8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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ranz
Schnider
Werner Stenger
Kösel
ohannes
und
die Synoptiker
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Die beiden Verfasser behandeln
die drei neutestamentlichen Mo
tiv
-Komplexe die Johannes
mit
den Synoptikern gemeinsam hat
Tempelreinigung
Hauptmann
von
Kapharrraum bzw.
der
kö
nigliche Beamte Brotvermeh
rung. Die Passion
wird
ausge
nommen. Die Redaktionen der
einzelnen Evangelisten werden
einschließlich
ihrer
Quellen mit
einander verglichen.
Dadurch
gewinnt
man
nicht
nur Detail-
wissen sondern
vor
allem einen
Einblick in die theologische Sicht
jedes Evangelisten
und
in die
Deutungsmethoden der jungen
Christengemeinden. So
wird
deutlich wie si h die »vielgestal
tige W
eis
heit Gottes«
in
der
Freiheit innerer
und
äußerer
Pluriformität artikuliert
. Ge
ra
de die unterschiedlichen
und
doch unaufgebbaren theologi
schen Sichtweisen jedes Evange
liums lassen
so
das Gemeinsame
erkennen was »Evangelium«
meint: die in Jesus von Naza
reth angebrochene neue Welt
Gottes.
Die
Verfass er zeigen das
in
einer einleuchtenden
und
gut
lesbaren Sprache die im Stil
durch die integrative Arbeits
methode inzwischen so ange
glichen ist
daß man
die
Arbeit
der Autoren nicht mehr zu tren
nen vermag.
F
ranz
Schnider und W erner
Stenger sind Assistenten am
Lehrstuhl
für
biblische Theolo
gie und Exegese des N euen Te
staments an der Universität Re
gensburg.
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Reihe> Biblische Handbibliothek<
Bisher sind erschienen:
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Stand der Forschung. 2 Auf-
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KOSEL VERLAG
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BIBLISCHE H NDBIBLIOTHEK
B ND IX
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PRANZ
SCHNIDER
WERNER
STENGER
JOH NNES
UND
IE SYNOPTIKER
ergleich ihrer arallelen
KöSEL
VERLAG MÜNCHEN
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ISBN 3 466 2son o
© 1971
by Kösel-Verlag
GmbH
Co., München. Printed in
Germany. Mit kirchlicher Druckerlaubnis: München, 16. 7· 1971,
GV
Nr.
3873/4
Dr.
Gerhard Gruber, Generalvikar. Gesamt
herstellung: Graphische Werkstätten Kösel, Kempten Allgäu).
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INHALT
Vorwort
I EVANGELIUM UND EVANGELIEN
13
r
Markus: Die Bindung des Kerygmas an die Jesustradi-
tionen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
2.
Matthäus: Die Interpretation es Logienstoffs durch das
Evangelium
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . I
8
3· Lukas: Die Sammlung »aller« Jesustraditionen als Ver-
mächtnis für die Kirche . . . . . . . . . . . 2
4·
Johannes: Die Bindung der Christusrede an Jesus. . . . 21
II.
DIE
TEMPELREINIGUNG
Mk
11,15-17. 27-33;
Mt
21,12-13. 23-27;
Lk
19,45-46;
20,1-8;
Jo 2,14-22 . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
r
Die Herrschaft Gottes als Ende
es
Tempels Vorlage es
Markus)
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
2.
Die universalistische Weitung es Tempels für »alle Völker«
Markus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
3· Die Tempelreinigung Jesu als Handlung in eschatologischer
Vollmacht Vorlage es Johannes) 37
Die Vorlage und ihre Redaktion 37
Die Zeichenhandlung . . . . . 4
Das Tempellogion . . . . . . 45
4·
Jesus der wahre Tempel Johannes).
49
111
DER
HAUPTMANN
VON KAPHARNAUM-
DIE HEILUNG
DES
SOHNES
DES »KÖNIGLICHEN«
Mt
8,5-13; Lk 7,1-10; Jo 4,46-54 . . . . . . . . . . . . 54
r
Vergleich der Fassung der Perikope bei Matthäus, Lukas
und Johannes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
Synoptische übersieht . . . . . . . . . . . . . . .
55
2.
Der Hauptmann von Kapharnaum Matthäus und Lukas) 57
Die Redaktion des Matthäus 58
Die Redaktion des Lukas 6o
Die gemeinsame Vorlage . . 63
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3· Die Heilung es Sohnes es »Königlichen« Johannes) . 64
Die
Redaktion
des Johannes 64
Die Vorlage . . . . . . . . . . . . . .
70
4·
Die theologischen
Akzente
. . . . . . . .
73
»So einen Glauben habe ich
in
Israel nicht
gefunden <<
Logienquelle) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
Der Hauptmann -
Stammvater
im Glauben der Heiden-
christen Matthäus) . . . . . . . . . .
75
Der
Hauptmann - Vorbild von Demut und starkem
Glauben Lukas) . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
Das mächtige
Wunder der
Fernheilung Vorlage des Jo
hannes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
>>Wenn ihr
nicht Zeichen und
Wunder
seht,
glaubt ihr
nicht.« Johannes) . . . . . . . . . . . . . . . . 81
IV. DER BROTVERMEHRUNGSKOMPLEX BEIMARKUS
MATTHJ>i.US) UND
JOHANNES
8
Mk 6,30-8,21;
Mt
14,13-16,12;
Jo
6,1-71} . . . . • . . . . .
89
1. Die Speisung der Fünftausend
und
die Speisung der Vier
tausend bei Markus . . . . . . . . . 89
Synoptische Obersicht . . . . . . . . . . . . . . .
90
Vergleich
von
Mk 6 32-44
und
Mk
8,1-9 . . . . . . . 94
2 Das Erbarmen Gottes speist durch Jesus die hungrige
Menge Vorlage von Mk 6,32-44) . . . . 98
3·
Der Seewandel Jesu bei Markus
Mk
6,45-52)
. . . . 103
Synoptische Obersicht . . . . . . . . . . . . . .
104
Die
Epiphanie Jesu
auf
dem See Genezareth Vorlage) .
107
Jesus steigt zu den Jüngern ins Boot Markus)
113
4·
Das Jüngerunverständnis bei Markus. 115
Das Motiv . . . . . . . .
115
Das Geheimnis der Brotwunder . . . 1 2 5
Die
Öffnung der
Augen . . . . . .
127
5· Speisung
und
Seewandel Matthäus) - Verständnis und
Kleinglaube der Jünger
. . . . . . . . . . . . . . 134
6.
Brotvermehrung und Seewandel nach Johannes Jo 6,1-25)
141
Die großen Wunder am See Vorlage des Johannes) .
142
Das
mißverstandene »Zeichen« Johannes) 150
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7·
Die johanneische Brotrede
-
Erschließung des Zeichens
im
Offenbarungswort Jo 6,26-7r . 154
»Ich bin das
Brot
des Lebens« . 15 5
Glauben
und
Unglauben . . . .
160
Fleisch für das Leben der Welt
163
Brotwunder und Brotrede - Jesus das in den Tod ge-
gebene Passahlamm . . . . . . . . . . . . . . 166
V
J SUS
DIE MITTE DER EVANGELIEN
Abkürzungsverzeichnis
Personenregister
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V RW RT
Die neue Ordnung der Sonntagsperikopen lenkt die
Aufmerksamkeit auf die alte Frage nach dem Ver-
hältnis der vier Evangelien zueinander. Der Vergleich
von Parallelen der Synoptiker mit Johannes will an-
hand konkreter Texte darauf achten, wie der »uner-
gründliche Reichtum Christi« (Eph 3,8) von den
Evangelisten in verschiedener Weise zur Sprache ge-
bracht wird.
Die Verfasser bedanken si h bei Professor Franz
Mußner, der ihnen großzügig Zeit zur eigenen Arbeit
ließ, bei Dr Elmar Bartsch für die freundliche Be-
ratung bei der Erstellung des Manuskriptes, beiHerrn
Reinhold Stenger für die gewährte Gastfreundschaft
in Dalberg und bei Frau Anne Brand für die Schreib-
arbeiten.
Regensburg, den 7· Juli 1971
ranz Schnider
Werner Stenger
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I
EVANGELIUM UND
EVANGELIEN
Schon die alte Kirche war der Überzeugung daß das J ohannes
evangelium das letzte der vier kanonischen Evangelien gewe
sen ist. Nach dem Zeugnis der Kirchengeschichte
des Eusebius
berichtete
Klemens
vo
Alexandrien
von einer ihm überliefer
ten Tradition
es sei
das »Letzte der Evangelien gewesen das
Johannes weil er wußte daß in den anderen Evangelien die
leiblichen Dinge offenbar gemacht seien auf Zuraten seiner
Vertrauten und
auf
göttlichen Antrieb
des
Geistes geschrieben
habe als ein geistliches Evangelium«
1
•
Man sieht daran daß
schon die alte Kirche sich Gedanken um das Verhältnis des
Johannesevangeliums zu den anderen Evangelien gemacht hat.
Klemens
nennt das Johannesevangelium ein »geistliches« und
versteht die anderen Evangelien als solche die die »leiblichen«
Dinge überliefert haben. Damit will er die Besonderheit des
Johannesevangeliums gegenüber den Synoptikern erklären
die auch schon der empfindet der die vier Evangelien aus
flüchtiger Lektüre kennt. Dennoch trennt
Klemens
das Johan
nesevangelium nicht von den anderen sondern sieht
sie
unter
dem Stichwort »Evangelium« als Einheit. »Evangelium« ist
für
Klemens
schon ein feststehender literarischer Begriff.
Es
wird »gemacht« geschrieben.
Es
gibt »frühere« die auch schon
Evangelien heißen und
es
gibt ein »letztes«. Die Evangelien
schreibung ist abgeschlossen. Die Evangelien haben einen be
stimmten Inhalt: »Leibliches« und »Geistliches«. Johannes
wird
durch Zureden seiner Vertrauten bewogen ein Evange
lium zu schreiben offenbar weil diese
es
vorher aus seinem
Munde gehört hatten und
es
gern aufgeschrieben sahen. Daß
es
geschrieben wird führt
Klemens
auf göttlichen Antrieb
des
Geistes zurück.
Klemens
weiß
daß
das was Johannes schreibt
sich
von den früheren unterscheidet. Dabei setzt er voraus daß
Johannes die früheren Evangelien kennt
. Diese kurze Notiz aus der Kirchengeschichte
des
Eusebius
Eusebius H E
VI 14 5-7
IJ
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ist im Grunde schon eine ganze Theorie, eine Frucht
der
Be
schäftigung
mit
den vier Evangelien und ein früher Versuch,
das Problem zu erfassen, daß s nicht ein Evangelium
von
Jesus Christus gibt, sondern deren vier, obwohl doch der Be
griff Evangelium verbietet,
daß
neben dem einen ein anderes
Evangelium verkündet wird Gal 1,6-9). Wenn Klemens auch
»Evangelium« schon als literarischen Begriff kennt,
weiß
er
dennoch,
daß
das Wort »Evangelium« nicht nur jedes der vier
Bücher
für
sich benennt. Vielmehr will
s
auch sagen, daß in
den vier Evangelienbüchern das eine »Evangelium Gottes«
laut wird. Dieses wurde durch die Propheten vorher verkün
det
und handelt
in der apostolischen Predigt von dem, »der
geworden ist aus dem Samen Davids dem Fleische nach, der
als Sohn Gottes eingesetzt ward in Macht dem Geist der
Heiligkeit nach, durch die Auferstehung von den Toten,
von Jesus Christus unserem
Herrn«
Röm 1,2-4). Dieses Evan
gelium, dessen
Inhalt
für die nachösterliche Gemeinde Jesus
Christus selber ist,
war
von
Jesus selbst als Evangelium Gottes
von der Erfüllung der Zeiten und vom angekommenen König
tum Gottes verkündet worden Mk 1,14 f.). Darum ist s be
reits ein Programm, wenn vier Schriften den Namen »Evan
gelium« erhalten. Was sich in diesen Schriften befindet, besitzt
Evangeliumscharakter, ist Evangelium.
I
Markus Die Bindung des Kerygmas an die ]esustraditionen
Die neutestamentliche Wissenschaft ist heute ziemlich sicher,
daß Markus
als erster die
Gattung Evangelium
geschaffen hat.
Sie ist in der antiken Literatur ohne Parallele. Das Evange
lium will Glauben wecken
und
unterscheidet sich
darum
von
jeglicher Biographie.
Die
schriftstellerische
und
theologische
Eigenleistung des Markus kann nicht hoch genug angesetzt
werden. Es ist nicht so, als sei das Kerygma
von
Tod und
Auf
erstehung Jesu Kristallisationspunkt der verschiedenen über
lieferten Worte und Taten Jesu geworden, vielmehr hatte die
mündliche
Tradition
zentrifugale Tendenz. Die Einzeltradi-
I4
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tionen drängten auseinander
und
drohten, sich vom Zusam
menhang mit dem »Evangelium«, dem Kerygma der apo
stolischen Predigt loszulösen. Indem Markus die Gattung
Evangelium schuf, vollbrachte er eine bewußte und originale
Leistung. Man
darf
nicht annehmen, die mündliche
Tradition
habe schon die Tendenz gehabt, die Einzelperikopen um das
zentrale Kerygma zu versammeln. Markus
hat
nicht bloß
mündlich schon längst Vorliegendem
nur
die schriftliche Fixie
rung gegeben. r hat vielmehr als originale Leistung in der
von ihm geschaffenen Gattung des Evangeliums die ausein
anderstrebenden Einzeltraditionen von Jesus fest
mit
dem
Kerygma von Leiden, Tod
und
Auferstehung Jesu verbunden.
r tat
das, indem er die Einzelperikopen in den Rahmen ein
fügte, der durch die beiden Pole »Taufe des Johannes«
und
>>Auferstehung« abgesteckt ist. Markus war also nicht nur
Vollstreckungsgehilfe eines schon
in
Gang gekommenen Sam
melprozesses.
r
hat vielmehr diesen Sammelprozeß erst in
Gang gebracht.
Das pure Kerygma, die bloße Formel,
hat
die Tendenz,
sich
in
den Raum objektiver Sätze
und
ewiger Wahrheiten abdrän
gen zu lassen und so das Skandalon der historisch einmaligen
Konkretheit Jesu und ihrer Bedeutung für den christlichen
Glauben zu einer sanften Idee der Welt- und Geschichtserklä
rung zu c h e n ~ Die bloßen Einzeltraditionen fliegen wie auf
gescheuchte Vögel in den weiten Himmel des Anekdotischen
und
Mirakelhaften, wenn
sie
ihren Zusammenhang mit dem
ihre Bedeutsamkeit herausstellenden Kerygma verlieren. So ist
es
nicht das Kerygma, das sich
in
seiner Einmaligkeit >>auch
seine eigene literarische Form geschaffen hat), die weder dem
antiken Bios noch der antiken Kultlegende noch der antiken
Preisrede entspricht«,
so
daß die Evangelien >>auch in ihrer
vollendeten Gestalt noch eine Form urchristlichen Kerygmas
sind«, sondern dies ist die schriftstellerische und theologische
Eigenleistung des
Mar
kus
2
•
Die schriftstellerische Originalität des Markus besteht darin,
2
] Schniewind
Synoptiker Exegese,
ThR NF 2 1930), 140, 152
5
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daß
er die ihm zugänglichen Einzeltraditionen in den »Rah
men der Geschichte Jesu«
K.
L
Schmidt) von
der Taufe des
J ohannes · bis
zu
Leiden, Kreuz
und
Auferstehung einfügt,
nicht
nur
um eine Passionsgeschichte nach vorne zu verlängern
M. Kähler: »Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung<< ,
und
um
so
die Bedeutsamkeit der Einzeltraditionen durch ihre
Verbindung mit dem Kerygma von
Tod und
Auferstehung zu
erweisen, sondern auch um Kreuz
und
Auferstehung Jesu
durch die Geltendmachung des irdischen Jesus in ihrem Sinn
festzulegen.
Damit
ist zweierlei erreicht:
1
Die Einzeltraditionen verlieren das bloß Zufällige
und
Be
deutungslose und werden als geschichtswirksame Ereignisse
verkündet.
2
Dem Kerygma von
Tod und
Auferstehung Jesu
wird
das
sachlich Verschwommene und bloß Ideenhafte - seine stän
dige Gefahr - genommen, indem durch die Rückbindung
an den irdischen Jesus, d. h. an die Jesustraditionen, be
schrieben wird, wer
da
leidet
und
aufersteht.
Damit aber
wird
aus der
schriftstellerischen
Originalität des
Markus eine
theologische.
Das, was der apostolischen Predigt
unreflektiert zu eigen war, hebt er in die erzählerische Re
flexion. Solange die »Vita Jesu«
und
das Kerygma von
Tod
und
Auferstehung in der Predigt der
Apostellaut
wurde,
war
der Zusammenhang beider durch die Person des Apostels ver
bürgt. Doch für die zweite Generation und für die immer wei
ter vom Land der Ereignisse und seinen Traditionen wegliegen
den kirchlichen Gemeinden
war
die Verbindung von Kerygma
und
Vita nicht mehr so fraglos in der Person
des
Verkünders
repräsentiert. So
wurde die Erhebung der wechselseitigen b-
hängigkeiten zwischen Vita und Kerygma
eine Notwendig
keit, wollte die christliche Gemeinde
ihr
Schiff zwischen der
Skylla antiker religiöser Geheimbündelei
und
der Charybdis
hellenistischen Mysterienwesens hindurchsteuern. Auseinan
derstrebende Einzeltraditionen hätten Jesus als einen unter
vielen religiös Entzündeten und charismatisch Begabten ge
zeichnet, als einen der vielen antiken Heroen,
von
denen man
si h
wunderliche Taten erzählte, vorgestellt. Das Kerygma
r
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allein wäre vor dem alles aufsaugenden Mysterienwesen des
Stirb und Werde nicht zu bewahren gewesen. Dieser Gefahr
begegnete das Evangelium als eigenständige Leistung des
Theologen Markus. »Markus
hat
also verstanden,
daß
Gottes
Wort an die Welt im Ganzen
des
Wirkens, Sterheus und Auf-
erstehens J esu geschah, weder in einzelnen Worten J esu, so
daß er bloß der Lehrer bliebe, dessen Weisheit man auch über-
nehmen könnte, ohne von ihm selbst überhaupt zu wissen,
noch in einzelnen Wundertaten, so daß man ihn als göttlichen
Zauberer verehren könnte, noch in einem vorbildlichen Leiden,
so
daß er
nur
zur Nachahmung verlockte, noch in einer ab-
strakten Verkündigung göttlicher Gnade, die man zur
Not
auch von Jesus loslösen könnte«
3
•
Das sog. »Papiaszeugnis«
hat
darum in einer theologischen
Weise recht, wenn
es
vom Markusevangelisten als dem
Her-
meneuten des Petrus spricht, der die Predigt des Petrus über
Jesu Worte und Taten aufgezeichnet habe
4
• Nicht als habe
Markus dem Petrus unter den Heiden »gedolmetscht«
und
seine Predigt mitstenographiert, aber in dem Sinne,
daß
er der
zweiten, der nachapostolischen Generation, die apostolische
Predigt »gedolmetscht« hat, indem er an die Stelle der Gestalt
des Apostels die Gestalt seines Evangeliums gesetzt hat. Was
der ersten Generation die Person des Apostels lebendig ver-
bürgte, den Zusammenhang von Vita Jesu und Kerygma,
tut
für die zweite Generation und alle künftigen die von Markus
geschaffene, literarische Gattung
des
Evangeliums.
Die neutestamentliche Wissenschaft stützt sich im allgemeinen
heute auf die sog. Zweiquellentheorie. Einer ihrer tragenden
Pfeiler ist die Annahme, daß sowohl Matthäus als auch Lukas
bei der Abfassung ihrer Evangelien das Markusevangelium als
Quelle benutzt haben. Markus aber ist für beide nicht der
Steinbruch, aus dem sie die Steine zur Errichtung ihrer eigenen
Gebäude herausbrechen, sondern er ist eher das Haus, an das
sie anbauen, und in das sie weiteres Material hineintragen. Sie
3
E Schweizer
Das Evangelium nach Markus, Göttingen
I967, I I
NTDI
4
Eusebius
H. E. 111 39, I5
17
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stehen auf den Schultern des Markus weil sie die von ihm ge
schaffene Gattung des Evangeliums übernehmen. Darin aber
erweist sich noch einmal die Größe des markinischen Entwur
fes. Was Markus als erster getan hatte war
so
zeitentspre
chend so von seinem kirchengeschichtlichen Standort gefor
dert daß
es
geeignet ist zum Anziehungspunkt ähnlicher theo
logischer Absichten zu werden. Es ist wie mit einem Wort das
einer klärend in eine verworrene Situation hineinsagt; es wirkt
so daß es weitere Knoten entwirrt. In der Obernahme der
Gattung »Evangelium« von Markus zeigen Matthäus und Lu
kas daß
sie si h
in einer ähnlichen theologie- und kirchen
geschichtlichen Situation wie Markus befinden wenigstens was
das grundsätzliche Obergehen von der apostolischen zur nach
apostolischen Situation angeht.
2 Matthäus: Die Interpretation des Logienstoffs durch das
Evangelium
Für Matthäus bot der Rahmen des Markusevangeliums einen
geeigneten Anknüpfungspunkt für ein Thema das ihm be
sonders am Herzen lag nämlich das der Lehre fesu. Markus
hatte Kerygma- und Vitatraditionen im Evangelium verbun
den. Dabei leitete ihn nicht das Interesse des Historikers son
dern das des Theologen der das Kerygma inhaltlich näher be
stimmen und die Traditionen als bedeutsam erweisen wollte.
Doch eigentliche Lehre Jesu d. h. Logien bietet er wenig.
In-
dem er aber immer wieder grundsätzlich von der Lehre Jesu
spricht behauptet er die Relevanz dieser Lehre über Jesu
Tod
und Auferstehung hinaus. Möglicherweise hatte er wenig Zu
gang zu Traditionen von Logienstoff.
Darum
werden bei ihm
die Traditionen über die Taten Jesu zu beredter Lehre die das
Kerygma inhaltlich präzisieren. M atthäus dagegen verfügte in
einem Milieu einsetzender christlicher Schrifl:gelehrsamkeit und
katechetischer Unterweisung über viel Logienstoff der wohl
schon vor Matthäus in einer Sammlung von Herrenworten
ge-
sammelt worden war. Schon die Sammlung von Herrenworten
r
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stellt das Stadium einer bewußten Bewahrung inhaltlicher
Lehre dar. Wenigstens durch die Bindung einzelner Logien in
einen
Kontext
von anderen Logien
und
durch ihre Rückbezie
hung auf ein »Jesus sagt:«
waren
die einzelnen Logien davor
bewahrt in die Unverständlichkeit oder aber in die
Banalität
einer Binsenweisheit zu versinken. Das zeigt z. B die Gleich
nisüberlieferung:
Ohne
die Bindung an die eschatologische Si
tuation
Jesu werden sie unverständlich. Weisheitsworte wie
z. B »daß nicht die Gesunden des Arztes bedürfen sondern
die Kranken«
Mk
2 17 parr), gleiten ohne die Bindung an
den Sprecher Jesus ab
auf
die Ebene harmloser Weisheiten die
niemandem schaden aber auch keinem nützen. Solange die
Person des Apostels die Formelhaftigkeit des »Jesus sagt« wie
der
in die lebendige Situation Jesu zu überführen vermochte
war
die »Verständlichkeit« dieser Sammlung von Logien ge
währleistet. Sobald aber der Beziehungszusammenhang von
Lehre
Vita und
Kerygma durch den
Tod
des Augenzeugen
allmählich verlorenging
wurde
auch für die Sammlung
von
Herrenworten die Möglichkeit für einen neuen Bezug frei.
Dabei drohte aber die
Gefahr
einer verfälschenden Neuinter-
pretation
oder einer verflachenden Unverbindlichkeit. So
kann
eine ganze Sammlung von Logien Jesu ein neues Vorzeichen
bekommen wenn sie nicht in Verbindung mit der Vita Jesu
in
ihrem Sinn festgelegt
wird. Man
vergleiche etwa die Spruch
sammlung des gnostisierenden Thomasevangeliums. Es ist eben
kein »Evangelium« sondern nur eine Sammlung von Logien
und als solche leicht gnostisch zu interpretieren. Wenn aber
eine Logiensammlung nicht in Verbindung mit dem Kerygma
von Tod und
Auferstehung Jesu steht verliert sie ihre Autori
tät
und wird zur
Sammlung mehr oder weniger verpflichten
der
Sprüche eines Weisen denen
man
sich anschließen mag
oder nicht. Was die Logien Jesu bedeuten zeigt seine »Vita«
d. h. seine eschatologische Situation. Daß sie verpflichten zeigt
seine Auferstehung.
Das
von Markus geschaffene Evangelium
erwies
sich
also auch hier geeignet den Logienstoff aufzuneh
men ihn an die
Vita
Jesu an seine eschatologische Situation
zu binden
und
so die wenigstens grundsätzliche Verständlich-
19
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keit zu gewährleisten sowie ihm durch die Bindung
an
das
Kerygma vom auferstandenen Jesus bleibende Autorität zu
sichern.
Zudem gelingt
es
Matthäus durch die Vorschaltung von
Stammbaum und Kindheitsgeschichte und durch die Einfüh
rung alttestamentlicher Verheißung das Jesusereignis als Voll
endung der Heilsgeschichte Gottes mit Israel zu verkünden.
Damit
ist die Kontinuität des Jesusereignisses m t der heiligen
Geschichte Israels gesichert und Kirche und Jesusereignis in
einen größeren Zusammenhang gebracht. Zugleich ist damit
die historisch-einmalige Konkretheit Jesu unterstrichen dessen
Vita ja nicht irgendwann und irgendwo sondern in Israel das
Evangelium vom herangekommenen Königtum Gottes ver
künden sollte.
·
Lukas: Die Sammlung »aller« ]esustraditionen als
Vermächtnis für die Kirche
Auch Lukas stellt das Jesusereignis in die Kontinuität des gött
lichen Heilswillens. Auch er fügt Logienstoff Jesu hinzu. Doch
liegt seine Leistung eher darin daß er die Kontinuität von
Kirche
und
Jesusereignis herausstellt denn sein Evangelium
erhält eine Gestalt die durch ihr Bezogensein auf die Apostel
geschichte bestimmt ist. Damit verkündet Lukas der zweiten
kirchlichen Generation daß die apostolische Generation das
Jesusereignis legitim weitergeführt hat.
Er
akzeptiert bewußt
die Bedeutsamkeit der apostolischen Generation in der das
Jesusereignis durch Person und Verkündigung des Apostels
unverfälscht repräsentiert wurde. Zugleich aber schärft er da
durch ein daß Kirche
nur
dann Kirche ist wenn in ihr immer
wieder das Jesusereignis zur Geltung gebracht wird. Die»Vita
Jesu« bestimmt also Kirche auch inhaltlich und bewahrt sie
vor
dem Abgleiten in eine
sich
selbst vergötzende und
sich
sel
ber zum Maßstab nehmende Ideologie. Ihr Maßstab ist und
bleibt Jesus. o wird das was beiMarkusdurch die Schaffung
der Gattung Evangelium
sich
unreflektiert vollzogen hatte
2
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zum Programm.
BeiMarkus trat
die Gattung Evangelium an
die Stelle
des
Apostels. Bei Lukas
wird
darüber reflektiert und
die Gestalt des Apostels programmatisch. Aus der Erkenntnis
heraus, daß für seine Generation das Evangelium die mit der
Vita Jesu verbindende Funktion
des
Apostels übernehmen
muß, fügt auch er weiteren Logienstoff und Erzählgut in den
markinischen Rahmen ein, die Matthäus und Markus nicht
kannten. Dabei geschieht das nicht nur, um die Gestalt und
Relevanz der Lehre Jesu zu sichern, sondern auch aus dem
bewußten Bestreben, den nachfolgenden kirchlichen Genera-
tionen jede mögliche Jesustradition, »alles« zu vermitteln und
zu bewahren Lk r,r-4 . Was bei Markus faktisch begonnen
hatte, gelangt bei Lukas zu einem gewissen Endpunkt; die
Gattung Evangelium wird eingesetzt als eine die Funktion des
Apostels ersetzende »Augenzeugenschaft« zur Verkündigung
des Evangeliums von Jesus von Nazareth, der der auferstan-
dene Christus ist.
· Johannes: Die Bindung der Christusrede an Jesus
Dennoch entsteht nach Lukas noch ein anderes Evangelium,
nämlich das
des
Johannes Wenn Klemens in dem oben ange-
führten
Zitat
das Johannesevangelium ein »geistliches« nennt,
so zeigt das schon eine bestimmte Stellungnahme gegenüber der
Frage: Warum entstand nach dem Lukasevangelium noch ein
weiteres? Klemens versucht die
Antwort
zu geben, indem er
im Johannesevangelium eine notwendige, ja gottgewollte
Er
gänzung der Synoptiker sieht, die neben das »Leibliche« auch
das »Geistliche« stellt. Die
Antwort
des
Klemens
taucht in der
Forschungsgeschichte in vielfach variierter Gestalt auf. Eines
aber ist diesen Antwortversuchen gemein: Sie halten das Jo
hannesevangelium für eine Ergänzung der Synoptiker, sei
es
daß J ohannes den Synoptikern unbekannten Stoff bewahren
wollte, sei es daß Johannes den Christus der Synoptiker in
einer besonderen, von den Synoptikern vernachlässigten
Art
und Weise sichtbar machen wollte. Diese Antwortversuche
21
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können darum unter dem Namen »Ergänzungshypothese« zu
sammengefaßt werden.
Wenn die Antwort so gegeben wird, daß Johannes mit seinem
Evangelium die Synoptiker interpretieren wollte auch diese
Nuance mag bei der Antwort des Klemens mitschwingen-, so
kann man diese Art der Antwort als »lnt rpr t tionshypo-
these« bezeichnen. Eine Interpretation aber kann in verschie
dener Weise erfolgen. Sie kann dazu dienen, den Sinn eines
Werkes besser zu erfassen. Sie kann aber auch den Sinn eines
Werkes umdeuten, weil sie
sich
selber an die Stelle des Werkes
setzen will. Sieht
man
in Letzterem die
Antwort
auf
die Frage
nach der Entstehung des Johannesevangeliums, muß man das
Johannesevangelium als den Versuch, die synoptischen zu ver
drängen, ansehen. Man spricht deshalb von »Verdrängungs-
hypothese«. Schließlich kann man auch annehmen, Johannes
habe unabhängig von den Synoptikern ein Evangelium eige
nen Typus geschaffen Unabhängigkeitshypothese .
Nach dem Inkanischen Werk konnte die Gattung Evangelium
nicht mehr weiterentwickelt werden. Natürlich wäre es denk
bar
und ist es sogar wahrscheinlich, daß es J esustraditionen
gab, die Lukas einfach faktisch nicht erreichbar waren. Aber
ein Späterer, der sie noch zusätzlich gesammelt hätte, wäre
über die bei Lukas erreichte Reflexionsstufe grundsätzlich nicht
hinausgekommen. Das will das Johannesevangelium, wie
es
selber sagt, auch gar nicht tun. Der Verfasser weiß, daß
es
über die von ihm verwandten Stoffe hinaus noch Jesustraditio
nen gegeben hat. Jesus hat mehr getan, als im Buch des Johan-
nes aufgeschrieben ist Jo
20,30);
aber Johannes liegt im Ge
gensatz zu Lukas gar nichts an der Vollständigkeit; er will
durch das, was er schreibt, Glauben wecken Jo
20,31).
War-
um aber benutzt auch er die Gattung »Evangelium«? Es wäre
denkbar, daß er sie in einem dem Markus kongenialen Akt,
unabhängig von ihm, aber aus einem ähnlichen Bedürfnis,
ebenfalls geschaffen hat.
o
etwas gibt
es ja
durchaus in der
Geistesgeschichte. Doch ist eher anzunehmen,
daß
Johannes
die Gestalt der von Markus geschaffenen Gattung Evangelium
gekannt hat. Selbst wenn er um keines der synoptischen Evan-
22
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gelien aus direkter literarischer Kenntnis wußte,
so
war es doch
seit Markus für die christliche Gemeinde der zweiten Genera
tion eine theologische Notwendigkeit, sich in der Predigt des
Evangeliummusters zu bedienen. Es tat ja für die zweite Gene
ration
das, was die Person des Apostels der ersten Generation
verbürgt hatte,
es
gewährleistete nämlich den Zusammenhang
des kirchlichen Kerygmas mit dem irdischen Jesus
5
• Seit Mar
kus, seit dem Aussterben der Apostel,
mußte
die kirchliche
Verkündigung,
um
wirklich noch Evangelium
zu
sein,
sich
des
Evangeliummusters bedienen. Von hier aus kann vielleicht
noch ein wenig Licht
auf
die Entstehung des Johannesevange
liums fallen. Kirchliche Predigt der zweiten Generation dar
über hinaus jeder kirchlichen Generation) mußte, um nicht
häretisch zu sein,
in
Evangeliumsgestalt sich vollziehen, mußte
den Zusammenhang zwischen historischem Jesus
und
Kerygma
vom Auferstandenen bewahren. Ein Beispiel dafür sind
etwa
die Reden der Apostelgeschichte. Die Forschung hat gezeigt,
daß
sie weitgehend lukanische
Redaktion
sind. Wenn in ihnen
im Mund der Apostel das Evangeliummuster erscheint z. B.
Apg 2,22-36), so gibt das vielleicht nicht die Art und Weise
wieder, wie die Apostel gepredigt
hatten,-
für sie war es
ja
so
nicht notwendig, weil sie die Rückbeziehung auf den histori
schen Jesus
repräsentierten-
wohl aber die Art und Weise, wie
christliche Predigt in der nachapostolischen Generation aus
sehen mußte. Diese
Art »rechtgläubiger«, »apostolischer«,
evangeliumsgestaltiger Predigt istJohannes bekannt. Will
man
die besondere Leistung des J ohannes gegenüber den Synop
tikern
in den Blick bekommen, so ist
es
daher günstig, ihn nicht
allein als Gegenüber der Synoptiker zu sehen, sondern das
von ihm gebrauchte, aus der nachapostolischen Predigt stam
mende Evangeliummuster gegenüber dem von ihm verwende-
5
Vorliegende Arbeit berührt die literarkritischen Fragen nur am Rande.
Zum Stande der Forschung vgl. die
Standardwerke
der Einleitungswissen
schaft und die Einleitungen der Kommentare zu Johannes, besonders:
R. Schnackenburg Das Johannesevangelium I, Freiburg 1965, 1-196
Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament IV/r sowie
den Forschungsbericht
von J
Blinzler Johannes
und
die Synoptiker,
Stutt
gart 1965 SBS 5
23
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ten Stoff zu betrachten. ann nämlich ließe
sich
entdecken
wie Johannes Traditionen und zu seiner Zeit und in seiner
Gemeinde übliche Christusreden mit der Evangeliengestalt
verschmilzt.
amit
aber gelingt es ihm in einer Zeit wuchern-
der Wundertraditionen und neuartiger religiöser Reden das
orthodoxe Evangeliummuster einzusetzen um das
erneut
drohende Auseinanderfallen von irdischem fesus
und
erhöh-
tem Christus
und das Auseinandertreiben von präexistentem
Offenbarer und Jesus von
Nazareth
einzufangen.
s
gelingt ihm verwilderte Wundertradition zu reinigen und
tiefsinnige Offenbarungsreden in den Dienst kirchlicher Pre-
digt zu stellen indem er für
sie
mittels
des
Evangeliummusters
den irdischen Jesus zur Geltung bringt. Damit aber gibt er ein
Modell für die Verkündigung aller kirchlichen Generationen:
sich neuaufkommender Redeweisen dann legitim zu bedienen
wenn auch sie durch das Evangeliummuster vor der Gefahr be-
wahrt
werden Jesus in eine allgemeine Idee aufzulösen. Voll-
ziehen die Synoptiker dies indem sie die altenJesustraditionen
durch ihre Evangelien vor Auflösung bewahren so ist Johan-
nes insofern progressiv als er nicht alte Tradition allein son-
dern auch
neue
ede
dem Evangelium von Jesus Christus
dienstbar macht. So erweist sich christliche Predigt als unter
dem Evangelium stehend. Sie hat die Aufgabe dieses Evange-
lium zu bewahren kein anderes Evangelium aufkommen zu
lassen. Das bedeutet aber nicht daß Bewahren nur Wieder-
holung
des
Buchstabens ist. Christliche Predigt ist vielmehr
in dem Sinne progressiv daß sie alle Wirklichkeit unter das
Muster
des
Evangeliums bringt d. h. von Jesus von
Nazareth
her und auf ihn hin versteht.
Unsere Überlegungen haben gezeigt: Wenn man
sich
anschickt
Parallelen zwischen Johannes und den Synoptikern ins Auge
zu fassen ist die erste und grundlegende Parallele in der
Tatsache zu sehen daß
fohannes und die Synoptiker si h der
Gestalt eines Evangeliums bedienen
Der Blick soll nun auf
stoffliche Parallelen zwischen J ohannes und den Synoptikern
gerichtet werden weil
so
an Einzelheiten die Verschiedenheit
und die Einheit zwischen synoptischer Sicht und johanneischer
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Sehweise hervortreten soll. azu wurden drei größere Kom-
plexe ausgewählt die das Problem besonders sichtbar machen.
Erstrebt wurde also keine Vollständigkeit des Materials ver-
zichtet wurde vor allem auf einen Vergleich der synoptischen
und
johanneischen Leidensgeschichten.
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I I
DIE TEMPELREINIGUNG
Mk 11,15-17. 27-33; Mt 21,12-13. 23-27; Lk 19,45-46; 20,1-8;
Jo
2,14-22)
1 Die H errschafl Gottes als Ende des Tempels Vorlage des
Markus)
Die Perikope von der Tempelreinigung ist in vier Fassungen
überliefert, bei den Synoptikern
und
bei Johannes. Die Über
einstimmungen unter den Synoptikern zeigen, daß Matthäus
und ebenso Lukas von Markus abhängig sind. Dabei folgt
Matthäus mit Ausnahme von
Mk
I
I,I6
dem Markus recht
genau, während Lukas die eigentliche Erzählung von der
Tempelreinigung stark verkürzt.
Es
ist danach zu fragen, ob
auch die vorliegende Markusfassung ihrerseits schon eine Be
arbeitung einer Vorlage ist.
Läßt sich
bei Markus
Vorlage und
edaktion
unterscheiden?
Mk
II,I
5
a berichtet davon, daß
Jesus mit seinen Jüngern nach Jerusalem kommt.
Der
Vers soll
die Perikope von der Tempelreinigung an das Vorhergehende
anschließen.
Er
führt Jesus
und
die Seinen am Tage nach dem
feierlichen Einzug in Jerusalem erneut von Bethanien in die
heilige Stadt.
Daß
der Vers
nur
verknüpfen soll, zeigt, daß er
nicht zum eigentlichen Grundbestand der Perikope von der
Tempelreinigung gerechnet werden
darfl.
In
der Vorlage be
gann die Perikope wohl mit Vers I
5
b: »Und er
trat
ein in das
Heiligtum und begann die Verkäufer und Käufer im Tempel
hinauszuwerfen.« Die Perikope schildert nun im einzelnen,
wie Jesus die Tische der Geldwechsler und die Stände der
Taubenverkäufer umstößt und nicht zuläßt, »daß jemand ein
Gerät durch
d ~
Heiligtum trägt« Mk
II,I6 .
Vers
I5b
und
Darauf weist auch wohl die Verwendung des Präsens der Erzählung hin,
in dem der Eintritt in Jerusalem Vers 15a beschrieben wird. Die Erzäh
lung von der Tempelreinigung berichtet dagegen im Aorist. Außerdem hebt
Vers 15b erneut an und spricht im Singular nur von einem Eintreten Jesu
in den Tempel. Der Plural des Verses 15a »Sie kommen« setzt jedoch vor
aus, daß Jesus zusammen
mit
seiner Jüngerschar in die heilige Stadt
kommt.
6
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16 hatten die eigentliche Handlung der Tempelreinigung be-
schrieben. Mit Vers I7 wird aus der Handlung die Lehre ge-
zogen und aus dem einmaligen Ereignis der Tempelreinigung
2
das abgeleitet, was immer gilt
3
• Ereignis und Lehre sind durch
eine Zäsur voneinander abgehoben, die Matthäus und Lukas
nicht mehr
so
offensichtlich hervortreten lassen, indem sie das
betonte »Er lehrte« weglassen. Das Imperfekt »Und er lehrte
und
sprach« leitet die aus der Handlung gezogene Lehre ein.
Sie wird in der Form eines alttestamentlichen Mischzitats ge-
geben. Durch das Mischzitat soll das erstaunliche, ja anstößige
und »frevelhafte« Verhalten Jesu im Heiligtum »religiös« ge-
deutet werden. Als Zitat aus der Heiligen Schrift läßt es das
Verhalten Jesu dem in den Schriften enthaltenen Gotteswillen
entsprechen.
Die Perikope läßt sich in zwei Abschnitte gliedern. In einen
ersten (Verse I 5
b-I6
erzählenden und in einen zweiten (Vers
17) belehrenden Reflexionsabschnitt. Das Mischzitat zeigt, daß
das Verhalten Jesu der Deutung bedurfte, weil
es
für die über-
liefernde Gemeinde nicht recht verständlich war, ja möglicher-
weise mit dem Bild, das
sie von dem Manne Gottes Jesus hatte,
nur schwer vereinbart werden konnte. Vers I 8 scheint die Ge-
schichte beenden zu wollen. Er bringt eine Reaktion von
Hohenpriestern und Schriftgelehrten auf die Ereignisse und
Worte der Verse 1 5
b-
I
7
Doch beendet Vers I 8 die Geschichte
nicht, sondern verweist den Leser auf noch folgende Ereignisse
in der Abfolge des Evangeliums. Die Absicht der Hohen-
priester und Schriftgelehrten, J esus zu vernichten, nimmt die
Entscheidung des in Mk I4,I-2.IO-I 1 gefällten Todesbeschlus-
ses
voraus. (Auch dort werden Hohepriester und Schriftge-
lehrte erwähnt ) Doch wird in Vers I8 der Beschluß durch den
Hinweis auf die Popularität Jesu und die Furcht der Hohen-
priester und Schriftgelehrten vor dem Volk noch in der Schwebe
gehalten
4
• So können, bevor es zu der Entscheidung von Mk
2
V gl. die Aoriste von Vers 15
b
3
Vgl. die Imperfekte von Vers q »Er lehrte und sprach.«
4
Auch das Motiv der Furcht vor dem Volk stammt ursprünglich aus dem
Todesbeschluß, wo in direkter Rede von der Rücksicht der Hohenpriester
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1 4 1 - 2
kommt, noch weitere Ereignisse berichtet werden.
Der
Redaktor schafft sich die Möglichkeit, weiteren Stoff einzu-
gliedern. Daß er das mit Elementen des in Mk 1 4 1 - 2 erzähl-
ten Todesbeschlusses über Jesus
tut
(Hohepriester und Schrift-
gelehrte, Furcht vor dem Volk), bietet uns vielleicht einen
Hinweis darauf, daß die Tempelreinigung wohl in der Vor-
lage
schon nicht als Einzelperikope überliefert wurde, sondern
n einem größeren Zusammenhang zu dem auch
Mk
1 4 1 - 2
gehörte. Zumindest sah die dem Redaktor vorliegende Tradi-
tion schon einen Zusammenhang zwischen der unerhörten
Tat
der Tempelreinigung und dem Todesbeschluß. Die Verse
I8
und I9 schaffen Raum für weiteren Traditionsstoff. Es können
noch ein
paar
Tage bis zum Todesbeschluß von Mk
q I-2
ver-
gehen, während derer Jesus sich in Jerusalem aufhält, um
abends aus der Stadt zu gehen.
Demgemäß kann Vers
2 0
von dem auf die Tempelreinigung
folgenden Morgen berichten. Nach dem jetzigen redaktionel-
len Zusammenhang ist seit der Tempelreinigung Zeit ver-
gangen. Daher kann das Ergebnis
einesamTage
der Tempel-
reinigung geschehenen Ereignisses besichtigt werden. Der Fei-
genbaum, von dem in den Versen
3
und
4
auf dem Weg
zur
Tempelreinigung die Rede war, ist bis
in
die Wurzel verdorrt.
Ausdrücklich verbindet die Bemerkung »da erinnerte sich Pe-
trus« von Vers
2 I
mit dem in Vers
I4
b eigens erwähnten
»seine Jünger hörten
es«
Die direkte Rede des Petrus in Vers
2 I : »Meister, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist
verdorrt« stellt die Beziehung zu dem in Vers 14 berichteten
Fluchwort Jesu über den Feigenbaum her. Vers 12 ordnet die
Geschehnisse um den Feigenbaum in den redaktionellen Zeit-
ablauf ein. So geht es offensichtlich
auf
Redaktion zurück, daß
die
Feigenbaumgeschichte
die Perikope von der Tempelreini-
gung rahmend umgibt. Als Rahmen aber
hat sie
den Sinn, die
Geschichte von der Tempelreinigung zu interpretieren. Sie ist
also eine weitere Deutung.
und Schriftgelehrten auf das Volk gesprochen wird:
»Sie
sagten nämlich:
Nicht am Festtag, damit kein Lärm im Volke entsteht « (Mk 14,2 . Vgl.
auch Mk 12,12
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. Die Perikope von der Tempelreinigung findet
sich
bei Markus
also innerhalb eines weitgehend redaktionellen Zusammen-
hangs. Vers 5 a ist redaktionelle Verknüpfung, ebenso wie
Vers 8 Durch sie wird die Perikope in das redaktionelle
Dreitageschema eingepaßt. Auch die nähere Rahmung durch
die Feigenbaumgeschichte ist redaktionell. Haben wir durch
die Abhebung des redaktionellen Rahmens die Gestalt der
Perikope in der Vorlage schon erreicht?
Dann würde die Peri-
kope den Eindruck einer unabgeschlossenen und bruchstück-
haften Geschichte machen.
Da
die Reaktion der Hohenpriester
und Schriftgelehrten von Vers 8 redaktionell ist, würde in der
Vorlage auf die ärgerniserregende
Tat
Jesu im Tempel keiner-
lei Reaktion berichtet werden. Mußte aber nicht diese Hand-
lung Jesu im Heiligtum von Jerusalem die
Hüter
des Heilig-
tums auf den Plan rufen? Mußte nicht auch die Vorlage schon
von einer Reaktion auf die Tat Jesu berichten? In diesem Zu-
sammenhang fällt eine weitere Ungereimtheit auf, die der
heutige Markustext bietet, und die von den beiden anderen
Synoptikern schon bemerkt und beseitigt wurde. Mk
I
I,27
nämlich führt Jesus mit seinen Jüngern erneut nach Jerusalem
und in den Tempel. Er geht im Tempel umher. Hohepriester,
Schriftgelehrte und Alteste treten an ihn heran und fragen ihn:
»In welcher Vollmacht tust du das?« Mk II,28 . Dem Zu-
sammenhang nach bezieht
sich
ihre Frage auf das von Vers 27
erwähnte Umhergehen Jesu im Tempel. Doch bedurfte
es
dazu
keiner besonderen Vollmacht, sondern war jedem männlichen
Israeliten ohne weiteres gestattet und lediglich den Heiden
verwehrt
5
•
Die Vollmachtsfrage bei Markus ist also in ihrem heutigen
5
Matthäus und Lukas mögen das ebenfalls empfunden haben. Sie ändern
hier
und
beziehen die Vollmachtsfrage der zuständigen Autoritäten
auf
die Lehre Jesu im Tempel Mt 21,23; Lk 2o,r).
In
ihren Augen war also
bloßes Umhergehen im Tempel kein Grund zu einer Frage nach der Voll-
macht, wohl aber das Lehren. V gl. Billerbeck
I,
859 f. Bultmann erwägt
diese Frage auch und gibt die Möglichkeit zu: »Das mag in einer früheren
Redaktion des Markus der Fall gewesen sein, ob aber auch ursprünglich,
ist sehr fraglich, da die Tempelreinigung nicht als Anlaß einer rabbinischen
Debatte, um die es sich handelt, geeignet erscheint.« R. Bultmann Die Ge-
schichte der synoptischen Tradition, Göttingen
6
r964, r8
29
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Zusammenhang
nur
schwach, ja eigentlich gar nicht motiviert.
Die Vorlage der Tempelreinigung scheint ohne Echo auf die
ungewöhnliche
Tat
Jesu zu enden. Ein Blick auf die Johannes
fassung kann uns hier weiterbringen. Bei Johannes folgt näm
lich auf die Tempelreinigung sofort eine Frage der »Juden«
Jo 2,14-18). Sie fordern von Jesus ein Zeichen, das seine
Tat
legitimieren soll. Man kann vermuten, daß Johannes der ur
sprünglichen Fassung der Tempelreinigungsperikope näher
steht als Markus. Zumindest folgt bei Johannes der
Tat
Jesu
eine entsprechende Reaktion.
Näher
besehen ist die Reaktion
bei Johannes der markinischen Vollmachtsfrage sehr ähnlich.
Johannes formuliert zwar mit Hilfe
des
den Synoptikern an
anderer Stelle auch bekannten Zeichenforderungsmotivs vgl.
Mk 8,II-I2; Mt 12,39-42;
Lk
u,29-32 ,
doch läuft die For
derung der »Juden« nach einem Legitimationszeichen auf das
selbe hinaus wie die Frage der Hohenpriester und Schriftge
lehrten nach der Vollmacht Jesu bei Markus. Nimmt man hin
zu, daß Matthäus und Lukas das Umhergehen Jesu im Tempel
Mk
u,27
als Motivation für die Vollmachtsfrage nicht
ge-
nügt, und sie die Lehre Jesu im Tempel als Anlaß zu dieser
Frage nennen Mt 21,23; Lk 2o,r), ist man berechtigt, in der
Tempelreinigung Jesu den eigentlichen Anlaß zur Frage nach
Jesu Vollmacht durch die zuständigen Autoritäten zu sehen.
