellschaft eine der Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben oder Rechnen dar, geht allerdings über ein allgemeines Basiswissen, wie es durch Digital Literacy gefasst wird, weit hinaus. Eine darauf aufbauende sehr umfassende Definition findet sich bei Ferrari (2012). Sie basiert auf 15 untersuchten Kompetenzmodellen, die aus Schulcurricula, Implementierungsinitiativen, Zer-tifizierungsschemata und akademischen Publikationen entnommen wurden:

„Digital Competence is the set of knowledge, skills, at-titudes (thus including abilities, strategies, values and awareness) that are required when using ICT and digi-

Peter Baumgartner, Gerhard Brandhofer, Martin Ebner, Petra Gradinger & Martin Korte1

1 Auszug aus dem gleichnamigen Beitrag im Nationalen Bildungsbericht 2015, S. 95 – 131: Bruneforth, Michael, Eder, Ferdinand, Krainer, Konrad, Schreiner, Claudia, Seel, Andrea & Spiel, Christiane (Hrsg.) (2016 ): Nationaler Bildungsbericht Österreich 2015. Band 2. Fokussierte Analysen bildungspolitischer Schwerpunktthemen. Graz: Leykam.

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Schwerpunkt Digitale Kompetenz & Medienkompetenz

4 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

tal media to perform tasks; solve problems; communica-te; manage information; collaborate; create and share content; and build knowledge effectively, efficiently, ap-propriately, critically, creatively, autonomously, flexibly, ethically, reflectively for work, leisure, participation, lear-ning, socialising, consuming, and empowerment“ (Ferra-ri: 2012, S. 3 f.).Mit dieser umfassenden Definition werden nicht nur

Kenntnisse (Knowledge = Medien-Kunde) und Fertig-keiten bei der Anwendung zum Zwecke der Problemlö-sung (Skills = Medien-Nutzung), der Kommunikation (Medien-Kommunikation) und des Informationsma-nagements (Medien-Informatik) inkludiert, sondern auch generell eine gesellschaftskritische Haltung (Atti-tudes = Medien-Kritik) angesprochen.

In der deutschsprachigen geisteswissenschaftlichen Tradition wird jedoch selbst diese umfassende Begriffs-bestimmung teilweise kritisch gesehen, weil – so wird argumentiert – der Begriff digitale Kompetenz einerseits analoge (Massen-)Medien wie Rundfunk, Fernsehen, Presse nicht einschließt und andererseits befürchtet wird, dass durch die starke Betonung der praktischen Fertigkeiten eine unkritische, unreflektierte (Aus-)Bil-dung nahegelegt wird. Damit – so die Kritik – werden nachhaltige pädagogische Nutzungskonzepte erschwert und ungewollte (negative) Sozialisationsaspekte und Er-fahrungen mit Medien (z. B. Cybermobbing) zu wenig in den Blick genommen (Aufenanger: 2001).

Aus unserer Perspektive treffen diese Bedenken für den breit angelegten Vorschlag von Ferrari (2012) nicht zu. Die deutschsprachige geisteswissenschaftliche Dis-kussion zur Medienkompetenz ist immer noch stark geprägt von den seinerzeit grundlegenden Arbeiten von Baacke (z. B. 1996). Damals allerdings war der Me-dienbegriff noch weitgehend ohne die interaktive Vari-ante gedacht, da die damaligen Medienpädagoginnen und -pädagogen noch nicht die Wende vom (passiven) Hören beziehungsweise Sehen zur interaktiven Nut-zung (User, BenutzerIn und GestalterIn) komplett und durchgängig vorgenommen hatten. Obwohl sich schon in den 1990er-Jahren eine handlungsorientierte Kon-zeption von Medienpädagogik angedeutet hat (Baum-gartner: 1993), wurde erst in den letzten Jahren mit Web 2.0 – dem sogenannten „MitmachWeb“ – die Wende von bloßer Rezeption zu aktiver Partizipation vollzo-gen. Damit wird aber die Dimension der Medien-Kritik nicht mehr bloß auf sprachliche oder schriftliche Äuße-rungen reduziert, sondern es gehören auch alternative Einsatz- und Anwendungsszenarien zur (konstruktiven) Kritik. Das umfasst sowohl den pädagogischen als auch organisatorisch-technischen Bereich (Medien-Didaktik beziehungsweise Medien- Gestaltung). Statt bei kassan-drischen Rufen mit geringer praktischer Wirkung stehen zu bleiben, umfasst der Begriff der digitalen Kompetenz nach Ferrari (2012) auch die Entwicklung von Medienar-rangements, die im Sinne kritisch-reflektierter Gestal-tungsalternativen in ihren Effekten auch evaluiert und verbessert werden können.

Selbstverständlich dürfen bei der gesellschaftlichen Durchdringung digitaler Medien problematische An-

wendungen nicht übersehen werden, weshalb in der Ferrari-Definition (2012) auch die ethische Reflexion enthalten ist. Für eine umfassende gesellschaftspoliti-sche Sichtweise müssen die bisher erwähnten Dimensio-nen der Medienkompetenz noch mit Medien- Ethik und Medien-Erziehung ergänzt werden.

Als Resultat ergeben sich damit für Lehrende neun Dimensionen von digitaler Kompetenz, die in der nachfolgenden alphabetisch sortierten Liste zusam-mengestellt sind. Für die Entwicklung von Medien-kompetenz sind sie entsprechend zu berücksichtigen und auszubilden.Medien-Didaktik: Als Teilgebiet der allgemeinen Di-

daktik medienvermitteltes (interaktives) Lernen gestalten und in seinen positiven Effekten auf den Lernprozess pädagogisch sinnvoll nutzen und evalu-ieren können.

Medien-Erziehung: Einen aktiven, kritischen, bewuss-ten, selektiven und produktiven Umgang mit Medi-en für Arbeit, Freizeit und staatsbürgerliche Teilhabe vermitteln können.

Medien-Ethik: Den sozial verantwortlichen Umgang mit Medien analysieren und moralisch einschätzen und dabei auch die eigenen medialen Handlungsstrate-gien kritisch hinterfragen und unter ethischen Ge-sichtspunkten gestalten können.

Medien-Gestaltung: Medienarrangements unter päda-gogischen, sozialen, ästhetischen, technischen und finanziellen Rahmenbedingungen produzieren und gestalten können.

Medien-Informatik: Funktion und technische Wirkungs-weisen des Internets, sowie der Digitalisierung von Text, Bild, Audio und Video verstehen und diese Kenntnisse für Arbeit, Freizeit und gesellschaftlicher Teilhabe produktiv gestalten und nutzen können.

Medien-Kommunikation: Strukturen und Bedingungen von interaktiven, digitalen Kommunikationsprozes-sen gestalten und sowohl in kritisch-reflektierter als auch sozial angebrachter Weise nutzen können.

Medien-Kritik: Eine gesellschaftskritische Haltung zur Entwicklung, Produktion und Nutzung von Medien einnehmen und sich über deren Inhalte sowie deren Rezeption positionieren können.

Medien-Kunde: Kenntnisse über Geschichte, Instituti-onen, Interessenlagen von Stakeholdern, Produk-tionsprozessen von Medien und insbesondere zu rechtlichen Rahmenbedingungen kritisch-reflektiert nutzen können.

Medien-Nutzung: Medien in allen Bereichen (Arbeit, Bildung, Freizeit, Unterhaltung, Information, Prob-lemlösung) adäquat für den persönlichen Gebrauch auswählen und effektiv und sozial angebracht nut-zen können.

2. ZUR DIGITALEN MEDIENKOMPETENZ DER LEHRENDEN

Nachdem wir im vorhergehenden Abschnitt neun Dimensionen von Medienkompetenz bei Lehrenden definiert haben, beleuchten wir in den folgenden zwei Abschnitten die aktuelle nationale Situation.

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 5

Schwerpunkt Digitale Kompetenz & Medienkompetenz

2.1. FACHDIDAKTISCHE MEDIENKOMPETENZ VERSUS MEDIENNUTZUNG

Obwohl digitale Medien die prägende Technolo-gie unserer Zeit sind, bleibt der tatsächliche Einsatz im Unterricht hinter den Erwartungen zurück. Im interna-tionalen Vergleich ist Österreich bei der Nutzung digi-taler Medien in der Schule eher im Mittelfeld zu finden (European Commission, Education, Audiovisual & Cul-ture Executive Agency [EACEA]: 2011, S. 3 – die Studie basiert auf Daten aus TIMSS 2007; vgl. auch European Commission, Directorate-General for Communications Networks, Content & Technology: 2013). Bei dem Ver-gleich der Nutzung von IKT durch Lehrende liegt Ös-terreich 2011/2012 sogar an drittletzter Stelle EU-weit, nur Luxemburg und Polen weisen in der 8. Schulstufe (durchschnittliches Alter = 13,5 Jahre) eine noch gerin-gere Nutzung auf. Nur 22 Prozent der befragten Schü-lerInnen in Österreich gaben bei der Befragung an, dass ihre Lehrpersonen IKT in mehr als 25 Prozent der Schul-stunden nutzen. Der EU-Durchschnitt liegt bei 32 Pro-zent der SchülerInnen, die diese Nutzungsfrequenz der Lehrpersonen angeben.

Dieser relativ niedrige Nutzungsgrad ist allerdings nicht der mangelnden Ausstattung mit Geräten geschul-det. Bei der Verfügbarkeit von digitalen Medien im Un-terricht der 8. Schulstufe nimmt Österreich im Spektrum der 27 EU-Länder mit 84 Prozent den guten 5. Rangplatz ein. Wir müssen also – trotz einer guten technischen Ausstattung – mangelnden Einsatz digitaler Medien im Unterricht konstatieren. Woran kann das liegen?

Eine mögliche Ursache für diesen Sachverhalt könn-te eine mangelhafte fachdidaktische Medienkompetenz der Lehrenden sein. Darauf weist eine deutliche Diskre-panz im praktischen Umgang mit diesen Technologien hin: Obwohl über 90 Prozent – und damit fast alle Lehr-kräfte – das Internet und digitale Medien zur eigenen Unterrichtsvorbereitung nutzen, ist der Prozentsatz ih-rer Verwendung im Unterricht deutlich geringer (Ebel: 2013). Für das eigene persönliche Wissensmanagement werden diese Technologien also breit genutzt, sie wer-den aber weit weniger als fachdidaktische Werkzeuge für den Unterricht eingesetzt.

In diesem diskrepanten Verhalten zeigen sich unter-schiedliche Dimensionen der von uns eingangs beschrie-benen Medienkompetenz: Während in dem einen Bereich (persönliches Wissensmanagement) die professionelle Nutzung als technisches Instrument im Vordergrund steht, geht es beim Unterricht um einen didaktisch sinn-vollen Einsatz, der sich nicht automatisch alleine durch die bloße Verwendung dieser Werkzeuge ergibt. Für eine medienpädagogisch relevante Anwendung ist eine didak-tische Gestaltung der Unterrichtsszenarien notwendig. Der bloße Einsatz von Tablets oder Notebooks führt noch nicht dazu, dass der Unterricht auch einen didaktischen Mehrwert erfährt. Dazu müssen die interaktiven Funktio-nen digitaler Medien tatsächlich genutzt werden. Digitale Medien tragen somit bloß einen Aufforderungscharakter in sich, der traditionelle Lehrformen infrage stellt. Sie be-wirken jedoch nicht automatisch Veränderungen, unter-stützen solche aber (Eickelmann: 2010, S. 68).

Bezogen auf unsere Darstellung der verschiedenen Di-mensionen der Medienkompetenz können wir daher sagen: Während die Dimensionen Medien-Nutzung unterstützt von Medien-Kunde und Medien-Kommuni-kation bei den Lehrenden angekommen sind, gibt es im Bereich der Medien-Didaktik und Medien-Gestaltung große Lücken. Oder schärfer formuliert: Die Nutzungs-kompetenz ist hoch, die pädagogisch-didaktische hinge-gen niedrig.

Die dargestellten empirischen Befunde zeigen, dass die relativ hohe persönliche Nutzung der IKT bei den Lehrenden nicht mit einer entsprechenden didaktischen Umsetzung im Unterricht einhergeht. Damit wird deut-lich, dass es nicht genügt, eine entsprechende technische Infrastruktur zu entwickeln und die operative Nutzung der Technologien zu forcieren. Wenn nicht pädagogisch-(fach)didaktische Kompetenzen hinzukommen und mit diesen neuen Werkzeugen beziehungsweise Möglichkei-ten verknüpft werden, dann bleiben positive Effekte für das Bildungssystem aus.

Die Daten zum Zusammenhang von Medienkompe-tenz und Alter können in zweierlei Hinsicht dargestellt werden; je nachdem, ob das Glas halb voll oder halb leer gesehen wird. Positiv ausgedrückt: Ältere Lehrpersonen schneiden mit ihren digitalen Kompetenzen gegenüber jüngeren Lehrkräften nicht schlechter ab. Negativ ausge-drückt: Junge Nachwuchslehrende weisen nicht automa-tisch eine höhere digitale Kompetenz auf als ihre älteren Berufskolleginnen und Berufskollegen.

Damit zeigt sich auch, dass ein Systemwandel nicht von selbst passiert und nicht bloß eine Generationen-frage ist. Wer glaubt, dass für einen digital kompetenten Unterricht nur etwas zugewartet werden muss, bis die ältere Lehrgeneration in Pension gegangen ist, ist im Irr-tum. Ein kompetenterer Umgang mit digitalen Techno-logien führt nicht automatisch zu einer höheren Qualität des Unterrichts. Dazu braucht es gezielte Maßnahmen in Aus- und Weiterbildung, wo nicht nur die alltägliche Nutzung der Geräte vermittelt wird, sondern in beson-derem Maß auf die pädagogisch-didaktischen Potenziale eingegangen wird.

2.1.1. AUS- UND WEITERBILDUNG DIGITALER MEDIENKOMPETENZEN

Mit dem Beginn der Umsetzung der PädagogIn-nenbildung NEU ist die Ausbildung der Lehrenden im Umbruch. Aufgrund der Datenlage wird im Folgenden insbesondere auf die Situation an den Pädagogischen Hochschulen eingegangen. An den österreichischen Pädagogischen Hochschulen ist zurzeit die Ausbildung der Pflichtschullehrenden eingerichtet. Einige Pädagogi-sche Hochschulen verwenden international gebräuchli-che Programme zur Förderung der Kompetenzen in der Nutzung digitaler Medien im Unterricht. Andere Päd-agogische Hochschulen versuchen, Medienkompetenz durch curricular verankerte Seminare zu vermitteln.

Eine Analyse diverser Curricula sowohl vor als auch zur PädagogInnenbildung NEU zeigt jedoch, dass die Empfehlungen der E-Learning-Strategiegruppe der Pä-dagogischen Hochschulen Österreichs (Bachinger et al.:

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2013) nicht eingehalten wurden: Das betrifft sowohl den Umfang (8 bis 12 ECTS-Punkte) als auch die Forderung nach integrativer Verankerung in der Schulpraxis. Ledig-lich die Universität für Angewandte Kunst fordert von Studienbeginn an den Umgang mit IKT/Informatikin-halten auf jeder Stufe der Ausbildung ein (Futschek, Bie-ber, Lemmel-Seedorf & Jernej: 2014, S. 54, S. 68).

Ob daher die Inhalte der neuen Curricula den von uns zu Beginn des Artikels zusammengestellten Anfor-derungen entsprechen, ist schwer zu beurteilen. Einer-seits variieren die eigens für Medienkompetenz ausge-wiesenen Zeitgefäße (gemessen in ECTS-Punkten) sehr stark. Andererseits dürfen aber alleine aus den Lehrver-anstaltungstiteln und den zugehörigen ECTS-Punkten von ausgewiesenen Fächern keine direkten Rückschlüsse gezogen werden, weil Medienkompetenz auch als ein Querschnittsgebiet gesehen werden muss, welches vie-lerorts zusätzlich berücksichtigt sein kann.

Auch wenn die Situation nicht einheitlich zu beur-teilen ist und gerade beim neuen österreichischen Aus-bildungskonzept für LehrerInnen, kurz PädagogInnen-bildung NEU, noch viel in Bewegung ist, lässt sich doch zusammenfassend festhalten: Ob und in welcher Inten-sität sich angehende Lehrerinnen und Lehrer zurzeit mit neuen Technologien und deren effektivem und re-flektiertem Einsatz im Unterricht auseinandersetzen, ist auf die Leidenschaft und das Durchsetzungsvermögen einzelner Lehrgangs- und LehrveranstaltungsleiterIn-nen an den jeweiligen regionalen Standorten zurückzu-führen. Es gibt derzeit kein systematisches und flächen-deckendes Aus- und Weiterbildungsangebot im Bereich der digitalen Medienkompetenz für Lehrkräfte.

2.2. SOZIAL VERANTWORTLICHER UMGANG (MEDIENETHIK UND -ERZIEHUNG)

Seitens des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) trat 2012 der Grundsatzer-lass Medienerziehung in Kraft (BMUKK: 2012). Dieser Erlass ist für unsere Argumentation in diesem Beitrag von großer Bedeutung, weil er umfassende Mediener-ziehung vorsieht und eine kritisch reflektierende Be-gegnung und Auseinandersetzung mit der gesellschaft-lichen Situation einfordert. Damit ist auch der sozial verantwortliche Umgang mit digitalen Medien einge-schlossen.

Von den neun angeführten Dimensionen der Me-dienkompetenz haben wir zu den Bereichen Medien-Ethik und Medien-Erziehung bisher wenig gesagt. Die Medien-Ethik, d. h. der eigene sozial verantwortliche Umgang mit Medien, und die Medien-Erziehung, d. h. die Vermittlung eines sozial verantwortlichen Umgangs mit Medien, ist vor allem bei Kindern und Jugendlichen wichtig, die ein günstiges Sozialverhalten erst erlernen müssen. Mögliche negative Konsequenzen eines unso-zialen, z. B. aggressiven Verhaltens sind beispielsweise auch geringere Lernleistungen bei Schülerinnen und Schülern (Kowalski, Giumetti, Schroeder & Lattanner: 2014; Strohmeier, Gradinger, Schabmann & Spiel: 2012).

Aus diesem Grund wollen wir zwei Aspekte exemp-larisch beleuchten, die relevant für Medien- Ethik und

Medien-Erziehung sind und die hohe Relevanz für das österreichische Schulsystem haben. Zuerst wird das Phänomen Cybermobbing – negatives Sozialverhalten vermittelt über neue Medien – beschrieben, und danach werden neurowissenschaftliche Erkenntnisse dargestellt, die mit der Nutzung neuer Medien zusammenhängen (z. B. digitale Demenz, Computer- und Internetsucht, Multitasking).

2.2.1. RISIKO CYBERMOBBING: DEFINITION, DATENLAGE UND MASSNAHMEN

In Österreich gibt es eine relativ gute Datenlage zu Prävalenzraten von Cybermobbing unter Schülerinnen und Schülern. Generell lässt sich sagen, dass die Raten für Cyberviktimisierung in jenen Ländern höher sind, in denen auch die traditionellen Viktimisierungsraten hoch sind. Daraus lässt sich folgern, dass Cybermobbing als generelles Mobbingproblem in einem Land eingestuft werden muss, und weniger als eine bloße Konsequenz der Internet- und Mobiltelefonnutzung interpretiert werden darf.

Österreich liegt in einer Studie, die vom Europä-ischen Safer Internet Programm finanziert und 2010 durchgeführt wurde, hinsichtlich der (Cyber-)opfer-Ra-ten über dem europäischen Durchschnitt (Livingstone, Haddon, Görzig & Ólafsson: 2011), und zwar im oberen Drittel aller befragten Länder: 28 Prozent der Kinder wurden im Zeitraum von 12 Monaten zumindest manch-mal gemobbt (online und traditionell), 7 Prozent wer-den nur online gemobbt. Diese hohen Raten sind nicht überraschend, da Österreich auch in anderen länderver-gleichenden Studien durch sehr hohen Mobbingraten aufgefallen ist (Craig & Harel: 2004; Currie et al.: 2012).

Eine Metaanalyse zeigt, welche Probleme Cyberop-fer und CybertäterInnen haben (Kowalski, Giumetti, Schroeder & Lattanner: 2014). In der Studie werden Zusammenhänge von Cybermobbing, beziehungswei-se Cyberviktimisierung mit verschiedenen Risiko- und Schutzfaktoren sowie möglichen Konsequenzen darge-stellt. Kinder und Jugendliche, die vermehrt Erfahrun-gen als Cyberopfer machen, weisen höhere Werte in De-pression, Angst, Einsamkeit, emotionalen Problemen, Stress und suizidalen Gedanken auf. Des Weiteren ha-ben Jugendliche mit Cybermobbingerfahrungen einen niedrigeren Selbstwert und eine niedrigere Lebenszu-friedenheit. Zudem haben Cyberopfer auch eher körper-liche Symptome, zeigen Verhaltensprobleme und neigen eher zu Drogen- und Alkoholkonsum. Aber auch Kinder und Jugendliche, die vermehrt als Cybertäter/Innen agieren, weisen entsprechend höhere Werte in Depres-sion, Angst, Einsamkeit und Drogenkonsum auf und haben – wie die Opfer – einen niedrigeren Selbstwert und weisen geringere Lebenszufriedenheit und Schul-leistung auf. Die Forschung zu Cybermobbing postuliert eine multifaktorielle Verursachung: Das Risiko steigt mit entsprechend negativen Entwicklungskontexten in Familie, Schule, Gemeinde, aber auch bei Gleichaltrigen (Gradinger, Yanagida & Strohmeier: 2014).

Um gegen Cybermobbing bei Kindern und Jugend-lichen vorzugehen, ist es notwendig, in einem ersten

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Schritt präventiv zu arbeiten (Primärprävention), um Anlassfälle zu verhindern und die damit verbundene Sekundär- und Tertiärprävention zu verringern. Gene-rell können zwei Strategien für Schulen unterschieden werden: einerseits der Einsatz genereller Anti-Mobbing-Programme wie z. B. „WiSK“ (Strohmeier & Spiel: 2016)2 und „KiVa“ (Salmivalli & Poskiparta, 2012)3, anderer-seits der Einsatz spezifischer primärpräventiver Anti-Cybermobbing-Programme wie z. B. „Medienhelden“ (Schultze-Krumbholz, Zagorscak, Scheithauer & Sieben-brock, 2012) und „Surf-Fair“ (Pieschl & Porsch, 2012).

Eine aktuelle Metaanalyse zur Wirksamkeit von pri-märpräventiven Anti-Mobbing-Programmen hat ge-zeigt, dass solche Maßnahmen generell wirkungsvoll sind. Die Täterraten sind um 20 bis 23 Prozent und die Opferraten um 17 bis 20 Prozent zurückgegangen (Fox, Farrington & Ttofi, 2012; Ttofi & Farrington, 2011). Ähn-liche Ergebnisse weisen auch österreichische Evaluati-onsstudien auf, die im Rahmen der nationalen Strategie „Gemeinsam gegen Gewalt“ (Spiel & Strohmeier, 2011) durchgeführt wurden (Gradinger, Yanagida & Strohmei-er, 2014; Gradinger, Yanagida, Strohmeier & Spiel, 2014).

Internationale Forschungsnetzwerke weisen darauf hin, dass ein ganzheitlicher Ansatz notwendig ist: Es ist Aufgabe einer entsprechenden Medienerziehung, dass sowohl Kinder und Jugendliche, aber auch Lehrperso-nen, Schulen, Eltern und die (Bildungs-)Politik in die entsprechenden Präventionsmaßnahmen einbezogen werden (EU Kids Online: 2014; Välimäki et al.: 2012). In-zwischen gibt es einige Länder, denen Gewaltprävention (darunter auch Mobbing mittels neuer Medien) ein na-tionales strategisches Anliegen ist. Österreich hatte mit der Nationalen Strategie zur Gewaltprävention (Spiel & Strohmeier: 2011) primär eine Vorreiterrolle inne. Diese nationale Strategie wurde jedoch seit 2014 kontinuierlich zurückgefahren, obwohl Österreich in internationalen Vergleichsstudien regelmäßig unter den Top- Ten-Län-dern mit den höchsten Mobbingraten unter Jugendli-chen zu finden ist.

Laut einer europaweiten internationalen Vergleichs-studie zum Verhalten von Jugendlichen im Internet wäre es wünschenswert, folgende politische Maßnahmen auf nationaler Ebene zu setzen (EU Kids Online: 2014):• die Koordinierung aller Stakeholder und die Sicher-

stellung einer umfassenden Beteiligungsrate aller Stakeholder, um ein sichereres Internet zu erreichen;

• die Beurteilung und Anpassung der notwendigen ge-setzlichen Rahmenbedingungen;

• die Unterstützung von Sicherheitsmaßnahmen in tra-ditionellen und Onlinemedien;

• digitale Inklusion aller Bürgerinnen und Bürger, wie auch die Unterstützung benachteiligter Eltern und Haushalte;

• die Förderung sicherer und positiver Internetinhalte durch Radio, Internet und Fernsehen.Während in Österreich die gesetzlichen Bestimmun-

gen zur Bestrafung von Cybermobbing inzwischen recht gut ausgebaut sind – beispielsweise gibt es seit 1. Jänner 2016 eine strafrechtliche Bestimmung gegen fortgesetzte Belästigungen im Wege einer Telekommunikation oder

eines Computersystems (§ 107c Strafgesetzbuch) – so mangelt es leider an strategischen Unterstützungen, Kompetenzförderungen und Präventionsmaßnah-men, bevor eine Cybermobbing-( Straf-)Tat überhaupt eintritt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es wichtig wäre, dass die österreichische Gewaltpräventionsstra-tegie für Kindergärten und Schulen wieder reaktiviert wird. Die Strategie beinhaltete bereits zentrale Elemente der internationalen Empfehlungen, wie beispielsweise die Inklusion aller Stakeholder, die Nutzung evidenz-basierter Präventionsmaßnahmen sowie die Aus- und Weiterbildung der Stakeholder. In internationalen For-schungsnetzwerken ist man sich einig, dass auch Prob-leme mit neuen Medien am besten gesamtgesellschaft-lich beantwortet werden sollten, indem alle relevanten Interessengruppen (Stakeholder) an Lösungsansätzen beteiligt werden, d. h. dass sowohl Kindern und Jugend-lichen, aber auch Lehrpersonen, Schulen, Eltern und externen Fachleuten in dieser bildungspolitischen Frage eine wichtige Rolle zukommt (EU Kids Online: 2014; Välimäki et al.: 2012). Da die meisten Kinder vor allem auch auf traditionellem Weg Gewalt ausüben bezie-hungsweise mobben, sind Maßnahmen gegen Cyberm-obbing allein, d. h. ohne systematische Förderung posi-tiver sozialer Kompetenzen, jedoch zu kurz gedacht. Es ist daher wichtig, dass medienethische Kompetenzen im Umgang mit neuen Medien neben generellen sozialen Kompetenzen systematisch in die Aus- und Weiterbil-dung von Lehrpersonen und externen Expertinnen und Experten wie beispielsweise Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern integriert werden.

2.2.2. NEUROWISSENSCHAFTLICHE ERKENNTNISSE ZUR DIGITALEN MEDIENNUTZUNG

Im Zuge der Überlegungen einer mediendidaktischen Ausbildung von Lehrkräften sind neurowissenschaftli-che Studien über mögliche Effekte der digitalen Medi-ennutzung wichtig für die hier vorgelegte Argumentati-onskette. Dies ist auch bedeutsam vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion über den Schaden und den Nutzen von digitalen Medien auf die Hirnentwicklung. Die These von Spitzer (2014), nach der starke Compu-ternutzung zur digitalen Demenz führen kann, hat viele Eltern, LehrerI nnen und ErzieherI nnen verunsichert. Was ist davon aber zu halten? Was geschieht eigentlich genau mit dem (jugendlichen) Gehirn bei einer intensi-ven Computer- beziehungsweise Internetnutzung?

Zunächst ist festzuhalten, dass sich bei allen mensch-lichen Tätigkeiten, die intensiv betrieben werden, das Gehirn verändert. Selbst wenn diese eingeübten Tätig-keiten lange nicht mehr ausgeübt werden, behält das Gehirn eine strukturelle Erinnerung an diese Tätigkeiten bei (Hofer, Mrsic-Flogel, Bonhoeffer & Hubener: 2009; siehe auch Bavelier, Green, Pouget & Schrater: 2012).

Eine Internetnutzung verändert aber nicht nur den Gedächtnisspeicher, sondern auch Gehirngebiete, die mit strategischem Denken, logischen Analysen und dem Treffen von Entscheidungen in Verbindung ge-bracht werden. Im Rahmen eines Experiments konnte

2 Förderung von sozialer und interkultureller Kompetenz in der Schule. Verfügbar unter: http://wisk.psychologie.univie.ac.at/ home/ [ 16.12.2015]. Siehe: http://www.kivaprogram.net/ [ 16.12.2015].

3 Siehe http://www.kivaprogram.net/ [01.12.2016].

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gezeigt werden, dass schon nach fünf Tagen intensiver Beschäftigung mit dem Internet Anpassungsprozesse in den Stirnlappengebieten der Großhirnrinde stattfinden (Small: 2009; Small, Moody, Siddarth & Bookheimer: 2009). Diese kurze Zeit reichte aus, um die Aktivitäts-muster der ehemaligen AnfängerI nnen an die Aktivi-tätsmuster, die bei erfahrenen Nutzerinnen und Nut-zern beobachtet wurden, anzugleichen.

Bei diesen Veränderungen handelte es sich nicht bloß um Auswirkungen auf das Gedächtnis, sondern auf übergeordnete Großhirnareale. Bereiche, die zu ei-nem Netz von Stirnlappenarealen gehören, die Einfluss darauf nehmen, wie wir Probleme lösen, wie wir Emoti-onen kontrollieren und erkennen, wie lange wir Beloh-nungen aufschieben können, worauf wir uns wie lange konzentrieren können und welche langfristigen Ziele wir verfolgen.

So konnte gezeigt werden, dass die analytische Fä-higkeit, ebenso wie die Geschwindigkeit der Bildverar-beitung im Gehirn und die Fähigkeit zum Multitasking verbessert wird, wenn das Internet von geübten Nutze-rinnen und Nutzern benutzt wird. Die intensive Beschäf-tigung mit dem Internet begünstigt außerdem die Fähig-keit, schnell Bildmuster zu erkennen und darüber hinaus trainiert das Bewegen der Maus die Kopplung zwischen Auge und Hand.

Allerdings gibt es auch Aktivitätsmuster, die prob-lematisch sind. Hier soll insbesondere die Tendenz zu Multitasking erwähnt werden, die im Zusammenhang mit Computerarbeit häufig vorkommt. Gemeint ist die Fähigkeit unseres Arbeitsgedächtnisses, parallel Proble-me zu bearbeiten (Christakis, Zimmerman, DiGiuseppe & McCarty: 2004; McNab & Klingberg: 2008; Olesen, Westerberg & Klingberg: 2004).

Nun häufen sich aber gerade die Evidenzen, dass Ju-gendliche, die sehr erfahren im Umgang mit dem Com-puter sind, auf Multitasking konditioniert sind, und dass sie sich sogar ganz bewusst eine Umgebung schaffen, die es ihnen ständig erlaubt, Aufgaben parallel zu erledigen. Die Folgen sind durchwegs negativ: Die Fehleranfällig-keit steigt (schnell ist eben noch nicht korrekt), die Kon-zentrationsspannen werden verkürzt und die Suche nach schneller Belohnung nimmt zu, womit die Fähigkeit, Bedürfnisse für höhere Ziele aufzugeben, abnimmt. Vor allem steigt die Suchtgefahr enorm (Ha et al.: 2006; Yen, Ko, Yen, Wu & Yang: 2007). Dies bedeutet, dass zur Me-dienausbildung in der Schule neben den Gefahren des Cybermobbings auch auf Suchtgefahren und moderate Formen der Abhängigkeit hingewiesen werden sollte.

Eine differenzierte Sichtweise der Veränderungen, die das Internet in unseren Köpfen bewirkt, ergibt, dass moderne Medien in der Tat nicht unsere Denkfähig-keit einschränken – wie in vielen öffentlichen Diskus-sionen immer zu lesen ist (siehe z. B. Spitzer: 2014) –, sondern in bestimmter Beziehung unsere Intelligenz sogar eröhen, unsere Mustererkennungsfähigkeit und unser analytisches Denken steigern können. Vor wissen-schaftlichen Schnellschüssen, wie sie Spitzer (2014) vor-nimmt, muss daher gewarnt werden. Die Erforschung der neurobiologischen Konsequenzen moderner Medien

und der Gewohnheiten der Mediennutzung fangen ge-rade erst an und die ersten wissenschaftlichen Studien, die veröffentlicht wurden, sind zum Teil uneinheitlich, manchmal sogar widersprüchlich. Weitere Forschung ist daher notwendig.4

Zusammenfassend zeigt sich also, dass es nicht die Beschäftigung mit den digitalen Medien per se ist, die problematisch ist, sondern dass wir Gefahr laufen, die-se neuen Medien nicht optimal zu nutzen. Hier muss mediale Ausbildung ansetzen – zunächst über die Aus-bildung von Lehrenden in Fragen der digitalen Medien-nutzung, dann aber auch in der intelligenten Nutzung dieser Medien durch die (Lernenden) selbst. //

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4 Für eine aktuelle und vorurteilsfreie Zusammenfassung des neurowissenschaftlichen Kenntnisstands siehe Greenfield (2015).

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Digitale und Medienkompetenz: ein Aktionsplan

Schwerpunkt

Renee Hobbs1 Die Zeit ist reif, digitale und Medienkompetenz in den Mainstream amerikanischer Kommunen zu bringen. Die Menschen brauchen die Fähigkeit, auf die Flut an Nachrichten, die sie versenden und empfangen, zu-greifen, diese analysieren und kritisch überdenken zu können. Nur so gelingt es ihnen, fundierte Entscheidun-gen zu alltäglichen Problemen und Fragen hinsichtlich Gesundheit, Arbeit, Politik und Freizeit zu treffen. Der Großteil aller amerikanischen Familien lebt in Haushal-ten, die „ständig online“ sind, mit mehr als 500 TV-Kanä-len, Breitband-Internet-Zugang und Mobiltelefonen, die Interaktion durch kurze Berührung des Bildschirms er-lauben. Im Zeitalter der Informationsüberflutung muss der Mensch seine knappe Ressource „Aufmerksamkeit“ auf qualitätsvolle, hochwertige und für sein Leben rele-vante Nachrichten verteilen.

Heutzutage beinhaltet die volle Teilnahme an der Gegenwartskultur nicht nur das Konsumieren von Nachrichten, sondern auch das Erstellen und Teilen der-selben. Um das Versprechen der digitalen Staatsbürger-schaft erfüllen zu können, müssen die Amerikaner und Amerikanerinnen multimediale Kommunikationskom-petenz erlangen, darunter die Fähigkeit, Nachrichten zu erstellen mit Hilfe von Sprache, grafischer Gestaltung, Bildern und Ton. Sie benötigen das Wissen, wie man die-se Fähigkeiten nutzen kann, um am bürgerschaftlichen Leben in ihrer Gemeinschaft teilhaben zu können. Die-se Kompetenzen müssen im formalen Bildungssystem entwickelt werden, besonders im primären und sekun-dären Bildungsbereich sowie in der Hochschulbildung, aber auch in der informellen Bildung. Die Einbindung von digitaler und Medienkompetenz in die formale Bil-dung kann Brücken über digitale Gräben und kulturelle Enklaven schlagen; ein Weg, um Lernern und Lernerin-nen Energie zu verleihen und Verbindungen zwischen Fachbereichen herzustellen, sowie ein Mittel für mehr Gleichberechtigung in digitalen Umgebungen.Dieser Bericht bietet einen Aktionsplan dazu, wie mit Hilfe einer kommunalen Bildungsbewegung die Ausbil-dung in digitaler und Medienkompetenz in den forma-len und informellen Bildungsbereich integriert werden

kann. Diese Arbeit wird von der aktiven Unterstützung vieler Akteure und Akteurinnen abhängen: Entschei-dungsträger im Bildungswesen auf lokaler, bundesstaat-licher und Bundesebene; Kuratoren und Kuratorinnen in öffentlichen Bibliotheken; führende Persönlichkeiten in kommunalen Organisationen; Staats- und Bundes-beamte; Vertreter und Vertreterinnen der Wirtschaft; führende Persönlichkeiten in der Medien- und Techno-logiebranche sowie Stiftungen. Es braucht die Energie und Vorstellungskraft jener Leute, die erkennen, dass die Zeit reif ist für die verstärkte Ausbildung in digitaler und Medienkompetenz – und zwar für alle Bürger und Bür-gerinnen unserer Nation, ungeachtet ihres Alters.

In diesem Bericht definieren wir digitale und Medi-enkompetenz als eine Konstellation an Lebenskompe-tenzen, die nötig sind, um an unserer medial gesättigten und informationslastigen Gesellschaft voll teilhaben zu können. Diese Kompetenzen umfassen die folgenden Fähigkeiten:• Ich kann eine verantwortungsvolle Auswahl treffen

und auf Information zugreifen, indem ich Materiali-en lokalisiere und teile sowie Informationen und Ide-en verstehe.

• Ich kann Nachrichten in unterschiedlichsten Formen analysieren, indem ich den Autor bzw. die Autorin, den Zweck und Standpunkt identifiziere und Qualität und Glaubwürdigkeit des Inhalts beurteile.

• Ich kann Inhalte in unterschiedlichster Form unter Verwendung von Sprache, Bildern, Ton und neuen digitalen Werkzeugen und Technologien erschaffen.

• Ich kann meine eigene Haltung und mein eigenes Kommunikationsverhalten reflektieren, indem ich soziale Verantwortung ausübe und ethische Grund-sätze anwende.

• Ich kann soziale Handlungen ausführen, indem ich individuell oder gemeinschaftlich arbeite, um Wissen zu teilen und Probleme in der Familie, am Arbeits-platz und in der Kommune zu lösen, und ich nehme als Mitglied einer Gemeinschaft aktiv an dieser teil. Besagte digitale und Medienkompetenzen stellen

Kernkompetenzen von Bürgern und Bürgerinnen im digitalen Zeitalter dar, die von enormem praktischem Wert sind. Um sich online für Jobs bewerben zu können, müssen Menschen imstande sein, relevante Informatio-nen zu finden. Um relevante Gesundheitsinformationen zu erhalten, müssen Menschen imstande sein, zwischen einem Marketingtrick für Nahrungsergänzungsmit-tel und solider, wissenschaftlich belegter Information

1 Excerpt from a white paper associated with the Knight Commission on the Information Needs of Communities in a Democracy, a blue-ribbon panel of 17 media, policy and community leaders. Its purpose was to assess the information needs of communities, and recommend measures to help Americans better meet those needs. Übersetzung: Andrea Kraus Übersetzungsbüro, Graz Quelle: Hobbs, R. (2010). Digital and Media Literacy: A Plan of Action. Washington, D.C.: John S. and James L. Knight Foundation and Aspen Institute. http://www.knightfoundation.org/reports/digital-and-media-literacy-plan-action [24.10.2016].

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unterscheiden zu können. Um Online-Bildungsange-bote nutzen zu können, müssen Menschen ein gutes Verständnis dafür haben, wie Wissen konstruiert wird, wie es die Realität widerspiegelt und einen Standpunkt beinhaltet. Damit Menschen sozial handeln und ernst-haft an bürgerschaftlichen Aktivitäten zur Verbesserung ihrer Gemeinschaft teilnehmen können, müssen sie ein Gefühl der Selbstermächtigung (Empowerment) spüren, das wiederum von gemeinsamer Problemlösungsarbeit herrührt.