Das gilt umso mehr, als Tempelreinigung und Vollmachts
frage in jeweils direktem Bezug zu dem redaktionellen Drei
tageschema stehen Mk u,r5. 27),
und auch die rahmende
Feigenbaumperikope als redaktionelle Deutung verstanden
werden muß.
Für
die Vorlage des Markus muß darum ange
nommen werden, daß Tempelreinigung
un
Vollmachtsfrage
eine zusammengehörige Einheit bildeten
Mk r,r7
deutet die Handlung Jesu durch ein Schriftwort. Als
Zitat
aus der Heiligen Schrift sagt
es
daß Jesu Handlung dem
Willen Gottes entspricht. Den nach der Vollmacht fragenden
Autoritäten wäre somit eine
Antwort
auf ihre Frage gegeben:
Gott hat
Jesus zu diesem Handeln ermächtigt. Streng genom
men hätten
sie
also höchstens wie bei Johannes nach einem Be
glaubigungszeichen, nicht jedoch nach Vollmacht überhaupt
30
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fragen dürfen. Das läßt vermuten, daß auch der die Handlung
Jesu deutende Vers 17 nicht zum ursprünglichen Bestand der
Perikope gerechnet werden
darf
6
•
Sein redaktioneller Charak
ter wird sich dann zeigen lassen, wenn sein Zusammenhang
mit der redaktionellen Deutung der Tempelreinigung durch
die Feigenbaumperikope bedacht wird. Wir dürfen darum an
nehmen, daß in der Vorlage des Markus die Vollmachtsfrage
der Hohenpriester, Schriftgelehrten und Altesten unmittelbar
auf die Erzählung von der Handlung Jesu im Tempel folgte.
Jesus betritt den Tempelbereich und treibt Geldwechsler und
Händler
von Opfertieren aus dem Tempel. Die offiziellen
Tempelbehörden schreiten ein und fragen Jesus nach einer
Vollmacht für sein sakrilegisches Handeln • In Autorität ant
wortet Jesus mit einer Gegenfrage, die die Berechtigung der
Fragesteller, ihn nach der Vollmacht zu fragen, zurückweist.
Die Antwort Jesu stellt die Vollmacht seines Handeins hin,
ohne sie zu begründen. Er vergleicht seine Handlung im Tem
pel mit der Taufe Johannes
des
Täufers. Auch die Taufe des
Johannes stellte vor die Frage, ob sich darin ein Handeln im
Auftrag und in der Vollmacht Gottes ereignete oder aber
menschliche, ja sogar vielleicht in bezug auf den offiziellen
Religionsbetrieb häretische Anmaßung. Wie die Taufe
des
Johannes vor eine absolute Entscheidung stellte und nicht
nach einer
sie
legitimierenden Vollmacht hinterfragt werden
konnte, stellt auch die Tempelreinigung Jesu vor eine absolute
Frage. Sie führt
vor
die Alternative, das durch sie Verkündete
anzunehmen oder abzulehnen. Insofern sie eine Zeichenhand-
8
Der
absolute Gebrauch von l;ölllucrxEv Er lehrte) ist zudem eine mar
kinische Eigentümlichkeit. Des öfteren
führt
er den lehrenden J esus vor,
ohne aber wie Matthäus durch großen Logienstoff den
Inhalt
der Lehre
Jesu wiedergeben zu können.
So
ist
ja
auch die in Vers
7
mitgeteilte
Lehre nicht ein originales Herrenwort, sondern ein biblische Stellen zusam
menziehendes Mischzitat.
7
Die Vermutung
Bultmanns
Geschichte der synoptischen Tradition, 18
»daß sich das <Uii<u n o L E i ~ auf die Tauftätigkeit Jesu bzw. seiner Ge
meinde) bezogen hat«,
läßt sich
nicht aufrecht erhalten. Vor allem die
Johannesparallele, die der Tempelreinigung eine ähnliche Frage der
»Ju-
den« an Jesus folgen läßt, scheint zu zeigen, daß die Vollmachtsfrage von
Mk
11,28 sich unmittelbar auf die Tempelreinigung bezog.
JI
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lung ist, wie die Taufe des Johannes auch, weist sie auf etwas
Inhaltliches hin. Einer, der im Tempelbereich die für den
Opfergottesdienst notwendigen Tierhändler und Geldwechsler
vertreibt, wendet
sich
nicht gegen Pervertierung des Gottes
dienstes durch Geschäftemacherei, sondern viel radikaler gegen
den Opfergottesdienst überhaupt. Wie die Taufe des Johan
nes im Zusammenhang mit seiner eschatologischen Bußpredigt
zu sehen ist, und als Zeichen der Bereitung für das heran
kommende Königtum Gottes verstanden werden muß Mk
1,2-8 ,
will auch die Handlung Jesu im Tempel als eschatolo
gische
Zeichenhandlung verstanden werden. Sie ist in den Ge
samtzusammenhang der eschatologischen Botschaft Jesu ein
zuordnen. Seine sich gegen den Opfergottesdienst im Tempel
richtende Handlung ist nicht im Sinne prophetischer Kult
kritik allein zu verstehen. Diese will den Opfergottesdienst
aus dem Tempel in das zerknirschte Herz des
sich
erbarmenden
Frommen verlagern
8
• Jesus will darüber hinaus die Unnötig
keit jeglichen Kultes angesichts der hereinbrechenden Herr
schaf :
Gottes dokumentieren. Wenn Gott selbst kommt, wer
den Opfer unnötig.
2 Die universalistische Weitung des Tempels für »alle Völker«
Markus)
Wie hat Markus die Perikope seiner Vorlage verstanden? Was
will er vor allem durch die Rahmung der Tempelreinigung mit
der Geschichte von der Verfluchung des Feigenbaums seiner
Gemeinde sagen? Am Tage nach dem feierlichen Einzug in
Jerusalem geht Jesus nach der markinischen Darstellung mit
seinen Jüngern von Bethanien aus, wo er die Nacht verbracht
hat, in die heilige Stadt. Unterwegs, so wird unvermittelt be
richtet, hungerte ihn Mk rr,12). Er sieht einen Feigenbaum
und versucht Früchte an ihm zu finden, doch er findet nur
Blätter Mk r
r,r
3). »Da redete er ihn an: Von dir soll in Ewig-
8 Vgl. Am 5,4-7.21-23; Hos 6,6; Jer 7,21-23; Jes I,10-17; Ps 50,9.13 f ;
p,I8 f
32
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keit keiner mehr eine Frucht essen «
Die
Darstellung
vermerkt
eigens,
daß
die Jünger es hören (Mk rr,14). Es folgt die Tem
pelreinigung und Vers
9 führt am
Abend Jesus wieder aus
der
Stadt hinaus. Am nächsten Morgen kommen sie wieder an
dem Feigenbaum vorbei und sehen: Er ist bis zur Wurzel ver
dorrt (Mk rr,2o). Petrus erinnert sich
und
weist Jesus darauf
hin: »Meister, sieh, der Feigenbaum, den du verflucht hast, ist
verdorrt.«
Mk
rr,2r). Die Brücke zum Tag vorher ist ge
schlagen. Als Rahmen um die Tempelreinigung hat die Peri
kope deutenden Charakter. Wie aber ist die Deutung zu
ver
stehen?
Wir müssen
davon
ausgehen, daß schon innerhalb der Peri
kope von der Tempelreinigung eine Deutung der
Handlung
Jesu im Tempel in dem auf sie folgenden Schriftzitat erfolgt.
Die Deutung durch das Schriftzitat findet sich auch bei
Mat-
thäus
und
Lukas. Allerdings haben sie
es
in bezeichnender
Weise verändert, indem sie das »für alle Völker« weggelassen
haben. Sie verstanden nämlich die
Handlung
Jesu im Tempel
als eine
Art
Tempelreform, die den durch Geschäftemacherei
pervertierten Tempeldienst seiner eigentlichen Bestimmung
wieder zuführen wollte. Sie sahen das in dem Schriftwort aus
gedrückt
und
empfanden das »für alle Völker« als überflüssig,
weil es
nach ihrer Meinung über die durch das Schriftzitat an
gezielte Aussage hinausging. Doch findet sich gerade hier der
Anknüpfungspunkt
dafür,
daß
die Feigenbaumperikope als
Deutung
der Tempelreinigung verstanden werden kann. Das
»für alle Völker« entstammt einem Jesajazitat (Jes 56,7).
Jes 56,3-8 spricht in der
Form
einer Heilszusage von zwei
Gruppen
von Menschen: Beide, die Verschnittenen
und
die
Fremden, erheben Klage darüber, daß sie nicht zur
Jahwe-
gemeinde gehören (Jes 56,3).
Ihre
Klage
wird
durch eine in
der
Form
eines Gottesspruches ergehende Heilsverheißung ab
gewiesen. Beiden wird ein Platz
im
Hause Jahwes zugesichert
und es wird
ihnen in kultischer Terminologie ihre Zugehörig
keit
zur
Jahwegemeinde zugesagt (Jes 56,4-5 für die Ver
schnittenen, Jes 56,6-7 für die Fremden). Der
Abschnitt
schließt mit einem Spruch Jahwes, der die Versprengten sam-
33
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melt
]es
56,8). Das bei Markus verwandte Zitat stammt aus
der Heilsverheißung an die Fremden. Ihnen wird zugesichert,
daß auch ihnen Freude gewährt wird im Bethause Jahwes, daß
auch ihre
Opfer
wohlgefällig seien, »denn mein
Haus
soll ein
Bethaus genannt werden für alle Völker«. Anteilnahme am
Jahwekult im Tempel
wird
zu einem Bild
für
die eschatologi
s he
Heilsteilhaftigkeit auch der Heidenvölker. Vers 7 bei
Markus will also offensichtlich die Tempelreinigung Jesu
so
interpretieren, daß durch
sie
das eschatologische Heil auch für
die Heidenvölker bereitet wird. Dadurch aber geht die Deu
tung über den der bloßen Handlung zu entnehmenden Sinn
hinaus. Durch
sie wollte Jesus die Fragwürdigkeit des Tem
pels angesichts der herannahenden Herrschaft Gottes selber
verkünden. Vers I7 deutet die Handlung unter der Perspek
tive der schon hereingebrochenen Herrschaft Gottes, die nicht
nur
den Tempel unnötig macht, sondern seine nationalen Gren
zen sprengt. Weil Gottes Herrschaft hereingebrochen ist, ist
Gottes Heil für alleVölker da, und der Sionsberg wird durch
Jesus für die eschatologische Völkerwallfahrt von den Grenzen
der Erde her bereitet.
Der
Evangelist schreibt von dem Stand
punkt einer Gemeinde her, die das in Jesu Handeln verkün
dete Angebot angenommen hat, und die als Konsequenz des in
Jesus hereingebrochenen Eschatons erkannt hat, daß Gottes
Herrschaft und Heil
si h
nicht mehr auf Israel beschränken
lassen, sondern alle Völker umfassen will. Sie sieht in Jesu
Handlung das bei Tritojesaja prophetisch verheißene Eschaton
anwesend.
Aber die Deutung nimmt nicht nur den eschatologischen Heils-
charakter der Handlung ]esu
wahr, den
sie
in universalistische
Perspektiven wendet, sondern sie versteht sie auch als Schei-
dung
und
Gericht.
Sie sieht Jesu Handlung nicht nur als Ende
des Tempels, sondern auch als Restitution eines ursprünglichen,
dessen eigentlicher Sinn durch die Schuld der Angeredeten ver
dunkelt worden ist: »Ihr aber habt es zur Räuberhöhle ge
macht « (Mk I I,I7 .
Der
zweite Teil des Mischzitats von Vers
17
entstammt der Tempelrede
des
Propheten Jeremia (]er
7,
u . Jeremia klagt die Judäer an, daß sie durch ihren verwil-
34
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derten sittlichen Wandel den Tempel Jahwes zu einer Räuber
höhle machen, wenn
sie
weiterhin ohne Umkehr sich auf den
Tempel berufen und zu ihren religiösen Feiern benutzen
]er
7,I-u .
Mit diesem Jeremiazitat will Vers
I7
die Tempel
reinigung zugleich als ein Gerichtszeichen über Israel verstan
den wissen. Auch hier wird die Perspektive einer Gemeinde
wirksam, die das in Jesus hereingebrochene Eschaton als von
Israel abgelehnt erfahren hat. Zugleich
darf
man hier den
Ansatzpunkt dafür erkennen, warum Markus die Tempel
reinigungsperikope mit der Feigenbaumverfluchung umrahmt.
Klagten
sich
bei Tritojesaja die Verschnittenen als »dürre
Bäume« an, weil sie nicht zur Heilsgemeinde gehörten J
es
56,3), und wurde ihnen dort bedeutet, daß ihre Klage nicht
den Plänen Jahwes entspreche, der auch ihnen einen Namen
und einen ewigen Anteil in seinem Haus geben will
]es 56,
4-5 , so wird beiMarkusder Feigenbaum »Israel« vorgeführt,
der im Gegensatz zu den Heidenvölkern dem
an
ihm Früchte
suchenden Messias nur Blätter bieten kann und durch den
Fluch Jesu als verdorrter Baum bezeichnet wird. In einem
Drohwort spricht J eremia die Führer des Volkes an: »Will ich
Lese halten - so lautet der Spruch des Herrn - so sind keine
Trauben am Weinstock, keine Feigen am Feigenbaum, das
Laub ist verdorrt« }er
8,I 3 .
Für die eschatologischen Zeiten
kündet Ezechiel an: »Dann werden alle Bäume des Feldes er
kennen, daß
ich,
der
Herr,
den hohen Baum erniedrigt und den
niedrigen Baum erhöht habe, daß ich den saftreichen Baum
habe verdorren lassen und den dürren Baum zur Blüte gebracht
habe« Ez
I7,24)
•
Die Feigenbaumperikope spricht von Israel; es bringt keine
Frucht und
wird
zum dürren Baum. Es ist möglich, daß die
angehängten Logien über den Glauben den
Grund
angeben,
warum der Baum keine Frucht bringt: Es fehlt ihm der Glau
ben an Gott, weil er sich dem Messias verweigert Mk I I ,22 ).
Daß
die
Feigenbaumperikope
n
engem Zusammenhang zu
dem die Tempelreinigung deutenden Vers 17 steht, zeigt, daß
35
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die in Vers
17
zitierte Stelle aus Tritojesaja in ihrem Kontext
das Bild von den »dürren Bäumen« kennt. Darum ist anzu-
nehmen, daß derselbe, der die Tempelreinigungsperikope mit
der Geschichte vom Feigenbaum umgab, auch das Schriftzitat
von Vers I7 in die Tempelreinigungsperikope einfügte. Bei
Tritojesaja las er von den »dürren Bäumen« und assoziierte
die Perikope vom unfruchtbaren Feigenbaum.
Es
mag sein,
daß ihm dafür ein dem Gleichnis
des
Lukas Lk q,6-9 ähn-
liches Bildwort vorlag, das von Israel als dem unfruchtbaren
Feigenbaum sprach. Indem er dieses Bildwort zu einer
Hand
lung Jesu umformte und die Tempelreinigungsperikope damit
umrahmte, setzte er den Heidenvölkern, für die Jesus den
Tempel zum eschatologischen Bethaus reinigte, das unfrucht-
bare Israel gegenüber. Wegen
des
Zusammenhangs mit dem
redaktionellen Dreitageschema darf man in dem Redaktor
Markus vermuten. Folgendes könnte Markus dazu bewegt
haben, die Tempelreinigung als universalistisches Heilszeichen
»für alle Völker« und als Gerichtszeichen über den unfrucht-
baren Feigenbaum Israel zu verstehen.
Er
las in seiner Vorlage
die Geschichte von der Tempelreinigung wohl schon in Ver-
bindung mit der Passionsgeschichte. In ihr sah er die Geschichte
der Ablehnung
des
Messias Jesus durch sein Volk Israel. Die
Altesten und Hohenpriester sind
es
die den
Tod
des Messias
Jesus beschließen Mk 14,1).
War
die Tempelreinigung durch
Jesus möglicherweise der historische Anlaß für die Gescheh-
nisse, die zur Kreuzigung Jesu führten, kann Markus sie theo-
logisch als Zeichen des messianischen Gerichts über den un-
fruchtbaren Feigenbaum Israel, zugleich aber auch als Ankün-
digung der universalen Weitung
des
Heils »für alle Völker«
interpretieren. Die Tempelreinigung partizipiert dadurch an
der in Jesu Kreuz und Tod
sich
vollziehenden Entschränkung
des
Heils.
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3· Die Tempelreinigung ]esu als Handlung in eschatologischer
Vollmacht Vorlage des Johannes)
Die Vorlage und ihre Redaktion
Auch das Johannesevangelium kennt die Perikope von der
Tempelreinigung und läßt eine Frage nach einem Legitima
tionszeichen folgen. Im Wortlaut und in den Einzelheiten
weist diese Fassung Unterschiede zu Markus auf, die darauf
schließen lassen, daß eine direkte literarische Abhängigkeit
nicht vorliegt.
Der
auffallendste Unterschied besteht darin,
daß Johannes die Perikope nicht wie die Synoptiker gegen
Ende der Wirksamkeit Jesu in seinen Aufriß einordnet, son
dern sie schon ganz zu
Beginn seines Evangeliums
bringt. Nach
dem Jesus in Kana in Galiläa den Anfang mit seinen Wundern
gemacht hat, führt ihn Jo 2 13 unmittelbar darauf nach Jeru
salem zum Passahfest der Juden, wo die Tempelreinigung er
folgt. Wir dürfen annehmen, daß die Einordnung in diesen
Zusammenhang auf den Johannesredaktor zurück geht. Die
Festreisen Jesu nach Jerusalem gehören zu den Mitteln johan
neischer Komposition. Außerdem bedarf Johannes nicht der
Tempelreinigung als Anlaß zur Passion, weil er durch die Auf
erweckung
des
Lazarus den Weg Jesu in sein Todesschicksal
münden läßt Jo 11,1-53). Geht schon die Einordnung der
Perikope in den johanneischen Aufriß auf den Redaktor zu
rück,
so
lassen
si h
auch innerhalb der Perikope deutliche
redaktionelle Akzente erkennen. Wir müssen darum wie bei
Markus versuchen, zwischen Vorlage und johanneischer
-
daktion
zu unterscheiden.
Liest man die Geschichte von der Tempelreinigung
und
das
darauffolgende Gespräch in der johanneischen Fassung auf
merksam durch und achtet dabei auf den erzählerischen Ab
lauf, wecken besonders die Verse
2
und
2 2
die Aufmerksam
keit. Sie heben
si h
nämlich von der Ebene des Gesprächs der
Juden mit Jesus insofern ab, als auf den von den Juden nicht
verstandenen Sinn der Worte J
esu
reflektiert wird: »Jener
37
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sprach aber vom Tempel seines Leibes.« Zudem verläßt die
Reflexion den zeitlichen Rahmen der Geschichte und
des
Ge
sprächs und begibt
sich
zu einer nachösterlichen Verstehens
situation: »Als er nun von den Toten auferstanden war, er
innerten
sich
seine Jünger daran,
daß
er dies gesagt hatte.«
Außerdem werden die theologischen Grundlagen der nach
österlichen Reflexion angegeben: »Sie glaubten der Schrift
und dem Worte, das Jesus gesprochen hatte«. Von ihrer Inten
tion her ist diese Reflexion eine nachträgliche Erklärung für
den Leser. Sie lassen sich im Johannesevangelium häufiger
finden (Jo
7,39;
II IJ;
12,33).
Im
Licht der Erklärung
des
Wortes J esu in Vers I 9 durch Vers 2 I erweist sich das in Vers
2
zutage tretende Verständnis des Wortes durch die Juden als
ein Mißverständnis. Die Mißverständnistechnik ist aber eben
falls bei J ohannes sehr beliebt
10
•
Schließlich kommen johan
neische Spracheigentümlichkeiten hinzu
11
, die uns erlauben, in
den Versen 2 I und 22 johanneische Redaktion zu erkennen.
Dieser dürfen wir auch Vers 2 zurechnen.
Er
nimmt das Stich
wort
ßydQELV (aufrichten, auferwecken) von Vers I9 mißver
stehend auf (s. Vers 22
).
Die von Vers 22 ausgesprochene nachösterliche Erinnerung der
Jünger wird als Verständnis des Wortes Jesu im Licht der es
erklärenden Heiligen Schrift gesehen. Zum Verständnis kom
men die Jünger, indem
sich
für sie nach Ostern die Begegnung
des erinnerten Wortes Jesu mit dem Wort der Schrift voll
zieht. Eine solche Begegnung findet auch in Vers I 7 statt. In
Vers
I6
spricht Jesus das Wort: »Nehmt das fort und macht
das Haus meines Vaters nicht zu einem Handelshaus « Das
Wort Jesu erschließt sich ihnen, indem sie sich der Schrift er
innern: »Seine Jünger erinnerten sich, daß geschrieben steht:
>Der
Eifer um dein Haus
wird
mich verzehren<.« Dem Ablauf
der Erzählung nach scheinen sich die Jünger in dem Augenblick
an das Schriftwort zu erinnern,
da
Jesus dies sagt. Doch schiebt
1
0 Vgl. H. Leroy Rätsel und Mißverständnis, Ein Beitrag zur Formge
schichte des J ohannesevangeliums, Bonn
1968 (
=
BBB 30)
Vgl. R. Bultmann Das Evangelium des Johannes, Kritisch-exegetischer
Kommentar über das Neue Testament, Göttingen
17
1962,
89
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sich diese Bemerkung die sich auf ein Geschehen im Innern
der Jünger bezieht störend in den Ablauf des
äußeren Ge
schehens ein.
Auf
die Handlung Jesu und sein tadelndes Wort
muß
nämlich eine Reaktion erfolgen die auf derselben äuße-
ren
Ebene bleibt. Sie erfolgt aber erst
in
Vers
I8
in
der
Frage
der »Juden«
an
Jesus: »Welches Zeichen gibst du uns daß du
dies tust?« Die in Vers I7 verwandten Stichworte »Erinne-
rung« und »Schrift« müssen jedoch von den Versen
2 I
und
her gelesen werden. Für den Redaktor dringt das nachöster-
liche V erstehen
der
Jünger in den vorösterlichen Geschehens-
raum so ein daß beides untrennbar ineinander übergeht. Auch
Vers 7 wird demnach auf die Redaktion zurückgehen. Durch
seine Einfügung werden die verstehenden Jünger
den
unver
ständigen »Juden« konfrontiert.
In
der Bezeichnung der Geg-
ner Jesu als »Juden« kann ebenfalls redaktionelle Gestaltung
gesehen werden
12
•
Für
den
blauf
der erikope in der Vorlage ergibt sich damit
folgendes Bild: Jesus findet im Tempelbereich die
Händler
von
Opfertieren und Münzwechsler
und
treibt sie
mit
einer Geißel
aus dem heiligen Bezirk. Von den
»Juden« -
in der Vorlage
wohl ähnlich wie bei Markus von der offiziellen Behörde . ...
wird
er zur Rede gestellt. Sie fordern
von
ihm ein Beglaubi-
gungszeichen das sein Tun als ein von Gott ermächtigtes
Han
deln aufweisen kann. Jesus gibt ihm zur Antwort: »Reißt
diesen Tempel ein
und
ich
werde
ihn in
drei
Tagen
wieder
errichten.« Was folgt gehört der Redaktion an. Damit
ent
spricht die Perikope in
der
Struktur der Vorlage des Markus.
Auf die Handlung Jesu im Tempel folgt eine Frage der Be-
hörde
nach
der
Berechtigung seines Tuns. Es folgt eine
Ant
wort Jesu. Die vormarkinische Fassung läßt erkennen
daß
12
Im Johannesevangelium werden die »Juden« als die Repräsentanten der
sich Gott und seinem Offenbarer gegenüber in Unglauben verschließenden
Welt häufig genannt.
Daß
der Evangelist
sie
in diesem Sinn versteht zeigt
sich darin daß er sie die Rede Jesu mißverstehen läßt. Es ist aber auch
denkbar daß schon die Quelle von den »Juden« sprach; vgl. etwa den
Sprachgebrauch der Apostelgeschichte z.
B
Apg
9 23.
Dann wäre das ein
Indiz dafür daß die Quelle einer Zeit entstammt in der die christliche
Gemeinde Israel schon als »den Juden« gegenübersteht.
39
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die Antwort Jesu die Gegner ratlos macht. Dieses Moment ist
in der Johannesfassung durch das Mißverständnis aufgenom
men. Doch hat gerade hier die Redaktion die ursprünglich be
richtete Reaktion der Gegner verdrängt, die wohl - analog
zur vormarkinischen
Fassung
von einer Bestürzung der Geg
ner berichtete. Der besseren Obersicht halber soll nachfolgende
Gliederung die Ähnlichkeit im Aufbau der beiden Vorlagen
verdeutlichen:
Vorlage
des
Markus Vorlage des Johannes
I
andlung fesu
Jesus betritt den Tempel und
wirft die Händler und Käufer
hinaus.
Die Tische der Münzwechsler
wirft er um, ebenso die Stände
der Taubenhändler.
Er läßt
nicht zu, daß jemand
ein Gerät durch den Tempel
trägt.
II
Jesus findet im TempelHänd
ler von Rindern, Schafen und
Tauben, Münzenwechsler.
Er macht si h eine Geißel und
wirft alle aus dem Tempel
hinaus.
Die Münzen schüttet er aus,
die Tische stößt er um.
Den Taubenhändlern sagt er:
»Nehmt das
weg
macht nicht
das Haus meines Vaters zu
einem Handelshaus «
Frage der Gegner nach der erechtigung des Tuns
Hohepriester, Schriftgelehrte Die »Juden«.
und Älteste.
»In welcher Vollmacht tust »Welches Zeichen zeigst du .
du das?« uns, daß du solches tust?«
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III
ntwort
su
edingung dafür,
daß
er ih-
nen antwortet, ist
ihre
nt-
wort auf seine Frage: »Die
Taufe des Johannes,
war
sie
vom Himmel oder von Men-
schen?«
edingung für die Gewäh-
rung des Zeichens ist,
daß
sie
zuvor etwas tun: »Reißt die-
sen Tempel ab, und
in
drei
Tagen werde ich ihn errich-
ten.«
IV.
Ratlosigkeit
Reaktion der Gegner
Durch den redaktionell em-
gefügten Vers 2 nicht mehr
zu erkennen.
Die Zeichenhandlung
Die beiden Vorlagen sind in bezug
auf
ihren Aufbau sehr
ähnlich. Die Unterschiede in den Einzelheiten lassen für die
Johannesvorlage erkennen, daß
sie Jesu Handeln noch direk-
ter gegen den Opferkult im Tempel gerichtet darstellte.
über
Markus hinaus spricht sie von den Händlern mit Opfervieh
allgemein, nicht nur von Käufern, Verkäufern
und
Tauben-
händlern. Jesu
Handeln
richtet sich gegen den Personenkreis,
der für die Aufrechterhaltung des Opferdienstes notwendig
war. Grundsätzlicher noch als die Markusvorlage stellt auch
das Tempellogion in der Antwort Jesu an die Gegner den
Tempel in Frage.
Für
die Markusvorlage vermuteten wir, daß
sie die Tempelreinigung in Zusammenhang mit der eschatolo-
gischen Botschaft J esu von der nahe herangekommenen
Herr-
schaft Gottes sah. Das gleiche gilt aber auch für die Vorlage des
Johannes. Dem scheint zu widersprechen, daß das Wort Jesu
an die Taubenhändler: »Macht das Haus meines Vaters nicht
zu einem Handelshaus « (Jo 2,16) die
Handlung
Jesu als
Tempelreform versteht. Wir hatten schon bei Markus gesehen,
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wie die Handlung Jesu, die das Ende des Tempels in der
Herr-
schaft Gottes ankündigen sollte, durch Markus als universale
Entschränkung des Heils gedeutet wird. Wir dürfen darum
annehmen, daß auch das Wort Jesu von
Jo 2,16
die
Handlung
Jesu interpretieren soll. Schon im Stadium der Überlieferung
vor
Johannes ist es wohl dem Bericht über die
Handlung
Jesu
zugewachsen.
Zwar
mildert
es
das Anstößige dieser Handlung,
indem es Jesus als Eiferer für die Reinheit des Tempels ver-
steht, doch hat
es
den eschatologischen Charakter der
Hand-
lung Jesu nicht verdrängt.
Es
spielt nämlich
auf
ein
Wort des
Propheten Sacharja an: »Und
es
wird
keinen
Händler
mehr
geben im Hause
des Herrn
der Heerscharen
an
jenem Tage.«
Sach
14,21). Zwar
ist bei Sacharja nicht völlig zu klären, ob
mit
»Händlern« oder »Kananäern« zu übersetzen ist, ob da-
mit
die Tempelhändler oder die »Bevölkerung
des
ehemaligen
Nordreiches, die zwischen der endgültig konstituierten samari-
schen Kultgemeinde auf dem Garizim und der jüdischen Ge-
meinde in J erusalem hin und her schwankte
und
den
Ortho-
doxen ein
Dorn
im Auge sein mußte« gemeint ist
13
• Doch
läßt
sich
dem Kontext entnehmen, daß Sach
14,21
an
eine eschato-
logische Abschaffung
des
bisherigen Opfergottesdienstes denkt
und
ihn durch einen Opfergottesdienst ersetzt sieht, in dem
auch die profane Wirklichkeit heilig ist, und
es
keiner beson-
deren Opfergeräte braucht, um Gott zu dienen. »An jenem
Tage
wird
auf den Schellen der Rosse stehen: Heilig dem
Herrn,
und die Töpfe im Hause des
Herrn
werden wie die
Opferschalen vor dem Altar sein
14
• Da
wird
jeder
Topf
in
Jerusalem und in
Juda
dem Herrn der Heerscharen heilig sein,
und
alle Opferer werden kommen und von ihnen nehmen und
in ihnen kochen.« Sach
14,20
f.).
Der
eschatologische Charak-
ter
der Handlung Jesu im Tempel
wird
darum durch das Wort
J esu an die Taubenhändler nicht verdrängt. Auch für die
Vor-
13
K. Eiliger Das Bud:J. der zwölf Kleinen Propheten 11 Göttingen
5
r964,
r86 =
ATD25)
14
Gemeint ist, daß in den eschatologischen Zeiten die »Töpfe des Tempels
zu Sprengschalen für den besonderen Blutritus am Altar befördert wer-
den.« K. Elliger ebd. r86
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age des ]ohannes
gilt,
daß sie
Jesu
Handlung vor
dem
Hori-
zont der in Jesus wirksamen, hereinbrechenden Gottesherrschaft
versteht. Wie die Markusvorlage sieht sie die
Tempelreinigung
als ein seine Botschaft von der kommen en Gottesherrschaft
begleitendes Zeichen.
In
vielem erinnert die Handlung Jesu im Tempel an die Zei
chenhandlungen der alttestamentlichen Propheten. Als regel
mäßig wiederkehrende, selbständige Merkmale der propheti
schen Zeichenhandlung nennt Fohrer: »Befehl
zur
Ausführung
der
symbolischen Handlung, Bericht über die Ausführung der
symbolischen Handlung, Deutung der symbolischen Hand-
lung«
5
•
Von einem göttlichen Befehl zur Ausführung der
Handlung
ist bei Jesus im Unterschied
zu
den Propheten nicht
die Rede. Auch fehlte wahrscheinlich wenn auch
mit tradi-
tionsgeschichtlichen Mitteln nicht zweifelsfrei nachweisbar) die
Deutung der
Handlung
durch Jesus. Diente bei den Propheten
der
Befehl
zur
Ausführung der symbolischen
Handlung
dazu,
aufzuweisen,
daß
der
Prophet
die
Handlung
nicht
in
eigenem
Willen
und
eigener Vollmacht
tat
- »er will also die Hand-
lung nicht
auf
eigenen Wunsch oder nach dem Willen anderer
Menschen vornehmen«
6
-
so fehlt bei der
Handlung
Jesu die
Bezugnahme
auf
einen göttlichen Befehl.
Die
Deutung der
symbolischen
Handlung
erfolgte bei den Propheten um der
Verstehbarkeit der
Handlung
willen, aber auch
um
anzuzei
gen,
daß
das durch die
Handlung
bezeichnete, künftige Gesche
hen nicht durch eine im magischen Sinn
zu
verstehende Hand-
lung vorbewirkt werde, sondern durch den Willensentschluß
Gottes eintreten werde. »Demgegenüber
hat
die prophetische
Handlung
meist ein deutendes
Wort
bei sich,
vor
allem in
Form
eines vom Propheten verkündeten oder
zu
verkünden
den Jahwewortes.
Der
Sinn der Handlung soll erklärt
und
wie
jede Verkündigung verstanden
und
angeeignet werden.
Mit
der Deutung unmittelbar verbunden sind die Ausdrücke
für
die Zusage Jahwes, daß das symbolisierte Geschehen
sich
ver-
5
G. Fohrer Die symbolischen Handlungen der Propheten, Zürich
2
1968,
r8 = AThANT
54
8
G.
Fohrer ebd.
95
43
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wirklichen wird«
17
•
Sollte die Deutung der
Handlung
bei Je
sus
fehlen, trifft sich das mit einer Eigentümlichkeit auch der
Gleichnislehre Jesu. Die Gleichnisse wurden von Jesus nicht
erklärt
und gedeutet, und die Angabe des Markus: »Ohne
Gleichnis sprach er nicht zu ihnen, nachher aber legte er sei
nen Jüngern alles aus« (Mk 4,34), ist ein redaktionelles Mittel
tnarkinischer Theologie, die sich an später nicht mehr zu ver
stehenden Gleichnissen Jesu entzündet hat. Die Gleichnisse be
dürfen auch keiner eigenen Deutung; denn Jesus selber ist der
Schlüssel zu ihrem Verständnis. »Seine wahrhaft aufregende
und
bedrängende
Nähe
entfaltet das Gleichnis erst, wenn man
Jesus selber hinzunimmt. Man kann gerade ihn nicht aus der
Situation heraushalten«
18
•
Was für die Gleichnisse gilt, gilt
auch hier: Der erklärende Kontext zur
Handlung
Jesu im
Tempel ist er selber und seine Lehre. Bei den Gleichnissen läßt
sich
feststellen,
daß
die tradierende Gemeinde sie neu für
sich
erschließt, indem
sie sie
mit einer Deutung versieht (vgl.Mk 4).
Die Deutung aber vereinseitigt zugleich wie jede Interpreta
tion das Gleichnis. Auch wenn Markus die Tempelreinigung
als Heils- und Gerichtszeichen deutet, vereinseitigt er den ur
sprünglich umfassenderen Sinn der Handlung Jesu. »Die Er
starrung
und
Kristallisation der Tradition bringt
auf
diese
Weise mit sich was man den Verlust hermeneutischen Poten
tials nennen könnte: d. h., das offene Ende des Gleichnisses,
das den
Hörer
dazu einlädt, seine eigene Anwendung zu ma
chen,
wird
verschlossen«
19
• Durch das offene Ende eignet der
Gleichnislehre Jesu ein herausfordernder Ton. Sie verlangt
Stellungnahme. Deshalb wurde die Lehre Jesu als ärgernis
erregend empfunden. Hierin trifft sich die
Handlung
der Tem
pelreinigung mit der Lehre und dem Auftreten Jesu überhaupt.
Was Jesus im Tempel tat, mußte als außergewöhnlich emp
funden werden und
zur
Stellungnahme herausfordern.
17
G. Fohrer ebd. 97
19
J
Blank Marginalien zur Gleichnisauslegung, in: Bibel und Leben 6
( 965), 58
19
R. W. Funk Langnage Hermeneutic and Word of God, New York
966,
34
f
44
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Auch die Zeichenhandlungen der Propheten verlangten Stel
lungnahme. Weil sie aber ihre Handlung jeweils auf göttlichen
Befehl zurückführten und sie mit einem Gottesspruch deute
ten, war es möglich, sich gegenüber der von ihnen durch die
Handlung aktuell verkündeten Sache zu entscheiden, ohne
durch eine generelle Entscheidung sich an den Propheten und
alles, was er sagte, zu binden. Bei Jesus fehlt die aktuelle Be
rufung auf ein Gotteswort und die Deutung seiner Handlung
ist sein gesamtes eschatologisches Wirken und Reden. Dadurch
aber fordert seine Handlung eine Stellungnahme heraus, die
nicht nur gegenüber der durch die
Handlung
vertretenen Sache
erfolgen konnte, sondern ein Ja oder Nein gegenüber seiner
Person
und
allem, was er vertrat, verlangte.
Das Tempellogion
Die Stellungnahme, die J esu
Handeln
herausforderte, erfolgt.
In der Frage der Gegner nach einem Legitimationszeichen wird
die Entscheidung gefällt. Die Frage wird unter der Verwen
dungdes auch sonst beiJohannes und den Synoptikern bekann
ten Zeichenforderungsmotivs gestellt
20
•
Das läßt jüdisches Mi
lieu erkennen vgl. etwa I Kor 1,22 . Das Motiv begegnet
schon im Alten Testament vgl. Ex 4; Ri 6; Jes 7). Nach der
Lehrmeinung der Rabbinen muß ein Prophet sich durch ein
Zeichen beglaubigen: »Wenn ein Prophet, der zu weissagen
anfängt d. h. der noch nicht bewährt und
anerkannt
ist), ein
Zeichen
und
Wunder gibt, so muß man
auf
ihn hören; wenn
aber nicht, so braucht man nicht auf ihn zu hören«
21
• Die Zei
chenforderung versteht die Tempelreinigung Jesu als ein Han-
deln mit religiösem Anspruch, das der Legitimation durch ein
Zeichen gedacht ist an ein Wunderzeichen) bedarf. Wo das
Motiv bei den Synoptikern vorkommt, verweigert Jesus strikt
die Gewährung eines Zeichens.
Hier wird
scheinbar auf die
Zeichenforderung eingegangen. Allerdings wird die Gewäh-
20
Vgl. Mk 8,11;
Mt
12,38-4.2; 16,1-.2.4; Lk
n 16
29-3.2;
Jo
6,30
21
illerbeck
II,
480
5
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rung des Zeichens (Jo 2,19 »Ich werde ihn aufrichten«) an die
vorherige Erfüllung einer Bedingung geknüpft >>Reißt diesen
Tempel nieder «). Diese ist schon durch den sprachlichen Stil
als für die Fragesteller unerfüllbar gekennzeichnet
22
•
Die
Ant-
wort Jesu kommt somit einer Zurückweisung der Fragesteller
gleich. Seine Handlungsweise bleibt ohne Beglaubigungszei-
chen. Ein derartiges Verlangen
hat
gegenüber seinem
Handeln
keinen Platz. Das Wort, mit dem Jesus die Fragesteller zurück-
weist, ist uns auch durch die Synoptiker bekannt. Mk 14,57 f.
treten bei der Verhandlung
vor
dem
Hohen Rat
»Falschzeu-
gen« auf, die ein von Jesus gesprochenes
Wort
bezeugen: »Wir
haben ihn sagen hören: Ich werde diesen mit Händen gemach-
ten Tempel zerstören und einen anderen, der nicht mit Hän-
den gemacht ist, in drei Tagen aufrichten.«
In
einer anderen
Form begegnet
es
auch
Mk
15,29: Die Schar der Spötter ruft
dem Gekreuzigten höhnisch zu: »Ha der du den Tempel nie-
derreißen und in drei Tagen aufbauen wolltest, rette dich selbst
undsteigvom
Kreuz herab « (Mt 27,40).
Mt
26,59f. spricht
von Falschzeugen.
Mt
26,6o
f.
bezeugen zwei von ihnen: »Die-
ser
hat
gesagt:
>Ich kann
den Tempel Gottes zerstören und ihn
binnen drei Tagen wieder aufbauen.«< Dieselbe Tradition steht
womöglich hinter Apg 6,13 f., wo im Prozeß gegen Stephanus
ebenfalls Falschzeugen auftreten, die von Stephanus behaup-
ten: »Dieser Mensch hört nicht auf, Reden wider die heilige
Stätte und das Gesetz zu führen. Wir haben ihn nämlich sagen
hören, dieser Jesus von
Nazareth
werde diese Stätte zerstören
und die Gebräuche abschaffen, die uns Moses überliefert hat.«
Sowohl die Markustradition
23
wie auch die Johannestradition
kennen dieses rätselhafte
Wort
Jesu. Gerade weil
es
rätselhaft
22
Bultmann (Johannesevangelium, 88) spricht
von
dem »ironischen Impe-
rativ
des prophetischen Stils«
und
verweist als Beleg
auf
Am
4,4: »Zieht
nach Bethel und frevelt Nach Gilgal und frevelt noch mehr « (vgl.
]es
8,9 f.; ]er 7,2r). Blaß Debrunner
§
387,
2)
spricht von einem Imperativ,
der einem Konzessivsatz gleichkommt.
23
Eventuell könnte man auch vermuten,
daß
es im Hintergrund von Mk
13,2 steht: >>Siehst
du
diese großen Bauten, nicht
wird
stehenbleiben ein
Stein
auf dem anderen, der nicht niedergerissen wird « x a , ; a / . u ~ n ) (Vgl.
Mt
24,2;
Lk
21,6). Vgl. Thomasevangelium 71: Jesus sprach: Ich werde
[dieses) Haus zerstören und niemand
wird
es [wieder] aufbauen.
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ist, dürfte es auf Jesus selber zurückgehen. Das Logion
hat
nämlich der überliefernden »Gemeinde schwere Verlegenheit
bereitet«
24
• Dennoch scheidet die Tradition es nicht aus, son
dern überliefert es in verschiedener Form, versucht aber auf
vielerlei interpretierende Weise seine
Anstößigkeit
abzumil
dern. Der Versuch, die Traditionsgeschichte
des
Logion eini
germaßen aufzuhellen, ist sehr problematisch. Vor allen Din
gen
wird sich
nicht mit Sicherheit angeben lassen, welchen Sinn
es
im Munde
des
historischen Jesus hatte. Daß die-Markustra
dition
es
im Zusammenhang
des
jüdischen Prozesses gegen Je
sus überliefert, erlaubt die Annahme, daß das
Wort
Jesu in
irgendeiner Weise jüdischerseits als Vorwurf gegen die Chri
sten verwandt wurde.
Es
konnte in Diskussionen
mit
der frü
hen Gemeinde als Argument gegen die Messianität Jesu ein
gesetzt werden: Ein Mann, der
so
etwas gegen den Tempel
sagt, kann nicht der Messias sein, als den ihr ihn hinstellt.
Na-
türlich ist nicht ausgeschlossen, daß
es
in ähnlicher Weise schon
im historischen Prozeß als Anklage gegen J
esus
benutzt wurde.
Doch mag Markus
es
nicht ohne Absicht in den Mund »fal
scher« Zeugen gelegt haben. Er wollte wohl kaum den jüdi
schen Prozeß als korrupt herausstellen, sondern vielmehr sei
nen Messias von dem V erdacht befreien, er habe
sich
in
gottes
lästerlicher Weise gegen den Tempel ausgesprochen. Der zwei
felsohne sekundäre Zusatz bei Markus »von Händen gemach
ter
Tempel«, zeigt den Versuch, das Logion für die Gemeinde
spiritualisiert verständlich zu machen
25
•
Auch Matthäus mil
dert das Logion ab, indem er von einem den »Tempel-abrei
ßen-können« spricht. Dadurch betont er zugleich die Macht
des Messias Jesus. Lukas vermeidet die Schwierigkeit
des
Wor
tes, indem er
es
an der entsprechenden Stelle ganz wegläßt
und
erst im Prozeß gegen Stephanus wieder verwendet.
In
der
Vorlage des Johannes ist
es
schließlich nicht mehr Jesus, der
den Tempel abreißt, sondern er fordert die Gegner auf,
es
zu
tun. Durch die redaktionelle Hinzufügung
des
Johannes: »Er
24
E
Schweizer
Evangelium nach Markus, 187
5
Schweizer ebd.
187)
vermutet unter Hinweis
auf
Apg
7,48; 17,24;
2 Kor 5,1;
Eph
z II ; Hehr 9 II.24 Einfluß hellenistischen Denkens.
7
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aber sprach vom Tempel seines
Leibes
Jo
2,21)
wird
es
zu
einem Offenbarungswort. Will man versuchen das Wort in
den Kontext der Botschaft Jesu hineinzustellen, könnte man
es so
verstehen, daß Jesus damit die Ablösung
des
Tempels
durch die in seiner Verkündigung hereinbrechende Gottesherr
schaft betonen wollte. Die schon dem Alten Testament und der
jüdischen Apokalyptik bekannten Voraussagen, daß in der
eschatologischen Zeit
Gott
bzw. sein Messias einen neuen Tem
pel aufführen werden, mögen den Verständnishintergrund des
Wortes im Munde des historischen Jesus bilden
26
•
Es
ist weiter
möglich,
daß
das
Wort
dann in verdrehter
Form
von den Geg
nern polemisch gegen Jesus bzw. die Gemeinde verwandt
wurde. Dennoch hat die Gemeinde
es
als Jesuswort gekannt
und versucht, es in den Kontext des Traditionsstoffes auf ver
schiedenste Weise interpretierend und entschärfend einzufü
gen. Die verwickelte Traditionsgeschichte des Logion läßt er
kennen, daß
es
bei seiner Interpretation als Teil der johan
neischen Vorlage nicht inhaltlich überstrapaziert werden darf.
Es ist auf seine Funktion zu achten, die
es
im Zusammenhang
hat. Hier soll
es
die Zeichenforderungsfrage der Juden zurück
weisen, indem
es
als Vorbedingung für die Gewährung des
geforderten Zeichens von den Fragenden etwas Unmögliches
verlangt. Jesus
läßt
sein Handeln nicht durch ein Urteil begut
achten. Sein
Handeln
fordert ein, und darin besteht seine Voll
macht. Das Tempellogion
hat
damit die gleiche Funktion wie
die Frage Jesu nach der Taufe des Johannes in der Markus
vorlage. Es soll die Gegner der Stellungnahme gegenüber Jesus
nicht entweichen lassen. Diese konnte wie
in
der Markusvor
lage
nur
ein Nein gegenüber Jesus sein. Auch wenn die Peri
kope in dem johanneischen Aufriß zu Anfang der Wirksam
keit Jesu berichtet wird, weist doch ihre ganze Anlage als
Ruf
in die endgültige Entscheidung gegenüber Jesus darauf hin,
daß
sie
bei Markus in dem ursprünglicheren und wohl auch
historischen Zusammenhang überliefert ist. Forderte schon die
Lehrweise Jesu das Ärgernis und den Anstoß heraus- niemand
28
Ez 40-44;
Tob 13 1Iff.;
14,7ff.;
Aeth. Henoch
27ff.;
illerbeck
I, 28;
1004
f ;
IV, 884
f ;
929-933
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würde einen kreuzigen, der
nur
schöne Geschichten erzählt
-
so mußte die Tempelreinigung um so mehr den Anlaß für den
Todesbeschluß
und
die Verhaftung Jesu bieten.
· ]esus- der wahre Tempel ]ohannes)
Die Frage der Gegner ist
in
beiden Vorlagen nicht: Was tust
du da? sondern: Wer bist du, daß du das tust? Die Handlung
Jesu richtet einen persönlichen Anspruch
auf und
fordert
in
der einen Handlung nach einer Stellungnahme gegenüber sei-
nem ganzen Werk.
Wer zu dem in der Tempelreinigung er-
scheinenden Anspruch ja sagt, bejaht Jesus ganz. Wer sich dem
Anspruch versagt, lehnt Jesus ganz ab.
An
diesen personbezo-
genen Akzent der Vorlage knüpft der Johannesredaktor an,
indem er zwei Motive verwendet, die auch sonst zu seinen
Lieblingsmotiven gehören. Diese beiden Motive sind die »Er-
innerung der Jünger« Jo
2 I7.
22)
und das »Mißverständnis
gegenüber Jesu Worten«.
»Erinnerung«
ist bei Johannes die durch Ostern bzw. die durch
die Verherrlichung
und
Erhöhung Jesu ermöglichte Glaubens-
einsicht in sein Leben
und
seine Worte vgl. J o I
2
I 6)
27
• Durch
seine Erhöhung ist er in Stand gesetzt, den Jüngern den Trö
ster zu senden Jo I6,7). Dessen Aufgabe aber ist es, die Ge-
meinde an J esus zu erinnern: »Er wird euch an alles erinnern,
was ich euch gesagt habe« Jo q 26 vgl. auch Jo
I5,26;
I6 I 3 f.). Das Erinnern der Jünger ist also die durch die
Er
höhung Jesu bewirkte, bleibende Möglichkeit der Gemeinde,
den irdischen Jesus in glaubender Sicht zu verstehen. Die »Er-
innerung« der Jünger von Vers
I7
bringt die Sehweise des
Redaktors
zur
Geltung, der in der Tempelreinigung durch Je
sus ein »Zeichen« für das gesamte Schicksal Jesu sieht. Die
Tempelreinigung zeigt, wie die gesamte Existenz Jesu
von
einem
sich
für das Haus Jahwes verzehrenden Eifer bestimmt
27
Zwar
wird das Wort fLLfLVTJO XOfUlL erinnern) außer
Jo z q.zz
nur noch
in Jo
1 2 1 6 verwandt, doch entspricht
sacl:tlicl:t
die Gewohnheit des Johan
nesredaktors,
an
Früheres
zu
erinnern.
49
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war.
Um
das zu sagen, deutet der Redaktor die Tempelreini
gung im Licht von Ps 69.
Er
kann
es
weil in Ps 69,10 von
einem Knechte Jahwes die Rede ist, der sich als Eiferer für den
Tempel im Dienst für das Haus Jahwes verzehrt
28
• Die Tem
pelreinigung wird zu einem Bild für die bis in den Tod
sich
erstreckende Hingabe J
esu
für die Sache Gottes. Es wird ver
ständlich, warum die Tempelreinigung nach dem johanneischen
Aufriß zu Beginn der Wirksamkeit Jesu berichtet wird.
Sie
ist
das Vorzeichen für den verzehrenden Dienst Jesu an Gott. Aus
der Rückschau
des
Johannes wird die Tempelreinigung zu ei
nem christologischen »Zeichen«. Recht besehen, in der »Erin
nerung« an die Schrift gläubig verstanden, enthüllt
.es
das Ge
heimnis von J esu Dienst und Lebenshingabe. Sein Leben und
Sterben ist Eifer für seinen Vater. Jo 2,16). Die durch die
Tempelreinigung bezeichnete Sache wird mit der Person Jesu
identifiziert.
Auf dem Hintergrund der gläubigen Erinnerung der Jünger
enthüllt
sich
die Frage
der»
Juden« nach dem Zeichen als
Miß-
verständnis.
Sie werden zum Gegenbild der
sich
erinnernden
Jünger. Ihr Blick dringt nicht ein in das durch das Zeichen be
zeichnete Geheimnis der Lebenshingabe J esu. Sie verstehen
seine Handlung als einen religiösen Anspruch unter anderen
und wollen
sich
unter Zuhilfenahme ihrer eigenen religiösen
Verstehenskategorien versichern, daß dieser Anspruch zurecht
besteht. Durch die Einfügung
des
Verses
17
beginnen
sich
die
Akzente der Vorlage zu verändern.
In
der Vorlage war die
28
Kraus vermutet in dem Eiferer
für
Gottes Haus einen Angehörigen der
Gruppe, »die nach der Heimkehr aus dem Exil unaufhörlich zum Tempel
bau drängten.
Wird
also nach einer Ursache des gegenwärtigen Leides und
der Schmähungen gefragt,
so
liegt es allein darin,
daß
die Feinde, die
offenbar früher den Tempelbau schmähten,
nun
weiterhin-
und m
Leiden
erst recht - den Eiferer befehden. So fallen die Schmähungen, die Jahwe
gelten, auf den, der sein Leben in den Dienst des Tempels stellte.« H J
Kraus Psalmen I, Neukirchen
2
I96I, 482f. =
BKAT
XV I). Weiser da
gegen verzichtet
auf
eine genaue Datierung, vermutet aber, »daß hinter
dem Psalm religiöse Auseinandersetzungen - vielleicht über Fragen des
Opferkultes im
Tempel-
stehen, die dem Dichter u. a. die grundlose An
klage seitens seiner zahlreichen Gegner und möglicherweise sogar die Ver
haftung zugezogen haben.« A Weiser Die Psalmen, Göttingen
5
I959, 336
=
ATD I5
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Frage nach dem Zeichen durch die Handlung herausgefordert.
Bei Johannes ist die Frage nicht mehr nur noch notwendige
Folge der
Handlung
Jesu, sondern soll das ungläubige Mißver-
stehen offenbaren. Vers I hat aus der Handlung der Tempel-
reinigung schon ein christologisches Zeichen gemacht. Wenn
man diesem Zeichen gegenüber noch fragen kann- wie die Ju
den in Vers 8
- , so
zeigt dies, daß man
es
nicht verstanden hat,
daß
man nicht glaubt. Die
Antwort
Jesu in Vers
19
soll nicht
mehr nur die Frage der Juden nach dem Zeichen als unberech-
tigte Hinterfragung seiner Vollmacht zurückweisen, sondern
soll die Juden noch tiefer in ihr Mißverstehen führen. Dadurch
aber wird die
Antwort
Jesu in Vers 19, was ihren Inhalt be-
trifft, gegenüber der Vorlage aufgewertet. In der Vorlage
hatte sie nur den Sinn, eine für die Fragesteller unmögliche Be-
dingung für die Gewährung eines Zeichens aufzustellen, um
die Frage der Gegner zurückzuweisen. Bei Johannes dagegen
soll das Mißverständnis der Juden noch offenbarer werden als
es
schon ist. Sie mißverstehen nicht nur das Zeichen der Tem-
pelreinigung, sondern sie mißverstehen auch das, was Jesus
sagt.
Er
spricht daher jetzt nicht
nur
zu ihnen, die ihn mißver-
stehen, sondern auch zu denen, die den Sinn seines Wortes ver-
stehen können. Die Juden verstehen ihn nämlich
xa r·a cragxa
(nach der
Art
des Fleisches). Sie verstehen, was der Satz aus-
sagt, buchstäblich. Ihre
Antwort
zeigt es: »46 Jahre
hat man
an diesem Tempel gebaut, und du willst ihn in drei Tagen er-
richten?« (Jo
2,20 .
Daher zweifelt ihre Antwort zugleich und
ergeht in der Form einer Frage; denn wer ihn mißversteht,
muß in der Antwort
an ihn den Ton
des
Zweifels haben. Ihn
mißzuverstehen heißt: nicht an ihn und das, was er sagt, glau-
ben.
Bultmann
sieht das Typische des johanneischen Mißver-
ständnisses darin, »daß
es
Begriffe und Aussagen gibt, die
in
einem vorläufigen Sinn
auf
irdische Sachverhalte, in ihrem ei-
gentlichen Sinn aber
auf
göttliche Sachverhalte gehen. Das
Mißverständnis erkennt die Bedeutung der Wörter richtig,
wähnt aber, daß sie sich in der Bezeichnung irdischer Sachver-
halte erschöpfen«
29
•
29
R. Bultmann
Johannesevangelium, 95
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Jesus stellt nach johanneischer Sicht der Perikope nicht mehr
nur noch einen geheimnisvollen nicht legitimierten Anspruch
sondern kann von einer Wirklichkeit reden die dem gewöhn-
lichen Verständnis verschlossen bleibt. Diese Wirklichkeit ist
dem Verstehen nicht grundsätzlich verschlossen. Sie ist zu ver-
stehen
und
ihr Geheimnis eröffnet si h dem dem das V er-
ständnis gegeben ist. Im Gegensatz zu
den»
Juden« weiß näm-
lich der Evangelist was der Sinn dessen ist was Jesus sagt. Je-
sus
spricht nicht von dem Tempel in dem si h die Szene örtlich
ereignet er meint einen anderen. Diesen anderen Tempel wer-
den die Angeredeten niederreißen und Jesus
wird
ihn in drei
Tagen errichten.
In
der Vorlage sollte Vers 19 die Zeichen-
forderung zurückweisen. Die Glaubenssicht des Evangelisten
erkennt in der Zurückweisung des Zeichens zugleich dennoch
seine Gewährung. er Satz wird zu einem Paradoxon. Mit
einem die Zeichenforderung abweisenden Wort kündigt J esus
die Gewährung des Zeichens an. Doch
wird
es auf eine andere
Weise gewährt werden als die Mißverstehenden
es
erwarten.
en Tempel der abgerissen und in drei Tagen wieder aufge-
richtet wird ist der Tempel des Leibes Jesu selber. amit hat
die auf die Person Jesu hinstilisierende Redaktion das Zen-
trum erreicht.
Die Tempelreinigung ist Zeichen für die Selbsthingabe fesu in
den Dienst des Vaters Das Tempelwort spricht von Jesus als
dem Tempel selber.
Er
ist der Tempel in dem in Wahrheit die
göttliche Herrlichkeit wohnt in dem
Gott auf
die einzig mög-
liche Weise die wahre Verehrung entgegengebracht werden
kann.
In ihm ist Gott den Menschen erreichbar.
er
Evangelist
kann das wissen und sagen weil er es aus dem durch Ostern
eröffneten Raum des Verstehens sehen und hören kann. Er
gehört somit selber zu den
si h
»erinnernden Jüngern« denen
Jesus nach seiner Auferweckung die Erinnerung und den Glau-
ben gibt und das V erstehen der Schrift und seines Wortes er-
schließt. Sie befinden si h in dem hermeneutischen Raum aus
dem heraus das Leben und die Worte Jesu in ihrem Offenba-
rungscharakter »erinnert« verstanden geglaubt werden kön-
nen. Für den Redaktor wird somit das Wort mit dem Jesus in
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der Vorlage die Gegner in die Aporie führte, zu einem Offen
barungswort, das Auskunft gibt über das Persongeheimnis
Jesu:
Er
ist der wahre Tempel. Die Darstellungsweise
des
Re
daktors konzentriert alle Aussagen
auf
die Person Jesu.
Er
bedient sich dabei kultischer Terminologie. Das gehört zu den
Eigenheiten
des
Johannesevangelisten, der auch sonst von
Christus in kultischen Begriffen spricht
30
• Jesus selber wird
der allen Kult zusammenfassende Ort. Alles, was immer Got
tesdienst und Ausdruck von Verbindung zwischen Mensch und
Gott
war, zentriert sich in der Gestalt Jesu, in der allein der
Mensch den wahren Zugang zu
Gott
hat. Die Einheit von gött
lichem Logos und Jesus von
Nazareth
ersetzt hinfort Tempel
und Kult. Kult, Gebet, Opfer, Tempel, Priestertum ist hinfort
nur mehr in Jesus gegeben, ja in ihm erst eigentlich das, was
es immer schon sein wollte. Das macht die johanneische Redak
tion an der Tempelreinigungsperikope sichtbar: Die Tempel
reinigung wird zum Zeichen für das was sich
n
der Person
fesu ereignet hatte.
3
Zu dem ku tisd:ten Hintergrund der johanneisd:ten Christologie vgl.
F
Mußner »Kultisd:te« Aspekte im johanneisd:ten Christusbild, in: Litur
gisd:tes
Jahrbud:t I4
(1964), 185-200;
wieder abgedruckt in: F
Mußner
Praesentia Salutis, Gesammelte Studien zu Fragen und Themen des Neuen
Testamentes, Düsseldorf 1967, 133-145
5
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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I I I
DER HAUPTMANN
VON
KAP HARNAUM-
DIE HEILUNG DES SOHNES DES »KONIGLICHENc
Mt
8,5-13;
Lk
7,1-10;
Jo
4,46-54)
r. Vergleich derFassungder Perikope bei Matthäus Lukas
un
]ohannes
Eine weitere Perikope, die
es
uns erlaubt, das theologische
Profil des Johannes von dem der Synoptiker abzuheben, ist
die Geschichte über den Hauptmann von Kapharnaum bzw.
über die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten. Schon
wenn wir die Geschichte
mit
dieser Überschrift versehen, zeigt
sich, daß ein Vergleich notwendig ist. Denn Johannes spricht
nicht
von
einem Centurio, sondern allgemeiner von einem
»Königlichen«,
und
siedelt die Geschichte nicht wie Matthäus
und Lukas in Kapharnaum, sondern in Kana
an
Jo 4,46 a).
Verschieden ist auch die Stellung der Perikope innerhalb des
Aufrisses der
Evangelien. Bei den Synoptikern findet sich die
Geschichte in fast der gleichen Textfolge. Bei Matthäus folgt
der großen Redekomposition der Bergpredigt Mt 5,1-7,29)
die kurze
von
Markus her übernommene Geschichte über die
Heilung eines Aussätzigen Mt 8,1-4), unddaranschließt
sich
die Geschichte vom
Hauptmann
von Kapharnaum an. Bei Lu
kas geht
ihr
direkt die der Bergpredigt des Matthäus entspre
chende Feldrede Lk 6,17-49) voran. Daß sie bei Markus völ
lig fehlt, wird man bei der Frage nach ihrer Traditionsge
schichte berücksichtigen müssen. Bei Johannes findet sie
sich
nach dem Bericht über die erste Jerusalemreise.
Daß
es
sich
dennoch um die gleiche Geschichte handelt, die in drei Fassun
gen
erzählt wird,
zeigt ein Blick in die Synoptische Vbersicht.
Bei allen Um:erschieden zeichnet sich nämlich ein gemeinsames
Handlungsgerüst ab. Auch die vielen wörtlichen Übereinstim
mungen sprechen dafür.
5
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Perikope folgt auf
die an Bergpredigt
angeschlossene
Aussätzigenheilung
V 5 Kapharnaum
V 5 E)tcn:ov,;ag:x:o<;
V nai<;
V
naga/.u,;t t6<;,
ÖELvÖ>< ß v t ~ -
E'VO<;·
VV
5 6
Centurio
kommt selber
zu Jesus
mit
Bitte
V 7 J esus versichert
ihm seine Bereitschaft
zu heilen
V 8 Der Centurio
beteuert seine
Unwürdigkeit. Er
glaubt: Jesus kann
durch das Wort heilen
Synoptische Übersicht
Lk
7 1 - I O
folgt
auf
Feldrede
V
I Kapharnaum
V 2
E)ta,;6v,;ag:x:o<;
Öoü/.o<;
V 2 )taKÖ><;
e:x:cov
iif EAAE'V 'tEAEU'tÖ.'V
VV 3-5 Centurio
kommt nicht selbst,
schickt die »Altesten
der Juden«, die ihn
als Gottesfürchtigen
beschreiben
V Jesus geht mit
den Abgesandten
VV b 7 Erneut ab
gesandte »Freunde«
richten dasselbe
Wort
aus. Unwürdigkeit
stärker betont
folgt auf erste
J erusalemreise
V 46 Kana. Sohn ist
krank
in
Kaphar-
naum
V 46 ßacHAL)to<;
uto<;
V 46 i)crtHvEL
V
47
1lf1EAAE'V
.noavucrxEL
v
V 47 Der ,.König
liche« kommt selber
zu Jesus mit
ausdrücklicher Bitte
V
48
Jesus spricht ein
abweisendes
Wort
V 49
Der
»König
liche« wiederholt
seine Bitte. (Glaube
an die Macht des
Wortes Jesu und
Betonung der eigenen
Unwürdigkeit fehlen)
55
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Mt 8,5-13 Lk 7 1-Io
]04 46-54
V 9
Wort
von der V 8 Wort
von
der
Befehlsgewalt Befehlsgewalt.
(von den »Freunden«
ausgerichtet )
V
10
Jesus staunt
V 9 Jesus staunt
über das Gesagte: über den Mann:
Bei keinem in Israel
So ein Glaube in
so ein Glaube. Israel nicht.
VV
II-12
Das Wort
von Ost und West
(vgl. 13,28-29)
V 13 a Jesus
entläßt
V 50 Jesus
entläßt
ihn: ÜJtayE, wie du
ihn: J tOQEuou, ö ul6\;
geglaubt hast soll Dir
oou ~ T · Der Mann
geschehen
glaubt dem Wort und
geht.
V
10
a Die Abge-
V
51
Diener kommen
sandten kehren
entgegen und sagen:
zurück
ö J tUL\;
au-coü
~ i i
V 52 Frage an die
Diener nach
der
Stunde der Heilung:
Gestern um die siebte
Stunde
V 13
b »xal tu1 tlJ
ö
V
10
b Die Abge-
V
53
a
Der
Vater
J tUL\; EV -cf) gq,
sandten finden den erkennt: Es
war:
xetvn«
öoüAo\; gesund vor »exdvn -cn
gq.«
V
53
b
Der
Mann
und
sein Haus
glauben
V
54
Es
war
das
zweite »Zeichen«
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Die übersieht zeigt in allen drei Fassungen eine
gemeinsame
Fabe/1:
Ein Mann tritt an Jesus heran und bittet um die Hei-
lung eines anderen. Jesus entspricht der Bitte. Er wirkt das
Wunder der Heilung ohne das Haus des Kranken zu betreten.
Die gemeinsame Fabel ist durch die drei Fassungen jedoch in
verschiedenen Weisen verarbeitet. Das verdeutlichen folgende
Unterschiede:
r.
Johannes lokalisiert die Erzählung nach Kana nicht wie die
Synoptiker nach Kapharnaum.
2 Aus dem Centurio der Synoptiker ist bei Johannes ein »Kö-
niglicher« geworden.
3· Bei Lukas
tritt
der Centurio nicht wie bei Johannes und
Matthäus selber an Jesus heran sondern die Bitte um Hei-
lung
wird
durch zwei verschiedene Gruppen von Abgesand-
ten an Jesus herangetragen.
4· Bei Johannes fehlt das Glaubenswort des Centurio. Bei ihm
trägt der Mann nur die Bitte vor und dies zweimal.
5
Matthäus
hat
am Ende der Geschichte ein Logion
Jesu
das
Johannes nicht kennt und Lukas in einem anderen Zusam-
menhang verwendet.
6. Die Konstatierung des Erfolges ist bei Johannes weiter aus-
gebaut als bei den Synoptikern.
Gemeinsamkeiten wie Unterschiede machen einen Blick
in
die Traditionsgeschichte der Perikope notwendig d. h. es
ist nach der oder den Vorlagen der dreifachen Fassung der
Geschichte zu fragen und die jeweilige Verarbeitung der
Vorlagen durch die Evangelisten zu erheben.
2 Der
Hauptmann von
Kapharnaum
Matthäus
und
Lukas)
Bei dem synoptischen Vergleich fallen
vor
allem die starken
Gemeinsamkeiten von
Matthäus
und
Lukas
auf. Besonders in
1
.
Versucht man den Handlungsverlauf auf die letztmögliche Knappheit
zu
bringen auf sein reines Schema
so
erhält man eben das was die Litera-
turwissenschaft als die
Fabel
eines Werkes zu bezeichnen pflegt.« W Kay-
ser,
Das sprachliche Kunstwerk Bern 1949 77
57
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den entscheidenden Versen, die das Glaubenswort
des
Centu-
rio bringen, herrscht wörtliche übereinstimmung
2
• Auch die
Eröffnungsverse der Perikope weisen wörtliche Übereinstim-
mungen auf. Der
Ort
ist derselbe, sowie die Berufsbezeich-
nung. Was die Verteilung der erzählerischen Akzente angeht,
stimmen Matthäus und Lukas gerade in den wichtigsten Punk-
ten überein.
Es
wird von einem Centurio erzählt, dessen Knecht
erkrankt ist und dessen demütige und glaubensvolle Worte Je-
sus
zu einem Urteil über den Glauben des Mannes und zur
Heilung seines Knechtes bewegen. Hier wie dort liegt das
Hauptgewicht der Erzählung, nicht
so
sehr auf der Heilung
als solcher, auch wenn
sie
bei beiden als Fernheilung gedacht
wird. Aber das Moment der Fernheilung soll hier nicht in er-
ster Linie Jesu Wunderkraft aufzeigen, sondern das glaubens-
volle Wort des Mannes bestätigen. Gerade hier, in dem wich-
tigsten Teil der Geschichte, treffen
sich
Matthäus und Lukas
in wörtlicher Übereinstimmung. Dagegen finden
sich
die Un-
terschiede vor allen Dingen in den Einzelzügen, die für die
Geschichte von geringerer Bedeutung sind. Dennoch ermög-
lichen
es
gerade diese Unterschiede der jeweiligen Aussageab-
sicht
des
Verfassers auf die Spur zu kommen und seine Vorlage
zu erkennen.
Die Redaktion
des
Matthäus
Sie dürfl:e bei
Mt
8,r
r 12
am leichtesten zu erkennen sein
»Viele werden kommen
...
die Kinder
des
Reiches aber
...« .
Die Verse greifen den in Vers ro ausgesprochenen Gedanken
auf. Lukas kennt das Logion etwas anders gefaßt in einem an-
deren Zusammenhang Lk
I 3,28
f.).
Er
dürfl:e seine ursprüng-
liche Fassung bewahrt haben, während Matthäus das Logion
überarbeitet hat.
Er
stellt
es
um und sagt deutlicher als Lukas,
daß
es
gerade die von Westen und Osten Kommenden sein
werden, die im Gegensatz zu den hinausgeworfenen »Söhnen
2
Kleine Veränderungen, wie z. B die Hinzufügung des Lukas t l l O O Ö f - t E V O ~
hinter ÖJto E ~ o u a t a v Lk 7,8) können das nid:tt verwischen.
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des Reiches« mit Abraham,
lsaak
und Jakob zusammen zu
Tische sitzen werden. Das aber ist nichts anderes als eine Fol
gerung aus dem Gedanken von Vers
10
den Matthäus durch
die Hinzufügung unterstreicht
3
• Daß Matthäus den bei Lukas
ursprünglicher überlieferten Wortlaut verändert hat, zeigen
sprachliche Beobachtungen
4
•
Das alttestamentliche Schriftzitat
ist bei Matthäus enger mit dem Satzbau des Logion
und
auch
mit seinem Gedankengut verbunden als bei Lukas, bei dem es
durch das nebenordnende <XL und) noch eher als Schriftzitat
erkennbar bleibt. Bei Matthäus ist
es
durch das
ön
recitativum
Doppelpunkt) zu einem integrierten Bestandteil der direkten
Rede J
esu geworden. Durch die Veränderung der Anredeform
der zweiten Person Plural, die das Logion in der Lukasfassung
aufweist, in die Form des Aussagesatzes ist das Logion aus sei
ner Anredesituation in die Form einer allgemein gültigen
eschatologischen Verheißung verändert worden.
Zu
den sprach
lichen Beobachtungen tritt eine inhaltliche: Das Logion unter
streicht nämlich nicht nur den Gedanken von Vers
10
sondern
führt ihn weiter. Vers
10
spricht von dem beispielhaften, bei
keinem in Israel sonst angetroffenen Glauben. Das Logion geht
jedoch grundsätzlich auf das Verhältnis Juden
und
Heiden
3
Es ließe
sich
einwenden, das Logion
Mt
8,11-12 sei schon in
Q
hinter
Mt 8,10 gefolgt. Dafür spräche, daß es bei Lukas als Teil einer künstlichen
Komposition, die
es
mit
anderen Logien zu einer
Art
Gleichnis vereine,
überliefert sei. Die Komposition eines Gleichnisses müsse man Lukas zu
schreiben. Matthäus hätte wohl kaum eine so geschickte Komposition zer
schlagen, wenn sie ihm in Q vorgelegen hätte. Dagegen aber ist zu sagen:
Es entspricht der Arbeitsweise des Matthäus, Logienstoff thematisch neu
zusammenzustellen. Lukas folgt im allgemeinen seiner Vorlage getreuer.
Zudem wäre Matthäus
auf
das aus verschiedenen Logien zusammenkompo
nierte Gleichnis nicht angewiesen gewesen. Im Gleichnis von den klugen
und
törichten Jungfrauen Mt
25,1-13)
fand er ein Gleichnis mit ähnlichen
Motiven vor, das ursprünglich schon als Gleichnis konzipiert war.
Zur
Tra
ditionsgeschichte der Verse vgl.: F Mußner Das »Gleichnis« vom gestren
gen Mahlherrn, Lk
13,22-30,
in:
TrThZ 65 1965), 129-143;
wieder abge
druckt in: Praesentia Salutis, Düsseldorf
1967,
IIJ-124. W. Trilling
Das
wahre Israel, München
3
1964,
88 StANT
X)
4
ßaaLAEla tÖJV oueavöiv Himmelreich) ist matthäisehe Lieblingsformu
lierung. 'tO O )tcho<; 'tO E;ol'tEQOV die äußere Finsternis) kennt nur er Mt
8,12; 22,13; 25,30). Ebenso auch die utot Tij<; ßaoüela<; Söhne des König
reichs) Mt 8,12; 13,38).
59
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ein. Das aber ist ein Gedanke, der dem Matthäus, wie sein
übriges Evangelium zeigt, sehr am Herzen lag.
In
der Kirche
aus Juden und Heiden sieht er das wahre Israel.
Die Redaktion
des
Lukas
Schwieriger ist es zur Gestalt der lukanischen Vorlage zu ge
langen.
Haenchen
5
nimmt an,
daß
in den Versen
Lk 7 2-7a
eine andere überlieferungsform als die der Vorlage des Mat
thäus durchscheine.
Er
macht
darauf
aufmerksam,
daß
in den
Lukasversen
2.3 und ro
von einem
1\oii/.oc;
gesprochen wird,
während da, wo die Geschichte wieder zur Gestalt der Mat
thäusfassung zurückkehre, Vers 7 b, genauso wie bei Matthäus
sonst in der Geschichte Mt 8,6. 8.
13)
von einem nai:c; die Rede
sei.
Das aber lasse darauf schließen, >>daß Lukas den abgeän
derten Text gegenüber Matthäus) nicht selbst hergestellt, son
dern bereits übernommen hat, ohne
daß
er einen dem Mt-Text
entsprechenden Wortlaut kannte«
6
•
Nach Haenchen steht die
Matthäusfassung einer alten überlieferungsform nahe, die in
judenchristlichem Milieu umgearbeitet wurde, wobei vor allem
die beiden Gesandtschaften eingefügt wurden. Die judenchrist
liehe Gemeinde habe versucht, »mit letzter Energie den Strom
einer Erzählung in ein anderes Bett zu leiten und aus einer
Geschichte, mit der das Heidenchristentum seinen Glauben
pries, eine andere zu machen, nach der die Heiden nur berück
sichtigt werden können, wenn sie besondere Verdienste um Is
rael aufweisen können«
7
• In
dieser umgearbeiteten Form sei
die Geschichte schließlich auf Lukas gekommen. Doch
en-
chens Gründe können nicht überzeugen. Einer der Anhalts
punkte für
H aenchens
These ist der Wechsel der Bezeichnung
1\oiil oc;
mit nai:c;. Wenn man bedenkt, daß bei Johannes das
zweideutige nai:c; des Matthäus eindeutig als vt6c; Sohn) be-
5
E Haenchen
Johanneische Probleme, in: Gott und Mensch, Tühingen
1965, 78-113) 84-86
o E Haenchen
ebd. 86
7
E Haenchen ebd. 85 f
6o
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zeichnet wird,
läßt sich
durchaus erwägen, daß Lukas in ähn-
licher Weise das
mit
Knecht oder Sohn übersetzbare
n a i ~
in
ein eindeutig
mit
Knecht
zu
übersetzendes
o u A o ~
verändert
hat. Das hätte zudem den Erfolg gehabt, die Gestalt des Cen-
turio um
so
tugendhafter erscheinen· zu lassen, denn, daß sich
jemand um die Heilung seines eigenen Kindes bemüht, ist nicht
mehr als selbstverständlich;
daß
er sich aber
so
um seinen
Knecht sorgt,
läßt
ein gutes Licht
auf
seinen Charakter fallen.
Man
beachte im übrigen, wie gerade dieser Zug bei Lukas
un-
terstrichen ist durch den angehängten Relativsatz »der ihm
wert
war« Lk 7,2).
Obwohl
es
sein Knecht ist, so ist er dem
Herrn doch
so
wert
und
teuer,
daß
er
sich
bei Jesus um seine
Heilung bemüht. Gerade dieser Relativsatz hebt den Centurio
aus dem Bereich des allgemein üblichen heraus. Das allgemein
übliche
wird
in Vers 8 dargestellt. Das Verhältnis von Herrn
und
Knecht ist das von Befehl
und
Gehorsam, von dem Vers 8
als von einer Selbstverständlichkeit spricht.
Daß
sich ein Herr
so sehr um seinen ihm teuren Knecht bemüht, geht über das
gerechte Maß der Fürsorge hinaus. Der Centurio erscheint so
als ein guter
Herr
8
•
aenchen
führt als weiteren Grund für eine auf Lukas über-
kommene judenchristliche Bearbeitung der Geschichte an, in
der Aussendung der Altesten der Juden
und
in ihrer
Fürbitte
werde das Interesse der judenchristliehen Bearbeiter greifbar.
Sie hätten dadurch das Moment der alten Geschichte,
daß
der
Glaube eines
Heiden
gepriesen werde, abschwächen wollen
und
die Heilung auf die jüdische Fürsprache wie auch
auf
die Ver-
dienste des Mannes für Israel zurückführen wollen. Doch
scheint eine solche Begründung allzu gesucht
und
die
wahre
Bedeutung des »Gesandtenmotivs« zu verdecken.
Man muß
nur
aufmerksam
auf
das Gefälle der Erzählung achten. Gewiß
preisen die Gesandten den Mann.
Er
liebt das Volk
und hat
8
Daß
in Vers 7 n : a i : ~ nicht auch in 1 \ o i i ; \ o ~ verändert wurde,
darf
man dar-
auf zurückführen, daß jeder Leser jetzt weiß: Es handelt sich nicht um das
Kind, sondern den Knecht des Centurio. Zudem gehört Vers 7
zu
dem
wichtigsten Teil der Perikope, dem Glaubenswort des Centurio. s ist wohl
viel fester geprägt als der reine Erzählstoff und eine Veränderung in ihm
schlechter möglich als in dem erzählenden Rahmen.
r
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Verdienste um
es
Lk 7,5). Deshalb ist er in den Augen der
Gesandtschaft der Bitte würdig Ul;Lo<; ßcrnv
Lk
7,4). Doch die
Selbsteinschätzung des Mannes widerspricht dem Urteil der
Gesandtschaft: »Ich habe mich nicht für würdig gehalten
(ol M
flUUTov
l j ~ t w c r a Lk
7,7)
«
»Würdig« ist das Stichwort, das uns
die Bedeutung der zweifachen Gesandtschaft erschließt. Da-
durch, daß er einerseits im Urteil der anderen als
a ~ L O < ;
dasteht,
sich selber aber, indem er das Wort verneinend wieder auf-
nimmt, nicht so einschätzt, wird der Kontrast zwischen dem
Fremdurteil und der Selbsteinschätzung betont. Durch den
Kontrast aber
tritt
seine Selbsteinschätzung als eindrucksvol-
les Beispiel
von
Demut hervor. Dem selben Zweck dient die
zweifache Gesandtschaft; denn nicht nur durch das, was die
Gesandten sagen, sondern schon durch ihr Auftreten,
wird
der
Centurio als demütig und bescheiden charakterisiert. Er wagt
es
nicht selbst zu J esus zu gehen, sondern schickt zweimal Ge-
sandte aus, um sich an Jesus zu wenden. Dann aber liegt hier
nicht »ungeschickte«
9
Erzählungskunst vor, die man Lukas
nicht zutrauen dürfe, sondern gerade das Gegenteil. Bis jetzt
ist kein Grund sichtbar geworden, warum Lukas eine beson-
dere, judenchristlich vorgeformte Vorlage benutzt haben soll;
vielmehr weist die augewandte Erzählkunst auf Lukas selber,
was auch wortstatistische Beobachtungen bestätigen
10
•
9
E. Haenchen Johanneische Probleme,
86
10
Die wartstatistische Untersuchung zeigt folgendes:
r
das in Vers
2
benutzte Wort E V t L f W ~ kommt bei Lukas zweimal vor
Lk 7,2; 14,8), ansonsten findet es.
sich
im Neuen Testament nur noch Phil
2,29
und
I
Pt
2,4.6;
2. das Ö L a o f f i ~ w von Vers 3 kommt bei Matthäus einmal vor Mt I4,36), bei
Lukas
nur
hier, aber in der Apostelgeschichte fünfmal, ansonsten
nur
noch
in I Pt 3,2o;
3· das in Vers 4 vorkommende nagaylvof.LaL mit
n g ~
kommt im Neuen
Testament
nur
bei Lukas
vor:
Lk
7,4; 7,20;
8 I9;
11,6; 22,52;
Apg
2o,I8).
Matthäus gebraucht nagaylvof.LaL überhaupt
nur
zweimal, Markus einmal,
Johannes zweimal, Lukas achtmal, Apostelgeschichte zwanzigmaL
4·
Das
n gexw
von Vers 4 kommt in einer vom Markustext abhängigen
Stelle
vor
Mk
14,6; Mt 26,Io).
Sonst kennen
es Markus und
Matthäus
nicht. Lukas gebraucht es im ganzen viermal Lk 6,29; 7,4; 11,7; I8,5),
außerdem fünfmal in der Apostelgeschichte Apg I6 I6; 17 3I; I9,24;
22,2; 28,2).
5.
f.LUX IUV
von Vers 6 b kommt zweimal
nur
bei Lukas in der Verbindung
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Es handelt
sich
nicht um eine Vorlage aus judenchristlichem
Milieu, die die Sonderrolle der Juden hervorheben will. Viel
mehr hat Lukas redaktionell gestaltet, um den Centurio als
einen guten und demütigen Mann zu charakterisieren. Die An
nahme
Haenchens
von einer besonderen Vorlage
des
Lukas ist
also nicht notwendig.
Die gemeinsame Vorlage
Die Unterschiede von Matthäus und Lukas erw1esen
sich
durchweg als redaktionell. Das verleiht ihren Gemeinsamkei
ten stärkeres Gewicht. Sie lassen darum auf eine gemeinsame
Vorlage schließen, die von den beiden Evangelisten in ver
schiedener Richtung bearbeitet worden ist. Lukas fügte vor
allem das Motiv von der zweifachen Gesandtschaft ein, wäh
rend Matthäus durch die Anfügung des Logion in Vers
u 12
erweiterte. Mit dem Erweis einer gemeinsamen Vorlage von
Matthäus und Lukas ist jedoch unsere Frage nicht völlig beant
wortet. Vielmehr stellt sich als neues Problem, ob die Vorlage
von Matthäus und Lukas als Einzelerzählung umlief oder
aber ob sie Teil einer größeren Quelle war, die von Matthäus
und Lukas benutzt wurde. Mit anderen Worten: Gehörte die
Perikope vom Hauptmann von Kapharnaum zur
Logien-
quelle
Schon allein, daß eine gemeinsame Vorlage benutzt
wurde, spricht dafür. Aber auch der Kontext weist darauf hin.
Bei Matthäus folgt nämlich die Perikope auf die Bergpredigt
Mt 5,1-7,29); nur die kurze Perikope von der Heilung eines
Aussätzigen ist dazwischen eingeschoben Mt 8,1-4).Bei Lukas
folgt sie der der Bergpredigt des Matthäus entsprechenden
Feldrede Lk 6,17-49). Die Akoluthie des Matthäus und des
Lukas entsprechen sich. Da aber die Feldrede wohl die Akolu
thie der Logienquelle bewahrt, ist anzunehmen, daß auch
mit
:n:€xw vor, heidemale ist mit dem Genitivus absolutus konstruiert
Lk 7,6; 15.20).
6. Das :1tEf1:1tW
von Vers 6b kommt bei Matthäus viermal, bei Markus ein
mal, bei Lukas jedoch zehnmal und in der Apostelgeschichte elfmal vor.
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schon die Perikope vom
Hauptmann
von Kapharnaum in der
Logienquelle gestanden hat. Zudem liegt der Akzent der Er-
zählung mehr auf den Worten, die in ihr gesprochen werden
als auf dem erzählenden Teil. Erst Lukas baut ihn weiter aus.
Darum
ist
sie
keine eigentliche Wundererzählung, sondern
es
geht in
ihr
um die Bedeutsamkeit der Worte
des
Centurio und
Jesu. Nicht das Wunder steht im eigentlichen Interesse der
Erzählung, sondern das Glaubenswort
des
Hauptmanns. Auch
Bultmann
vermutet die Zugehörigkeit der Perikope zur Lo-
gienquelle
11
• Dort
haben Matthäus und Lukas
sie
vorgefunden
und
in jeweils eigener
Art
umgeformt.
3·
Die Heilung des Sohnes des »Königlichen« Johannes)
Die stärkeren Übereinstimmungen zwischen Matthäus und
Lukas im Vergleich zur Johannesfassung ließen sich durch den
Nachweis einer gemeinsamen Vorlage der beiden Synoptiker
erklären. Die Unterschiede, die die Johannesfassung gegenüber
den Synoptikern aufweist, können jedoch nicht verdecken, daß
die gleiche Geschichte erzähltwird
12
• Darum muß man fragen,
ob Johannes die gleiche Vorlage wie Matthäus und Lukas ver-
arbeitet hat. Finden
sich
Spuren typisch johanneischer Bearbei-
tung, die von der Vorlage
des
J ohannes abgetragen werden
können
und
den Blick auf sie frei geben? Zu fragen ist also
nach der Redaktion des J ohannes.
Die Redaktion
des
Johannes
Um
diese zu erkennen, müssen
wir
den
blauf der Geschichte
in ihren Erzählschritten genau verfolgen. Dadurch
wird
auch
der Unterschied in der Verteilung der erzählerischen Gewichte
11
Bultmann Geschichte der synopt. Tradition, 39 ordnet
sie
denn auch
nicht der Kategorie der Erzählstoffe als Wundergeschichte ein, sondern der
Kategorie der Worte Jesu als biographisches Apophthegma.
12
So auch:
P.
Wendland, Die urchristlichen Literaturformen, Tühingen
I9I2
275
f.
= HNT
I, 3
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gegenüber den Synoptikern deutlicher hervortreten. Der Sohn
eines »Königlichen«, so berichtet die Geschichte, liegt krank in
Kapharnaum. Der Vater
hat
davon gehört, daß Jesus aus
Judäa wieder nach Galiläa gekommen ist.
Er
geht zu Jesus
nach Kana und bittet ihn, mit ihm zu kommen,
um
seinen
Sohn, der todkrank ist, zu heilen. Schon hier erzählt die Ge
schichte umständlicher als die synoptische Fassung. Dort ge
schieht alles in Kapharnaum.
Hier
ist eigens ein Bittgang
des
Mannes hinauf nach Kana in Galiläa notwendig. uf die Bitte
des Mannes sagt Jesus: »Wenn ihr nicht Zeichen
und
Wunder
seht,
so
glaubt ihr nicht «
Es
fällt auf,
daß
sich
das, was Jesus
sagt, gar nicht auf die Bitte des Vaters bezieht. Dieser hatte
gar nicht um ein Beglaubigungszeichen von Jesus gebeten, das
ihm hätte zeigen können, daß Jesus auch vermag,
worum
er
ihn bittet. Außerdem ist das Wort Jesu allgemein gesprochen;
es
gebraucht die zweite Person des Plural, meint also nicht den
»Königlichen« allein. Und doch ist von anderen gar nicht die
Rede. Die Geschichte erzählt
nur
von einem »Königlichen«.
Auch die Fortsetzung in Vers 49, die ein erneutes Wort des
»Königlichen« an Jesus bringt, geht ihrerseits auch nicht auf
das Wort Jesu ein, sondern wiederholt einfach die Bitte von
Vers
7 b. Wir stoßen offenbar auf eine erzählerische Unge
reimtheit, die die Auslegung, die
sich
an den Text hält, nicht
psychologisierend überspielen darf. Durch die Erklärung etwa:
Jesus habe in Vers
8
den Glauben
des
Mannes auf die Probe
stellen wollen und ihn deshalb bewußt schroff angefahren,
doch habe sich der Mann durch diese Schroffheit nicht von sei
ner Bitte abhalten lassen und sie in Vers
9
hartnäckig wieder
holt, geht man über den Text hinaus. Es ist festzustellen: Vers
8 fügt
sich
schlecht an Vers 47
und
ist mit Vers 9 ebenfalls
nicht recht zu verbinden.
Dagegen schließt sich an die Bitte von Vers 9 die Antwort
Jesu von Vers
50
gut an: »Geh, dein Sohn lebt « Dem Befehl
von Vers 50 a folgt die Ausführung »im Glauben« (V 50 b ),
wobei allerdings der nachklappende Relativsatz »das ihm
Jesus gesagt hatte«, aufhorchen läßt, weil er scheinbar unnötig
an
das Wort erinnert, das Jesus eben im gleichen Vers ge-
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sprochen
hat
13
• Dann geht die Geschichte ihren Gang. Vers
begegnen dem Hinabsteigenden seine Diener, die ihm sagen,
daß sein Kind lebe. Der Mann vergewissert
sich
über den Zeit
punkt der Besserung und erfährt die genaue Stunde V p .
Nun
muß er erkennen, daß
es
die gleiche Stunde war, in der
ihm Jesus gesagt hatte, »dein Sohn lebt« V
53).
Das Wunder ist geschehen, sein Eintreten konstatiert. Jetzt
müßte von der Reaktion der Betroffenen die Rede sein. Und
so
geschieht es auch - das Wunder bringt ihn und sein Haus
zum Glauben V 53). Aber war nicht schon in Vers
5
vom
Glauben
des
Mannes die Rede? Kommt er zweimal zum Glau
ben? Oder ist hier
nur
deshalb vom Glauben die Rede, weil
dadurch gesagt sein soll, daß nicht nur er, sondern auch sein
Haus zum Glauben findet? Oder glaubt er hier auf eine andere
Weise als in Vers
so?
Auch hier darf man nicht harmonisieren,
sondern wird später umfassender nach der Absicht des Redak
tors fragen müssen. Zum Schluß wird das Wunderzeichen ge-
zählt.
Es
ist das zweite in Galiläa, das Jesus wirkte, als er von
Judäa
kam V
54).
Wir sind dem Ablauf der Geschichte entlang gegangen. Dabei
stießen
wir
verschiedentlich
auf
Unebenheiten der Erzählung
durch die der Fluß der Geschichte ins Stocken geriet, und der
Ablauf nicht ohne Holpern weiterging. Es handelt sich um die
vergleichsweise komplizierte doppelte Ortsangabe von Vers
46, um das aneinander Vorbeireden von Jesus und dem Bitt
steller in den Versen
47-49
um den unnötig nachklappenden
Relativsatz in Vers 5 b und um die verschiedenen Weisen, in
der die Perikope vom »Glauben« redet VV 48.
50. 53). In
der
Frage nach der Redaktion einer Vorlage wird
es
günstig sein,
gerade diese Stellen genauer zu beachten.
In
Vers 46 fiel
die
doppelte Ortsangabe
auf. Einerseits berich
tet Vers 46 a da von, daß Jesus nach Kana kommt. Anderer
seits wird von dem Sohn des Königlichen gesagt, daß er krank
zu Kapharnaum liegt. Man könnte sagen, die doppelte Orts-
13
Der Codex Sinaiticus und einige syrische Textzeugen empfinden den
Relativsatz als unnötig und formulieren deshalb einfacher:
»Es
glaubte der
Mann dem Worte Jesu.«
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angabe kompliziere die Geschichte nicht, vielmehr diene sie
dazu die
Entfernung
zwischen dem
Wundertäter und dem
Ort
der Heilung
vor
Augen
zu
führen. So werde das
Wunder
stärker
als Fernheilung herausgestellt. Der
Einwand
wäre dann
richtig,
wenn
nicht das
Kana von
Vers 46 a durch einen ange-
hängten
Relativsatz mit
dem
Kana von Jo 2 I - I I verknüpft
würde und
sogar in Vers 46 a eigens Bezug auf das dort ge-
wirkte
Wunder
genommen würde. Die Synoptiker kennen
im
übrigen
nur
einen Ort
der
Geschichte:
Kapharnaum.
Folgen
wir dem Hinweis
von
Vers
46a
auf Jo 2 I-II. In Vers 11
wird
das Weinwunder
von
Kana als
Anfang
der Zeichen ge-
nannt.
Vers
12
führtJesus
mit
seinen Jüngern
und Verwandten
als Gefolge nach Kapharnaum.
Man
würde erwarten daß in
Kapharnaum etwas Entscheidendes geschehe oder gelehrt
werde. Statt dessen wird
nur
gesagt, daß sie ein paar Tage dort
bleiben. Der
kurze
Vers I3
führt
Jesus
sofort hinauf
nach
Jerusalem.
Warum
wird in
Vers
12 überhaupt von Kaphar-
naum
gesprochen? Nichts geschieht
ja
dort.
Ist
s
bloße histori-
sche Reminiszenz?
Dann
dürfte
man wohl
auch
von
Stationen
des Weges nach Jerusalem hinauf erwarten, daß sie erwähnt
würden. Doch das geschieht nicht. Ein
kurzer
Vers genügt für
die achttägige Reise.
Das
Paschafest der Juden steht
vor der
Tür und
Jesus steigt
hinauf
nach Jerusalem.
Daß
das eine
stereotype Floskel ist, erweist die Wiederholung in J o 5,1;
7,10. Die Floskel dient dazu, den Schauplatz zu wechseln, und
die Vermutung liegt nahe,
daß
Vers
1
3
in
ein
in Galiläa
spie-
lendes Geschehen eingreift, um den ganzen
Komplex der Jeru-
salemreise unterzubringen. Vers 3
wäre
nach dieser
Ver-
mutung
nicht die alte Fortsetzung
von
Vers
I2
gewesen,
sondern
hätte
etwas, was in
Kapharnaum
geschehen
war ab-
geschnitten
und
die Jerusalemreise eingeschoben.
Dann
fällt
s
nicht schwer, Jo
4 46b
an 2 12 anzuschließen. Dann
wäre
ge-
mäß Jo
2 1 2 Jesus
von Kana
nach
Kapharnaum
gegangen und
hätte dort das Wunder der Heilung an dem Sohn des König-
lichen vollbracht.
Kapharnaum
wird ja auch in
der
heutigen
Fassung noch
erwähnt
Jo 4,46b),
und
auch die
Synoptiker
siedeln die Geschichte
in Kapharnaum
an. Der
Redaktor ä t ~
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demnach nach der Jerusalemreise Jesus wieder nach Kana zu
rückkehren lassen, nicht etwa um das Motiv der Fernheilung
zu unterstreichen, sondern um d s Wunder der Heilung dem
Weinwunder von Kana deutlicher beizuordnen
Für ihn war
ja auch durch die Konzeption seiner Jerusalemreise Kana
zum Ausgangspunkt geworden und Kapharnaum von Jo
2 13
nur zu einer Station auf dem Weg nach Jerusalem ohne
eigene Bedeutung. Jesus kehrt nach der Konzeption des Re
daktors an den Ausgangspunkt seiner J erusalemreise zurück -
nach Kana in Galiläa. In der Vorlage der Perikope von der
Heilung des Sohnes des »Königlichen«
wird
darum Kaphar
naum wie bei den Synoptikern der Schauplatz der Heilungs
geschichte gewesen sein. Wir dürfen darum in allen Hinweisen
innerhalb der Geschichte auf die Jerusalemreise und die Rück
kehr redaktionelle Eintragungen sehen, die die Aufgabe haben,
die Geschichte mit dem heutigen Zusammenhang zu ver
knüpfen.
Die Geschichte begann in der Vorlage also wohl mit Jo
2 12
woran sich
Jo
4,46b anschließt. Auch
hört
in Jo 4.47 der Mann
nicht davon, daß Jesus von Judäa nach Galiläa gekommen sei
sondern von Kana nach Kapharnaum. So nimmt die Zeitan
gabe »gestern« von Vers 52 Rücksicht auf die neue Entfernung;
ursprünglich dürfte nur von der siebten Stunde gesprochen
worden sein. Aus demselben Grund wird wohl in der Vorlage
in den Versen 47, 49) und 51 statt des »Heruntersteigen« ein
anderes Verb gebraucht worden sein. Das »Heruntersteigen«
setzt
ja
einen Abstieg des Mannes aus dem im galiläischen
Hügelland gelegenen Kana zu dem am See Genezareth liegen
den Kapharnaum voraus. Sollte das Wunder schon in der Vor
lage gezählt worden sein, wäre es als »Zweites Zeichen« ein
gereiht worden. Doch ist
es
auch möglich,
daß
die Zählung als
»Zeichen« auf den Redaktor zurückgeht, der durch die Be-
nennung einer Wundergeschichte als
>>Zeichen«
sie schon inter
pretieren will. Eine einwandfreie Entscheidung wird sich je
doch nicht treffen lassen. Immerhin bleibt festzustellen, daß
der Redaktor schon am Beginn der Geschichte eingegriffen hat,
indem er sie in einen neuen Zusammenhang einordnet.
68
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Vers 48 fügt
sich
schwer in den Ablauf der Geschichte ein. Auf
die Bitte des Mannes um die Heilung seines Sohnes gibt Jesus
erst eine grundsätzliche Erklärung ab, die aber den Mann in
seiner Bitte nicht abhalten kann. Sieht man in Vers
48
eine
redaktionelle Einfügung, geht ohne sie der Ablauf der Ge
schichte glatter voran.
Der
Mann bittet Jesus um die Heilung
seines Sohnes, und Jesus antwortet darauf (Vers 5oa): »Geh
hin, dein Sohn lebt «
Für
den redaktionellen Charakter von
Vers 48 a spricht aber
vor
allem die Aufnahme eines typisch
johanneischen Gedankens. Vers 48 kritisiert einen Glauben,
der
sich
auf
sichtbare Zeichen und Wunder stützt. Eine Paral
lele zu diesem Vers findet sich bis in die Formulierung hinein
in der Thomasgeschichte (Jo 20,24-29), in der das Thema von
Glauben und Sehen durchgeführt wird
14
• Diese Beobachtungen
zeigen,
daß
es sich in Vers
48
um einen Einschub des Redaktors
handelt
15
•
Dann
aber muß man auch
Vers 49
auf den Redaktor zurück
führen, denn der Vers hat ja
nur
die Aufgabe, den durch
Vers48 aufgehaltenenAblauf der Geschichte durch Wiederauf
nahme der schon in Vers
47
erwähnten Bitte weiterzuführen.
Bei
Vers
50 ist es schwieriger zwischen Redaktion und Vorlage
zu scheiden. Auf die Bitte des Mannes mußte auch in der Vor
lage eine Reaktion J esu folgen. Darum darf man von Vers 5o a
annehmen, daß er
so
oder ähnlich schon in der Vorlage stand.
Man muß sich allerdings fragen, ob nicht etwa das in Vers 50 a
verwendete (leben) aus der Vorliebe des Johannes für die
durch diese Wortfamilie angesprochenen Vorstellungen zu er
klären ist
16
, und ursprünglich ein anderes Wort, ähnlich etwa
14
Man vergleiche das Wort
des
Thomas von
Jo 20,25
mit Jo 4,48.
Jo
20,25: Utv
J.TJ l:öro
..• o'Ö J.TJ mcr·n:ucrro
Jo
4,48: Utv
J.TJ
Lörp:E
..•
o'Ö
J.TJ
mcrnucrrrrc
Die Parallele geht bis in die grammatikalische Struktur (o'Ö J.lJ mit Kon
junktiv, vierzehnmal bei Johannes, mit Futur dreimal). Siehe dazu:
E
A
Abbat Joannine Grammar, London 1906, Nr. 2255
15
Vgl. auch das bei Johannes etwa 195mal vorkommende o:Ov,
E
A. Ab-
bot ebd., Nr.
2191
1
6
Zu
~ j v
bei Johannes siehe F
Mußner
ZQH, Die Anschauung vom
,.Leben« im vierten Evangelium, München 1952, 49 f. = Münchener Theo·
logische Studien
I
5)
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wie Mt 8,r 3 b, in der Vorlage stand. Das Wort wird zudem
zweimal wiederholt, durch die Diener Vers
5
r) und in der
Reflexion des Mannes auf die Stunde der Heilung Vers
53).
Wenn das Wort in der Vorlage stand,
war
es
dem Johannes
redaktor sehr willkommen. Wenn es nicht dort stand, mußte
an seiner Stelle etwas Entsprechendes stehen.
Dagegen ist in Vers 50 b die Redaktion klarer zu erkennen.