Es gibt eine zunehmende Dynamik, digitale und Me-dienkompetenz in die Bildung zu integrieren. Der Tech-nologieplan 2010 des US-Bildungsministeriums mit dem Titel „Transforming American Education: Learning Po-wered by Technology“ hält fest: „Ganz gleich, ob es sich um die englische Sprache, um Mathematik, Naturwis-senschaft, Sozialkunde, Geschichte, Kunst oder Musik handelt – Kompetenzen und Fachwissen des 21. Jahrhun-derts, wie z. B. kritisches Denken, komplexe Problemlö-sung, Zusammenarbeit und multimediale Kommunika-tion, sollten in alle Inhaltsbereiche eingewoben werden. Diese Kompetenzen sind notwendig, um aus uns allen fachkundige Lerner und Lernerinnen zu machen – und die müssen wir auch sein, wollen wir uns im Lauf unse-res Lebens an die sich rasant verändernde Welt anpassen. Das beinhaltet weiters die Entwicklung eines tiefen Ver-ständnisses innerhalb bestimmter Inhaltsbereiche und das Herstellen von Verbindungen zwischen diesen.“ (S. vi; deutsche Übersetzung des Originalwortlautes).

Senator Jay Rockefeller (D-WV) verabschiedete ei-nen Gesetzesentwurf, den „21st Century Skills Incentive Fund Act“, der die Zahlung von sogenannten Matching-Funds vom Bund an jene Bundesstaaten vorsieht, die für Studierende Möglichkeiten zur Erlangung von In-formations- und Medienkompetenz im Lehrplan eröff-nen. Laut Entwurf „müssen Studierende über das bloße Erlernen des heutigen akademischen Kontextes hinaus die Fähigkeit zu kritischem Denken und zur Problem-lösung entwickeln sowie Fähigkeiten in den Bereichen Kommunikation, Kreativität und Innovation, Koopera-tion, kontextuelles Lernen und Informations- und Me-dienkompetenz“ (S. 1029, 2009; deutsche Übersetzung des Originalwortlautes). Bei seiner Verabschiedung würde das Gesetz 100 Millionen US-Dollar pro Jahr an jene Bundesstaaten zuweisen, die einen umfassenden Plan zur Einführung einer Initiative zur Förderung der Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts innerhalb des Bun-desstaates sowie eine komplementäre Finanzierung vorweisen können. In ähnlicher Weise sponserten die Kongressabgeordneten Tammy Baldwin (D-WI) und Shelley Moore Capito (R-WV) den „Healthy Media for Youth Act“ (H.R.4925), der 40 Millionen US-Dollar zur Förderung von Medienkompetenz-Programmen für Kinder und Jugendliche vorsieht. Doch so bedeutend diese Bemühungen auf rechtlicher Ebene auch sein mö-gen, sie werden nicht ausreichen, auch nicht im Fall ihrer Verabschiedung.

Im Zentrum dieser Dynamik steht die Erkenntnis, dass wir die Menschen in ihrer Fähigkeit unterstützen müssen, sich selbst und ihre Familien zu ermächtigen

und zu beschützen, während unseren Alltag ein immer dichteres Netz an Informationen durchzieht. Wie der Philosoph John Dewey verdeutlichte, entsteht wahre Bil-dung aus der wohldurchdachten Sondierung der echten Probleme, die uns im Alltag begegnen. Die Informati-onsbedürfnisse sind sowohl persönlicher als auch bür-gerschaftlicher Natur (Knight Commission: 2009). Von der digitalen und Medienkompetenz erwarten wir uns Hilfe bei der tiefer gehenden Beschäftigung mit Ideen und Informationen, um Entscheidungen treffen und am kulturellen Leben teilhaben zu können.

Selbstermächtigung und Schutz sollten wir nicht als ein Entweder-oder sehen, sondern als zwei Seiten der-selben Medaille. Da Massenmedien, Populärkultur und digitale Technologien zur Prägung der Einstellungen, Verhaltensweisen und Werthaltungen der Menschen beitragen – nicht nur in der Kindheit, sondern im Lau-fe des ganzen Lebens – besteht ein öffentliches Interesse daran, sich mit den potenziellen Gefahren zu befassen. Kinder und Jugendliche benötigen für ihre gesunde Ent-wicklung Privatsphäre sowie physische und psychische Sicherheit und sie dürfen weder anstößigen, beunruhi-genden noch unangemessenen Materialien ausgesetzt werden. Gleichzeitig können Medien und Technologi-en Individuen und Gruppen auch Selbstermächtigung geben. Menschen ziehen großen persönlichen, sozialen und kulturellen Nutzen daraus, wenn sie weise Entschei-dungen zu Informationen und Unterhaltung treffen, di-gitale Werkzeuge zum Selbstausdruck und zur Kommu-nikation verwenden und zusammen mit Leuten aus ihrer Nachbarschaft und der ganzen Welt an Online-Gemein-schaften teilnehmen, die sich gegenseitig zu gemeinsa-men Interessen und Sorgen austauschen.

Um die digitale Staatsbürgerschaft zu stärken und digitale und Medienkompetenz als Teil des regulä-ren Bildungssystems in den Vereinigten Staaten zu

Der in diesem Bericht verwendete Begriff „digitale und Medienkompetenz“ umfasst die volle Band-breite der kognitiven, emotionalen und sozialen Kompetenzen, einschließlich der Verwendung von Texten, Werkzeugen und Technologien, der Fähigkeit zu kritischem Denken und Analysieren, des Verfassens einer Nachricht und der Anwen-dung von Kreativität, der Fähigkeit zur Refle-xion und ethischem Denken sowie der aktiven Beteiligung durch Teamwork und Zusammenar-beit. Wenn Menschen über digitale und Medien-kompetenz verfügen, erkennen sie persönliche, Unternehmens- und politische Agenden und sind befähigt, im Namen der fehlenden Stimmen und Perspektiven in unseren Kommunen ihre Meinung kundzutun. Indem sie Probleme erkennen und zu lösen versuchen, verwenden Menschen ihre gewichtigen Stimmen und gesetzlichen Rechte, um die Welt um sie herum besser zu machen.

Quelle: Hobbs 2010, S. 17

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etablieren, wird eine Reihe von wichtigen kleinen und großen Schritten nötig sein. Dieser Bericht enthält einen Aktionsplan mit zehn Empfehlungen für lokale, regi-onale, bundesstaatliche und nationale Initiativen, die auf folgende Themenbereiche ausgerichtet sind: kom-munale Aktivitäten, Lehrerausbildung, Forschung und Evaluierung, „parent outreach“-Programme, nationale Sichtbarkeit und Einbeziehung der beteiligten Akteure und Akteurinnen. Diese Handlungsschritte bewirken weit mehr, als die digitale und Medienkompetenz in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Jeder Schritt bietet spezielle und konkrete Programme und Services, die den unterschiedlichen Bedürfnissen unserer jungen und äl-teren Bürgerinnen und Bürger gerecht werden. Sie bau-en Kapazitäten für digitale und Medienkompetenz auf und ebnen den Weg für eine erfolgreiche kommunale Bildungsbewegung.

UNTERSTÜTZUNG VON INITIATIVEN ZUR DIGITALEN UND MEDIENKOMPETENZ AUF KOMMUNALER EBENE1. Bestehende kommunaler Ressourcen werden erho-

ben und kleinere Zuschüsse werden angeboten, um Partnerschaften auf kommunaler Ebene zu fördern und digitale und Medienkompetenz in bestehende Programme aufzunehmen.

2. Unterstützung eines nationalen Netzwerkes an Lern-programmen im Sommer, um digitale und Medien-kompetenz in öffentlichen Charter Schools einzubin-den.

3. Unterstützung eines „Digital and Media Literacy (DML) Youth Corps“, um digitale und Medienkompe-tenz in unterversorgte Gemeinschaften und spezielle Bevölkerungsgruppen mit Hilfe von Bibliotheken, Museen und anderen kommunalen Einrichtungen einzubringen.

ENTWICKLUNG VON PARTNERSCHAFTEN IN DER LEHRERAUSBILDUNG 4. Unterstützung des interdisziplinären Brückenschlags

in der Hochschulbildung, um Kernprinzipien der Ausbildung in digitaler und Medienkompetenz in Vorbereitungsprogramme für Lehrer und Lehrerin-nen aufzunehmen.

5. Entwicklung von Stadtteil-Initiativen zur Förderung digitaler und Medienkompetenz im primären und se-kundären Bildungsbereich mit Hilfe von kommuna-len und Medienpartnerschaften.

6. Partnerschaften mit Medien- und Technologieunter-nehmen, um lokale und nationale Medien umfassen-der in die Bildungsprogramme einzubringen und da-durch bürgerschaftliches Engagement zu fördern.

FORSCHUNG UND EVALUIERUNG7. Entwicklung von Online-Maßnahmen zur digitalen

und Medienkompetenz, um Lernerfolge evaluie-ren zu können, Online-Videodokumentationen von Lehrstrategien zu digitaler und Medienkompetenz zu entwickeln und um Fachwissen in der Lehrerausbil-dung aufzubauen.

„PARENT OUTREACH“-PROGRAMME, NATIONALE SICHTBARKEIT UND EINBEZIEHUNG DER BETEILIGTEN AKTEURE UND AKTEURINNEN 8. Einbeziehung der Kreativen der Unterhaltungsin-

dustrie in eine unterhaltsame Bildungsinitiative, um die Sichtbarkeit zu erhöhen und gemeinsame gesell-schaftliche Normen zu entwickeln, die das ethische Verhalten bei der Online-Verwendung von Social Media betreffen.

9. Abhaltung eines Wettbewerbs zur Erstellung öffent-licher (medialer) Beiträge von Jugendlichen, um die Sichtbarkeit der Ausbildung in digitaler und Medien-kompetenz zu erhöhen.

10. Unterstützung einer jährlichen Konferenz und eines Wettbewerbs mit pädagogischen Vorzeigeprojekten in Washington, D.C., um die nationale Führungsrolle in digitaler und Medienkompetenz auszubauen.

Heutzutage kämpfen wir alle mit den Herausforderun-gen, die ein Zuviel an Informationen mit sich bringen. So suchen zum Beispiel Millionen von Menschen jeden Tag online nach Gesundheitsinformationen. Eine Um-frage hat ergeben, dass 75 Prozent dieser Suchenden nicht auf die Qualität der gefundenen Informationen achten, und 25 Prozent gaben an, dass sie die Sucher-gebnisse frustrierten, verwirrten oder überforderten (Fox: 2006). Der Impuls, sich mit dem Problem der

WESENTLICHE FÄHIGKEITEN DER DIGITALEN UND MEDIENKOMPETENZ

1. ZUGANG Geschicktes Auffinden und Verwen-den von Medien- und Technologiewerkzeugen und Teilen von angemessenen und relevanten Informationen mit anderen

2. ANALYSE UND BEWERTUNG Verstehen von Nachrichten und kritische Analyse der Nach-richt hinsichtlich Qualität, Wahrheitsgehalt, Glaubwürdigkeit und Standpunkt bei gleichzei-tiger Berücksichtigung möglicher Auswirkun-gen oder Konsequenzen durch die Nachricht

3. ERSCHAFFUNG Verfassen oder Generieren von Inhalten unter Anwendung von Kreativität und Vertrauen in den Selbstausdruck und unter Berücksichtigung des Zweckes, Publikums und Textaufbaus

4. REFLEXION Anwendung sozialer Verantwor-tung und ethischer Grundsätze auf die eigene Identität und Lebenserfahrung, das Kommuni-kationsverhalten und die eigene Haltung

5. HANDELN Individuelle und gemeinschaftliche Arbeit, um Wissen zu teilen und Probleme in der Familie, am Arbeitsplatz und in der Gemein-schaft zu lösen sowie aktive Teilhabe als Mit-glied einer Gemeinschaft auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene

Quelle: Hobbs 2010, S. 19

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Informationsüberflutung auseinanderzusetzen, führt uns zur digitalen und Medienkompetenz. Sie kann bei der Entwicklung jener Fähigkeit helfen, mit der die Menschen die Flut an Daten, die sie zu überrollen droht, bewältigen und bewerten können. Für Bürger und Bürgerinnen einer pluralistischen Demokratie, die sich der Freiheit und Vielfalt verpflichtet fühlen, ist die Entwicklung der folgenden Kompetenzen ent-scheidend:• Nachrichten lesen oder sehen;• einen Brief an den Herausgeber schreiben;• mit der Familie, Mitarbeitern und Freunden über ak-

tuelle Ereignisse sprechen;• einen Online-Nachrichtenbeitrag kommentieren;• bei einem Online-Netzwerk in der Nachbarschaft

mitarbeiten;• die Moderatorin einer lokalen Radio-Talkshow anru-

fen, um die eigene Meinung kundzutun;• an einer Meinungsumfrage teilnehmen;• nach Informationen zu speziellen Themen und Fra-

gen suchen;• die Qualität der gefundenen Informationen beurtei-

len;• Ideen wohlüberlegt teilen;• aktiv an der Gemeinschaft teilhaben.

Menschen können jedoch nicht gezwungen werden, sich am öffentlichen Leben in der Gemeinschaft zu be-teiligen. Sie müssen die Vorteile, die solch ein Engage-ment bringt, selbst erfahren. Aus diesem Grund legt dieser Aktionsplan den Schwerpunkt darauf, Menschen aller Altersstufen nicht nur bei der Anwendung digitaler Werkzeuge zu helfen, sondern ihnen auch die Freuden und Macht näher zu bringen, die sie als gut informierte, engagierte und verantwortungsvolle Konsumenten und Produzenten besitzen.

Die Ausbildung in digitaler und Medienkompetenz bietet die Möglichkeit, die Vorzüge der bestärkenden Eigenschaften der Medien und Technologien zu maxi-mieren, während die negativen Dimensionen minimiert werden können. Der Bericht der Knight Commission, „Informing Communities: Sustaining Democracy in the Digital Age“, erklärt, dass informierte und engagier-te Kommunen Bürger und Bürgerinnen brauchen, die Werte wie Transparenz, Einbindung, Teilhabe, Selbst-ermächtigung und gemeinsames Streben nach Gemein-wohl schätzen.

Dieser Bericht identifiziert jedoch auch einige He-rausforderungen, denen sich ein Aktionsplan stellen muss, um effektiv zu sein. Pädagogen, Lehrplan-Ent-wickler und Entscheidungsträger müssen fünf Heraus-forderungen bei der Implementierung von Programmen zur digitalen und Medienkompetenz berücksichtigen: 1. ein Überschreiten des werkzeug-orientierten Schwer-

punktes und ein Verschmelzen des Zugangs zu Me-dien und Technologien mit geschickter Verwendung der beiden;

2. ein Ansprechen von Risiken, die mit der Medien- und digitalen Technologie verbunden sind;

3. die Ausweitung des Kompetenz-Konzeptes; 4. die Stärkung der Fähigkeit des Menschen, die Glaub-

würdigkeit und Qualität von Nachrichten beurteilen zu können;

5. die Verwendung von Nachrichten und Journalistik im primären und sekundären Bildungsbereich.Bestehende Paradigmen in der technischen Bildung

müssen in Richtung eines Schwerpunktes auf kritisches Denken und Kommunikationsfähigkeiten gelenkt wer-den und wegführen vom ehrfürchtigen Bestaunen neu-er technologischer Werkzeuge. Wir müssen die Balance zwischen Schutz und Selbstermächtigung im Auge be-halten und ernsthaft auf die tatsächlichen Gefahren in der Medien- und digitalen Technologie reagieren. Wir müssen besser verstehen lernen, wie digitale und Medi-enkompetenz mit den Lese- und Schreib-Kompetenzen verbunden sind, und solide neue Ansätze zur Messung von Lernerfolgen entwickeln. Wir müssen Menschen aller Altersstufen dabei helfen, Fertigkeiten zu erlernen, mit denen sie zwischen hochwertiger Information, Mar-ketinghype und lustigem oder gefährlichem Junk-Inhalt unterscheiden können. Wir müssen die Sichtbarkeit und den Status von Nachrichten und aktuellen Ereignissen als kraftvolle, ansprechende Ressourcen sowohl für den primären und sekundären Bildungsbereich als auch für das lebenslange Lernen erhöhen und gleichzeitig die He-rausforderungen anerkennen, denen sich der Journalis-mus heute und in Zukunft stellen muss.

Eine wirksame kommunale Bildungsbewegung braucht eine gemeinsame Vision. Dieser Bericht bietet Empfehlungen, die viele Akteure und Akteurinnen ein-binden und sie alle zum Wohle der gesamten Gemein-schaft teilhaben lassen. //

Referenzen und BibliografieFox, Susannah (2006): Online Health Search 2006. Verfügbar unter:

http://www.pewinternet.org/2006/10/29/online-health-search-2006/[24.10.2016].

Knight Commission on the Information Needs of Communities in a Democracy (2009): Informing communities: Sustaining democracy in the digital age. Washington, D.C.: The Aspen Institute.

U.S. Department of Education, Office of Educational Technology (2010): Transforming American education: Learning powered by technology. Verfügbar unter: https://www.ed.gov/sites/default/files/netp2010.pdf [24.10.2016].

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Wie wollen wir es nennen: Computerkompetenz, Medienkompetenz oder digitale Kompetenz Mit zunehmenden Einzug der Digitalisierung in die Erwachsenenbildung steigt die Bedeutung der damit verbundenen Kompetenzen. Wie aber nennen wir diese speziellen Kompetenzen, die wir für ein digitales Zeitalter beherrschen sollten und was verstehen wir darunter? Noch gibt es dazu eine Vielzahl an Begriffen, wie zum Beispiel Computerkompetenz, Medienkompetenz oder digitale Kompetenz, die je nach Zielausrichtung und Zielgruppe verschieden verwendet und verstanden werden.

Schwerpunkt

Die Auseinandersetzung mit Medien und den notwendigen Kompetenzen, insbeson-dere der digitalen Medien, ist eng mit der europäischen und nationalen Bildungspo-litik verbunden – und bereits hier beginnt die Begriffsverwirrung. In den bildungspo-litischen Dokumenten der Europäischen Union werden die Begriffe scheinbar will-kürlich oder synonym verwendet. Auf der Suche nach Orientierung und Klarheit gehe ich der Frage nach, welche Ordnung hinter den verwendeten Begriffen in den relevan-ten EU-Dokumenten liegt und welches Verständnis den verwendeten Begriffen zu-grunde liegt.

Dieser Artikel stellt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern versucht ein Bild zu zeichnen, das den Zusammenhang zwischen den Begriffen in Bezug zur Er-wachsenenbildung auf zeigt.

LISSABON STRATEGIE 2000–2010Beginnen wir unsere Reise durch den

europäischen Dokumentendschungel im Jahr 2000.

Im Jahr 2000 wurde vom Europäischen Rat die sogenannte Lissabon-Strategie (EU Rat: 2000) verabschiedet, in der für das kom-mende Jahrzehnt das strategische Ziel „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dy-namischsten wissensbasierten Wirtschafts-raum in der Welt zu machen“ (EU Rat: 2000, Art. 5) gesetzt wurde. Unter anderem wurde in dieser Übereinkunft festgehalten, dass in Bildung und Ausbildung investiert werden soll und dass alle BürgerInnen der EU an der Informationsgesellschaft partizipieren können sollen. Eines der genannten Ziele bezieht sich auf Digitalkompetenz, welche unionsweit zu fördern sei (EU Rat: 2000, Art. 26) um sich auf den Bedarf der kom-menden Wissensgesellschaft einzustellen. Konkret wird gefordert, jene neuen Grund-fertigkeiten festzulegen1, welche für lebens-langes Lernen notwendig sind und deshalb vermittelt werden sollen (EU Rat: 2000, Art. 26).

In der Mitteilung der Kommission zur Schaffung eines europäischen Raums des lebenslangen Lernens (EU Kommission:

2001a) bezieht sich einer der sechs Akti-onsschwerpunkte auf die Verbesserung der „Grundqualifikationen für alle – vor allem für Benachteiligte, Schulabbrecher und Erwachsene“ (EU Kommission: 2001a, S. 23). „Die Grundqualifikationen umfas-sen die Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen, Lernen zu lernen und die in den Schlussfolgerungen von Lissabon genann-ten neuen Grundfertigkeiten: IT-Kenntnis-se, Fremdsprachen, Technikwissenschaften, Unternehmergeist und soziale Fähigkeiten“ (EU Kommission: 2001a, 23). Sie sind Vor-aussetzung für die „spätere Weiterbildung und als Grundlage für die persönliche Ent-faltung, die Entwicklung zum aktiven und demokratischen Bürger und die Beschäf-tigungsfähigkeit, vor allem angesichts der Anforderungen der Wissensgesellschaft“ (EU Kommission: 2001a, S. 23). In weiterer Folge wird die Forderung der Verbesserung von digitalen Kompetenzen auf die Ziel-gruppen junge Menschen im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, ausgrenzungsbe-drohte Personen und arbeitslose Personen beschränkt (EU Kommission: 2001a, S. 24).

Im Glossar wird digitale Kompetenz mit Medienkompetenz gleichgesetzt und als „die Fähigkeit, die Informations- und Kom-munikationstechnologien (IKT) erfolgreich einzusetzen“ (EU Kommission: 2001a, S. 33) definiert.

In der Reaktion auf die Lissabon Stra-tegie wurden einige Initiativen ins Leben gerufen, die sich um die Digitalisierung in Europa drehen. Zum Beispiel die Initiative eEuropa 2002 (EU Kommission: 2001b) im Jahr 2001, die sich zum Ziel setzte, die Ent-wicklung der Informationsgesellschaft in Europa zu beschleunigen.

Zur Förderung der Informations- und Kommunikationstechnologien und der Feststellung der Wirksamkeit in den Bil-dungssystemen und der beabsichtigten Anpassung der pädagogischen Ansätze wurde die Initiative eLearning – Gedanken zur Bildung von morgen (EU Kommission: 2001c) ins Leben gerufen.2 Die genannten

1 IT-Fertigkeiten, Fremdsprachen, technologische Kultur, Unternehmergeist und soziale Fähigkeiten.

2 Zur Umsetzung des Aktionsplans wurden die Programme eContent (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=URISERV:l24226d&from=DE [3.8.2016]) zur digitalen Verbreitung öffentlicher Informationen, und GoDigital (http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52001DC0136&from=DE [3.8.2016]) zur Unterstützung von Klein- und Mittelbetrieben erstellt.

Gaby Filzmoser

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Schwerpunkt Digitale Kompetenz & Medienkompetenz

Aktionen in der Aktionslinie Berufsbildung beziehen sich auf die Nutzung und Ermitt-lung der neuen Grundfertigkeiten, die für eLearning erforderlich sind (EU Kommissi-on: 2001c, S. 13). Das Feld dieser Grundfer-tigkeiten, die für ein Leben und Arbeiten in der Wissensgesellschaft und für eine aktive Teilhabe daran notwendig sind, umfassen technische, geistige und soziale Fertigkeiten und reichen weit über eine „digitale Kultur“ hinaus. Das eLearning-Programm führte im Jahr 2003 zu einem Beschluss des Europä-ischen Parlaments und des Rates über ein Mehrjahresprogramm (2004–2006) für die wirksame Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in Europa (Programm „eLearning“).

Erst mit dem Folgeprojekt eEurope 2005 (EU Kommission: 2002) wurden digitale Kompetenzen für Erwachsene konkret er-wähnt und in den Aktionsplan aufgenom-men. Ziel dieses Projekts war eine Analyse „des Angebots an und der Nachfrage nach digitaler Kompetenz in Europa“ bzw. die De-finition einer europaweit gültigen Definiti-on der digitalen Kompetenz (EU Kommissi-on: 2002, S. 17).

Im Juni 2005 beschloss die Kommission die Initiative: „i2010 – Eine europäische In-formationsgesellschaft für Wachstum und Beschäftigung“ (EU Kommission: 2005). Als eEurope-Nachfolger stellt die i2010-Initiative eine umfassende Strategie für den Einsatz sämtlicher Instrumente der EU-Politik zur Förderung der Entwicklung der digitalen Wirtschaft dar (EU Kommission 2005, 4). Mit dem Ziel der digitalen Integra-tion wird in dieser Initiative auch auf die Be-deutung der digitalen Kompetenzen verwie-sen, die allen BürgerInnen zu Gute kommen sollen, auch jenen die in zurückgebliebenen Regionen – aus wirtschaftlicher, sozialer, ethischer und politischer Sicht – leben (EU Kommission: 2005, S. 11).

EUROPA 2020Die Lissabon-Strategie war für zehn Jah-

re konzipiert und wurde im Jahr 2010 mit der Nachfolgestrategie Europa 2020 (EU Kommission: 2010a) zum Aufbau eines „in-telligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums“ aktualisiert und für weitere zehn Jahre fortgesetzt (EU Kommission: 2010a). Alle nachfolgenden EU-Erklärun-gen und Mitteilungen nehmen Bezug auf dieses Hauptziel.

Als eine der sieben Leitinitiativen der Europa 2020-Strategie wurde die Digita-le Agenda für Europa (EU Kommission:

2010b) von der Europäischen Kommission festgelegt (EU Kommission: 2010b). Ihr Ziel ist es „aus einem digitalen Binnenmarkt, der auf einem schnellen bis extrem schnellen Internet und interoperablen Anwendungen beruht, einen nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen zu ziehen“ (EU Kom-mission: 2010b, S. 3). Mit diesem Ziel im Hintergrund wurden Vorschläge für Maß-nahmen genannt, um die Rolle der Informa-tions- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu definieren. Einer dieser Vorschläge ist die Verbesserung der digitalen Kompeten-zen, Qualifikationen und Integration, um zur Teilhabe und Gleichberechtigung, unab-hängig der sozialen Herkunft oder des Wis-senstandes, im digitalen Zeitalter zu befähi-gen (EU Kommission: 2010b, S. 29). In Rückbezug auf die definierten Schlüs-selkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen (Europäische Union: 2006) wird Computerkompetenz3 als eine der acht Schlüsselkompetenzen4 in einer wissensbe-stimmten Gesellschaft gesehen.

Computerkompetenz umfasst in diesem Dokument „die sichere und kritische An-wendung der Technologien der Informa-tionsgesellschaft (TIG) für Arbeit, Freizeit und Kommunikation“ (Europäische Union: 2006, Art. 4). Gemeint ist damit ein solides Grundverständnis und Grundkenntnisse im Umgang mit Informationen, wie die Nut-zung von Computer, die Kommunikation mit dem Internet und die Teilnahme an Ko-operationsnetzwerken im privaten und ge-sellschaftlichen Leben als auch am Arbeits-platz. Inkludiert ist in diesem Verständnis nicht nur der Umgang mit der Hard-und Software, sondern auch das „Verständnis der Chancen und potentiellen Gefahren, die das Internet und die Kommunikation über elektronische Medien (E-Mail, Netzanwen-dungen) für Arbeit, Freizeit, Informations-austausch und Kooperationsnetze, Lernen und Forschung bieten“ (Europäische Union: 2006, Art. 4). Darüber hinaus wird auch das Bewusstsein über die Möglichkeiten der kri-tischen, kreativen und innovativen Poten-ziale der Technologienutzung, die Gültig-keit und Verlässlichkeit der Informationen sowie rechtliche und ethische Faktoren, die mit der Anwendung verbunden sind, ange-sprochen. Entsprechend dieser Definition geht man davon aus, dass für die Nutzung und Teilnahme an der Technologie- und Informationsgesellschaft „eine kritische und reflektierende Einstellung gegenüber den verfügbaren Informationen und eine verantwortungsvolle Nutzung der interak-tiven Medien“ Voraussetzung sind und dass

diese Kompetenzen das Interesse, „sich in Gemeinschaften und Netzen für kulturelle, soziale und/oder berufliche Zwecke zu enga-gieren“ fördern (Europäische Union: 2006, Art. 4).

Ein weiterer Zugang wird im Europäi-schen Konzept für die Medienkompetenz im digitalen Umfeld (EU Kommission: 2007) beschrieben. Dieses Konzept wird von der Kommission als Baustein für den audiovisuellen Bereich gesehen. Es hat sei-nen Fokus auf Medienwirtschaft gelegt, von der unter anderem erwartet wird, dass sich BerichterstatterInnen an das jeweili-ge Kompetenzniveau der Mitgliedsstaa-ten anpassen. Kritisch betrachtet wird der Mangel an Kriterien oder Normen sowie an bewährten Verfahren für die Bewertung der Medienkompetenz. Daher sieht die Kom-mission eine dringende Notwendigkeit, großangelegte, längerfristige Forschungsar-beiten über neue Bewertungskriterien und neue vorbildliche Verfahren in Angriff zu nehmen.“ (EU Kommission: 2007, S. 5).

Letztlich ist dieses Dokument eine weite-re Bereitschaftserklärung zu Förderung von einschlägigen Initiativen und zur weiteren Analyse von Medienkompetenz.

Aufbauend auf das „Europäische Kon-zept für die Medienkompetenz im digi-talen Umfeld“ (EU Kommission: 2007) und den „Schlussfolgerungen zur Me-dienkompetenz“ (2008)5 erarbeitete die Europäische Kommission parallel zu den wirtschaftspolitischen Vorschlägen bildungspolitische Empfehlungen für die Mitgliedsstaaten, die Medienkompetenz in der digitalen Welt (EU Kommission: 2009a) zu fördern. Im Blickfeld dieses Dokuments ist eine wettbewerbsfähige, audiovisuelle Industrie und eine integrative Wissens-gesellschaft (EU Kommission 2009a). De-finiert wird Medienkompetenz in dieser Empfehlung als „die Fähigkeit, die Medien zu nutzen, die verschiedenen Aspekte der

3 Im englischen Original wird anstelle des Begriffs „Com-puterkompetenz“ „digital competence“ verwendet.

4 Der Referenzrahmen umfasst acht Schlüsselkompe-tenzen: 1. Muttersprachliche Kompetenz, 2. Fremd-sprachliche Kompetenz, 3. Mathematische Kompetenz und grundlegende naturwissenschaftlich-technische Kompetenz, 4. Computerkompetenz, 5. Lernkompetenz, 6. Soziale Kompetenz und Bürgerkompetenz, 7. Eigenini-tiative und unternehmerische Kompetenz, 8. Kulturbe-wusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit.

5 Der Bericht ist leider online nicht mehr verfügbar [2.8.2016].

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16 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

Medien und Medieninhalte zu verstehen und kritisch zu bewerten sowie selbst in vielfältigen Kontexten zu kommunizie-ren.6“ Sie wird als „Voraussetzungen für eine aktive, umfassende bürgerschaftliche Teilhabe und für die Vermeidung bzw. Ver-ringerung der Gefahr eines Ausschlusses aus dem gesellschaftlichen Leben gesehen“ (EU Kommission 2009a). Die Empfehlung bezieht sich auf alle vorhandenen Medien, von der Zeitung bis zur virtuellen Gemein-schaft.

In der Mitteilung der Europäischen Kommission „Die Bildung öffnen: Innova-tives Lehren und Lernen für alle mithilfe neuer Technologien und frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien“ (EU Kommis-sion: 2013) wird die Förderung hochwerti-ger, innovativer Lehr- und Lernmethoden mithilfe neuer Technologien und digitaler Inhalte beschrieben. Maßnahmen für offe-nere Lernumgebungen werden vorgeschla-gen, welche die Bildung verbessern und effizienter gestalten sollen.7 (EU Kommis-sion: 2013, S. 2).

Ein weiterer Begriff, der in dem Zusam-menhang mit der Informationsgesellschaft und neuen Technologien verwendet wird, ist IKT-Kompetenz8 (Cedefop: 2014, S. 115). Cedefop bezieht sich in ihrer Definition auf die OECD, die in einem Bericht über IKT-Kompetenzen und Beschäftigung eine ein-fache Systematik zur Klassifizierung dieser Kompetenzen vorschlägt. Unterschieden werden:

professionelle IKT-Kompetenzen: Fähig-keit zum Einsatz hochentwickelter IKT-Instrumente und/oder zur Entwicklung, Reparatur und Erzeugung derartiger In-strumente; anwendungsbezogene IKT-Kompetenzen: Fähigkeit zum Einsatz einfacher IKT-Instrumente in einem regulären Arbeits-umfeld (in Berufen, die nicht dem IT-Be-reich zuzurechnen sind); grundlegende IKT-Kompetenzen oder „IKT-Grundbildung“: Fähigkeit zum Ein-satz von IKT zur Erledigung einfacher Aufgaben oder als Lernmittel.“

(Cedefop: 2014, S. 115).Unter „grundlegenden IKT-Kompeten-

zen“ sind jene Kompetenzen gemeint, „die erforderlich sind, um die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in ih-ren Grundfunktionen wirksam einsetzen zu können, um Informationen abzufragen, zu bewerten, zu speichern, zu produzieren, zu präsentieren und auszutauschen, über das Internet zu kommunizieren und an Ko-operationsnetzen teilzunehmen“ (Cedefop:

2014, S. 35). Betont wird, dass grundlegende IKT Kompetenzen jetzt Teil der Schlüssel-kompetenzen sind (Cedefop: 2014, S. 35).

Die Begriffe „digital competence/digital literacy“ übersetzt Cedefop mit „Compu-terkompetenz/digitale Kompetenz/Medi-enkompetenz“ und setzt die drei Begriffe damit synonym.9 (Cedefop: 2014, S. 59).

AKTUELLE AKTIVITÄTENIn einer Schlussfolgerung des Rates zur

Entwicklung der Medienkompetenz und des kritischen Denkens durch allgemeine und berufliche Bildung (EU Rat: 2016) werden die Mitgliedsstaaten unter anderem ersucht, die „Entwicklung der Medienkompetenz und des kritischen Denkens im Rahmen der allgemeinen und beruflichen Bildung auf al-len Ebenen genügend Aufmerksamkeit“ zu schenken und von der Europäischen Kom-mission erstellte Konzepte (wie der Kompe-tenzrahmen) zu prüfen und zu nutzen (EU Rat: 2016, S. 9). Hinsichtlich dieser Ansu-chen wird auf die Bedeutung der Schlüssel-kompetenzen für lebensbegleitendes Ler-nen (2006), die alle BürgerInnen erwerben sollten, dezidiert hingewiesen. Dazu zählt, neben sozialer Kompetenz/Bürgerkom-petenz und Kulturbewusstsein/kulturelle Ausdrucksfähigkeit, Computerkompetenz, die eine „kritische und reflektierende Ein-stellung gegenüber den verfügbaren Infor-mationen und eine verantwortungsvolle Nutzung der interaktiven Medien“ erfordert (EU Rat: 2016, S. 3).

Im Juni 2016 präsentierte die Europäische Kommission eine neue Skills Agenda10, mit dem Ziel, dem relativ niedrigen Kompetenz-niveau in den EU-Mitgliedstaaten entge-genzuwirken und die Beschäftigungsfähig-keit und Anpassungsfähigkeit entsprechend zu erhöhen. Neben Schreiben und R echnen werden „digital skills“11 als Basiskompetenz für die Beschäftigungsfähigkeit gesehen.

Zeitgleich mit der neuen Skills Agenda wurde im Auftrag der Europäischen Kom-mission von einem ExpertInnenteam12 der Kompetenzrahmen für digitale Kompeten-zen DigComp 2.013 – The Digital Compe-tence Framework for Citizens überarbeitet14 und 2016 veröffentlicht (Vuorikari et al.: 2016).

Ziel der Agenda ist Basiskompetenzen vorzuschlagen, die für einen Sekundarab-schluss bzw. äquivalent für EQF-Level 4 be-herrscht werden sollen.

Der Kompetenzraster,15 besteht aus fünf Bereichen, 21 Kompetenzen die in drei Le-vels aufgespaltet sind. Verwendung findet er im Europass zur Selbstbeurteilung.

ZUSAMMENFASSUNG DER EUROPÄISCHEN ANLIEGEN

Die europäische Bildungspolitik in Be-zug auf Digitalisierung kann in zwei Pha-sen eingeteilt werden, in jene vor dem Jahr 2010 und jene nach 2010. Während die erste Phase ihre Ziele vorwiegend in der Analyse und Erforschung der Gegebenheiten gelegt hat, werden die Initiativen in der zweiten Phase in ihren Vorschlägen, Empfehlungen und Beschreibungen wesentlich aktiver. Der Prozess der Begriffsklärung hält immer noch an.

Neben der Betonung der ökono-mischen Ziele werden in den Europa 2020-Initativen immer auch Vorteile für die Teilhabe an der Gesellschaft und für die europäischen BürgerInnen erwähnt. Die digitale Kompetenz bzw. Medien-kompetenz wird, neben den Basiskom-petenzen (Lesen, Schreiben, Rechnen),

6 Diese Definition von Medienkompetenz scheint bereits 2007 im „ Europäisches Konzept für die Medien-kompetenz im digitalen Umfeld“ auf. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52007DC0833&from=DE [ 2.8.2016].

7 Die Agenda steht in einer Reihe mit den Initiativen „Europäische Hochschulbildung in der Welt“ sowie der Leitinitiative „Digitale Agenda“.

8 Im englischen Original: „information and communica-tion technologies (ICT) skills“.

9 Anmerkung der Cedefop: „Computerkompetenz wird unterstützt durch Grundkenntnisse der IKT: Benutzung von Computern, um Informationen abzufragen, zu bewerten, zu speichern, zu produzieren, zu präsentieren und auszutauschen, über das Internet zu kommuni-zieren und an Kooperationsnetzen teilzunehmen.“ (Cedefop: 2014, S. 59).

10 Die New Skills Agenda ist noch nicht finalisiert [Info vom 4.8.2016]. Siehe: http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1223&langId=en [31.10.2016].

11 Mit S kills sind eher Fertigkeiten gemeint als Kompe-tenzen.

12 Riina Vuorikari, Yves Punie, Stephanie Carretero Gomez und Lieve Van den Brande.

13 Die Webseite von DigComp 2.0: https://ec.europa.eu/jrc/en/publication/eur-scientific-and-technical-re-search-reports/digcomp-20-digital-competence-frame-work-citizens-update-phase-1-conceptual-reference-model [31.10.2016].

14 DigComp wurde erstmals 2013 publiziert.

15 Europass DigComp Kompetenzraster 2015. Verfügbar unter: http://europass.cedefop.europa.eu/sites/de-fault/files/dc_-_de.pdf [29.7.2016].

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als Schlüsselkompetenz zur Erreichung der europäischen Wachstumsziele verstanden und dient der Teilhabe an der Informati-onsgesellschaft bzw. Wissensgesellschaft,16 zur Unterstützung der Beschäftigungsfähig-keit, der Fähigkeit zum lebensbegleitenden Lernen sowie dem Aufbau von kulturellem, sozialem und menschlichem Kapital.

Während vor 2010 der Begriff digitale Kompetenz vorwiegend auf den Umgang mit Medien bzw. mit Technologien beruh-te, beinhaltet das Verständnis in den Eu-ropa 2020-Aktionsplänen und Strategien auch den kritischen und verantwortungs-vollen Umgang mit Medien sowie soziale Verantwortung.

Als Zielgruppe werden in den erwähn-ten EU-Papieren die Bereiche der allge-meinen und beruflichen Bildung bzw. des lebenslangen Lernens (EU Kommission: 2001c, S. 2) bzw. SchulabgängerInnen, Lehrkräfte und ArbeitnehmerInnen ange-sprochen, wobei jeweils auf den Erwerb einer „digitalen Kultur“ Bezug genommen wird (EU Kommission: 2001c, S. 3). Der implizierte Bildungsauftrag erstreckt sich somit klar über das gesamte Feld der Er-wachsenenbildung.

Die Gleichsetzung der Begriffe „Compu-terkompetenz/digitale Kompetenz/Medi-enkompetenz“, wie sie die Cedefop (2014, S. 59) vorschlägt, trägt offenbar zur allgemei-nen Begriffsverwirrung bei und ist meines Erachtens nicht förderlich.

Am beständigsten wird der Begriff di-gitale Kompetenz verwendet. Er kommt bereits in der Lissabon-Strategie (EU Rat: 2000) vor, wenn er auch nicht genau defi-niert wird.

Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten unter digitaler Kompetenz zu verstehen sind, wird in der Beschreibung der Schlüs-selkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen (Europäische Union: 2006) am deutlichsten. Die Übersetzung des Begriffs „digital competence“ in „Computerkompe-tenz“ ist, aus meiner Sicht, nicht besonders geglückt, da die Konnotation von Compu-terkompetenz zu sehr auf die Computer-nutzung einschränkt und die kritischen, kreativen und subjektbezogenen Kompe-tenzen vernachlässigt. Die Übersetzung in digitale Kompetenz kommt nicht nur dem englischen Wortlaut näher, sondern auch der inhaltlichen Dimension.

LiteraturCedefop (2014): Terminology of European Education and

Training Policy. Second edition. A selection of 130 key terms. Luxembourg: Office of the European Union. Verfügbar unter: www.cedefop.europa.eu/files/4117_en.pdf [7.8.2016].

Europäische Kommission (2001a): Mitteilung der Kom-mission. Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen. Brüssel, 21.11.2001 KOM(2001) 678. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2001:0678:FIN:DE:PDF (3.8.2016)

http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2001/DE/1-2001-172-DE-F1-1.Pdf [3.8.2016].

Europäische Kommission (2001b): Mitteilung der Kom-mission. eEuropa2002. Auswirkungen und Prioritäten. Brüssel, 13.3.2001 KOM(2001) 140. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52001DC0140&from=DE [2.8.2016].

Europäische Kommission (2001c): Mitteilung der Kom-mission. Aktionsplan eLearning Gedanken zur Bildung von morgen. Brüssel, 28.3.2001 KOM(2001)172.

Europäische Kommission (2002): Mitteilung der Kom-mission. eEurope 2005: Eine Informationsgesellschaft für alle Aktionsplan zur Vorlage im Hinblick auf den Europäischen Rat von Sevilla am 21./22. Juni 2002. Brüssel, 28.5.2002 KOM(2002) 263. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52002DC0263&from=DE [2.8.2016].

Europäische Kommission (2005): Mitteilung der Kommis-sion: i2010- Eine europäische Informationsgesellschaft für Wachstum und Beschäftigung. Brüssel, 1.6.2005 KOM(2005) 229. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52005DC0229&from=DE [2.8.2016].

Europäische Kommission (2007): Empfehlung der Kom-mission. Ein europäisches Konzept für die Medien-kompetenz im digitalen Umfeld. Brüssel, 20.12.2007 KOM(2007) 833. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52007DC0833&from=DE [2.8.2016].

Europäische Kommission (2009a): Empfehlung der Kommission zur Medienkompetenz in der digitalen Welt als Voraussetzung für eine wettbewerbsfähigere audiovisuelle und Inhalte-Industrie und für eine integ-rative Wissensgesellschaft (2009/625/EG). Brüssel, 20. August 2009. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009H0625&from=DE [2.8.2016].

Europäische Kommission (2010a): Mitteilung der Kommission. Europa 2020 Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und

integratives Wachstum. Brüssel, 3.3.2010 KOM(2010) 2020. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:2020:FIN:DE:PDF [2.8.2016].

Europäische Kommission (2010b): Mitteilung der Kommission. Eine Digitale Agenda für Europa. Brüssel, 19.5.2010 KOM(2010)245. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0245&from=DE [2.8.2016].

Europäische Kommission (2013): Mitteilung der Kommission. Die Bildung öffnen: Innovatives Lehren und Lernen für alle mithilfe neuer Technologien und frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien. Brüssel, 25.9.2013 COM(2013) 654. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52013DC0654&from=DE [2.8.2016].

Europäischer Rat (2000): Europäischer Rat 23. und 24. März 2000 Lissabon Schlussfolgerungen des Vorsitzes. http://www.europarl.europa.eu/summits/lis1_de.htm [2.8.2016].

Europäischer Rat (2016): Schlussfolgerungen des Rates zur Entwicklung der Medienkompetenz und des kritischen Denkens durch allgemeine und berufliche Bildung 30.5.2016. 9068/16 EDUC 147 JEUN 37 AUDIO 63 SOC 265. Verfügbar unter: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9641-2016-INIT/de/pdf [6.8.2016].

Europäische Union (2003): Entscheidung Nr. 2318/2003/EG des europäischen Parlaments und des Rats vom 5. Dezember 2003 über ein Mehrjahresprogramm (2004-2006) für die wirksame Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in Europa (Programm „eLearning“) Brüssel: Amtsblatt der Europäischen Union. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003D2318&from=DE [2.8.2016].

Europäische Union (2006): Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zu Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen (2006/962/EG). Brüssel: Eigenverlag.

Vuorikari, Riina, Punie, Yves, Carretero Gomez, Stephanie & Van den Brande, Lieve (2016): DigComp 2.0: The Digital Competence Framework for Citizens. Update Phase 1: The Conceptual Reference Model. Luxembourg: Publication Office of the European Union. Verfügbar unter: http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/JRC101254/jrc101254_digcomp%202.0%20the%20digital%20competence%20framework%20for%20citizens.%20update%20phase%201.pdf [6.8.2016].

Zur Unterscheidung zum Begriff „Medien-kompetenz“ kann das Europäische Konzept für die Medienkompetenz im digitalen Um-feld (EU Kommission: 2007) herangezogen werden. Es bezieht sich in erster Linie auf die Medienwirtschaft, also auf die Zielgrup-pe der BerichterstatterInnen und Journalis-tInnen. Erst in zweiter Linie wird auch Be-zug genommen auf die BürgerInnen, deren Medienkompetenz im in der Nutzung der audiovisuellen Medien berücksichtigt wer-

den muss. Demnach wäre Medienkompe-tenz ein Aspekt der digitalen Kompetenz.Eine einheitliche Verwendung der Begriffe Computerkompetenz, Medienkompetenz und digitale Kompetenz wäre wünschens-wert, ist aber offensichtlich aufgrund der in Entwicklung befindlichen Strategien noch nicht möglich. Die Bemühungen sollten je-denfalls dahingehen, die Begriffe nicht syn-onym zu verwenden, sondern je nach Ziel-richtung und Zielgruppe anzupassen. //

16 Auch diese Begriffe werden offensichtlich synonym verwendet.

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18 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

Tabellarische Zusammenfassung der Begriffe Gaby Filzmoser

Dokument

Lissabon Strategie

Europäischer Raum des LLL

eEuropa2002

eLearning - Gedanken zur Bildung von morgen

eEuropa2005

Mehrjahres-programm (2004-2006) zur Integ-ration von IKT

i2010

Schlüssel- kompetenzen für LLL

Herausgeber

EU Rat

EU Komm.

EU Komm.

EU Komm.

EU Komm.

EU Rat

EU Komm.

Europäische Union

Datum

2000

2001

2001

2001

2002

2003

2005

2006

verwendeter Begriff

Digitalkompetenz

digitale Kompetenzen

digitale Kompetenz

digitale Kompetenz

digitale Kompetenz

Computerkompetenz (im englischen Original: digital competenz)

Definition

Entspricht Medienkompetenz: die Fähigkeit, die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) erfolgreich einzusetzen.

Grundfertigkeiten, die für ein Leben und Arbeiten in der Wissensgesellschaft und für eine aktive Teilhabe notwendig sind. (technische, geistige und soziale Fertigkeiten). Eine dieser Grundfertigkeiten ist ein kritischer und verantwortungsvoller Umgang mit den neuen Technologien.

Digitale Kompetenz ist eine der wesentlichen Fertigkeiten und Kompetenzen, die notwendig sind, um aktiv an der Wissensgesellschaft und der neuen Medienkultur teilzunehmen. Digitale Kompetenz steht auch im Zusammenhang mit kritischer Medienkompetenz und sozialer Kompetenz, da sie gemeinsame Ziele wie beispielsweise aktive Staatsbürgerschaft und den verantwortungsvollen Umgang mit IKT haben.

Sichere und kritische Anwendung der Techno-logien der Informationsgesellschaft für Arbeit, Freizeit und Kommunikation: Grundverständ-nis und Grundkenntnisse mit dem Internet, Teilnahme an Koopertionsnetzwerken im privaten und gesellschaftlichen Leben und am Arbeitsplatz. Verständnis der Chancen und potentiellen Gefahren. Bewusstsein über die kritischen, kreativen und innovativen Potenti-ale der Technologienutzung. Die Problematik in Bezug auf die Gültigkeit und Verlässlichkeit der verfügbaren Informationen. Rechtliche und ethische Grundsätze. Kritische und reflek-tierende Einstellung. Verantwortungsvolle Nutzung der interaktiven Medien.

Ziele

Auf den Bedarf der kommenden Wissensgesellschaft einstellen. Grundfertigkeiten festlegen, die für LLL notwendig sind.

Verbesserung der Grundqualifikation für alle - vor allem Benachteiligte, SchulabbrecherInnen und Erwachsene

Die Entwicklung der Informationsgesellschaft in Europa beschleunigen und die Zugänglichkeit (zum Internet) sicherzustellen. (Infrastruktur)

Den Aufbau einer hochwertige Infrastruktur zu annehmbaren Kosten beschleunigen. Verbesserung des Zugangs zur Ausbildung, um das Kompetenzdefizit zu verringern. Ausbildung der Lehrkräfte und Ausbildner.

Analyse des Angebots an und der Nachfrage nach digitaler Kompetenz.

Förderung der digitalen Kompetenz: Den wirksamer Einsatz von IKT in der allgem. und beruflichen Bildung unterstützen und ausbauen. Die Anpassung dieser Systeme an die Erfordernisse der Wissensgesellschaft im Kontext des LLL.

Gesamtkonzept für EU-Politik im Bereich der Informationsgesellschaft und der audiovisuellen Medien. Förderung der Entwicklung der digitalen Wirtschaft. IKT allen Bürgern zugute kommen lassen. Besserer, kostengünstigerer und leichterer Zugang zu öffentlichen Diensten. Die Lebensqualität verbessern.

Sich flexibel an ein Umfeld anpassen zu können, das durch raschen Wandel und starke Vernetzung gekennzeichnet ist.

angesprochene Zielgruppe

Menschen in Europa

junge Menschen, ausgrenzungsbedrohte Personen und arbeitslose Personen

alle Mitgliedstaaten, alle Regionen, alle BürgerInnen

die Informationsgesellschaft

Alle BürgerInnen der EU, auch jenen aus wirtschaftlich, sozial, ethisch und politisch zurückgebliebenen Regionen.

Alle BürgerInnen

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 19

Schwerpunkt Digitale Kompetenz & Medienkompetenz

Dokument

EU Konzept für Medienkompe-tenz im digitalen Umfeld

Medienkom-petenz in einer digitalen Welt

Digitale Agenda

Die Bildung öffnen

Terminology of eu-ropean education and training policy

Entwicklung der Medienkompetenz und des kritischen Denkens

Skills Agenda

DigComp 2.0

Herausgeber

EU Komm.

EU Komm.

EU Komm.

EU Komm.

Cedefop

EU Rat

EU Komm.

Vuorikari et.al.

Datum

2007

2009

2010

2013

2014

2016

2016

2016

verwendeter Begriff

Medienkompetenz

Medienkompetenz

digitale Kompetenz

digitale Kompetenz

IKT-Kompetenz

digital competenz/digital literacy

Medienkompetenz

digitale Kompetenz

digital skills

digital competence

Definition

Fähigkeit, die Medien zu nutzen, die verschiedenen Aspekte der Medien und Medieninhalte zu verstehen und kritisch zu bewerten sowie selbst in vielfältigen Kontexten zu kommunizieren.

Fähigkeit, die Medien zu nutzen, die verschiedenen Aspekte der Medien und Medieninhalte zu verstehen und kritisch zu bewerten sowie selbst in vielfältigen Kontexten zu kommunizieren.

Eine der 8 Schlüsselkompetenzen (2006).

Kompetenzen, die erforderlich sind, um Infor-mations- und Kommunikationstechnologien wirksam einsetzen zu können

wird übersetzt mit "Computercompetenz/digitale Kompetenz/Medienkompetenz": Kompetenzen, die erforderlich sind, um Infor-mations- und Kommunikationstechnologien wirksam einsetzen zu können

Sämtliche technischen, kognitiven, sozialen, staatsbürgerlichen und kreativen Fähigkeiten, die uns den Zugang sowohl zu den traditionel-len und als auch zu den neuen Medien und den kritischen Umgang und die Interaktion mit ihnen ermöglichen. Diese Fähigkeiten ermög-lichen es uns, kritisch zu denken, und dabei in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht an der Gesellschaft teilzuhaben und im demokratischen Prozess eine aktive Rolle zu übernehmen. Der Begriff der Medienkompetenz erstreckt sich auf unterschiedliche Medien – Fernsehen, Video, Radio, Presse –, die uns über unterschiedliche Kanäle – traditionelle Kanäle, Internet, soziale Medien – erreichen und den Bedarf aller Altersgruppen zu decken suchen.

Digitale Kompetenz, die eine selbstbewusste, kreative und kritische Nutzung von IKT einschließt, ist ein wesentlicher Bestandteil der Medienkompetenz.

Basiskompetenz für Beschäftigungsfähigkeit

Digitaler Kompetenzrahmen, besteht aus 5 Bereichen, 21 Kompetenzen, in 3 Levels.

Ziele

Wettbewerbsfähige, audiovisuelle Industrie und eine integrative Wissensgesellschaft. Anpassung an das jeweilige Kompetenzniveau der Mitgliedsstaaten

Aktive, umfassende, bürgerschaftliche Teilhabe und die Vermeidung bzw. Verringerung der Gefahr eines Ausschlusses aus dem gesellschaftlichen Leben.

Teilhabe und Gleichberechtigung im digitalen Zeitalter zu befähigen, unabhängig der sozialen Herkunft oder des Wissensstandes.

Förderung hochwertiger, innovativer Lehr- und Lernmethoden. Die Bildung verbessern und effizienter gestalten, durch Maßnahmen für offenere Lernumgebungen.

Den relativ niedrigen Kompetenzniveaus in den Mitgliedsstaaten entgegenwirken. Beschäftigungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit erhöhen.

Vorschlag für Basiskompetenzen, die für einen Sekundarabschluss bzw. äquivalent für EQF Level 4 beherrscht werden sollen.

angesprochene Zielgruppe

Medienwirtschaft: BerichterstatterInnen

Medienindustrie und eine integrative Wissensgesellschaft

alle europäischen BürgerInnen

Lehrende und Lernende

Lehrende und Lernende aller Altersstufen unter dem Gesichtspunkt des lebenslangen Lernens.

EU-BürgerInnen im arbeitsfähigen Alter

Für alle die Schlüsselqua-lifikationen benötigen zur persönlichen Entwicklung, sozialen Inklusion, aktiven Bürgerschaft und Beschäfti-gungsfähigkeit.

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Mediale und interpersonale Kommunikation im Zusammenhang mit Flucht und AsylChancen für den DaF/DaZ-Unterricht

Birgit Maria Langeder

PERSPEKTIVE UND PROBLEMATIK Train-of-hope ist eine 2015 gegründete Initiative, die

sich mit Freiwilligen und Ehrenamtlichen zum Ziel ge-setzt hat, ankommenden Flüchtlingen rasche und un-komplizierte Unterstützung durch die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Bekleidung und Transportmög-lichkeiten sowie rechtlicher und medizinischer Betreu-ung zu helfen. Train-of-Hope ermöglicht dadurch ein Gefühl der Geborgenheit für eine sichere Weiterreise und wird durch freiwillige und ehrenamtliche Arbeit effektiv organisiert (www.trainofhope.at).

Wohin die Reise geht oder gehen soll, ist nicht nur für Flüchtende, sondern vor allem auch für Europa eine offene Frage. Ein leerer Raum als Platz für Erwar-tungen, Hoffnungen und Chancen für Lösungen. Mit Ankommenden, die in Österreich bleiben möchten, ist ein Theaterabend entstanden, der Botschaften von Asylsuchenden eine Bühne bietet, einen geschützten Raum, auf dem sie ihre Geschichten erzählen können.

„Es interessiert mich, meine Botschaft loszuwerden. Denn es ist schwer, zu einer anonymen Masse gezählt zu werden, der stets mit Angst begegnet wird. Ich möchte zeigen, dass wir bis zum Kriegsbeginn auch ein ganz normales Leben hatten“ sagt Tarek Alghami-

an (29), der in Damaskus Wirtschaft studierte und dort als Buchhalter gearbeitet hat. Geflohen ist er, weil er im Krieg nicht gegen seine Landsleute kämpfen woll-te. Seit sieben Monaten wartet er auf seinen Asylbe-scheid. Auf die Frage nach seiner Bewältigungsstrate-gie antwortet er im Zeitungs-Interview:

„Ich habe zum Glück viele österreichische Freun-de, wir lernen voneinander.“1

„Das voneinander Lernen” weist auf eine offen-sichtlich gegenseitige Bewegung hin, aufeinander zu-zugehen mit dem Ziel, einander zu verstehen. Im in-terpersonalen kommunikativen Kontext liegt es oft auf der Hand, dem Verstehen auch Raum zu geben. Seit dem vermehrten Eintreffen von Schutzsuchenden in Österreich seit dem Sommer 2015 wurden zahlreiche, durchwegs positive Berichte von Helfenden sowie von Asylsuchenden in persönlichen Kontakten erzählt und gehört, vor allem von Menschen, die in irgendeiner Weise direkte Begegnungen und eigene Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Ankommen von Flücht-lingen gemacht haben, und das sind dankenswerter Weise sehr viele.

Der weitaus größere Teil der österreichischen (und europäischen) Mehrheitsbevölkerung nutzt vermut-lich aber nicht die Gelegenheit, eigene Meinungen aufgrund von authentischen Erfahrungen zu begrün-den, sondern orientiert sich an Medienberichterstat-tungen. Denn Medien nehmen in unserer Welt eine zentrale Rolle ein, unser Alltag wird vielfach durch sie strukturiert und ihre Akteure und Inhalte beeinflussen unser Fühlen, Denken, Sprechen, Handeln. Nachrich-ten aus aller Welt geben uns Orientierung, wir reflek-tieren dargestellte Berichte und lernen uns dadurch besser kennen. Doch wissen wir meist wenig über Me-dien, obwohl wir damit oft mehr Zeit verbringen als mit einzelnen, realen Personen.

Den Medien kommt aufgrund ihrer kommunikati-ven Reichweite bei der Etablierung von individuellen Zuschreibungen sowie bei der Aufrechterhaltung der bestehenden, dominanten Diskurse und Bedeutungen eine erhebliche Bedeutung und damit zusammenhän-gend eine maßgebliche Machtposition zu (vgl. Winter: 1997, S. 48).

Durch ihre Analyse von sozialen Umwelten und Bedingungen nehmen Medien eine zentrale Rolle in der Gesellschaft ein; Massenmedien werden deshalb als „vierte Macht“ im Rechtsstaat bezeichnet, gerade auch in Bezug auf die Ausschnitte der Wirklichkeit, die sie aufgrund von visuell aufbereiteten Inhalten se-lektieren und produzieren.

Oft sind es Bilder in audio-visuellen Medien, die emotional ansprechen und damit ins Bewusstsein drin-gen; Kommentare dazu sind dann ergänzende Indizien, sich ein eigenes Abbild der medialen Welt zu konstru-ieren, die als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage

1 Siehe: http://derstandard.at/2000030660101/Speakers-Corner-Theater-Die-Realitaet-ist-nicht-so-wie-man [10.2.2016].

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im realen Leben zur Verfügung steht. Die große Dis-tanz zwischen realen Erfahrungen und konstruierten Meinungen schafft weite Freiräume der ganz persön-lichen Interpretation, die sich für eine Reflexion des eigenen Denkens, Sprechens, Handelns auftut und ge-nutzt werden will.

Dieser Beitrag möchte auf die notwendige medien-pädagogische Perspektivierung sowohl des DaF/DaZ-Unterrichts, als auch auf die demensprechende Schu-lung der Lehrenden hinweisen.

Die inter- und transdisziplinären Ansätze der Cul-tural Studies (CS) sorgen für die Behandlung kulturell-politischer Fragestellungen, leisten damit anregende gesellschaftskritische Theoriearbeit. Zudem wird der Anspruch erhoben, auch politisch zu intervenieren. Cultural Studies beschäftigen sich mit den populären Medien und nehmen die Selbstermächtigung des Pu-blikums in den Blick, die zu den Machtstrukturen der Medien und der Gesellschaft in Beziehung gesetzt werden, denn Medien wie das Fernsehen schaffen be-deutungsvolle Diskurse.2

CULTURAL STUDIES UND MEDIENKOMPETENZ Winter hält fest, dass die aus Bildern und Repräsen-

tationen bestehende heutige Wirklichkeit einen flüch-tigen und instabilen Charakter hat (Winter: 1997, S. 91). Die Problematisierung des Verhältnisses zwischen der Repräsentation und dem Realen ermögliche einen Einblick in die semiotische Struktur der Wirklichkeit. Filmische Zeichen zu verorten, zu verstehen und wo-möglich auf die eigene Wirklichkeit zu beziehen rich-tet sich an die diskursiven Kompetenzen der Zuschau-er, die diese in ihrer Mediensozialisation erworben haben. Denn Medien liefern nicht nur verschiedene Interpretationen einer vorgefundenen Realität, viel-mehr entsteht diese erst im Kontext der vielfältigen Er-zählungen. Darin vermutet Winter eine Basis für eine mögliche Emanzipation, die auf einer ästhetischen Ebene angesiedelt ist (ebd., S. 98).

Denn mediale Bilderwelten beeinflussen Lebenssti-le, so bilden sich immer wieder neue, instabile Grup-pierungen, die Möglichkeiten anbieten, auch soziale Klassen zu überschreiten. Flüchtige, aus der Situati-on entstehende Beziehungen werden damit möglich. Denn an den Bruchstellen dieser flüchtigen Gruppie-rungen und deren Erfahrungen ergeben sich Anknüp-fungsmöglichkeiten in der realen, alltäglichen Kom-munikation, sei es in der Ausbildung, im Beruf oder in der Freizeit. Oft sind es mediale Inhalte, die Themen liefern und so Kommunikation motivieren, und das über Kulturgrenzen hinweg als erster Berührungs-punkt.

Daher ist es für die Teilhabe an einer Gesellschaft notwendig, abseits von Deutschkursen entlang der GER Niveaustufen und Zertifikate, auch für entspre-chende interkulturelle Medienkompetenz bei Lehren-den und Lernenden zu sorgen, um ein positives Mitei-nander erlebbar zu machen.

Für die Definition von Medienkompetenz sei auf den vom österreichischen Bundesministerium für Bil-

dung veröffentlichten Grundsatzerlass „Modell für ge-lingende Medienbildung“ verwiesen. 3

„Medienkompetenz als Zielhorizont medienpädagogischer Bemühungen umfasst neben der Fertigkeit, mit den tech-nischen Gegebenheiten entsprechend umgehen zu können, vor allem Fähigkeiten wie Selektionsfähigkeit, Differen-zierungsfähigkeit, Strukturierungsfähigkeit und das Er-kennen eigener Bedürfnisse. Medienkompetenz ist daher für die Teilhabe am gesellschaftlichen und bürgerschaftli-chen Leben, für die Wahrnehmung der Meinungsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht, eine wesentliche Vor-aussetzung.“ Folgende Bildungsziele bezogen auf Medienbildung werden angeführt:• Selbstwirksamkeit

Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung bezeichnet die subjektive Gewissheit, aufgrund eige-ner Kompetenzen gewünschte [Anm.: insbesondere sprachliche] Handlungen erfolgreich ausführen zu können. • Kritisches Denken

Kritisches Denken ist ein kreatives Werkzeug, es ist unabdingbar für Lernprozesse und persönliche Wei-terentwicklung. Konstruktive, durchdachte, fordernde und fördernde Kritik muss jedoch vielfach erst erlernt und erfahren werden. • Weltoffenheit

Gemeint ist hier vor allem Toleranz als angemes-sene Geisteshaltung, in der wir Verhaltens-sicherheit in einer global vernetzten Welt stets neu erwerben und aushandeln müssen. Hilfreich dabei ist Ambigui-tätstoleranz.

Der Bedarf an Vermittlung von Medienkompetenz betrifft auch und vorerst jene Personen, die in Auf-nahmeländern leben und aus diversen Gründen keine Möglichkeiten eines direkten Kontakts mit Asylsu-chenden haben, wohl aber zur Wahl gehen, Medien konsumieren und damit Verantwortung für die politi-sche Stimmung im Land tragen. Denn sind aktive Nut-zer, die durch Medienwahl und Selektion ihr individu-elles Weltbild konstruieren (vgl. Hiebl: 2015, S. 76).

Der Vermittlung von Strategien und Deutungs-mustern im Zusammenhang mit medialen Diskursen wird aber in der Pflichtschule kaum, und auch in den höheren Schulen ab der Sekundarstufe II nur selten Aufmerksamkeit geschenkt. Dieses Defizit gilt daher oft auch für jene, die im professionellen Kontakt mit Deutschlernenden stehen – als LehrerInnen, TrainerIn-nen oder in diesem Umfeld tätigen Personen. Aber ge-rade für sie gilt es, mediale Berichterstattungen aktiv und kritisch zu hinterfragen. Umso mehr, als auch die aktuelle Berichterstattung zum Thema „Flüchtlinge“ speziell seit dem Sommer 2015 in verschiedenen medi-alen Darstellungen und Kanälen durchaus kontroverse

2 Vgl. http://www.mediamanual.at/ [12.2.2016].

3 Vgl. http://www.mediamanual.at/ [10.2.2016].

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Bilder vermittelt, die vom seriösem Journalismus bis hin zu gezielten Falschmeldungen in sozialen Medien reichen.4

Bereits vor der aktuellen medialen Problematisie-rung von Flüchtlingen weist u.a. Hiebl (2015, S. 79) mit einer kommunikationswissenschaftlich-pädagogischen Untersuchung darauf hin, dass bei der offiziellen Be-richterstattung über MigrantInnen negative Nachrich-tenfaktoren überwiegen, die denen geringen gesell-schaftlichen Status zementieren.

Zudem wird kaum zwischen MigrantInnen und Flüchtlingen unterschieden. Die bis hier angesproche-ne Problematik kann mit folgenden Punkten zusam-mengefasst werden:• Aktuelle politische und gesellschaftliche Realitäten

im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien kon-frontieren Menschen in Europa vermehrt mit asyl-suchenden Flüchtlingen.

• Durch das ehrenamtliche und freiwillige Enga-gement in der Bevölkerung werden viele positive Erfahrungen gemacht, die aber wenig Veröffent-lichung erfahren, sondern meist nur als mediale Schlaglichter oder persönlich kommuniziert wer-den.

• Asylsuchende und Asylgewährende haben eine Chance, voneinander zu lernen.

• Die mediale Berichterstattung über Flüchtlinge konzentriert sich überwiegend auf bedrohliche und negative Szenarien.

• Soziale Wirklichkeiten werden zum überwiegen-den Teil durch Medien konstruiert.

• Traditionell wird einer Vermittlung von Medien-kompetenz im Schulunterricht sowie in der Er-wachsenenbildung wenig Bedeutung beigemessen, obwohl dies von offizieller Seite explizit gefordert wird.Daher ist es umso notwendiger, kritische Medien-

kompetenz zu lehren und zu lernen, um eine friedli-che Stimmung für beide Seiten zu ermöglichen – der helfenden Bevölkerung und hilfesuchenden Flücht-lingen. Denn das Nachdenken über die europäische Vergangenheit mit ihren diversen historischen Schau-plätzen sowie auch der Blick auf Untersuchungen und Statistiken zeigen den relevanten Einfluss von Medien auf das alltägliche Leben und damit auf Entscheidun-gen, die jeden Tag getroffen werden. Bei einer Nen-nung des Fernsehens als wichtigstes politisches Infor-mationsmedium mit einer Nutzungsdauer von gesamt etwa 180 Minuten täglich stellt es den wesentlichsten Beitrag zur politischen Meinungsbildung sowie als Themenlieferant für öffentliche und private Diskurse dar.5 Gefragt ist daher ein Konzept um mediale Dar-stellungen theoriegeleitet aufzugreifen. Cultural Stu-dies hinterfragen die Entstehungsbedingungen und Wirkungen medialer Berichterstattung:

„Why are the media so powerful? It is largely because they use words and images to convey ideas that inspire ac-tion. […] But for the most part, the media are educatio-nal and rhetorical; they shape what we think and feel; they influence us to see things in certain ways such that our be-

haviour in regard to them takes certain forms. They paint the particular picture of reality we hold in our minds and that plays an important role in determining the choices we make as we live each day, the beliefs and values we hold, and the things we do in the real world.“ (Ryan: 2010, S. 127).

HERAUSFORDERUNGEN AN PERSONEN UND INSTITUTIONEN

Insbesondere die neuen Medien erfordern die Ent-wicklung neuer und vielfältiger Formen von „media li-teracy“, die den interaktiven Bereichen von Computer und Multimedia angemessen sind (vgl. Winter: 2006, S. 39). Vor allem, weil in sozialen Netzwerken digita-le Inhalte durch ein Nebeneinander von Beiträgen des professionellen Journalismus und privaten Darstellun-gen von Einzelpersonen gekennzeichnet sind.

Es bedarf daher einer bewussten und reflektierten Gewichtung von medialen Informationen, um deren Informationsgehalt zu erkennen und zu bewerten. Hierzu ist vor allem die pädagogische Arbeit von Leh-renden erforderlich, die ihr Wissen und ihre Kompe-tenz einbringen sollten, um öffentliche Räume zurück-zuerobern und eine Kultur der Partizipation für alle AkteurInnen, gerade für dringende Fragen von Migra-tion und Asyl, zu schaffen.

Durch den Erwerb von Medienrealität in einem dialogischen und auf Zusammenarbeit angelegten Kontext kann auch das Verständnis für andere Kul-turen und Subkulturen [Anm.: auch von Situationen um Flucht und Asyl] geweckt und vertieft werden (vgl. Winter: 2006, S. 37). Dazu gehört auch, Menschen da-bei zu unterstützen, ihre Erfahrungen anders als im Rahmen der existierenden Kultur zu interpretieren und so zur Schaffung neuer, geteilter Bedeutungen beizutragen. Mit der gemeinschaftlichen Analyse und dem Diskurs über mediale Inhalte können Interaktio-nen ermöglicht werden, die durch historisch entstan-dene und individuell kreierte, interkulturelle Bedeu-tungen neu hervortreten (vgl. Winter: 2006, S. 45).

Wie später gezeigt wird, können solche Erfahrun-gen beispielsweise im Rahmen von transnationaler Projektarbeit, wirkungsvoller und weniger aufwendig aber mittels Theatermethoden, gemacht werden. Denn in beiden Fällen werden authentische Situationen in-terkultureller Kommunikation durch zielgerichtete Zusammenarbeit geschaffen. Mecheril (2010, S. 18) bringt den Begriff der „Kompetenzlosigkeitskompe-tenz“ ein, um auf eine Kritik an den Konzepten von interkultureller Kompetenz hinzuweisen. Damit wird unter anderem auf ein Ungleichgewicht der Personen-gruppen hingewiesen, denen interkulturelle Bildung zuteil wird:

4 Vgl. http://hoaxmap.org/ Download [10.2.2016].

5 Vgl. http://de.statista.com/themen/2110/mediennutzung-in-oesterreich/ [12.2.2016].

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 23

Schwerpunkt Digitale Kompetenz & Medienkompetenz

„Wenn nach Gründen gesucht wird, warum Menschen mit Migrationshintergrund in der Regel nicht als Adressatin-nen interkultureller Bildungsangebote [Anm.: sondern nur von Sprachangeboten] vorkommen, dann bietet sich neben der angeführten Erklärung (Reproduktion gesellschaftli-cher Verhältnisse in und durch Bildungsangebote[n], die Minderheitenangehörige nicht als Handlungssubjekte den-ken) eine weitere Erklärung an. Dass Menschen mit Mig-rationshintergrund in Angeboten zu interkultureller Kom-petenz nicht adressiert werden, kann als Konsequenz der Annahme verstanden werden, dass diese Personengruppe bereits über »interkulturelle Kompetenz« verfüge. […] Diese Annahmen sind freilich wenig überzeugend.“

Demnach könnte bezweifelt werden, dass für die eingangs geschilderte, aktuelle Situation, in der in-ter- und transkulturelle Kompetenz auf vielen Ebenen der Gesellschaft aktuell gefordert ist, die traditionellen Bildungssysteme und deren Angebote in der Lage sind, einen für alle Beteiligten positiven Beitrag zur inter- und transkulturellen Verständigung leisten zu kön-nen. Nicht zuletzt deshalb, weil Bildungsinstitutionen in Österreich per se hierarchisch organisiert sind und meist davon auszugehen ist, dass deren Akteure sämtli-che Antworten auf gestellte Fragen bereits kennen, was auf eine gewisse Innovationsresistenz schließen lässt.

Wobei hier eine Unterscheidung zwischen den Bildungsangeboten der traditionellen Bildungsinsti-tutionen und deren Umsetzung durch LehrerInnen und TrainerInnen zu machen wäre, die tendenziell eher auf der Seite der Lernenden stehen. Einen wei-terführenden Vergleich dazu bietet Wittek (2005, S. 322), indem er die Wirkung von transnationalen EU-Bildungsprojekten nach Ergebnissen differenziert: Einerseits nach dem im Projektantrag geforderten „europäischen Mehrwert“, der mit konkreten Projekt-ergebnissen und deren Dissemination bereits vorab belegt werden muss, um die Bereitstellung von Förder-mitteln zu erreichen. Tatsächlich ist es allerdings so, dass der Mehrwert von transnationalen europäischen Kooperationen für die AkteurInnen der Projekte, dar-in bestehen kann,

„[...] dass sie sich fremd und erklärungsbedürftig wer-den, d.h. Grundtatsachen ihrer (kulturellen, politischen, moralischen etc.) Sozialisation als national determiniert begreifen und zu ihnen Distanz zu gewinnen, d.h. sie zu historisieren und sich damit das bisschen Freiheit zu erar-beiten, das nötig ist, um sich von der transnationalen Ko-operation auf ungehörige Gedanken bringen zu lassen, ih-ren Horizont zu durchlöchern und ihr Lernen in die eigene Regie zu nehmen.“

Dies verdeutlicht der Spagat zwischen EU-Pro-grammen und -Projekten mit ihrer aufwendigen Ad-ministration auf der einen Seite, und deren Potenzia-le, die sich aus interkulturellen Begegnungen und der konkreten Projektarbeit der TeilnehmerInnen ande-rerseits ergeben können auf der anderen Seite. Auch hier muss von vornherein eine beabsichtige Antwort auf mögliche Fragen vordefiniert werden, um die Ar-beit überhaupt beginnen zu können, auch hier lässt sich eine vergleichbare Hierarchie ausmachen. Projekte

haben aber für die Teilnehmenden entscheidende Vor-teile: Sie sind zeitlich befristet und die AkteurInnen wechseln ständig. Zudem, wie Wittek (2005, S. 315) formuliert:

„[…] macht es den ProjektteilnehmerInnen Spaß, mal für ein paar Tage der Alltagsroutine zu entkommen, neue Menschen kennen zu lernen, auf anderer Leute Kosten zu verreisen und nebenbei vielleicht noch ihrer Karriere einen Dienst zu erweisen […]“ (Wittek: 2005, S. 315).

Dennoch fördert die interkulturelle EU-Projektar-beit interkulturelle Kompetenzen auf vielfältige Art, zudem müssen deren Ergebnisse und Produkte meist kostenlos zur Verfügung gestellt und in verschiedenen Medien veröffentlicht werden.

In der Praxis jedoch reichen die Projektmittel sel-ten, um eine nachhaltige Wirkung auch bei einem wei-teren Personenkreis zu erreichen. Denn mediale Wir-kungen von veröffentlichten Projektergebnissen haben keinen hohen Nachrichtenwert, und auch sämtliche Projektakteure schließen meist mit Projektende ihre einst so lebendig erlebten Diskussionen und Frage-stellungen endgültig ab, von wenigen Veröffentlichun-gen abgesehen. Zudem sind die TeilnehmerInnen von EU-Projekten (das zeigt die Erfahrung in Österreich) meist Angehörige der Mehrheitsgesellschaft, selbst zu Projekten, bei denen es inhaltlich um Migrationsfra-gen geht, werden nur selten MigrantInnen eingeladen. Um aber inter- und transkulturelles Lernen und Han-deln zu ermöglichen, wäre eine gegenseitige Beteili-gung vorteilhaft und für ein gegenseitiges Verstehen zielführend. Offene Fragen müssten als solche wahrge-nommen, zugestanden und sensibel für eine gemein-same Beantwortung von allen Akteuren nachhaltig beforscht werden.

Hohmann (2005, S. 33) stellt dazu fest, dass sich in-terkulturelle Erziehung gegen die Auffassung wendet, dass die Situation der MigrantInnen [Anm.: und Asyl-suchenden] in den Aufnahmeländern und deren päda-gogische und soziale Konsequenzen ausschließlich als Probleme zu gelten hätten. Interkulturelle Erziehung reklamiere viel mehr die Auffassung für sich, dass die durch Migration entstandenen gesellschaftlichen Kon-sequenzen als Chance für einen Bildungsprozess der ausländischen und auch der einheimischen Menschen verstanden werden sollte.

Der zuvor angeführte Begriff „Kompetenzlosig-keit“ meint professionelles Handeln, das auf Beobach-tungskompetenz für die von sozialen Akteuren zum Einsatz gebrachten Differenzkategorien gründet und von einem Ineinandergreifen von Wissen und [Anm.: Mut zum] Nicht-Wissen, vom Verstehen und Nicht-Verstehen hervorgebracht wird, ein Ineinandergreifen, in dem die Sensibilität für Verhältnisse der Dominanz und Differenz in einer handlungsvorbereitenden Wei-se möglich ist (vgl. Mecheril: 2010, S. 25).

Wenn das Gelingen von interkultureller Bildung und Kommunikation durch Bildungssysteme und deren Institutionen sowie die Umsetzung eines euro-päischen Mehrwerts durch EU-Programme und Pro-jektergebnisse angezweifelt werden darf, die damit

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beschäftigten Personen jedoch sehr wohl interkultu-relles Lernen erfahren, das zwar kostenintensiv sein kann aber kaum jenseits des beteiligten Personenkrei-ses kommuniziert wird, was wäre dann das geeignete Medium, interkulturelle Erfahrungen einem größeren Publikum unmittelbar zuteilwerden zu lassen?

Sowohl „Kompetenzlosigkeitskompetenz“ als auch das Lernen im Rahmen von internationalen Projekten reklamiert ein Nicht-Wissen, ein Nicht-Verstehen als Ausgangspunkt für interkulturelle Begegnungen, bei denen zunächst gewonnene Überzeugungen in Frage gestellt werden sollten.

Ein leerer Raum (Brook: 1995) sollte sich also auf-tun und dabei helfen, eingefahrene Strukturen und der Situation unangemessene Überzeugungen beiseite zu lassen um neuen Erkenntnisgewinn zu ermöglichen.

Der Theater- und Filmregisseur Peter Brook ver-wendet die Metapher des „leeren Raumes“ für seinen Arbeitskontext des Theaters,

„Damit ein Ereignis von einer bestimmten Qualität geschaffen werden kann, muss ein leerer Raum geschaffen werden. Ein leerer Raum erlaubt das Entstehen von etwas Neuem, denn alles, was mit Inhalt, Bedeutung, Ausdruck, Sprache und Musik zusammenhängt, erwächst erst zum Leben, wenn es als unverbrauchte und neue Erfahrung geschieht. Und eine solche ist nicht möglich ohne einen rei-nen, unberührten Raum, der offen ist, sie zu empfangen.“ (Brook: 1998, S. 12).

Damit schließt sich der Kreis zur eingangs skizzier-ten Perspektive des „voneinander Lernens“, das auf der Bühne stattfindet, Akteure und Zuseher miteinander in Kontakt bringt, indem authentische Geschichten erzählt, visualisiert, hinterfragt werden und dabei ein Stück mehr an Verständnis füreinander schaffen.