J ohannes liebt es »auf Früheres zu verweisen<<
17
• So ist der
Relativsatz »das Jesus zu ihm gesprochen hatte<< als johannei
scher Stil erkennbar. Vom Inhaltlichen her kommt hinzu, daß
der Glaube an das Wort Jesu ein Gedanke ist, den Johannes
auch sonst kennt
18
• Das aber scheint darauf hinzuweisen, daß
Vers 5o b der Redaktion zuzuweisen ist. Sie trägt das Moment
des ausdrücklichen Glaubens an das
ort
J esu in die Vorlage
ein. Zwar mag auch da schon von einem »er glaubte<< die Rede
gewesen sein, doch hätte es die Vorlage dann eher im Sinn von
Zutrauen als im Sinn von ausdrücklichem Glauben verstanden,
denn vom Glauben des Mannes wird ja erst eigentlich in Vers
53 b gesprochen. Die Vorlage will nicht den Glauben des Man
nes
vor
dem Wunder zeigen. Vielmehr soll das Weggehen
des
Mannes Vers 50 b) das folgende Feststellungsverfahren er
möglichen. Dieses erst führt in der Vorlage den Mann und sein
Haus zum Glauben Vers
53).
Er geht nicht weg, weil er auf
Jesu
Wort
vertraute, sondern weil er
sich
vergewissern wollte,
ob denn auch der Erfolg eingetreten sei.
Die Vorlage
Hebt
man die redaktionellen Einschübe und Veränderungen
von der Vorlage ab, beginnt diese
sich
abzuzeichnen.
Im
Ver-
17
R. Bultmann Johannesevangelium, 151. Vgl. Jo 1,30; 2,22; 6,65; 13,33;
15,20; 16,15; 18,9).
18
Vgl. vor allem
Jo 2,22;
dort ist auch der angehängte,
auf
das Wort Jesu
verweisende Relativsatz zu finden.
Jo 4,50
b: btlcr,;EucrEv
ö v ~ e w n o ~ ,;i J Mycp,
öv
EL:n:Ev a1hi J ö 1 J c r o Ü ~
Jo 2,22: E:n:tcr,;wcrav ,;i J A6yi J, Öv d:n:Ev • ö l l ] G O Ü ~
Ahnlieh Jo 4,41; 5,47; q 2o.
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gleich zu den Synoptikern ist der Schluß der Geschichte stark
ausgebaut. Zwar erwähnt auch Mt 8 13 die »Stunde« der Hei-
lung doch geht der Glaube
des
Mannes voraus und am Ende
ist nicht mehr davon die Rede. Matthäus legt keinen Akzent
darauf den Zeitpunkt des Heilungsbefehls Jesu mit der Zeit
der Heilung zusammenfallen zu lassen. Die Johannesvorlage
hingegen hält es für richtig ein regelrechtes Feststellungsver
fahren vorzuführen: Diener begegnen dem von Jesus kom
menden Mann mit der Botschaft. Er fragt sie nach dem ge
nauen Zeitpunkt der Heilung. Die Uhrzeit wird angegeben -
es
war
die siebte Stunde; die Symptome der Heilung werden
genannt - da verließ ihn das Fieber. Eigens wird herausge
stellt: er Mann erkennt - es
war
dieselbe Stunde in der
Jesus den Heilungsbefehl gab. Das Wunder ist festgestellt -
jetzt kommt der Mann zum Glauben. Die Beachtung der er
zählerischen Akzente führt uns in ein anderes Klima als das
der Synoptiker. ort
war
die Heilung nur nebenbei berichtet
dort war
man nicht daran interessiert die genaue Stunde fest
zustellen. Das Gewicht der Erzählung lag auf den Worten des
Centurio und den Worten Jesu. Die Akzentverlagerung zeigt
uns das eigentliche Interesse der Johannesvorlage.
s richtet
sich auf
das
under und
nicht
auf
das Wort
Darum fehlt auch
in ihr ein der synoptischen Fassung vergleichbares Glaubens
wort
des Mannes. Dagegen
wird
die Größe des Wunders be
tont das den »Königlichen« und sein Haus zum Glauben
bringt.
Die Geschichte
hatte
in der Vorlage des Johannes etwa folgen
des Aussehen:
Sie erzählte von einem »Königlichen« in Kapharnaum dessen
Sohn schwer erkankt war.
Er
hört davon daß Jesus si h in
Kapharnaum befindet geht zu ihm und bittet ihn mitzu
kommen und seinen Sohn zu heilen. Jesus der es nicht nötig
hat zur Heilung eigens mit dem Mann nach Hause zu gehen
spricht ein Heilungswort und der Mann geht nach Hause.
Unterwegs begegnen ihm Diener die ihm schon die Heilung
des Sohnes melden.
Er
forscht genau nach und erfährt daß das
Wunder
zur
gleichen Stunde eingetreten ist in der Jesus das
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Heilungswort aussprach. Die Größe
des
Wunders überwältigt
den Mann und er kommt zusammen mit seiner Familie zum
Glauben.
Vers 54
zählt die Geschichte als zweites Zeichen. Das
läßt
ver
muten, daß die Geschichte schon in der Vorlage Teil eines grö-
ßeren Zusammenhangs war
19
•
Auch Matthäus
und
Lukas
kannten die Geschichte als Teil einer zusammenhängenden
Quelle Logienquelle)
20
•
Die Fassung der Geschichte in die
19
Aus der Tatsache der Zählung verschiedener Wunder als »Zeichen« so
wie aufgrund sprachlicher Beobachtungen an
diesen Wundergeschichten,
nimmt Bultmann Johannesevangelium,
78
f.) die Existenz einer Sammlung
von Wundergeschichten an, die Johannes als Quelle benutzt hat. Er nennt,
A. aure
folgend, diese Quelle
O l]f.LELil-Quelle.
Sollte es diese Quelle ge
gehen haben,
so
mag die Bezeichnung Sämeiaquelle nicht allzu günstig er
scheinen, da die Bezeichnung eines Wunders als O l]f.LEtov schon eine Inter
pretation des Wunders darstellt.
Diese Interpretation könnte johanneisch sein, zumindest gebraucht Johan
nes das
Wort
zur Bezeichnung des Wunders auch in redaktionellen Teilen
vgl. etwa Jo 6 26 in positivem Sinn, Jo 4,48 in negativem Sinn). Ob die
Quelle schon von
~ e i c h e n «
sprach,
läßt
sich
nicht sicher entscheiden; zu
dem ist die Zählung nicht konsequent durchgeführt. Man sollte vielleicht
besser von
»Wunder«-Quelle sprechen und sich des hypothetischen Charak
ters einer solchen Quelle in der Gestalt einer Sammlung von Wunder
geschichten bewußt bleiben. Daß Johannes Wundergeschichten - auch
solche, die die Synoptiker nicht kennen - als Vorlage benutzt hat, steht
außer Frage, da
sich
Redaktion und Vorlage im allgemeinen gut vonein
ander unterscheiden lassen. Die Frage ist eben nur, ob diese ihm als Einzel
traditionen zukamen oder aber in einer Sammlung. Ein wesentlicher Unter
schied für die Behandlung der Perikope ergibt
sich
aus der Frage, ob Samm
lung oder Einzelperikope vorlag, nicht, denn allen Wundergeschichten des
Johannes ist
es
gemeinsam, daß die Wunderzüge wesentlich massiver sind
und
die Gefahr besteht,
daß
das Wunder um
des
Wunders willen erzählt
wird. Wir gehen im folgenden von der Annahme der Existenz einer solchen
Wunderquelle aus. Neuerdings hat
R. T. Fortna
eine interessante Rekon
struktion versucht, indem er über die Wundergeschichten hinaus die vor
johanneische Existenz eines ganzen »Zeichenevangeliums« annimmt, das
von Johannes als Quelle benutzt worden sei. Allerdings fangen die Schwie
rigkeiten erst dann richtig an, wenn man über die Wundergeschichten hin
aus noch anderen Stoff Passionsgeschichte
)
dieser Quelle zuschlagen will.
Vgl.
R.
T
Fortna
The Gospel of Signs, Cambridge 1970 = SNTS Mono
graph Series
rr
2
Die Frage, ob die Aufnahme von Erzählstoff in die Logienquelle ihrer
seits schon wieder ein Spätstadium dieser Quelle darstellte, und ob man
zwischen einer nur Logienstoff aneinanderreihenden Q-Quelle und einem
gewisse erzählende Stoffe aufnehmenden Zweitstadium von Q unter
scheiden kann, ist von unserer Perikope aus nicht
zu
entscheiden.
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Logienquelle ist offensichtlich älter als die Fassung der Vorlage
des Johannes. Für die synoptische Vorlage ist nämlich das Ver-
hältnis Heiden/Juden konstitutiv. Dahinter steht eine Kirche,
für die dieses Verhältnis noch ein Problem ist. Für die Fassung
der Geschichte in der Wunderquelle des Johannes jedoch exi-
stiert dieses Problem nicht mehr. Aus dem heidnischen Cen-
turio der synoptischen Fassung ist ein unbestimmter »König-
licher« geworden, von dem mindestens der unbefangene Leser
nicht mehr wissen kann, ob es sich um einen Heiden oder
Juden handelt. Sie spiegelt also das Bild einer Kirche, die die-
sem Problem bereits entwachsen ist.
Es
gibt also
kaum
Be-
rührungspunkte beider Vorlagen. Eher ist schon anzunehmen,
daß die Johannesvorlage von Matthäus oder Lukas abhängig
ist, ohne daß jedoch diese Abhängigkeit literarisch vermittelt
sein muß. Man könnte vermuten, daß die Vorlage des Johan-
nes dem mündlichen Vortrag der synoptischen Perikope evtl.
im Gottesdienst) frei nachgebildet wurde. Wenn
sie das Glau-
benswort der synoptischen Fassung ausläßt, wirft das ein be-
zeichnendes Licht auf das Milieu, in dem die Geschichte von
der Heilung des Sohnes des
Königlichen weiter überliefert
wurde.
· ie theologischen kzente
»So einen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden.« Logienquelle)
Die Wandlung
des
Textes von seinen Vorlagen bis zu seinen
Endredaktionen läßt ein vielfältiges Spektrum verschiedener
theologischer Aussagerichtungen aufleuchten. Die Auslegung
hat
zu versuchen, diese voneinander zu unterscheiden. Selbst
wenn diese Auslegung, was die rekonstruierten Vorlagen an-
geht, immer nur Vermutung bleiben wird, tritt die Aussage-
absicht der Endredaktionen deutlicher hervor.
er
Analyse folgend
läßt sich
für die älteste Fassung
des
Tex-
tes in der Logienquelle folgendes vermuten: Die Logienquelle
7
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überlieferte die Geschichte, weil alles in ihr
auf
die Wichtig
keit der Worte des Centurio und der Worte Jesu hinzielte.
Sie beginnt wie eine gewöhnliche Heilungsgeschichte: Ein heid
nischer
Hauptmann
tritt
in Kapharnaum
an
Jesus heran mit
der Bitte, sein todkrankes Kind zu heilen. Doch das ist nur
Exposition, die als Anlaß
dafür
dient, daß die Worte des Man
nes schon
vor
dem Wunder einen tiefen Glauben an das Ver
mögen Jesu offenbaren. Denn als Jesus zur Heilung bereit ist,
wird
er von dem Mann aufgehalten, weil dieser sich als Heide
nicht würdig fühlt, daß Jesus sein
Haus
betritt. Er weiß, daß
das auch nicht nötig ist, denn wie seiner eigenen Befehlsgewalt
Knechte und
Soldaten unterstellt sind, weiß er die Krankheit
seines Sohnes der Mächtigkeit des Wortes Jesu unterstellt. Sein
Glaube an Jesu Befehlsgewalt über die Krankheit ist absolut,
ist ein festes Wissen um ein Ordnungssystem, in dem
Krank-
heit und Unheil der Macht eines anderen unterstehen. Diese
Ordnung ist so selbstverständlich für ihn, wie es das Ord-
nungsgefüge ist, in dem er selber steht und dessen reibungs
loses Funktionieren er täglich erfährt.
Dieser Glaube des Hei-
den ist das eigentliche
under
der Geschichte Solche Sicherheit
des Sich-nicht-irren-könnens ist unter Menschen entweder
Zeichen unendlicher
Naivität und
Torheit oder aber schauer
licher
Irrtum.
Wenn diese
Haltung
aber hier als Glaube ge-
zeigt wird, spricht
sich
darin aus, was die Logienquelle unter
J esus verstand. Die Gemeinden der Logienquelle sprechen im
Glaubenswort des Hauptmanns ihre Überzeugung von der
absoluten Relevanz Jesu für sich selber und ihre Erfahrungen
der eindeutigen Hoheitsstellung Jesu aus. Jesus ist der, der
befiehlt, dessen Befehlswort die Macht der Krankheit gehorcht.
Er
ist der Herr
auf
dessen Herrenturn in Eindeutigkeit und
Sicherheit vertraut werden kann.
Er
ist
es
durch sein Wort;
Er ist es auch dann, wenn seine körperliche Anwesenheit nicht
gegeben ist Hier stehen
wir vor
dem Selbstverständnis der
Gemeinden dieser Quelle, die gerade die Worte ihres Herrn
weiter überliefert. Für sie und ihren Glauben haben diese
Worte weiterhin Relevanz, auch dann, wenn der Herr nicht
mehr leibhaftig unter der Schar seiner Jünger weilt. In der
7
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Autorität und Wirkkraft seines Wortes weiß ihn die Gemeinde
doch gegenwärtig und erfährt
si h
durch ihn betroffen.
Der Glaube, der das mit Sicherheit weiß, ist der Glaube eines
Heiden und »bei keinem in Israel hat Jesus solchen Glauben
gefunden.« Eine Gemeinde, die
so
spricht, weiß sich schon
nicht mehr diesem Israel zugehörig, sondern in den Herr-
schaftsbereich dessen gestellt, an den
sie
mit solcher Sicherheit
glaubt. Der Unterschied zu Israel, von dem in dem Wort Jesu
gesprochen wird, ist der, daß der Glaube si h auf nichts ande
res stützt, als auf J esu Wort und nichts anderes weiß als seine
Gegenwart durch sein Herrsein. Was der Glaube vorwegge
nommen hat, wird schließlich gewährt. Nicht die Bitte nach
Heilung ist das Maß des Wunders, sondern der Glaube: »Wie
du geglaubt hast,
so
soll dir geschehen.« Jesus wendet
si h
mit
diesem Wort nicht direkt an die Krankheit, sondern macht
damit den Glauben zum Vermittler
des
Befehls. Und nichts
anderes kann folgen als der Erfolg - die Heilung des Kindes.
Doch sie wird
nur
nebenbei noch erwähnt, auch der bei Wun
dergeschichten zu erwartende Chorschluß fehlt. Alles Ent
scheidende ist schon gesagt.
Der Hauptmann Stammvater im Glauben der Heidenchristen
Matthäus)
Durch den Glauben an Jesus als den Herrn weiß si h die Ge
meinde der Logienquelle von Israel geschieden. atthäus
braucht diese Linie in den Versen 1 1 1 2 nur weiter auszu
ziehen. Er kann das mit Worten der Logienquelle selber tun.
Hinter den Worten steht die Erfahrung, daß aus Ost und West
Menschen kommen, die in diesen Glauben eintreten.
Und
sie
werden mit den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob, auf die
Israel si h beruft, zusammen die eschatologische Tischgemein
schaft im endgültig aufgerichteten Herrschaftsraum Gottes er
fahren dürfen.
Darauf
gibt es kein Anrecht, und man kann es
nicht erwerben, auch wenn man zu den »Söhnen des Reiches«
gehört.
Der
Glaube an Jesus vollzieht die eschatologische
75
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Scheidung, er gewährt den Platz bei den
Erzvätern
und be-
gründet das wahre Israel.
Durch das von Matthäus angefügte Logion (Verse I I - I 2 wird
die Geschichte von dem beispielhaften Glauben eines Heiden
aus dem einmalig zufälligen Geschehen in eine Allgemein-
gültigkeit hineingehoben, die in der Logienquelle noch nicht zu
erkennen ist. Hatte dort die Geschichte noch die Aufgabe, den
judenchristliehen Leser durch den großen Glauben des Heiden
zur »Eifersucht« zu reizen, um ihn so aufzufordern, selbst
in
den großen Glauben, für den dieser Heide stand, einzutreten,
so
wird
bei Matthäus der glaubende
Heide
zu
einem der vielen
von Ost und West Kommenden, die durch den Glauben im
Unterschied zum ungläubig bleibenden Israel Anteil an der
eschatologischen Tischgemeinschaft gewinnen. So wird der
Centurio bei Matthäus gewissermaßen
zum Stammvater im
Glauben der Heidenchristen Dahinter
stehen natürlich die
Missionserfahrungen des Matthäus.
Das
Christentum
hat
sich
schon aus dem Schoß des Judentums entfernt. Zur Vorbedin-
gung für die eschatologische Gemeinschaft mit den
Erzvätern
gehört nicht mehr die Zugehörigkeit
zu
einem bestimmten
Volk, sondern der Glaube an Jesus als den Herrn. Der Heils-
universalismus der Propheten wird wieder aufgenommen.
Gottes Heil dringt bis an die Enden der Erde.
Der
Centurio
ist
zu
einem der ersten in
der
Völkerprozession geworden, die
sich im Glauben an Jesus
zur
eschatologischen Gemeinschaft
auf den Weg gemacht hat. So fügt sid unsere Perikope gut
in
matthäisehe Gedanken ein. Die Kirche des Matthäus ist schon
eine Kirche, die durch die Mission erfahren hat,
daß
nicht
fleischliche Geburt oder ererbtes Recht (vgl. Mt 8,12 ) Anteil
an
der eschatologischen Gemeinschaft gibt, sondern der Glaube,
für
den der Centurio als Beispiel
angeführt
ist.
Im
Lichte des
Alten Testaments wird die von der Kirche des Matthäus ge-
triebene Mission an den Heidenvölkern durchreflektiert, und
es wird erkannt, wie
sich
aus den Heiden ein neues Volk
auf
den Weg macht, um den neugeborenen König der
Juden
zu
suchen
Mt
2,2). Die Kirche weiß sich durch ihren auferstan-
denen Herrn
zu
der Mission gesandt; sie soll alle Völker zu
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Jüngern dieses Herrn machen. Insofern sie Mission treibt, sieht
sie sich als den Bereich, in dem das Verheißungswort ihres
Herrn anläßlich des Glaubens des Centurio (Mt 8 rr sich zu
verwirklichen beginnt
21
•
Doch der Heilsuniversalismus
des
Matthäus, der hier zur
Sprache kommt,
hat
auch eine andere Seite. Denn durch die
Mission erfährt die Gemeinde sich zwar als eine Gemeinschaft:,
in der sich die Universalistischen Verheißungen des Alten Te
stamentes erfüllen. Gleichzeitig aber macht sie die Erfahrung,
daß
sich die »Söhne des Reiches« ihrer Botschaft: verschließen.
Insofern
sie sich
als die Gemeinschaft: erfährt, innerhalb derer
die Verheißungen der Propheten vollstreckt werden (»viele
werden von Ost
und
West kommen «), erfährt sie auch die
Gemeinschaft: der Söhne des Reiches als eine solche, die sich der
Vollstreckung des durch die Propheten verheißenen Gottes
willens widersetzt. Daher kann
es
geschehen, daß die Ver
heißung, welche die von
Ost
und West Kommenden zur Ge
meinschaft: mit Abraham, Isaak und Jakob bringt, gleichzeitig
zum drohenden Gerichtswort über die >>Söhne
des
Reiches«
wird. Sie, die in Gemeinschaft: mit den Erzvätern ist, sieht sich
aufgrund der Verheißung als deren Söhne eingesetzt. Sie ist
das wahre Israel durch den Glauben an Jesus als den Herrn.
Dem Israel, das sich diesem Herrn widersetzt, droht die Ent
fernung von seinen angestammten Plätzen und das Gericht
22
•
Natürlich steht hinter diesen theologischen Gedankengängen
des Matthäus noch das Wissen um die Ablehnung Jesu durch
das Kreuz, aber ebenso auch die eigene Missionserfahrung, die
die christliche Gemeinde aus dem Bereich Israels gegen dessen
Widerstand durch den Befehl
des auferstandenen
Herrn
her
ausführt.
Der
Universalismus des Matthäus ist die bewußte
Entfaltung der Glaubenseinsicht,daß die vonJesus verkündete
Herrschaft: Gottes sich schon in seiner Person und seinem Ge
schick ereignete und nun unaufhaltsam ihrer Vollendung ent-
21
Zum Heilsuniversalismus des Matthäus vgl.
W. Trilling
Das wahre
Israel, München
3
1964, 124-142 ( StANT X)
22
Zu dem Problem, daß durch die Aufrichtung des »Wahren Israels« das
Gericht über Israel geschieht, vgl. W. Trilling, ebd.,
75-96
77
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gegengeht. Das drohende Gerichtswort über das si h dem
Glauben versagende Israel bildet den Hintergrund, auf dem
die Freude über die eigene Auserwählung als »wahres Israel«
um so sichtbarer wird.
Doch das Gerichtswort ist nicht der Abschluß der Perikope,
denn Matthäus
hat
die Verse
so
eingefügt, daß nach dem dro
henden Gerichtswort noch einmal das Thema des Glaubens
aufgenommen wird. »Wie du geglaubt hast, soll dir
ges he-
hen«, wird zu dem Centurio gesagt. Das aber bleibt ständiges
Angebot.
Der Hauptmann
Vorbild von Demut
und
starkem Glauben
Lukas)
Weiß man si h als wahres Israel, besteht die Gefahr, daß man
den Glauben, der die Scheidung brachte, als eigenen Vorzug
versteht
und
auf die herabschaut, die den Glauben nicht oder
nicht
so
haben. Das ist die Gefahr einer Kirche, der das Neu
heitserlebnis im Alltag
des
Gewohnten zu versinken droht,
und die das Geschenktsein solchen Glaubens als Besitz mißzu
verstehen si h
anschickt.
Hinter
der
ukasfassung
der Peri
kope dürfen wir sol he Erfahrungen vermuten. Bei Lukas wird
der Abstand zwischen Jesus
und
dem Centurio größer.
Er
kommt nicht selbst mit seiner Bitte zu Jesus, sondern schickt
Gesandte. Sie bringen seine Verdienste vor, und nach ihrem
Urteil ist er der Gewährung der Bitte würdig. Dochtrotz der
großen Verdienste, trotz der Achtung, die ihm die anderen
entgegenbringen, weiß er
si h
nicht würdig, selber zu ]esus zu
kommen. Die doppelte Gesandtschaft ist darstellerisches Mit
tel, durch das Lukas die
emut
des
Mannes zur Anschauung
bringen will.
Er
ist leuchtendes Vorbild geworden, dem der
Christ nacheifern soll. Er kümmert si h um seinen Sklaven und
. schätzt si h angesichts der Hoheit Jesu selber als gering ein.
Daran
ändert auch die Fremdbeurteilung nichts.
In
seiner
Selbsteinschätzung weiß er si h des Gebers wie der Gabe un
würdig. Seine Demut steht in Verbindung mit festem, ver-
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trauensvollen Glauben. Wenn sich bei Lukas Jesus nicht mehr
über das große Glaubenswort
des
Mannes verwundert, son
dern sein Staunen dem Manne selber gilt, bezeichnet das sehr
gut die Veränderungen der Perspektive der Geschichte, die bei
Lukas vonstatten geht. Alles konzentriert
sich
auf die Vor
bildhaftigkeit
des
Mannes.
In
treuer Sorge um seinen Sklaven,
in tiefer Demut vor der Hoheit Jesu und in festem Glauben
an
die Wirkungsmacht des Wortes J esu wird er zu erstrebens-
werten Vorbild dem nachzueifern Lukas seiner Kirche emp
fehlen will.
Wir
erkennen hier gut lukanische Grundzüge wieder. Beson
ders in der Empfehlung der Demut und Kleinheit als christ
liche Tugenden können
wir
ihn erkennen vgl. Lk
I,38·43·
46-53; 2 p ; r8,9-14 . Er stellt ihn somit seinem heiden
christlichen Leser als das Beispiel einer »Anima naturaliter
christiana« vor. Dem Leser soll dadurch gesagt sein, daß das
Humanum des Heiden nur des Glaubens bedarf, um zum
Herrn
zu kommen. Einen solchen Mann hätte Lukas gern in
seiner Gemeinde gesehen. o soll der Christ sein - die ihm
Untergebenen brüderlich hochschätzend, Almosen schenkend
und
Gutes tuend, doch alles in Demut
und
starkem Glauben.
Das mächtige Wunder der Fernheilung Vorlage
des
Johannes)
Die traditionsgeschichtliche Fragestellung nach der
Vorlage des
fohannes hatte uns dazu geführt, bei der Johannesfassung der
Geschichte die redaktionellen Veränderungen bzw. Einfügun
gen von der Vorlage abzuheben. Wir hatten unter der Johan
nesfassung eine Geschichte vermutet, die trotz einiger An
klänge an die synoptische Fassung, die zeigen, daß sie dasselbe
Ereignis erzählen will, eine Geschichte völlig eigenen Typs
darstellt.
Der
Hauptunterschied zwischen dieser Vorlage
und
der synoptischen Fassung besteht darin, daß bei den Synop
tikern die eigentliche Wundergeschichte ganz an den Rand ge
drückt
wird
und
nur
noch einen Rahmen für die wichtigen
Worte darstellt. Hier hingegen ist das Wort fast verschwun-
79
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den.
Der
Dialog zwischen Jesus und dem Vater
hat
nur noch
die Aufgabe, die Geschichte in Gang
zu
halten
und das
stark
ausgeführte Feststellungsverfahren
zu
ermöglichen. Die Ge
schichte will erzählen, wie der Mann die Heilung seines Sohnes
als Wunder erkennt. Sie sieht Jesus als den großen, mächtigen
Wundertäter der sogar aus der Entfernung, ohne selber den
Kranken überhaupt
zu Gesicht zu bekommen, heilen kann.
Der
große theologische Atem der synoptischen Vorlage ist
nicht mehr
zu
spüren. Sie ist interessiert
an
den die normalen
menschlichen Fähigkeiten, ja sogar die Fähigkeiten etwa ver
gleichbarer Wundertäter übertreffenden Wunderkräften Jesu.
Sie
führt
die Wunderkraft Jesu durch das Feststellungsverfah
ren vor. Wenn man solchen Fähigkeiten begegnet,
dann
bleibt
wirklich nichts mehr übrig als zu glauben.
Während in der synoptischen Fassung das
Wort
des Haupt-
manns seinen Glauben schon
vor
dem Wunder herausstellt,
folgt hier der Glaube auf die Erkenntnis des Wunders. Sogar
einen Hinweis
auf
die relativ späten Gemeinden,
in
denen die
Geschichte
so
erzählt wurde, können
wir
entdecken, wenn vom
Glauben des Mannes mit Worten der Missionsterminologie
gesprochen wird. Es ist schon eine Zeit der Kirche,
in
der man
mit
seinem gesamten Haus glaubt, d. h.
zum
Christentum
übertritt bzw. in die Kirche eintritt
23
• Die Kirche kann sich
werbend
für
diesen Eintritt einsetzen.
Denn
sie kann
auf
die
überragenden Wunderkräfte ihres Herrn hinweisen.
Ein
Mis-
sionar, der einen
so
gewaltigen und wundermächtigen Herrn
verkündet,
wird
in der Antike gewiß viele Anhänger finden,
zumal wenn der Wundertäter diese Taten wirkte, um
zu
heilen
und
einem Vater seinen kranken Sohn wieder gesund
zu
ma
chen. Das
um
so
mehr, wenn er durch eine Sammlung solcher
Wundergeschichten
darauf
hinweisen kann,
daß
das nicht ein
Einzelfall gewesen sei, sondern nur eines von vielen Zeichen,
ja wenn man alle hätte aufschreiben wollen, dann hätte wohl
die Welt nicht ausgereicht, um alle Bücher
zu
fassen Jo 21,25).
Diese Theologie entbehrt
des
Tiefgangs, den die synoptische
Fassung hatte. Ja
sie wird
sogar in der Massivität, wie sie Jesus
23
Vgl. Apg
n r4;
x6 rs.Jr; x8 8; I Kor r,r6.
So
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einseitig als Wundertäter verkündet, und in ihrer werbenden
Absicht gefährlich.
Man wird, wenn man in der Wunderquelle des Johannes eine
Sammlung nur solcher Wundergeschichten vermutet, weiter
sagen dürfen: Sie steht in der Gefahr, Jesus unter die allgemein
üblichen Wundertäter der Antike einzureihen und damit seinen
einmaligen Anspruch in der Vielfalt antiken Religionswesens
und
Heilslehrenbetriebs aufgehen zu lassen. Aus Jesus, dem
absoluten Herrn, wird ein etwas besserer Apollonius von
Tyana. Die Verbindung mit dem Kerygma von Tod
und
Auf-
erstehung
wird
aufgelöst. Aus dem Evangelium von Jesus
Christus wird Kunde von einem Wundermann. Leicht besteht
dann die Gefahr, in doketischer Weise zu vergessen, daß der
Sohn Gottes Jesus von
Nazareth
ist, oder, johanneisch ausge-
drückt, daß der Logos Fleisch geworden ist und nicht als
» Theios anär«, als Halbgott, unter die bekannten religions-
geschichtlichen Phänomene eingereiht werden darf. Auch wenn
man
sagen muß,
daß
das zuletzt über die Wunderquelle Ge-
sagte nur Vermutung ist wir wissen ja nicht, wie
sie
in vollem
Umfang ausgesehen haben
mag
ist doch an unserer konkret
vorliegenden Geschichte die Tendenz erkennbar. Zumindest
aber wird man sagen müssen, daß sie das Wundersame un-
gleich stärker herausstellt, als die Synoptiker
es
taten und statt
den Glauben
vor
dem Wunder zu beschreiben, ihn nach dem
Wunder erst erfolgen läßt.
»Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, glaubt ihr nicht.«
Johannes)
Die Eintragungen
des ]ohannesevangelisten
zeigen schließlich,
daß
die Gefährlichkeit der Geschichte nicht
nur
von uns emp-
funden wird, sondern schon dem Evangelisten auffiel. Sie er-
weisen sich nämlich als
Korrekturen an der Vorlage
Sie be-
urteilen sie kritisch und dienen nicht etwa dazu, schon vor-
handene Linien weiter auszuziehen oder Vorhandenes nur zu
akzentuieren. Gerade Vers 48 macht das deutlich.
Er
über-
nimmt nicht eine Funktion im Ablauf der Geschichte: Jesu
8
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Anrede richtet sich nicht an den mit der Heilungsbitte heran-
tretenden Vater, sondern spricht in der, den Leser umfassen-
den Anredeform der zweiten Person Plural: Ihr
Der Satz
ist
eine klare
Kritik
an dem durch die alte Wundergeschichte ver-
tretenen Glaubensbegriff. Ein Glaube, der sich ausschließlich
auf äußerlich sichtbare Wunder und Zeichen stützt,
wird
zu-
rückgewiesen.
Der
Mensch will sich bevor er glaubt, verge-
wissern. Wenn er nicht
zuvor
sieht, will er nicht glauben, wie
Thomas (Jo 20,25). Doch dieser Glaube
wird
zurückgewiesen.
Glaube, der nur durch das Ansichtigwerden spektakulärer
Wundertaten entsteht, ist kein Glaube.
Denn
das Zeichen ist
immer zweideutig, pures Sehen
des
Zeichens
kann
nicht zum
Glauben führen (vgl.
Jo
6,26). Glaube beginnt vielmehr da,
wo dem Wort, das Jesus gesprochen hat, geglaubt wird. Das
Wort Jesu verkündet das Leben. Im Glauben wird es ange-
nommen. So sagt
es
der zweite, von dem Redaktor
in
die Vor-
lage eingetragene Vers (Jo 4,50 b).
Wenn der
Redaktor
das sagen will, müssen
wir
fragen,
war-
um er nicht ganz
auf
das Wunder verzichtet? Denn gerade den
· Teil der alten Geschichte, wo das Wunder
und
das
Motiv
von
der Fernheilung ganz greifbar wird, hat er
ja
übernommen.
Doch ist
zu
bedenken, daß in der Johannesfassung, ungleich
seiner Vorlage,
ja jetzt
ein anderer Mann der Erkenntnis des
Wunders entgegengeht. Indem er vor dem Wunder dem Worte
schon glaubt, das Jesus gesprochen hat, unterscheidet er sich
von dem Mann, der
in
der Vorlage weggeht, um das Wunder
zu erfahren. Als schon Glaubender geht er
auf
das Wunder zu;
so
erst kann er das »Zeichen« erkennen. Jetzt wird sein Erken-
nen nicht
nur
feststellen,
daß es
dieselbe Stunde war in der
sein Sohn geheilt wurde
und
in der Jesus das Heilungswort
gesprochen hatte,
und
er
wird
nicht nur beides im nachfolgen-
den Glauben miteinander verknüpfen, sondern er sieht glau-
bend das »Zeichen«, das sich ihm zu Glauben erschließt. Das
»Zeichen« ist also nicht wertlos, wird von dem Redaktor nicht
weggestrichen, denn für den Glaubenden
hat es
Sinn
und
er-
schließt ihm Glauben, indem
es auf
den verweist, der
es
ge-
wirkt
hat.
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Man muß diese eigentümliche laubensbewegung
mitvollzie-
hen
und darf für
die
Perikope
nicht zu
früh auf
verschiedene
Glaubensweisen schließen, die stufenförmig aufeinander fol
gen. Es wird nicht von der
Reifung
eines Glaubens gesprochen,
der
aus anfänglichem, unbestimmten Gefühl des
Vertrauens
und Erkenntnis der eigenen Hilfsbedürftigkeit, wie es sich
et-
wa
in der Bitte des Mannes von Vers 47 und 49 äußert über
die Stufe des
auf
das
Wort
vertrauenden Glaubens Vers 50)
zur weiteren Stufe des vollen und richtigen Glaubens empor-
steigt. Die Bewegung des Glaubens ist hier nicht eine Bewe
gung
von
Stufe
zu
Stufe, sondern
mehr
einem
Zirkel
vergleich
bar.
Der dem Wort Jesu Glaubende sieht das, was das »Zei
chen« zu zeigen hat und so wird es
ihm
durchsichtig auf Glau-
ben hin. Diese eigentümliche Bewegung des Glaubens finden
wir noch häufiger bei Johannes. Zum
Glauben kommt man
nicht durch schlußfolgernde Beobachtung der Zeichen, sondern
indem man sich dem
Wort
anvertraut
und
sich
auf
es einläßt.
In
dem Maße
in
dem
man
sich
darauf
einläßt,
wird dann
auch
die »Richtigkeit« des Glaubens erfahrbar. Man glaubt nicht,
weil man gesehen hat sondern man sieht, weil man glaubt und
weil man glaubend sieht,
glaubt man
24
•
3 erkennt und glaubt.
1
Der
Mann
glaubt· dem Wort
24
.Vielmehr lassen
sich
der Sehakt und der Glaubensakt
nimt
voneinander
trennen. Indem der Apostel sieht, glaubt er, und weil er glaubt, >sieht er,
nämlich die Herrlichkeit des Logos und Sohnes Gottes am fleischgeworde-
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Die alte Vorlage
erzählt von
einem
auf
derselben Ebene blei
benden Geschehen: Der
Mann-+
sieht das Zeichen-+ erkennt
-
und
glaubt. Durch die Einfügungen der Redaktion erhebt
sich die Glaubensbewegung aus
der
Ebene und geht in den
Zirkel des Glaubens ein.
Dadurch aber
wird
der Glaube nicht zu etwas, was man ein
für
allemal »geleistet« hat.
Er muß
vielmehr,
um
Glaube zu
sein, immer wieder neu übernommen werden: Glauben aus
Glauben. Eine solche Sicht des Glaubens macht ihn »lebendig«.
Die Bewegung des Lebens ist ähnlich. Wenn
es
wirklich leben
dig ist,
lebt
es
nicht aus der Sicherheit, sondern aus dem Wag
nis.
Man
kann
darum gut
verstehen, wie Johannes den Glau
benden geradezu als einen »von oben Geborenen« bezeichnen
kann
Jo 3,7).
Wie leicht das Stufenschema in die
Interpretation
eindringt,
zeigt ein Blick in die kommentierende Literatur. So sieht
etwa
Schweizer in dem Glaubensvorgang von Jo 4,46-54 eine Stu
fenfolge verschiedener Glaubensgrade.
Für
Schweizer
ist
es
»deutlich,
daß
die Geschichte für den Evangelisten die Schil
derung des
von
Stufe zu
Stufe
wachsenden Glaubens ent
hält«.25
Die entscheidende Glaubensstufe ist erst am Ende erreicht,
dort,
wo
das Glauben auf das Sehen folgt. Dieses Glauben
von
Jo 4,5
3 ist
zwar
nicht »notwendig das letzte Glied in der
Kette« , doch ist es als Abschluß der Perikope »eindeutig
positiv bewertet und jenem ersten Glauben ohne Sehen über
geordnet«
27
,
denn in
ihm
geht
es
ja nicht mehr darum, daß
er
»etwas«
von
Jesus erlangen will, sondern dieser Glaube sucht
Jesus selbst und
nicht etwas durch ihn.
Das Stufenschema scheint auch hinter der Ansicht Bultmanns
zu
stehen, wenn er meint,
daß
das
En:tcrtHJ<JEv
von Vers
53
of
fenbar mehr als das bloße »er wurde Christ« bedeute, sondern
nen Jesus von Nazareth.«
F
Mußner Die johanneische Sehweise, Freiburg
1965,
2
=
Quaest. disp.
28)
5
E Schweizer
Die Heilung des Königlichen, in: Neotestamentica, Zürich
Stuttgart
1963, 411
f
2
6 E Schweizer
ebd.,
413
27 E
Schweizer
ebd.,
413
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vielmehr den Schritt abbilde, der
vom
vorläufigen Glauben
Vers so zum Eigentlichen führt
28
•
Ähnlich ist wohl auch
Haenchen zu
verstehen,
wenn
er schreibt: »Aber
der
Mensch
kommt - wie hier der königliche Beamte - meist erst zu die
sem
wahren
Glauben,
wenn ihm
ein
Wunder dafür
die
Augen
öffnet. Diesen
Zusammenhang
sah
Johannes in
unserer
Ge-
schichte beschrieben. Zunächst glaubt der
Vater
nur daß Jesus
den Sohn gesund machen werde. Erst danach geht ihm der
wahre Glaube
auf.
Er kam
zum
Glauben samt
seinem
ganzen
Hause«
29
•
Auch in die Interpretation Schnackenburgs
dringt
das Stufenschema ein:
»Am
Beispiel des >Königlichen<
will
er
Johannes) offenbar zeigen,
wohin
auch sie bei gutem
Willen
gelangen können. Auch sie sollten die
Stufe
des bloßen >Schau
glaubens< Vers 4s überwinden und ähnlich wie der König-
liche zu einem Glauben an das
Wort
Jesu Vers so
und
zum
messianischen Vollglauben Vers
s
gelangen«
30
• Dennoch
sieht Schnackenburg, >>daß es ein >Sehen von
<11']flEL<X<
[gibt]
das
der
johanneische Jesus
anerkennt
und
wünscht;
wenn
die
>Zeichen< aber
nicht im Glauben
erfaßt
werden, sind sie nichts
anderes als äußere >Wunder<, und das will der Evangelist in
4,48 durch die Wendung <11'][ Ei:a <XL ·dgma ausdrücken«
31
•
Das Stufenschema scheint aber wenig dazu geeignet, die spe
zifisch johanneische Auffassung
vom Glaubensvorgang wieder-
zugeben. Sicherlich legt die Perikope von der Heilung des Soh-
nes des Königlichen es zunächst nahe,
in den
verschiedenen
Versen, in
denen vom
Glauben
gesprochen
wird
verschiedene
Glaubensweisen zu sehen, die es miteinander in Ausgleich zu
bringen gilt. Es mag von unserer
Art
zu denken kommen, daß
man
zunächst versucht,
von
anfänglichem über vorläufiges
zum endgültigen und vollen Eigentlichen vorzudringen. Doch
ist zweierlei
zu
beachten. 1) Es ist nach
der
Absicht des
Re-
daktors
zu fragen,
der
eine Vorlage aufnimmt und sie durch
Einfügungen
verändert.
Wollte er
dadurch
Akzente der alten
28
R. Bultmann
Johannesevangelium, I 54
29
E. Haenchen
Johanneische Probleme, 88
30
R. Schnackenburg
Johannesevangelium,
506
31
R. Schnackenburg
ebd.,
507
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Geschichte herausheben und vorhandene Linien ausziehen, oder
wollte er den Gang der alten Geschichte umbiegen, ihn korri
gieren oder gar kritisieren?
2)
Es ist
darauf
Rücksicht zu neh
men, daß die Perikope, wenn sie von einem
Redaktor
aufge
griffen und verändert wurde, Teil eines größeren umfassenden
Ganzen
wird und
ihr letzter Vers nicht ihr Ende, sondern ihr
Übergang in das Gesamt des Evangeliums ist. Sie ist damit zu
einem Ausschnitt aus einem größeren Bewegungszusammen
hang geworden und im Blick
auf
das Ganze
zu
interpretieren.
Ein Ausschnitt kann nicht für die ganze Bewegung stehen.
Vers
48
aber scheint
darauf
hinzuweisen,
daß
der Redaktor
nicht deshalb in die Geschichte eingegriffen hat, um ihren Ab
lauf deutlicher herauszustellen oder um einige Linien weiter
auszuziehen. Vielmehr wirkt er wie ein Fremdkörper in der
Geschichte; weder mit dem, was ihm vorausgeht, noch mit
dem, was ihm folgt, läßt er sich bruchlos
zu
einer Handlungs
einheit verbinden. Auch wenn der Vers künstlich in die Ge
schichte eingepaßt wurde
und
sich scheinbar an den bittenden
Vater wendet
: 7 t Q O ~ a\rr6v ), so nimmt er doch dessen Bitte
nicht auf
und
führt
sie
auch nicht weiter.
Er
spricht in einer,
sich von der Perikope distanzierenden Allgemeinheit (2. Per
son Plural ). Ein Glaube, der sich
auf
Zeichen und Wunder
stützt- ganz
allgemein- wird
hier kritisiert, nicht das in der
Bitte
sich
äußernde Vertrauen des Mannes. Somit will der Vers
den
Mann
nicht von einer anfanghaften Stufe des Glaubens
zu einer anderen führen, sondern darüber etwas aussagen was
dem Glauben überhaupt widerspricht
nämlich das Sich
berufen-können auf Zeichen und Wunder. Eine solche Sicht
des Verhältnisses von Vers 48
zur
Perikope verbietet es den
Glauben, von dem in der Perikope die Rede ist, nach einem
Stufenschema
zu
verstehen. Eine weitere Beobachtung kann
diese Anschauung unterstützen. Vers
48 kritisiert einen Glau
ben, der sich auf Zeichen und Wunder stützt. Dagegen stellt
Vers 50 einen Glauben auf das
Wort
Jesu
hin
heraus. Vers 48
will aber trotz der Kritik nichts darüber aussagen, daß der
Glaube
nur
aus dem Hören nicht aus dem Sehen komme. Das
Johannesevangelium kennt durchaus auch ein »Sehen«, das
86
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zum Glauben führt vgl.
Jo
zo,8) und kann in bezug auf den
Glauben »Hören« und »Sehen« in gleicher Funktion verwen-
den Jo 3,32; 5,37f.; 8,38). Darum läßt sich schlecht von einer
Stufenfolge des Glaubens sprechen, die mit dem hörenden
Glauben begänne und mit dem erkennenden Glauben ihr Ei-
gentlichstes erreichte. Die Aussagen der Perikope über den
Glauben dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern müs-
sen als Teil der gesamten johanneischen Aussagen über den
Glauben verstanden werden.
Schlier zeigt, wie im Johannesevangelium einerseits sich der
Glaube »an dem Wort Jesu in seinem ganzen Umfang und sei-
nen verschiedenen Weisen Zeugnis Jesu, der Schrift, des Täu-
fers, des Parakleten, der Apostel) entzündet«
32
, d. h., wie das
Hören
dem Glauben vorausgeht. Er weist darauf hin,
daß
»Hören und Glauben ... aber auch miteinander wechseln«
10,25ff.; 8,46f.; 12,46ff)
33
• Das Hören eröffnet nicht nur
den Glauben, sondern in ihm vollzieht er
sich
auch«
34
•
Insofern
aber nun nicht jegliches
Hören
den Glauben eröffnet, sondern
nur das
hinhörende«
Hören auf das Wort, nicht nur das bloße
»Anhören und Zuhören«, kann man mit gewisser Berechti-
gung auch sagen, daß schon dieses Hören vom Glauben er-
möglicht wird
35
• Khnlich verhält
es
sich mit dem Sehen; auch
es kann den Glauben eröffnen n,45); auch
es
kann im glei-
chen Sinne wie Glauben gebraucht werden 6.4o; 12,44f.;
14,8 ff.). Auch
es
muß, wenn
es
den Glauben eröffnet, schon
vom Glauben durchwaltet« sein, muß das Zeichen als Zeichen
sehen und nicht bloß »Zeichen und Wunder«
36
•
Schließlich
kann es aus dem eröffneten Glauben Schau der göttlichen
Herrlichkeit sein,
und
so
wiederum Glauben Jo z,n; 11,40).
Schlier
zeigt, wie
im
Johannesevangelium Sehen und Hören
zusammenrücken und entweder beide zusammen den einen
und selben Vorgang bezeichnen oder das eine mit dem anderen
32
H
Schlier Glauben, Erkennen, Lieben nach dem Johannesevangelium,
in: Besinnung auf das Neue Testament, Freiburg 1964, 2 79
ss H Schlier ebd., 2.81
H
Schlier
ebd., 2.81
35
H
Schlier
ebd., 2.80
36
H Schlier ebd.,
2 8
3
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vertauscht werden kann vgl. 3,32; 5,37f.; 8,38.40)«
7
• Was
von
»Sehen<<
und »Hören« gilt, gilt auch von dem Verhältnis
des »Erkennens<< zum Glauben. »Erkennen geht dem Glauben
voraus 16,3o; vgl. 1 Jo 4,16). Erkennen und Glauben mei-
nendasselbe 11,42;
17,8.21 <<
38
•
Erkennen
folgtaber
auchdem
Glauben 6,69; 10,37)
9
•
Auf diesem Hintergrund muß unsere Perikope gesehen wer-
den.
Dann
zeigt sich,
daß sie
nicht die stufenweise Genese des
Glaubens oder seine >>Entwicklung<< vom anfänglichen über
den hörenden zum sehenden und zum Vollglauben ansichtig
machen will und das Stufenschema, das Bild von der Kette
oder der Begriff der »Entwicklung<< ungeeignet sind, um die
Perikope zu verstehen. Es ist vielmehr notwendig, die johan-
neische Glaubensbewegung
si h mit
dem Anschauungsmittel
des Zirkels verständlich zu machen. Bei einer zirkelförmigen
Glaubensbewegung ist es dann auch im Grunde nicht so wich-
tig, an welcher Stelle man sich in die Bewegung einläßt, ob
über das Sehen oder das
Hören
so in unserer Perikope) oder
aber über das Glauben oder Erkennen.
An
jeder Stelle tritt
man gleichermaßen in die Bewegung ein. Wer sieht,
hört
auch;
wer glaubt, erkennt; wer erkennt, sieht,
und
wer glaubt, hört,
und wer hört, glaubt und erkennt.
37
H. Schlier ebd., 283
38 H Schlier ebd.,
285
30
H. Schlier ebd., 286
88
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IV
DER
BROTVERMEHRUNGSKOMPLEX
BEIMARKUS
MATTHJ\US) UND
JOHANNES
Mk 6,30-8,21; Mt 14,13-16,12; Jo 6,1-71)
I ie Speisung der Fünftausend
un
die Speisung der Viertausend bei Markus
Die Geschichte von der wunderbaren Brotvermehrung ist sechs-
mal in den Evangelien überliefert Mk 6,32-44; 8,1-10;
Mt
14,13-21; 15,32-39;
Lk
9,10-17;
Jo
6,1-15 .
Matthäus und
Lukas sind gegenüber Markus sekundär. Darum müssen die
beiden Markusfassungen zuerst betrachtet werden. Besondere
Fragen entstehen dadurch, daß Markus die Perikope zweimal
überliefert. Was beabsichtigt er damit? Will er von zwei ver
schiedenen Ereignissen sprechen? In welchem quellenkritischen
Zusammenhang stehen die beiden Fassungen der Geschichte
bzw. die beiden Geschichten? Ein Vergleich der beiden Mar
kusfassungen ist darum unerläßlich. Die Unterschiede in den
Einzelheiten lassen
sich
aus der Synoptischen übersieht er
sehen. Der Vergleich soll vor allem auf den Erzählablauf der
beiden Geschichten achten. Vielleicht lassen sich dadurch An
haltspunkte finden, die es ermöglichen, die Fragen zu beant
worten.
Vergleich von Mk 6,32-44 und Mk
8,1-9
Mk
6.32
schließt die Geschichte an die in
Mk 6,30-31
berich
tete Rückkehr der Apostel von ihrer Aussendung Mk 6,7) an.
Der Vers führt Jesus und seine Jünger im Schiff »für sich« an
einen einsamen Ort. Vers
33
erzählt davon, daß ihre Abfahrt
gesehen wird, und man aus allen Städten zusammenläuft und
dem mit dem Schiff fahrenden Jesus und seinen Jüngern zuvor
kommt. Man ist schon da, als Jesus eintrifft.
Für
die nachfol
gende Geschichte ist es notwendig, daß
sich
eine große Menge
Menschen, von der dann auch Vers 34 spricht, um J esus ver
sammelt. Für den Ablauf der Geschichte selbst ist jedoch der
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Synoptische übersieht
Mk
6,32-44
Mk 8 I-Io
Jo
6 I-I5
VV
3o-3I Rückkehr
7,3I
Jesus kommt
der Apostel von Tyrus und Sidon
in die Dekapolis
7,32-37 Taub-
Stummenheilung
V
p
Jesus und V
I
J
esus
begibt
sich
Jünger mit Schiff an
ans jenseitige Ufer des
einsamen Ort xa-r
galiläischen Meeres
iölav
V 33 »Viele« sehen
V
2
Viel Volk be
Abfahrt und sind vor
gleitet ihn, weil sie
ihnen da
seine Zeichen sahen
V
34
a J esus steigt
aus dem Schiff
V 3 Jesus geht auf
den Berg, setzt sich
mit seinen Jüngern
V
I
a unbestimmte V
4
Ostern
war
nahe
Zeitangabe
V 34 a Jesus sieht
V
I
a Viel Volk V
5
a Jesus erhebt
die Menge
die Augen und sieht,
daß viel Volk
da
ist
V I a nichts zu essen
V b J esus ruft die
V
5
b Jesus sagt zu
Jünger und sagt
Philippus:
ihnen:
V
34
b EOltJ..ayx.vloih] V 2 < m , a y x v l t o ~ u u
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Mk 6,J2-44
Mk 8,1-10
Jo 6,1-15
V
34
c . . . denn sie
waren wie Schafe
ohne Hirten
V
34
d J
esus
lehrt
sie
V35a
EswirdAbend
V 2 (Jesus zu den V 5 b (Jesus zu Phi-
Jüngern:) Das Volk lippus:) Woher sollen
ist schon 3 Tage bei
wir
Brote kaufen,
mir, sie haben nichts
damit diese essen
zu essen. können?
V 3 a Wenn
ich
sie
hungrig entlasse
gehen
sie
auf dem
Weg zugrunde
V 3 b Einige kamen
von weit her
V
35
b Die Jünger
treten an J esus heran
u
sagen: Der Ort ist
einsam, es ist spät,
V 36
Entlaß
sie um
einzukaufen
V 6 Das
tat
er, um
ihn zu prüfen. Er
selbst wußte, was er
tun wollte.
V
37
a Jesus sagt
ihnen: »Gebt
ihr
ihnen
zu
essen.«
V
37
b Jünger ant
V 4 Jünger ant-
V 7 Philippus ant-
worten: Sollen wir
worten: Woher in der
wortet:
Brot
für
für
zweihundert
Wüste das Brot
200 Denare reicht
Denare Brot kaufen
nehmen um
sie
zu
nicht, daß jeder ein
und
es
ihnen zu essen
sättigen?
wenig
davon
be-
geben?
komme
91
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Mk
6 32-44
V
38
a Jesus fragt:
Wieviel Brote habt
ihr geht und seht
V
38
b Jünger ant-
worten: 5 Brote und
Fische
V 3
9 a J
esus
befiehlt
sich in Tischgemein-
schaften zu lagern
V
39
b
auf
das grüne
Gras
V
4 0 Und
sie setzten
sich
in Tischgemein-
schaften zu 50
und
zu
100
s. u.
V 41 a
l..aßoov
a v a ß i . . E " I j l a ~
nii..Oy'l]O"E'V
XCX tEX.ACXO IlV
i\ölöou
, ; o i ~ f L·
V 41 b Jünger sollen
es
verteilen
Mk
8 1 - 1 0
V 5 a Jesus fragt:
Wieviel Brote habt
ihr?
V 5 b Jünger ant-
worten: 7 Brote
V 6 a J esus befiehlt
dem Volk sich
auf
den Boden nieder-
zulassen
s. u.
V 6b l..aßoov
~ X A C X O I l V
i\ölöou
, ; o i ~ f L·
V 6 c Jünger sollen
es
verteilen.
V 6 d Jünger ver-
teilen es
Jo
6 1 - 15
V 8 9 Andreas
sagt:
Es
ist ein Knabe
da der hat 5 Gersten-
brote und Fische.
V 9 b doch was ist
das für die vielen
V 10 a Jesus sagt:
Laßt die Leute sich
setzen
V
10
b
Es
war
viel
Gras an jenem
Ort
V 10 c Die Männer
setzten
sich
V
10
d Zahlenan-
gabe: ungefähr 5ooo
Männer
V
11 8/..aßev
ÖLEÖOXIl'V t O L ~
avaXEL-
J . E ' V O L ~
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Mk
6 32-44
V
41
c Jesus teilt die
2
Fische unter alle
V 42 und sie aßen
alle und wurden satt
V 43
12
Körbe mit
Resten von Brot u
Fisch
öroöExa xocplvrov
V
44
Zahlenangabe:
sooo Männer
V 45 a Jesus läßt
seine Jünger ins Boot
steigen
und
ans jen
seitige
Ufer
voraus
fahren
Mk 8 1 -10
V 7 Sie hatten ein
wenig Fisch (hier
erst erwähnt )
g,',)..oyi)oa; und be
fiehlt: die Jünger
sollen sie vorlegen
V 8 a und sie aßen
und wurden satt
V 8 b 7 Körbe mit
Resten
V 9 a Zahlenangabe:
ungefähr
4000
Jo
6,1-15
V und gleicher
maßen
mit den
Fischen.
V 12 a als sie gesät
tigt waren . . .
V 12 b Jesus sagt
den Jüngern:
Sammelt die übrig
gebliebenen Stück
lein, damit nichts
verdirbt
V
13
a und sie sam
melten und füllten
2 Körbe mit dem
übriggebliebenen
öroElExa xocplvou;
V r 3 b Stücklein von
den 5 Gerstenbroten,
die übriggelassen
hat ten die Essenden
s 0 .
V
14
Die Menschen
sahen das Zeichen, ist
das nicht
der
Prophet?
s
u.
93
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Mk 6 32-44
V 45 b Jesus entläßt
die Volksmenge
V 46 Jesus geht auf
einen Berg um zu
beten
6 47-52 Seewandel
Mk 8 1-10
V
9
b Jesus entläßt
s1e
V
IO
Jesus und seine
Jünger gehen ins
Schiff und fahren
nach Dalmanutha
Jo 6 1-15
V I a Jesusweiß:
sie wollen ihn zum
König machen
V I 5 b Jesus zieht
sich
auf
einen Berg
zurück
V I6 die Jünger
steigen abends hin
unter zum See
steigen in das Schiff
und fahren nach
Kapharnaum ab
6 17
b-2
I Seewandel
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Zug, daß man die Abfahrt Jesu erspäht, und man ihm zuvor
kommt, nicht nötig. Ebenfalls läßt sich fragen, wie denn die
Nachricht von der bfahrt Jesu in »alle. die Städte« gelangt
sei, aus denen man zusammenläuft und wie
es
möglich ist, daß
man dem mit dem Schiff fahrenden Jesus zu Fuß zuvor
kommt und sogar den »einsamen Ort« kennt, wo er landen
wird.
Mit
Kilometerangaben und Ermittlungen über die
Schnelligkeit der Schiffe auf dem
See
Genezareth läßt
sich
das
nicht erklären. Vielmehr ist nach der Funktion zu fragen, die
diese Verse in bezug auf den Ablauf der Geschichte haben.
Daß
sie verknüpfen sollen, indem
sie
einen neuen Schauplatz
vorbereiten, ist leicht zu sehen. Doch was soll die Bemerkung
von Vers 33, daß man aus allen Städten zusammenlaufend
Jesus und seinen Jüngern zuvorkommt? Offensichtlich soll da-
durch vorbereitet werden, daß Jesus, als er aus dem Schiff
steigt, sich der Menge schon gegenüber sieht. Sie sind ihm zu-
vorgekommen Mk 6,34). Der Erzähler hätte sie aber auch
Jesus folgen lassen können, wie
es
bei Jo
6,2
der Fall ist. Wel-
chen Sinn für den Ablauf des Geschehens
hat
es wenn die
Menge Jesus zuvorkommt? Die Geschichte erzählt in Vers 34
von einem Vorgang im Innern Jesu. Er sieht die ihm zuvor
gekommene Menge und erbarmt sich ihrer. Als Motiv für sein
Erbarmen gibt die Geschichte an: »denn sie waren wie Schafe,
die keinen
Hirten
haben.« Dieser begründende Satz interpre-
tiert die Menge. Er spricht von etwas, was der Menge fehlt.
Sie ist ohne Kopf, ohne einen, der ihr vorangehend
sie
leitet.
Jetzt
wird
ersichtlich, worauf sich der erzählerische Zug,
daß
die Menge Jesus zuvorkommt, beziehen soll. Daß sie aus der
Zerstreuung in »alle die Städte« auf die Kunde von Jesu Ab-
fahrt zusammenlaufen und Jesus zuvorkommen, soll zeigen,
daß
da
keiner ist, der ihr vorher ginge und dem sie folgen
könnten. aß die Menge eine Herde ohne Hirt ist wie Vers 34
das Erbarmen ]esu über
si
motiviert soll in der Darstellung
der Erzählung veranschaulicht und vorgeführt werden. Die
Menge ist kopflos.
Darum
muß das Erbarmen Jesu sich darin
auswirken, daß er die Menge lehrt, ihr Weisung und Leitung
gibt und sie zu einer Herde mit einem
Hirten
macht. Ein
95
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Handlungsablauf ist damit zu seinem Ende gekommen. Damit
es
weitergeht und die Speisung der Vielen berichtet werden
kann, muß die Erzählung einen neuenAnlauf nehmen.
Weil]e
sus die Menge lehrt, und von einem Ende seines Lehrens nicht
gesprochen wird, kann nicht unmittelbar
er
selber die Hand
lungslinie aufnehmen und
sie
mit der Speisung verknüpfen.
Darum treten die Jünger an ihn heran und schlagen Jesus vor,
angesichts der vorgerückten Stunde
und
des einsamen Ortes
die Menge zu entlassen, damit sie
si h
in den umliegenden Ort
schaften
mit
Nahrung versorgen könnten (Mk
6,35
f.). Das
Neuanheben der Geschichte zeigt sich auch in der erneuten
Zeitangabe und im erneuten Hinweis
auf
den Ort des Gesche
hens. Gleichzeitig verbindet die Zeitangabe die beiden Szenen,
die der Lehre und die der Speisung in einem Zeitraum und
ordnet sie dadurch einander zu. Was die Jünger sagen, schafft
eine neue Situation des Mangels, dem die Geschichte Abhilfe
verschaffen muß. Doch zuvor biegt die Entgegnung Jesu:
»Gebt ihr ihnen zu essen « (Mk 6,37) die Linie der Geschichte
noch einmal
auf
die Jünger zurück. Sie hatten nämlich durch
ihr
Herantreten an Jesus eine Möglichkeit der Abhilfe eröff
net, die Jesu Antwort übergeht. Was
sie
darauf
zu
sagen ha
ben, bleibt immer noch innerhalb des
von
ihnen vorgeschla
genen Möglichkeitsrahmens. Erst Vers 38 steuert
auf
eine an
dere Lösung des Konflikts hin, denn Jesus geht erneut nicht
auf ihren Vorschlag ein, und die Zahl der mitgeführten Brote
un Fische leitet über zu dem folgenden Speisungswunder,
welches stilgerecht mit der Konstatierung seiner Größe endet.
Der Ablauf von k 8 1-9 ist vergleichsweise einfacher. Mit
ihrem Kontext ist die Perikope weniger
stark
verflochten als
Mk
6,32-44.
Die unbestimmte Zeitangabe »in jenen Tagen«
(Mk 8,r reiht sie hinter der Taubstummenheilung in der De
kapolis (Mk
7,3 r-37
ein. Es
wird
nicht ausdrücklich gesagt,
daß
Jesus an einen einsamen
Ort
geht wie in Mk
6,3
r Das
ist vielmehr aus der Geschichte zu erschließen (Mk 8,4). Die
für den Ablauf der Speisungsgeschichten notwendige Menge
muß
nicht umständlich herbeigeführt werden
und
kommt auch
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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nicht Jesus zuvor. Sie ist einfach da.
Die
Erzählung betritt
mit
der
kurzen
Exposition sogleich den eigentlichen Handlungs
raum: Die Menge hat nichts zu essen. Damit ist auch sofort
ein ausreichendes
Motiv
für das
Erbarmen
Jesu gegeben.
Nicht
weil sie »wie Schafe ohne Hirten« waren, erbarmt sich Jesus
ihrer, sondern, weil sie nichts zu essen haben. Daß Jesus sich
ihrer
erbarmt,
läßt
erwarten,
daß
er
für
Abhilfe ihres Mangel-
zustandes sorgen
wird.
Doch läßt, was er sagt, die Handlungs
linie zuerst noch einmal
auf
seine Jünger zubiegen Mk 8,2 f. .
Die Entgegnung
der
Jünger: >>Woher soll einer hier in der
Wüste
Brot
nehmen,
um
diese
zu
sättigen?«
Mk
8,4 zeigt,
daß sie das Problem nicht
zu
lösen vermögen, und Jesus
der
eigentlich Handelnde
in der
Geschichte ist.
Damit
ist
der Ab
lauf
der
eigentlichen Wundergeschichte genügend vorbereitet,
und sie kann wie in Mk 6 erzählt werden.
Es zeigt sich,
daß der Ablauf der
Speisungsgeschichte nach
Mk 8,1-9
weit
weniger kompliziert ist als
der
von Mk 6,
32-44.
Die
Geschichte ist viel einfacher durchschaubar.
Ein
Mangel
wird
festgestellt und durch ein
Wunder
behoben. Der
Unterschied
der
beiden Fassungen hinsichtlich ihres Ablaufs
wird vor allem in dem otiv des Erbarmens Jesu über die
Menge greifbar.
In
Mk 6 ist es durch die Hirtenlosigkeit der
Menge
motiviert,
in Mk 8 durch ihren
Hunger
Entsprechend
verschieden ist auch die Auswirkung des Erbarmens:
In Mk
6
behebt es einen ideellen Mangel dadurch, daß Jesus die Menge
lehrt,
in
Mk 8 einen physischen Mangel, indem Jesus die Leute
speist.
Die
weiteren Unterschiede sind gerade durch die Ver-
schiedenheit
in
diesem Motiv bedingt.
Während
in
Mk 8 die
Geschichte durch das
Erbarmen
Jesu geradewegs auf die Spei-
sung zusteuern
kann,
bedingt die Beziehung des Erbarmens Jesu
auf
die Hirtenlosigkeit
der
Menge
in
Mk
6 alle übrigen
Unter
schiede zu Mk 8 Die Hirtenlosigkeit der Menge
muß
vorge-
führt werden,
darum
der Zug, daß die Menge Jesus
zuvor
kommt.
Ihre Hirtenlosigkeit muß behoben werden, darum
muß Jesus sie lehren. Das aber hat
zur
Folge,
daß
nun die
Jün
ger
initiativ werden
müssen, um den
Ablauf der Erzählung
wieder
zur
Speisungsgeschichte zurückzuführen. Das ist nur
97
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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möglich, indem sie Jesus darauf aufmerksam machen,
daß
die
Menge in den umliegenden Orten nach Nahrung suchen solle.
Die Notsituation ist dadurch aber weniger dringlich als in
Mk
8, wo es diese Möglichkeit nicht gibt,
und
der einzige Aus
weg das Wunder ist.
Ist
die Erzählung einmal zu der Schilde
rung
des
Wunders vorgedrungen, finden
sich
Unterschiede
nur
noch in den Einzelheiten, nicht jedoch im Ablauf der beiden
Fassungen
•
2
Das Erbarmen Gottes speist durch fesus die hungrige Menge
Vorlage von Mk 6,32-44)
Der Vergleich ließ heraustreten, daß die Fassung der Spei
sungsgeschichte nach
Mk 6
im Ablauf komplizierter ist als
Mk
8. Die vergleichsweise kompliziertere Struktur von
Mk 6
läßt
darauf
schließen, daß die einfachere Form der Geschichte
von
Mk
8 älter ist als die von Mk 6. Wenn darum versucht
werden soll, eine eventuelle Überarbeitung durch Markus von
einer Vorlage abzuheben, wird gerade die kompliziertere Fas
sung der Geschichte den Ausgangspunkt bilden, und hier las
sen
sich
in der
Tat
für Markus typische Motive finden.
Das in Mk
6,32
erwähnte
»Schiff«
kommt im Markusevange
lium vierzehnmal vor, davon siebenmal innerhalb einer
Er-
zählungseinheit wie z.
B.
in der Geschichte vom Sturm
auf
dem Meer Mk 4,35-41). Das läßt darauf schließen, daß in
diesen Fällen das Schiff schon in den von Markus benutzten
Vorlagen erwähnt wurde Mk
1,19.20; 4,37; 6,45; 6,47; 6,51;
Mk
6 stellt
fünf
Brote
und
zwei Fische einer Menge
von
fünftausend
Menschen gegenüber. Mk 8 spricht dagegen von sieben Broten, ein wenig
Fisch und ungefähr viertausend Menschen. Als Rest bleiben in Mk 6 zwölf
Körbe, in
Mk
8 sieben. Mk 6
hat
also
quantitativ
die Leistung des
Wun-
ders gesteigert. In
der
Wortwahl fallen vor allem folgende Unterschiede
auf Mk 6,43 verwendet xoqJLvoc; für die Körbe, Mk
8,8 on:uetc;.
Die Reste
heißen
in
Mk 6,43 JtA I }(IWf.tll ta, in Mk 8,8
JtE(ILOOEUf.tll ta.
Statt des absolut
gebrauchten
EUAOY I JOEV
vor der Verteilung der Brote
in Mk
6,41 a ver-
wendet
Mk 8,6 b EU)(Il(ILO,;i)crac;.
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
http://slidepdf.com/reader/full/schnider-franz-stenger-werner-johannes-und-die-synoptiker-koesel-1971 99/182
S,ro; 8,14). Anders verhält
es
sich jedoch an folgenden Stel
len: Mk4 r.36; 5,2.r8.2r; 6,J2·54·
Hier wird
das Schiff nicht innerhalb einer Traditionseinheit
erwähnt.
Es
handelt sich durchwegs um Überleitungen bzw.
Rahmungen.
Darum darf
man annehmen, daß
es
an diesen
Stellen vom Redaktor eingefügt wurde. Mk 4 1 leitet die
Gleichnisrede ein, indem Jesus ein Boot besteigt, um sich ein
wenig von den ihn umdrängenden Volksscharen
am Ufer
ab
zusetzen. Das Boot wird gewissermaßen zur »Kanzel« für die
folgende Gleichnisrede.
In
Mk 4,36 wird das Schiff erwähnt,
um von der Gleichnisrede und Jüngerbelehrung zur Geschichte
vom Sturm auf dem Meer überzuleiten. An die Sturmstillung
wird die Geschichte von der Heilung des Besessenen von Ga
dara
angehängt. Darum
läßt
der Redaktor in Mk 5 2 Jesus
aus dem Schiff steigen und dem Besessenen begegnen. Nach der
Heilung bitten die aus der Fassung gebrachten Gadarener Je
sus, er möge sich aus ihrer Gegend fortbegeben. Die Szene
wird
gewechselt, indem J
esus
in
Mk
5
r 8 das Schiff wieder besteigt,
um
es
in Mk 5 21 amjenseitigen Ufer wieder zu verlassen.
Da-
mit kann der Redaktor zwei weitere miteinander verflochtene
Wundergeschichten von der Heilung der blutflüssigen Frau
und der Erweckung von Jairi Töchterlein anschließen.
In
Mk 6 5 3
f.
wird an Brotvermehrung und Seewandel ein
redaktioneller Sammelbericht angeschlossen. Jesus steigt aus
dem Boot, man erkennt ihn, und wieder umgibt ihn die nach
Heilung suchende menschliche
Not.
Das Schiff dient dazu,
daß
der Redaktor verschiedene Ge
schichten miteinander verknüpfen kann, um einen Fortgang
in der Handlung zu erreichen. Die Geschichten sind deswegen
dazu geeignet, weil
sie
schon in der von Markus vorgefunde
nen Fassung
sich
am
See
abspielen Gadara, Sturm auf dem
Meer, Speisung, Seewandel, Kapharnaum). Ihre Zusammen
stellung aber geht auf den Redaktor zurück.
Auch
in
Mk
6,32 wird durch die
Fahrt
mit dem Schiff die
Szene gewechselt. Es handelt sich also ebenfalls um eine Über
leitung. Wie an den anderen redaktionellen Stellen hat das
»Schiff«
auch hier nicht
nur
Verknüpfungs-, sondern auch
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Aussagefunktion. Jesus besteigt in Mk 6,32 das Schiff, um mit
den Jüngern an einen einsamen
Ort
zu gehen
und
sich dem
Andrang der Menge zu entziehen vgl. Mk 6,3
I).
In Mk
4,1 besteigt Jesus aus einem ähnlichen
Grund
das
Schiff. Er will in eine gewisse Distanz zu der ihn umdrängen-
den Menge gelangen
und
sie von dort aus lehren vgl. Mk 4
36).
Im
Schiff ist Jesus allein bzw. zusammen
mit
seinen
Jün
gern.
Wenn
er aus dem Schiff steigt, findet er
sich
sofort bitten-
den Menschen gegenüber. So bei
Mk
5,2I
und
6,54.
In
Mk
5 2
steigt Jesus an Land,
und
sofort läuft der Besessene
auf
ihn zu.
Das »Schiff« ist nicht
nur
redaktionelles Mittel der
Verknüp-
fung
s
veranschaulicht auch wie die menschliche
ot
an
fesus herandrängt. Für
Mk 6,32
darf
man darum annehmen,
daß der Szenenwechsel per Schiff vom Redaktor stammt.
Sollte das Schiff schon von der Vorlage erwähnt worden sein
vgl.
Jo 6 I - worauf
auch der vorredaktionelle Zusammen-
hang mit dem Seewandel ?)hinweisen könnte- geht zumin-
dest die Verbindung des Schiffs
mit
der Absicht Jesu, sich dem
Andrang
des Volkes zu entziehen, auf den
Redaktor
zurück.
Einer ähnlichen Aussageabsicht dient das Motiv des »einsamen
Ortes«. Auch ihm begegnen wir bei Markus des öfteren. Mk r
3 5 sucht Jesus den »einsamen
Ort«
zum Gebet.
In
dem vorher-
gehenden redaktionellen Sammelbericht,
der
der Geschichte
von der Heilung der Schwiegermutter des Petrus folgt,
wird
die heilungssuchende Menge geschildert, die »alle
Kranken
und
Besessenen
zu
ihm brachte«
2
• Mk I
,4 5 berichtet als redak-
tioneller Abschluß nach der Geschichte von der Heilung eines
Aussätzigen, die Sache habe sich
so
verbreitet, daß Jesus
sich
nicht mehr öffentlich in eine Stadt wagen konnte, »Sondern
er
hielt
sich
draußen
an
einsamen
Orten
auf«.
Der »einsame
Ort«
hat die Funktion, Jesus vom Andrang der
Stadt zu
befreien. Doch gelingt das nicht. »Von allen Seiten
kam
man
zu
ihm« Mk I,45). Auch in
Mk
I,35 f. gewährt der
2
Vgl. die Ahnlichkeit der Formulierung »die ganze Stadt« dort und das
»aus allen Städten« von Mk 6,JJ·
IOO
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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einsame Ort Jesus die Ruhe des Gebetes nicht. Sirnon und seine
Gefährten gehen ihm nach und bringen den Andrang der
Menge zu ihm: »Alle suchen dich« Mk 1,37). Entsprechend
gelingt
es
Jesus in Mk
6,33
nicht, seine Absicht auszuführen.
Seine bfahrt wird bemerkt und die Menge eilt an den »ein
samen Ort« voraus. Der »einsame Ort« ist in Mk 6,32 redak
tionell. Zwar mußte auch die Vorlage der Speisongsgeschichte
von einem »einsamen Ort« sprechen vgl. Mk 6, 3
5 .
Doch ähn
lich wie das Motiv des Schiffes verbindet der Redaktor den
>>einsamen Ort<<
mit der Absicht Jesu, allein zu sein, die den
noch nicht durchgeführt werden kann.
Diese Absicht Jesu unterstreicht schließlich das
-xaT
ltav für
sich). In
Mk
4,34; 9,28 wird damit an redaktionellen Stellen
die Situation esoterischer Jüngerbelehrung angegeben. Auch
die auffallende Wiederholung
des
Ausdrucks in den zwei auf
einanderfolgenden Versen Mk 6,31.
32 läßt
markinische Re
daktion vermuten, die das Alleinsein Jesu betont herausstellen
will. Dadurch wird das Moment, daß die Menge dennoch zu
ihm drängt, besonders unterstrichen.
In der
Vorlage
hat dieser
Akzent gefehlt. Der »einsame Ort« hatte lediglich Bedeutung
für den Ablauf der Speisungsgeschichte.
Er
war nötig, damit
die Menge in einer Notlage auf wunderbare Weise gespeist
werden konnte. Durch die markinische Redaktion zeigt er noch
einmal mehr, daß Jesus nicht verborgen bleiben konnte
und
macht die Lehre und Speisung der Menge zu einer der »gehei
men Epiphanien« M. Dibelius) des Markusevangeliums. Daß
Jesus nicht verborgen bleiben konnte, führt auch der erzähleri
sche Zug, daß die Menge ihm zuvorkommt, vor. Zugleich wird
dadurch die Menge als die Herde ohne
Hirten
geschildert.
Auch dieser Zug wie das Hirtenmotiv sind nur von der redak
tionellen Aussageabsicht her zu erklären. Darum dürfte beides
in der Vorlage gefehlt haben. Dadurch, daß Jesus das Volk
lehrt, soll er als Hirte des weisungslosen Volkes erscheinen.
Auch dieses Motiv hängt also von der Aussageabsicht des Re
daktors ab. Daß es sich hierbei um redaktionellen Eintrag
handelt, zeigt schließlich, daß das Lehren Jesu, ohne daß der
Inhalt der Lehre mitgeteilt wird, ein für Markus bezeichnen-
101
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der Zug ist
3
•
Das Erbarmen Jesu entzündet sich in der vor
liegenden Fassung an der Hirtenlosigkeit der Menge und
wirkt
sich darin aus, daß er die Menge belehrt.
Für
die Vorlage aber
ist anzunehmen, daß ähnlich wie in
Mk
8 der Hunger der
Menge das Erbarmen Jesu begründet, und daß er
sich
in der
Speisung ihrer erbarmt.
Die Unterschiede im Ablauf der Geschichte gegenüber der von
Mk
8 zeigen
sich
als redaktionell verursacht.
Hebt
man die
Redaktion ab, erscheint eine Geschichte, die von Mk 8 nur in
Einzelheiten Zahlenangaben usw.) abweicht. Eine Menge von
Menschen umgibt Jesus an einem einsamen Ort. Sie
harrt
bei
ihm aus. Jesus erbarmt sich über den
Hunger
der Menschen
und speist sie auf wunderbare Weise. Die Analogien der Ge
schichte zur wunderbaren Speisung Israels
auf
dem Wüstenzug
sind unverkennbar. Man
darf
allerdings die schlichte Geschichte
nicht überinterpretieren. Die Gemeinde, die diese Geschichte
überliefert, versteht sich dadurch noch nicht als neue Exodus
Gemeinde um J esus als den neuen Moses. Sie will vielmehr
in dieser Geschichte ihr Vertrauen bekunden, daß Gott in Jesus
ihr auch in ihrer leiblichen Not erbarmend nahegekommen ist.
Jesus ist das Erbarmen Gottes für die Gemeinde.
Er
sorgt für
sie Darum muß sie nicht sorgen. Sie verleiht ihrem Vertrauen
auf das in Jesus erschienene Erbarmen Gottes und auf seine
Fürsorge Ausdruck, indem sie eine Mahlgeschichte erzählt.
Jesus selber hatte der Mahlgemeinschaft eschatologischen Cha
rakter zugewiesen. Das Mahl wird zum Bild der Herrschaft
Gottes. Jesu Mahlgemeinschaft mit Zöllnern, Sündern und
Ausgestoßenen, mit seinen Jüngern, weist
auf
die eschatolo
gische
Tischgemeinschaft mit Abraham, Isaak und Jakob im
Reich-Gottes-Festsaal. Die Herrschaft Gottes befreit den Men
schen von seiner Sorge, in ihr
darf
er sich aufgehoben wissen.
In
ihr begegnet ihm Gottes Erbarmen, dessen Anwesenheit
der Glaube der Gemeinde in Jesus schon bekennt. In der Ge
schichte von der wunderbaren Speisung drängt sich die Erfah-
8
Jesus lehrt das Volk. Der Inhalt der Lehre wird nicht mitgeteilt: Mk
1,21.22; 2,13; 4,1.2; 6,2.6.34; 10,1; II,J7).
102
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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rung der Jünger von der Tischgemeinschaft mit dem irdischen
Jesus in einem großen Bild zusammen.
In diese Vorlage
trägt
Markus das Hirtenmotiv ein: Die
Menge ist wie eine Herde ohne
Hirt
und Jesus erweist si h in
seiner Lehre als der eschatologische
Hirte
des Volkes. Sein
eigentliches Wesen kann nicht verborgen bleiben sondern
drängt im Wunder der Speisung zur Epiphanie. Bevor jedoch
die eigentliche Aussageabsicht
des
Markus erkannt werden
kann ist es nötig den näheren und weiteren Kontext zu be-
achten. Erst dann
wird
verstehbar warum Markus die Ge-
schichte von der wunderbaren Speisung zweimal überliefert
und in die eine Fassung redigierend eingreift.
3· Der Seewandel fesu bei Markus Mk 6,45-52
Eine Besonderheit der Speisungsgeschichte von Mk 6 ist daß
ihr wie der Speisungsgeschichte des Johannes die Perikope
vom Seewandel Jesu folgt. Matthäus übernimmt diese Akolu-
thie von Markus doch wird eine direkte literarische Abhän-
gigkeit
des
Johannes von Markus nicht anzunehmen sein. Man
vergleiche nur die auffallenden Unterschiede in den Einzel-
heiten an Hand der synoptischen Obersicht.
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Mt 14,22-33
V a xal eüitioot;
V a Jesus nötigt
die Jünger ins Boot
einzusteigen
V b und voraus
zufahren
V
n
b
an
das jen
seitige Ufer Orts
angabe fehlt)
V c Jesus will die
Menge entlassen
V
23
a Jesus entläßt
die Menge
anders Mk)
V 3 a J
esus
steigt
auf den Berg für sim
um zu beten
V
23
b
o ljliat;
M
YEVOJ LEVTjt;
V
23
b Jesus
war
allein
dort
V 4 a Das Smiff
war viele Stadien
vom Land weg
104
Synoptische übersieht
V 4 5 a J
esus
nötigt
die Jünger ins Boot
einzusteigen
V 45 a und voraus
zufahren
V 45 b an das jen
seitige Ufer
nam
Bethsaida
V
45
c Jesus selbst
will das Volk ent
lassen
V 46 a Jesus ver
absmiedet sim von
ihnen
V 46b Jesus geht
weg auf den Berg um
zu beten
V 47a Ö ljllat; yevo
J LEVTJt;
V 47 a Das Smiff
war in der Mitte des
Meeres
Jo 6,16-u
V 16 a
o ljlia lyive1:o
V
16b
Jünger
steigen zum Meer
hinab
V
17
a Sie steigen in
das Boot
V 17
und fahren
über den See zum
jenseitigen Ufer
1tEflllV)
nam Kaphar
naum
V
17
b
IJXO tLil
i l ~ T
F:yeyovn
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Mt
14 22-33
Mk6 45-52
Jo 6 16-u
V 17b Jesus war
noch
nicht zu ihnen
gekommen
V
47
b Jesus war
allein an Land
V
48
a Jesus sieht
sie
V
48
a wie
sie
sich
abmühen beim
Rudern
V 24 a Das Schiff
müht sich
ab mit den
Wogen
V24bEswar V 48 b
Der
Wind
V 8 Das Meer
Gegenwind
war gegen
sie
wurde von einem
starken Sturmwind
aufgewühlt
V
9
a Sie hatten
25-30 Stadien ge-
rudert
V 25
4·
Nachtwache V 48 b
4·
Nacht-
wache
V 25 Jesus kommt
V 48 b Jesus kommt
seewandelnd zu ihnen
seewandelnd zu ihnen
V 48 b und er wollte
vorübergehen
V 26
Als
sie
ihn see-
V
49
a Als
sie
ihn V
9
b Die Jünger
wandelnd sahen
seewandelnd sahen sahen J
esus
see-
wandelnd und er
war nahe beim Schiff
105
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Mt I4,2.2-33
V26
a) ersd:J.raken sie
b) sagten: er sei ein
Gespenst
c
sd:J.rien
vor Furd:J.t
V 27 Jesus sprid:J.t:
Habt
Mut i yro Elf.tt,
fl.TJ <poßEi a{h
VV 28-31 Petrus
steigt aus dem
Sd:J.iff,
geht auf Jesus zu,
zweifelt, J esus redet
ihn an: Kleingläubi-
ger, warum hast du
gezweifelt
V
32
Jesus
und
Petrus steigen ins
Sd:J.iff
V p Der Wind legt
sid:J.
V33
Die im Schiff
werfen
sid:J. nieder
und
bekennen J esus
als Gottes Sohn
1 6
Mk 6,45-52
V
49b
a glaubten sie, er
sei ein Gespenst,
b) sd:J.rien auf
V
50
a Alle sahen ihn
und ersd:J.raken
V 5 b Jesus spridtt:
Habt Mut eyro
ELfl.L,
fl.TJ
<poßELO"frE
V p a J esus steigt
ins Schiff
V
p b
DerWind
legt sid:J.
V 51 b Die Jünger
geraten außer
sid:J.
V
52
sie hatten bei
den Broten nid:J.t ver
standen,
ihr
Herz
war verhärtet
Jo 6 I6-2I
V I9b
sie fürdtteten
sid:J.
V 20 Er sagt ihnen:
eyro ELf .L,
fl.TJ
qmßEi ai}E
V 2 I a Sie wollen
ihn ins Schiff nehmen
V 2 I b Das Sd:J.iff
war
sofort
an
Land
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Auf die Frage einer literarischen Abhängigkeit des Johannes
von Markus
wird
man bei der Betrachtung
der
Perikope nach
J ohannes noch einmal zurückkommen müssen. Dann
wird es
sich als günstig erweisen, zu wissen, ob Speisungsgeschichte und
Seewandel schon
vor
Markus eine Einheit bildeten, oder ob sie
von Markus erst verbunden wurden.
D.
h.
es
ist nach
der
Re-
daktionsarbeit des Markus in der Perikope
vom
Seewandel
Jesu zu fragen
und
seine Vorlage herauszuarbeiten.
Die Epiphanie Jesu auf dem See Genezareth (Vorlage)
Speisung
und
Seewandel sind nur ungeschickt miteinander ver-
bunden.
Daß
Jesus den Jüngern befiehlt, mit dem Schiff vor-
auszufahren (Mk 6,45), ist durch die Angabe,
daß
Jesus das
Volk
entlassen und auf dem Berg beten wolle, nur schlecht be-
gründet4.
Denn es
ergeben sich augenblicklich Fragen: Wie
hat
man
sich die Entlassung des Volkes vorzustellen? Waren
die 5000
Männer
(Mk 6,44) etwa an Ort und Stelle geblieben,
während
Jesus
zur
Seite
trat um
seine Jünger vorauszuschik-
ken?
Erforderte
die Entlassung des Volkes,
daß
die Jünger
schon vorausfuhren? Wieso werden die Leute
überhaupt
ent-
lassen, da
es
doch Abend ist
und
die Gegend einsam? Die
Fragen
zeigen,
daß
der Anschluß der Seewandelperikope
an
die Speisung künstlich ist
und
offenbar
dazu
dient, Jesus von
den Jüngern zu
trennen,
damit
er, wie die Seewandelperikope
es
fordert, des nachts über die Wasser schreitend zu ihnen ge-
langen kann.
Das Motiv der Entlassung des Volkes tauchte schon in der
Speisungsgeschichte
auf und wird
hier
mit
demselben
Wort
wieder aufgenommen (Mk 6,36; 6,4 5; vgl. auch
Mk 8,3 und
Mk 8,9),
um
das Zurückbleiben Jesu zu motivieren. Auch das
Motiv
des einsam betenden Jesus auf dem Berg dient dazu, die
' »Am Anfang steckt die redaktionelle Verknüpfungsarbeit des Markus in
V 45 f.: Die für die folgende Geschichte notwendige Trennung Jesu von
den Jüngern ist doppelt motiviert: 1) Jesus will das Volk entlassen,
2
er
will allein beten.« R. Bultmann Geschichte der synoptischen Tradition,
231
1 7
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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für die Seewandelgeschichte konstitutive Ausgangssituation zu
schaffen, die Vers
47
überdeutlich vorführt: Das Schiff mit den
Jüngern mitten auf dem See und Jesus allein auf dem Land.
Der Anschluß ist künstlich, die Frage aber bleibt, ob Markus
ihn geschaffen hat oder aber schon die Tradition vor ihm?
Die Antwort auf diese Frage setzt bei der schon oft gemachten
Beobachtung ein, daß
es
in der Seewandelgeschichte eine Reihe
von Anklängen an die Perikope von der turmstillung Mk
4,35-41) gibt. Zwar erzählt die Seewandelgeschichte nicht von
einem dem Sturm gebietenden Machtwort Jesu wie die Sturm
stillungsperikope, doch spricht auch
sie
von einem starken
Gegenwind, der die
Fahrt
der Jünger
so
behindert, daß sie sich
tüchtig in die Riemen legen müssen. Das Erscheinen Jesu und
sein Einsteigen ins Schiff bewirkt, daß die Mühe der Jünger
vorbei ist, weil der Wind sich legt wie in der Sturmstillungs
geschichte. Das
wird
im übrigen mit den gleichen Worten ge
sagt wie in
Mk 4,39.
»Und der Wind legte sich«. Es liegt
auf
der
Hand
hier mehr als bloßen Zufall am Werke zu sehen und
eine bewußte Angleichung der beiden Perikopen anzunehmen.
Es kommen weitere Anklänge hinzu: Bei der Sturmstillung
Mk
4,36)
wird erwähnt, daß die Jünger Jesus ins Schiff auf
nehmen. Mk 6,51 steigt Jesus ins Schiff ein. Auch das Motiv
der Entlassung der Menge liegt in
Mk 4,36
vor; ebenso die Er
wähnung, daß die Fahrt dem jenseitigen Ufer zugehe Mk 4
35). Die Annahme, daß hier der Redaktor eine ihm vorlie
gende Tradition mit Zügen aus der Sturmstillungsgeschichte
angereichert hat,
hat
also gute Gründe für
sich.
Diese in die Vorlage eingetragenen Züge hätten demnach die
Vorlage dahingehend erweitert, daß nun das Erscheinen Jesu
auf dem Meer zugleich auch dazu diente, den Mühen und Ge
fahren der Jünger ein Ende zu machen. So wird der in
Mk
6
48 erwähnte Blick Jesu auf die durch den Wind geplagten
Jünger zu einem Blick des Erbarmens. Will man zur Vorlage
durchstoßen, sind diese Züge abzutragen. Sie erlauben es uns
aber, auf die obige Frage eine Antwort zu versuchen.
Derselbe, der diese Züge in die Vorlage eingetragen hat,
hat
die Perikope vom Seewandel mit der Speisung der Fünftau-
108
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send verbunden. Dabei bediente er sich eines Mittels, das Mar
kus auch sonst gern zur Verbindung von Perikopen gebraucht:
Er
wechselt die Szene, indem das Boot ans jenseitige Ufer
fährt
5
•
Schließlich ist auch das Motiv von dem einsam beten
den J
esus
markinisch
6
•
Die Einheit der Speisungsperikope
und
der Seewandelperikope ist also nicht vormarkinisch, sondern
auf
Markus zurückzuführen. Welches Interesse hätte auch die
Tradition vor Markus daran haben können, Speisungsge
schichte und Seewandel zu einer Einheit zusammenzuschlie
ßen?7 Markus aber hatte ein Interesse daran, weil er damit
etwas Bestimmtes aussagen konnte.
Welches Interesse
hat
Markus, daß er die Perikope vom See
wandel der Brotvermehrung folgen läßt, und wie sah die Peri
kope vom Seewandel im Stadium ihrer Überlieferung vor
Markus aus? Elemente, die aus der Perikope von der Sturm
stillung in die Seewandelperikope eingetragen sind, dürften in
der Vorlage gefehlt haben
8
• So fehlte in der Vorlage wohl die
Bemerkung, daß die Jünger
sich
wegen
des
Gegenwindes mit
dem Rudern abmühen mußten. Ebenso fehlte Jesu Seewandel
der Akzent, daß er den Jüngern dadurch zu Hilfe kommt Mk
6,48
a).
Ob
die Vorlage davon redete, daß Jesus ins Boot
steigt, wird zu bezweifeln sein Mk
6,51
vgl. Mk
4>36).
Das
Sich-legen des Windes Mk 6,51 b nimmt Mk 4,39 wörtlich
5
Vgl. Mk
5,1
Heilung des Besessenen von Gerasa, Mk 5,21 Auferweckung
von Jairi Töchterlein,
Mk 8,13
nach der zweiten Brotvermehrung.
Der
An
schluß erfolgt immer mit der Formulierung
l ~ 1:0
neeav. Matthäus
und
Lukas bringen das nur,
wo
sie es bei Markus lasen.
8
Vgl. die Parallele in Mk 1,35, wo sich das Motiv in einer klar redaktio
nellen Stelle findet, nach dem Sammelbericht, welcher der Perikope von
der Heilung der Schwiegermutter Simons folgt Mk
1,29-31).
7
Daß beide zu einer vormarkinischen Wundersammlung gehört hätten, die
den Wundertaten des Propheten Elisäus gemäß dem Prinzip der
über-
bietung Wundertaten Jesu gegenüberstellte, also gewissermaßen - ein
Elisäus-Wunderzyklus - wie
G. Hartmann
und ihm folgend
A Heising
vermuten, bleibt allzu hypothetisch. G. Hartmann Der Aufbau des Mar
kusevangeliums, Münster 1936, 145-151 = NTA VII ; A. Heising Die
Botschaft der Brotvermehrung, Stuttgart 1966, 61-68
SBS
15)
8
,.Das ursprüngliche Motiv dieser Geschichte ist doch das Seewandeln, zu
dem das Sturmmotiv sekundär hinzugekommen ist.« R. Bultmann Ge
schichte der synoptischen Tradition,
231;
vgl.
E
Schweizer Markusevange
lium, 9
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auf.
So
entfällt denn auch der Grund für die in Mk
6,p
c er
wähnte Reaktion der Jünger
9
• Im jetzigen Zusammenhang ist
Vers 4 8 b: »Er wollte vorbeigehen« ein gewisses Problem.
Denn durch die Erwähnung,
daß
Jesus die
sich
mit dem Ru
dern plagenden Jünger sieht (von wo aus?), wird sein Wan
deln auf dem
See
zugleich ein Zuhilfekommen. Vers 48b aber
widerspricht dieser Absicht
10
• Fällt aber das Sich-abplagen
der Jünger weg, dann ist das Vorüberziehen-wollen von Vers
48
durchaus zu erklären, denn es gehört stilgemäß zu den
Topoi einer Epiphaniegeschichte und ist geeignet, das Unfaß
liche, nicht vom Menschen her festzuhaltende der Gestalt aus
der himmlischen Welt zur Anschauung zu bringen
11
• Endlich
ist auch Vers 52 redaktionell; denn er nimmt Bezug auf die
Brotvermehrung. Die Vorlage des Markus erzählte demnach
von einer nächtlichen Erscheinung des den Jüngern zuerst un
bekannten Jesus auf dem
See
von Genezareth. Hierzu war
erforderlich, daß die Geschichte die Jünger kurz als auf dem
See befindlich vorstellte. Die Betonung des auf dem Land
bleibenden Jesus einerseits und der Jünger auf dem
See
ande
rerseits fehlte wohl in der alten Geschichte und gehört zur
redaktionellen Verknüpfung der Perikope mit dem Vorher
gehenden. Jesus kommt um die vierte Nachtwache, über den
See wandelnd, zu den im Boot befindlichen Jüngern und zieht
an ihnen vorbei. Sie halten ihn für ein Gespenst und schreien
vor Schreck auf (V 49)1
2
• Jesus spricht sie an: »Ich bin es
fürchtet euch nicht« (V 5ob)1
3
Damit hat die alte Geschichte
ihren Höhepunkt erreicht; wie
sie
weiterging, ist nicht mehr zu
rekonstruieren. Man darf allerdings vermuten, daß in der Ge-
9
Zu der Form bt
1tEQL(HJOii
vgl. das ähnliche 1 t E Q Q L C 1 Ö J ~ ebenfalls in der
Schilderung der Reaktion
auf
Taten Jesu: Mk
ID,26;
I5,I4)·
10
Matthäus läßt den Zug als unverständlich weg:
Mt
I4,22-33.
Vgl. die Epiphanien Jahwes vor Moses
und
Elias: Ex 33,I9.22; 34,6;
I
Kön I9,II und
den»
Vorüberzug des Herrn« bei der Tötung der ägypti
schen Erstgeburt, Ex
1,4.
12
Die in Vers
50
wiederholte Reaktion der Jünger ist redaktionell.
13
Die Verdoppelung der Aufforderung »Fürchtet euch nicht « durch das
der
Selbstvorstellungsformel vorangestellte
»Habt
Mut « ist redaktionell.
Sie bezieht
sich
nicht auf den durch die Epiphanie hervorgerufenen Schrek
ken, sondern ruft die gefährliche Lage des Sturms in Erinnerung.
IIO
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schichte noch davon die Rede sein mußte,
daß
die Jünger den
Herrn
erkannten
und
ihm in irgendeiner Weise huldigten.
Man wird sich
fragen müssen, welche Aufgabe die alte Ge
schichte hatte. Die Selbstvorstellung Jesu:
>>Ich
bin es «
und
sein Vorüberziehen weisen in die Richtung einer Epiphanie
geschichte. Man hat vermutet,
daß
es sich ursprünglich
um
eine
Ostergeschichte
gehandelt hat die von einer galiläischen
Erscheinung des Auferstandenen erzählte.
>>Leichter verständ-
lich würde die Erzählung, wenn sie ursprünglich eine Aufer
stehungserscheinung meinte«
14
• Am
ehesten würde sich
dann
Jo
21
als Parallele anbieten;
dort
spielen Boot, See, Jünger
und
die am
Ufer
stehende, zuerst unerkannte Gestalt des
Auf-
erstandenen eine Rolle. Vielleicht mögen auch Analogien zu
Lk
24,37 vorliegen,
dort
halten die im Saal versammelten
Jün-
ger den
vor
ihnen erscheinenden Auferstandenen für eine Gei
stererscheinung; der Auferstandene stellt
sich mit
dem gleichen
f yro
EL Lt vor
ermahnt sie, von ihrer Furcht
zu
lassen und sucht
sie
davon
abzubringen,
in
ihm einen Geist
zu
vermuten,
>>denn
ein Geist hat doch nicht Fleisch
und
Bein.«
Für
die Annahme,
daß es sich ursprünglich um eine Ostergeschichte handelte, gibt
es also durchaus Anhaltspunkte
15
• Markus hätte
dann
eine ur-
sprüngliche Ostergeschichte in die Zeit des irdischen Jesus zu-
rückverlegt, um so im irdischen Leben J esu das Geheimnis
seiner Person in der Art
>>geheimer
Epiphanien« M
Dibelius)
vor den Jüngern aufleuchten zu lassen
16
•
Zu einer letzten Sicherheit, ob Ostergeschichte oder Geschichte
über eine Begebenheit aus dem irdischen Leben
wird
man nicht
gelangen können
17
• Man wird
aber sagen dürfen: Es handelt
sich um eine Epiphaniegeschichte, die
der
Evangelist innerhalb
14
] Schniewind, Das Evangelium nach Markus, München-Harnburg 1968,
89
(=Siebenstern-Taschenbuch
107)
15
Vielleicht ist auch in dem Vorbeiziehenwollen von Vers
48
eine gewisse
Ahnlichkeit zu Lk
24,28
f zu sehen, wo der die Ernausjünger begleitende
Herr weitergehen will.
16
»Das könnte einmal eine Schilderung einer Erscheinung des Auferstande
nen gewesen sein, ist aber wahrscheinlich eher eine Geschichte, die Jesu
göttliche Macht innerhalb seines Erdenlebens darstellte.« E Schweizer,
Markusevangelium, 79
17
Vgl. R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition,
246
111
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des irdischen Lebens Jesu angesiedelt wissen wollte
18
• In ihrer
ursprünglichen Fassung wollte sie zeigen, wie in Jesus die Epi
phanie Gottes geschieht. Im Wandeln über den
See
soll die
Macht Gottes erscheinen und sich den Jüngern in der Selbst
vorstellung Jesu offenbaren.
Es ist möglich, daß darin eine bewußte ufnahme alttesta-
mentlicher Vorstellungen
zu erkennen ist. Dort
wird
das Was
ser als die unheimliche Chaosmacht gesehen, die Gott durch die
Schöpfungstat in ihre Grenzen weist Gen r,6-ro; Spr
8,27
f.).
Sahen orientalische Mythen die Schöpfung als Kampf zwi
schen Schöpfergott und Urmeer,
so
zeigt Gen
r,
wie das
Ur
meer durch das Wort Gottes begrenzt wird. Doch Gott kann
das Wasser über seine Grenzen treten lassen, dann bedroht es
Mensch und Tier, und die alte Chaosmacht stürmt gegen alles
Geschaffene wieder an Gen
6-9).
So bringt es Tod und Ver
derben; aber es ist
Gott
unterworfen.
Er
kann es zu Taten der
Rettung einsetzen und verleiht diese Macht sogar Menschen
Ex
J4,r6.2r .
Diese ungefragte und ungefährdete Macht
Gottes über den Abgrund der Bedrohung gelangt in Bildern
zum Ausdruck, in denen Gott über die Wasser schreitet Ps
77,20;
Hiob
9,8;
38,r6; Sir
24,5f.).
Sollte im Seewandel Jesu
eine bewußte Aufnahme dieser Vorstellungen vorliegen, würde
darin vor allem das Moment der über Tod und Abgrund herr
schenden Macht Gottes mit ausgesagt sein, was gut zu der Ver
mutung paßt, die in der Vorlage eine ursprüngliche Oster
geschichte zu sehen glaubt.