Denn das Theater als Medium kann immer noch ein Ort sein, wo brennende Themen am unausweich-lichsten Öffentlichkeit finden und so eine Meinungs-bildung forcieren, ohne durch Filter einer Institution oder Berichterstattung vorselektiert zu werden. Dabei ist ein Theater gemeint, dass Experimente erlaubt, unbequeme Wahrheiten inszeniert und nachfragt, im Gegensatz zum herkömmlichen, institutionalisierten Regietheater, bei dem das Publikum genau weiß, was es zu erwarten hat und sich in der Sicherheit des passi-ven Konsumenten wähnt.

Gewiss ist hier nicht von kostenintensiven, pub-likumswirksamen Massenproduktionen die Rede, sondern von Produktionen einer kleinen, freien The-aterszene, die – wie ihre Akteure – nicht selten ums Überleben kämpfen muss. Im Gegensatz dazu, und auch zu den Outcomes von manchen zuvor angespro-chenen EU-Projekten mit bescheidenem Wirkungs-radius, für die in diesen Zusammenhängen jedoch beträchtliche Finanzmittel für einige Auserwählte ProjektteilnehmerInnen bereitgestellt werden, können freie Theaterproduktionen, abseits von institutionali-sierten Produktionen ein Vielfaches an Erkenntnisge-winn vermitteln. Immerhin haben etwa 500 Personen das an fünf, mittels Spenden finanzierten, übervoll ausgebuchten Theaterabenden das eingangs erwähnte

Stückes „badluck“ gesehen, anschließend mit den mit-wirkenden Flüchtlingen gesprochen und Informatio-nen für weiterführende Kontakte ausgetauscht, die ein „voneinander Lernen“ im eröffnen und transkulturelle Räume schaffen.

KULTUR ALS EIGENLEISTUNG IN TRANSKULTURELLEN ERFAHRUNGSRÄUMEN

Mit dem Beispiel des deutsch-türkischen Filmre-gisseurs Fatih Akin führen Bolscho und Hauenschild (2009, S. 229) ihre Ausführungen über Interkulturali-tät und Transkulturalität als Überlegungen zu Pers-pektiven für die Bildung ein, indem dessen Biografie und Wirken in Bezug auf die Nachweisbarkeit in Be-zug auf Transkulturalität hinterfragt wird. Sie fassen ihr Verständnis von Kultur in eine zugespitzte Aus-sage:

„Kultur ist das, was sich Individuen vor dem Hin-tergrund ihrer lebensweltlichen Wahrnehmungen in ihrem Denken und Handeln zu eigen machen und was ihnen die Teilhabe an der Gestaltung der Gesell-schaft, in der sie leben, ermöglicht. […] Dabei spielt der Begriff der Alltagswelt eine zentrale Rolle; er kennzeichnet die Wirklichkeit, die von Menschen be-griffen und gedeutet wird und ihnen subjektiv sinn-haft erscheint.“

Wenn aber die Realität, die sinnhafte Bedeutun-gen hervorbringen soll, eine mediale Wirklichkeit ist, die negative Szenarien aufzeigt, anstatt auch positive Potenziale zu kommunizieren, die authentisch erlebt werden können, braucht es alternative Vermittlungsin-stanzen und Kompetenzen für eine positive Alltagsbe-wältigung im Zusammenhang mit Flucht und Migra-tion. Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang auch das Verständnis einer Gesellschaft, deren Insti-tutionen mit entsprechenden Maßnahmen auf aktuel-le gesellschaftliche, politische und bildungspolitische Entwicklungen regieren können.

Wird eine „eigene“ von einer „fremden“ Kultur ab-gegrenzt, wird eine Situation geschaffen, in der ein „voneinander Lernen“ erschwert wird, „da das Fremde tendenziell als etwas Bedrohliches wahrgenommen wird.“ (Vgl. Bolscho & Hauenschild: 2009, S. 235).

Demgegenüber nimmt das Konzept der Transkultu-ralität als Reaktion auf gesellschaftlichen Wandel die individuell produzierte Existenz von Differenzen zwi-schen und innerhalb von Kulturen zum Anlass, auf die Möglichkeit von Transformationsprozessen, Prozes-sen der Auflösung und Neuzusammensetzung und auf die Möglichkeit der Entstehung neuer Kulturformen hinzuweisen. Kulturelle Konflikte werden hier nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen, sondern können allenfalls als Ausgangspunkte für transkulturelle Iden-titätsbildungsprozesse sein, die sich in den Wahrneh-mungen, Denkmustern und Handeln des Einzelnen zeigen. Kultur wird damit als Eigenleistung des Sub-jekts im Rahmen der Identitätsbildung gesehen, deren Aufgabe es wird, verschiedene Komponenten mitei-nander zu verbinden (vgl. Bolscho & Hauenschild: 2009, S. 234).

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SPIELFILME FÜR EINEN TRANSKULTURELL EMPATHISCHEN PERSPEKTIVENWECHSEL

Bildungsräume als Bühnen transkultureller Be-gegnungen würden Möglichkeiten eröffnen, die aus-einanderklaffenden Realitäten einer individuellen, medialen Meinungsbildung aufgrund von rezipierter Berichterstattung und dem authentischen, persön-lichen Erleben herzustellen. Dafür können freilich nicht immer Theaterbesuche organisiert werden, doch die authentische Realität des Theaters könnte mittels sorgfältig ausgewählter Spielfilmsequenzen in den Kursraum geholt und mit szenischen Aufgabenstellun-gen gemeinsam bearbeitet werden. Denn empirische Untersuchungen und Studien belegen bereits seit den Siebzigerjahren das hohe Motivationspotenzial von Spielfilmen für den Unterricht (Burger: 1995, S. 592). Warum diese bis heute kaum in Bildungsangeboten vorkommen, hatte neben den bereits dargelegten Gründen bis vor 15 Jahren auch noch technische Ursa-chen, die heute weitgehend ausgeräumt sind. Gleich geblieben ist hingegen das ungebrochene, altersunab-hängige Interesse an beispielsweise fiktionalen Filmen und Filmsequenzen in Daf/DaZ-Bildungsmaßnah-men.

Vom Sehen zum Verstehen zu gelangen ist zual-lererst ein emotionaler Prozess, der in gemeinsamen, in professionellen Räumen ermöglichten Rezepti-onsgesprächen eine mehrdimensionale Perspektivie-rung ermöglicht und so die Voraussetzung für eine differenzierte Meinungsbildung zu schaffen vermag.

Kreativ-produktive Aufgabenstellungen, die konstruk-tive Gespräche motivieren und alle Beteiligten zum Nachdenken anregen, machen durch Figurenanaly-sen, Gespräche über filmsemiotische Gestaltungsmit-tel und Handlungsstrukturen eine empathische Hal-tung zu fremd erscheinenden Situationen möglich, die einen Nachdenk- und Lernprozess in Gang setzen können. Mit sprachanalytischen Aufgabenstellungen können tendenziöse Berichterstattungen enttarnt und versteckte Diskriminierungen erkannt werden. Denn es sind oft unsichtbare Mauern (Rommelspacher: 2011, S. 31) die unsere Gesellschaft durchziehen, errichtet durch das Ineinandergreifen von strukturellem, insti-tutionellem und individuellem Rassismus, der durch eine Diskriminierung im Zugang zu Ressourcen de-finiert wird und Betroffenen damit weniger Chancen zur Teilhabe an der Gesellschaft einräumt. Denn über Ressourcen wird zentral der Zugang zu ökonomi-schem, sozialem, kulturellem und symbolischem Kapi-tal einer Gesellschaft geregelt. Das geschieht vor allem durch Zugehörigkeitsmanagement (Rommelspacher: 2011, S. 32), das die einen als zugehörig und die ande-ren als Außenstehende ausweist. Dadurch wird eine Gesellschaft gespalten, Ungleichheiten betont und Verständnis schaffende Dialoge verhindert. „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Diese bezeichnende Schlussstrophe fügte Brecht 1930 für die geplante Verfilmung der „Dreigro-schenoper“ hinzu.6 //

Literatur

Bolscho, Dietmar & Hauenschild, Katrin (2009): Interkulturalität und Transkulturalität. In: Inci Dirim & Paul Mecheril (Hrsg.), Migration und Bildung. Soziologische und erziehungswissenschaftliche Schlaglichter (S. 229–245). Münster: Waxmann Verlag.

Brecht, Bertold (1997): Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Stücke I. Frankfurt a.Main: Suhrkamp Verlag.

Brook, Peter (1995): Der leere Raum. Berlin: Alexander Verlag.

Brook, Peter (1998): Das offene Geheimnis. Frankfurt a. Main: Fischer Verlag.

Burger, Günter (Hrsg.) (1995): Fiktionale Filme im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht. In: Die Neuen Sprachen, 94 (6), 592–608.

Hiebl, Florian (2015): Erweiterung des Konzepts der interkulturellen Medienkompetenz. Theoretische Grundlagen und praktische Anwendungsmöglichkeiten. Dipl.-Arb., Univ. Wien.

Hohmann, Manfred (2005): Interkulturelle Erziehung als Herausforderung für die allgemeine Bildung. In: Ingrid Gogolin, Marianne Krüger-Potratz, Katherina Kuhs, Ursula Neumann & Fritz Wittek (Hrsg.), Migration und sprachliche Bildung (S. 29–45). Münster: Waxmann. (Interkulturelle Bildungsforschung, Bd. 15).

Mecheril, Paul (2010): „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Pädagogisches

Handeln unter Einwanderungsbedingungen. In: Georg Auernheimer (Hrsg.), Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Wiesbaden: Springer.

Rommelspacher, Birgit (2011): Was ist eigentlich Rassismus? In: Claus Melter & Paul Mecheril (Hrsg.), Rassismuskritik. Bd. 1: Rassismustheorie und -forschung (S. 25–38). Schwalbach: Wochenschau Verlag.

Ryan, Michael (2010): Cultural Studies. A practical Introduction. Chichester/UK: Wiley-Blackwell.

Winter, Rainer (1997): Cultural Studies als kritische Medienanalyse: Vom „encoding/decoding“ Modell zur Diskursanalyse. In: Andreas Hepp, Kultur – Medien – Macht: Cultural Studies und Medienanalyse (S. 47–63). Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH.

Winter, Rainer (2006): Kultur, Reflexivität und das Projekt einer kritischen Pädagogik. In: Paul Mecheril, Monika Witsch (Hrsg.), Cultural Studies und Pädagogik. Kritische Artikulationen (S. 21–50). Bielefeld: Transcript Verlag.

Wittek, Fritz: „So genau weiß das keiner!“ Erinnerungen an den europäischen Mehrwert. In: Ingrid Gogolin, Marianne Krüger-Potratz, Katherina Kuhs, Ursula Neumann, Fritz Wittek (Hrsg.), Migration und sprachliche Bildung (S. 305–324). Münster: Waxmann. (Interkulturelle Bildungsforschung, Bd. 15).

Schwerpunkt Digitale Kompetenzen & Medienkompetenz

6 Siehe: http://de.academic.ru/dic.nsf/dewiki/330181/Die_Moritat_von_Mackie_Messer [16.2.2016].

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26 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

Sehr geehrte Damen und Herren!

Lassen Sie mich zunächst ein herzliches Wort des Dankes sagen für das Vertrauen, das Sie mir soeben mit der Wahl und durch die Wahl zum Ausdruck gebracht haben.

Es ist eine interessante Phase meines Lebens, die ich gerade erlebe.

Ein ziemlich langes Kapitel in diesem Leben, näm-lich meine zwölfjährige Tätigkeit als Bundespräsident, geht in den nächsten Tagen zu Ende. Diese schöne und spannende Aufgabe hat mir zusätzliche Einblicke in das Funktionieren unseres politischen Systems, in die Stär-ken und Schwächen unserer Gesellschaftsordnung, in die Mechanismen unserer Demokratie ermöglicht.

Ich konnte viele andere Länder besser kennenlernen, aber bin auch mit den Stärken und Schwächen unseres eigenen Landes besser vertraut worden. Unübersehbar war für mich während meiner gesamten Amtstätigkeit die Wichtigkeit des Bildungssystems und auch der Er-wachsenenbildung.

Gemeinsam mit meiner Frau bereite ich mich auf ei-nen neuen Lebensabschnitt vor. Es wird nicht alles für

mich neu sein, aber doch manches. Für mich geht nicht nur die zwölfjährige Periode als Bundespräsident, son-dern auch eine insgesamt mehr als 50- jährige Periode als aktiver Politiker zu Ende, in der ich zwölf Jahre als Klub-sekretär im Parlament, zwölf Jahre als Klubobmann, vier Jahre als Minister, zwölf Jahre als Nationalratspräsident und zwölf Jahre als Bundespräsident in unmittelbarer Aufeinanderfolge beruflich tätig war.

In dieser Situation am Beginn eines neuen Lebens-abschnitts sind es für mich zwei vertraute Haltegriffe, wenn ich einerseits als Gastprofessor an die Universität Innsbruck zurückkehre, wo ich mich vor 40 Jahren habi-litiert habe, und wenn ich andererseits in den Verband Österreichischer Volkshochschulen zurückkehre, wo ich bereits vom Februar 1999 als Nachfolger von Gerti Fröhlich-Sandner bis März 2007 das Amt des Präsiden-ten ausüben durfte.

Zudem hat mich die Bundesregierung durch Minis-terratsbeschluss ersucht, zeitgeschichtliche Aktivitäten in Vorbereitung des 100. Geburtstags der Republik Ös-terreich, des 80. Jahrestag des so genannten Anschlusses an Hitler Deutschland und im Zusammenhang mit dem „Haus der Geschichte Österreich“ zu koordinieren und darüber hinaus auch verschiedene Aufgaben im interna-tionalen Bereich wahrzunehmen.

Mein Freund, VÖV-Vorstandsvorsitzender Michael Ludwig, hat mir aber versichert, dass es mir niemand übel nehmen wird, wenn ich mir meine Kräfte sorgfältig einteile und manche Aufgaben delegiere.

(…)Der Verband Österreichischer Volkshochschulen ist

eine Organisation, die in allen österreichischen Bundes-ländern umfassend vertreten ist. 270 Volkshochschulen in ganz Österreich versorgen die Bevölkerung mit Bil-dungsangeboten. 900 hauptberufliche MitarbeiterInnen und über 20.000 weitere MitarbeiterInnen sind in Teil-zeit, auf Honorarbasis oder ehrenamtlich für die Volks-hochschulen tätig. In rund 47.000 Kursen wird jährlich

Bildungsthemen aktuell

„Demokratie muss immer aufs Neue bestätigt, gepflegt, am Leben erhalten und verteidigt werden“ Bundespräsident Dr. Heinz Fischer ging in seiner Rede bei der Hauptversammlung am 21. Juni 2016 auf die wichtige Aufgabe der Volkshochschulen ein, zum sozialen Zusammenhalt und zur Demokratieentwicklung beizutragen. „Demokratie muss immer aufs Neue bestätigt, gepflegt, am Leben erhalten und verteidigt werden“, so der Bundespräsident vor den mehr als 100 Vertreterinnen und Vertretern aus den Volkshochschulen. „Die Volkshochschulen vermitteln Wissen zur besseren Orientierung, sie stärken die eigene Urteilsfähigkeit und unterstützen ein auf Dialog und Toleranz basierendes Zusammenleben. Volkshochschulen sind Treffpunkte für Menschen aus den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, unterschiedlichen Altersstufen und verschiedenen beruflichen Hintergründen und tragen praktisch zum sozialen Zusammenhalt bei“. Hier die leicht gekürzte Rede im Wortlaut.1

Foto: Peter Lechner/HBF

Heinz Fischer

1 Die Rede im vollen Wortlaut findet sich hier: http://www.bundespraesident.at/newsdetail/artikel/rede-des-bundespraesidenten-in-der-hauptversammlung-des-verbandes-oesterreichischer-volkshochschulen/ [1.10.2016 ].

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 27

eine breite Palette an Bildungs- und Informationsmög-lichkeiten angeboten, die von nahezu einer halben Milli-on TeilnehmerInnen genützt werden.

Damit kann in harmonischer Ergänzung zu unse-rem Schulsystem ein starker und wertvoller Einfluss auf das Bildungsniveau und insbesondere auch auf Kulturtechniken ausgeübt werden, was angesichts der gegebenen Situation bzw. der vorhandenen Defizite außerordentlich wichtig ist. […]

Geringe grundlegende Kompetenzen und Fertigkei-ten stellen in vielen Fällen eine Barriere für den berufli-chen Erfolg und das Weiterkommen durch Bildung dar. Sie sind aber auch ein Hindernis für die gesellschaftli-che Teilhabe und wirken sich auf das eigene Wohlerge-hen negativ aus.

Die geringe Bewertung der eigenen Handlungsfä-higkeit in Bezug auf Einflussnahme auf das politische Geschehen – beziehungsweise umgekehrt starke Ge-fühle der Ohnmacht – sind demokratiepolitisch äußerst problematisch und unerfreulich.

[...]Ich habe mich zeitlebens mit Fragen der Demokra-

tie und der Demokratisierung unserer Gesellschaft be-schäftigt. Vor einigen Jahren war ich vom damaligen griechischen Parlamentspräsidenten zu einer Veranstal-tung in Athen unter dem Titel „2500 Jahre Demokratie“ eingeladen.

Tatsächlich hat die griechische Philosophie mit der These von der Gleichberechtigung aller erwachsenen, freien, griechischen Männer den ersten Anstoß zum Ge-danken der Demokratie gegeben.

Aber die griechische Demokratie war im histori-schen Kontext mehr oder weniger eine „Eintagsfliege“ und ist bald wieder von der historischen Bildfläche ver-schwunden.

Dieser Gedanke war dann die längste Zeit verschüt-tet, und erst mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert und dem Gedanken der Gleichwertigkeit aller Men-schen hat wieder ein Prozess der Demokratisierung begonnen, der in Österreich erst vor knapp 100 Jahren mit der Gründung der Republik, der Einführung des Frauenwahlrechtes und der Schaffung einer neuen de-mokratischen Verfassung eine umfassende Ausprägung erfahren hat.

Aber für die Demokratie gilt auch im 21. Jahrhun-dert nicht der Grundsatz: einmal Demokratie, immer Demokratie.

Im Gegenteil: Demokratie muss immer aufs Neue bestätigt, gepflegt, am Leben erhalten und verteidigt werden.

Die Volkshochschulen haben sich immer der Demo-kratie verpflichtet gefühlt. Ludo Moritz Hartmann, ers-ter Botschafter der Republik Österreich in Deutschland von 1918 bis 1920 und Abgeordneter der konstituieren-den Nationalversammlung des Nationalrates, war einer der bedeutendsten Promotoren der Volksbildung in Österreich und Begründer der Wiener Volkshochschule Ottakring. Hartmann argumentierte die Programmatik der Volksbildung in Bezug auf Demokratie im Jahr 1919 folgendermaßen:

„So muß das Denkenlernen das Ziel und der Zweck ei-nes jeden echten Volksbildungswesens sein. Wer richtig denkt, der wird das seinen Erfahrungen Gemäße wählen und wird nicht nur ein nützliches Mitglied des Staates und der Gesellschaft, sondern auch seiner Partei sein, weil er weiß warum er so und nicht anders gewählt hat, er wird der gegebene Hüter der Demokratie und der sichere Verächter der Demagogie sein.“

Dieser Grundgedanke ist auch heute noch richtig. Aber er hat mächtige Gegenkräfte. Wir haben dazuge-lernt.

In neuen Formen des politischen Handelns und des Protests dominieren die besser ausgebildeten Bevölke-rungsgruppen.

Besonders benachteiligte Gruppen haben große Schwie-rigkeiten sich in Formen des kollektiven Handelns zu orga-nisieren oder gehört zu werden, was zu politischer Apathie und zum „Ausstieg“ aus der „politischen Arena“ führt.

Ebenso wichtig sind heute Medienkompetenz und digitale Kompetenz. Das ist ein ganz großes, teilweise neues und schwieriges Thema.

Zu viele Menschen sind nicht in der Lage zu ent-scheiden, welche Informationen welchen Wahrheits-gehalt haben. Es gibt mittlerweile zahlreiche Beispiele wie aus Gerüchten, die einzelne Menschen streuen, über das Internet falsche Nachrichten verbreitet wer-den, die in weiterer Folge von Printmedien unhinter-fragt übernommen werden.

Kritikfähigkeit, die Fähigkeit zum kritischen Den-ken sind Querschnittskompetenzen, die in der Berufs-welt an Bedeutung gewinnen. Die kritiklose Annahme dessen, was heute über verschiedene Medien kommu-niziert wird, ist in einem Zusammenhang mit der Not-wendigkeit demokratiepolitischer Bildung zu sehen.

Medienkompetente Menschen sollen in der Lage sein, die Medientechniken verantwortungsbewusst zu nützen, sie sollen auf vielfältige Medienformen und Inhalte zugreifen und eine Auswahl treffen können. Sie sollen verstehen, warum Medieninhalte produziert werden und in der Lage sein, die Techniken, Sprachmus-ter und Botschaften kritisch zu analysieren. Schließlich geht es um die kreative Nutzung von Medien, um Ideen, Informationen und Meinungen auszudrücken, und die Menschen sollen Medien für die Ausübung ihrer dem okratischen Rechte nutzen können.

Lassen Sie mich abschließend sagen:Nicht nur die Seele ist ein weites Feld.Beim Thema Bildung haben wir ja vielleicht die Mü-

hen des Aufstiegs weitgehend hinter uns, aber vor uns liegen die (nicht geringeren) Mühen der Ebene. Es gibt viel zu tun in einer funktionierenden humanen Gesell-schaft und es gibt sehr viel zu tun für die Volkshoch-schulbewegung. Viele Aufgaben sind gelöst worden, vieles ist zu Stande gekommen, aber das, was vor uns liegt, ist nicht weniger schwer als das, worauf wir mit Stolz zurückblicken können. Ich ersuche Sie daher um weitere gemeinsame, zukunftsorientierte Anstrengun-gen im Sinne unserer Werte und Ziele und ich werde versuchen, meinen Teil und das, was mir möglich ist, dazu beizutragen. //

Bildungsthemen aktuell

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Leonhard Dobusch1

Die Volkshochschulen in der digitalen Welt

Bildungsthemen aktuell

Wenn es um Chancen und Herausforderungen neuer digitaler Technologien geht, dann sind die Debatten in Deutschland und Österreich oft geprägt von Gefahren und Ängsten. Betont wird, dass das Internet „kein rechts-freier Raum sein dürfe“ (als ob es das jemals gewesen wäre), es wird vor „Datenkraken“, Hackern und Identi-tätsdiebstahl gewarnt und eine Verrohung des Umgangs („hatespeech“) beklagt. Angesichts der Breite der mit Di-gitalisierung verbundenen Sorgen und Ängste ist es auch nicht verwunderlich, dass auch im Bildungsbereich vor dem Internet gewarnt wird. So fragte das Nachrichten-magazin Der Spiegel in einer Titelgeschichte in Google-Schrift „Macht das Internet doof?“ Und Manfred Spitzer schaffte es mit seinem Buch „Digitale Demenz – Wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen“ auf die Spiegel-Bestseller-Liste. Ein Buch über die Potenz iale digitaler Technologien für mehr und bessere Bildung sucht man auf dieser Liste vergeblich.

Auch wenn es durchaus seine Berechtigung haben mag, neue Technologien kritisch zu hinterfragen, auch weil das die Voraussetzung für deren reflektierten Ein-satz ist, ist die Skepsis digitalen Werkzeugen gegenüber im Bildungsbereich verwunderlich. Vor allem auch jen-seits von klassischen Bildungsinstitutionen wie Schulen und Universitäten eröffnet das Internet völlig neue und zuvor undenkbar offene Zugänge zu verschiedensten Formen von Wissen.

Am besten demonstriert das emanzipatorische Po-tenzial digitaler Technologien mit Sicherheit Wikipe-dia. Nie zuvor war enzyklopädisches Wissen derart frei verfüg- und nutzbar. Die offene Creative-Commons-Lizenz der Wikipedia stellt nicht nur sicher, dass das kollaborativ produzierte Wissen dauerhaft und damit nachhaltig offen zugänglich bleibt. Die offene Lizenz er-laubt auch den Einsatz von Texten, Bildern und Videos außerhalb der Wikipedia selbst, in Blogs, Präsentationen und YouTube-Videos. Vor allem aber hat die offene Ver-fügbarkeit zu einer Nutzungsexplosion geführt. Waren klassische gedruckte Enzyklopädien mehr ein bildungs-bürgerliches und teures Statussymbol, in das kaum je ein Blick geworfen wurde, so nutzen heute nach der ARD-ZDF-Onlinestudie2 über 93 Prozent der 14–29-jährigen zumindest gelegentlich Wikipedia. Von der unerreich-ten – und zuvor unerreichbaren – Breite und Aktualität an abgedeckten Themen ganz zu schweigen. Auch wenn die Wikipedia sicher alles andere als perfekt ist und mit Problemen wie beispielsweise fehlender Diversität unter den Beitragenden kämpft (Dobusch: 2013), die Vorzüge überwiegen die Nachteile bei Weitem.

Auch im Hochschulbereich lässt sich beobachten, wie der Zugang zu kodifizierbarem Wissen niederschwel-liger wird. Bereits zur Jahrtausendwende begann das Massachusett s Institute of Technology (MIT) damit, Unterlagen ganzer Kurse unter einer offenen Lizenz frei zugänglich zu machen. In weiterer Folge begannen prominente Universitäten wie Harvard oder Stanford damit, auch die Teilnahme an Online-Kursen („Massive Open Online Courses“, MOOCs) ohne Aufnahmeselek-tion zu ermöglichen.

Natürlich bedeuten MOOCs nicht, dass in Zukunft alle Menschen in Harvard oder am MIT studieren kön-nen. Im Gegenteil, MOOCs machen sichtbarer, dass der Wert des Besuchs von Elite-Universitäten nur zu einem sehr geringen Maße im dort vermittelten Wissen besteht. Wovon Harvard und Harvard-AbsolventInnen in erster Linie profitieren, ist das mit der Zulassung verbundene Prestige und das persönliche Netzwerk aus Lehrenden und KommilitonInnen vor Ort. Aus diesen Gründen ist es auch so, dass Institutionen wie Universitäten durch of-feneren Zugang zu Lernmaterialien und Online-Kurse in ihrer Existenz nicht bedroht sind. Sie waren und werden immer viel mehr sein, als bloße Wissensvermittlungs-einrichtungen.

Dennoch birgt die Freigabe von Lehr- und Lernmate-rial im Allgemeinen und die Bereitstellung unter offenen Lizenzen und in offenen Formaten im Besonderen ein großes Potenz ial zur Verbesserung von Lehre auch in der Breite (Hofmann & Kampl: 2011). Je mehr Lehrende ihre Unterlagen offen lizenziert als „Open Educational Resources“ zur Verfügung stellen, desto einfacher wird es, sich gute Lehrideen abzuschauen, zu adaptieren und weiterzuentwickeln. Hinzu kommt, dass ein großer Teil von Lehr- und Lernunterlagen im Schul- und Hochschul-bereich ohnehin öffentlich finanziert ist bzw. von öffent-lich finanzierten Personen erstellt wird. Diese öffent-lich finanzierten Lernunterlagen auch offen lizenziert zugänglich zu machen ist die Voraussetzung dafür, die Potenz iale digitaler Technologien auch auszuschöpfen.

Ein derart wachsender Bestand an offen zugänglichen Lehr- und Lernunterlagen erfordert aber auch, sich in der Flut an digitalen Angeboten zurechtfinden zu müs-sen. Überfluss und Unübersichtlichkeit von digitalen Lernangeboten erzeugen Bedarf nach Orientierung. Die Verleihung des Staatspreises für Erwachsenenbildung im Bereich „Digital Literacy“ an den von Martin Ebner und Sandra Schön entwickelten und vom Verband Öster-reichischer Volkshochschulen unterstützen Kurs „Gratis Online Lernen“3 ist da nur logisch: Genau solche Weg-weiser durch den Wald digitaler Lernangebote werden immer wichtiger.

Und genau so eine Orientierungsfunktion ist es auch, die Volkshochschulen in der digitalen Welt in zuneh-mendem Maße erfüllen müssen. Wer durch das Kurspro-gramm einer Volkshochschule blättert, wird darin nicht nur eine enorme Bandbreite an Angeboten finden – von Sprachkursen über das Lernen von Musikinstrumen-ten bis hin zu Präsentationstechniken. Zu quasi jedem einzelnen Themenfeld gibt es inzwischen auf Online-Videoplattformen wie YouTube je nach Thema zwischen

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1 Keynote bei der VÖV Hauptversammlung am 21. Juni 2016

2 Siehe: http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=433 [1.11.2016].

3 Vgl. http://imoox.at/wbtmaster/startseite/onlinelernen.html [1.11.2016].

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Kompetenz- bilanzierungsverfahren als Möglichkeit der produktiven Selbsterkundung

Bildungsthemen aktuell

mehreren hundert bis hin zu hunderttausenden von Er-klär- und Lernvideos.

Aber genauso wenig wie MOOCs den Besuch von Harvard ersetzen können, machen YouTube-Videos den Besuch einer Volkshochschule überflüssig. Zumindest insoweit im Volkshochschulkurs mehr geboten wird, als im einschlägigen YouTube-Video. Und das beginnt dabei, dass es heute zur Basisqualifikation von Leh-renden an Volkshochschulen gehören muss, die besten YouTube-Videos im eigenen Themenbereich zu kennen und damit empfehlen zu können. Der Hinweis auf diese YouTube-Videos wiederum erlaubt dann, im Volkshoch-schulkurs mehr Zeit darauf zu verwenden, was auf You-Tube nicht möglich ist: individuelles Feedback geben zu können. Auf die Präsentation. Auf die Aussprache. Auf das Spielen des Instruments.

Gerade im Zusammenspiel von Plattformen wie You-Tube und Volkshochschulen wird deutlich, inwieweit sich Letztere auf Grund der Digitalisierung wandeln werden müssen. Gleichzeitig zeigt es aber auch, dass dieser Wandel eine große Chance darstellt, weil weniger die bloße Wissensvermittlung und mehr die Interaktion, der Austausch und persönliches Feedback im Zentrum stehen werden. Und wenn es darum geht, Orientierung zu geben, dann sind damit natürlich nicht nur YouTube-Tipps gemeint, sondern auch die Einordnung dessen, was sich zu einem Thema auf YouTube findet. Das ist eine immanent politische Aufgabe, bei der sich Volks-hochschulen traditionell am Gemeinwohl ausrichten.

Eine Ausrichtung am Gemeinwohl bedingt außer-dem, dass sich auch für Volkshochschulen die Frage stellt, wie sie mit dem Thema offene Lizenzen und offene For-mate umgehen wollen. Denn was durch die konsequente Nutzung von offenen Lizenzen für Lehr- und Lerninhalte in Form von Skripten, Videos und anderen Unterlagen im Zeitverlauf entsteht, ist eine digitale Wissensallmen-de. Bei der im Umfeld der Linzer Volkshochschule ent-standenen „Open Commons Region Linz“ ist in diesem Zusammenhang von „digitalen Gemeingütern“ die Rede und einem Selbstverständnis als öffentliche Einrichtung, zu deren Weiterentwicklung und Pflege beizutragen.

Letztlich ist so ein Fokus von Volkshochschulen auf Gemeinwohl und die Bereitstellung von Gemeingütern nichts anderes, als das Fortschreiben der ursprünglichen Idee und Mission von Volkshochschulen als Instituti-onen der breitest möglichen Volksbildung und -aufklä-rung. Eine Aufgabe, die auch in einer digitalen Gesell-schaft von unverändert großer Bedeutung ist. //

LiteraturDobusch, Leonhard (2013): Wikipedia: Grenzenlose Exklusion? Policy

Brief, Friedrich-Ebert-Stiftung. Verfügbar unter: http://library.fes.de/pdf-files/akademie/10463.pdf [20. 9.2016].

Hofmann, Barbara & Kampl, Rebecca (2011): Gemeinsam Lehren und Lernen: Open Educational Resources in Universitäten, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. In: Leonhard Dobusch, Christian Forsterleitner & Manuela Hiesmair (Hrsg.), Freiheit vor Ort: Handbuch kommunale Netzpolitik. München: Open Source Press. Verfügbar unter: http://www.freienetze.at/pdfs/Hofmann-Kampl(2011)Gemeinsam-Lehren-und-Lernen_FvO.pdf [20. 9.2016].

Julietta Adorno EINLEITUNGIm Anschluss an die, in meinem letzten Beitrag1 er-

läuterte allgemeine kritische Perspektive auf das Kon-zept des lebenslangen Lernens und damit in Zusam-menhang stehenden pädagogischen Maßnahmen, steht hier nun die Frage im Zentrum, inwieweit die gewon-nenen Erkenntnisse konkret Anwendung finden kön-nen. Dies geschieht am Beispiel des Kompetenz-Portfo-lios des Rings Österreichischer Bildungswerke.

Dabei sind folgende Fragestellungen leitend: Wel-che Risiken birgt das Kompetenz-Portfolio und welche Aspekte der allgemeinen Kritik am lebenslangen Ler-nen scheinen in Bezug darauf als gerechtfertigt? Wel-che Chancen hat das Kompetenz-Portfolio, um diese Risiken zu vermeiden? Inwieweit stellt es aufgrund sei-ner besonderen Beschaffenheit vielleicht sogar schon eine Reaktion auf diese Kritik dar? Was bleibt schließ-lich als Handlungsoption offen, um verstärkt einer Ent-wicklung von der Citizenship- hin zur Employability-Perspektive entgegenzuwirken?

RISIKENSo lässt sich auf den ersten Blick eine generelle

Skepsis gegenüber einer Verknüpfung der Bereiche Zivilgesellschaft und Erwerbsarbeit auch im Falle des Kompetenz-Portfolios nicht von der Hand weisen. Die Charakteristik der Freiwilligenarbeit, die sich auszeich-net durch den „freien/freiwilligen und selbstbestimm-ten ‚Gegenstandsbezug‘, von moralischen Gefühlen und persönlichen Leidenschaften“ (Kellner: 2007a, S. 53) kann zu Gunsten arbeitsmarktrelevanter Interes-sen aus dem Fokus geraten. Dies scheint tatsächlich eine ganz ausschlaggebende Problematik zu sein, die in vielen bildungspolitischen Entwicklungen im Zuge des lebenslangen Lernens mehr thematisiert werden müsste. Denn auf Grundlage des Humankapitalgedan-kens, der den Menschen in seiner Gesamtheit für öko-nomische Verwertungsprozesse systematisch nutzen möchte, könnte ein Bilanzierungsinstrument wie das

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1 Die Österreichische Volkshochschule, 67 (258). Verfügbar unter: http://magazin.vhs.or.at/magazin/2016-2/258-april-2016/schwerpunkt-berufliche-und-berufsbezogene-bildung/citizenship-oder-employability/ [1.11.2016].

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Kompetenz-Portfolio in genau diese Kerbe schlagen: „Die Ökonomisierung aller Lebenssituationen und die Ausrichtung aller individuellen Interessen und Hand-lungen an den Interessen des Marktes können dazu führen, dass das Handlungsfeld Freiwilligenarbeit seiner Eigenständigkeit und Eigensinnigkeit tendenzi-ell beraubt wird und das freiwilliges Engagement […] zum berufsvorbereitenden Lehrgang wird.“ (Düx et al.: 2008, S. 196).

Einerseits kommt den Maßnahmen zur Bilanzie-rung informell erworbener Kompetenzen in Bezug auf die Unsicherheit und die Fragmentierung der Bil-dungswelt nun eine besondere Bedeutung zu, denn sie bieten den Lernenden die Möglichkeit, sich ihren fortlaufenden Bildungsprozess und die ständige Wis-sensakkumulation bestätigen zu lassen und können somit „dem erworbenen Wissen seine […] Flüchtigkeit nehmen und es symbolisch festhalten“ (Kade & Seitter: 1998, S. 55). Andererseits sorgen sie jedoch gleichzeitig für einen verstärkten Wettbewerb und Konkurrenz-kampf, indem sie individuelle informelle Lernprozesse sichtbar und dadurch auch erst miteinander vergleich-bar machen (vgl. Pongratz: 2007, S. 11). Die Folge ist eine immerwährende Qualitätskontrolle von Bildungs-prozessen durch deren Dokumentierung und Standar-disierung.

Eine weitere Gefahr besteht darin, dass das Poten-zial, das im Kompetenzbegriff bezüglich einer zeitge-mäßen Übersetzung des klassischen Bildungsbegriffs liegt, durch die Verwendung eines stark begrenzten Kompetenzvokabulars eingeschränkt wird. Dieses orientiert sich am dominierenden betriebswirtschaft-lichen Kompetenzdiskurs und stellt somit eine Reduk-tion auf die kognitiven Fertigkeiten dar. Dadurch wird die Breite, der im Freiwilligenengagement potenziell erwerbbaren Kompetenzen nicht abgebildet und der Blick auf dieses verkürzt. Bei einer Fokussierung auf einzelne Kompetenzen kommt es zur Reduktion auf ein gesellschaftlich erwünschtes, limitiertes Kontin-gent an Inhalten. Verstärkt wird der Eindruck dieses Zurechtstutzens und Inform-Bringens von vielfälti-gen Erfahrungen durch die Wahl der Form eines Port-folios, einem Instrument, das sich ansonsten v.a. im wirtschaftlichen Kontext findet, nämlich als Mappe mit einer Ansammlung von Bildungsprodukten. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, erfolgt eine Analyse der Kompetenzen ausschließlich hinsichtlich ihrer für den Arbeitsmarkt relevanten Aspekte.

CHANCENEs zeigt sich also, dass sich die Kritik am Kompe-

tenz-Portfolio vor allem darauf richtet, dass überhaupt eine Verknüpfung zwischen Freiwilligenengagement und Erwerbsarbeit hergestellt wird und diese in diesem Zusammenhang auch ernst genommen werden sollte. Da es nun aber bereits sehr viele Modelle im Bereich der Kompetenzbilanzierung gibt und dies – wie sich noch zeigen wird – auch viele Chancen beinhaltet, soll-te vor allem die Frage diskutiert werden, auf welche Art und Weise die Erstellung erfolgt.

Anlässlich der nicht von der Hand zu weisenden Öko-nomisierungstendenzen und dem damit zusammen-hängenden Konkurrenzkampf in nahezu allen Lebens-bereichen besteht die Aufgabe nun also in der Suche nach einer „Lernkultur, die möglichst ohne Belehren auskommt, aber soziales Lernen und Weiterlernen an-regt und Lernen als Beitrag zu sozialem Zusammenhalt versteht […]. Dann bekommt auch ‚lebenslanges Ler-nen‘ einen pädagogischen Sinn: Es bietet die Chance selbstbestimmte Lernprozesse in sozialen Zusammen-hängen zu organisieren, zu betreuen und zu erleben“ (Wrentschur: 2012, S. 103 f.).

Dabei bietet das zivilgesellschaftliche Umfeld, in dem das Freiwilligenengagement zu verorten ist, ein geeignetes Lernfeld, in dem sich der/die Einzelne auf implizite Art und Weise mit wichtigen Fragen ausein-andersetzen kann, wie zum Beispiel: Welche Gesell-schaft befördern wir mit unserer Arbeit? Und bezogen auf die darin stattfindenden Lernprozesse: Worin be-steht ein Lernen, das Menschen befähigt, gut zu leben?

Warum sich also die Zivilgesellschaft als eigenes Lernfeld nicht zu Nutze machen und dieses fördern, in-dem den dort gemachten Lernprozessen Anerkennung geschenkt wird?

Freiwilligenengagement stellt idealerweise einen Bereich dar, der zum größten Teil außerhalb der Ein-flusssphäre von Staat und Markt liegt und damit Platz für die direkte Begegnung zwischen Individuum und Gesellschaft bietet. Somit eignet es sich gut für die Bil-dung eines kritischen Bewusstseins über gesellschaftli-che Zusammenhänge. Der Vorteil dieses nicht geplan-ten und beabsichtigten Lernarrangements liegt auf der Hand: „Mit wachsender Komplexität der Gesellschaft nimmt die Bedeutung nicht formal organisierter Lern-prozesse zu. Wer in vielen Settings agiert konfrontiert sich mit verschiedenen sozialen Umwelten, setzt sich mit diesen auseinander“ (Düx et al.: 2008, S. 231). Die-se Komplexität kann durch keine gesteuerten Prozesse künstlich hergestellt werden. Im Lernfeld Freiwillige-nengagement wird dadurch eine ganz spezielle Ver-knüpfung zwischen individuellem Lernprozess und sozialer Umwelt geschaffen.