So ist das Seewandeln Jesu der Absicht einer Epiphaniege
schichte unterstellt und darf nicht als mirakulöser Einzelzug
isoliert werden. Die Geschichte ist Ausdruck des Glaubens an
die in Jesus geschehene Epiphanie Gottes und seiner todüber
windenden Macht.
18
Im
übrigen ist es nicht entscheidend, ob
es sich
»um eine vor- oder nach
österliche Epiphanie handelt.
Es
wäre ein seltsames Mißverständnis, das
vielleicht meint, mit der Bestimmung >nachösterlich sei die Sache leichter zu
ertragen,
es sei
denn, man ist auch mit Ostern bereits irgendwie >fertig
geworden<.« J Blank Die johanneische Brotrede, in: Bibel und Leben 7
1966), 2 7
I I2
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Jesus steigt
zu
den Jüngern ins Boot Markus)
Für Markus erscheint diese Macht im Leben des irdischen
J esus. Insofern er Züge der Sturmstillungsgeschichte einträgt,
charakterisiert er die in Jesus geschehene Epiphanie als ein dem
Jünger in seiner letzten Bedrohtheit Zuhilfe-kommen der gött
lichen Macht. Das »Ich-bin-es« der göttlichen Selbstvorstellung
offenbart nicht nur Gottes anwesende Mächtigkeit, vor der der
Mensch nur erschauern kann, sondern wird bei Markus zu
einem »Mit-ihnen-reden« Mk 6,50), zu einer Offenbarung
darüber,
daß
in
Jesus die todüberlegene Macht Gottes dem
Jünger zugewandt ist, ihn in Hut nimmt, in sein Schiff ein
steigt
und
den Sturm beruhigt. Doch durch die markinische
Eintragung von Zügen aus der Sturmstillungsgeschichte wird
nicht
nur
die dem Menschen rettend zugewandte Seite des epi
phanen Geschehens akzentuiert, sondern gleichzeitig
wird
ein
zweites Thema angeschlagen, das in der Sturmstillungsge
schichte auch eine Rolle spielt.
In
der vorliegenden Perikope
hat es vor
allem
in
den Versen
51
b
und
52
seine Spuren hinter
lassen. >>Was der Abschnitt für Markus bedeutet,
wird
Vers
52
sichtbar. Das Motiv der Blindheit der Jünger wie die Formu
lierung vom verstockten Herzen weist
auf
seine Redaktion«
9
•
Die
Seewandelperikope schließt
in
der markinischen Fassung
damit,
daß
Jesus zu den Jüngern
in
das Boot steigt. Es bleibt
nicht bei der bloßen Epiphanie, sondern die Zugewandtheit,
dessen, der
da
epiphan wurde, zeigt sich in der doppelten Rich
tungsangabe, von denen die eine an sich unnötig wäre: ZU
ihnen«
und in
das Boot«. Diese Bewegung hatte sich schon
vorher angekündigt.
Zu
Beginn war eine strenge Scheidung
vorgeführt: Die Jünger mitten
auf
dem Meer und
er
allein an
Land Mk 6,47). Doch sein Blick überwindet die Trennung
und
ist bei ihnen törbv
a u r o u ~
Mk 6,48). Sein Kommen ist
nicht
nur
ein Kommen
zur
einmaligen Epiphanie, sondern ein
Auf-sie-hingehen EQXETat n g o ~
a u r o u ~
Mk 6,48). Seine Selbst
vorstellung ist nicht bloß an sie ergehende Offenbarung so in
9
E Schweizer
Markusevangelium,
So
3
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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der Vorlage,
tat
Myet a \ r r o i ~ ; Mk 6,5ob), sondern ein Mit
ihnen-reden
(EAUA1 JOEV
lE't'
a\m'Dv; Mk
6,50 b
).
Und
so
bringt
Vers
51
ihn nicht
nur
ins Schiff, sondern auch zu ihnen, d. h.
in ihre Gemeinschaft
n g o ~
a \ n o u ~ Mk
6, 5
20
•
Die Gemeinschaft des epiphan Gewordenen mit den Seinen
stillt den Sturm. Umso mehr muß das Folgende auffallen. Die
von ihm gebrachte Gemeinschaft wird nicht zum
Grund
von
verstehendem Vertrauen, sondern zum Anlaß eines über alle
Maßen großen Erschreckens Mk 6,5 I b ). Ein solches Er
schrecken folgt auf seiten des Menschen immer als Reaktion
auf das göttliche Handeln. Insofern erscheint Mk
6,5
I
b durch
aus stilgemäß. Bedenkt man allerdings die vorhergehende Be
tonung der Zugewandtheit Jesu,
wird
Vers
52
verständlich,
der das heftige Erschrecken der Jünger von Vers 5 b im Nach
hinein als ein Nichtverstehen des Brotwunders erklärt. Das
Erschrecken der Jünger nimmt nicht wahr, daß die Selbstvor
stellung
des
Epiphanen: »Ich bin
es«
markinisch verstanden
mutmachende Zusage ist. Insofern sie erschrecken, mißver
stehen sie ihn, und insofern sie ihn mißverstehen, ist auch ihr
Herz
verstockt.
Vers
52
macht noch einmal deutlich, daß die Zusammenstel
lung von Speisung der Fünftausend und Seewandel auf
Mar-
kus zurückgeht, denn ihr Erschrecken wird dadurch begründet,
daß
sie
über die Brote noch nicht zum Verständnis gelangt
sind.
Hier
wird auch sichtbar, was in der Epiphaniegeschichte
seiner Vorlage es Markus möglich machte, die Geschichte anzu
schließen. Der für eine Epiphaniegeschichte durchaus stilge-
20
Matthäus übersieht übrigens diese Nuance seiner Markusvorlage:
Er
läßt den Zug von Vers 48, daß Jesus die Jünger sieht, weg, vielleicht aus
der Überlegung heraus, daß es schlecht möglich ist, in der Nacht, bei Dun-
kelheit also, vom
Ufer
aus ein kleines Schiffchen zu sehen, das in der Mitte
des Sees, also im besten Fall vier Kilometer entfernt,
sich
befindet. Umso
mehr unterstreicht dieser Zug bei Markus seine Aussageabsicht: Der Blidt
Jesu sieht die Jünger und ist bei ihnen. Ebenso macht Matthäus aus dem:
»Er redete
m t
ihnen« des Verses
5
ein »Er redete
zu
ihnen«
(EAO.A I]GEV
a\rtoi:<; Mt 14,27)
und ordnet das bei Markus neuanhebende
xat AEYEL
mhoi:<; partizipial unter. Als Jesus mit Petrus) das Boot betritt, fehlt
schließlich auch das neo<;
a\rcou<;
und
es
heißt: »Und als sie in das Boot
stiegen« Mt
14,32).
II4
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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mäße Zug, daß die Jünger die auf den Wassern wandelnde
Gestalt für ein Gespenst halten, wird von Markus als Beispiel
ihres Unverständnisses gesehen, bewußt der Speisungsgeschichte
nachgestellt und unter dem Thema des Jüngerunverständnisses
mit ihr zusammengehalten.
Zugleich aber verweist Vers 52 die beiden Perikopen in einen
größeren Zusammenhang; denn die Tatsache,
daß
der zweiten
Brotvermehrung von
Mk
8,1-9 in
Mk
8, 10)13 ebenfalls eine
Seefahrt Jesu mit den Jüngern folgt, während der das Ge
sprächJesu mit den Jüngern auf beideSpeisungenBezug nimmt
Mk 8,19f.), und nun das Thema des Jüngerunverständnisses
erst richtig ausgeführt wird, zeigt, daß der Redaktor hier be
wußt
parallelisiert hat.
·
as Jüngerunverständnis bei Markus
Das Motiv
Was Markus durch das Motiv vom Jüngerunverständnis sagen
will, läßt
sich
erkennen, wenn man das Vorkommen des Mo
tivs verfolgt. Es taucht zum ersten Mal im Zusammenhang der
Gleichnisrede auf Mk 4,1of. 13). Vor dem versammelten Volk
trägt
Jesus vom Boot aus das Gleichnis vom Sämann vor.
In
der darauf folgenden Situation der esoterischen Jüngerbeleh
rung befragen ihn seine Umgebung
und
die Zwölf über die
Gleichnisse. Die ntwort Jesu Mk 4,11) scheidet zwischen
denen »drinnen« und denen »draußen«. Dem Zusammenhang
nach ist das Volk mit denen »draußen«, seine Umgebung und
die Zwölf mit denen »drinnen« zu identifizieren. Die draußen
hören Jesu Botschaft
nur
in Gleichnissen, den Jüngern aber
ist es gegeben, das Geheimnis ·des Reiches Gottes zu ver
stehen.
Der
Zweck der Gleichnisrede nach Markus ist es die durch die
Propheten voraus verkündigte eschatologische Verstockung Is
raels zu bewirken. »Die Gleichnisse Jesu haben direkt den
Zweck, Wahrnehmen und V erstehen, Bekehrung und Vergebung
115
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zu verhindern«
21
• »In ihnen zeigt
sich,
daß am Wort Gottes, im
Wort Gottes die Entscheidung über den Menschen fällt. Das
Wort schafft Leben, aber es schafft auch den Tod; es »bekehrt«,
aber
es
verstockt auch«
22
•
Das gilt auch
für
die Jünger Jesu.
Der konkrete Fall zeigt, daß
sie
die Gleichnisse nicht verstehen
Mk 4,13). Gehören sie also zu denen, die Augen haben und
doch nicht sehen, mit den Ohren hören und doch nicht ver
stehen? Und gilt ihnen dann auch »damit sie sich nicht bekeh
ren und Vergebung finden« Mk 4, I 2 ? Sind also auch
sie
ver
stockt? Insofern sie die Gleichnisse nicht verstehen, sind sie
es;
insofern sie aber mit Jesus allein sind, werden sie belehrt, in
dem er ihnen im Geheimen alles auslegt. Gelangen
sie
also doch
zum Verständnis?
Für
Markus ist der Sachverhalt komplizier
ter. Die Jünger sind zwar
drinnen-
ihnen ist das Geheimnis
des Gottesreiches übergeben -, aber insofern sie die l e i c h n i s ~
rede nicht verstehen, sind auch
sie
verstockt, sind auch
sie
»draußen«. »Markus versteht diesen Satz V I I
f . -
und da
mit Jesu Absicht bei seinen Gleichnisreden- radikal: Auch die
Sonderbelehrung und Ausdeutung der Gleichnisrede hilft den
Jüngern noch nicht.
So
offenbaren die Gleichnisse Jesu die voll
ständige Blindheit der Menschen, auch der Jüngergemeinde,
für Gottes Handeln. Wenn dieser Jüngergemeinde trotzdem
verheißen ist, daß ihr »das Geheimnis des Reiches gegeben
werde«, dann ist das ein noch weit größeres Wunder als
es
V
I I
f. beschreiben können«
3
•
Schon bei der Gleichnisrede zeigt
sich
also, was nach dem See
wandel Mk 6,52) von den Jüngern gesagt wird: Ihr Herz ist
verhärtet,
sie
sind verstockt. Ebenso wie die Gleichnisrede Jesu
Mk
4,Iof.I3
der Verstockung dient, führt auch das Spei
sungswunder und der Seewandel in das Unverständnis der
Verstockung. Das Motiv der verstockenden Gleichnisrede folgt
in dem
Gespräch über Rein
un
Unrein
noch einmal und zwar
in Ausrichtung auf die Jünger, die ein Gleichniswort Jesu Mk
7, I 5 nicht verstehen Mk 7, I 7). Die Frage Jesu bezeichnet
21
]
Schniewind
Markusevangelium, 63
2
2
]
Schniewind
ebd., 63
23
E
Schweizer
Markusevangelium,
p.
I I
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auch sie als unverständig
am vETOt, ou
voEi:TE Mk
7, I 8 und
parallelisiert sie xat Uf-tE i:c; Mk 7,I8) mit den in Vers durch
ein Jesajawort, durch Gottes Willen also, als Heuchler verur
teilten Gegnern.
Es
folgt die Reise Jesu ins Gebiet von Tyrus
und
Sidon Mk
7,24-37), und
dann schließt
sich
die zweite
Speisungsgeschichte
an. Hatte
Mk
6 p
schon das Verhalten
der Jünger als ein Nichtbegreifen
des
Brotwunders bei der er
sten Speisung charakterisiert, so muß nach dem Vorhergehen
der ersten Speisung die Frage der Jünger von
Mk
8,4: »Woher
soll einer hier in der Wüste das Brot nehmen, um diese zu sät
tigen?« als erneuter Beweis ihres Unverständnisses gelesen
werden. Wer das Wunder der ersten Speisung erlebt
hat und
wem zudem eine Epiphanie geschehen ist, in der Jesus sich im
Offenbarungswort enthüllt, der
muß
völlig stumpf
und
blind
sein, wenn sich die schon einmal erlebte Situation wiederholt,
und
er genauso töricht reagiert wie beim ersten Mal.
Es beginnt
sich
abzuzeichnen, warum Markus zweimal eine
Brotvermehrung in sein Evangelium aufnimmt: Nicht weil er
nicht erkannt hätte, daß beide Fassungen das gleiche Ereignis
erzählen, sondern deshalb, weil er
auf
diese Weise zeigen kann,
daß
die Jünger stumpf
und
pnverständig für das sind, was sich
in
Jesus ereignet.
Das
wird
vollends
in k
8 I
I I
deutlich.
Der
zweiten Brot
vermehrung folgt eine Seefahrt Jesu mit den Jüngern, die sie
in die Gegend
von
Dalmanutha
bringt Mk 8,Io).
Dort
kom
men Pharisäer, um mit ihm zu streiten Mk
8,u und
fordern
ein Zeichen vgl.
Jo
6,30). Die Pharisäer sind Angehörige der
verstockten
und
herzensharten Gegner Jesu vgl.
Mk 3,5
f.).
Ihre Zeichenforderung macht nach dem vorangegangenen
Wunder ihre Blindheit Jesus gegenüber deutlich,
und
das
Wort
Jesu über
sie
hat
den
Rang
eines Urteils,
so
wie
es
Mk
7,6
f.
schon nach der ersten Brotvermehrung über die Gegner J esu
gefällt worden war.
Wir
dürfen bewußte Komposition vermuten, welche die bei
den Abschnitte parallelisiert.
Man
beachte
nur
das endgültige
von
Mk 8,
3 »und er ließ sie stehen, stieg ein
und
fuhr weg
ans andere Ufer«. Dem entspricht
in Mk
7,I7 das »und als er
II7
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hineingegangen
war
ins Haus, weg von der Menge«. Doch
Markus will mit dem Abschnitt
8,11-13
nicht nur die endgül
tige Blindheit der Gegner darstellen. Diese sind hier gar nicht
als Zeugen der Speisung gedacht. Das Speisungswunder soll
zu den verstockten Gegnern in gar keinem Bezug mehr stehen,
sondern nur für die Jünger ein Zeichen sein, das sie aus ihrer
Blindheit befreien soll. Für die blinden Gegner wird das Spei
sungswunder nicht mehr gewirkt.
über
sie ist das Urteil
ge-
fällt. Ihnen wird kein Zeichen gegeben werden. Doch den Jün
gern hätte darin etwas aufgehen sollen. Die Gegner spielen
also hier keine selbständige Rolle mehr; sie bilden nur
noch
den Hintergrund, der über die Jünger etwas aussagen soll.
aß
es
bei beiden Speisungsgeschichten um die Jünger geht,
macht schließlich der Abschnitt
k
8 14-21
vollends offenbar,
in den verschiedene redaktionelle Linien einmünden, und der
zusammen mit der folgenden Blindenheilungsgeschichte einen
wichtigen Abschnitt
des
Markusevangeliums markiert. Der
Abschnitt beginnt mit einerneuen Situationsangabe: Jesus läßt
die Gegner stehen und fährt mit den Jüngern ans jenseitige
Ufer
Mk 8,IJ). Er ist mit den Jüngern wieder allein. Unver
mittelt berichtet die Exposition, daß die Jünger vergessen ha
ben Proviant mitzunehmen: Nur ein einziges Brot haben
sie
bei
sich
im Schiff. Ebenso unvermittelt
warnt
Jesus
sie
vor
dem
Sauerteig der Pharisäer und vor dem Sauerteig des Herodes.
Dieses Wort Jesu wird von den Jüngern auf nahezu groteske
Weise mit ihrem Versäumnis, Brot mitzunehmen, in Verbin
dung gebracht. Jesus erkennt ihre Gedanken, macht den Jün
gern in Frageform den Vorwurf, verhärtet zu sein und befragt
sie
nach den beiden Brotwundern.
Schon die übersieht zeigt, daß
es
sich
nicht um ein geschlosse
nes Traditionsstück handelt, sondern um Komposition, die den
Abschnitt bewußt Mk 7,17-23 parallelisiert. Voraus geht die
Speisung der Viertausend Mk
8,1-9), Mk 8 10
berichtet von
gemeinsamer Seefahrt, Mk 8,11-13 von auftauchenden Geg
nern, die von sus ein Zeichen fordern und von dem Urteil
Jesu über die Gegner, denen kein Zeichen gegeben wird. Allein
118
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mit
Jesus im Schiff zeigen die Jünger anläßlich eines Bildwor
tes Jesu ihr Unverständnis das die folgenden Fragen Jesu als
Herzenshärte interpretiert.
Darin
aber können
wir
eine be
wußte Angleichung an den Komplex um die erste Brotvermeh
rung sehen. Aus folgender übersieht wird das erkennbar:
6 33-44
Speisung der
5000
8 1-9
Speisung der
4000
6 45-56
Seewandel und 8 10
Jesus mit den Jün-
überfahrt
nach gern auf der über-
Genesareth fahrt nach Dalma-
nutha
7 1-16
Gegnerfrage nach 8 II-13
Zeichenforderung
Rein und Unrein
der
Gegner-
Ur-
Urteil über Gegner
teil über Gegner
7·17-23
Unverständnis der
8 14-21
Unverständnis der
Jünger über das
Jünger über Bild-
Gleichnis- Frage wort Jesu- Fragen
Jesu nach dem Un-
Jesu nach dem Un-
verständnis der verständnis der
Jünger Jünger
So wie in Mk
7 17
die Jünger ein »Gleichnis« Jesu nicht ver
standen
so
zeigt ihr Verhalten von Mk
8 16
daß
si
auch dort
ein Bildwort des Herren mißverstehen. Das Bildwort
Mk 8 15
nämlich ist ein erneutes Beispiel dafür daß nach markinischer
Konzeption die Gleichnisrede Jesu zum Unverständnis führt.
Es bildet den Kern der kompositionellen Arbeit d ;:s Abschnit
tes
Mk
8 14-21.
Stellen wie
1
Kor
5 6-8
und Gal
5 9
zeigen
daß das Bild vom Sauerteig sowohl bei den Rabbinen als auch
in den christlichen Gemeinden innerhalb paränetischer Zusam
menhänge gebraucht wurde
24
• Es war gut dazu geeignet die
Gefährlichkeit eines auch
nur
geringen Sich-einlassens auf das
u
Vgl.
illerbeck
I
728 f
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Böse bildhaft darzustellen. »Die stehende Bedeutung des Bil-
des ergibt sich daraus, daß beim jüdischen Passah aller Sauer-
teig beseitigt
wird
als Gefährdung des Heiligen«
25
•
Auch Jesus
hat
offenbar das Bild
vom
Sauerteig
verwandt
vgl.
Mt
r 3
33),
allerdings in positiver Wendung.
Mk
8,r 5 gebraucht
es
in
paränetischer Ausrichtung.
Die
Jünger sollen sich hüten. Wo-
vor sie sich in acht nehmen sollen, bleibt allerdings schwer ver-
ständlich.
Daß
nach der Markusfassung die Jünger sich in ir-
gendeiner Weise davor hüten sollen, von den Pharisäern »an-
gesteckt«
zu
werden, darüber sind sich die Synoptiker einig.
Aber sie interpretieren Markus in verschiedener Weise: Bei
Matthäus sollen sie sich
vor
der Lehre der Pharisäer
und
Sad-
duzäer
)
hüten, bei Lukas
vor
der Heuchelei der Pharisäer
(Mt
r6,rz; Lk
rz,r). Was Markus damit sagen will, wird er-
sichtlich, wenn man
auf
die achtet,
vor
denen das Bildwort
warnen
will: Pharisäer
und
Herodes.
In
Mk
3,6 beraten sich Pharisäer
und Herodianer
wie sie Jesus
vernichten könnten. Jesus
hatte
sie
zuvor
gefragt: »Ist
es
er-
laubt,
am
Sabbat Gutes oder Böses zu tun, ein Leben zu retten
oder
zu
vernichten?« Mk 3,4).
Ihr
Schweigen
und
ihre bösen
Pläne charakterisieren sie als Vertreter des Todes, die sich der
mit Jesus hereinbrechenden Lebensmöglichkeit entgegenstel-
len.
Darin
besteht die Verstockung ihrer
Herzen (Mk
3,5), die
sich
im Vernichtungsbeschluß über Jesus in
blanker
Feindschaft
äußert. Noch einmal tauchen die Pharisäer zusammen
mit
den
Herodianern
als Gegner Jesu in
Mk
12,13 auf.
Hier
sind sie
die erste Gruppe
von
Gegnern, die nach der Vollmachtsfrage
(Mk
rr,27-33)
verschiedene Fragen an Jesus herantragen. Sie
fragen
ihn
in der Absicht, ihn »durch ein Wort zu fangen«
(Mk r2,r3).
So wollen sie den in
Mk
r2,r2
gefaßten Beschluß,
sich
seiner zu bemächtigen, ausführen. Was sie tun, ist ein
Schritt
auf
dem Weg,
der
in den endgültigen Todesbeschluß
gegen Jesus
führt
Mk 14,r). Mk
r2,r2
X.Qa-rijam;
Mk r4,r
X Q a r ~ a a v w ; n:ox.-rd
vwaLv).
Wenn
man
außerdem bedenkt, welche Rolle Herodes
im Mar-
5 ] Schniewind Markusevangelium, 104
12
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kusevangelium
spielt-
er ergreift den Vorläufer Jesu (bt(HXTTJ
crEv Mk
6,17)
und
läßt
ihn hinrichten-, darf man schließen:
Mit Pharisäern und Herodianern sollen
beiMarkusdie
Feinde
Jesu par excellence benannt sein. Aus dieser Perspektive
läßt
sich das Bildwort von Mk 8,15 als eine Jesus von Markus in
den Mund gelegte Warnung an die Jünger verstehen, nicht
auch noch zusätzlich zu ihrer Verstockung aus der Gemein
schaft mit ihm auszubrechen und zur Gruppe seiner Feinde
überzuwechseln, die ihm ans Leben wollen. Dann wäre Jesu
Urteil über die Gegner auch das Urteil über sie.
Markus hätte darüber hinaus erreicht, daß noch einmal die
Gleichnisrede Jesu ihre verstockende Wirkung zeigen kann:
Die Jünger interpretieren sein Wort als einen Vorwurf wegen
ihres Versäumnisses, Brot mitzunehmen. Damit aber erliegen
sie zum dritten Mal dem gleichen Irrtum. Sie verstehen nicht,
daß die Frage, woher man Brot nehmen solle, keine Bedeutung
hat. Es schließt sich die Gegenfrage Jesu an Mk
8,q ,
die ihr
grobes Unverständnis seines Wortes tadelt und zurückweist,
aber auch zugleich in einen größeren Zusammenhang von Un
verständnissen hineinstellt. Insofern also in Mk
8,14-16
die
beiden Motive der verstockenden Gleichnisrede Jesu sowie das
der Gemeinschaft bzw. Gegnerschaft von Verstockten mit bzw.
zu Jesus .auftauchen, erweisen
sich
die Verse als markinische
Komposition. Sie weisen nach der Begegnung mit verstockten
Gegnern Mk
8,10-13)
noch einmal auf die in Gemeinschaft
mit
Jesus befindlichen unverständigen Jünger hin. Das
Unver-
ständnis der ünger unterstreichen
die
sich
in den Fragen Jesu
häufenden Termini, die in irgendeiner Weise von einem Nicht
verstehen handeln
26
• Die in den Versen
17-21
verwendeten
Motive und Termini begegnen alle schon vorher im Markus
evangelium.
Hier
tauchen
sie
zum letzten Mal auf.
Ihre Häu
fung zeigt, daß hier ein Resümee gezogen wird. Das Jesajazitat
von den blinden Augen und tauben Ohren begegnet in der
Gleichnisrede Mk 4,12) und hier. Dort gilt
es
von dem ver-
24
Mk
8,17: oürrro
'VOEL"tE, oUill; 11J'VLE"tE;
Mk 8,18: ou ßl.ErrE tE, oux; ax;ouE tE, o'Ö ft'VTJflO'VEuEn;
Mk 8,21: oürrro auvlE-.;E;
121
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stockten Volk, hier von den unverständigen Jüngern. Beiden,
dem Volk wie den Jüngern erschließt
sich
der Sinn der Worte
Jesu nicht, vielmehr führen diese sie gerade in das Unverständ
nis Mk 4,12
<J'UVLl'Jf L; Mk
7,18 avvEl:oL).
Aber auch die Taten Jesu werden nicht verstanden. Gegenüber
Speisung und Seewandel bleibt die Verschlossenheit bestehen
ou
yag
auvrpmv Mk 6 p
vgl.
Mk
8,17). Insofern die Jünger
der Gleichnisrede und den Taten Jesu gegenüber blind und
taub bleiben, sind
sie
in ihren Herzen verhärtet.
Damit
glei
chen sie den Gegnern Jesu und dem verstockten Volk. Selbst
für die Jünger bleibt
Wort
und
Werk Jesu verschlossen, selbst
die Jünger führt Jesu Wort und Werk in die eschatologische
Verstockung Mk 3,5;
6 p;
8,17).
In
ihrem Verstocktsein sind
die Jünger den beiden anderen Gruppen gleich. Ihr Unver
ständnis wird immer wieder betont hervorgehoben Mk 4,10.
11. 13· 34· 40f.; 5,31); 6,37); 6 p; 7,17f.; 8,4); 8,14-21;
8,29); 8,33; 9,5 f.; 9,10. 18. 19. 28.
31 f.
33·
34· 38.
39; 10,10.
13. 24. 26.
32·
35-40). Aber im Unterschied zu den anderen
Gruppen
wird
von ihnen immer wieder betont,
daß
sie mit
Jesus sind, daß Jesus bei ihnen ist, daß sie Jesus nachfolgen,
daß Jesus ihnen vorangeht Mk 1,16-20.29. 36-38; 2,14-15;
2,19-20); 2 2 3 ~ 3,7. 13-19; 4,10. 34· 36-41; 6,1. 30-p; 6,48.
50.
p
7,17; 8,1. 10. 27; 9,2. 14· 28. 30.
33·
41; 10,10. 23. 27.
28-30. 32. 46.
p
II II.
14;
J4 J4.
17-25). Sie sind
zwar
ver
stockt, ihre Herzen sind zwar verhärtet, ihre Augen blind und
ihre Ohren taub, doch sie sind die Berufenen, die dem Herrn
folgen, wohin er auch immer geht. Erst bei seiner Passion ver
lassen auch sie ihn Mk 14,37·50.66-72). Vom Volk unter
scheidet sie, daß sie ständig mit ihm sind. Das Volk umdrängt
ihn, aber nur dann, wenn er kommt Mk 1,33·37·45;
2 1
f.;
3,7-9; 3,2o; 4,1; 5,21.31; 6,31.33f.55; 8,1).
Es
steht nicht
in ununterbrochener Gemeinschaft mit ihm, und der Andrang
des Volkes ebbt von der ersten Leidensverkündigung
an
ab.
Auch die Gegner Jesu unterliegen der Verstockung Mk 3,5).
Sie kennen überhaupt keine Gemeinschaft mit Jesus. Die fünf
polemischen Szenen Mk 2,1-3,6) zeigen Pharisäer, Schriftge
lehrte, Herodianer von Anfang an als entschiedene Gegner
122
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Jesu, die schon während
des
Galiläazyklus den Todesbeschluß
fassen (Mk 3,6). Die Jünger aber sind als die, die er selbst
wollte, gerufen und zu ihm gekommen.
Er hat
sie geschaffen
(Mk 3,14 btot Y]crfv), damit sie (Mk 3,14 Lva) mit ihm seien
(Mk 3,14 fldaurou . Sie sind immer wieder mit ihm allein,
im Haus, für
sich;
sie sind drinnen und werden belehrt (vgl.
Mk
7,17-23 . Ihre Verstockung verwehrt
zwar
den Jüngern
das Verständnis der Worte und Taten Jesu. Aber ihr Aushar-
ren in seiner Gemeinschaft läßt sie
sich
zumindest der unver-
standenen Einzelbei ten erinnern. Weil sie bei ihm bleiben,
können sie Jesus Antwort geben, wenn er nach der Zahl der
Körbe frägt (Mk 8,r9f.)
27
• Was sie nicht verstehen, ist der
verborgene Sinn.
Es
gelingt ihnen nicht, die Einzelheiten in
eine Kontinuität zu bringen, weil ihr Geheimnis ihren blinden
Augen verschlossen geblieben ist, und ihre Ansprache von
ihren tauben Ohren nicht vernommen wurde. Für sie sind
es
unverbundene Einzelheiten; die alleinige Kontinuität zwi-
schen beiden Ereignissen liegt darin, daß sie Jesus weiter ge-
folgt sind. V erstehen hieße, das, was das Ausharren
und
die
blinde Gemeinschaft mit Jesus an Ereignissen hintereinander
reiht, zusammensehen zu können, so daß sich die einzelnen
Perlen an einer Kette aufreihen ließen und ihre Verbindung
untereinander sichtbar würde. Verstehendes Erinnern wäre in
der Lage, die geheime Linie, den unsichtbaren Bogen zu erken-
nen, die Ereignis an Ereignis fügt. Zu diesem Erinnern sind die
Jünger nicht fähig. Aber sie bewahren die Einzelheiten. Die
Gemeinschaft der Jünger mit Jesus erlebt wenigstens die
bruta
factaund
bewahrt sie stumpf in der Erinnerung. Die Gemein-
samkeit
des
Volkes mit Jesus führt die Zeugenschaft seines
Wortes und Werkes immer
nur
von Fall zu Fall herbei. Die
Gegner verschließen ihre Augen gegenüber dem, was Jesus
tut
und ihre Ohren absichtlich gegenüber dem, was er sagt.
Darum
kann
man die Warnung Jesu vor dem Sauerteig der Pharisäer
27
Man beachte, wie in der Frage Jesu die beiden verschiedenen Worte für
Korb
x o q n v o ~ Mk 8,19
=
Mk
6,43
o n u e t ~
Mk
8,zo
=
Mk 8,8), worin
auch die beiden Speisungsgeschichten
sich
unterscheiden, sowie die ver-
schiedenen Zahlenangaben ausdrücklich aufgenommen werden.
123
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und des Herodes Mk 8,15) als eine Warnung an die Jünger
verstehen, wenigstens die unverstandene Reihenfolge der mit
J
esus
erlebten Ereignisse und Worte nicht
zu
unterbrechen.
Der
Gegner steht außerhalb jeglicher Kontinuität und sei es
auch einerunerleuchteten
und
uneingesehenen.
Die Stelle
kann
uns verstehen lassen, wie Markus seine eigene
Arbeit als Evangelienschreiber auffaßt:
Er
fügt auch Ereig-
nisse bzw. deren sprachliche Schatten,
und
Worte bzw. deren
Echo hintereinander.
Er
ist sich, wie das Beispiel der Jünger
von Mk 8,19 f. zeigt, bewußt,
daß
es eine Art der Aneinander-
reihung gibt, die der Kontinuität der Ereignisse untereinander
nicht einsichtig wird,
daß
es eine Erinnerung der Einzelheiten
gibt, der es nicht gelingt, zugleich verstehende Erinnerung zu
sein. Andererseits ist er, wie die Frage Jesu von Mk 8,18.21
beweist Mk 8 18 ou flV1 JflOVEVETlo; Mk 8,21
oü:rcw
O UVLETE), der
Überzeugung, daß es der Erinnerung, wie sie die Frage Jesu
voraussetzt, gerade gelingen müßte, die Einzelheiten aus ihrer
Vereinzelung zu lösen, indem sie das einsieht, was die Einzel-
heiten zu einem Ganzen zusammenfügt. Nach der Meinung
des Evangelisten gehört dazu eine soziologische Kontinuität
des Ausbarrens bei Jesus, selbst wenn
sie
zuerst stumpf und
blind bleibt. Doch zeigt sein Evangelium auch das Scheitern
dieser Kontinuität: In der Flucht der Jünger in der Passion
Jesu Mk J4,rof.JO.J7·5o-p.66-72 . Andererseits ist er aber
auch der Überzeugung, daß sein Geschäft, nämlich die Anein-
anderfügung von Traditionen,
sich
im rein Technischen nicht
erschöpft, sondern daß es ihm gelingt, sie in den ihre Verbin-
dung sichtbar machenden Rahmen einzufügen.
Er
ist über-
zeugt,
daß
ihm die verstehende Erinnerung gegeben ist.
Darum
muß er trotz der Unterbrechung durch die Flucht der Jünger
an eine fortbestehende oder wiederaufgenommene Kontinui-
tät der Gemeinschaft mit Jesus glauben. Er beansprucht die
von J
esus
gemeinte, verstehende Erinnerung zu haben, die die
Jünger noch nicht besitzen.
Er
behauptet
zu
verstehen, was die
Jünger nicht verstanden haben. Was
hätten
sie ȟber den Bro-
ten« verstehen sollen? Mk 6,
p
8,r9 f.).
124
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Das Geheimnis der Brotwunder
Die Darstellung des Markus betont, daß die Speisungsgeschich-
ten ein Geheimnis haben, das sich den Jüngern nicht erschließt.
Das
Geheimnis ist da zu suchen, wo Markus innerhalb der
Speisungsgeschichten redaktionell gestaltet hat. Wir hatten ge-
sehen, wie gerade das Hirtenmotiv von Mk 6 auf seine Re-
daktion zurückgeht. Jesus erweist sich in Lehre und Speisung
als eschatologischer Hirte seines Volkes.
Dort
wird man das
Geheimnis, daß die Jünger nicht verstehen, suchen müssen.
Aufgabe des eschatologischen
Hirten
ist
es
die >>versprengten
Schafe Jahwes<< aus ihrer Versprengung in die eschatologische
Herde zu sammeln
28
• Nach Hes 34 1 r-r6 ist Jahwe selber es
der die Schafe zur
Herde
zusammenführen wird
29
• So soll in
Mk 6 JI-44 davon gesprochen werden, wie
Gott
in Jesu Wort
und Werk sich als der eschatologische Hirte seiner verspreng-
ten Schafe erweisen will. Auf markinische Redaktion geht aber
auch zurück,
daß
Jesus das Volk lehrte Mk 6,34). Die Lehre
Jesu ist nach Markus sein Lehren in Gleichnissen:
>>Ohne
Gleichnis sprach er nicht zu ihnen« Mk 4,34). Die Gleichnis-
rede Jesu aber
hat
verstockenden Charakter Mk 4,11 f.).
Wenn sich darum der Jesus der Speisungsgeschichte von
Mk
6
als
Hirte
des hirtenlosen Volkes in Lehre und Speisung erwei-
sen will, ist zu erwarten,
daß
das Volk ihn nicht als den escha-
tologischen Hirten anerkennen wird. In der eschatologischen
Verhärtung verweigert es sich dem Hirten.
Mk 8 r7f.
zählt
auch die Jünger zu denen, die von dieser Verhärtung
erfaßt
werden. Wenn man danach fragt, was die Jünger hätten er-
kennen sollen, ist >>die Beziehung des Nichtverstehens der Jün
ger auf die Tatsache der Messianität Jesu zu einseitig«
30
•
Die
Meinung,
>>die
Jünger
...
sollten nach dem wiederholt erlebten
Speisungswunder wissen, daß Jesus ihnen allezeit wahres Brot
gibt<<
31
, geht an der Aussageabsicht
des
Markus vorbei.
Dem
28
Vgl. »alle die Städte« Mk
6,33
mit Hes
34,12.
2
9 Vgl.
Nm
27,17; 1 Kön 22,17.
3
f
Roloff Das Kerygma und der irdische Jesus, Göttingen 1970, 249
31
M
Dibelius
Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen
5
1966, 230
25
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Verständnis näher steht Schniewind: »Die
Jünger
haben noch
nicht begriffen, wer Jesus ist, nämlich der Gottessohn, der alles
vermag«
32
,
auch wenn die kategoriale Ausdrucksweise der
Redeweise von Mk 6 nicht ganz gerecht wird.
Es genügt nicht »über den Broten« Jesus als Messias zu er
kennen, vielmehr hätten sich die
Jünger auf
die
Dynamik
des
Geschehens einlassen müssen;
über
den Broten hätten sie ver
stehen sollen,
daß
in Wort und
Werk
Jesu Gottes eschatologi
sches
Hirtensein begann,
daß
in Wort und
Werk
Jesu Gott da
bei war, seine endzeitliche Herrschaft zu errichten. Aber weder
das Volk noch die Jünger dringen
zum
Verständnis vor. Sie
bleiben verhärtet. Wie der Gleichnisrede Jesu vor dem Volke
die Auslegung im geheimen Jüngerkreis folgt
Mk
4,10.34),
folgt auch der Speisung ein Geschehen, das
nur den Jüngern
gilt. Die Selbstoffenbarung Jesu in dem
yw
LflL des Seewan
dels
Mk
6,50) sollte die geheime Einweisung der Jünger in das
ihnen verschlossen gebliebene Geschehen der Speisung sein. Das
zeigt sich besonders daran,
daß
Markus
die Epiphaniege
schichte seiner Vorlage
mit
Elementen des Auf-die-Jünger
zugehens auffüllt. Jesu Werk soll als für sie getan aufgewiesen
werden. Aber auch die geheime Unterweisung des Seewandels
führt nur zu unverständigem Schrecken Mk 6,51). So schließt
Mk
6,52 Speisung und Seewandel im Unverständnis zusam
men.
Zu fragen bleibt, ob die zweite Speisung
Mk
8,1-10) die
Jün-
ger etwas anderes erkennen lassen sollte als die erste. So meint
etwa Friedrich: »Es ist
kaum
anzunehmen,
daß
er Markus)
sich einfach wiederholt und zweimal dasselbe schreibt.
Mit
Recht
wird man
vermuten dürfen,
daß er
mit jeder Geschichte
etwas anderes zum Ausdruck bringen will«
33
• »In Mk 8 han
delt
es
sich
nur
um eine zeitliche Speisung
Hungernder,
in Mk 6
dagegen
um
das eschatologische Mahl, für das die Fülle charak
teristisch ist«
34
•
Dagegen spricht,
daß
die Fragen Jesu in Mk
8
32
] Schniewind
Markusevangelium, 89
33
G.
Friedrich
Die beiden Erzählungen von der Speisung in Mk
6,31-44;
8,1-9, in: Theologische Zeitschrift
2 1964), 10
34
G.
Friedrich ebd., 21
126
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17-21
beide Speisungen zusammenschließen. Man achte nur
auf
den völlig parallelen Aufbau der Fragen. Markus berichtet
von zwei Speisungen, weil er sagen will: Alle Worte und
Werke Jesu sind von einer Absicht her zu verstehen. Durch sie
soll die Königsherrschaft Gottes aufgerichtet werden. Die
Zweizahl der Speisungen macht ebenso deutlich, daß die
Stumpfheit und Blindheit selbst der Jünger auch durch eine
Häufung
von eschatologischen Taten des irdischen Jesus nicht
zu überwinden ist. Gerade Letzteres wird im Mißverständnis
des Wortes Jesu vom Sauerteig Mk 8,14-16) noch einmal be
sonders deutlich, wiederholt
sich
doch geradezu zum dritten
Mal anläßlich der Brote ihr Unverständnis für das, was in
Jesus in ihre Welt hineinragt.
Die Speisungen dürfen nicht voneinander isoliert werden. Sie
werden verständlich aus ihrem redaktionellen Zusammenhang
untereinander, der von Mk 8,14-21 her gesehen werden muß.
ann
nämlich
läßt
sich erkennen, wie sie vom Unverständnis
der Jünger her gelesen werden müssen, und innerhalb
des
Markusevangeliums ein neues Beispiel für die Fremdheit Jesu
und der Herrschaft Gottes in der Welt sind und ebenso wie die
Gleichnisreden Jesu zeigen, daß angesichts seines Werkes und
Wortes
sich
alle, einschließlich seiner Jünger, in der von Jesaja
vorausverkündeten eschatologischen Verstocktheit
und
Ver
härtung der Herzen befangen erweisen.
Die Öffnung der Augen
er
die beiden Speisungen zusammenschließende Abschnitt
Mk 8,14-21
ist zugleich ein wichtiger Wendepunkt innerhalb
des Markusevangeliums.
s
folgt die Geschichte einer Blinden
heilung Mk 8,22-26). Markus
hat
diese Perikope wohl mit
Bedacht gerade an diese Stelle gefügt.
Er
will dadurch nämlich
sagen, daß, wo alle Augen blind sind und alle Ohren taub Mk
8,1 8), nur ein Wunder die Augen zu öffnen vermag. Das Wun
der
darf
aber nicht bloß vor den Augen geschehen,
es
muß sich
an
ihnen selber vollziehen. Aus der eschatologischen Blindheit
127
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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können die Jünger
nur
durch eine Tat Gottes befreit werden.
Darum darf
in der Blindenheilung ein »Zeichen« gesehen wer-
den »für das, was den Jüngern widerfahren muß«
35
• Aller-
dings bleibt zu fragen, wo und wann das den Jüngern wider-
fahren wird. Die Ansicht von
J Weiß daß
»Unser Bericht ein
Präludium
auf
den folgenden Abschnitt (ist), in dem den bis-
her blinden und verstockten Jüngern für das Geheimnis des
Todes Jesu die Augen geöffnet werden«, scheint nicht richtig
zu
sein
36
•
Sicherlich beginnt in der Darstellung des Markus nun
der Rückzug Jesu auf die Jüngerbelehrung; das Volk tritt
merklich zurück,
und
während man vorher immer wieder den
Wechsel von Lehre in Gleichnissen
vor
dem Volk und privater
Auslegung
vor
den Jüngern feststellen konnte, spricht Jesus
nun »frei heraus das Wort« zu den Jüngern (Mk 8,32). Auch
der Inhalt der Lehre ist ein anderer geworden, er besteht nicht
mehr in
>>Vielem«
(Mk
4,2),
sondern nur noch in dem Einen:
»Der Menschensohn muß
vielleiden und
verworfen werden
von den A..ltesten Hohenpriestern
und
Schriftgelehrten und
getötet werden und nach drei Tagen auferstehen« (Mk 8 3 r).
Doch
so
wie die private Auslegung der Gleichnisse
und
die pri-
vate Erschließung des Geheimnisses der Speisung durch den
Seewandel die Jünger nicht aus der Verhärtung der Herzen
und
dem Unverständnis herauszuführen vermochten, bleibt
auch die Jüngerbelehrung des nun folgenden Abschnittes ohne
Erfolg.
Man darf die Blindenheilung nicht als Vorzeichen für das se-
hen, was im Petrusbekenntnis oder der Verklärung auf dem
Berg folgt. Vielmehr ,ist
sie
als Hinweis darauf zu verstehen,
daß es dem Menschen unmöglich ist der eschatologischen Ver-
härtung zu entrinnen wenn nicht
ott
selber durch ein völlig
neues eschatologisches Handeln ihn daraus befreit. Markus
will darum den folgenden Abschnitt seines Evangeliums nicht
als Versuch Jesu verstanden wissen, die unverständigen
Jün
35
W. Grundmann
Das Evangelium nach Markus, Berlin
3
1968, 65
= Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament). Vgl. E
Schweizer Markusevangelium, 91
38
f Weiß Das Markusevangelium, Göttingen
3
1917, 145 (= SNT I)
28
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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ger doch noch zu Verständnis und Einsicht zu führen. Viel
mehr soll er zeigen, daß auch der Weg Jesu zum Kreuz sich
dem Verständnis der Jünger entzieht, ja ihre Verhärtung bis
zum letzten offenbar werden läßt.
>>War es
vorher die Bot
schaft und Vollmacht Jesu,
so
ist es nunmehr sein Weg als der
des leidenden Menschensohnes, der sich den Jüngern ver
schließt«
37
•
Hier sei
nur darauf hingewiesen, wie jeder der
drei Leidensankündigungen des Markusevangeliums eine Peri
kope folgt, die von einem V erhalten der Jünger spricht, das
der Niedrigkeit des Leidens und Kreuzes entgegengesetzt ist.
Auf Mk
8,31
folgt in
Mk
8,32f.
der Vorwurf Petri, auf
Mk
9,3 folgt in Mk 9.32 die ausdrückliche Bemerkung sie aber
verstanden das Wort nicht und fürchteten sich, ihn zu fragen«,
und auch ihr Verhalten in der anschließenden Perikope zeigt
im Rangstreit der Jünger ihr völliges Unverständnis Mk 8,
33 3 5
.
Die dritte und letzte Leidensankündigung Mk ro,
33
f.) schließlich wird gefolgt von der Bitte der Zebedäussöhne
zur
Rechten und Linken seines Thrones sitzen zu dürfen Mk
10,35-45). Jesus bleibt auch in diesem Abschnitt der den Jün
gern Fremde und Unverständliche, sie begreifen nichts, auch
nicht seine offene Rede, und zeigen sich
so
als die in ihrer V er
ständnislosigkeit unweigerlich Gefangenen.
Vielleicht soll die Blindenheilung in Jericho, die der dritten
Leidensweissagung folgt und zu den Ereignissen in J erusalem
und zu Jesu Passion überleitet, für diesen Abschnitt des Mar
kusevangeliums eine ähnliche Funktion erfüllen, wie
es
die
Blindenheilung von Mk
8,22-26
für den vorigen Abschnitt tut.
Die Blindheit des Menschen für das sich in J esus ereignende
Eschaton kann
nur
durch eine neuerliche eschatologische Tat
Gottes überwunden werden. >>Am historischen Jesus ist für den
Menschen nicht ablesbar, was hier wirklich geschieht;
nur
das
Wunder des lebendigen Gottes kann blinde Augen dafür öff
nen«
38
•
Die
Tat
Gottes, die den Jünger aus seiner Verhärtung befreien
soll und ihn zur Erkenntnis des in Jesus anwesenden Eschatons
37
] Roloff Das Kerygma und der irdische Jesus,
249
38 E. Schweizer Markusevangelium, 223
129
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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führen soll, muß radikal sein. Es genügt nicht,
daß
den Jün
gern nach dem Tod ihres Meisters die Augen geöffnet werden.
Denn ihre Verstockung hat immer noch nicht ihren letzten
Höhepunkt erreicht; sie erreicht ihn erst
in
dem Augenblick,
wo die Jünger J esus verlassen und auch noch das aufgeben, was
sie
vom Volk und von den Gegnern Jesu unterschied: nämlich
die Gemeinschaft mit ]esus. So bleibt
aufseitender
Jünger gar
nichts mehr, was sie verstehend und sehend machen könnte.
Es bedarf eines radikalen Neueinsatzes durch Gott, daß die
Verstockung aufgehoben
und
verstehende Gemeinschaft be
gründet werde. »Die Verständnislosigkeit der Jünger begleitet
Jesus nach der markinischen Darstellung bis zum Kreuz, um
hier in der Verleugnung des Petrus und der Flucht der Jünger
ihre äußerste Klimax zu erreichen«
39
•
Kurz vor
dieser Klimax taucht dann noch einmal ein Motiv
auf, dem
wir
schon in der ersten Speisung begegneten (Mk 6
34).
Dort
zeigte sich in Jesu Lehre und Speisung, daß sich in
ihm
Gott
als der eschatologische
Hirte
seiner versprengten
Schafe annehmen wollte. Nach
Mk8 14-21
erfolgte eine Eng
führung vom Volk weg
auf
die Jünger, so daß an ihrem Un
verständnis gezeigt werden konnte, wie sich die versprengten
Schafe alle ohne Ausnahme dem in Jesus wirkenden Hirten
handeln Gottes widersetzten. Die das alttestamentliche Wort
aufnehmende Prophezeiung Jesu: »Ich will den
Hirten
schla
gen und die Schafe werden zerstreut werden« (Zach 13,7;
Mk
14,27)
auf
dem Weg vom Abendmahlsaal zum ölgarten zeigt,
daß
die Schafe sich der Sammlung widersetzten und Gottes
Hirtenhandeln einen neuen Weg gehen muß, um doch noch
seine Schafe zu sammeln. Es ist sicherlich kein Zufall, sondern
gestalterische Absicht, wenn diesem Wort dieAnsage Jesu folgt:
»Aber nach meiner Auferweckung will ich euch vorangehen
nach Galiläa (Mk 14,28)«
4
o.
39
]
Roloff
Das Kerygma
und
der irdische Jesus,
249
40
Das 3t(louynv ist in diesem Fall sicherlich intransitiv
zu
verstehen.
Andernfalls ergäbe sich wenn man Mk r6,7 vergleicht, ein unmöglicher
Sinn. »Ich führe euch voraus nach Galiläa ?«
Daß es
sowohl in zeitlichem
wie örtlichem Sinn gebraucht werden kann (vgl. E
Schweizer
Markus
evangelium, 177), ergibt in keinem Fall für unsere Stelle einen Bedeu-
130
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Jesu Vorangehen nach Jerusalem hatte nur fürchtende Nach-
folge der Jünger bewirkt (Mk IO,J2). Sie ließ den nicht er-
kennen, der ihnen da voranging,
ja sie
endete in
der
über-
stürzten Flucht der Jünger. Der eschatologische Hirte Gottes
war nicht verstanden worden, als er der Herde vorangehend
sie sammeln wollte. Aber
mit
der Zerschlagung der
Herde
ist
sein Hirtesein nicht
zu
Ende, denn Gottes eschatologische Tat
führt ihn durch sein Todesschicksal in die Auferweckung,
und
so kann
er in neuer Weise seiner
Herde
als
Hirte
vorangehen,
die ihn jetzt nicht mehr verständnislos begleitet (Mk
IO,J2),
sondern sehend in seine Nachfolge eintreten
kann
(Mk 16,7).
Jesus aber verheißt die neue Sammlung der Herde aus der
Zerstreuung in die Nachfolge.
Und
erst
sie
wird wahrhafte
Einheit in wahrhafter Nachfolge ermöglichen«
41
•
Die t:Hfnung der Augen
und
Ohren zum Erkennen
von
Gottes
Handeln und
die wirksame Aufhebung der endzeitliehen Ver-
stockung verkündet das Markusevangelium als durch die
Auf-
erweckung Jesu
von
den Toten durch
Gott
bewirkt. Kirche ist
nach dem Markusevangelium darum die Gemeinschaft derer,
die sich in der Nachfolge
des
auferweckten, von
Gott
bestell-
ten endzeitliehen
Hirten
Jesus befinden. Ihnen ist es möglich,
ihn frei von aller Blindheit zu sehen
und
im Licht seiner
Auf-
erweckung die Worte und Werke des irdischen Jesus frei von
aller Verstockung
zu
verstehen. So gibt die Auferweckung Jesu
erst den Blick frei zum Verständnis seiner Person, seines irdi-
schen Wirkens
und Redensund
bewirkt,
daß
den ihm Nach-
folgenden das Geheimnis
des
Gottesreiches« übergeben ist.
Das Leiden Jesu selbst wird in großer Nüchternheit beschrie-
ben, wobei das Versagen der Menschen wiederum bis
in
den
engsten Jüngerkreis hinein besonders betont wird. Nicht mehr
der historische J esus, erst der auferstandene, von dem der
Engel kündet,
daß
er nicht mehr bei den Toten weile, wird
tungsunterschied, da örtliches und zeitliches Vorangehen hier zusammen-
fallen. Die Richtungsangabe L ~ 'tijV
rui.ti.utuv
(Mk 14,28; 16,7 jedoch
zeigt, daß es hier in örtlichem Sinn gebraucht wird. Wie Mk 10,32 beweist,
entspricht dem ngouyELV ein xoi.ou{}Etv. Vgl.
W. Bauer
Wörterbuch zum
Neuen Testament, Berlin
5
1963, 1392
4
E
Schweizer Markusevangelium, 177
IJI
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durch sein Vorangehen nach Galiläa und die Aufforderung,
ihm nachzufolgen, die Jünger zum wirklichen Sehen führen«
42
•
Man
müßte
Schweizers
Satz dahingehend ergänzen, daß
es
sich
bei dem durch die Auferstehung ermöglichten »wirklichen
Sehen« nicht um das Sehen von irgend etwas geht, sondern
um
das Sehen« des irdischen Jesus.
Ein weiteres Problem gilt
es
noch kurz zu streifen.
Roloff
be-
merkt: »Die Verständnislosigkeit der Jünger begleitet Jesus
nach der markinischen Darstellung bis zum Kreuz ... wobei
Markus mit ihrer Herausarbeitung nur Linien verstärkt, die
ihm bereits von der Tradition vorgegeben waren«
43•
Das läßt
die Frage entstehen, ob Markus mit dem Jüngerunverständnis
eine sachgerechte Interpretation des Weges Jesu durchführt
oder aber etwas dem Weg Jesu Fremdes einträgt. Man kann
wohl noch gut erkennen, daß das Jüngerunverständnis wenig-
stens in der Konsequenz, wie
es
bei Markus eingesetzt wird,
literarische Konstruktion ist, ebenso wie die damit zusammen-
hängende Vorstellung von der totalen Verstockung. Bestimmt
hatte die Gleichnisrede Jesu nicht den Zweck, die totale Ver-
stockung herbeizuführen, wie sich noch gut an der von Markus
stehengelassenen Notiz seiner Gleichnisquelle in Mk 4,33 er-
kennen läßt, wonach die Gleichnisse Jesu der Verstehensart des
Volkes angepaßt sein sollen. Sicherlich hatten auch die Wun-
der Jesu nicht den Zweck zur Verstockung zu führen, wie bei
Markus die beiden Speisungen, sondern wurden von Jesus
-wie
Lk
u 2o Mt 12,28
Q)
beweist-
als Anzeichen der
hereinbrechenden Gottesherrschaft verstanden. Und sicher war
eine Nachfolge der Jünger bis Jerusalem nicht ohne ein wenig-
stens ansatzweise vorgreifendes Verständnis Jesu und dessen,
was er wollte, möglich. Aber insofern Jesus letztlich durch die
Kreuzigung doch abgelehnt wurde,
und
sein Jüngerkreis
sich
auflöste,
hat
Markus das theologische Recht, das Kreuz als die
Aufgipfelung des Widerstandes gegen Jesus zu interpretieren
und darin das sichtbarste Zeichen einer durch das Auftreten
Jesu herbeigeführten allgemeinen Verstockung zu sehen. ln-
42
E Schweizer ebd.,
223
43
J
Roloff
Das Kerygma und der irdische Jesus, 249
132
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sofern die Jünger letztlich doch von Jesus fliehen zeigt diese
Flucht für Markus daß auch
sie
unter die allgemeine Ver-
stockung fallen. o erklärt sich für ihn die unbegreifliche
Tat-
sache daß der den er
und
seine Gemeinde für den Messias
Israels halten mit seinem Wort und Werk nicht aufgenommen
wurde sondern von allen verlassen am Kreuz starb.
Darüber
hinaus gelingt
es
ihm begreiflich zu machen wie über den irdi-
schen Jesus hinaus das eschatologische Handeln Gottes in der
Auferweckung Jesu von den Toten einen neuen Anfang ma-
chen mußte. Für ihn war die Frage brennend:
Wieso bedurfte
s
des Todes
un
Auferweckungsschicksals ]esu?
Seine
nt-
wort lautet: Weil die versprengten Schafe Jahwes sich in ihrer
Verstockung dem Hirtenhandeln Gottes in Jesus zunächst ver-
sagten. Dabei stellt er sich nicht die hypothetische Frage was
denn eingetreten wäre wenn die Schafe ihren
Hirten
erkannt
hätten. Er geht von der für ihn feststehenden Heilsbedeutung
des Kreuzes und der Auferweckung Jesu aus. Was für ihn
zur
Frage wird ist die Bedeutsamkeit des irdischen Jesus. Dadurch
daß er ihn als den Unverstandenen der totalen Verstockung
begegnen läßt gelingt es ihm die für ihn in ihrer Bedeutung
ungefragte eschatologische Tat Gottes in Kreuz und Aufer-
weckung als den Erweis von Gottes Heilswillen durch allen
Widerstand der Menschen hindurch zu verstehen. Die
Tat-
sache daß die Verstockung nicht auf bösen Willen der Men-
schen sondern auf Gottes Willen selber wieder zurückgeführt
ist läßt erst recht die Ungeheuerlichkeit und Unerwartetheit
des göttlichen Handeins in der Sammlung der Schafe hervor-
treten.
Um
die Speisungsgeschichte des Markusevangeliums zu inter-
pretieren war es nötig sie innerhalb des Gesamtzusammen-
hangs des Markusevangeliums zu betrachten. Das aber ist ein
Zeichen dafür zu welcher Dichte und Geschlossenheit Markus
die ihm überkommenen Traditionen innerhalb des Rahmens
seines Evangeliums zu vereinen wußte.
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5 Speisung
und
Seewandel M
atthäus -
Verständnis
und
Kleinglaube der Jünger
Matthäus
folgt im großen und ganzen der Markusakoluthie.
Auch er berichtet von zwei Speisungen, vom Seewandel, vom
Gespräch über Rein und Unrein, von der Syrophönizierin, von
dem
Wort
vom Sauerteig. Statt der Taubstummenheilung Mk
7,3 r-37) bringt er einen Sammelbericht über viele Heilungen
Mt r 5,29-31); in den Seewandel fügt er die Petrusperikope
ein Mt
r4,28-3r),
und die Blindenheilung von Mk
8,22-26
läßt
er weg.
Der
Absatz
Mk
8,q-2r
erwies sich als Ansatz
punkt
zum Verständnis der .beiden Speisungsgeschichten
des
Markusevangeliums. Diese zeigten sich nach markinischem
Verständnis weniger als W undergeschichten, denn als Jünger
geschichten. Matthäus übernimmt den Stoff von Markus, aber
er ändert in bezeichnender Weise. Gerade in der Parallele zu
Mk 8,q-2r wird dies sichtbar: BeiMarkus schließt die Peri
kope
mit
der das völlige Unverständnis der Jünger offen
barenden Frage Jesu: »Versteht ihr immer noch nicht?« Bei
Matthäus verstehen die Jünger, was mit dem Bildwort Jesu
vom Sauerteig der Pharisäer gemeint ist Mt r6,12). Die
Jün
ger wissen: Jesus will sie vor der Lehre der Pharisäer und
Sadduzäer mit dem ein wenig dunklen Wort vom Sauerteig
warnen. Was mit der »Lehre der Pharisäer
und
Sadduzäer«
inhaltlich gemeint ist, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt
werden. Die Warnung
vor
der pharisäischen Lehre stößt sich
ein wenig
mit
Mt
23,1-3,
wo Jesus dazu auffordert, dem, was
die Pharisäer
und
Schriftgelehrten sagen, zu folgen, nicht je
doch auch ihren Handlungen nachzueifern. Am ehesten wird
die Vermutung zutreffen, daß der Christ der matthäisehen
Gemeinden durch das Sauerteiglogion
vor
einem inhumanen
und heuchlerischen Legalismus gewarnt sein soll, als den Mat
thäus die
Haltung
der Pharisäer charakterisiert. Es ist eine
Haltung, die den Willen Gottes verkennt, der aus dem Schrift
wort Hos
6,6, das Matthäus zweimal gebraucht, spricht: »Er
barmen will ich und nicht Opfer« Mt 9,13; 12,7; vgl. Mt 23).
Die »Lehre der Pharisäer und Sadduzäer« ist der Lehre Jesu
34
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entgegengesetzt, wie sie sich vor allem in der Bergpredigt Mt
5-7)
findet. Die Gerechtigkeit des Jüngers soll nach Matthäus
die Gerechtigkeit der Pharisäer
und
Schriftgelehrten über-
treffen
Mt
5,20 ). Teil dieser größeren Gerechtigkeit aber ist
es, nicht besorgt zu sein darum, was man essen und trinken
soll (Mt 6,25). Das ist vielmehr das Trachten
des
Heiden (Mt
6,p).
Der
Jünger Jesu
hat
zuerst nach dem Reich Gottes zu
suchen und nach seiner Gerechtigkeit (Mt
6,33).
Dabei ist er
der Sorge um das Brot deshalb enthoben, weil Jesus bei ihm
ist. Die Sorge der Jünger darüber,
daß
sie kein Brot mitge-
nommen haben,
wird
zu einem Beweis ihres schwachen Glau-
bens
oA.ty6maToL
Mt 16,8 diff
Mk
8,17). Da
sie
sich doch in
Gemeinschaft mit Jesus befinden, ist ihre Sorge
um
das Brot
überflüssig geworden; denn durch die beiden Speisungen Mt
16,9
f.
hätten
sie
erkennen müssen,
daß
der, der bei ihnen ist,
auch im Stande ist, Brot im
überfluß
zu gewähren.
So sind in der matthäisehen Perspektive die beiden Speisungen
nicht mehr die von den Jüngern unverstandenen Rätsel, son-
dern sollen ihnen Mahnung sein, von ihrem Kleinglauben zu
lassen, weil dieser Kleinglaube die Macht Jesu verkennt, der
mit ihnen ist. Das Wort Jesu vom Sauerteig ist nicht mehr das
verstockende Rätselwort, sondern wird von den Jüngern als
eine Warnung Jesu verstanden, sich
von
der Lehre der Phari-
säer nicht anstecken zu lassen. Matthäus tilgt das Motiv vom
Unverständnis der Jünger; er spricht statt dessen von ihrem
kleinen Glauben, der ihr Verständnis jedoch nicht ausschließt.
Darauf weist sicher auch hin, daß Matthäus das die Ver-
stockung der Jünger beschreibende Jesajazitat ausläßt. Nach
Matthäus gilt dieses nicht den Jüngern, sondern nur dem Volk
(Mt 13,13 ff.).
Noch klarer
tritt
diese Tendenz des Matthäus in der Geschichte
vom
eewandel
zu Tage. Dort tilgt er das Motiv des Jünger-
unverständnisses
und
der Herzensverhärtung der Jünger von
Mk 6,52 völlig. Die Epiphanie des auf den Wassern wandeln-
den Jesus löst nicht unverständigen Schrecken der Jünger aus,
sondern offene Anbetung, die sich in dem Bekenntnis aus-
drückt: »Wahrhaft, Gottes Sohn bist du « (Mt 14,33) Dennoch
135
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findet sich auch hier neben dem Bekenntnis und der Anbetung
die Erwähnung des kleinen Glaubens. Die Einfügung der Epi
sode um Petrus, der auf das Geheiß Jesu hin das Boot verläßt,
soll das sichtbar werden lassen (Mt 14,28-3 1). In dem Augen
blick, wo Petrus sich zu fürchten beginnt,
droht er
in den Was
sern zu versinken, und
es
bleibt ihm nur das Gebet an Jesus:
»Herr, rette mich « Mt 14>30 . Die Jünger sind bei Matthäus
nicht wie
beiMarkusdie
Jesus gegenüber völlig Unverständi
gen, sondern ihr Verhältnis
zu
ihm ist geprägt durch das er-
kennende und verstehende Bekenntnis das
si h
in Widerstreit
befindet
mit
ihrem Kleinglauben
der
nur
auf
die eigene
Not
schaut und nicht auf den, der bei ihnen ist.
Das trifft bei Matthäus auch sonst zu.
Er
unterdrückt das mar-
kinische Motiv des Jüngerunverständnisses. Was
ihn dazu
führt,
mag
aus
Mt
14,33 ersichtlich werden.
Dort
spricht er
nicht von den Jüngern, sondern formuliert: »die im Schiff«.
Dahinter verbirgt
sich
für Matthäus das Bild
der
Kirche.
In
ihr
wird
J esus angebetet als der Sohn Gottes.
Er
ist immer bei
ihr
(Mt 28,zo), aber in ihr ist auch die Gefahr des Kleinglau
bens immer wieder drohend Mt 6,30; 8,z6; 14,31; 16,8; 17,
20.). Es ist ein zu schwacher Glaube, »der in Sturm (8,26; 14,
31) und Sorge (6,3o; 16,8) erlahmt und damit sich als Schein
glaube erweist (17,20), der dem Ansturm dämonischer Ge
walten nicht gewachsen ist«
44
• Matthäus versucht
damit
dem
Jüngerbild seiner Markusvorlage gerecht
zu
werden und
es
ge
lingt ihm, seiner Gemeinde im Bild der Jünger Mut zu machen.
Denn Kleinglaube, mangelnde Zuversicht
und
mangelnde
Realisation dessen, daß der geglaubte Herr bei ihr sei, gehört
ebenso
zu
den Erfahrungen der nachösterlichen Gemeinde wie
ihr christologisches Bekenntnis. Im Bild der christologisch recht
bekennenden aber kleingläubigen Jünger
kann
sich
die Ge
meinde des Matthäus wiedererkennen. So kann ihr die Mah-
nung des Herrn, vom Kleinglauben zu lassen und an seine
Gegenwärtigkeit zu glauben, gelten.
G. Bornkamm Die Sturmstillung im Matthäus-Evangelium, in: G. Born-
kamm
G.
Barth H ] Held
Oberlieferung
und
Auslegung im Matthäus
evangelium, Neukirchen
6
1970, 52 = WMANT r)
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Matthäus kann
so seine Gemeinde ansprechen.
Aber
er kann
dadurch auch innerhalb des Aufriß seines Evangeliums be
greiflich machen, wieso es dazu kommen konnte, daß die
Jün
ger den Herrn in seiner Passion verließen
Mt
26,56). Einmal
sind die Jünger das Bild der matthäisehen Kirche,
und
ihre
Worte
haben den Klang urchristlicher Gebets- und Bekenntnis
sprache
Mt
J4,28.3o.J3). Zum anderen aber macht ihr Klein
glaube
und
ihre Furcht innerhalb des Aufrisses des Matthäus
evangeliums verständlich, warum sie ihren Herrn schließlich
doch verlassen.
Hat
die
von
Matthäus veränderte Sicht der Jünger auch in sein
Verständnis der peisungsgeschichten eingewirkt? Läßt
sich
das in deren Redaktion durch Matthäus noch erkennen?
Mar
kus
hatte
die erste Speisung
an
den Zusammenhang angeschlos
sen, indem er das
Motiv
der geheimen Jüngerbelehrung be
nutzte. Die Jünger kehren von ihrer Aussendung zurück und
Jesus nimmt sie von der Menge weg an einen einsamen
Ort,
und
dort
werden sie
zu
Zeugen der Speisung (Mk 6,30-31).
Matthäus
hat diesen Zug getilgt. Von einer Rückkehr der
Jün
ger berichtet er hier nicht, sondern motiviert den Rückzug Jesu
an den einsamen Ort der ersten Speisung dadurch, daß er
Jesus von der Hinrichtung des Johannes des Täufers hören
läßt- Jünger des Johannes berichten es ihm
Mt
14,12)- und
vor
der von Herodes auch für ihn ausgehenden Bedrohung an
einen einsamen Ort entweichen läßt
Mt
J4,13). Dieses Motiv
begegnet bei Matthäus häufiger: Jesus
erfährt von
einer Ge
fahr, die ihm droht und entzieht sich ihr durch den Rückzug.
Schon
in
der Kindheitsgeschichte flieht auf Geheiß des Engels
Josef mit dem Kind
und
seiner
Mutter
nach Kgypten und
bleibt dort bis zum Tode des Herodes des Großen (Mt 2,13
bis
5
). ,
Auf die Nachricht von der Gefangennahme des Johannes des
Täufers zieht
sich
Jesus nach Galiläa zurück
Mt
4,12).
Mt
12,
14-21 erfährt Jesus,
daß
die Pharisäer beratschlagten, wie sie
ihn vernichten könnten (vgl. Mk 3,6 )
und
zieht fort. Die
Warnung der Jünger
an
Jesus, die Pharisäer hätten an seiner
Rede über Rein und Unrein Anstoß genommen (Mt 15,12) ist
137
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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matthäisehe Einfügung in die Markusakoluthie von
Mk
7,I
bis 2-,
45
• Nachdem der Markusstoff in Mt I5 ,20 zu Ende ge-
bracht ist, berichtet
Mt 5 2I von einem Rückzug Jesu in die
Gegend von Tyrus und Sidon.
Das häufige Vorkommen erlaubt uns von einem Motiv zu
sprechen.
Im
einzelnen zeigen
sich
folgende feststehende Merk-
male:
I. An allen Stellen verwendet Matthäus
zur
Bezeichnung des
Rückzugs Jesu das gleiche
Wort:
va)(WQEW
2. An allen Stellen
wird
ausdrücklich betont, daß Jesus (in
Mt 2,I4 Josef) von der Gefahr, die ihm droht, hört.
3. An drei dieser Stellen findet
sich
der Rückzug durch ein
nachfolgendes alttestamentliches
Zitat
begründet
Mt
2, r 5;
4,r4f.;
r2,r7f.). In Mt
15,24 findet sich
statt
dessen im
Munde Jesu ein Hinweis
auf
seine Sendung.
4· In
Mt 12,15; 14,I3 f. folgt dem Rückzug Jesu jeweils ein
Sammelbericht über viele Heilungen, in
Mt
I 5 2I der Be-
richt über die Heilung der Tochter der Syrophönizierin.
Aus diesen Beobachtungen läßt
sich
folgern:
a) Der Rückzug Jesu aus drohender Gefahr ist bei
Mat-
thäus ein feststehendes Motiv.
b) Jesus erscheint durch dieses Motiv als einer, der um sei-
nen Weg weiß und ihn selber bestimmt. Er erliegt keiner
unbekannten Gefahr.
c Im freiwillig gewählten Rückzug Jesu sieht Matthäus
den Willen Gottes wirksam.
Gott
ermöglicht dadurch die
Verkündigung des Evangeliums (Mt 4,17). Gegen allen
Widerstand bewirkt Gott,
daß
sein Knecht den Völkern
das Recht verkündet Mt
4,1
8).
d) Diese durch Gottes Willen im Rückzug Jesu frei erge-
hende Evangeliumsverkündigung bringt den Menschen
Heilung und hilft ihnen in mannigfacher Not.
45
Zwar berichtet auch Markus von einer Reise Jesu ins Gebiet von Tyrus
(Mk 7,24), doch fehlt bei ihm der bei Matthäus als Begründung anzu-
sehende Zug,
daß
die
Jünger
Jesus vom Argernis der Pharisäer Nachricht
geben. Zudem
verwendet
Mk 7,24 das neutralere
Wort
nf]l.itcv.
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So
zeigt sich nach
Matthäus
im Rückzug Jesu, wie
Gott
dem
Evangelium gegen den Willen der Menschen den Weg bereitet.
Mt
10,23 kann Jesus dieses Verhalten zum Grundsatz auch
des das Evangelium verkündenden Jüngers machen:
>>Wenn
man euch nun in dieser
Stadt
verfolgt, dann flieht in eine
andere.« Als
>>Sitz
im Leben« für das Motiv vom Rückzug
Jesu wie für die entsprechende Mahnung
an
den Verkünder
des Evangeliums ist die konkrete Missionserfahrung
der
mat-
thäisehen Gemeinden anzunehmen. In
ihr
erfuhr man, daß das
Evangelium oft seinen Weg nur weiterziehen konnte,
wenn es
sich
vor
erhebendem Widerstand
und
vor
Verfolgung
in
die
>>nächste Stadt begab. Matthäus stellt das Motiv an die Stelle
des
von
Markus gebrauchten Motivs von der einsamen Jünger-
belehrung, so daß die folgende Speisangsgeschichte von ihm
her gelesen werden muß.
In der Konsequenz bringt das Motiv vom Rückzug J esu es
mit
sich,
daß
die Menge Jesus folgt Mt 14,13), ihm nicht zuvor-
läuft wie bei
Markus
Mk 6,32),
und
daß
sich das
Erbarmen
Jesu nicht in Lehre Mk 6,34)
und
Speisung zeigt wie bei Mar-
kus, sondern
in
einem Sammelbericht
von der
Heilung Vieler
Mt
14,14),
der
die heilende und helfende Wirkung des von
Jesus verkündeten Evangeliums sichtbar machen soll. Dadurch,
daß die Menge J esus folgt, und sein Erbarmen über sie sich in
Heilungen zeigt,
wird
aber auch ein anderes Motiv verdrängt,
das sich in der Markusfassung findet. Bei Markus wird das
Erbarmen
Jesu durch das nachfolgende
Hirtenmotiv
begrün-
det: »Weil sie wie Schafe
waren
ohne
Hirten
Mk
6
34). Des-
halb lehrte und speiste sie der sich ihrer erbarmende J esus, als
der, in dem Gottes eschatologisches
Hirtenhandeln
seine
Wirk-
samkeit zeigte.
Matthäus
hat das Motiv aus
der Markusvor-
lage
der
Speisangsgeschichte herausgenommen
und
in
einen
anderen Zusammenhang eingefügt.
Wir
begegnen ihm in Mt 9,
36. Dort steht es innerhalb eines Sammelberichtes,
der von
Jesu Evangeliumsverkündigung
in
allen Städten
und
Dörfern
berichtet, wobei er alle Krankheiten und Gebrechen heilt. Dar-
in
wird
sein Erbarmen über die Volksscharen sichtbar, die ge-
plagt
und verkommen sind, wie Schafe ohne Hirten. Matthäus
39
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verbindet das
Motiv
mit dem aus
der
Logienquelle stammen
den Spruch
von
der großen
Ernte und
den wenigen Arbeitern
und stellt
es
in dieser
Verbindung vor
die
Auswahl
der Zwölf,
die
mit
Heilungsmacht ausgestattet ausgesendet werden.
Zwar handelt
es sich der Stelle im Evangeliumsaufriß nach um
ihre Aussendung
zu
den verlorenen Schafen des Hauses Israel
Mt
10,5), doch
dürfen wir
vermuten, daß für Matthäus auch
hinter
dieser Aussendung schon das Werk der Kirche steht, zu
dem der Auferstandene seine
Jünger erneut
aussendet Mt 28,
16-zo).
Das Werk
der Jünger- nicht
mehr
wie bei Markus
Jesu
allein-
und
der Kirche ist die eschatologische Sammlung
der
Herde
Gottes.
Matthäus
hat
also das
Hirtenmotiv
zusam
men
mit
dem
Motiv
des »Erbarmens« der Speisungsgeschichte
nach Markus entnommen und
in
einen
anderen
Zusammen
hang
gestellt. Sollte
beiMarkusdas Motiv
in
Verbindung
mit
dem
Unverständnis der
Jünger
sichtbar machen,
daß
durch die
Verstockung aller Gott sein Hirtesein über sein Volk in einem
neuen eschatologischen
Handeln,
der
Auferweckung Jesu, zum
Ziele bringen mußte,
so
sind diese
Akzente
den Speisungs
geschichten nach
Matthäus
fremd.
Vielmehr
machen diese bei
ihm
die helfende und heilende Macht der Evangeliumsver
kündigung sichtbar
und
dienen
dazu, dem
Kleinglauben der
Jünger
ein sichtbares
und
wiederhohes und
darum
eindring
liches Zeichen
dafür zu
sein,
daß dann, wenn
Jesus in seiner
helfenden
und
heilenden Evangeliumsverkündigung
unter
ihnen ist, keine ängstliche Sorge
um
das
Brot,
kein furchtsamer
Kleinglaube am
Platz
ist.
Die
Speisungsgeschichten sollen
der
Gemeinde des Matthäus
eindringlich -
und
deshalb
behält er
die
Zweizahl
bei -
vor
Augen führen,
wer der
ist,
der
ihr verheißen hat, daß er alle
Tage bis zum
Ende
der
Welt
bei
ihr
sein
werde Mt
28,2o). Sie
sollen ihr, wie die Geschichte
von der
Sturmstillung
und
dem
sinkenden Petrus, den Grund zu Kleinglauben und Furcht
nehmen.
Die
Kirche soll das realisieren,
was
sie in ihrem Be
kenntnis
von
ihm sagt, und was er
ihr in der
Epiphanie des
Seewandels offenbart hat: »Ich
bin es
- fürchtet euch nicht«
und »Du
bist
wahrhaft
der
Sohn Gottes <<
Sie soll das nicht
nur
140
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erkennen und verstehen sondern soll es in ihrem konkreten
Lebensvollzug voll Vertrauen beherzigen. Sie soll glauben
daß
er in der Lage ist sein Volk zu heilen ihm Speise zu geben
und
es
aus dem Sturm zu erretten. So wie das Jüngerunver-
ständnis bei Markus
si h
als Schlüssel zum Verständnis
des
Komplexes der Speisungsgeschichten erwies
so
zeigte si h auch
die Veränderung gerade dieses Motivs in
Verstehen und Klein-
glauben
zugleich als Zugang zum Verständnis der matthäisehen
Speisungsgeschichten.
6
Brotvermehrung und Seewandel nach ]ohannes ]o 6,r-25
Die Tempelreinigung deutete
]ohannes,
indem er
ihr
ein Ge-
spräch folgen ließ. Das Gespräch erschloß dem Leser den Sinn
den die Handlung verbarg nämlich wie die Handlung nach
Meinung des Evangelisten zeichenhaften Charakter hatte und
von
si h
selbst weg auf das Geheimnis der Person Jesu verwies.
Bei der Heilung des Sohnes des Königlichen ließ si h erkennen
wie Johannes die ihm vorliegende Wundergeschichte durch
redaktionelle Einfügungen deutete. Diese hielten den Ablauf
der Geschichte auf und lenkten sie in die von Johannes ge-
wünschte Richtung. Johannes kannte diese Stoffe wohl aus
einer Quelle die den Synoptikern nahestehend dennoch auf
eigene
Art
die Stoffe erzählte. Die Handlungen Jesu in der
Vorlage werden bei Johannes zu »Zeichen« die geeignet sind
das Geheimnis der Person Jesu zu enthüllen. Das Zeichen der
Heilung läßt Jesus als das Leben und die Heilung für den
Menschen erkennen. Das Zeichen der Tempelreinigung zeigt
den gekreuzigten
und
auferstandenen Christus als den Zugang
des Menschen
zu
Gott. Darum
läßt
si h
für die johanneische
Fassung von Speisung und Seewandel fragen ob er auch hier
das äußere Geschehen als Zeichen versteht das auf die Person
Jesu hinweist und sein Geheimnis offenbart. Man wird darauf
achten müssen ob er auch hier wie bei der Heilung des Sohnes
des Königlichen durch Einfügungen redaktionell deutet oder
aber wie bei der Tempelreinigung ein Gespräch folgen
läßt
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das den in der Geschichte verborgenen Sinn enthüllt. Wieder-
um ist der Stoff mit dem der Synoptiker
verwandt
Die glei-
chen Ereignisse werden erzählt,
und
es fällt auf,
daß
wie bei
Markus der Speisungsgeschichte der Seewandel folgt. Geht die
Einheit von Speisung und Seewandel
auf
Markus zurück,
so
ist anzunehmen, daß die Vorlage des Johannes die Synoptiker
mindestens aus mündlichem Vortrag kannte. Daß wohl kaum
direkte literarische Abhängigkeit von Markus vorliegt, zeigen
die vielen Unterschiede. Vgl. Synoptische Übersicht
S.
90 f.;
104
f.).
Die
großen Wunder am
See
Vorlage des Johannes)
Wie sah die
Vorlage
es
fohannes
aus?
Man
sieht sofort, daß
die Redaktion hier nicht
so
auffallend gearbeitet hat wie in
der Geschichte von der Heilung des Sohnes des Königlichen.
Das mag daran liegen, daß die Deutung der Geschichte hier
wieder der Geschichte folgt wie bei der Tempelreinigung. An
Brotvermehrung und Seewandel schließt
sich
nämlich die
Brotrede Jesu an. Auch hier muß also
zur
Interpretation wie
schon bei Markus und Matthäus der Zusammenhang beachtet
werden.
Nach der heutigen Abfolge des Johannesevangeliums zieht
Jesus nach der Heilung des Sohnes des Königlichen
in
Kanal
Kapharnaum wiederum nach Jerusalem hinauf Jo 5,1), wo er
bis Jo 5,47 bleibt. Unvermittelt schließt sich
in
Jo
6 1
die Be-
merkung an, daß Jesus
sich
danach an das jenseitige Ufer des
galiläischen Meeres begibt.
Nun
ist es schlecht möglich, von
Jerusalem aus das »jenseitige Ufer« des Sees zu bestimmen,
denn »jenseitiges Ufer« ist nicht eine feststehende Ortsbezeich-
nung, womit etwa das heidnische
Ufer
des
Sees
bezeichnet
werden könnte, sondern eine geographische Angabe, die je-
weils von dem
Ort
aus gemeint ist, an dem
man sich
am
See
befindet.
Der
Anschluß beider Kapitel ist darum nicht nur
abrupt, sondern auch schlecht verständlich. ultmann macht
darauf aufmerksam, daß sich
Kapitel6
recht gut an
Kapitel4
anschließen ließe, wo man
sich
ja
auf
der einen Seite des
Sees
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in Kana, bzw. Kapharnaum befindet
46
• Ob daraus gefolgert
werden kann, daß in der ursprünglichen Reihenfolge des Jo-
hannesevangeliums Kapitel
6
auf Kapitel 4 sofort folgte
und
dann erst sich Kapitel 5 anschloß,
wird
nicht mehr auszu-
machen sein. Doch ist
daran zu
erinnern,
daß
in der Johannes
vorliegenden Quelle die Heilung des Sohnes des Königlichen
nach Kapharnaum lokalisiert werden muß nicht wie
jetzt
Kanal), und die Rückkehr von Speisung und Seewandel Jesus
wieder nach Kapharnaum bringt Jo
6,I7.59).
Man könnte
also annehmen,
daß
in der Quelle die beiden Wunder aufein-
anderfolgten, woran gesehen werden kann, daß die Quelle
zwar
synoptisches Material kannte, dieses jedoch mit einem
eigenen Rahmen umgab. Für Johannes dagegen ist
es
durchaus
möglich, Jesus in einem Vers von Jerusalem an das jenseitige
Ufer
des
Sees
zu versetzen, man vergleiche
nur
den ähnlichen
Vorgang in Jo 2 I 2 I 3 und Jo 4 54·
Für
die Brotvermehrungsgeschichte allein ist es nicht nötig,
eigens eine Seefahrt zum anderen
Ufer
zu erwähnen, wohl
aber für die der Brotvermehrung folgendeSeewandelperikope.
Das ist ein Zeichen dafür,
daß
schon die Quelle des Johannes
Seewandel
und
Brotvermehrung aneinanderschloß, so wie wir
es aus der Markustradition kennen. Die Ortsangabe
wird dar-
um
schon Teil der Vorlage gewesen sein, wenn man
sich
auch
fragen darf, ob nicht etwa der erklärende Genetiv
i l ~
TLßq >ta
o ~
Hinzufügung ist. Die J esus folgende Menge ist für die
Speisung notwendig vgl.
Mk
8,I), deshalb
wird
dieser Zug
schon der Vorlage anzurechnen sein, auch wenn Mk 6,33 die
Menge Jesus zuvorkommt. Dagegen
wirkt
die Motivierung
für das Folgen der Menge »weil
sie
die Zeichen sahen, die er
an den Kranken wirkte« eher wie eine redaktionelle Einfü-
gung Jo 6,2).
Dafür
sprechen zwei Gründe:
I . In
der Quelle ist, wenn man annimmt, die Speisungsge-
schichte sei
dort
der Heilung des Sohnes des Königlichen
gefolgt, nur von einem Kranken die Rede.
2.
Man
muß den Satz wohl ähnlich verstehen wie die redak-
tionelle Einfügung von
Jo
4,48. Vielleicht soll er
Kritik
am
46
R. Bultmann
Johannesevangelium, 154f.
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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bloßen Wunderglauben der Menge üben. Auch scheint das
Wort
OYJ[L LOV (Zeichen) nicht der Quelle anzugehören, son
dern aus der Sicht des Redaktors gewählt zu sein. Wie Jo
6,26.30 zeigt, kritisiert die folgende Rede einen bloß Zei
chen verlangenden Wunderglauben.
In beiden Markusfassungen fehlt der Zug von
Jo
6,3, daß
Jesus sich
mit
den Jüngern auf den Berg begibt.
Er
ist für den
Ablauf der Speisungsgeschichte auch nicht notwendig. Deshalb
läßt sich fragen, ob er eine Eintragung von Johannes ist. Das
läßt sich
jedoch erst beantworten, wenn
man
dahinter eine
typisch johanneische Aussageabsicht erkennt. Khnlich verhält
es
sich
mit der in
Jo
6,4 folgenden Zeitangabe: »Es war aber
nahe das Passah, das Fest der Juden.« Ihr Sinn läßt sich vor
erst noch nicht bestimmen, wenigstens insofern nicht, ob damit
mehr als eine bloße Kalenderangabe gemacht sein soll; doch
zeigen Stellen wie Jo 2, 3.23; 4>45; s r; 7,2; I3 I (alles Ver
weise
auf
ein Fest), daß
es
sich um eine typisch johanneische
Einfügung handelt,
worauf
auch das distanzierende
-r v
'Iov
~ t w v hinweist.
Mit
Jo
6,5 beginnt die eigentliche Geschichte: Noch einmal
wird
die Menge erwähnt. Jesus erhebt die Augen
und
sieht
sie
auf sich zukommen (vgl. Mk 6,34). Von der in Vers 3 voraus
gesetzten Situation aus - J
esus
mit den Jüngern
auf
dem
Berg-
müßte
jetzt
davon die Rede sein, daß Jesus den Berg verläßt;
denn in
Jo
6,r5 wird gesagt, daß Jesus wiederum vom Volk
weg auf den Berg geht. Demnach ist die Speisung nicht auf
dem Berg, sondern unten zu lokalisi.eren. Doch ist vom Ver
lassen des Berges nicht die Rede; ein weiterer Hinweis darauf,
daß Vers 3 redaktionell ist. Einigermaßen überraschend, weil
unvorbereitet,
wirkt
die Frage Jesu an Philippus: »Woher sol
len
wir
Brote kaufen, damit jene essen«
Im
Unterschied
zu
Markus wird vom Hunger der Menge nicht gesprochen. Auch
daß
Jesus sich der Menge erbarmt,
wird
nicht gesagt. Das ein
zige
Motiv
für die Handlungsweise Jesu
wird Jo
6,6 nachge
liefert: »Das sagte er, um ihn zu versuchen; er selbst wußte,
was er tun wollte«. Daß das Wunderhandeln Jesu nicht durch
den Hunger der Menge und auch nicht durch sein Erbarmen
144
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über sie motiviert wird, entspricht dem
Charakter der
johan
neischen Vorlage, der
es
wie wir in
Jo
4,46-5 4 bemerkten,
darauf
ankommt, gerade das Wunder als solches in
den
Mittel
punkt zu stellen. Wenn die Motivierung fehlt, erscheint der
Wundertäter
in einem noch mirakulöseren Licht, als
wenn
das
Wunder
Ausfluß seiner Güte oder Stillung eines
spürbaren
Mangels ist. Wie
verhält
es sich aber mit der Motivierung der
Frage Jesu in Jo 6,6?
Dort
tauchen johanneische Eigentümlich
keiten auf, die
es
nahelegen, den Vers als redaktionell anzu
sehen47. Dadurch aber,
daß
Jesus um sein
Wunderwirken
vor-
her
weiß, wird das Wunder noch größer. Wenn man daher
für
diesen Vers johanneische Redaktion annimmt,
muß man
schließen: Hier wird der Charakter der Vorlage, die das
Wun-
der als solches betont, unterstrichen. Die Jünger werden im
Unterschied zu Markus
mit Namen
genannt: Philippus
und
Andreas, was für die gegenüber Markus größere Volkstüm
lichkeit der Johannesvorlage spricht.
Das Wunder
wird gegen
über Markus vergrößert. Reichen nach
Mk
6,37 zweihundert
Denare
aus, um
Brot
für die Menge in genügendem Maße zu
kaufen, so genügt das
Jo
6,7 eben nicht. Auch
daß
die Menge
Brot
erhielt, soviel sie
nur
wollte Jo
6 u
ist gegenüber
Mar-
kus eine Steigerung. Das
paßt
gut
zu
dem Charakter der
Jo-
hannesvorlage, der
es
vor allem auf ein möglichst großes Wun
der ankommt.
Das wird
auch dadurch betont,
daß
die Jünger
die übrig gebliebenen Brocken sammeln sollen,
»damit
nichts
verkommt« (Jo
6,12)
48
•
Das
gehört zum Feststellungsverfah-
ren; das Wunder soll in dem, was es übrig ließ, ansichtig ge
macht werden. Jo 6,14 scheint als stilgemäßer Chorschluß ei
ner Wundergeschichte zum Brotwunder zu gehören.
Es
läßt
sich allerdings fragen, ob, nachdem das Wunder durch die Ein-
7
Bultmann (Johannesevangelium, I 57) macht
auf
Parallelen zu toiil:o öE
E EYEV
7,39;
11 p;
12,33; (21,19)
und zu
afnos;
yaQ
2,25; 4,44
auf
merksam. Auch daß Jesus alles vorher weiß, kennt das Johannesevange
lium:
Jo
18,4. Zudem liebt Johannes erklärende Einfügungen: Jo 2,9 b.21;
4 2;
vgl. R. T Fortna The Gospel of Signs, Cambridge 1970,
58
= SNTSMS I I . Allerdings kommt J t L Q U ~ L V nur hier
im
Johannes
evangelium vor.
48
V gl. auch das doppelte ltEQLOOEuro in Vers 12 und 13.
145
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sammlung der Reste festgestellt wurde, ein solcher noch not
wendig ist, zumal er bei Markus fehlt. Doch ist denkbar,
daß
die Vorlage des Johannes, die im
UnterschiedzuMarkus
die
direkte Rede liebt (vgl.
Jo
6,5-10), am Ende der Geschichte
die Menge
in
das Bekenntnis ausbrechen läßt: »Dieser ist
wahrhaftig der Prophet « Jo 6,15 zeigt,
daß
Johannes als Re
daktor das Bekenntnis der Menge in einem negativen Sinne
beurteilt. »J
esus
wußte,
daß
sie kommen und ihn ergreifen
wollten, um ihn zum König
zu
machen.« So
muß
man
von
daher zumindest die Begründung für das Bekenntnis: »Als die
Leute das Zeichen sahen, das Jesus
gewirkt
hatte
« für eine
Einfügung des Redaktors erachten, in der wiederum der dop
peldeutige Sinn des johanneischen »Zeichens« anklingt (vgl.
Jo
6,2). Auch Mk 6,46 berichtet,
daß
Jesus nach der Entlassung
der Jünger
und
des Volkes sich auf einen Berg begibt.
Das
mag
ein Hinweis darauf sein, daß der Berg von Jo 6,15 schon in
seiner Vorlage stand. Allerdings hätte
dann
gegenüber
Mar-
kus die Entlassung der Jünger
und
des Volkes gefehlt,
so
daß
die
Abfahrt
der Jünger in Jo 6,16
f
etwas unvermittelt
kommt, was eine Parallele zu der unvermittelten Hinführung
auf die Brotvermehrung in Jo 6,5 sein dürfte. Die Vorlage des
Johannes motiviert nicht; bei ihr steht das Wunder selbst
im
Blickpunkt. Durch ihre Begründung aber unterscheidet sich die
Bergszene am Schluß der johanneischen Fassung wieder von
Markus. Markus 6,46 zieht Jesus sich auf den Berg zurück,
um
dort
zu beten. Bei Jo 6,15 soll der Rückzug Jesu auf den Berg
die Absicht des Volkes verhindern, ihn zum König
zu
machen
und entzieht Jesus der Menge. Er wird für sie unerreichbar.
Dabei bleibt offen, wie denn
überhaupt
Jesus
sich
durch seinen
Rückzug auf den Berg dem Volk entziehen kann, was
darauf
verweist,
daß
der Rückzug Jesu
auf
den Berg von
Jo
6,15, zu
mindest was seine Motivation angeht,
Werk
des Redaktors
und
bei der
Interpretation
der Geschichte sehr wohl zu beden
ken ist. Erst
Jo
6,16
erwähnt
die abendliche Stunde; das
Wun-
der der Speisung vollzog sich am Tage (anders Mk 6,3 5; vgl.
aber Mk 8 ). Die Jünger gehen zum See hinunter;
und
ohne
daß
Jesus sie wie bei Markus wegschickt, beginnen sie ans jen-
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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seitige Ufer zu fahren (Kapharnaum ). Die Seewandelperi
kope folgte also wie bei Markus, und vom Einschiffen der Jün-
ger muß schon die Vorlage des J ohannes gesprochen haben.
Auch muß bereits
dort
ähnlich
Mk
6,47 davon die Rede ge
wesen sein, daß die Jünger auf dem Meer, Jesus aber an
Land
gewesen sei um die Exposition für den folgenden Seewandel
zu schaffen.
Diese Funktion erfüllt heute Jo
6 qb:
»Bereits war die Dun-
kelheit eingetreten, und noch immer war Jesus nicht zu ihnen
gekommen.«
Es
ist möglich, daß diese Formulierung redak
tionelle Veränderung einer anderen Formulierung der Vor
lage ist. Denn man muß bedenken, welchen Stellenwert die
»Dunkelheit« (axo·da) im Johannesevangelium besitzt (vgl.
Jo 1,5; 8,12; 12,35.46; 20,1). Wollte dadurch der
Redaktor
vielleicht den Gedanken eintragen, daß die Jünger allein, ohne
Jesus, in der »Dunkelheit« sind, mit Jesus zusammen aber
nicht im Dunkeln wandeln müssen (vgl. Jo 8,12; 12,46 )? Man
wird
die Frage nicht mit letzter Sicherheit beantworten kön
nen,
darf
aber vermuten, daß die Vorlage hier johanneisch ge
färbt wurde.
Ansonsten lassen
sich
an der Seewandelgeschichte keine redak
tionellen Eintragungen bemerken,
so
daß sie so auch schon in
der Vorlage stand. Von der Markusfassung hätte
sich
die Vor
lage dadurch unterschieden, daß die bei Markus festzustellen
den Züge der Sturmstillungsgeschichte bei Johannes fehlen,
wenn nicht die Bemerkung von Jo 6,18 »der See ging hoch
bei gewaltigem Sturmwind« die letzte Spur dieses Motivs in
der Johannesvorlage darstellt. An die Stelle der Sturmstillung
ist ein anderes Motiv getreten, das der wunderbaren Landung
Jo 6,21, was ganz dem Charakter der Quelle des Johannes
entspricht. Auch in
Jo
6,22-25 ist die Johannesvorlage noch zu
entdecken. Bei Markus entspricht Mk 6,54: Beim Aussteigen
erkennen die Leute Jesus. Doch dient der Vers bei Markus da
zu, einen Sammelbericht über verschiedene Heilungswunder
anzuschließen und ist durch die markinische Akzentuierung,
daß
Jesus nicht verborgen bleiben konnte, zu erklären. Die jo
hanneische Vorlage verändert das Motiv und baut
es um zu
147
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einer kleinen Szene, die
wie
die Frage des Speisemeisters bei
der Hochzeit von
Kana
Jo
2,9
f.)
und
die Frage des »König-
lichen« an die entgegenkommenden Knechte nach der Stunde
der Heilung seines Sohnes Jo 4,52 f.) die Funktion hat, in
einem Feststellungsverfahren den Effekt des Wunders zu kon-
statieren. In der heutigen Fassung ergibt sich allerdings eine
Schwierigkeit. Wo ist das >>jenseitige Ufer«, das den Standort
der Leute beschreibt, zu denken? Man darf sich nicht von Mk
6,5 3 f verleiten lassen, darin das dem
Ort
der Speisung ge-
genüberliegende
Ufer
zu vermuten
49
• Vielmehr erzählt die
Geschichte vom
Standpunkt
Jesu aus, der sich jetzt in
Kaphar-
rraum befindet Jo 6,21). Man darf auch nicht vergessen, daß
Johannes ungleich Markus nichts von einer Entlassung
des
Vol-
kes nach der Speisung berichtete. Die Leute befinden
sich
am
nächsten Morgen noch am Ufer, wo die Speisung stattgefun-
den hatte und sehen: Weder Jesus noch die Jünger sind da. Die
Jünger hatten sie mit dem einen Boot, das
da
war, abfahren
sehen, Jesus aber nicht. Sie machen sich
auf
nach Kapharrraum
und finden dort Jesus mit seinen Jüngern
und
ihre erstaunte
Frage »Rabbi,
wann
bist du hierher gekommen?« offenbart,
daß Jesus durch Seewandel und wunderbare Landung, auf wun-
derbare Weise also, nach Kapharrraum gekommen war. So er-
zählt es die Vorlage des Johannes und unterstreicht ganz ihrem
Charakter
entsprechend das Wunderbare am Seewandel Jesu.
Ein späterer Glossator wohl nicht Johannes selber
hat
sich
dann gefragt, wie kommen die Leute von dem Ufer der Brot-
vermehrung nach Kapharnaum,
wo
sie doch selber sagen, daß
nur ein Boot, das der Jünger, dagewesen
war?
Sind sie zu Fuß
gegangen? Dann wäre
es
für das Feststellungsverfahren reich-
lich spät geworden. So läßt er Vers 3 als Deus ex machina
Schiffe aus Tiberias vorbeikommen, die er die Leute
in
Vers
24
besteigen läßt, damit sie nach Kapharrraum gelangen können,
wo sie J esus finden.
Jetzt
bricht die Vorlage des Johannes ab. Ob nach der Frage
der Leute von Vers 2 5 noch ein weiterer Schluß folgte, der
49
R. Bultmann Johannesevangelium,
x o
148
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etwa
davon
berichtete wie die Leute den Seewandel Jesu als
Wunder erkennen
und
über das Wunder in Staunen geraten
läßt
sich nicht entscheiden.
Jo
6 26 mit dem typisch johannei
schen Zeichenbegriff ist redaktionell
hat
möglicherweise den
alten Schluß verdrängt
und
schließt
an
die Vorlage aus der
Wunderquelle die johanneische Brotrede an.
Auch wenn in
Jo 6 1-26
die redaktionelle Umgestaltung we
niger leicht
und
sicher abtragbar
war
wie bei der Heilung des
Sohnes des Königlichen zeichneten sich dennoch die Konturen
der Vorlage ab. Sie erzählte ähnlich wie Markus
von
einer
wunderbaren Speisung
und
nachfolgendem SeewandeL Aller
dings konnten auch schwerwiegende Unterschiede gegenüber
arkus
festgestellt werden. Weil von der
Not
der Menge nicht
geredet wird ist das Wunder eigentlich unnötig
und
gewinnt
Demonstrationscharakter. Auch wie der Wundertäter seine
Jünger
auf
die Probe stellt obwohl er selber weiß was er
tun
wird unterstreicht diesen Akzent.
Darum
muß das
Wunder
auch nicht motiviert werden. Es entspringt nicht dem
Erbar
men Gottes in Jesus das in der Speisung der menschlichen
Not
hilfreich begegnet sondern einer das Menschenmaß sprengen
den
Wunderkraft
Auch im Seewandel kommt der Wunder
täter
den Jüngern nicht
zu
Hilfe und ein weiterer Wunder
zug nämlich die wunderbare Landung ist hinzugewachsen.
Auch
da
ist das Wunder losgelöst von einer sinnvollen Moti
vierung. Es geschieht den Menschen nicht in erster Linie damit
ihnen geholfen werde sondern damit
sie
ins Staunen geraten.
Dadurch stellt sich die von Johannes benutzte Vorlage in eine
Reihe mit der Vorlage die er bei der Heilung des Sohnes des
>>Königlichen«
benutzt hat. Beiden fehlt die theologische
Kraft
der Synoptiker. Es
wird
volkstümlich
und
naiv von dem gro
ßen
Wundertäter berichtet dem das Staunen der Menschen
gilt. Johannes hat
nur
wenig
an
der Geschichte geändert. Er
hat sie
behutsam redigiert. Dennoch
trägt erz. B
mit
der
kur
zen Bemerkung
von Jo 6 17
b: »Bereits
war
die Dunkelheit
eingetreten
und
noch immer
war
Jesus nicht
zu
ihnen gekom
men« theologische Akzente in die Vorlage ein die deren
Di
mensionen weit hinter sich lassen. Das johanneische Verständ-
149
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nis seiner Vorlage wird vor allem dann deutlich,
wenn man
auf die durch seine Redaktion in die Vorlage eingetragene
Struktur
achtet.