DIE PORTFOLIO-ERSTELLUNG ALS PÄDAGOGISCH BEGLEITETER PROZESS

Nun bietet der Portfolio-Prozess die Möglichkeit der Kritik und der Erweiterung des Kompetenzansatzes (vgl. Kellner 2007a, S. 54), denn im Vergleich zu ande-ren Kompetenznachweisverfahren handelt es sich da-bei um einen begleiteten Selbsteinschätzungsprozess. Die methodische Vorgehensweise zeichnet sich durch eine Kombination aus Workshoparbeit und Einzelbe-ratung in Form einer begleiteten Selbstbewertung aus. Somit verfügt das pädagogische Personal – in diesem Fall also die Portfolio-BegleiterInnen – über enorme Einflussmöglichkeiten. So kann z. B. im Zuge des Port-folio-Prozesses der Versuch unternommen werden, „die im Doppelcharakter [von Bildung] enthaltene Di-alektik von geistiger Autonomie […] und Anpassung an die gesellschaftlichen Verhältnisse […] aufzuneh-

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men und weiterzuentwickeln.“ (Lahner: 2011, S. 96). Zuträglich ist ihm dabei das Lernfeld Freiwilligenenga-gement, denn es ermöglicht „Erfahrung und Erleben, wie soziale Probleme in ihrer Komplexität analysiert, beurteilt und aufgegriffen werden – daraus bildet sich Bewusstsein: Bildung beinhaltet Reflexion und Ent-scheidung zum Handeln ohne auf Wissen und sozia-les Potential zu verzichten.“ (Lenz zitiert nach Wrent-schur: 2012, S. 102).

Die große Chance des Kompetenz-Portfolios be-steht zudem darin, gerade vor dem Hintergrund der verschiedenen Diskurse über Bildung, Kompetenz und lebenslanges Lernen zu diskutieren, welchen Sinn die Erstellung desselben hat und damit einer reinen Verwertungslogik entgegenzusteuern. Der Portfolio-Prozess, verstanden als explizit pädagogische Situati-on, bietet den Freiwilligen die Möglichkeit, sich genau über die Risiken, die eine zu unbekümmerte Hand-habung beinhaltet, bewusst zu werden, denn: „Die Geschichte zeigt, dass es keine Eindimensionalität im Bildungsdiskurs gibt, sondern dass gerade das Span-nungsverhältnis zwischen konkurrierenden Anschau-ungen der entscheidende Impulsgeber für Innovatio-nen im Bildungsbereich darstellt.“ (Fuchs: 2007, S. 148) Die Lösung kann also nicht in einer kompletten Ableh-nung jeglicher pädagogischer Maßnahmen im Bereich des lebenslangen Lernens liegen, sondern es sollte durch ständige kritische Reflexion versucht werden, jede einzelne Maßnahme hinsichtlich ihrer Tendenz ei-ner zu starken Zurichtung auf eine Verwertbarkeit des Individuums und seines Lernprozesses zu beurteilen. Darin verbirgt sich zusätzlich eine Chance für die Ver-knüpfung pädagogischer Praxis und Bildungstheorie, denn diese „haben zweifellos immer einen schweren Stand gehabt und haben ihn noch heute. Deshalb soll-te aber gerade die hausgemachte Schwere überwunden und selbstkritische Lähmung vermieden werden. Die angemessene Selbstkritik hat daher nicht nur darin den eigenen Anteil am Falschen zu thematisieren, sondern auch die traditionelle Bornierungen sprengende Eröff-nung neuer Horizonte voranzutreiben, sowohl theore-tisch als auch praktisch.“ (Euler: 1997, S. 165).

ANREGUNGEN ZUR AUSGESTALTUNG DES PORTFOLIO-PROZESSES

Im Anschluss an die Diskussion der Chancen und des Potenzials des Kompetenz-Portfolios folgen an dieser Stelle nun Vorschläge zur Ausgestaltung der ge-nannten Möglichkeiten.

Der Workshop für die Portfolio-Erstellung kann einen Rahmen bieten, in dem diese Möglichkeiten er-probt werden, und zwar aus den bereits erwähnten Gründen: Zum einen der Tatsache, dass es sich dabei um eine pädagogische Situation handelt mit dem-entsprechenden Einflussoptionen der Workshoplei-tenden, zum anderen aufgrund der Möglichkeit des offenen und aktiven Austausches innerhalb einer Peer-group. Dort kann v. a. über das Aufwerfen entspre-chender Fragen das Kompetenz-Portfolio weiterentwi-ckelt werden.

Eine der zu stellenden Fragen wäre zum Beispiel: Für die Entwicklung welcher Kompetenzen eignet sich das Freiwilligenengagement? Diese sollten dann auch im Kompetenz-Portfolio abgebildet werden. Denn die Oberbegriffe der fachlich-methodischen, sozial-kom-munikativen sowie personalen Kompetenz kategori-sieren die Kompetenzen zwar, mit welchen konkreten Einzelkompetenzen diese dann gefüllt werden, ist dem/der ErstellerIn jedoch selbst überlassen. So könn-ten diese auch mit Kompetenzen aus alternativen Mo-dellen gefüllt werden, die im Zusammenhang mit Frei-willigenengagement Sinn ergeben. Ein gutes Beispiel hierfür liefert Oskar Negts Konzept der „Gesellschaft-lichen Kompetenzen“ (2011). Seine Auswahl von sechs Kompetenzen (Identitätskompetenz, Gerechtigkeits-kompetenz, technologische, ökologische, ökonomische und historische Kompetenz) begründet er mit der Tat-sache, dass mit ihnen „individuelle Interessen mit dem Blick auf das Ganze der Gesellschaft, das Gemeinwe-sen“ (ebd., S. 222) verbunden werden können und sie es dadurch ermöglichen, gesellschaftliche Zusammen-hänge herzustellen. Dadurch soll individuelle und ge-sellschaftliche Emanzipation, Urteilskraft, Autonomie sowie Partizipation an demokratischen Prozessen ge-fördert werden.

Darüber hinaus ist es das Format des Kompetenz-Portfolios, nämlich das sich Bewusstwerden und Erfas-sen von Kompetenzen in einem geführten Dialog mit ausgebildeten PortfoliobegleiterInnen, bei dem eine Reflexion über die eigenen Tätigkeiten im Ehrenamt und über die vom Arbeitsmarkt geforderten Kompe-tenzen im Mittelpunkt steht, welches eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Kompetenzen ermöglicht. Der Vorteil des Kompetenz-Prozesses liegt also v.a. in der „konstruktiven Erweiterung des [gängi-gen] Kompetenzansatzes“ (Kellner: 2007a, S. 58).

Die intensive Beschäftigung mit dem Thema Bil-dung und allen damit zusammenhängenden Begriff-lichkeiten führt nun jedoch zu keinerlei Vereinfachung der Situation, sondern eröffnet „den Blick auf ein Meer an Ambivalenzen“ (Bakic & Horvath: 2011, S. 17). Die-se auszuloten kann jedoch davor bewahren, dass die Mechanismen, die Bildung zum „rhetorischen und le-gitimatorischen Selbstbedienungsladen für jedwede pragmatisch und rasch durchzuführende Umsteuerung [machen]“ (ebd.), als solche nicht erkannt werden.

Bei allen Begriffen – lebenslanges Lernen, Kom-petenz und Bildung – hat sich gezeigt, dass sie im Laufe der Zeit einer starken Veränderung unterlagen und auch aktuell noch sehr unterschiedlich ausgelegt werden können. Sich diesen Prozess, vor allem in Ab-hängigkeit von seiner jeweiligen politischen, sozialen und ökonomischen Situation zu vergegenwärtigen, er-scheint daher eine sehr sinnvolle Möglichkeit, um et-waigen Gefahren einer unreflektierten Benutzung die-ser Begriffe entgegenzuwirken. Daher sollte dies auch in den Workshops für die Erstellung des Kompetenz-Portfolios thematisiert werden. Eine Sensibilisierung der Teilnehmenden für die unterschiedlichen Diskur-se erscheint in diesem Zusammenhang sehr wichtig,

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LiteraturBakic, Josef & Horvath, Wolfgang (2011): Diesseits und

jenseits nützlicher Bildung. In: Bundesvertretung der Österreichischen HochschülerInnenschaft (Hrsg.), Wessen Bildung? Beiträge und Positionen zur bildungspolitischen Debatte (S. 9–34). Wien: Mandelbaum.

Düx, Wiebken, Prein, Gerald, Sass, Erich & Tully, Claus J. (2008): Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement. Eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter. Wiesbaden: Springer.

Euler, Peter (1997): Kritische Bildungstheorie im Formationsprozeß technologischer Zivilisation. In: Lutz Koch, Winfried Marotzki, Alfred Schäfer (Hrsg.), Die Zukunft des Bildungsgedankens (S. 143–168). Weinheim: Beltz.

Fuchs, Eckhardt (2007): Entmystifizierung und Internationalisierung: Anmerkungen zur gegenwärtigen Bildungsdebatte. In: Ludwig A. Pongratz, Roland Reichenbach & Michael Wimmer (Hrsg.), Bildung – Wissen – Kompetenz (S. 136–154). Bielefeld: Janus.

Kade, Jochen & Seitter, Wolfgang (1998): Bildung – Risiko – Genuß: Dimensionen und Ambivalenzen lebenslangen Lernens in der Moderne. In: Rainer Brödel (Hrsg.), Lebenslanges Lernen – lebensbegleitende Bildung (S. 51–59). Neuwied: Hermann Luchterhand Verlag.

Kellner, Wolfgang (2007a): Kompetenz und Bildung, Emotionen und Tugenden. Ambivalenz der Kompetenz in Portfolioerfahrungen Freiwilliger. In: REPORT Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 30 (4), 53–61.

Kellner, Wolfgang (2007b): Wer ich bin und was ich kann. Liebes- und Arbeitssuche als netzbasierter Kompetenzdiskurs. In: Marc Ries, Hildegard Fraueneder & Karin Mairitsch (Hrsg.), Dating 21. Liebesorganisation und Verabredungskulturen (S. 99–116). Bielefeld: Transcript Verlag.

Lahner, Alexander (2011): Bildung und Aufklärung nach PISA. Theorie und Praxis außerschulischer politischer Jugendbildung. Wiesbaden: Springer.

Negt, Oskar (2011): Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform. Göttingen: Steidl.

Pongratz, Ludwig A. (2007): „Sammeln Sie Punkte?“ Notizen zum Regime des lebenslangen Lernens. In: Hessische Blätter für Volksbildung, 57 (1), 5–18.

Wrentschur, Michael (2012): Die zwei Enden eines Bildungs-Bogens. In: Rudolf Egger & Elke Gruber (Hrsg.), Anspruch, Einspruch, Widerspruch. Durch lebenslanges Lernen auf dem Weg in eine offene Gesellschaft. Festschrift für Werner Lenz (S. 95–109). Wien – Berlin: LIT Verlag.

damit sie ihren eigenen Kompass für den Begriffsd-schungel entwickeln können. Dem Risiko einer per-sonalen Selbstverdinglichung durch die „Simulierung bestimmter Absichten“ (Honneth zitiert nach Kellner: 2007b, S. 112) steht somit die Chance einer produktiven Selbsterkundung gegenüber. //

Ausmaß des frühen Ausbildungsabbruchs und Ansätze zur Prävention1

Mario Steiner

Bildungsthemen aktuell

Bei den frühen BildungsabbrecherInnen oder Early School Leavers handelt es sich einer europaweit geteilten Definition zufolge um Jugendliche, die sich nicht mehr in Ausbildung befinden und keinen über die Pflicht-schule hinausreichenden Bildungsabschluss aufwei-sen. Dieser Anteil – so das Ziel im Rahmen der Europa 2020-Strategie – soll bis zum Jahr 2020 im europäischen Durchschnitt unter einen Wert von 10 Prozent fallen. Um die Fortschritte dabei beobachten zu können, wird dieser Indikator in allen EU-Staaten auf Basis des Labor Force Survey erhoben. Für Österreich wird auf dieser Datengrundlage im Jahr 2010 ein Anteil von 8,3 Prozent ausgewiesen. Die Spanne in Europa ist breit und reicht in diesem Jahr von 5 Prozent in der Tschechischen Repub-lik und Slowenien bis hin zu 28 Prozent in Portugal und Spanien.

Zur Berechnung der Zielgruppengröße steht seit zwei Jahren (national) jedoch eine neue Datenbasis – das bildungsbezogene Erwerbskarrierenmonitoring (BibEr) – zur Verfügung. Dabei handelt es sich um Ver-waltungsdaten auf Basis einer Vollerhebung, die gegen-über Umfragedaten (wie den LFS-Labor Force Survey) den Vorteil haben, keinen statistischen Schwankungen zu unterliegen, und damit deutlich valider sind. Der Wechsel der Datenbasis zur Bestimmung der vorzeiti-gen BildungsabbrecherInnen vom LFS zu BibEr hat zur Konsequenz, dass die ausgewiesenen Anteile vorzeitiger BildungsabbrecherInnen deutlich höher liegen, als diese (im EU-Vergleich) traditionell für Österreich ausgewie-sen werden.

Insgesamt sind es 131.000 Jugendliche unter den 15–24-Jährigen2, die sich nicht mehr in Ausbildung be-finden und keinen Abschluss vorzuweisen haben, der über die Pflichtschule hinausgeht (FABA). Im Vergleich der Geschlechter sind Burschen und junge Männer et-was stärker betroffen als Mädchen und junge Frauen es sind.

1 Dieser Artikel stellt einen über weite Strecken wortidenten Auszug aus folgender Studie dar: Steiner, Mario, Pessl, Gabriele , Karaszek, Johannes (2016): Ausbildung bis 18. Grundlagenanalysen zum Bedarf von und Angebot für die Zielgruppe. Wien: Institut für Höhere Studien. (Sozialpolitische Studienreihe, Nr. 20).

2 Auf Basis des Labor Force Survey 2010 werden in der Altersgruppe der 15– 24-Jährigen rund 81.000 Jugendliche – also rund 50.000 weniger als auf Basis von BibEr – ausgewiesen.

32 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

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Bildungsthemen aktuell

ANZAHL DER FRÜHEN AUSBILDUNGSABBRECHERINNEN 2010

15– 24-Jährige – relativ 15– 24-Jährige – absolut männlich weiblich gesamt männlich weiblich gesamt

Burgenland 8,9% 8,8% 8,9% 1.405 1.315 2.720Kärnten 12,0% 10,0% 11,0% 4.003 3.159 7.162Niederösterreich 12,0% 10,6% 11,3% 11.649 9.715 21.364Oberösterreich 12,4% 10,9% 11,7% 11.374 9.496 20.870Salzburg 12,2% 9,9% 11,1% 4.031 3.152 7.183Steiermark 10,3% 9,4% 9,9% 7.755 6.699 14.454Tirol 12,6% 11,8% 12,2% 5.779 5.274 11.053Vorarlberg 14,0% 13,1% 13,6% 3.427 3.031 6.458Wien 21,4% 18,7% 20,0% 21.128 18.838 39.966Ö-gesamt 13,7% 12,2% 13,0% 70.551 60.679 131.230

Quelle: Statistik Austria, BibEr 2010 & LFS 2010

Differenziert nach Bundesländern ist der Anteil im Bur-genland (bezogen auf die 15– 24-Jährigen) mit 8,9 Prozent am niedrigsten. Überdurchschnittliche Werte zeigen sich demgegenüber in Vorarlberg (13,6 Prozent) und in Wien (20 Prozent). In Wien ist auch der Unterschied nach Ge-schlecht am deutlichsten ausgeprägt und beträgt annä-hernd drei Prozentpunkte zuungunsten der männlichen Jugendlichen.

Die neue Datenbasis erlaubt jedoch noch wesentlich genauere regionale Differenzierungen, als dies bisher möglich gewesen ist. So liegen nun erstmals auch Be-rechnungen auf Ebene einzelner politischer Bezirke vor, die noch wesentlich deutlichere regionale Unterschiede offenbaren, als dies imHinblick auf die Bundesländer bisher bekannt war. Die Spanne bewegt sich demnach bezogen auf die 15– 24-Jährigen zwischen 5,7 Prozent in Zwettl sowie 5,8 Prozent in Urfahr-Umgebung auf der ei-nen Seite und 24,6 Prozent in Wien-Favoriten sowie 25,9 Prozent in Wien-Brigittenau auf der anderen Seite. Der höchste Nicht-Wiener-Wert befindet sich an neunt letz-ter Stelle und ist mit 21,3 Prozent in Wels-Stadt (OÖ) zu verzeichnen. Insgesamt erweist sich FABA sehr stark als

städtisches Phänomen. So liegen über dem österreichi-schen Durchschnitt nur fünf ländlichere Bezirke (Baden, Braunau/Inn, Neunkirchen, Reutte, Kufstein) aber 31 Städte bzw. Stadtbezirke.

Doch auch innerhalb der Bundesländer sind die Unter-schiede beachtenswert. So schwanken die Werte in Wien zwischen 12,3 Prozent in der Josefstadt bis 25,9 Prozent in Wien-Brigittenau. Eine noch größere Spanne weist jedoch Oberösterreich auf, wo sich die Werte zwischen 5,8 Pro-zent in Urfahr-Umgebung und 21,3 Prozent in Wels-Stadt bewegen. Relativ am ausgewogensten präsentieren sich das Burgenland (6,6 Prozent in Oberpullendorf und 10,5 Prozent in Eisenstadt-Stadt) und interessanter Weise die Steiermark. Das Ergebnis für die Steiermark ist deshalb beachtlich, da sich hier ja mit Graz die zweitgrößte Stadt Österreichs befindet und zumeist die Landeshauptstädte die Ursache für die großen Schwankungen in den einzel-nen Bundesländern darstellen. In der Steiermark jedoch findet sich der niedrigste Wert mit 6,9 Prozent in Weiz, der höchste zwar erwartungsgemäß in Graz-Stadt. Mit 12 Prozent FABA-Anteil unter den 15-24-Jährigen liegt die-ses Ergebnis aber deutlich unter dem Wert vergleichbarer Städte (Linz 18,3 Prozent, Salzburg 17,7 Prozent).

HANDLUNGSANSÄTZE IM BEREICH DER PRÄVENTION & INTERVENTION

Nach einer Darstellung des Problemausmaßes geht es hier nunmehr darum, Handlungsansätze zur Gegen-steuerung herauszuarbeiten. Die Maßnahmen werden dabei in Maßnahmen zur Prävention, Intervention und Kompensation unterschieden. Da in Österreich politisch meist ein Schwerpunkt auf Kompensationsmaßnahmen liegt, erfolgt an dieser Stelle eine Konzentration auf die Felder der Prävention und Intervention, die oftmals her-ausfordernder sind. In diesem Kontext stehen die Selek-tivität des Bildungssystems, die Frage von Ressourcen und ihrer Verteilung, die Rolle der Eltern sowie jene der LehrerInnen und ihrer Ausbildung zur Diskussion. Die Datengrundlage bilden eine Sekundärauswertung von

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 33

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annähernd 100 Interviews, die im Dunstkreis des Themas des frühen Bildungsabbruchs z.B. im Rahmen der Evalu-ierung von Jugendcoaching und AFit (um nur zwei Bei-spiele zu nennen) geführt wurden sowie fünf Primärinter-views mit ExpertInnen speziell zur Frage der Prävention und Intervention.

SELEKTIVITÄT DES BILDUNGSSYSTEMSDie Frage der Prävention ist im Rahmen eines selek-

tiven Bildungssystems eine schwierig zu bewältigende Herausforderung. Sie ist deshalb schwierig, weil es zu-nächst einmal zu klären gilt, inwieweit die Prävention ein Systemziel darstellt und wer dafür zuständig ist. Hier sind einander widersprechende Tendenzen auszumachen. Ei-nerseits wird Prävention innerhalb des Bildungssystems immer mehr als Thema wahrgenommen, andererseits ist in einem selektiven Schulsystem, das daraufhin ausge-richtet ist, zu kategorisieren und in leistungshomogene Gruppen einzuteilen, niemand dafür zuständig, schon gar nicht die Schulen. Die Schulen verstehen sich selbst oft als Einrichtungen, die Fachunterricht auf einem ge-wissen Niveau erteilen, wer dieses Niveau nicht erreicht, befindet sich in der bestimmten Schule bzw. Schulform am falschen Platz und wird an den „richtigen“ Platz (das Niveau darunter) weiterverwiesen. Insofern ist der Ge-danke der Prävention für viele AkteurInnen bis zu einem gewissen Grad systemfremd und wird in den Bereich der Nicht-Zuständigkeit verwiesen.

„Die ganze Leistungsbeurteilungsfrage, das wir also – die Schweden haben zum Beispiel in den ersten sechs sieben Jahren keine Beurteilung, weil sie sagen, abge-rechnet wird erst am Ende eines Zyklus und bis dahin sollen sich die Schüler in Ruhe entwickeln und wir geben schlechtesten falls schon im ersten Halbjahr ein Zeug-nis aus, Noten, was auch ein Unsinn ist, das heißt es ist einfach eine vollkommen selektive Grundauffassung vorhanden, die nicht zielführend ist. [...] Kategorisieren, selektieren in verschieden Schularten, wir haben viele verschiedene Schularten, wir haben sehr viele Parallel-systeme, wir leisten uns eine Pflichtschule und eine Son-derschule und wir leisten uns eine Haupt- eine neue Mit-telschule und ein Gymnasium, und viele Länder würden den Kopf schütteln und sagen: OK es gibt einen Strang und innerhalb eines Stranges gibt es gute Differenzierun-gen, aber es fliegt keiner raus, das ist der Unterschied.“ [Interview 5: Person aus der Schulverwaltung].

Ein Kristallisationspunkt dieser Selektivität ist das Wiederholen von Schuljahren. Dieses wird als nicht ziel-führend eingestuft, sondern mit einer Reihe von Nach-teilen verbunden, die den beabsichtigten Kompetenzzu-wachs infrage stellen. Als Grundproblem dabei werden der Verlust der Klassengemeinschaft und die mit dem „Sitzenbleiben“ verbundene soziale Zurückweisung gesehen. Der Verlust der sozialen Bindungen kann so den frühen Abbruch begünstigen, statt den Zweck einer „zweiten Chance“ zu erfüllen. Dem Sitzenbleiben gehen zudem viele Defizit- und Sanktionserfahrungen voraus , die zu einem allgemeinen „Unwohlsein“ sowie dazu bei-tragen, das Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähig-keit zu untergraben. Wer sich jedoch nicht wohlfühlt, ist

auch weniger lernfähig, als er/sie es in einem bestärken-den Umfeld wären.

Demzufolge liegt die erste Schlussfolgerung hinsicht-lich einer Bestärkung der Prävention von frühem Abbruch im Bildungssystem darin, dessen Selektivität zu redu-zieren, was einer Befassung mit einem Ursachenkom-plex anstelle einer reinen Symptombekämpfung gleich-kommt.

RESSOURCENEin Grundtenor vieler AkteurInnen innerhalb des

Bildungssystems ist es, dass mehr Ressourcen benötigt werden, Ressourcen für den Unterricht ebenso wie Res-sourcen für Unterstützungseinrichtungen. So brauche es anstelle einer Kürzung, eine Ausweitung der Lehrer-stunden. Im Bereich der Sprachförderung geschehe zwar viel, das sei jedoch nicht ausreichend, um dem Problem der Leistungsdefizite und des frühen Abbruchs begeg-nen zu können. Auch die Unterstützungssysteme, wie Schulpsychologie und Schulsozialarbeit, werden als viel zu unterdotiert wahrgenommen, hier wäre im Minimum eine Verdopplung anzustreben. Derzeit stehen Unter-stützungssysteme oft nur im geringen Stundenausmaß pro Woche zur Verfügung und es sind lange Wartezeiten an der Tagesordnung. Kinder und Jugendliche haben aber oft unmittelbaren Bedarf, der sofort gedeckt werden muss und keinen mehrtägigen Aufschub verträgt. Aus diesem Grund wird es als essenz iell gesehen, dass die an-gesprochenen Unterstützungseinrichtungen jederzeit an der Schule verfügbar d.h. dort angesiedelt sind.

Die Diskussion um die Frage der Ressourcen vermit-telt den Eindruck einer Unterausstattung im österreichi-schen Bildungssystem. Dieser Eindruck steht im Kontrast zu den im internationalen Vergleich ausgewiesenen Aus-gaben Österreichs für seine Schulen, wie sie aus nachste-hender Grafik hervorgehen.

Demnach liegen die Bildungsausgaben in Österreich für die Sekundarstufe I & II im internationalen Vergleich bei

PRO-KOPF BILDUNGSAUSGABEN (KKS) FÜR DIE SEKUNDARSTUFEN 2010

Quelle: EUROSTAT, Berechnungen: IHS-Steiner

Bildungsthemen aktuell

34 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

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134 Prozent des EU27-Durchschnitts gerechnet in Kauf-kraftparitäten. Anschließend an dieses Ergebnis stellt sich die Frage, ob das geforderte Mehr an Ressourcen-ausstattung, um dem vorzeitigen Abbruch präventiv be-gegnen zu können, nicht eher eine Frage der Verteilung des vorhandenen Budgets darstellt. In diesem Kontext sind die kostspieligen Klassenwiederholungen sowie umfangreichen Parallelstrukturen (auf Ebene von Schul-formen und Verwaltung) als Einsparungspotentiale zu benennen.

LEHRERINNEN UND IHRE AUSBILDUNGDie aktuellen Arbeitsbedingungen für LehrerInnen

werden von vielen ExpertInnen als herausfordernd be-zeichnet. Abgesehen von mangelnden räumlichen Res-sourcen sind sie durch das Primat der Fächerorientierung im österreichischen Bildungssystem auch strukturell eher auf ein allein- und eigenverantwortliches Handeln zurückverwiesen, denn auf Teamarbeit. Teamsitzungen, gemeinsamer Austausch und Vernetzungen untereinan-der werden dadurch kaum gefördert und dementspre-chend auch nicht in dem Ausmaß gelebt, wie es beispiels-weise für den Kompensationsbereich typisch ist. Eben diese Zusammen- und Teamarbeit ist dort jedoch eine Gelingensbedingung, für die im schulischen Bereich ein Mangel wahrgenommen wird. In diesem Kontext sind LehrerInnen, die sich gegen den vorzeitigen Abbruch von SchülerInnen engagieren, oft auch EinzelkämpferInnen, denen zudem nicht im erforderlichen Ausmaß Supervisi-on für die eigene Psychohygiene zur Verfügung steht. Die Konsequenz aus diesem Allein-Sein und Alleingelassen-Werden ist für in der Prävention engagierte LehrerInnen nicht selten Überlastung bis hin zu Burnout. Professio-nelle Unterstützung können hier Schulpsychologie und Schul-Sozialarbeit bieten, deren Mandat es auch ist, mit abbruchgefährdenden Problemlagen umzugehen, nur steht dieses Angebot oft nicht in dem Ausmaß zur Verfügung, wie es im Rahmen der Dropout-Prävention und -Intervention notwendig wäre. Wäre das Unterstüt-zungssystem entsprechend ausgebaut, bestünde für die Lehrkräfte auch wieder mehr Spielraum, sich auf ihre eigentliche Kernaufgabe – jene der Pädagogik – zu kon-zentrieren.

Optimierungspotenz ial wird jedoch auch in der Leh-rerInnaus- und -weiterbildung gesehen. Diese sollte die Vorrangstellung des Unterrichtsfaches etwas zurück-drängen und dafür Aspekte des Psychosozialen, der Ge-sprächsführung, des Konfliktmanagements sowie das Diversitätstraining stärker hervorkehren. Insgesamt wird es als notwendig erachtet, die LehrerInnausbildung höherschwelliger zu positionieren und zudem das Aus-maß ihrer Diversitätsorientierung zu erhöhen. So ist es vor allem im Hinblick auf Prävention und Intervention vorteilhaft, auf die Ausbildung von LehrerInnen mit Mi-grationshintergrund zu achten, denn LehrerInnen mit Migrationshintergrund können die Funktion von Role-Models übernehmen, die die Gruppe der ganz besonders vom Abbruch gefährdeten Jugendlichen mit Migrations-hintergrund anspornt, da sie darin gelungene Beispiele für Integration und Erfolg erkennen können. Empirische

Analysen der aktuellen Ausbildungssituation zeigen je-doch, dass im Schuljahr 2011/12 nur 3,6 Prozent der Schü-lerInnen in Lehrerbildenden Höheren Schulen eine nicht-deutsche Umgangssprache aufwiesen, während der Anteil an SchülerInnen mit Migrationshintergrund über alle Schulformen hinweg jedoch 19,3 Prozent betrug (Sta-tistik Austria: 2013,Bildung in Zahlen 2011/12. Tabellen-band, Wien). An den pädagogischen Hochschulen wiede-rum wurden im Studienjahr 2012/13 auch nur 6,3 Prozent Studierende mit einer nicht österreichischen Staatsbür-gerschaft ausgewiesen (Statistik Austria: 2014,Bildung in Zahlen 2012/13. Tabellenband, Wien).

Die Ausführungen zusammenfassend können also ein Ausbau des Unterstützungssystems in der Schule sowie die Diversität und eine Fokusverschiebung in der LehrerInnenausbildung als zentrale Präventionsmaß-nahmen festgemacht werden.

ELTERN UND IHRE VERANTWORTUNGDas Verhältnis des Bildungssystems bzw. der Schulen

zu den Eltern und die Beziehung der Eltern zu den Schu-len ihrer Kinder ist ambivalent. Vielfach ist es so, dass sich die eine Partei über die andere beklagt und vice versa. Der Grund dafür wird in einem ungeklärten Verhältnis zuein-ander gesehen. Biografiegeschichtlich gesehen liegt die Hauptverantwortung für das Gelingen der Ausbildung ihrer Kinder bei den Eltern.

„Die Hauptproblematik ist, dass die Lernergebnisver-antwortung in Österreich bei den Eltern liegt und nicht bei den Schulen [...]. Die Lernergebnisverantwortung ist, es ist so, wenn die Eltern dahinter sind, wenn sich die Eltern kümmern um den Schulerfolg, dann gelingt die Bildungs-karriere meistens, wenn die Eltern sich nicht kümmern, dann gibt es in vielen Fällen Schwierigkeiten oder Proble-me“ (Interview 5: Person aus der Schulverwaltung).

Diese Verantwortung können jedoch viele Eltern aufgrund ihrer eigenen Belastungssituation nicht mehr übernehmen und ein anderer Teil der Eltern wird mit dieser Verantwortung als schlicht überfordert einge-stuft. Viele Eltern v.a. jener SchülerInnen, die abbruch-gefährdet sind, weisen eine (innere) Distanz zu Bildung allgemein und zur Schule ihrer Kinder im Besonderen auf. Eigene schlechte Schulerfahrungen lassen sie den Kontakt mit der Institution (bzw. den LehrerInnen als deren VertreterInnen) vermeiden. Sie kommen also Gesprächsaufforderungen durch LehrerInnen oft nicht nach. Kontaktaufnahmen durch Schulsozialarbeit wer-den im Gegensatz dazu in diesen Fällen aber meist als erfolgreicher eingeschätzt. Die schlechten Erfahrungen lassen sich nicht in wenigen Fällen auf Selektionser-fahrungen zurückführen, die die Eltern selbst erlebt haben, weshalb ihnen meist auch das kulturelle Kapi-tal – sprich das Ausbildungsniveau – dazu fehlt, ihre Kinder bei der nach Hause verlagerten Lernleistung un-terstützend zur Seite zu stehen. Schließlich sind zudem oftmals beide Elternteile genötigt, einer ganztägigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, um den Lebensunter-halt sichern zu können, weshalb ihnen zuweilen auch die Kenntnis fehlt, ob und wie regelmäßig ihre Kinder die Schule besuchen.

Bildungsthemen aktuell

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 35

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Weiterbildung im Großformat

Birgit Aschemann, CONEDU

ONLINE-LERNEN FÜR ERWACHSENENBILDNERINNEN

Der Arbeitsalltag und die aktuellen Beschäftigungs-verhältnisse in der Erwachsenenbildung verlangen von ErwachsenenbildnerInnen oft viel Einsatz und Flexibilität und ermöglichen nicht immer eine Wei-terbildungsteilnahme zu den dafür üblichen Zeiten. Zugleich gibt es gerade bei ErwachsenenbildnerInnen häufig ein überdurchschnittliches Interesse, eine fachli-che Notwendigkeit und mitunter (wie in der Initiative Erwachsenenbildung) auch eine vertragliche Verpflich-tung zur Weiterbildung.

Online-Weiterbildungen für Erwachsenenbildne-rInnen kommen hier vielen KursleiterInnen entgegen, weil sie es ermöglichen, teilzunehmen wann und wo sie wollen. In einer 2012 durchgeführten Befragung von Basisbildungs-TrainerInnen (vgl. Aschemann 2012) gaben über 40 Prozent der Antwortenden an, dass On-line-Angebote (eLearning oder Blended Learning) für sie zu den Voraussetzungen für eine Weiterbildungs-teilnahme gehören. Aus ähnlichen Überlegungen heraus wurde 2015 im Nordischen Netzwerk für Er-wachsenenbildung eine Machbarkeitsstudie für große

offene Onlinekurse durchgeführt, und zwar mit ermu-tigenden Ergebnissen (vgl. NVL Nordiskt nätverk för vuxnas lärande: 2015). Damit lag das Vorhaben eines MOOC – eines großen offenen Onlinekurses (Massive Open Online Course) – für die Weiterbildung von Er-wachsenenbildung erstmals im Europäischen Kontext auf dem Tisch.

WIE ERWACHSENENBILDNERINNEN VOM WEITERBILDUNGSFORMAT MOOC PROFITIEREN• Der erste große Vorteil eines MOOC besteht in der

Möglichkeit, einen interessanten Kurs zu besuchen, auch wenn er nicht in der Nähe zum Wohn- oder Arbeitsort angeboten wird. Unabhängigkeit und Flexibilität sind wichtige Vorzüge: man kann auch abends oder am Wochenende teilnehmen. Aber es gibt noch weitere Gründe.

• Ein xMOOC ist eine sehr strukturierte Form, um multimedial etwas Neues zu lernen. Lesestoff, Vi-deos, Diskussionen und die dazugehörigen Tests sind alle an einem einzigen digitalen Ort versam-melt. Die TeilnehmerInnen ersparen sich die Arbeit, selber Material zu einem bestimmten Thema zu sammeln oder auszuwählen – das gehört zum Ser-vice des MOOC.

• Der dritte Vorteil ist der Austausch mit anderen TeilnehmerInnen (ErwachsenenbildnerInnen) in den Foren des MOOC. Diese Foren haben den Vor-teil, dass ein bestimmtes Thema meistens zeitnah diskutiert wird, nämlich solange die jeweilige Ein-heit aktuell ist. Die Diskussionen in MOOC-Foren können dadurch intensiver ausfallen als in anderen Foren im Internet.

• Im MOOC kann man außerdem – viertens – andere ErwachsenenbildnerInnen dabei beobachten, wie sie Lerninhalte digital aufbereiten und wie sie digitale Lernprozesse gestalten. Das ist zwar offiziell nicht das Lernziel, aber MOOCs bieten auf diese Weise eine gute Gelegenheit, sich abzuschauen, was einem gefällt, und die Fehler anderer selbst zu vermeiden.

In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Ganztagsschule ins Treffen geführt, um dieser sich selbst verstärkenden Abwärtsdynamik entgegenwir-ken zu können: Die Schule lagert viel an Lernleistung in das häusliche Umfeld aus, dieses kann in vielen Fällen die notwendige und erwartete Unterstützungs-leistung nicht erbringen und die unmittelbaren Konse-quenzen sind Leistungsdefizite sowie in längerfristiger Perspektive der frühe Abbruch der Bildungslaufbahn.

Die Ganztagsschule belässt demgegenüber viel größe-re Anteile der zu erbringenden Lernleistung innerhalb der eigenen Institution, kann Nachhilfe und Lernun-terstützung in das eigene Leistungsportfolio integrie-ren, wodurch die Abhängigkeit von der Unterstützung durch das Elternhaus und mit ihr die soziale Selekti-vität sinkt. Insofern kann die Ganztagsschule als Prä-ventionsmaßnahme gegenüber dem frühen Bildungs-abbruch verstanden werden. //

36 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

Bildungsthemen aktuell

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• Und fünftens machen ErwachsenenbildnerInnen in MOOCs selbst eine digitale Lernerfahrung. Sie schlüpfen selbst wieder in die Lernenden-Rolle, diesmal in einer digitalen Umgebung. Besonders für ErwachsenenbildnerInnen, die künftig ihre Lernan-gebote stärker digital gestalten möchten, ist das eine hilfreiche Erfahrung.

EBMOOC: DER ERSTE ÖSTERREICHISCHE MOOC SPEZIELL FÜR ERWACHSENENBILDNERINNEN

Dank einer Förderung durch das Bildungsministeri-um wird ein solcher offener Onlinekurs für Erwachse-nenbildnerInnen ab März 2017 erstmals in Österreich durchgeführt. Er wird von CONEDU, TU-Graz und WerdeDigital gemeinsam erstellt und vermittelt nütz-liches Knowhow über den Einsatz alltagstauglicher und einfacher Tools für alle Tätigkeiten in der Erwachse-nenbildung – von Training über Beratung bis Bildungs-management.

Hier können sich Lehrende und TrainerInnen, Be-raterInnen und BildungsmanagerInnen Fähigkeiten im grundlegenden Umgang mit digitalen Werkzeugen im Internet aneignen. Die Kursdauer beträgt sechs Wo-chen bei einem Gesamtumfang von 18 Stunden. Die Teilnahme am EBmooc ist kostenlos, und die Zeitein-teilung obliegt den Teilnehmenden. Begleitend zum Selbststudium werden Online-Meetings (Webinare) und Begleitgruppen zum Austausch mit anderen In-teressierten eingerichtet. Ein Forum zu jeder Einheit unterstützt den Austausch. Weiterführende Informati-onen zum EBmooc sind online unter http://erwachse-nenbildung.at/ebmooc/ zugänglich.

Offen ist dieser Onlinekurs in mehrerer Hinsicht. Zum einen können alle ErwachsenenbildnerInnen ohne weitere Nachweise kostenfrei teilnehmen, zum anderen ist der Kurs auch hinsichtlich Content offen: alle eigenen Produkte (inkl. Videos, Skripts, Anleitun-gen) sind als Creative Commons lizenziert und dürfen weiterverwendet und auch adaptiert werden.

DER EBMOOC ALS SOZIALES LERNFORMAT Über die Foren im MOOC können sich die Teilneh-

merInnen mit anderen Lernenden in ähnlichen Situa-tionen austauschen. Beim EBmooc kommen außerdem Webinare dazu, also Live-Onlinetreffen, bei denen die Teilnehmenden die ReferentInnen aus dem MOOC in Echtzeit sehen und mit ihnen chatten oder reden kön-nen. Das wirklich Besondere ist jedoch eine zusätzliche Face-to-face-Begleitung. Dieses Modell des „inverse blended learning“ hat sich sehr bewährt.

Inverse Blended Learning meint die Unterstützung von Online-Lernangeboten durch Präsenztreffen. An-ders als beim üblichen Blended Learning ist der Aus-gangspukt nicht der Präsenzunterricht, der mit Online-teilen angereicht wird, sondern im Mittelpunkt steht ein Onlinekurs, der mit Präsenztreffen angereichert wird – daher der Name „inverse“, also „umgekehrt“.

Die begleitenden Präsenztreffen (Begleitgruppen, „MOOC-Stammtische“ oder „MOOC-Bars“) dienen den Teilnehmenden dazu, etwaige Fragen zu klären

und das bereits Gelernte innerhalb der Gruppe zu dis-kutieren und zu vertiefen. Teilnehmende verabreden sich dabei auch, um Erfahrungen auszutauschen oder Aufgaben gemeinsam zu lösen. LernbegleiterInnen oder ModeratorInnen begleiten diesen Austausch und bekommen im Fall des EBmooc dafür eine kostenlose Einschulung. Diese findet für den EBmooc persönlich am 24. November 2016 und Graz und online am 18. Jänner 2017 statt.

Eine an der Technischen Universität Graz durch-geführte Studie zum MOOC „Gratis Online Lernen“ zeigte, dass die Unterstützung durch Begleitgruppen zu einer deutlichen Steigerung der Abschluss-quoten führte (vgl. Ebner, Schön & Käfmüller: 2015, S. 199). Mittlerweile lässt sich in vielen MOOCs die Bildung solcher lokaler Lerngruppen beobachten. Zum EBmooc werden österreichweit von unter-schiedlichen Trägern Begleitgruppen angeboten. Eine Volkshochschule ist auch bereits dabei. InteressentInnen finden nähere Informationen unter folgender URL und können hier weitere Begleitangebote anmelden: http://erwachsenen-bildung.at/ebmooc/kooperieren.php

Die Anmeldung zur Kursteilnahme ist unter http://imoox.at/wbtmaster/startseite/ebmooc2017.html möglich.

DIE ZERTIFIZIERUNG VON LERNERTRÄGEN AUS MOOCS

Die zunehmend wichtigen Formen des digitalen Lernens stellen auch die Validierungs- und Anerken-nungspraxis für Weiterbildungen vor neue Herausfor-derungen. Konventionelle Teilnahmebestätigungen können in MOOCs automatisiert ausgestellt werden, bewirken aber noch keine Validierung. Dazu kommen Badges, die im EBmooc wie in vielen andern digita-len Angeboten vergeben werden, als eine Art eigene „Währung“, die im Bereich des eLearning gesammelt wird. Badges sind eine Art „digitaler Lernabzeichen“, die an eine E-Mail-Adresse gekoppelt sind und deren Gültigkeit von Seiten des technischen Betreibers veri-fiziert wird (also im Fall des EBmooc von Seiten der TU Graz). Sie werden im Zuge der Anerkennung in-formellen Lernens hoffentlich zunehmende Beachtung erfahren.

Im konkreten Fall des EBmooc wird das erfolgreiche Absolvieren des gesamten Online-Kurses außerdem von der wba im Kompetenzbereich „Informationsma-nagement“ 1 ECTS (wba) anerkannt. Damit wurde ein vorbildhafter Schritt zur Anerkennung des Onlineler-nens in Österreich gesetzt.

EUROPAS PLÄNE ZUR VERBESSERUNG DIGITALER KOMPETENZEN

Initiativen wie der EBmooc stehen in einem grö-ßeren europäischen Kontext. Die Förderung digitaler Kompetenzen ist ein Schwerpunkt in der aktuellen Skills Agenda der Europäischen Kommission 2016 (vgl. European Commission: 2016). Im Jahr 2016 wurde ein einschlägiger Kompetenzraster veröffentlicht, der in vielen EU-Ländern bereits genutzt wird und auch Be-

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 37

Bildungsthemen aktuell

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QuellenAschemann, Birgit (2012): BasisbildungstrainerInnen für MigrantInnen.

Berufsmonitoring, Arbeitszufriedenheit, Professionalisierung. Zwischenbericht. Verfügbar unter: http://www.netzwerkmika.at/images/Monitoring%20BasisbildungstrainerInnen%20f%c3%bcr%20MigrantInnen.pdf [3.8.2016].

Ebner, Martin, Schön, Sandra & Käfmüller, Kathrin (2015): Inverse Blended Learning bei „Gratis Online Lernen“ – über den Versuch, einen Online-Kurs für viele in die Lebenswelt von EinsteigerInnen zu integrieren. In: Nicolae Nistor & Sabine Schirlitz (Hrsg.), Digitale Medien und Interdisziplinarität. Herausforderungen, Erfahrungen,

Perspektiven (S. 197–206). Münster – New York: Waxmann. (Medien in der Wissenschaft, Bd. 68).

European Commission (2016): A New Skills Agenda for Europe. Online verfügbar unter: http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=15621&langId=en [3.8.2016].

NVL Nordiskt nätverk för vuxnas lärande (2015): MOOC for Nordic Education for Teachers in the Field of Basic Skills for Adults. A Feasibility Study. Oslo: Vox. Verfügbar unter http://nvl.org/Content/MOOC-for-Nordic-education-for-teachers [3.8.2016].

standteil des Europass ist. Bis Mitte 2017 sollen die Mitgliedstaaten umfassende Strategien für die digitale Kompetenzentwicklung vorlegen und dafür Stakehol-der des öffentlichen Lebens, der Geschäftswelt, des Bil-

dungsbereichs und des Arbeitsmarkts vernetzen. Von der Erwachsenenbildung wird hierzu ein Beitrag erwar-tet, den sie nur mit qualifizierten Erwachsenenbildne-rInnen leisten kann. //

SAPA goes blendedEin Erfahrungsbericht zur Überführung des Zertifikatslehrgangs für Sprachkursleitende in ein Blended Learning-Format mit Online-Vor- und -Nachphasen

Bildungsthemen aktuell

Im Rahmen diverser Evaluationen der früheren Lehr-gänge hatte sich gezeigt, dass der hohe Zeitaufwand (v. a. An- und Abreise und Übernachtungen) und die damit verbundenen Kosten (u. a. auch Übernachtungen) die finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten vieler TeilnehmerInnen vor Herausforderungen stellten bzw.

diese überforderten. Ziel eines vom bm:bf geförderten Projekts war es daher, die Präsenzzeiten von jeweils drei Tagen pro Modul auf eineinhalb Tage zu reduzie-ren und in diesem Zusammenhang das Konzept des derzeit bestehenden Lehrgangs zu überarbeiten und in ein Blended Learning-Konzept zu überführen. Es soll-ten Selbstlernphasen angeboten und eine kooperative Interaktion der TeilnehmerInnen auf der Lernplatt-form Moodle initiiert werden.

Ziel des Vorhabens war es, eine möglichst kosten-günstige, zeitgemäße Ausbildung zu entwickeln, die mit geringerem Zeitaufwand von möglichst vielen (neuen) Kursleitenden aus ganz Österreich besucht werden kann. Im Rahmen der Maßnahme wurde ein Blended Learning- Konzept für den bewährten Aus-bildungslehrgang erstellt und auch gleich in den acht Lehrgangs-Modulen getestet.

Aufgebaut wurde, wie vorgesehen, auf dem bereits sehr erfolgreich laufenden SAPA-Zertifikatslehrgang für Sprachkursleitende des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen, der seinerzeit mit esf- und nationa-len -Mitteln des bm:bf (damals noch bm:ukk) entwi-ckelt und 2011 mit dem Europäischen Sprachensiegel ausgezeichnet wurde.

Das Ergebnis ist ein Ausbildungslehrgang im Blen-ded Learning-Format für Unterrichtende im Spra-chenbereich in der Erwachsenenbildung , der einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung der Un-terrichtenden leistet. Der Pilot-Lehrgang wurde von Herbst 2015 bis Ende Sommer 2016 mit 20 Teilnehmen-den aus ganz Österreich durchgeführt. Die Präsenzmo-dule fanden wechselweise in Wien und Salzburg statt (vier in Wien und vier in Salzburg) und die bisherigen Rückmeldungen sowohl der Teilnehmenden als auch der ReferentInnen sind äußerst positiv.

Elisabeth Feigl

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 39

Bildungsthemen aktuell

Nach Durchführung von sechs der insgesamt acht Mo-dule kann gesagt werden, dass die Präsenzeinheiten sehr erfolgreich um ein Viertel reduziert werden konn-ten. Sie werden nun durch Online-Vor- und -Nachpha-sen ersetzt, in denen Selbstlernelemente und Phasen der virtuellen Interaktion einander abwechseln.

UMSETZUNGEin erster Schritt bestand darin, die Lehrgangsrefe-

rentInnen mit dem neuen Konzept bekannt zu machen bzw. sie für die neuen digitalen Herausforderungen zu schulen. So setzten sie sich in einer ebenfalls im Blended Learning-Format angesetzten Schulung mit virtuellen Lehr- und Lernprozessen, konkreten Online-Tools und den Herausforderungen der e-Moderation auseinander, um dann in einem nächsten Schritt zu überlegen, wie das erworbene Wissen konkret im eige-nen Lehrgang umgesetzt werden könnte.

Da die Inhalte des bereits bestehenden Lehrgangs prinzipiell beibehalten werden sollten, musste zu-nächst geklärt werden, welche Inhalte sich für die Online-Vor- und -Nachphasen auf der ebenfalls zu entwickelnden Moodle-Plattform besonders eign en und welche Umstrukturierungen, Adaptierungen und Schwerpunktsetzungen sich dadurch für die Module insgesamt ergeben.

In technischer sowie pädagogischer Hinsicht muss-te überlegt werden, welche Online-Tools für welche Art der Inhaltsvermittlung bzw. -erarbeitung (gemein-sam/einzeln, virtuell) am besten geeignet sind und wie diese auf ansprechende Art dargestellt (Layout) bzw. eingeführt werden können (z. B. entsprechende, gut verständliche Aufgabenstellungen etc.), um einander opimal zu ergänzen. Das bedeutete, dass nicht nur die Online-Phasen konzipiert und gestaltet, sondern auch die Face-to-Face- Einheiten neu überdacht und zusam-mengesetzt werden mussten.

In einer Vorphase war geklärt worden, welches Lear-ning-Managementsystem sich für das Vorhaben am besten eignet. Als Entscheidungsgrundlage dienten hierbei bisherige eigene Erfahrungen mit Moodle bzw. Erfahrungen aus ähnlichen Vorhaben, wie etwa der Bildungsserver der PH-Burgenland, der mit Hilfe einer verwandten LMS-Technik entwickelt wurde. Aufgrund des mittlerweile hohen Bekanntheitsgrads von Moodle

und der diesbezüglichen eigenen Vorerfahrungen, ent-schieden wir uns für dieses LMS.

VORERFAHRUNG DER TEILNEHMERINNEN MIT BLENDED LEARNING UND ONLINEPLATTFORMEN

In einer Umfrage zu Lehrgangsbeginn gab etwa die Hälfte der zwanzig TeilnehmerInnen an, dass sie be-reits Erfahrungen mit E-Learning hatten und bereits mit der Lernplattform Moodle vertraut sind. Befragt zu den Vorteilen des Blended Learning-Formats zu Beginn der Ausbildung nannten die TeilnehmerIn-nen vor allem die freie Zeiteinteilung, das Sparen von Fahrzeiten, Flexibilität und Rückschlüsse auf die Ein-setzbarkeit bei Sprachkursen im Corporate Environ-ment. Eine Teilnehmerin betonte auch den wichtigen Austausch mit Lehrenden und KollegInnen zwischen den Anwesenheitszeiten. Ein anderer unterstrich die Möglichkeit, asynchron gemeinsam an den Aufgaben zu arbeiten, wodurch das berufsbegleitende Lernen unterstützt wird.

ZUFRIEDENHEIT MIT DEM LEHRGANGIn einer Befragung nach dem zweiten Modul be-

tonten die Teilnehmenden, dass das Blended Lear-ning- Format u. a. den Vorteil bringt, dass Fragen, Ideen, Gedanken zur gemeinsamen Arbeit im Lehr-gang jederzeit transportiert und gegebenenfalls auch bearbeitet werden können. Auch die benutzerfreund-liche Aufbereitung wurde hervorgehoben, die es Ler-nenden erleichtert, dieses Lernformat erstmals ken-nenzulernen.

In Folge einige authentische Stimmen der Teilneh-menden:

„Ich denke, dass man durch das Blended Learning- Format die Inhalte der Präsenzphasen festigen und vertie-fen kann und sehe es auch als großen Vorteil für das Ler-nen von zu Hause aus.“

„Ich kann die Online-Aufgaben zu einem Zeitpunkt er-ledigen, der bei mir gut passt – und lerne trotzdem Kolle-gInnen und Vortragende persönlich kennen – das empfin-de ich als großen Vorteil.“

„Die Aufgaben erledigen zu können wann Zeit ist, nicht an Zeit und Ort gebunden zu sein!“

„Mit E-L earning umzugehen und in Zukunft damit arbeiten zu können.“

„Vorteile: flexibles Lernen, freie Arbeitseinteilung, for-dert andererseits auch viel Konsequenz. Hoffe auf Aus-tauschmöglichkeiten mit den anderen KursteilnehmerI nnen“.

„(...) effektives und produktives Lernen“.„Ich hoffe vor allem auf ein gesteigertes Selbstvertrau-

en in Arbeit mit Blended Learning und dass ich Vorteile kennenlerne, die ich als Leiterin für eigene Kurse nützen kann.“

„Vorteile: erleichterter Zugang zu Inhalten, Feedback von Lehrgangsleiterinnen und - leitern, Ansprüche: schnel-le Funktionalität, leichte Bedienung, klare Aufteilung (Er-leichterung, nicht Zusatzarbeit)“.

„Vorteil: Beruf – Weiterbildung gut vereinbar, da die reinen ‚Lerninhalte‘ selbst erarbeitet werden können, daher

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40 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

Bildungsthemen aktuell

mehr Zeit für die Inhalte, die durch Lehrpersonen bzw. in der Gruppe vermittelt werden; Fragen können kurzfristig via Plattform beantwortet werden“.

RÜCKMELDUNGEN DER REFERENTINNENDer Mehrwert der Online-Phasen liegt zumeist

darin, dass den TeilnehmerInnen mehr Eigenverant-wortung abverlangt wird und der Online-Teil auch viel stärker als Pflicht und Voraussetzung für den Präsenzteil angesehen wird. Die Lernenden erfüllen den Arbeitsauftrag viel gewissenhafter als in früheren Lehrgängen, wo es auch immer wieder Lesestoff etc. im Vorfeld gegeben hatte, diese Aufgaben aber nicht gemacht wurden, da die Teilnehmenden davon aus-gingen, dass sie ohnehin alles im Präsenzmodul erfah-ren würden.

So können sich die Teilnehmenden jetzt schon im Vorfeld mit komplexen Themen auseinandersetzen, in ihrem individuellen Tempo und ihren Vorerfahrun-gen entsprechend.

Hervorgehoben wurde auch der soziale Aspekt, da sich alle durch die Online-Phase und den dortigen Austausch schon „beschnuppern“ (Foto, Kommen-tare etc.) und die Anfangsphase des gegenseitigen Kennenlernens beim Präsenzteil fast wegfällt. Das erleichtert das gemeinsame Lernen und Arbeiten zu-sätzlich.

Die geänderten bzw. gekürzten Zeiten beim Prä-senzteil erwiesen sich in der jetzigen Konstellation als sehr ausgeglichen und stimmig. Die gemeinsame Arbeit wird sowohl von den Teilnehmenden als auch von den ReferentInnen als sehr kurzweilig und kei-neswegs ermüdend empfunden und gleichzeitig lassen sich alle Inhalte sehr gut durchbringen. Es wird all-gemein als starke Erleichterung empfunden, dass das Modul am Samstagnachmittag endet.

TRANSFERDas im Rahmen des Entwicklungsprojekts Gelern-

te und die damit verbundenen Erfahrungen, konnten auch in einem weiteren Zusammenhang genützt und umgesetzt werden.

Ende des Jahres 2014 trat der UNHCR an den VÖV mit der Anfrage heran, ein vom UNHCR in Koopera-tion mit der Universität Graz entwickeltes Curriculum für die Aus- und Weiterbildung von DolmetscherIn-nen im Aslyverfahren didaktisch umzusetzen und als Lehrgang anzubieten.

Auch in diesem Kontext entschieden wir uns für ein Blended Learning- Format, um jedes der 12 Lehr-gangsmodule in einem für die TeilnehmerInnen über-schaubaren Format bzw. in adäquater Länge anzubie-ten. Die Module wurden so gestaltet, dass ein Teil der Inhalte jeweils in einer Online-Vorphase eigenständig von den Teilnehmenden erarbeitet werden. Dadurch können wichtige Texte etc. schon im Vorfeld gelesen werden bzw. setzen sich die Teilnehmenden bereits alleine oder in Online-Foren etc. mit Fragestellungen auseinander, die dann in der Präsenzphase genauer ausgeführt werden. Da die meisten KursteilnehmerIn-

nen auch nicht erstsprachig deutsch sind, bietet die Online-Phase ihnen auch die Möglichkeit, sich der Thematik in ihrem Tempo (auch sprachlich) anzunä-hern. Somit war es auch möglich, die restlichen Inhal-te pro Modul auf einen Präsenztag zu reduzieren, an dem auch genügend Anreisezeit aus den Bundeslän-dern gegeben ist.

Auch in diesem Lehrgang, der sich in erster Linie an sprachkundige DolmetscherInnen wendet, die selbst zumeist Migrationshintergrund aufweisen, hat sich das Blended Learning-Konzept als geeignet er-wiesen und wurde auch von dieser Zielgruppe größ-tenteils positiv angenommen.1

ZUSAMMENFASSENDESIn den vergangenen vier bis fünf Jahren sind die

unterschiedlichsten virtuellen Tools entwickelt bzw. Learning Management Systeme wie Moodle entschei-dend verbessert worden. Auch die interaktiven Opti-onen konnten, etwa in Form von Webinaren, Chats oder Foren mit bisher ungeahnten Möglichkeiten, aus-gebaut werden.

Im Besonderen beim Sprachenlernen und -lehren wird in zunehmendem Ausmaß auf Online-Materia-lien, -tools und -Plattformen zurückgegriffen. Kurs-leitende sind zunehmend gefordert, sich auch mit IKT und den sich rasant entwickelnden technischen Mög-lichkeiten auseinander zu setzen.

Auch bei Sprachkursleitenden ist ein enormer Zu-wachs an technischem Know-how zu erkennen, wobei sich manche interessieren, aber höhere Hemmschwel-len überwinden müssen, um sich mit den neuen Ge-gebenheiten auseinander zu setzen. Durch die schritt-weise Heranführung im Rahmen des Lehrgangs erwerben die TeilnehmerInnen nicht nur didaktisch-methodische Kenntnisse, sondern auch wertvolle IKT-Kompetenzen, die sie ebenfalls in ihrer Tätigkeit als Sprachkursleitende gezielt umsetzen können.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es ge-lungen ist, ein pädagogisch durchdachtes Lehrgangs-konzept zu entwickeln, das einerseits die modernen Kooperations- und Handlungsmöglichkeiten des In-ternets voll ausschöpft und andererseits die Vorzüge von Face-to-Face- Einheiten nützt, wodurch der Trans-fer in die Unterrichtspraxis sichergestellt ist.

Hervorzuheben ist auch nochmals der doppelte Nutzen, den Teilnehmende durch das Kennenlernen und Verwenden neuer Technologien erfahren, da sie sich diese auf diesem Weg auch gleichzeitig wichtige IKT-Kompetenzen für ihren eigenen Unterricht an-eignen.

Durch die Professionalisierung der Kursleitenden in didaktischer und methodischer Hinsicht und den zusätzlichen Kompetenzerwerb im Bereich IKT kann die Qualität von Sprachkursen in der Erwachsenen-bildung zunehmend gesteigert werden. Indirekt führt das zu vermehrtem Fremd- und Zweitsprachenler-nen, womit wir vielleicht dem EU-Ziel der Erhöhung der Mehrsprachigkeit der BürgerInnen einen kleinen Schritt näher kommen. //

1 Näheres zum QUADA-Lehrgang siehe auch: http://www.vhs.or.at/594/ [23.11.2016]

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 41

Bildungsthemen aktuell

„Knowledge Changes Everything“Jobshadowing beim Dachverband der Folkuniversitetet in Stockholm

„Knowledge Changes Everything“ – der Slo-gan ist Programm. Das merke ich schon beim Ankommen, als ich von den MitarbeiterIn-nen des Dachverbandes der Folkuniversitetet (FU) sehr freundlich empfangen werde und die Angestellten ihre Arbeitsbereiche (von Marketing und Öffentlichkeitsarbeit bis zum Bereich Sprachen) in ausgezeichnetem Eng-lisch umreißen. Cecilia Palm, die Generalse-kretärin, Lotta Gullers Henry, die Sprachen-referentin, die meinen Aufenthalt organisiert hat, und der ehemalige Generalsekretär, der noch als Konsulent für den Verband arbeitet, zeigen großes Interesse an Land und Institu-tion im fernen Süden, mit dem sie einiges an Ähnlichkeiten verbindet. Michel Wlodarczyk ist es auch, der mir einen ausführlichen Ein-blick in Geschichte, Arbeitsweise, Schwer-punkte und Struktur der FU vermittelt.

OUR MISSION: TO IMPROVE PEOPLE'S QUALITY OF LIFE BY IMPARTING MORE KNOWLEDGE AND BETTER SKILLS – PERSONALLY AND IN THE WORK PLACE

Wie schon die Namen vermuten lassen, ähneln sich die Entstehungsgeschichten der Folkuniversitetet und der Volkshoch-schulen und haben einander auch immer wieder wechselseitig beeinflusst. Die FU entstand 1917 als erste unabhängige Insti-tution Schwedens, die sich für die Bildung Erwachsener einsetzte (daneben gab es Inte-ressensvertretungen wie Arbeiterbewegung, Antialkoholiker, Bauern, diverse kirchliche Institutionen und politische Parteien). In enger Verbindung mit den Universitäten – sozusagen als universitäre „Außenstel-le“ – wurden erste Angebote entwickelt, die von allen BürgerInnen auch ohne for-

male Abschlüsse besucht werden konnten. Zunächst bildeten sich unterschiedlichste Study Circles (etwa von arbeitslosen Sekre-tärinnen) und bereits 1942/ 43 fanden die ersten „Schwedisch für Ausländer-Kurse“ statt, bevor es in den 1970er- Jahren zu einer Vervielfältigung des diesbezüglichen Ange-bots kam. Schon damals lag der Fokus auf dem Erwerb der kommunikativen Kompe-tenzen, da schnell klar wurde, dass sich die Neuankömmlinge vor allem in ihrer neuen Umgebung zurechtfinden mussten und mit den Menschen vor Ort ins Gespräch kom-men wollten. Bereits in den späten 1940er Jahren unternahmen TeilnehmerInnen der FU auch Busfahrten in die unterschiedlichs-ten Länder Europas, um Sprachen vor Ort zu lernen. Und auch dieser Sektor wurde später in Form von Sommerschulen in diversen eu-ropäischen Ländern ausgebaut.

In den 1950er-Jahren starteten landesweit Programme zur Verbesserung der Englisch-kenntnisse der Bevölkerung und die ersten Abendgymnasien öffneten ihre Türen, und in den 1990er Jahren erhielt die berufliche Wei-terbildung einen immer höheren Stellenwert, sodass mittlerweile an der FU auch Ausbil-dungsformate im post-sekundären Bereich in der Berufsbildung zu finden sind.

A LEADER IN LIFELONG LEARNINGÄhnlich wie die Volkshochschule ist die

FU in zirka 95 Städten und 240 Kommu-nen vertreten, verzeichnet jährlich mehr als 120.000 Teilnahmen und einen jährlichen Umsatz von 140 Millionen Euro. Die FU verfügt über drei Eckpfeiler: Volksbildung, Sekundar-Schulen und Angebote im Bereich öffentlicher Ausschreibungen, die allesamt

von zirka 400 Angestellten und rund 7.000 Unterrichtenden betreut werden.

Zu den wichtigen Zielgruppen zählen Menschen mit Behinderung, Arbeitslose und Menschen, die aufgrund längerer Krank-heit wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen, sowie MigrantInnen und Flüchtlinge. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Bildung junger Menschen, die es aus unterschiedlichsten Gründen nicht geschafft haben, in der Regelschule einen Abschluss zu erzielen. In den für diese Zielgruppe eigens eingerichteten vier Folkhighschools liegt der Fokus auf dem Sprachenlernen, und die Ju-gendlichen verbringen die Hälfte der zwei Ausbildungsjahre im Ausland.

Der Dachverband der FU ist als Verein or-ganisiert, wobei sich der nationale Vorstand aus zwei Personen jeder der vier Regionen sowie VertreterInnen der Universitäten zu-sammensetzt. Finanziert wird die Institution durch den Staat und die Kommunen, sowie durch Angebote auf dem freien Markt (letzte-re machen etwa 65 Prozent vom Umsatz aus).

Der Name „Folkuniversitetet“ und das ge-meinsame Logo sind in Besitz der nationalen Organisation, die somit auch die gemeinsame Linie vorgibt. Kooperation und Abstimmung ist trotzdem angesagt: Die meisten Entschei-dungen werden auch hier in nicht ganz ein-fachen demokratischen Prozessen ausver-handelt. Mittlerweile benützen alle FUs das gleiche Buchhaltungssystem, betreiben eine gemeinsame Website und haben sich auch auf eine gemeinsame Marketing-Linie in Be-zug auf die Marke FU geeinigt (die konkrete Programmgestaltung erfolgt dezentral).Die Kooperation mit den Landesverbänden und die Arbeit an gemeinsamen Themen ge-staltet sich zumeist auch in Form von Arbeits-gruppen, die sich regelmäßig in Präsenzmee-tings oder über Skype treffen. In der Regel ist dabei jede Region durch ein/e RepräsentantIn vertreten. Für die Online-Sitzungen steht ein entsprechend ausgestattetes Konferenzzim-mer mit Video-Übertragung für die Personen im Raum und die jeweiligen Skype-Partne-rInnen zur Verfügung. Dennoch hat die Er-fahrung gezeigt, dass die Online-Sitzungen regelmäßige, längere Präsenztermine nicht ersetzen können, und einige der Arbeitsgrup-pen – wie etwa die zum Thema Marketing – treffen sich etwa zehn Mal pro Jahr Face-to-Face.

Einmal jährlich findet eine Konferenz für alle Manager bzw. LeiterInnen der Zentren statt, wobei die LandesgeschäftsführerInnen bestimmen, wer daran teilnehmen darf. 2016 lautet das Thema – wie könnte es anders sein – „Integration“.

Reisesplitter von Elisabeth Feigl

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42 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

Bildungsthemen aktuell

DANCE, DANCE, DANCE…Tanz, Musik und Kunst prägen das FU-

Programm und machen zirka 50 Prozent des Angebots aus. Dahinter steht die Überzeu-gung, dass diese Art der Freizeitgestaltung dazu beiträgt, Menschen vor Extremismus zu schützen und, dass das Verständnis für die ei-gene Kultur auch die Toleranz von Fremdem erhöht.

Obwohl der E-L earning- Bereich sehr früh gestartet hatte, ist das Angebot eher beschei-den und wird nur zögerlich angenommen. Gesundheitsthemen hingegen werden immer wichtiger, finden sich aber noch kaum im Pro-gramm der FU.

„Unser größter Feind ist die Zeit“, meint die Sprachenreferentin der FU, Lotta Gullers Henry, wenn sie auf das Angebot im Spra-chenbereich zu sprechen kommt. Das Interes-se am Sprachenlernen hat in den letzten zehn Jahren permanent abgenommen, neue For-mate und Ansätze sind mehr als gefragt und es herrscht eine gewisse allgemeine Ratlosigkeit, nachdem sich auch der digitale Hype nach an-fänglicher Euphorie nicht so fortgesetzt hatte, wie zunächst erhofft. Derzeit finden rund 1700 Kurse in 42 unterschiedlichen Sprachen statt, von A1 bis B2. Internationale Sprachprüfun-gen können auf den verschiedenen Niveaus abgelegt werden und erfreuen sich großer Be-liebtheit. Viele TeilnehmerInnen wollen nur die Prüfung ablegen, um ihre Kenntnisse so validieren zu lassen.

Mit ihrem Sprachenangebot ist die FU auch in verschiedenen Ländern wie England, Frankreich, Deutschland, Spanien und Lett-land vertreten und führt weltweit auch eigene Trainee-Programme durch.

Auch Elisa Magnusson und Åsa Klum von der FU Stockholm bestätigen die Tendenzen. Wie in Österreich gehen Englischangebote seit Jahren zurück. Ein erfreulicher Gegen-trend wird nur dadurch verzeichnet, dass Süd-europäerInnen mittlerweile im Sommer sehr gerne nach Stockholm kommen, um hier Eng-lisch zu lernen!

Auch in Bezug auf die Unterrichtenden zeichnet sich ein bekanntes Bild ab: Die Fluk-tuation ist sehr hoch und viele der Sprach-Kurs-leitenden sind nicht entsprechend ausgebildet. Gearbeitet wird in Teams, die sich nach Sprach-gruppen aufteilen. Seit ein paar Jahren wird ein neues Mentoringsystem erfolgreich erprobt, durch das neue Kursleitende entsprechend in-tegriert werden sollen und auch zumindest ein bis zwei Stundenbeobachtungen machen. Die Kursleitenden werden angehalten, ihren eige-nen Blogg zu erstellen und dort zumindest die Hausaufgaben zu posten bzw. nach Möglich-keit auch mehr Inhalte online zu stellen.

ON THE ROAD In Uppsala treffe ich Amelie und Reza, die

stolz ihre Schule präsentieren. In zwei Schwer-punktklassen werden14-18-jährige Flüchtlinge an das Niveau der anderen SchülerInnen he-rangeführt. Sie lernen Schwedisch, Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften und werden von vier MediatorInnen individuell betreut.

Nachmittags besuchen wir ein Asylan-tenheim, das zirka 50 Kilometer entfernt von Uppsala mitten in den Wäldern liegt. Die idyl-lisch wirkende Gegend wird nicht einmal von öffentlichen Bussen angefahren und trotzdem leben dort derzeit zirka 200 Menschen aus un-terschiedlichen Herkunftsländern auf kleins-tem Raum zusammen. Spannungen zwischen den Gruppen werden spürbar, die Menschen haben keine Beschäftigung und es regiert die Langeweile. Bücher scheinen verboten, Auf-gaben oder Beschäftigungsmöglichkeiten sind mehr als rar.

Trotzdem werden wir von neugierigen Bli-cken freundlich empfangen, die Kinder mes-sen uns mit großen Augen und suchen sofort den Kontakt. Zwei vier- bis fünfjährige Buben stürzen sich förmlich auf mitgebrachte Bücher, trotz wenig „kindgerechter“ Inhalte. Sie freuen sich, mit uns zu sprechen. Die Mutter, eine sy-rische Krankenschwester, wirkt zunächst verlo-ren und abwesend. Als wir uns zu ihr setzen, bemüht sie sich, etwas Ordnung auf dem Tisch zu schaffen und mit uns in Kontakt zu treten. Sie spricht etwas Englisch und lebt mit ihrer Fa-milie (ihren beiden kleinen Söhnen und ihrem Mann) bereits seit fünf Monaten im Lager. Die Perspektiven scheinen völlig unklar.

Ein- bis zweimal die Woche organisiert die FU hier Schwedisch-Unterricht unter sehr schwierigen Bedingungen: Als Kursraum dient ein riesiger, ungeheizter Saal, in den et-was lieblos ein paar Kindersessel und Tische gestellt wurden. Die ausgeteilten kopierten Unterrichtsmaterialien erscheinen wenig pra-xisrelevant. Wie die Kursleitende berichtet, nehmen die HausbewohnerInnen nur unre-

gelmäßig am Kurs teil. Einer der Männer fun-giert als selbsternannter „Gruppensprecher“, er verhandelt mit der Lehrerin, übersetzt und vermittelt. Der Unterricht erfolgt auf sehr traditionelle Weise. Die TeilnehmerInnen scheint das nicht zu stören. Sind viele derartige Bedingungen vielleicht aus ihren Heimatlän-dern gewöhnt und empfinden das somit auch nicht weiter schlimm?

KNOWLEDGE CHANGES EVERYTHINGAm nächsten Tag besuche ich einen ge-

mischten Schwedisch-A1-A2- Kurs, der zwei-mal pro Woche an der FU Stockholm statt-findet. Mit über 20 TeilnehmerInnen auf unterschiedlichsten Niveaus herrscht eine mehr als herausfordernde Unterrichtssituati-on. Der Kursleiter fungiert in erster Linie als „Aufgabenverteiler“, der von Person zu Person geht und Aufträge vergibt.

Bevor ich noch reagieren kann, fordert er mich (die, wie ich glaube, über die wenigsten Schwedisch-Kenntnisse der Gruppe verfügt) auf, mit einer Nepalesin zusammenzuarbei-ten. Aufgrund der sprachlichen Ähnlichkeiten zwischen Schwedisch, Deutsch und Englisch kann ich meine rezeptiven Fähigkeiten sehr rasch nützen und die Sprache erschließt sich mir ungleich rascher als Djona, der Nepale-sin. Auch kulturelle Konventionen und Zei-chen deute ich ohne Probleme. Ihr hingegen sind viele der im Lehrbuch verwendeten Na-men fremd und sie kann daher etwa feminine und maskuline Pronomen nicht richtig zuord-nen. Sie kennt auch die für uns so geläufigen Zeichen für Frau und Mann nicht und versteht daher nicht, dass han „er“ und hon „sie“ bedeu-tet. Djona ist hocherfreut, dass ihr die neue ös-terreichische „Mitschülerin“ Geheimnisse der schwedischen Sprache erschließt, die sie in den fünf Monaten ihres bisherigen Aufenthalts in Schweden nicht deuten konnte. Wie enttäuscht ist sie zu Ende der Stunde, als sie erfährt, dass ich beim nächsten Mal nicht mehr teilnehmen werde. Und auch ich hätte diese sehr spezielle Erfahrung gerne fortgesetzt! //

Illustrationen: aus einer PowerPoint-Präsentation von Michel Wlodarczyk

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 43

Geschichte

Stockholm gamla stanFoto: Elisabeth Feigl

Die FU StockholmFoto: Elisabeth Feigl

Eine erfolgreiche Kooperation: Die 31. Konferenz zur Aufarbeitung historischer Quellen der Erwachsenenbildung

Nachdem die 30. Konferenz zur Aufarbeitung histori-scher Quellen der Erwachsenenbildung im November 2012 in Wien stattgefunden hatte, folgte nun – endlich – vom 23. bis 25. Mai 2016 in Bonn die Fortführung einer 1981 begonnenen Tagungsreihe. Damals fand in Inns-bruck ein Treffen ehemaliger Mitarbeiter der deutschen, österreichischen und schweizerischen Volkshochschul-verbände statt, in dessen Folge bis zum Jahr 2000 jedes Jahr eine Konferenz organisiert werden konnte. Die Energie für diese beachtliche Leistung speiste sich sehr lang aus dem Willen eines Kreises von Männern und Frauen, die maßgeblich und an führenden Stellen zur Wieder- bzw. Neugründung der Volkshochschulen und

ihrer Verbände nach dem Zweiten Weltkrieg beigetra-gen hatten. Sie wollten, dass ihre Erfahrungen und Er-innerungen nicht verloren gehen sollten. Nun bedurfte es einer neuen Grundlage, um diese stolze Tradition fortführen zu können. Geschaffen wurde sie mit einer Kooperation zwischen dem Deutschen Institut für Er-wachsenenbildung (DIE) und dem Österreichischen Volkshochschularchiv (ÖVA).

In seiner Eröffnungsrede betonte Peter Brandt vom DIE die Bedeutung der neuen Kooperation mit dem Österreichischen Volkshochschularchiv für die Fortfüh-rung dieser für das Selbstverständnis der Erwachsenen-bildung wichtigen Konferenz. Die Begrüßung erfolgte durch den Leiter und wissenschaftlichen Direktor des DIE, Josef Schrader.

Den kulturhistorisch weitausholenden Eröffnungs-vortrag hielt Univ.-Prof. Horst Siebert zu „Geschichte und Wandel der kulturellen Bedeutung von ZeitzeugIn-nenschaft in der Erwachsenenbildung“.

Die nachfolgenden Referate lieferten Beiträge zum Generalthema der Konferenz „Erinnerungskultur und Geschichtsbewusstsein in der Erwachsenenbildung. Eine kritische Standortbestimmung“. Seitens des DIE steuerte Klaus Heuer ein Referat bei, in dem er über Beispiele, Befunde und Perspektiven von Forschungen über die Geschichte der Erwachsenenbildung in ande-ren Disziplinen als der Geschichtswissenschaft sprach.

Wie es damit in diesem Fach bestellt ist, stand im Zentrum der Ausführungen von Christian H. Stifter, dem Direktor des ÖVA. Er ging in seinem Vortrag der Frage nach, ob zwischen Erwachsenenbildung und historischer Fachwissenschaft von einem ungeklärten Verhältnis gesprochen werden müsse. Sein Befund fiel überaus kritisch aus: Einleitend konstatierte er eine ek-latante Diskrepanz zwischen dem Boom historischer Themen und deren fast völligem Fehlen im Veranstal-

Stephan Ganglbauer

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Geschichte

1 Ganglbauer, Stephan & Stifter, Christian H. (Hrsg.) (2016): Ohne Quellen keine Geschichte. Dokumentation der bisherigen 30 Konferenzen des Internationalen Arbeitskreises zur Aufarbeitung historischer Quellen der Erwachsenenbildung, 1981–2012. Wien: Eigenverlag (Materialien zur Geschichte der Volkshochschulen, Heft 7, hrsg. v. Österreichisches Volkshochschularchiv).

tungsangebot der Volkshochschulen; sodann legte er dar, dass die Geschichte der Erwachsenenbildung in einschlägigen historiographischen Publikationen – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – schlicht nicht vorkomme; und schließlich stellte er fest, dass seitens der Erwachsenenbildung die fachwissenschaftlichen Erfordernisse verfehlt würden. Positiv gewendet erge-ben sich aus dem Fazit, es müsse von einem Nicht-Ver-hältnis gesprochen werden, vielfältige Aufgaben für die weitere Arbeit an einer den Standards den historischen Fachwissenschaften genügenden Geschichtsschreibung der Erwachsenenbildung.

Der Autor dieses Beitrags gab einen knappen Abriss der ersten 30 Konferenzen. Die Daten zu den ersten 30 Konferenzen sind enthalten in einem vom Öster-reichischen Volkshochschularchiv herausgegebenen Dokumentationsband.1 Dieser Band wurde für die 31. Konferenz erstellt und enthält alle Angaben zu den Terminen, Tagungsorten, Themen, Referaten und Teil-nehmerInnen.

Das dritte Kapitel dieser Publikation beinhaltet ein Verzeichnis der Referentinnen und Referenten samt einer Auflistung aller Themen, über die sie gesprochen haben. Blättert man diese Seiten durch, fällt sofort auf, dass ein Referent die weitaus größte Zahl an Vorträgen beigesteuert hat – es handelt sich um Wilhelm Filla, der, seit er 1984 Generalsekretär des VÖV wurde, sich bei den ersten 30 Konferenzen mit nicht weniger als 20 Referaten eingestellt hat. Umso schmerzlicher ist es, festhalten zu müssen, dass seinem Beitrag in Bonn kei-ne weiteren folgen werden. Denn Willi Filla (wie er zu-meist genannt wurde) verstarb plötzlich und völlig un-erwartet einen Monat später. Sein Tod ist auch für diese Konferenz ein schwerer unersetzlicher Verlust. Seinen Ausführungen zu „Forschung über die Geschichte der Erwachsenenbildung – Engführungen und Desiderata“ kommt somit der Status eines Vermächtnisses an die weiteren Arbeiten zu, insbesondere was er über bishe-rige „Weiße Flecken“, das geringe methodische Reflexi-onsniveau sowie theoretische Defizite gesagt hat.

Willi Filla beteiligte sich bei dieser Konferenz auch an einer der hier erstmals versuchten Neuerungen, nämlich gemeinsam mit Dorothea Braun-Ribbat und Anne-Christel Recknagel an einem Zeitzeugenge-spräch, das Bernhard Schoßig und Paul Ciupke mo-derierten. Eine weitere Neuerung waren sieben Kurz-berichte über laufende Forschungen unter dem Titel „Gelebtes Geschichtsbewusstsein – Fallbeispiele aus der Erwachsenenbildungspraxis“. In diesem Rahmen sprach Günter Blümel über seine fortlaufenden For-schungen zu seiner Publikation über die VHS Göttin-gen, Fried Peter Bourseaux berichtete über den langen kooperativen Prozess einer weitreichenden Strukturre-form an der von ihm über viele Jahre geleiteten VHS Leinfelden-Echterdingen. Paul Ciupke präsentierte und analysierte Gästebücher aus der Weimarer Zeit als Bei-spiele historischer Quellen zur Geschichte der Erwach-senenbildung. Barbara Degen sprach über das heik-le und bislang im Kontext von Erwachsenenbildung völlig ignorierte Thema (politischer) Berufsverbote.

Georg Fischer thematisierte Adolf Reichweins ambiva-lente Tätigkeit in „Erziehungsgemeinschaften“ während des Nationalsozialismus, und konzentriert sich dabei auf das Jahr 1941. Heribert Hinzen sprach über die an Sisyphos gemahnenden Anstrengungen im Rahmen des von ihm lange Zeit geleiteten Instituts für Inter-nationale Zusammenarbeit des DVV. Mit einer Skizze des von ihm gerade erst in Angriff genommenen For-schungsvorhabens über die VHS München in der Zeit von 1918/19 bis 1935 schloss Bernhard Schoßig diesen Programmpunkt ab.

Die dritte Neuerung dieser Tagung war die Präsen-tation akademischer Abschlussarbeiten und Fachbei-träge. In ihrer in Fertigstellung begriffenen Dissertati-on behandelt Susanne Barth eine nahezu unbekannte Frühform der Volksbildung: den Wanderlehrer. Karin Gugitscher untersuchte die Bildungs- und Berufsbera-tung in Österreich während der Ersten Republik. An-schließend stelle Annika Lehmann ihr Forschungspro-jekt über Wandlungen des Professionalitätsbegriffs seit den 1970er-Jahren vor. Über die schwierige Quellenlage zur Erwachsenenbildung in der DDR berichtete Tobias Lemke und Cornelia Maier-Gutheil über das gemein-sam mit Dieter Nittel betriebene Projekt „100 Lebens-geschichten – eine Geschichte?“, womit dem kulturellen Gedächtnis der hessischen Erwachsenenbildung nach-gespürt wird.

Die große Zahl dieser Kurzbeiträge ließ zu wenig Zeit für Nachfragen und Diskussionen, dennoch erwie-sen sich diese Neuerungen als sehr bereichernd, gaben sie doch Einblick in die Vielfalt laufender oder vor kur-zem abgeschlossener Forschungsarbeiten zur Geschich-te der Erwachsenenbildung.

2018 soll die nächste, dann schon die 32. Konferenz zur Aufarbeitung historischer Quellen der Erwach-senenbildung in Wien stattfinden. Besonders erfreu-lich ist, was Urs Hochstrasser in einer Videobotschaft in Aussicht gestellt hat: künftig wolle sich auch der Schweizerische Volkshochschulverband wieder an den Konferenzen beteiligen. //

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VÖV-Hauptversammlung

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 45

Bei der sehr gut besuchten VÖV-Hauptversammlung wurde Bundespräsident Dr. Heinz Fischer einstimmig zum neuen Präsidenten des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen gewählt. Fischer war bereits Präsi-dent der Volkshochschulen von 1999 bis 2007.

Danach übte die Nationalratspräsidentin Mag.a Bar-bara Prammer diese ehrenamtliche Funktion als Präsi-dentin des Volkshochschulverbandes bis zu ihrem Tod im Jahre 2014 aus.

Der Vorstandsvorsitzende, amtsführender Stadtrat Dr. Michael Ludwig wurden ebenfalls einstimmig wie-dergewählt. Ludwig bedankte sich für das Vertrauen und betonte die Ehrenamtlichkeit dieser Funktion. Er wies darauf hin, dass „die Volkshochschulen die größte österreichische Erwachsenenbildungseinrichtung sind. Mit mehr als 270 Volkshochschulen sind wir flächende-ckend tätig, nicht nur in Städten, sondern in allen Regi-onen Österreichs“.

Weiters wurden, auch einstimmig, in den Vorstand gewählt: Dr. Gerwin Müller und LAbg. Karl Bader als stellvertretende Vorsitzende, Abg. z. NR VzBgm. Ulri-ke Königsberger-Ludwig als Schriftführerin und Mag. Ronald Zecha als ihr Stellvertreter. Der Finanzreferent Mag. Günter Kotrba und sein Stellvertreter Reg. Rat Hans Spieß wurden ebenso einstimmig gewählt wie Mag.a Beate Gfrerer als Pädagogische Referentin sowie Dr.in Nicole Slupetzky als ihre Stellvertreterin und die RechnungsprüferInnen Renate Wladar und Dr. Michael Lugger. Weiters wurden die von den Landesverbänden vorgeschlagenen Vorstandsmitglieder von der Haupt-versammlung bestätigt:

Bundespräsident Fischer ging in seiner Rede bei der Hauptversammlung, die auf Seite 26 veröffentlicht ist, auf die wichtige Aufgabe der Volkshochschulen ein, zum sozialen Zusammenhalt und zur Demokratie-entwicklung beizutragen. „Demokratie muss immer aufs Neue bestätigt, gepflegt, am Leben erhalten und

gerhard bisovsky

VORSTAND ZUR WAHL 32. HAUPTVERSAMMLUNG AM 21. JUNI 2016

Präsident: Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

Vorsitzender des Vorstands: AStR Dr. Michael LudwigStellvertreter des Vorsitzenden: LAbg. Bgm. Karl Bader Dir.-Stv. Dr. Gerwin MüllerSchriftführer: NR VzBgm. Ulrike Königsberger-Ludwig -Stellvertreter: Mag. Ronald ZechaFinanzreferent: Mag. Günter Kotrba- Stellvertreter: RegR Hans SpießPädagogische Referentin: Mag.a Beate Gfrerer- Stellvertreterin: Mag.a Dr.in Nicole Slupetzky Vorstandsmitglieder: Dr. Martin Bauer (Steiermark) Dr. Silvia Caramelle (Tirol) Mag. Stefan Fischnaller (Vorarlberg) Univ.-Doz. Dr. Hannes Galter (Steiermark) Dr. Michael Grabher (Vorarlberg) MMag.a Julia Panholzer (Oberösterreich) MMag. Markus Prenner (Burgenland) Herbert Schweiger MAS MBA MA (Wien) Mag. Belmir Zec (Oberösterreich) Rechnungsprüfer/in: Dr. Michael Lugger Renate Wladar

AUS DEN VOLKSHOCHSCHULEN

Bundespräsident Dr. Heinz Fischer und AStR Dr. Michael Ludwig mit dem Vorstand des VÖV.Foto: Peter Lechner/HBF

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46 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

AUS DEN VOLKSHOCHSCHULEN

verteidigt werden“, so Bundespräsident Fischer vor den mehr als 100 Vertreterinnen und Vertretern aus den Volkshochschulen. „Die Volkshochschulen ver-mitteln Wissen zur besseren Orientierung, sie stärken die eigene Urteilsfähigkeit und unterstützen ein auf Dialog und Toleranz basierendes Zusammenleben. Volkshochschulen sind Treffpunkte für Menschen aus den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, unter-schiedlichen Altersstufen und verschiedenen berufli-chen Hintergründen und tragen praktisch zum sozialen Zusammenhalt bei“.

In seinem Festvortrag zum Thema „Die Volkshochschu-len in der digitalen Welt“ betonte Univ.-Prof. Dr. Leon-hard Dobusch von der Universität Innsbruck die Be-deutung der Volkshochschulen. Sehr viel Wissen könne heute über das Internet erworben werden, „aber die Volkshochschulen bieten den Austausch in der Gruppe, persönliches Feedback und spezifisches Wissen, das in der Gruppe gemeinsam entwickelt wird“, so Dobusch bei der Hauptversammlung des Verbandes Österreichi-scher Volkshochschulen. Seinen Beitrag finden Sie auf Seite 28 in dieser Ausgabe. //

Volkshochschule Götzis erhält den Österreichischen Inklusionspreis

Ehrung und Auszeichnung für die wachsende Vielfalt und Qualität von Inklusive-Angeboten in Österreich. Die über 85 Einreichungen zeigen den wachsenden Stel-lenwert bei gemeinsamen Angeboten für Menschen mit und ohne besonderen Bedürfnisse. Die Volkshochschule Götzis überzeugte die Jury mit einem bunten Angebot an Inklusive-Kursen und wurde mit einem Ehrenpreis ausgezeichnet.

Es sind Kurse und Workshops zu Themen wie Yoga, Kochen oder Erste Hilfe, die Menschen mit und ohne Behinderung zueinander geführt haben. „Unser An-gebot ´Inklusive Volkshochschule´ mit rund 20 Kursen pro Jahr spiegelt wichtige Lebensthemen wider. Ob Ernährung, Bewegung oder aber auch digitale Kompe-tenzen – es ist immer wieder schön zu sehen, wie viel die TeilnehmerInnen auch voneinander mitnehmen können, freut sich Mag. Stefan Fischnaller, Direktor der Volkshochschule Götzis über die Auszeichnung. „Die-se Ehrung ist für uns eine große Belohnung, aber auch Auftrag das Angebot konsequent weiter zu entwickeln“, ergänzt Fischnaller.

Die Auszeichnung inklusiver Projekte wurde von der Lebenshilfe mit Unterstützung der Österreichischen Lotterien 2016 ins Leben gerufen. Dabei wurden sechs PreisträgerInnen aus den Bereichen Schule, Arbeit, Frei-zeit (Kunst und Sport), Einfache Sprache und Selbstver-tretung für ihr inklusives Engagement ausgezeichnet. "Der Österreichische Inklusionspreis prämiert Projekte in ganz Österreich, die zeigen, dass Inklusion bereits stattfindet. Die Auszeichnung soll zum Ausdruck brin-gen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen ein Recht darauf haben zu leben wie andere auch! Gute Beispiele gibt es genug, sie müssen nur Beachtung und Nachah-mung finden, damit wir mehr Selbstbestimmung und Teilhabe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonventi-on für Menschen mit Beeinträchtigungen in Österreich erreichen können – egal wie hoch der jeweilige Unter-stützungsbedarf von Personen ist", so Germain Weber, Präsident der Lebenshilfe Österreich.

Die Jury bestand aus: Erwin Buchinger (Behinder-tenanwalt des Bundes), Martina Eigelsreiter (Diver-sitätsbüro St. Pölten / Städtebund), Martin Habacher, (Unternehmer und Blogger), Günther Kräuter (Volks-anwalt), Germain Weber (Präsident Lebenshilfe Öster-reich), Andreas Zehetner (Selbstvertreter der Lebens-hilfe) //

gerhard bisovsky

Quelle Presseinformation der Volkshochschule Götzis 1.12.2916

Foto: VHS Götzis

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 47

AUS DEN VOLKSHOCHSCHULEN

Eine Reihe von Jubiläen wurden in den österreichischen Volkshochschulen gefeiert. Die Wiener Volkshochschule Meidling feierte am 23. Juni 2016 ihr 20jähriges Bestands-jubiläum. 1996 mit vier MitarbeiterInnen gegründet, ist sie 20 Jahre später eine der größten Wiener Volkshoch-schulen mit rund 65 hauptberuflichen MitarbeiterInnen. Der Gründungsdirektor und jetzige VÖV-Generalsekre-tär, baute die Volkshochschule ab 1996 auf und leitete sie bis April 2012. Eine besondere Ausrichtung auf berufliche Erwachsenenbildung und auf Menschen mit Beeinträch-tigungen, auf den Zweiten Bildungsweg (Berufsreifeprü-fung, Pflichtschulabschluss) und Basisbildung kennzeich-nen die Volkshochschule ebenso wie eine lange Jahre praktizierte Zusammenarbeit mit mehreren Berufsschu-len, die sich am selben Areal, dem „Campus Längenfeld“ befinden. Weiters ist es gelungen, einen naturwissen-schaftlichen Schwerpunkt mit dem Programm „University Meets Public“ zu etablieren. Die VHS Meidling ist zudem einer der Pioniere im Bereich des technologie-gestützten Lehrens und Lernens und auch Sitz des Kompetenzzent-rums „Innovatives Lernen und eLearning“.

Bei der Feier, die gleichzeitig ein Fest für die Kurslei-terInnen war, waren neben Ing. Karl Dwulit, Direktor seit

2015 auch Mag.a Nicolette Wallmann, Direktorin von 2012 bis 2015 anwesend sowie Gerhard Bisovsky, der Di-rektor von 1996 bis 2012. Zahlreiche Ehrengäste aus dem 12. Wiener Gemeindebezirk wohnten der Veranstaltung bei, an ihrer Spitze die Bezirksvorsteherin Gabriele Vo-tava. Vom Förderverein der Volkshochschule waren die Vorsitzende Gemeinderätin a. D. Inge Zankl und der langjährige Vorsitzende, Bezirksvorsteher a. D. Herbert Hezucky anwesend. Mehrere DirektorInnen von Wie-ner Volkshochschulen haben an der Festveranstaltung teilgenommen, unter ihnen der spätere Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen GmbH, Herbert Schwei-ger sowie der damalige Geschäftsführer Mario Rieder. Stadtrat Dr. Michael Ludwig, Aufsichtsratsvorsitzender der Wiener VHS GmbH und VÖV-Vorstandsvorsitzen-der freute sich bei der Veranstaltung über den Erfolg der Volkshochschule Meidling.

Ebenfalls 20 Jahre alt wurde die Wiener Volkshochschu-le Landstraße im dritten Wiener Gemeindebezirk. Als Kulturvermittlerin, Ort der Auseinandersetzung und als Stätte der Innovation konnte sich die VHS im dritten Bezirk gut etablieren. Die Bezirksvolkshochschule ver-sorgt die Bevölkerung sowohl mit klassischem Bildungs-programm, von Sprachen über Bewegung bis hin zu Kre-ativangeboten, als auch mit Angeboten in den Bereichen politische Bildung, Geschichtsarbeit, als Vermittlerin von Kunst- und Kulturprojekten sowie mit emanzipa-torischer Bildungsarbeit. Für die engagierte Arbeit im Bezirk bekam sie 2008 den Bezirksoscar verliehen.

Mit der jährlichen Verleihung des „Bezirksoscars“ würdigt, das vom Bezirkschef gegründete „Komitee Landstraße“, herausragende Leistungen von Betrieben und Einrichtungen im dritten Bezirk, die nicht nur Ar-beitsplätze schaffen, sondern auch einen Imagegewinn für die Landstraße mit sich bringen. Die Direktorin der VHS Landstraße, Mag.a Doris Zametzer, ergänzt stolz: „Die VHS Landstraße ist bis dato die einzige Non-Profit Organisation, die sich über diese Auszeichnung freuen durfte.“ Auch zukünftig wird der Schwerpunkt der Bil-dungsarbeit auf Themen der politischen Bildung liegen. „Es soll Raum zur Verfügung gestellt werden, damit sich die Bezirksbevölkerung über Entwicklungen des Bezirks auf dem Laufenden halten kann“, so Zametzer weiter.

Bei der gut besuchten Festveranstaltung am 20. September 2016 waren neben sehr vielen Wiener VHS-DirektorInnen und dem designierten Geschäftsführer der Wiener VHS GmbH auch zahlreiche Prominen-te aus dem Bezirk anwesend, an ihrer Spitze der Be-zirksvorsteher Erich Hohenberger. Ebenfalls gesehen: KommR Prof. Stefan Hawla, Mag. a Christine Spieß, Se-nator KommR Peter Hanke, Bezirksvorsteherin Mag.a Susanne Schaefer-Wiery.

Zu den Festgästen gesprochen haben die Direktorin Doris Zametzer, der Vorsitzende des Fördervereins Gemeinderat Ernst Woller und Stadtrat Dr. Michael Ludwig, Stadträtin Sandra Frauenberger sowie Stadt-rat Dr. Andreas Mailath-Pokorny.

Volkshochschul-Jubiläen

gerhard bisovsky

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48 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

Personalia

Das 60jährige Jubiläum der Volkshochschule Waid-hofen an der Ybbs wurde im Rahmen der Herbsttagung des Verbandes Niederösterreichischer Volkshochschu-len, die am 7. Oktober 2016 in Waidhofen stattfand, gefeiert, übrigens mit dem gleich alten Landesverband. Der Unternehmer Mag. Thomas Welser von der Welser Profile GmbH, einem weltweit führenden Unterneh-men, hielt im Waidhofner Kristallsaal einen Festvortrag zum Thema „Fort- und Weiterbildung in der zukünfti-gen Arbeitswelt – Industrie 4.0“.

Rund 1.200 Vorträge, 380 Exkursionen und 4.000 Kurse, das ist die bemerkenswerte Bilanz der VHS Waidhofen seit ihrer Gründung vor 60 Jahren. Aus der Taufe gehoben wurde die städtische Volkshochschule am 13. September 1956. Zum Leiter wurde der damalige Direktor der Handelsschule Waidhofen, Josef Kornmül-ler, bestellt. Auf VHS-Direktor Kornmüller folgte 1977 Matthias Settele und auf 2005 Mag. Dr. Franz Hofleit-ner, Direktor der Handelsakademie/Handelsschule in Waidhofen. „Wir verstehen uns als der Bildungsnah-versorger in der Region mit dem Ziel, ein leistbares Aus- und Weiterbildungsangebot für Beruf und Freizeit zu schaffen“, sagt Franz Hofleitner, Direktor der Volks-hochschule.

Herzstück der Volkshochschule Waidhofen ist ein abwechslungsreiches Kursangebot. Dieses reicht von Sprachen und EDV über Kreativität und Freizeit bis zu Gesundheit und Sport. Bei den Sprachen sind derzeit vor allem Spanisch und Englisch gefragt, aber natürlich auch die Deutschkurse für Asylberechtigte. „Wir versu-chen, jedes Semester rund zehn Prozent neue Kurse an-zubieten“, sagt Hofleitner.

Auch die Berufsreifeprüfung (BRP) kann man in der Volkshochschule Waidhofen, einer von vier niederös-terreichischen Volkshochschulen die die BRP anbieten, absolvieren. Mehr als 300 Maturazeugnisse wurden bis-lang ausgestellt.

VÖV-Generalsekretär Bisovsky überbrachte die Grußbotschaft des VÖV-Präsidenten, Bundespräsi-dent a. D. Dr. Heinz Fischer und die Glückwünsche des VÖV-Vorstandes.

Die Volkshochschule Krems feierte ihr 60jähriges Be-standsjubiläum mit einer Festveranstaltung am 18. Oktober 2016 im Dinstlsaal der Kremser Bank. Die Liste der SprecherInnen kann sich sehen lassen: Bun-despräsident a. D., VÖV-Präsident Dr. Heinz Fischer, die Landesrätin Mag.a Barbara Schwarz, der Land-tagsabgeordnete und Vorsitzende des Verbandes Nie-derösterreichischer Volkshochschulen, Bürgermeister Dr. Reinhard Resch und Vizebürgermeister Wolfgang Derler, Direktor Hansjörg Henneis von der Krem-ser Bank. Festreden hielten weiters der langjährige Vorsitzende der Volkshochschule und langjähriges Mitglied des Pädagogischen Ausschusses des VÖV, Dr. Hans Angerer und die Vizerektorin der Donau-Universität, Universitätsprofessorin Dr.in Monika Kil. Durch die sehr gut besuchte Veranstaltung führten Dr. Oskar Schild, Vorsitzender der Volkshochschule und der Direktor, Mag. Leo Faltus.

Jährlich verzeichnet die Volkshochschule Krems rund 2.800 Teilnahmen in Kursen und an die 600 Teilnahmen in Einzelveranstaltungen. Die höchste Anzahl an Teilnahmen finden sich mit 52 % im Spra-chenbereich, gefolgt vom Bereich Gesundheit und Bewegung mit 27 %. Bemerkenswert ist, dass etwas weniger als 10 % an Teilnahmen sich im Fachbereich Politik, Gesellschaft und Kultur finden und immerhin 5 % Teilnahmen im Bereich EDV zu verzeichnen sind.

70 Jahre wurden in der Wiener Volkshochschule Fa-voriten am 20. Oktober 2016 gefeiert. Durch die Veranstaltungen führte die Vorsitzende des Förder-vereins, Marianne Klicka, Landtagspräsidentin a. D. Unter den zahlreich erschienen Ehrengästen und Festgästen waren auch die Bezirksvorsteherin Her-mine Mospointner, der Aufsichtsratsvorsitzende der Wiener Volkshochschulen, Stadtrat Dr. Michael Lud-wig und VÖV-Generalsekretär Bisovsky. Auch die Be-gründerin des seit 1964 bestehenden Mütterklubs, die ehemalige Landtagspräsidentin Erika Krenn, wohnte der Festveranstaltung bei, die musikalisch von einer Percussionband, die aus Geflüchteten aus mehreren Ländern besteht, begleitet wurde.

„Mit rund 2.000 Kursen und Veranstaltungen bei rund 17.000 Teilnahmen im Jahr zählt die VHS Favoriten zu den größten Einrichtungen der Wie-ner Volkshochschulen,“ so Stadtrat Michael Ludwig. Die steigende Nachfrage und neue gesellschaftliche Trends führten laufend zu einer Erweiterung und Neuorientierung des Kursangebotes. Bei der regi-onalen Bildungsarbeit ist der Bereich Gesundheit ein Schwerpunkt der VHS Favoriten. Hier bietet der Standort Wissensvermittlung, Handlungsanleitung und Begleitung bei Fragen der Gesundheitsförde-rung und des gesunden Lebensstils. Zudem punk-tet die VHS mit einem umfangreichen Angebot an Sprachkursen: über 350 Sprachkurse pro Jahr, davon mehr als 150 Deutschkurse. Im Bereich Bildungsab-schlüsse sind Vorbereitungslehrgänge auf die Berufs-reifeprüfung seit fast zwanzig Jahren fixer Bestand-

V.l.n.r.: Kulturstadtrat Dr. Andreas Mailath-Pokorny, Bildungs-, Frauen- und Inte-grationsstadträtin Sandra Frauenberger, Wohnbau-Stadtrat Dr. Michael Ludwig, Auf-sichtsratsvorsitzender der Wiener Volkshoch-schulen, Direktorin Mag.a Doris Zametzer und Gemeinderat Ernst Woller, Vorsitzender des Fördervereins.

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DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 49

Neuer Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen: Herbert Schweiger

Personalia

Am 1. Oktober 2016 hat der neue Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen GmbH, Herbert Schweiger, seine Stelle angetreten. Schweiger ist seit dem Jahr 2001 bei den Wiener Volkshochschulen tätig. Begonnen hat er als Marketingleiter beim sozio-ökonomischen Betrieb Reparatur- und Servicezentrum (RUSZ), der damals vom Verband Wiener Volksbildung geführt wurde und heute ein eigenständiger Betrieb ist. Von 2002 bis 2008 war er Pressesprecher sowie Werbe- und PR-Verantwort-licher im Verband Wiener Volksbildung (ab 1.1.2008: Die Wiener Volkshochschulen GmbH). Von 2008 bis Sep-tember 2016 war Schweiger Direktor der Wiener Volks-hochschule Donaustadt.

Schweiger hat einen Masterlehrgang für Sozialma-nagement und Sozialwirtschaft an der Wirtschaftsuniver-sität Wien abgeschlossen, einen MBA (Master of Business Administration) ebenfalls in Sozialmanagement erwor-ben und den Masterlehrgang „Professional Teaching and Training“ an der Donauuniversität Wien absolviert.

Dort verfasste er eine Abschlussarbeit mit dem Titel „Die Wiener Volkshochschulen als Bildungspartner in der Gemeinwesenarbeit im Sinne stadtteilbezogener Arbeit“, in der er die Bildungsarbeit der Volkshochschule Donaustadt in Wiener Gemeindebauten theoretisch und empirisch analysiert hat.

Herbert Schweiger bringt durch seine langjährige Tä-tigkeit in der Markt- und Meinungsforschung eine weite-re Kompetenz mit, die in der Erwachsenenbildung heute so gut wie unverzichtbar ist, nämlich eine ausgeprägte Evidenzbasierung und eine wissenschaftliche Grundle-gung von Strategien und Entscheidungen. //

Foto: Wiener Volkshochschulen

teil des Kursprogramms. Im Rahmen der Initiative Erwachsenenbildung (IEB) können Jugendliche und Erwachsene gratis den Pflichtschulabschluss nach-holen. Das große Angebot an geförderten Basisbil-dungskursen unterstreicht die Funktion der VHS Fa-voriten als wichtige Bildungseinrichtung im Bezirk. „Seit 70 Jahren ist die VHS Favoriten ein Zentrum für Bildung und Kultur für alle Menschen, gleich welchen Alters oder Geschlechts und unabhängig von sozialer oder kultureller Herkunft. Vielsprachig-keit und der Einfluss unterschiedlicher Kulturkreise prägen nicht nur den Favoritner Alltag und die poli-tische Landschaft, auch die BesucherInnen der VHS Favoriten sind ein Spiegelbild dieser Vielfalt“, so Di-rektor Hannes Gmeiner, der seit 2006 das Haus lei-tet. Herbert Schweiger, Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen ergänzt: „Die VHS Favoriten ist ein gutes Beispiel, wie regionale Bildungsarbeit und sozial- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen die Bezirksbevölkerung bei ihren individuellen Bildungs-plänen unterstützen.“ //

gerhard bisovsky

V.l.n.r.: Michael Ludwig, Marianne Klicka, Hannes Gmeiner und Herbert Schweiger

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Personalia

50 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

Verabschiedung von Willi FillaAm 6. Juli 2016 verabschiedeten sich zahlreiche Kolleginnen und Kollegen aus der Erwachsenenbildung und Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, Präsident des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen von Univ.-Doz. Dr. Wilhelm Filla, dem langjährigen VÖV-Generalsekretär, der am 23. Juni 2016 plötzlich und unerwartet verstorben ist.

VÖV-Vorstandsvorsitzender, Stadtrat Dr. Michael Ludwig sprach über Fillas Wirken in der Erwachsenenbildung, Univ.-Prof. Dr. Rudolf Egger von der Karl-Franzens-Universität Graz hat die akademischen Verdienste von Willi Filla ge-würdigt und Dagmar Miksch-Köthner, Direktor der Volkshochschule Stuttgart, sprach zu Fillas Wirken im Ausland und insbesondere in Deutschland.

Stadtrat Dr. Michael Ludwig, VÖV-Vorstandsvorsitzender

Liebe Sissi, liebe Familie Filla,sehr geehrte Trauergäste!

Wir verabschieden uns heute von einem herausragenden Menschen, von einem vorbildlichen Erwachsenenbild-ner, einem sehr geschätzten und immer hilfsbereiten Kol-legen und von einem lieben Freund.

Willi Filla begann im Alter von 26 Jahren – nach seinem Studium der Soziologe an der Universität Wien – im Jah-re 1973 an der Volkshochschule Floridsdorf in Wien als Pädagogischer Assistent zu arbeiten.

Bereits ein Jahr darauf, nämlich 1974 übernahm er die Leitung der Volkshochschule Hietzing und war bis 1979 deren Direktor.

Von 1979 bis 1983 arbeitete Willi Filla im Landesju-gendreferat der Stadt Wien. Im Jahre 1984 wurde er zum Generalsekretär des Verbandes Österreichischer Volks-hochschulen bestellt und übte diese Tätigkeit bis zu sei-ner Pensionierung im Jahre 2012 aus.

Willi Filla leitete den Verband Österreichischer Volks-hochschulen 28 Jahre hindurch und führte diesen auf der Grundlage seiner fundierten Kenntnisse der ös-terreichischen und der europäischen Erwachsenenbil-dungslandschaft.

Schwierige Situationen im Verband meisterte Willi Filla in seiner bekannt umsichtigen Art und Weise.

Gemeinsam mit namhaften Funktionären ist es Filla gelungen, den Verkauf von Haus Rif, dem ehemaligen Bildungshaus des Verbandes Österreichischer Volks-hochschulen in Hallein mit dem Land Salzburg zu ver-handeln und ein gutes Ergebnis zu erzielen.

Die notwendig gewordene Umstellung im Verband auf vermehrte Projektfinanzierung wurde unter der Lei-tung von Willi Filla durchgeführt.

Filla war federführend an vielen bundespolitischen Verhandlungen beteiligt, unter anderem verhandelte er die dreijährigen Leistungsvereinbarungen für den Volkshochschulverband und für die Konferenz der Er-wachsenenbildung Österreichs, wodurch eine Planungs-sicherheit für die Erwachsenenbildung und für die Volks-hochschulen erreicht werden konnte.

Eine große Bedeutung hat Wilhelm Filla der Kon-ferenz der Erwachsenenbildung Österreichs (KEBÖ), der Arbeitsplattform der gemeinnützigen Erwachse-nenbildung, zugemessen. Seit 1984 war Filla im Lei-tungsausschuss der KEBÖ tätig, drei Male war er ihr Vorsitzender.

Zahlreiche Standardwerke hat Willi Filla zur Erwachse-nenbildung verfasst.

Der Bogen spannt sich von der „Volkshochschularbeit in Österreich“, die im Jahre 1991 publiziert wurde, über seine herausragende Habilitationsschrift über die Fachgruppen in der Wiener Volksbildung, bis hin zur 2013 erschienenen „Alternativen Politi-schen Bildung“ und zur Geschichte der Erwachsenenbildung in Österreich, einem Studienbuch, das er 2014 herausgebracht hat.

Sein Wissen und seine Kompetenz wurden von vielen ErwachsenenbildnerInnen in Österreich und auch in Eu-ropa geschätzt.

Mit dem Deutschen Volkshochschulverband gab und gibt es seit Jahrzehnten ein sehr freundschaftliches Ver-hältnis und

in der Volkshochschule Stuttgart war er seit Dezember 2010 ein engagiertes Aufsichtsratsmitglied.

Viele Innovationen wurden von Willi Filla ermöglicht und unterstützt, Bewährtes wurde von ihm fortgeführt und ausgebaut.

Den Fernsehpreis der Erwachsenenbildung hat er bes-tens fortgeführt.

Foto: Mike Ranz

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Personalia

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 51

Er hat den Radiopreis der österreichischen Erwachsenen-bildung eingeführt und

den Wissenschaftspreis der Volkshochschulen, den Ludo-Hartmann-Preis.

Die gute Statistik der Volkshochschulen ist ebenfalls auf Fillas Engagement und hohe Kompetenz zurückzu-führen. Zahlreiche Weiterbildungsstudien wurden von Filla durchgeführt.

Filla forcierte die Entwicklung der „Weiterbildungs-akademie Österreich“, die heute ein internationales Vor-zeigemodell für die Anerkennung von Kompetenzen von ErwachsenenbildnerInnen ist.

Auch die Knowledgebase Erwachsenenbildung, jene virtuelle Bildungsumgebung, die online die Geschichte und die aktuelle Entwicklung der österreichischen Er-wachsenenbildung erfahrbar, erforschbar und anwendbar macht und transparent die Struktur der Volkshochschulen und der österreichischen Erwachsenenbildung darstellt, wurde von Filla gefördert und er lieferte auch viele Inhalte dazu.

Filla hat sich besonders für das Österreichische Volks-hochschularchiv eingesetzt, er war bis zu seinem Ableben ein engagiertes Vorstandsmitglied und ein regelmäßiger Besucher des Archivs, das er für seine Forschungsarbeiten gut benützen konnte.

Bis wenige Tage vor seinem Ableben hat Willi Filla noch an einem verbandsinternen Projekt mitgearbeitet, durch das der Transfer wissenschaftlicher und universitärer Ar-beiten in die Bildungspraxis ermöglicht wird.

In der Verbandszeitschrift „Die Österreichische Volks-hochschule“, deren Chefredakteur er von 1984 bis 2012 war, verfasste er seit seiner Pensionierung für jede Nummer eine historische Kolumne.

Für sein Wirken in der Erwachsenenbildung wurde Willi Filla mehrfach ausgezeichnet.

Er erhielt den Volksbildungspreis der Stadt Wien (2005),

das große Ehrenzeichen der Republik Österreich (2012) und im vergangen Jahr den Bruno-Kreisky für das politi-sche Buch.

Sein Handeln war davon geleitet, die Bedingungen für die Menschen in Gesellschaft, Arbeitswelt und Bildung zu ver-bessern.

Mit Willi Filla verliert die Erwachsenenbildung einen ihrer profundesten Kenner, einen umsichtigen Akteur und Funktionär und einen herausragenden Wissenschaft er, der mehrere Standardwerke zu Geschichte und Gegenwart der Volkshochschulen und der Erwachsenenbildung ver-fasst hat. Vor allem aber verlieren wir mit Willi Filla einen Freund.

Wir trauern mit der Volkshochschulfamilie und vielen ErwachsenenbildnerInnen in Österreich und in Europa um diesen herausragenden Menschen, Erwachsenenbild-ner, Wissenschaft er und lieben Freund.

Wir werden Willi Filla für immer ein ehrendes Andenken bewahren. //

Univ.-Prof. Dr. Rudolf Egger, Universität Graz

Die österreichische Erwachsenenbildung trauert um Wilhelm Filla. Ich möchte in meinen Ausführungen an den Wissenschafter erinnern, an den Menschen und an sein Werk.

Wilhelm Filla war – so wie wir ihn kannten – bei seinen wissenschaftlichen und praktischen Verpflichtungen im Kontext der Erwachsenenbildung immer hoch engagiert, stets fair und aufgrund seiner großen geschichtlichen Re-flexionskraft sehr anregend. Er verband in imponierender Weise das Eintreten für die Ziele der Aufklärung mit dem Ethos der Verantwortung, Bildung so zu organisieren, dass sie ohne hierarchisches Verhältnis auskommt.

Sein lebenslanges Eintreten für eine öffentlich-verant-wortete Erwachsenenbildung und seine kluge, reflexive und anwendungsorientierte Grundlagenforschung beein-flussen vor allem die wissenschaftlichen und praktischen Entwicklungslinien der allgemeinen und der politischen Erwachsenenbildung.

Wilhelm Filla hat zum wissenschaftlichen Diskurs der Erwachsenenbildungsforschung in Österreich über Jahr-zehnte herausragend beigetragen. In seinen zahlreichen umfangreichen Studien hat er eine grundlegende demo-kratische Profilierung der Profession befördert. Er war ein genauer Kenner der bildungshistorischen und der kultur-spezifischen Diskussionen in der Auseinandersetzung, beispielsweise mit der Literaturvermittlung oder der Beto-nung alternativer politischer Bildung.

Wilhelm Filla hat die österreichische Erwachsenen-bildung zur Wissenschaft hin geöffnet – und das in einer bildungspolitisch bewegten und für die Entwicklung der noch jungen Erwachsenenbildung wichtigen Zeit. Das ist ihm nicht zuletzt durch ein reflektiertes Verhältnis von Wissenschaft und Praxis gelungen. Dabei hat er die-ses Verhältnis nicht nur reflektiert, sondern auch gelebt. Seine Arbeiten nehmen ihren Ausgang in bildungshisto-rischen Fragestellungen, berühren damit fast das gesam-te Spektrum der Erwachsenenbildung und münden in bildungstheoretischen Reflexionen über das Verhältnis von Forschung und Praxis, von Denken und Handeln.

Ich möchte das nur kurz an zwei Beispielen zeigen:

In seinem Buch „Wissenschaft für alle. Ein Widerspruch?“ beschreibt er die Wiener Volkshochschulen und ihrer wis-senschaftlichen Orientierung. Der Zeitrahmen umfasst den Gründungsprozess der Volkshochschulen in Wien bis zu den einschneidenden Veränderungen im Austrofaschis-mus. Seine Analyse war dabei stets geprägt vom Blick einer Volksbildung als Bewegung „von unten“, als demokratische und gemeinsinnstiftende Bildungstätigkeit. Dabei war er kein humanistischer Bildungsromantiker, der das Indivi-duum überforderte, sondern er wusste auch um die oft zer-störerische Kraft gesellschaftspolitischer Einflüsse.

Und trotzdem traute er dem Subjekt eine utopische

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Personalia

52 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

Kraft zu, wie er in all den Beschreibungen von handeln-den Menschen in der Zeit des Austrofaschismus beweist. Was für mich im Lesen dabei immer wieder faszinierend und wovon ich viel gelernt habe, war vor allem, wie die hier skizzierten Lehrenden (heute würde man Pro-grammentwickler sagen) ihre Positionen entworfen und begründet haben. Oft geschah das gar nicht aus rational-argumentativen Rechtfertigungen, sondern eher aus dem Bestreben, das, was man sich ausgedacht hat, zum Leben zu erwecken. Das Leben als stets vorwärtstreibendes The-aterstück und die Volkshochschule als Bühne, zwischen Burgtheater, Wurste lprater und Universität, zwischen der Ideen- und Lebenswelt der Menschen, zwischen dem Denkbaren und dem Lebbaren. Schlüsselt Filla zwar im-mer wieder die Gegenstände auf, um die es geht, so be-kommen diese erst ihre Brisanz durch die Personen, denn er weiß: Erwachsenenbildner unterrichten nicht Fächer, sondern Menschen. Das wichtigste Curriculum ist des-halb stets die Person und der Dialog, die Auskunft oder zumindest die Ahnung, wozu das Wissen wichtig ist.

Wie viele Dokumente und Beschreibungen hat Wil-helm Filla hier zusammengetragen, die mir gezeigt ha-ben, dass Bildungsinstitutionen in diesem Sinne unmit-telbar werte-vermittelnde Institutionen sind. Das sollten wir uns, auch in Zeiten größtmöglicher Verobjektivie-rungsabsichten und Evaluationsmaßnahmen immer in Erinnerung rufen: Die wesentlichsten Elemente in der so-genannten Bildungsarbeit liegen in der Begegnung, mit Ideen, Lebenswelten und Personen. Diese sind weitaus wichtiger als jeder noch so transparente Verwaltungsakt. Wer diese Facetten des Mit- oder Gegeneinanders in Bil-dungsprozessen miterlebt hat, weiß um die vielen Schat-tierungen des Werdens, Veränderns und Umgestaltens.

Eine solche Haltung hat Wilhelm Filla auch als Lehrbeauf-tragter an den Universitäten Graz und Klagenfurt an die Studierenden herangetragen. Obwohl er ein überaus be-lesener Mensch war, war ihm stets bewusst, dass man vor dem Denken nicht in scheinbar endgültig gesichertes Wis-sen fliehen darf. Gerade sein historisches Wirken hat ihm stets gezeigt, dass jegliches Wissen immer im Werden ist.

Was aus erziehungswissenschaftlicher, aber auch aus bil-dungspolitischer Sicht am Denken und Handeln von Wil-helm Filla so hoch einzuschätzen ist, ist aus meiner Sicht diese Fähigkeit, den eigenen Standpunkt geschichtlich zu erkämpfen, aber in empathischen, friedlichen und kulti-vierten Formen des Miteinander weiter auszuhandeln. Er hat dadurch die Kernaufgaben der Erwachsenenbildung, die Sensibilisierung und Orientierung für verschiedene Problemlagen, die Reflektion der eigenen Suchbewegung, den Kampf gegen Ideologien und gegen vereinfachende Interpretationsschemata anregend bestimmt. Sein ver-ständliches Eintreten für das aufklärende und demokra-tische Potenz ial von Erwachsenenbildung kommt dabei ohne großes Bildungspathos aus. Sein eigenes Schreiben und Handeln sehe ich darin begründet, Geschichten nach-zugehen und Vorstellungen vom besseren Leben im all-täglichen zu begründen. Nichts kann dadurch auf geradem Wege erreicht werden, dennoch muss es getan werden. In

diesem Sinne ist es ihm auch gelungen, die österreichische Volkshochschule zu einem demokratiepolitisch nicht weg-zudenkenden und leistungsfähigen Bildungsverbund aus-zubauen.

In diesem Sinne nehmen wir Abschied von einem Kolle-gen, Wegbegleiter und Anreger und sehen mit Dankbar-keit auf sein Schaffen. //

Dagmar Mikasch-Köthner,Direktorin der Volkshochschule Stuttgart

„Wir sind dankbar für Ihre Menschlichkeit, bewunderns-wert waren Ihr beständiges Engagement und die Fülle Ihres Wissens, Sie haben uns angeregt und unseren Blick geweitet, unvergesslich bleibt Ihr Wirken, Sie sind uns ein Vorbild für die Zukunft.“

Mit diesen sehr persönlich gefassten Worten hat der Auf-sichtsrat der Volkshochschule Stuttgart seiner Trauer und seiner Bestürzung über den so völlig unerwarteten Tod seines geschätzten langjährigen Mitglieds Willi Filla Aus-druck gegeben.

Wenige Tage bevor uns die noch immer unfassbare, trauri-ge Nachricht erreichte, hatte Willi Filla bei uns in Stuttgart an einer Aufsichtsratssitzung teilgenommen, und sie – wie stets – mit wenigen, klug gesetzten, unaufgeregt vorgetra-genen, eine über die lokale Perspektive hinausreichende Einordnung gebenden Beiträgen bereichert.

Willi Filla 2010 nach einer tiefgreifenden Strukturreform für die Mitwirkung im neu geschaffenen Aufsichtsrat des Trägervereins der Volkshochschule Stuttgart gewonnen zu haben, war für den Verein, die Volkshochschule und für mich persönlich ein großer Gewinn. Ich hatte kaum zu hoffen gewagt, dass er, damals noch Generalsekretär des Verbands Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) und mit vielen Ämtern ausgestattet, meiner Bitte nachkommen würde. Aber es war ihm wichtig, den Kontakt zur Erwach-senenbildungspraxis (und damit vielleicht auch zur eige-nen Herkunft) zu halten. Und er hat es als Bereicherung angesehen, sich grenzüberschreitend zu engagieren, aus Vergleichen, aus Gemeinsamkeiten und Unterschieden Zukunftsimpulse für die Erwachsenenbildung abzuleiten.

Diese profunde, umfassende Kenntnis aller Ebenen (ein-schließlich der Höhen und Tiefen) der Erwachsenen-bildung, das Herstellen Können von Bezügen zwischen Erwachsenenbildungs-Praxis, -Wissenschaft und -Politik, zwischen den Verhältnissen in Österreich und anderen eu-ropäischen und außereuropäischen Ländern, gepaart mit einer universellen Bildung und dem wachen, kritischen Interesse am Zeitgeschehen, waren einzigartig. Und das Schöpfen daraus hat Willi Filla nicht nur so authentisch, überzeugend und erfolgreich gemacht, sondern auch zu einem stets interessanten und interessierten, anregenden, außerordentlich angenehmen Gesprächspartner.

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Personalia

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 53

Gelegenheit dazu ergab sich oft, denn trotz der weiten An-reise hat Willi Filla keine Aufsichtsratssitzung in Stuttgart versäumt. Und trotz seiner vielfältigen Verpflichtungen hat er seine Verbundenheit mit der Volkshochschule Stutt-gart zusätzlich dadurch unterstrichen, dass er dem Träger-verein auch als persönliches Mitglied beigetreten ist.

Nicht nur für die Volkshochschule Stuttgart bedeutet sein Tod einen unersetzlichen Verlust. Die Erwachsenenbil-dung im deutschsprachigen Raum – und weit darüber hi-naus – verliert mit ihm einen ihrer kenntnisreichsten und engagiertesten Vertreter.

So darf ich Ihnen, sehr geehrte, liebe Frau Filla, und Ihnen allen heute auch die sehr verbundenen und persönlichen Beileidsgrüße von Vorstand und Geschäftsführung des Deutschen Volkshochschulverbandes (DVV) – und damit aller deutschen Volkshochschulen – sowie des Volkshoch-schulverbands Baden-Württemberg überbringen.

Ich möchte den Direktor der DVV, Ulrich Aengenvoort, der heute nicht hier sein kann, selbst zu Wort kommen lassen:

„Wilhelm Filla hat über viele Jahre hinweg im Organi-sations- und Finanzausschuss des DVV, im Arbeitskreis Historischer Quellen und im Arbeitskreis Großstädti-scher Volkshochschulen mitgearbeitet und dadurch sei-ne Verbundenheit mit der deutschen Erwachsenenbil-dung zum Ausdruck gebracht.

Ich habe Herrn Filla als universalgebildeten Men-schen kennengelernt, dessen Horizont weit über die Erwachsenenbildung hinausreichte und der sich insbe-sondere für politische und kulturelle Entwicklungen in-teressierte, immer auf der Basis eines fundierten histori-schen Wissens.

Was mir an ihm gefallen hat: seine bescheidene und zu-rückhaltende Art.

Und was bleibt: Unter seiner Generaldirektion ent-wickelte sich ein sehr freundschaftliches Verhältnis zwischen VÖV und DVV, das bis heute andauert.“

Soweit Ulrich Aengenvoort.

Und immer wieder der Rückbezug zur Praxis: So hat Willi Filla auch als Mitglied im Beirat eines großen Programms der Landesstiftung Baden-Württemberg mit-gewirkt, das Anfang der 2000er- Jahre aufgelegt wurde: „Brücken bauen ... zwischen Generationen, Kulturen und Institutionen“.

Durch dieses Programm wurden innovative Projekte zur Allgemeinbildung in Baden-Württemberg ermöglicht, die der wachsenden Kluft zwischen den Kulturen und Gene-rationen entgegenwirken sollten. Der Volkshochschulver-band Baden-Württemberg hatte damals die Programmko-ordination inne und hat Willi Filla in den Beirat berufen.

Auch den Direktor des baden-württembergischen Volkshochschulverbandes, Dr. Hermann Huba, möchte ich mit einer persönlichen Würdigung zu Wort kommen lassen:

„Das, wofür Wilhelm Filla, dieser so vielseitig Interes-sierte und Gebildete, steht, auf einen Begriff zu bringen, ist nahezu unmöglich. Muss ich es tun, wähle ich den

Begriff der sozialen Demokratie. In ihm finde ich alle un-sere Gespräche und Begegnungen, für die ich sehr dank-bar bin, am besten aufgehoben.“

Diese Würdigungen aus Deutschland, die ich Ihnen überbringen darf, mögen stellvertretend stehen für das hoch anerkannte internationale Wirken Wilhelm Fillas.

Wiederum ist der Begriff der Einzigartigkeit anzuführen, denn der erwachsenenbildnerische länderübergreifende Wissensschatz, den Willi Filla besaß, sucht seinesgleichen.

Willi Fillas Wissen und Kompetenz wurden von vielen Er-wachsenenbildnerInnen, von EB-Verbänden und - Institu-tionen in Europa und darüber hinaus hoch geschätzt, ohne dass er dieses immense Wissen vor sich hergetragen hätte.

So hat mich die beeindruckende Liste der Länder, über die Willi Filla gearbeitet hat oder deren Erwachsenenbil-dung er durch die Mitwirkung in Gremien mit begleitet und mitgestaltet hat, selbst in Staunen versetzt – dank des von Willi Filla mit begründeten, hervorragenden Öster-reichischen Volkshochschularchivs ist es ein Leichtes, sich einen Überblick zu verschaffen –, und ich möchte Ihnen diese Weltreise in Sachen Erwachsenenbildung nicht vor-enthalten. In alphabetischer Reihenfolge sind dies:

Albanien, China, Deutschland, Finnland, Frankreich, Israel, Italien / Südtirol, Kroatien, Liechtenstein, Polen, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tschechien, UdSSR/Sow-jetunion, und Ungarn.

Bewunderung, Hochachtung stellen sich ein – vor al-lem aber ein tiefes Bedauern, ja Trauer darüber, die vielen interessanten Gespräche, die sich daraus noch mit Willi Fil-la hätten ergeben können, nicht geführt zu haben.

Es bleibt die Dankbarkeit für die bereichernden Jahre der Zusammenarbeit.

Mit dem Tod von Dr. Wilhelm Filla – so heißt es im Nach-ruf des VÖV – verliert die Erwachsenenbildung einen ihrer profundesten Kenner und einen herausragenden Wissen-schaft er und Bildungspolitiker.

Ein unermesslicher fachlicher Verlust für die Volkshoch-schule Stuttgart, die sich hierin vereint weiß mit den vielen Institutionen und den Menschen – Erwachsenenbildne-rInnen in Österreich, Deutschland und ganz Europa – mit denen Willi Filla über viele Jahre eng und kollegial zusam-mengearbeitet hat, deren Diskurse und Entwicklungen er mit wichtigen Impulsen und Anregungen mitgestaltet und mitvorangebracht hat.

Wir verneigen uns in Trauer und hoher Anerkennungvor einem Großen unserer Zunftund vor einem leidenschaftlichen Verfechter unserer Arbeit.

In tief empfundenem Mitgefühl wünschen wir insbeson-dere Ihnen, liebe Frau Filla, und Ihrer ganzen Familie, Kraft, Trost und Beistand in dieser schweren Zeit.

Wir werden uns stets gern an die Kontakte und Gespräche mit Ihrem Mann erinnern.

Und wir werden ihm ein ehrendes Andenken be-wahren. //

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Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung (Hrsg.): Policy Making in Adult Education. A Comparative Approach across 21 European Regions.Bielefeld: wbv 2016, 123 Seiten.

Wie werden politische Absichten für die Er-wachsenenbildung formuliert, wie werden sie in die Praxis umgesetzt und wie wird Weiterbildung letztlich finanziert? Dieser komplexen Fragestellung ist das internati-onale Projekt „Comparative Analysis of Re-gional Policies for Adult Learning“ 2014/15 nachgegangen. In sechs Ländern, Deutsch-land, Ungarn, Irland, Italien, Serbien und der Slowakei wurden in insgesamt 21 Regio-nen die Bedingungen analysiert und die Er-gebnisse nun publiziert.

Als methodisches Instrumentarium für die wissenschaftliche Vorgangsweise dien-ten Interviews, Sekundäranalyse von Daten, Analyse von Dokumenten und Gesetzen sowie regionale Vergleichsstudien für Län-derprofile. Gerade ein vergleichendes Heran-gehen führt erneut die große Heterogenität des Sektors Erwachsenenbildung, zudem die regionalen Differenzen innerhalb einzelner Länder vor Augen. Vereinheitlichungen, sim-ples Vergleichen oder schnelle Rückschlüsse sind nicht angebracht, weil sie die unter-schiedlichen ökonomischen, sozialen, kultu-rellen oder regionalen Gegebenheiten außer Acht lassen. Dies beginnt, sei hier angemerkt, bei der Sprache. Die in Englisch verfasste Pub-likation spricht fast durchwegs von AL („adult learning“).

Um die große Heterogenität von „adult learning“ zu bewältigen, wurden drei Katego-rien für die Analyse gestaltet:

„Formulation“ – beinhaltet nationale,

europäische oder andere regionalpolitische Einflüsse ebenso, wie Daten oder Ergebnisse von Evaluationen auf die formulierte „adult learning policy“.

„Implementation“ – bezieht sich auf Pri-oritäten, Herausforderungen und Probleme, die sich bei der Umsetzung von Politik in Maßnahmen stellen.

„Funding“ – beschreibt finanzielle Quel-len und Ressourcen, ihre Anteile an Gesamt-budgets sowie das Ausmaß und die Art von „public-private-partnerships“.

Die Ergebnisse der Studie lassen sich in Kürze zusammenfassen: - Vorwiegend erweist sich Weiterbildungs-

politik als ein Top-down-Prozess, wobei gesetzlich legitimierte Institutionen die Richtung des Programmangebots und den Umfang der Finanzierung vorgeben. Der Einfluss geht von nationalen, nur in geringem Ausmaß von regionalen Be-hörden aus.

- Das Angebot bleibt sehr stark den Inhal-ten der Sekundarstufe II und der beruf-lichen Bildung verbunden. Eine eigen-ständige Weiterbildungspolitik ist kaum zu registrieren. Das Lernen Erwachsener hat vorwiegend ökonomische und sozi-ale Zielsetzungen, die Erwartungen an den „return on investment“ sind zwi-schen Land, Regionen und Interessen-vertretern umkämpft. Nonformales und informelles Lernen werden wohl von der Politik verbal geschätzt, finden aber

keine entsprechende materielle Unter-stützung.

- Verantwortliche für Weiterbildung erhal-ten nicht genug Aufmerksamkeit bei der Formulierung der Politik für lernende Erwachsene. Internationale Dokumente von EU oder OECD werden in ihrer Be-deutung unterschätzt und inhaltlich zu wenig thematisiert. Nicht zuletzt würden mehr Daten bezüglich Bedarf und An-gebot den Blick auf regionale Bildungs-bedürfnisse lenken, Qualitätssicherung fördern und an politischen Prioritäten festhalten lassen.Die Studie kann Verantwortliche für Wei-

terbildung ermutigen, ihr Potenzial für und ihren Einfluss auf bildungspolitische Pro-zesse regional und national zu überdenken. Vielleicht bringt das ein revidiertes bildungs-politisches Engagement mit sich. Deutlich wird aber auch, dass mit dem Einsatz wissen-schaftlicher Instrumente Analysen, Daten und Zusammenhänge produziert werden, die nicht bloßstellen und vor denen man sich nicht fürchten muss. Vielmehr können wis-senschaftliche Einsichten dazu beitragen, Be-dingungen zu schaffen, die regional, in Land und Staat einen optimalen Bildungsrahmen für „adult learners“ schaffen. //

Werner Lenz

Rezensionen

54 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

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Rezensionen

Werner Lenz

Klaus-Peter Hufer: Politische Erwachsenenbildung. Plädoyer für eine vernachlässigte Disziplin. Bielefeld: wbv 2016, 139 Seiten.

Vier Jahrzehnte Erfahrung in der Praxis po-litischer Erwachsenenbildung! Für Klaus-Peter Hufer eine interessante Tätigkeit, denn sie gibt immer wieder Gelegenheit selbst zu lernen, sich mit klassischen Fra-gen und neuen Entwicklungen auseinan-derzusetzen sowie in den Veranstaltungen „… viele engagierte und politisch wache Menschen zu treffen“ (S. 123).

Diese positive Energie vermittelt die Lektüre: dezent aufklärend, bescheiden wissend, unaufgeregt die eigene Position vertretend. Letztere wird klar bezogen: Die normative Idee der Demokratie steht im Zentrum von politischer Bildung.

Die Struktur der Publikation erlaubt einen soliden Zugang zum Thema. Ein-gangs werden die wichtigsten Begriffe wie Politik, Bildung und politische Bildung er-örtert. Als nächstes wird die Situation der politischen Bildung im Zeitraum der Auf-klärung, in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus sowie in der Epoche seit 1945 pointiert beschrieben. In Letz-terer vollzieht sich der Wandel von einer kritischen zu einer marktorientierten Bil-dung, die politische Aufklärung weniger achtet.

Exemplarisch werden im folgenden Ka-pitel fünf Protagonisten, die im vorigen und in diesem Jahrhundert in der politi-schen Bildung Akzente setzten, vorgestellt: Fritz Borinsky, Paul Röhrig, Willy Strzele-wicz, Hans Tietgens, Oskar Negt.

Hufer, bestens theoretisch ausgewiesener Inhaber einer außerplanmäßigen Professur an der Universität Duisburg – Essen, tritt für eine Überwindung der Kluft zwischen Theorie und Praxis ein. Er sieht politische Erwachsenenbildung in einem Bedingungs-rahmen, der von den Lehrenden, den Trä-gern und TeilnehmerInnen, der Politik, der Gesellschaft und den Beziehungswissen-schaften mitbestimmt ist. Letztere sind vor allem Politikwissenschaft und -didaktik, Pädagogik, Erwachsenenbildungs- und So-zialwissenschaften. Allerdings, je nach The-matik der politischen Bildung, noch viele andere, sodass man von einer notwendigen interdisziplinären Orientierung sprechen kann.

In den folgenden Kapiteln, die sich mit dem Lehren und Lernen, den Adressa-tInnen sowie der Qualität der politischen Bildung beschäftigen, beweist Hufer sein didaktisches Potenzial. Er bietet u. a. vie-le Vorschläge im methodischen Bereich, erörtert das Verhältnis von Bildung und Kompetenz oder legt Ansichten vor, was unter „guter“ politischer Bildung verstan-den wird. Hufer praktiziert auch als Autor Grundprinzipien, die 1976 im „Beutelsba-cher Konsens“ als Anforderungen an politi-sche Bildung festgelegt wurden: Kontrover-sen als solche aufzeigen und niemanden zu hindern, ein selbständiges Urteil zu gewin-nen. Ob politische Erwachsenenbildung als Profession zu bewerten ist, fällt Hufer – am

Ende seines Buches – schwer zu beantwor-ten. Zu heterogen ist das Feld, zu vielfältig die Institutionen und Handlungsfelder, oft zu prekär die Arbeitsverhältnisse. Hufer, als optimistischer Aufklärer, sieht das Po-sitive: Merkmal der Profession politischer ErwachsenenbildnerInnen ist es Span-nungsmomente in einem komplexen Beruf auszuhalten und auszugleichen (vgl. S. 118).

Hufers Plädoyer für politische Erwach-senenbildung in Buchform, ein Lehrbuch, das nicht belehrt, gibt viele Einblicke in die Situation der (deutschen) Erwachsenenbil-dung. Es zeigt aber auch, dass Themen und Anliegen im Bildungsbereich nicht verlo-ren sind, wenn sie mit Energie und Sach-verstand vertreten werden. //

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 55

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Rezensionen

Ewelina Mania/Monika Tröster: Finanzielle Grundbildung. Programme und Angebote planen.Bielefeld: wbv 2016, 115 Seiten.

Finanzielle Grundbildung gilt als integra-tiver Teil der Grundbildung. Diese Kon-zeption vertreten die Autorinnen, beide am Deutschen Institut für Erwachsenen-bildung tätig, mit ihrer „Handreichung“. Sie folgen damit einem erweiterten Ver-ständnis von Grundbildung, das über Alphabetisierung hinausgeht und basale Alltagskompetenzen, die zur kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe befähigen, umfasst. Legitimation für ihr Thema finden die Autorinnen nicht nur in der Dynamik des Begriffs Grundbildung, sondern auch in der herausfordernden Realität:- Knapp zehn Prozent der deutschen Er-

wachsenen, etwa sieben Millionen Men-schen, waren 2014 überschuldet – sie konnten in absehbarer Zeit ihre Schulden nicht begleichen, wobei neben Arbeits-losigkeit, Trennung, Erkrankung auch fehlende finanzielle Grundbildung als Ursache gelten.

- Die Erfordernisse privater Vorsorge anstelle bisheriger staatlicher sozialer Sicherung stellen erhöhte kognitive An-forderungen und bringen komplexe Ent-scheidungsfindungen mit sich.

- In Warenwelt und Konsum, aber auch im Finanzsektor entstehen neue differen-te Produkte und Dienstleistungen. Der Komplexität, aber auch der Bedrohung durch prekäre Arbeitsverhältnisse könnte mit aufklärender ökonomischer Grund-bildung begegnet werden.

Die Autorinnen definieren: Finanzielle Grundbildung bezieht sich auf existenziell basale und unmittelbar lebenspraktische Anforderungen alltäglichen Handelns und der Lebensführung in Angelegenheiten, die Geld betreffen (S. 13). Als derzeitige Hauptanbieter dieser Thematik fungieren in Deutschland konfessionelle Einrichtun-gen und Volkshochschulen. Aber, so die Autorinnen, ein entsprechend etablierter Programmbereich fehlt. Dem Bemühen, finanzielle Grundbildung besser zu positi-onieren entspricht die inhaltliche Struktur der Publikation.

Ein kooperativ entwickeltes, empirisch fundiertes, am Alltag orientiertes Kompe-tenzmodell wird präsentiert. Es umfasst sechs Kompetenzdomänen – Einnah-men, Zahlungsverkehr, Kaufen, Haushal-ten, Schulden, Vorsorge – und integriert Grundbildungskompetenzen wie Lesen, Schreiben, Rechnen sowie konkrete Hand-lungsanforderungen für Alltagssituationen.

Planung des Programms, Entwicklung des Angebots und Möglichkeiten, wie das Modell einzusetzen ist, werden vorgestellt. Innovativen Formaten und Methoden kommt ein besonderer Stellenwert zu. The-matische Beispiel sind „Elternwerkstatt-Ta-schengeld“, „Bank und Zahlungsverkehr“, „Schuldnerberatung“.

Die in A4-Größe gehaltene Broschüre ist didaktisch sorgsam aufbereitet, die Semina-runterlagen sind als Download verfügbar.

Inklusive der Vorschläge zum Gewinnen von TeilnehmerInnen und Ansprechstra-tegien ergibt sich eine empfehlenswerte thematische Unterlage – die soziale und pädagogische Fantasie werden angeregt. Es geht nicht nur um „Fitness im Umgang mit Geld“. Finanzielle Grundbildung beinhal-tet z. B. auch die Reflexion über die gesell-schaftliche Rolle des Geldes. Mit Hilfe der vorliegenden „Handreichung“ können die Bildungsaspekte beim Themenfeld Geld si-cherlich weiter entfaltet werden. //

Werner Lenz

56 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

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Rezensionen

Reinhard K. Sprenger: Das anständige Unternehmen. Was richtige Führung ausmacht – und was sie weglässt.München: Deutsche Verlagsanstalt 2015, 381 Seiten.

Werner Lenz

Vor allem auf das Weglassen kommt es dem vielgefragten Unternehmensberater und Bestseller-Autor, Reinhard K. Sprenger, an. Er bezieht Position gegen die intensiven Kon-trollmaßnahmen, wie z. B. Evaluationen, und misstraut den diversen „Führungsstilen“. Er plädiert dafür, die Menschen in ihrer Unter-schiedlichkeit zu achten und wahrzunehmen. Dann können sie gemäß ihrer Individualität im Unternehmen eingesetzt werden. Zumin-dest „anständigen“ Unternehmen würde das entsprechen.

Sein Eintreten für „Anstand“ erläutert der Autor zu Beginn des Buches. Er findet, dass Unternehmen aufgrund von Arbeitsver-dichtung einen „psychischen Dichtestress“ und einen „Überschuss an Zudringlichkeit“ erzeugen. Deshalb fordert Sprenger „An-stand durch Abstand“. Seine „Ökonomie der Zurückhaltung“ will vor allem darauf auf-merksam machen, was zu unterlassen ist. Z. B. sollte angesichts der Herausforderungen durch die Digitalisierung sollte von Seiten des Managements nicht schon wieder etwas dazukommen! Sprenger schlägt unterdessen vor (S. 25): „Anstatt Instrumente und Prozes-se zu verbessern, sollten wir darüber nach-denken, ob wir sie überhaupt noch brauchen.“ Der Autor erklärt damit seine Absicht: Er will mitteilen, worauf anständige Unternehmen verzichten könnten.

Unternehmen definiert Sprenger als Zweckgemeinschaften, die Bedürfnisse von Kunden befriedigen und dadurch Geld ver-dienen wollen (vgl. S. 62). Sie sind „Koopera-tionsarenen“, die nicht aus einer Addition von Einzelleistungen bestehen, sondern um die Idee der Zusammenarbeit organisiert sind.

Individuelle Leistung ist schwer zu isolieren und persönlich zurechenbar, weil Ergebnisse nur arbeitsteilig und gemeinsam erzielt wer-den. Deshalb, meint Sprenger, sind extreme Einkommensunterschiede in anständigen Unternehmen abzulehnen. Sie betonen das hierarchische Prinzip und bevorzugen den Einzelnen vor dem Ensemble.

Für „anständige Unternehmen“ empfiehlt der Autor fünf, von ihm festgelegte Prinzipi-en zu beachten:

1. Betrachte Mitarbeiter nicht als bloße Mittel.

2. Behandle Mitarbeiter nicht wie Kinder.

3. Versuche nicht Menschen zu verbessern.

4. Verletze nicht die Autonomie der Mitarbeiter.

5. Bezeichne nichts als alternativlos.

Die Prinzipien werden in jeweils einem Kapitel abgehandelt. Deren Schlussaussagen münden darin, was ein anständiges Unter-nehmen unterlassen soll. Gesellschaftliche Bedeutung habe sein Buch insofern, urteilt der Autor, dass Unternehmen, die gute Pro-dukte oder soziale Dienstleistungen ver-kaufen, ihre Wirkungen auf die Menschen am Arbeitsplatz, also die MitarbeiterInnen, kennen sollten. Im Sinne seiner Prinzipien sollten Unternehmen auf Zielvorgaben und Identifikation der MitarbeiterInnen mit dem Betrieb verzichten, nicht den ganzen Men-schen vereinnahmen und ihn nicht als Män-gelwesen sehen, das ständig zu motivieren ist. Dem entspricht das Menschenbild des Autors: Er wendet sich gegen alle Trends, die

infantilisierend, erziehend oder therapierend gegenüber Mitarbeiter/innen auftreten. Dies widerspreche einer Sicht auf Erwachsene, für die eigene Selbstentwicklung verantwortliche Menschen.

In diesem Sinn lehnt Sprenger anonyme Befragungen oder eine Haltung der Fürsorg-lichkeit ab, geißelt den Druck der Selbstopti-mierung und hinsichtlich des neuen Trends „Gesundheit am Arbeitsplatz“ die Preisgabe von einschlägigen Daten über den eigenen Körper.

Kritisiert wird die „Pädagogisierung der Unternehmensführung“, die sich in der Perso-nalentwicklung, verstanden als Korrektur der Personalauswahl, äußert. Personalauswahl, für Sprenger die wichtigste Entscheidung des Managements (vgl. S. 167), soll nicht durch Verhaltensoptimierung korrigiert werden. Dies ist ebenso abzulehnen wie Rankings oder institutionalisiertes Feedback, denn sie transportieren die Botschaft (S. 164): „Sie wä-ren ein sehr viel besserer Mensch, wenn Sie ein anderer wären.“

Wenn verändern, dann Strukturen! Wie ein Wasserbauer den Lauf des Wassers beein-flussen, nicht aber das Wasser ändern kann!

Aus dieser zurückhaltenden Sichtweise erklärt Sprenger auch Freiheit aus negativer Sicht, nämlich als „Reduzierung von Fremd-bestimmung“. Er präferiert eine „Ökonomie des Lassens“ und meint, dass im Wortsinn „ökonomisch“ ja die Suche nach dem ge-ringsten möglichen Aufwand liege. Für das Management ist es kein „passives Unterlas-sen“, sondern erst durch Zurückhaltung ent-stehen Chancen die Perspektive zu wechseln und Übersicht zu gewinnen – woraus sich

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 57

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Rezensionen

Werner Lenz

Karim El-Gawhary/Mathilde Schwabeneder: Auf der Flucht. Reportagen von beiden Seiten des Mittelmeers. Wien: Kremayr-Scheriau 2015, 188 Seiten.

Flüchtlinge erleben wir in Mitteleuropa mit unterschiedlichen Gefühlen: Sie lösen Hilfs-bereitschaft aus, sie verursachen Ängste, sie befremden, sie stören eingesessene Gemein-schaften, sie erinnern an unseren fragilen Wohlstand, sie sind Sendboten schreckli-cher gesellschaftlicher Lebensbedingungen. Flüchtlinge „strömen“, stranden, ziehen wei-ter, wollen ihr Leben neu beginnen.

Karim El-Gawhary, Leiter des ORF-Nahostbüros, und Mathilde Schwabeneder, Leiterin des ORF-Büros in Rom, geben den unpersönlichen „Flüchtlingsströmen“ Gesichter. Sie lassen uns die Menschen erleben, die flüchten, die einen neuen Le-bensrahmen suchen. Das Buch vermittelt aber auch, dass Autorin und Autor, die die Berichte der Flüchtenden anhören, nicht unberührt bleiben. Das Gefühl der Ohn-macht ist den Korrespondenten oft begeg-net – aber auch die Kraft, sich für einzelne Personen, z.B. mit Briefen an unseren Au-ßenminister, einzusetzen.

Der Schrecken ist kein Motiv des Buches. Er ist Anlass für Flucht. Geografisch weit

gespannt sind die Regionen, in denen sich Menschen zur Flucht entschließen und auf der Flucht befinden. Sie umfassen Syrien und den Irak, den Libanon, Afghanistan, Gambia, Nigeria, Eritrea, Somalia, Libyen, die Strände des Mittelmeeres sowie dessen Inseln, insbesondere Lampedusa. Als Sym-bole der Flucht werden die Matratzen für das Nachtlager und der Tee, eine Begleit-erscheinung, um die Zeit der wartenden Flüchtlinge vergehen zu lassen, genannt.

Das Buch beschreibt, so weit bekannt, transnationale kriminelle Netzwerke der Schlepperbanden und Menschenhänd-ler, die ungeheuren Profit aus der Not der Flüchtenden ziehen. Legaler Zugang nach Europa ist allerdings in nächster Zeit nicht absehbar. Geschildert werden aber auch der Stress und die Belastungen der Helfenden: Ärzte, Marine, Fischer, Freiwillige…

Die Berichte über Elend und Schrecken finden im Buch einen positiven Schluss-punkt. In den oberösterreichischen Voral-pen hat sich die Gemeinde Großraming un-terstützend für Asylwerber geöffnet.

Das Thema Flüchtlinge wird vom Autor und der Autorin als brennendste Fra-ge europäischer Gesellschaften auf lange Sicht bezeichnet. Es wird uns konkret und unmittelbar, sind Autor und Autorin über-zeugt, begegnen und betreffen: in Alltag und Beruf, in Schule, Universität und Er-wachsenenbildung. Wir werden mit Men-schen zu tun haben, die von sich sagen (S. 46): „Wir müssen unser Leben riskieren, um einen sicheren Platz im Leben zu fin-den.“

Wir selbst in Mitteleuropa, mag ein Ge-danke bei der Lektüre sein, werden es hof-fentlich bei der spekulativen Überlegung belassen können, was sich für viele Millio-nen Menschen als rasch zu beantwortende Frage gestellt hat (S. 38): „Was würden Sie in eine einzige Fluchttasche packen?“

Das Buch gibt Einblick in ein aktuelles politisches Problemfeld. Es informiert mit sachlich recherchierten Daten und berührt durch die nacherzählten Schicksale. Es be-inhaltet Sozialreportagen, die Flüchtlinge als Mitmenschen erkennen lassen. //

Freiräume für Entscheidungen ergeben.Sprengers Aussagen sind durchaus auf

den Bildungsbereich, insbesondere auf sich als Bildungsunternehmen verstehende Ein-richtungen – welche sind das nicht mehr? – zu übertragen. Bemerkenswert ist sein Vor-schlag, MitarbeiterInnen als KundenInnen zu betrachten und das Unternehmen (sprich die Schule, das Institut, die Einrichtung der Weiterbildung) nicht als Familie anzusehen.

Dann wird nämlich auf eine übertriebene emotionale Bindung von MitarbeiterInnen verzichtet und es lässt sich sachlicher über befristete Arbeitsverträge, Fluktuationen, unterschiedliche Interessen, Wunsch nach anderen Aufgaben oder über interne Macht- und Beziehungsstrukturen diskutieren. So gewinne man ein Selbstverständnis, meint Sprenger, dass man in einem (Bildungs-) Un-ternehmen gemeinsame Interessen eben nur

auf Zeit verfolge – und bleibe für Neues und dessen Konsequenzen offen.

Nicht zuletzt ist die „Ökonomie der Zu-rückhaltung“ auch für das pädagogische Handlungsfeld selbst interessant, um das Ausmaß von Erziehung, Belehrung, Be-vormundung, Steuerung und Lenkung von Kindern und Erwachsenen zu reduzieren. Doch diesbezüglich könnte ein eigenes Buch geschrieben werden. //

58 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

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Autorinnen

AutorInnen

DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259 — 59

Julietta Adorno, M.A., geb. 1987. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft an der Stiftung Universität Hildesheim. Kontakt: [email protected]

Birgit Aschemann, Mag.a Dr.in Psychologin, Bildungswissenschaftlerin. CONEDU, Verein für Bildungsforschung und Bildungsmedien. Ludo-Hartmann-Preisträgerin 2011 gemeinsam mit Wilfried Hackl (Frei) für Weißbuch Programmplanung I der Wiener Volkshochschulen. Kontakt: [email protected]

Peter Baumgartner, Univ.-Prof. Dr., geb. 1953. Universitätsprofessor für Technologieunterstütztes Lernen und Multimedia und Leiter des Departments für Interaktive Medien und Bildungstechnologien an der Donau-Universität Krems. Kontakt: http://peter.baumgartner.name/

Gerhard Bisovsky, Dr., geb. 1956. Studium der Politikwissenschaft, ÖVH-Redakteur und Generalsekretär des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen. Kontakt: [email protected]

Gerhard Brandhofer BEd., Mag. Dr. Professor am Department für IT – Informationstechnologien, E-Learning, Blended Learning, E-Office an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich; Koordination Fortbildung allgemeinbildende Pflichtschulen (APS), Lehrgangsleitung Lehrgänge E-Learning – E-Pädagogik, Mathematik digital, Deutsch digital. Kontakt: http://www.brandhofer.cc/

Leonhard Dobusch, Univ. Prof. Dr., geb.

1980. Universitätsprofessor am Institut für Organisation und Lernen der Universität Innsbruck. Kontakt: [email protected]

Martin Ebner, Univ.-Doz. Dipl.-Ing. Dr., geb. 1975. Leiter der Abteilung Lehr- und Lerntechnologien und Universitäts-dozent im Fach Medieninformatik am Institut für Informationssysteme und Computer Medien an der Technischen Universität Graz. Kontakt: http://www.martinebner.at/

Rudolf Egger, Univ.-Prof. Dr., geb. 1959. Professur für lebenslanges Lernen – lebensbegleitende Bildung, Abteilung für Weiterbildung am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Karl-Franzens-Universität Graz. Kontakt: [email protected]

Gaby Filzmoser BA MA, geb. 1966. Geschäftsführerin der ARGE Bildungs-häuser Österreich, wba-diplomierte Bildungsmanagerin, Studium Berufs- und Erwachsenenbildung. Kontakt: [email protected]

Heinz Fischer, Univ.-Prof., Dr., geb. 1938. Bundespräsident der Republik Österreich 2004-2016. Präsident des Verbandes Österreichischer Volkshochschulen 1999-2007 und ab 2016.

Stephan Ganglbauer, geb. 1959, Studium der Geschichte und Politikwissenschaf-ten an der Universität Wien, Historiker. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Paul Lazarsfeld-Gesellschaft für Sozialfor-schung, Pädagogischer Assistent in der Volkshochschule Brigittenau, wissen-schaftlicher Mitarbeiter des Österreichi-schen Volkshochschularchivs. Kontakt: [email protected]

Petra Gradinger, Mag.a Dr.in Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Plattform Interkulturalität an der Fakultät für Gesundheit und Soziales der Fachhochschule Oberösterreich. Kontakt: [email protected]

Renee Hobbs, Universitätsprofessorin an der Universit of Rhode Island, USA. Professor Hobbs is one of the nation's leading authorities on digital and media literacy education. Through community and global service and as a researcher, teacher, advocate and media professional, Hobbs has worked to advance the quality of digital and media literacy education in the United States and around the world. She is Founder and Director of the Media Education Lab, whose mission is to improve the quality of media literacy education through research and community service. Kontakt: [email protected]

Martin Korte, Prof. Dr. Leiter des Zoologischen Instituts und der Abteilung Zelluläre Neurobiologie an der Technischen Universität Braunschweig; Koordinator der Graduierten-Schule „Grad.Life“ an der Technischen Universität Braunschweig. Arbeits-/Forschungsschwerpunkte: Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis; Neurotrophine und ihre Rezeptoren; Synapsen und Plastizität im Hippocampus. Kontakt: [email protected]

Birgit Maria Langeder, Mag.a , MA. geb. 1969, pädagogische Mitarbeiterin im Verband Österreichischer Volkshochschulen. Kontakt: [email protected]

Michael Ludwig, Dr., geb. 1961. Studium der Politikwissenschaft und Geschichte. Amtsführender Wiener Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung. Kontakt: [email protected]

Dagmar Mikasch-Köthner, geb. 1962. Germanistin. Direktorin der Volkshochschule Stuttgart seit 2007. Zuvor Direktorin der Volkshochschule Freiburg. Kontakt: [email protected]

Werner Lenz, em. Univ-Prof. Dr., geb. 1944. Karl Franzens Universität Graz, Institut für Erziehungswissenschaft. Kontakt: [email protected]

Mario Steiner, Mag., geb. 1969, Soziologe. Leiter der Gruppe „in_Equality and Education“ (equi) am IHS-Institut für Höhere Studien, Wien. Kontakt: [email protected]

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Impressum

ImpressumDie Österreichische Volkshochschule (ÖVH)Magazin für ErwachsenenbildungNovember 2016, Heft 259/67. Jg. ISSN 0472-5662

Redaktion: Dr. Gerhard BisovskyTelefon +43 1 216 4226, Fax +43 1 216 4226-30,E-Mail: [email protected], Internet: www.vhs.or.atRedaktionsausschuss: Mag. Ronald Zecha (Innsbruck),Dr.in Elisabeth Deinhofer (Eisenstadt)Redaktionssekretariat: Brigitte Eggenweber, Christine RafetsederFür den Inhalt verantwortlich: Dr. Gerhard BisovskyVerband Österreichischer Volkshochschulen Pulverturmgasse 14, A-1090 WienZVR: 128988274ATU 66337038

Grafisches Konzept: Qarante Brand DesignLayout: schaefer-design.atBezugsgebühren: Abonnement Printabo jährlich (drei Ausgaben) € 20. Einzelheft: € 7.Bankverbindung: IBAN AT02 1100 0094 7310 0700. BIC BKAUATWWDVR 0475581Für unverlangte Rezensionsstücke und Beiträge übernimmt dieRedaktion keine Haftung. Namentlich gekennzeichnete Artikel gebendie Meinung der AutorInnen wieder und müssen sich nicht mit jenerder Redaktion decken.

Offenlegung nach § 25, Abs. 1-3 Mediengesetz 1981Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung (ÖVH) ist eine überparteiliche Fachzeitschrift für MitarbeiterInnen und InteressentInnen der Volkshochschulen. Die Zeitschrift veröffentlicht Beiträge zu grundsätzlichen und aktuellen Fragen der Volksbildung und der Erwachsenenbildung, bringt Berichte aus der praktischen Arbeit sowie Buchbesprechungen und will zu einem Erfahrungsaustausch anregen.

Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Frauen

60 — DIE ÖSTERREICHISCHE VOLKSHOCHSCHULE · 02-2016 · NR. 259

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Veranstaltungstermine

10. März 2017 bis 13. Jänner 2018 Volkshochschule Salzburg, Volkshochschule Alsergrund, Wien

Zertifikatslehrgang für SprachkursleiterInnen

Blended-learning-Format: online zuhause, gemeinsam in Wien und Salzburg/Stadt

Beratung: [email protected]

27. Jänner 2017, 14–17 Uhr Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien

Weiterbildungsforschung und Bildungspraxis

Teil II Studien zur Erreichbarkeit von Bildungsbenachteiligten und zum Verbleib in Bildungsmaßnahmen

Information und Anmeldung: [email protected]

12. Jänner 2017, 19 Uhr Universität Wien, Institut für Bildungswissenschaften

Jour fixe Bildungstheorie | Bildungspraxis

Flucht in Bildern Vida Bakondy, freischaffende Historikerin, Wien

Information und Anmeldung: [email protected]

13. Jänner 2017, 14–17 Uhr Verband Österreichischer Volkshochschulen, Wien

Weiterbildungsforschung und Bildungspraxis

Teil I Studien zur Teilnahme am Erwachsenenlernen und zu Grundkompetenzen Erwachsener

Information und Anmeldung: [email protected]

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