Das mißverstandene »Zeichen« Johannes)
In der Heilung des Sohnes des Königlichen machte die
johan-
neische
Redaktion sich
in den Einfügungen in die Vorlage be
merkbar, die den Sinn der Vorlage stark
veränderten und
die
redaktionelle Theologie eintrugen.
Das
geschah
dort mit
sol
cher Energie,
daß
Jo 4,48 den erzählerischen Ablauf
der
Ge
schichte aufhielt. Von Anfang an wurde ein anderer
Wunder-
begriff eingetragen,
und
der erzählerische
Faden mußte
neu
geknüpft werden.
Mit
gleicher Sicherheit ließ sich die Redak-
tion in
der
Brotvermehrungs-
und
Seewandelgeschichte nicht
erkennen.
Vor
allen Dingen
fand
sich hier kein Vers,
der so
total den Sinn neu angab, wie
Jo
4,48 es für die Heilungs
geschichte
tat
Die Redaktion konnte hier immer nur
vermutet
werden;
mit
Händen greifen ließ sie
sich
nicht. Der
Redaktor
hat
offenbar eine andere Methode gewählt, den Stoff seiner
Aussageabsicht dienstbar zu machen. Das
darf man
schon der
Tatsache entnehmen,
daß
er der Speisung
und
dem Seewandel
eine Rede folgen läßt, die das Thema der Speisung wieder auf
nimmt. Doch hat er auch in die Geschichte selbst eingegriffen,
nur mit weniger auffallenden Mitteln als in Jo 4,46-5 2
Hier
hilft
es
weiter, wenn man
auf
die
Struktur der rzählung
in
der johanneischen Bearbeitung achtet. Es lassen sich nämlich
innerhalb der Geschichte zwei einander entsprechende Bewe
gungen feststellen, die jeweils
am
Ende der Geschichte
zu
ihrem
Ausgangspunkt zurückkehren. Die beiden Bewegungen ent
sprechen jeweils verschiedenen Akteuren.
In
der einen ist
es
Jesus, in der anderen das Volk.
Von
Jesus berichtet Jo 6,3,
daß
er am
Anfang
der Geschichte
mit
den Jüngern zusammen auf
dem Berg ist,
und
dann unten die Speisung erfolgt, wie aus
Jo
6,15 erschlossen werden muß.
Am
Ende ist Jesus wieder auf
dem Berg, er allein
J
o
6 1 5 .
150
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Vom Volke wird am Anfang gesagt, daß
es
Jesus deshalb
folgt, weil es die Zeichen gesehen hatte, die Jesus an den Kran-
ken wirkte Jo 6,2). s läßt
sich
speisen, und am Ende wird
wiederum von ihm gesagt, daß es das Zeichen sah, das Jesus
gewirkt hatte und dadurch zu dem Urteil kommt: Jesus ist der
Prophet. So taucht bei beiden Bewegungen der Anfang im
Ende wieder auf. Jesus auf dem Berg am Anfang, das Volk
sieht Zeichen am Anfang. Jesus auf dem Berg am Ende, das
Volk sieht das Zeichen am Ende. Beide Bewegungen entspre-
chen sich insofern, als sie am Ende in ihren Ausgangspunkt zu-
rückkehren.
Bewegungen, die zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren, be-
wegen nichts wirklich. Sie bewirken keinen Fortschritt, son-
dern ziehen sich in sich selbst zurück, zumal dann, wenn sie
nicht zueinander kommen, damit aus den zweien eine Bewe-
gung wird. Die Chance dazu hätte bestanden; denn es gibt
einen Schnittpunkt der Bewegungen: Da wo Jesus vom Berg
zum Volk kommt, und das Volk
sich
von Jesus speisen läßt.
Aber es ist nur ein Schnittpunkt; die Linien gelangen nicht mit-
einander zur Deckung, sie entfernen sich wieder voneinander.
Es ist interessant zu sehen, wie die Bewegung Jesu der Bewe-
gung des Volkes nachfolgt.
Daß
das Volk das Zeichen sieht
und Jesus für den Propheten hält, bewirkt, daß Jesus sich auf
den Berg zurückzieht, denn er weiß, daß sie kommen wollen,
um ihn wegzuführen und ihn zum König zu machen. Wäre er
nicht zurückgegangen, so wäre die Bewegung der Geschichte,
innerhalb derer das Volk die Hauptrolle spielt, weitergegan-
gen. So verhindert sein Rückzug, daß die Bewegung, die von
ihm in der Geschichte ausgeht, von der Bewegung des Volkes
aufgesogen wird. Die Bewegung der Geschichte wäre auch
dann weitergegangen, wenn das Volk auf die Jesusbewegung
eingegangen wäre, dann nämlich, wenn es in der Speisung
nicht ein Zeichen gesehen hätte, wie
es
Zeichen zu sehen
wünschte, sondern den, auf den das Zeichen hinwies. Auch
dann wäre aus beiden Bewegungen eine geworden. So aber
kehren beide zurück. Jesus bleibt auf dem Berg. Für das zei-
chensehende Volk ist er unerreichbar.
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Diese Beobachtungen lassen sich aufgrund
der Struktur
der
Geschichte machen.
Die Struktur
aber
kommt
durch die Stellen
der Geschichte zustande, hinter denen die Analyse redaktio
nelle Arbeit vermuten ließ.
Daß
Jesus zu Beginn der Geschich
te den Berg besteigt Jo 6,3), war ja für den Ablauf einer Spei
sungsgeschichte nicht notwendig. Auch daß
ihn
am Ende der
Berg dem Volk wieder entzieht, dürfte
auf
die
Redaktion
zu
rückgehen. Bei Markus
betritt
er ihn, um zu beten.
Daß
das
Volk Jesus am Anfang der Geschichte folgte, konnte die Vor
lage schon berichten. Die Redaktion jedoch trägt die Motivie
rung mittels des johanneischen »Zeichen«-begriffs ein
Jo
6,2).
Das Zeichen taucht auch redaktionell am Schluß der Geschichte
auf Jo 6,14). In Jo 6,15 zeigt das Urteil des Volkes über Jesus,
daß das »Zeichensehen« des Volkes von Jo 6,14 das für Johan-
nes typische Mißverstehen ist.
Diese Einzelbeobachtungen wurden bei der Analyse noch nicht
recht verständlich. Sie fügen sich aber durch die Beachtung der
Struktur
der Geschichte
zu
einem sinnvollen Ganzen.
Der
Re
daktor will zeigen: Damit es zur Speisung kommt,
muß
Jesus
vom
Berg herabsteigen.
Das
Volk aber, das zu ihm gekommen
war,
weil
es
Zeichen gesehen hatte,
kann ihn
nicht erfassen
und
das Zeichen
der
Speisung nicht verstehen, weil
es
wiederum
nur Zeichen sieht. So aber kann Jesus von ihm nicht »erfaßt«
werden, sondern ist wieder für das Volk unerreichbar
auf
dem
Berge, er ganz allein
50
• In
dieselbe Richtung weist eine andere
Beobachtung: Das Volk will Jesus zum König machen, so in
terpretiert Jo 6,15 das Bekenntnis des Volkes
von
Jo 6,14. Aus
Jo 18,37 ist das Bekenntnis Jesu
vor
Pilatus bekannt:
Er
ist
ein König. Aber sein Königtum gelangt mit den Königskate
gorien des Pilatus nicht zur Deckung. Sein Reich ist nicht
von
50
»Es wird also zu verstehen gegeben, daß der Herr, da er
mit
seinen
Jüngern
auf
dem Berg weilte
und
die Scharen zu ihm kommen sah, vom
Berge herabgestiegen war und in den Niederungen die Scharen gespeist
hatte. Denn wie wäre es möglich, daß er wieder dorthin sich begab, wenn
er nicht
vorher
vom Berg herabgestiegen wäre? Es ist also von Bedeutung,
daß der Herr
von der Höhe
herabstieg zur Speisung der Scharen. Er
speiste
sie
und stieg wieder hinauf.«
Aur. Augustinus
Johannesevangelium,
Serm. 5
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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dieser Welt. Das Oben läßt sich mit dem Unten, wenn es in
dessen Kategorien eingefangen werden soll, nicht zur Deckung
bringen. Dazu kommt
es
erst, wenn das Unten sich von den
Kategorien des nach unten gekommenen Oben interpretieren
und verwandeln läßt.
Die Struktur der Geschichte, wie sie durch die johanneische
Redaktion der Vorlage zustande gekommen ist, spiegelt das
Denkschema des ]ohannes.
Die Speisungsgeschichte ist Beispiel
dafür, wie Johannes einer Geschichte seiner Vorlage den von
ihm angestrebten Aussagesinn unterlegt, nicht indem
er
direkte
Sinnkorrekturen einträgt, wie z.
B
in Jo 4,48, sondern indem
er durch seine redaktionellen Eintragungen der Geschichte eine
Struktur verleiht, die seine Aussageabsicht zur Anschauung
bringt. Johannes versteht es mit ausgestalteten Bildern zu re
den. »Während die Synoptiker das Wirken Jesu durch eine
Fülle kleiner Traditionsstücke darstellen, die sie mehr oder
weniger zu einem Zusammenhang zu verbinden bestrebt sind,
gibt Johannes seine Darstellung durch große ausgeführte Bil
der.
Und
wenn er auch zwischen ihnen einen chronologischen
Zusammenhang herstellt,
so
sind die einzelnen Abschnitte im
Grunde nicht als historische Einzelszenen gemeint, sondern als
repräsentative Bilder des Offenbarungsgeschehens«
5
•
Wenn die Struktur der Geschichte bewußt eingesetztes Aus
sagemittel ist, dann ist aber auch für die Zeitangabe von Jo 6,4,
daß Ostern, das Fest der Juden, nahe war, .zu vermuten, daß
der Redaktor sie bewußt in die Vorlage eingetragen hat, um
die Geschichte in einen größeren Zusammenhang zu verweisen.
Darum darf die Angabe von Vers 4 nicht in Vergessenheit ge-
raten, sondern muß in der Fortsetzung der Auslegung noch
bedacht werden. Schließlich macht die Beobachtung
~ r
Struk
tur
noch auf etwas weiteres aufmerksam. Die Bewegung der
Geschichte bricht nämlich nicht gänzlich ab. Jesus entzieht
sich
zwar
dem Volk auf dem Berg, doch war er zuvor mit den
Jüngern
dort
Jo 6,3). Jetzt ist
r
wie der Text eigens her
vorhebt - allein. Die Jünger sind zum
See
hinuntergegangen
51
R Bultmann Johannesevangelium, I
55
153
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Jo 6,15 f.). Für die Jesus-Linie
der
Geschichte bleibt also noch
etwas zu erwarten. Er
kommt
wieder
zu
den Jüngern
und
diesen begegnet er nicht nur
im
Zeichen des Seewandels, son
dern
auch
in
seinem sich
ihnen offenbarenden
Wort.
Hier
ge
langt
beides zur Deckung; die Jünger nehmen ihn in ihr Boot
auf5
2
• Sie kommen zu
ihm,
indem er zu ihnen kommt (vgl. Jo
1,11 f.)
Es ist zu fragen, ob bei der Auslegung
der
Brotrede, die nach
dem Willen des Johannes das »Zeichen« der Speisung im Worte
auslegen soll, nicht ebenfalls auf die eigentümlich »kreisende«
Logik geachtet
werden muß,
die
die
johanneische
Redaktion
als »Logik« in die Geschichte eingetragen hat. Die Auslegung
der
Brotrede
muß
s
erweisen.
7· Die johanneische Brotrede-Erschließungdes Zeichens im
Offenbarungswort ]o
6 26-7 I)
Daß die Brotrede nicht zufällig hinter Speisungsgeschichte und
Seewandel folgt,
wird vor allem
durch Vers 26 erwiesen:
»Amen,
amenich
sage euch, ihr sucht mich nicht,
weil
ihr Zei
chen gesehen
habt,
sondern
weil
ihr von den
Broten
gegessen
habt und satt
geworden
seid « Die Brotrede ist nicht durch
Stichwortverknüpfung
mit
dem
Brotwunder
verbunden,
son
dern beide sind aufeinander
hin-
und
zusammenkomponiert.
Die Brotrede ist so voll sprachlicher und theologischer Eigen
tümlichkeiten, die
für J ohannes typisch sind, daß der V ersuch
wie bei
der
Speisungsgeschichte zwischen
Vorlage
und
Redak
tion zu unterscheiden,
mehr Fragen
aufwirft als dadurch be
antwortet
werden können. A.hnliches gilt
für
den V ersuch, den
Sinn
der
Rede
mittels Textumstellungen
zu
ermitteln.
Darum
ist
s
wohl eher angebracht, die
ganze
Rede
in ihrer
heutigen
Gestalt
als eine Sinneinheit zu verstehen. Bei ihrer Auslegung
muß allerdings mit
der
eigentümlichen Denkweise des Johan-
52
Man beachte den Subjektswechsel gegenüber der Markusfassung, dort ist
s
Jesus, der ins Boot steigt (Mk
6,p),
hier sind
s
die Jünger, die ihn mit
Freuden (vgl. Jo 20,20 ) ins Boot aufnehmen.
154
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nes gerechnet werden, die nicht logisch deduzierend erfolgt,
sondern assoziativ
und
kreisend den Gegenstand
der
Betrach
tung aussagt. Zugleich muß die Auslegung auf den Sinnzusam
menhang zwischen Brotrede
und
Speisungsgeschichte achten.
»Ich bin das Btot des Lebens«
Vers 26 bringt die
Antwort
Jesu
auf
die Frage der Leute von
Vers
25:
»Wann bist du hierher gekommen?« Vers
26
über
nimmt
für
Speisung
und
Seewandel die Funktion, die
Jo
4,48
innerhalb der Geschichte von der Heilung des Sohnes des Kö
niglichen hatte
5
• Die Frage der Leute von Vers 25
und
ihre
Suche nach Jesus (Jo 6,24)
wird
durch die
Antwort
Jesu zu
rückgewiesen. Ihr Fragen und Suchen ist falsch motiviert. Sie
suchen Jesus, weil sie von den Broten gegessen haben
und
satt
geworden sind,
und
er daher geeignet scheint, ihnen die Sorge
um
das
Brot
abzunehmen. Als messianischer König soll er sie
der Alltäglichkeit und Beschränktheit ihres Lebens entreißen
und
sie in ein eschatologisches Schlaraffenland versetzen. Inso
fern ist ihre Suche nach Jesus »religiöse« Suche, sie verstehen
ihn
als Erfüllung
von
Verheißungen, die sie direkt-eschatolo
gisch auslegen.
Er
ist in ihren Augen der von
Gott
gesandte
Messias-König, in dessen Reich es keinen Hunger mehr geben
wird weil er als Moses redivivus das Mannawunder ständig
bereithalten kann. Das aber ist ein falsches Verständnis, so
daß
sie, obwohl sie Zeichen gesehen haben (Jo 6,2.14), die Zei
chen nicht gesehen, d. h. nicht das in ihnen sich verbergende
Geheimnis eingesehen haben.
Wie Jesus in der Brotvermehrungsgeschichte diesem Verlangen
gegenüber unerreichbar
auf
dem Berg war,
so
ist
er
jetzt
auf
der sprachlichen Ebene für ihr fragendes Suchen nicht auffind
bar, wenigstens
für
den nicht, der
nur
satt geworden ist. Von
den Broten zu essen
und
satt zu werden,
darauf
kommt
es
nicht an, sondern darauf, die Zeichen auf ihr Geheimnis hin
53
Verse
6 is
distinct from
what
precedes, introducing a wholly new
dimension into the context.« R. T Fortna The Gospel of Signs, 9
1
55
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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einzusehen. Es heißt sich um Speise zu bemühen, die nicht ver
geht, sondern beständig ist
und
den, der sich
um
sie bemüht,
in Richtung d ~ ) auf ewiges Leben setzt Jo 6,27). Brote essen
und
satt
werden dagegen heißt, sich um vergängliche Speise
bemühen. Vers 26 stellt das falsche Motiv
der
Suche der Leute
heraus. Vers 27 ist der Imperativ: Bemüht euch um Speise,
die bleibt zum ewigen Leben «
Der
Imperativ will aus einem
Noch-nicht-sein
in
ein neues Sein überführen. Er zeigt einer
seits das, was noch nicht ist, rechnet aber mit der Möglichkeit,
daß
etwas werden kann.
Die
Angeredeten sollen sich um un
vergängliche Speise bemühen.
Das
Bemühen
um
unvergäng
liche Speise kann sein Ziel erreichen, weil dem Bemühen ein
Geben entspricht: Die unvergängliche Speise wird den sich
darum
Bemühenden der Menschensohn geben, denn er ist vom
Vater
beglaubigt. Dabei soll durch das Futur
er wird
geben«
nicht angedeutet werden, der Menschensohn werde die Speise
zu
einem späteren
Zeitpunkt
einmal geben, sondern es rückt
den ins Gesichtsfeld,
der
die Speise noch nicht
hat,
sich aber
darum
bemüht, sie
zu
erlangen.
Wer
das Zeichen« der Spei
sung schon eingesehen hat, dem hat er sie schon gegeben.
Für
Johannes ist der Menschensohn nicht die gleiche apokalyp-
tische Gestalt wie für die Synoptiker
54
•
Er
ist bei Johannes
der präexistente Menschensohn,
der vor
seiner
Inkarnation
bei
Gott
war.
Und
niemand ist
in
den
Himmel
hinaufgestiegen
außer dem, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Men
schensohn« (Jo J,IJ). Aber der
Menschensohn muß
erhöht
werden,
damit
jeder,
der
glaubt,
in
ihm ewiges Leben habe«
Jo
3,14 f.). Die Erhöhung des Menschensohnes vollzieht sich
im Kreuz Jo 8,28) und sie ist seine
von
Gott verfügte Ver
herrlichung
Jo
12,23 f.). »Der Menschensohn ist ständiges
himmlisches Wesen,
der
präexistente
und
fleischgewordene
Logos«
55
•
54
Zur johanneischen Menschensohnvorstellung vgl. S
Schulz
Untersu
chungen zur Menschensohn-Christologie im Johannesevangelium, zugleich
ein Beitrag zur Methodengeschichte der Auslegung des vierten Evange
liums, Göttingen 1957.
S
Schulz Die Stunde der Botschaft. Einführung in
die Theologie der vier Evangelisten, Harnburg
1967, 334-336
55
S. Schulz ebd., 336
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Die Antwort
der Leute in Vers
8
nimmt den
Imperativ
Jesu
von Vers 7 »Müht euch «
E Q y a ~ E o { } E )
auf
und
fragt, was zu
tun sei, um die Werke Gottes zu wirken. Sie fragen also nach
den Mitteln, mit denen das Sich-um-unvergängliche-Speise
bemühen geschehen soll. Sie wollen diese von Jesus verheißene
wunderbare Speise haben und fragen nach dem Weg zu ihr.
Was muß man tun, um ihrer teilhaftig zu werden?
Aus Vers
30 läßt
sich schon für Vers
28
vermuten,
daß
diese
Frage immer noch nicht auf die Ebene zielt, in der Jesus spricht.
Die Menge versteht Jesu Ankündigung einer unvergänglichen
Speise immer noch von ihren Kategorien her
und
sieht in
ihr
allenfalls eine
überbietung
ihrer Erwartungen, die aber im
mer noch in der Richtung ihres Denkens liegt. So fragen sie
nach dem Weg, der zur Erlangung der wunderbaren Speise
führt. Die Antwort Jesu in Vers
29
geht auf ihre Frage ein,
er sagt, welches der Weg ist. Wir befinden uns in einer ähn
lichen Situation wie zu Beginn der Speisungsgeschichte, wo die
Menge J esus folgte, weil sie die Zeichen sah, die
er
an
den
Kranken wirkte (Jo 6,2), und Jesus der Menge entgegen
kommt, indem er ein neues Zeichen wirkt. Seine
Antwort
auf
ihre Frage, was man tun müsse, um die unvergängliche Speise
zu erlangen, weist sie auf den Glauben Zeichen richtig ein
sehen (Vers 26), sich um unvergängliche Speise bemühen (Vers
27 , heißt an den glauben, den der Vater gesandt hat, an den
Menschensohn, an Jesus, der vor ihnen steht. Die Menge ver
steht richtig, daß er von einem Glauben spricht, der sich
auf
ihn, der vor ihnen steht, richten soll (Vers 30). Aber
sie
reali
siert nicht alles, was Jesus sagt.
Für
sie ist er nur der
vor
ihnen
stehende Jesus.
Dafür
daß er vom Vater gesandt ist (Vers
29 ),
daß
er der vom Vater versiegelte Menschensohn ist (Vers
2
7),
fordern sie ein Beglaubigungszeichen. Bevor sie zum
EQya-
~ w { } m
zum Sich-bemühen um die unvergängliche Speise kom
men wollen, soll er etwas wirken ('d E Q y a ~ n ) . Für sie zerfällt
Sehen und Glauben in ein einander voraussetzendes Vorher
und
Nachher. Gerade damit zeigen sie, daß sie Jesus nicht
verstehen. Jesus verstehen
und
glauben, sind eins. Ebenso fal
len Sehen des Zeichens und an ihn als den vom Vater Ge-
1
57
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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sandten glauben zusammen. Das »Zeichen« richtig sehen ist
schon dasselbe wie Glauben und Glauben ist dasselbe wie das
»Zeichen« richtig sehen. Wer die Zeichen
zur
Bedingung des
Glaubens machen will, wer Zeichen sehen will, um zu glau-
ben, glaubt nicht. Die Menge sieht das Zeichen nicht, das vor
ihnen steht, Jesus. Sie glauben nicht,
daß er vom Vater
ge-
sandt, daß er der Menschensohn ist, der die unvergängliche
Speise geben kann. Johannes stellt das auch den Synoptikern
geläufige
Motiv der Zeichenforderung in den Dienst seiner
Gedankenführung. Die Leute befinden sich hier gegenüber dem
Worte
Jesu in derselben Situation wie diejenigen, die das Zei-
chen der Tempelreinigung mißverstehen, indem sie Jesus nach
einem Zeichen für die Berechtigung seines Tuns fragen Jo 2,
8 . Wie die Leute sich das verlangte Beglaubigungszeichen
vorstellen, zeigt Vers
3
I Der Glaube der Väter
war
durch ein
Zeichen gesichert, sie aßen Manna
in
der Wüste; so steht es ge-
schrieben: »Brot vom Himmel hat er ihnen zu essen gegeben.«
Wenn Jesus vermöchte, ihnen Brot vom
Himmel
zu
geben,
dann würden sie glauben.
Das Wunder
der Speisung scheint wie vergessen. Weil sie das
Zeichen nicht einsahen, blieb ihnen verborgen,
daß
das Brot,
das sie dort
empfingen, in
Wahrheit
Brot vom Himmel
war,
weil der, der
es
ihnen gab,
vom Himmel
herabgestiegen
war.
Das aber ist
es
eben, was sie nicht sehen und deshalb nicht
glauben, und
so
fordern sie Brot, dem man ansieht,
daß es
vom Himmel kommt, damit sie an ihn glauben können, daß er
vom
Vater gesandt ist. Das Zeichen soll ihrem Sehen und Ver-
stehen entsprechen.
Das
Zeichen aber, das Jesus gibt, ist an-
ders.
Um
sein Zeichen einzusehen, muß man an ihn glauben,
als an den
vom
Himmel Herabgekommenen. Dann erkennt
man
auch seine Gabe als die unvergängliche.
Die
Antwort
Jesu in Vers
32
könnte als eine
Korrektur
dessen, was die
Leute
in
Vers
3I
gesagt hatten, verstanden werden: Was sagt
ihr da, daß Moses euch Brot vom
Himmel
gegeben habe? Nicht
Moses
war
es sondern Gott. Dafür würde die betonte Gegen-
überstellung von Moses und
Gott
je am Satzanfang sprechen.
Doch ist der Parallelismus der beiden Sätze nicht vollkommen.
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Der
Nachsatz ist reicher als der Vordersatz und das am Schluß
stehende
-n)v al..rp hv6v
(»das wahre [Brot]«) des Nachsatzes
weist auf den eigentlichen Vergleichspunkt hin. Nicht was Mo- .
ses
gab ist das wahre Himmelsbrot, sondern was der Vater
gibt.
Der
Vater aber gibt J
esus.
Vers 33 deutet schon an, was Vers 35 enthüllt. Weil im Grie
chischen das
Wort
Brot
(o a g T o ~
männlich ist, bezieht sich das
folgende Partizip o xu'tußutvwv (der Herabsteigende) zwar
auf das Brot, ergibt aber im Licht von Jo 6,35·38.42 gelesen
eine von Johannes wohl beabsichtigte Doppeldeutigkeit. Das
Brot Gottes ist das, welches vom Himmel herabsteigt oder:
Das Brot Gottes ist der, welcher vom Himmel herabsteigt.
Im
Deutschen läßt
sich
diese Doppeldeutigkeit nicht in einem Satz
wiedergeben. Die Leute verstehen jedenfalls in ihrer Bitte von
Vers
34
Jesus so, als bezöge sich das Partizip oM'taßulvwv auf
o g · r o ~ sie meinen, daß J
esus
von einem wunderbaren, der
Welt das Leben bringenden Brot spriCht, das vom Himmel
herabsteigt. Sie glauben, daß er darüber verfügt.
So
bitten
sie
ihn,
es
ihnen allezeit zu geben, damit sie von ihrer Sorge be
freit durch dieses wundersame Brot des Lebens teilhaftig wür
den
56
•
Die
Antwort
Jesu in Vers 3 5 erweist die Bitte der Leute als
Mißverständnis; Jesus sprach in Vers 33 nicht von irgend
einem Wunderbrot. Was verhüllt zur Sprache kam,
wird
offenbar:
Er
selbst ist das Brot des Lebens. Jesus antwortet in
der Form des für Johannes typischen Ich-bin-Wortes
7
• Die
Ich-bin-Worte sind »das eigentliche Thema
des
vierten Evan
geliums«. »In diesen Selbstaussagen ist alle Offenbarung ver
sammelt, die Jesus bringt«
58
• Die Ich-bin-Aussage identifiziert
Jesus als das Subjekt
des
Satzes mit dem Prädikat, hier mit
dem Brot des Lebens. Dabei betont das
yro
die Ausschließlich-
56
Man vergleiche die Bitte der Samariterin um das Lebenswasser, das sie
der Mühe ledig werden ließe, zum Brunnen zu gehen, um zu schöpfen,
]04 15.
57
Zu den Ich-bin-Worten des Johannesevangeliums vg .: H. Zimmer-
mann Das absolute E :yoo
elf LL
als die neutestamentliche Offenbarungsformel,
in:
BZNF
4 (196o), 54-69.
z66-z76
58
S Schulz Die Stunde der Botschaft, 336
159
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keit dieser Identifizierung. Von niemand anders ist sie aussag
bar. Alles, was immer Brot des Lebens ist
und
sein will, an
deutet
und
sichtbar macht, ist Jesus selber. Nicht das Brot ist
Zeichen für Jesus, er ist vielmehr das Zeichen für Brot. Jo 6,3 5
begegnet die Ich-bin-Formel zum ersten Mal im Johannes
evangelium
59
• Es mag sein, daß das darauf zurückgeführt
werden kann, daß während des Seewandels Jo 6,2o) die
Offenbarungsformel in absoluter Weise vorkommt und jetzt
inhaltlich beschrieben werden soll
60
•
Als Brot des Lebens ist er
für den, der zu ihm kommt, die den Hunger auf immer stil
lende Speise.
Zu
ihm kommen heißt
an ihn
glauben. Wer zu
ihm kommt
und
glaubt, braucht nie mehr Durst zu haben Jo
6,3
5
. Letzteres erweitert das Bild vom Brot. Selbst leben
spendendes Brot ist nicht geeignet, all das auszudrücken, was
er für den Glaubenden ist.
Glauben und Unglauben
Vers 36 nimmt das Stichwort des Glaubens auf und offenbart,
daß die
von
Jesus das Wunderbrot erbittende Menge zu denen
gehört, die Jesus
zwar
gesehen haben, aber doch nicht glau
ben. Sie haben ihn gesucht, weil sie Brot gegessen haben und
satt geworden sind, nicht aber, weil sie die »Zeichen« einge
sehen hätten Jo 6,26). Sie haben bloß Zeichen gesehen Jo 6,2.
14). Es gibt also ein Sehen Jesu, das nicht Glauben ist. Sie sehen
nur
den, der
vor
ihnen steht, nicht, daß er der vom Himmel
Herabgekommene ist. Glauben aber ist nicht menschliche Mög
lichkeit, sondern göttliche Gabe. Zu Jesus kommen, d. h. glau
ben, kann nur der, der vom Vater Jesus gegeben worden ist
59
Vgl.
Jo
8,12: Licht der Welt.
I0 14 : Der
gute
Hirt. n 25:
Die Aufer
stehung und das Leben. 14,6: Der Weg, die Wahrheit und das Leben.
1
5,
I :
Der wahrhaftige Weinstock.
80
>>Was
das absolute
>Ich-bin<
angeht, dürfte also die Geschichte vom See
wandel einen wichtigen überlieferungsgeschichtlichen Anknüpfungspunkt,
wenn auch vielleicht nicht den einzigen, für die Übernahme und Weiter
bildung der Formel in der johanneischen Theologie bilden.« ]. Blank Die
johanneische Brotrede,
99 f.
r6o
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(Jo
6,37).
Die Jünger sind die vom Vater Jesus übergebenen
(vgl. Jo
17).
Wer so zu ihm kommt, wer so an ihn glaubt,
wird
von ihm nicht zurückgestoßen, vielmehr bewahrt (Jo 6,37 b).
Darin
besteht der Wille dessen, der J
esus
vom Himmel gesandt
hat:
Daß
er die an ihn Glaubenden, die ihm vom
Vater
über
geben sind, nicht verloren gehen läßt (Jo 6,38.39), sondern sie
bewahrt (Jo
17,12),
d. h. ihnen das ewige Leben gibt, sie »auf
erweckt am jüngsten Tag«, wie es in den Versen
39 40
mit
unjohanneisch klingenden Worten ausgedrückt wird. Gemeint
ist, was in den Versen
3 3 und 35 mit dem Begriff »der Welt
das Leben geben« gesagt wird. Wer Jesus sieht als den Sohn,
als vom Himmel Herabgekommenen, glaubt an ihn
und
eignet
sich
ihn als die zum Leben bleibende Speise an.
Vers
4
nimmt nach der in den Versen 36 40 erfolgten Re
flexion über den Glauben wieder Bezug auf die Aussage Jesu
in Vers
35
(38). Die Leute werden nun mit der für das Johan
nesevangelium typischen Bezeichnung »die Juden« benannt.
Insofern
sie
gegen Jesus »murren«, nehmen
sie
die Verhaltens
weise des Volkes Israel in der Wüstenwanderungszeit gegen
über Jahwe auf (Ex 15 17; Nu 14 17; Ps
106,25).
Das »Mur
ren« bezeichnet das
sich
Gott widersetzende V erhalten des
Menschen und charakterisiert ihn als in der Gottesferne be
findlich
61
• Sie erweisen
sich so
als Iovöaim im Sinne des J ohan
nesevangeliums, sie werden zu Repräsentanten des sich dem
Offenbarer im Unglauben verweigernden Kosmos. Sie sind
Typos
des
Unglaubens, der
sich
darauf richtet,
daß
der vor
ihnen stehende J esus beansprucht, das aus dem Himmel herab
gestiegene Brot zu sein. Diesen Anspruch Jesu will der Un
glaube nicht wahrhaben, weil er nur Jesus sieht, den Sohn
Josefs, dessen Vater und Mutter er kennt
62
•
Der
Unglaube
meint
zu
wissen, woher Jesus kommt.
Er hat
in gewisser Weise
recht, denn er weiß um die Herkunft Jesu. Aber sein Geheim-
61 Vgl.
K.
H
Rengsdorf
Art. y y y u ~ r ThWNT I, 727-737
62
Daß
die Kenntnis von Jesu Herkommen ein Grund des Anstoßes an
Jesus ist, wissen auch die Synoptiker (vgl. Mk 6,3; Lk 4,22). Bei Johannes
wird dieses »historische Motiv« verwandt,
um
das Grundsätzliche der
Schwierigkeit
zu
glauben, daß der Logos Gottes in einem konkreten Men
schen begegnet, herauszustellen.
6
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Fleisch für das Leben der Welt
Wie aber soll man von diesem Brote essen, das er selber ist?
Muß man nicht Brot brechen, um es essen zu können? Wieder-
um erreicht die Rede einen Punkt, wo das Bild nicht mehr
genügt, um die Sache, von der gesprochen wird, aufzunehmen.
Brot, selbst himmlisches, reicht nicht aus, die Wirklichkeit dar-
zustellen, darum wechselt das Bild in einem kühnen Um-
schwung vom Brot zum Fleisch.
Daß
das Bild vom Brot unter
dem Ansturm der Wirklichkeit nicht mehr genügte, zeigte sich
schon in Vers
35,
wo neben das Essen das Trinken
und
Dürsten
trat. Was
sich
dort andeutete, hat sich hier vollzogen: Das
Bild vom Brot wird gesprengt, und die Rede wechselt über in
das Bild von Fleisch und Blut, weil nur so die Wirklichkeit
zur Sprache gebracht werden kann. Was den Bildwechsel ver-
ursacht, kann man dem ÖJtEQ für) des Verses r c entnehmen.
Denn hinter dem
ÖJtEQ
steht der Gedanke an Jesu stellvertre-
tendes Sühneleiden am Kreuz. Jesus ist insofern das Brot, als
er das für die Welt und ihr Leben dahingegebene Fleisch ist.
Die Welt erhält Leben, wenn sie ihn als das für die Welt da-
hingegebene Fleisch ißt. So gewinnt sie Anteil an ihm und
glaubt an ihn. »Darum verschiebt sich die Aussage insofern,
als Jesus, der bisher von sich als dem Lebensbrot gesprochen
hat, nunmehr sein für das Leben der Welt hingegebene Fleisch,
seinen am Kreuze hängenden Leib als das Brot bezeichnet, das
er spenden wird«
63
•
Gefordert ist der Glaube an ihn nicht nur
als an den Sohn Mariens und Josefs, der zugleich der vom
Himmel herabgekommene Menschensohn ist, sondern der
Glaube an ihn als den Gekreuzigten. »Die Paradoxie der
Selbstaussage Jesu hat damit, daß der Sohn Josefs und Marias
das vom Himmel herabgekommene Brot ist, ihre letzte Schärfe
noch nicht erreicht. Sie wird erst damit erreicht, daß der vom
Himmel Herabgekommene deshalb das Lebensbrot ist, weil er
der Gekreuzigte ist«
64
• Der Unglaube vermochte schon nicht
63
H. Strathmann
Das Evangelium nach Johannes, Göttingen
1968, II
=
NTD 4
64
H. Strathmann Das Evangelium nach Johannes, II
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zu sehen, daß J
esus
von N azareth, der Sohn Marias und J osefs,
der vom Himmel Herabgekommene ist. Noch schwieriger zu
glauben aber ist, daß Jesus von Nazareth als der Gekreuzigte
zugleich der vom Himmel Herabgekommene ist. Das wird nur
dem möglich, der zugleich im Gekreuzigten den Erhöhten er
kennt. Erst seine Erhöhung macht den Glauben
an
ihn als den
vom Himmel Herabgekommenen möglich. Als der Gekreu
zigte und Erhöhte ist er Inhalt und Ermöglichungsgrund des
Glaubens. Wenn er am Kreuz erhöht sein wird,
wird
er alles
an
sich
ziehen Jo I2,J2f.). Er muß wie die Schlange in der
Wüste am Kreuz erhöht werden Jo 3,14), damit alle auf ihn
schauen können, um geheilt zu werden
und
das Leben zu ha
ben. Der gekreuzigte Erhöhte ist der Schlüssel der dem Glau-
ben die
ür
zum Geheimnis der Person ]esu öffnet.
So ist das
v rtEQ der Höhepunkt der Rede wie das »Ich gebe mein Leben
für die Schafe« Jo Io, I 5) der Höhepunkt der Auslegung des
anderen Ich-bin-Wortes ist, in dem Jesus
sich
als den guten
Hirten
offenbart Jo IO,I I)
65 •
Wieskandalhaft ein Glaube ist,
der glaubt, daß der gekreuzigte Jesus der herabgekommene
Menschensohn ist, zeigt die Empörung der»Juden« in Vers 52·
Sie können ihrer Art zu denken nicht entrinnen
und
gewahren
das sich in Jesu Wort verbergende und offenbarende Geheim
nis nicht. Der Unglaube versteht die Rede nicht. Er versteht
auf seine Weise:» Wie will der uns sein Fleisch zu essen geben?«
Der Unglaube hält sich an den vor ihm Stehenden. Der Di
mension seines Herabgekommenseins als Brot und seines Hin
gegebenseins als Fleisch wird er nicht gewahr Jo
6,p).
Aus
dem Murren des Unglaubens Jo 6,4I) ist offene Absage ge
worden f,f.t qov-to). Der Rede Jesu bleibt nichts als die noch
malige Bekräftigung dessen, was er schon gesagt hat. Die
Bekräftigung wird zum Urteil über den Unglauben. Das dop
pelte »Amen« zu Beginn des Verses 53 unterstreicht die End
gültigkeit des Gesagten. Die Endgültigkeit steigert das Bild
ins Unerträgliche. Zum Fleisch tritt das Blut; wer sein Fleisch
nicht ißt, sein Blut nicht trinkt, wer sich sein Dahingegeben-
65
im:eg
bei Johannes im Sinne der stellvertretenden Hingabe Jesu auch
noch: Jo rr,50-53;
15,13; 18,14.
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sein nicht dadurch zu Eigen macht, daß er an ihn glaubt, erhält
keinen Anteil an dem, was sein Dahingegebenwerden als
Fleisch und Blut für die Welt erwirbt: am Leben.
Was Vers 53 negativ sagt, bekräftigt Vers 54 unter einer no ch-
maligen Anspannung
des
Bildes
{ tQWY LV
kauen ). Wer an
ihn glaubt, an den vom Himmel herabgekommenen Menschen
sohn, der Jesus von N azareth ist, der Gekreuzigte, der sein
Fleisch und Blut dahingibt für das Leben der Welt, der er
langt das Leben. Jesus erschließt
sich als
wahre Speise und
wahrer Trank, als der, den der Glaubende sich zu Eigen ma
chen kann in seinem als Fleisch und Blut Dahingegebensein
(Jo 6,55). Wer ihn so ißt und trinkt, der bleibt in ihm und er
in ihm (Jo 6,56). Das heißt glauben:
In
ihm sein und er im
Glaubenden. An ihn glauben heißt, mit ihm in unauflöslicher
Einheit sein. Bultmann der im übrigen den Abschnitt Jo 6,51 b
bis
58
für einen »eucharistischen« Einschub eines späteren
kirchlichen Redaktors hält, muß dennoch zu Vers 56 bemer
ken: »Die Formel, mit der die Unio beschrieben
wird - >er
in
mir und ich in ihm< ist die Joh.-Formel, die sonst das Glaubens
verhältnis zum Offenbarer beschreibt«
88
• Sein Fleisch essen,
sein Blut trinken, heißt an ihn glauben. Dabei ist das Bild
deshalb gewählt, weil an ihn glauben nicht einfachhin an Je
sus
von Nazareth als den Offenbarer und Logos glauben heißt.
Vielmehr heißt an ihn glauben - und darin liegt der Akzent,
den das Bild einbringt - an den gekreuzigten Menschensohn
glauben. Im Kreuz erreicht die Anstößigkeit seines Mensch
seins ihren Höhepunkt; zugleich erschließt er sich darin für
den Glauben als der Dahingegebene und Erhöhte. Dieser
Glaube führt zur Einheit mit ihm. Die Einheit Jesu mit dem
Glaubenden ist wie die Einheit des Vaters mit dem Sohne.
Wie der Sohn aus dieser Einheit mit dem Vater lebt, so lebt
auch der Glaubende
aus
der Einheit mit Jesus (Jo 6,57). Mit
dem Gedanken vom Leben sChließt die Rede ab. Für den
Glaubenden ist er das lebenspendende Brot, das den Glau-
86
R
Bultmann Johannesevangelium, 176
Zur Einheitsformel vgl. Jo
15,4
f.;
17,21-23.
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benden nicht gleich den Vätern die das Manna aßen sterben
läßt sondern ihm ewiges Leben bringt.
Vers 59 »dies sagte er lehrend in der Synagoge in Kaphar
naum« wirkt nach dem theologischen Höhenflug der Rede er
nüchternd. Doch bindet nach der Absicht des Johannes gerade
diese Notiz die Christusrede an den Jesus von Nazareth. Der
Offenbarer ist Jesus
von
Nazareth eine Aussage die als
Thema der
Rede
von
Anfang bis Ende
in
ihr zu vernehmen
war. Gleichzeitig schließt die Notiz die Rede mit den Ereig
nissen von Speisung
und
Seewandel
zur
Einheit zusammen.
Brotwunder und Brotrede -
Jesus das in den Tod gegebene Passahlamm
Die Rede erwies sich in ihrer heutigen Gestalt als konsequent
einen Gedankengang durchführend wenn auch ihre Logik
nicht die unsere ist. Der Gedankenfortschritt
der
Rede erfolgte
nicht
von Satz
zu
Satz. Die Rede wiederholte sich
oder
ging
einem Gedanken nach und näherte sich dann wieder dem
Thema. Dennoch zeigte sie sich von einer ursprünglichen Ein
heit in der Konzeption. Sie war ohne die Annahme einer jo
hanneischen Überarbeitung einer Vorlage zu verstehen auch
wenn der Verfasser sich vorgeformter Redeweisen und Motive
bediente. Auch eine spätere kirchlich-sakramentale
Überar
beitung der Rede mußte zu ihrer Auslegung nicht zu Hilfe ge
nommen werden
7
• Wenn
man
von einer »eucharistischen«
Interpretation
des Abschnitts Jo 6 51
c-58
absieht erweist er
sich gerade als der
Höhepunkt
der Rede
68
• Es mag sein daß
87
R. Bultmann Johannesevangelium x6x-x63 möchte die Rede so rekon
struieren: 6 27·34·35·3o-33·47-P a.41-46.36-4o;
28
f
ist ein versprengtes
Fragment
und
Vers
51
b-58 von einer späteren »kirchlichen« Redaktion
hinzugefügt.
68
»Hier wäre daran
zu
erinnern daß eine allzu starke Skandierung zwi
schen Brotrede und Eucharistierede dem Text eine Unterscheidung auf
zwingt an die der Verfasser sicher nicht gedacht hat.
In
seinem Denken
gestaltet sich der Übergang sehr viel selbstverständlicher
und
fließender; er
sieht viel stärker die Einheit wo andere Zeiten mit anderer Fragestellung
einen Unterschied gewahren möchten.«
f
Blank Die johanneische Brot
rede 196
r66
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sich Johannes in diesem Abschnitt eucharistisch vorgeprägter
Redeweise bediente, doch liegt die eigentliche Aussageabsicht .
weder in einer Verheißung der Eucharistie noch in einer theo
logischen Interpretation derselben. Der Abschnitt ist nur die
letzte Steigerung
des
die ganze Rede durchziehenden Themas:
Der Gegenstand des christlichen Glaubens und zugleich sein
Ermöglichungsgrund ist Jesus von N azareth, der Sohn J osefs
und Mariens in seiner Identität mit dem vom Himmel herab
gekommenen Menschensohn. Auf die letzte Spitze getrieben
heißt die Aussage: Der am Kreuz hängende Jesus ist der, der
vom Himmel herabgekommen durch die Dahingabe seines
Fleisches und Blutes der Welt das Leben geben will.
Dem Johannesevangelisten liegt daran, die
Einheit
von
histo-
rischem d h gekreuzigtem ]esus
m t
dem präexistenten Logos
und erhöhten Christus einzuschärfen und vor ihrer Auflösung
zu bewahren. Es geht ihm um ähnliche christologische Pro
bleme, die auch im ersten Johannesbrief berührt werden:
»näherhin um die auch heute wieder aktuelle Frage: Sind der
Gekreuzigte) Jesus und der himmlische Christus Erlöser)
identisch?« »Das Programm, das im Evangelium Johannes)
durchgeführt wird, ist dies: Jesus Christus
wird
als fleisch
gewordener Logos und
zwar
als beides: als Logos sowohl wie
als Fleischgewordener, aber in ihrer Einheit bezeugt und zu
gleich, wie seine
Doxa
für die apostolischen Augenzeugen, zu
denen der Verfasser
sich
rechnet, in Jesus Christus schaubar
wurde«
69
•
Der Unglaube kann diese Einheit nicht erkennen.
Der Glaubende sieht im Irdischen die himmlische Doxa, er
sieht das Zeichen als Zeichen und im Gekreuzigten das für das
Leben der Welt hingegebene Fleisch und Blut.
Auf diese Aussage hin geht der Gedankengang der Rede.
An
ihrem Anfang steht die Aufforderung an die, die das Zeichen
der Speisung, sich um unvergängliche Speise zu bemühen Jo
6,27), nicht eingesehen hatten.
Der
Weg zu dieser Speise ist der
Glaube an den von Gott
~ s a n d t e n
Jo 6,29). Das Beglaubi
gungszeichen für den Gottgesandten ist das vom Himmel her-
8
F Mußner
Die
johanneische Sehweise, 3
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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abgekommene Brot (Jo 6,32 f.). Dieses Brot des Lebens ist
Jesus selber (Jo 6,35).
Der
Glaubende sieht,
daß
er das vom
Himmel herabgekommene Brot ist (Jo 6,36-40). Glauben aber
ist Gabe, seine Folge ist Leben (Jo 6,40). Der Unglaube sieht
nicht die Einheit von Jesus von Nazareth und dem vom
Him-
mel herabgekommenen Brot (Jo 6,41-43). Glaube, der das
sieht, ist von
Gott
in Jesus gegeben, so daß Jesus selbst der
Ermöglichungsgrund
des
Glaubens ist (Jo 6,44-46).
Der
Glaube
an ihn führt zum Leben (Jo 6,47). Denn er ist als das vom
Himmel herabgestiegene Brot, das Brot
des
Lebens (Jo 6,48 bis
5 r ). Dieses Leben kann man
sich
im Glauben aneignen, weil er
das Brot ist, das als dahingegebenes Fleisch und Blut gegessen
werden kann (Jo 6 p c). Ja man muß dieses Fleisch und Blut
essen und trinken, man muß an ihn als den Dahingegebenen
glauben, um das Leben zu haben (Jo 6,52-56).
Wenn man den letzten Abschnitt der johanneischen Brotrede
eucharistisch interpretiert, schneidet man den
Höhepunkt
der
Rede weg. Denn der Gekreuzigte ist die letzte Steigerung
des
Jesus,
des
Sohnes Josefs von Jo 6,42. Auch die
sich
steigernde
Reaktion
des
Unglaubens macht das sichtbar.
Jo 6,28 »Was müssen
wir
tun «
Jo
6,30 »Welches Zeichen tust du?«
Jo
6,34 »Gib uns immer dieses Brot.«
Jo
6 41 »Es
murrten nun die Juden.«
Jo
6 p
»Es
stritten nun untereinander die Juden.«
Die Interpretation, die den Gedanken der Todeshingabe Jesu
im Kreuz einbezieht,
wird
durch das, was der Brotrede folgt,
bestätigt. Auch Jünger nehmen Anstoß, und einige folgen Je
sus nicht mehr (Jo 6,60-71). Wir dürfen darin ein »histori
sches«
Motiv sehen.
Es
bewahrt die Erinnerung daran, daß
auch die Jünger Jesus verließen, als
sie
erkannten, daß seine
Sache ein schlimmes Ende nehmen werde. Johannes
hat
dieses
»historische Motiv« benutzt, um das Ärgernis der Christus
rede, daß der Gekreuzigte der vom Himmel Herabgekommene
ist, zu unterstreichen. Aber selbst im heutigen
Text
ist die Be
ziehung
des
Motivs zu Passion und Tod Jesu in der Erwäh
nung des Judas und seines Verrates zu erkennen (Jo 6,7of.).
r68
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Für
den Evangelisten ist der Verrat ein Beispiel für den Un
glauben, dem
es
nicht gelingt, im gekreuzigten Jesus
den vom
Himmel
Herabgekommenen zu erblicken.
Eine solche
Interpretation
der johanneischen Brotrede läßt
schließlich auch die redaktionelle Einfügung in die Vorlage
der Speisungsgeschichte von Jo
6,4 verständlich werden: »Pas
sah, das Fest der Juden, war nahe.« Bekanntlich läßt die jo
hanneische Chronologie der Passionsgeschichte den
Tod
Jesu
am
Rüsttag des Passahsabbats stattfinden
7
• An
diesem Rüst
tag
fand im Tempel die rituelle Schlachtung
der
Osterlämmer
statt.
Johannes sieht in der Kreuzigung Jesu die Schlachtung
des eigentlichen
mit Gott
versöhnenden Passahlammes. Schon
am Beginn seines Evangeliums weist Johannes der Täufer auf
Jesus als
auf
das Lamm Gottes hin, das die Sünden
der
Welt
hinwegnimmt (Jo r,29). Die Erwähnung von
Fleisch
und
Blut
im Abschluß der Brotrede aber spricht in Opferterminologie
vom
Tode Jesu am Kreuz, durch den der
Welt
Leben geschenkt
wird. »Der Sinn der Aussage ist also,
daß
Jesus das Leben
spenden
wird
als das Lamm Gottes, das die Sünden
der
Welt
wegträgt (Jo r,29). Im Sinn
von
Vers
35-47
unbildlich ausge
drückt
wird
also in 5 r b die Forderung des Glaubens an den
von
Gott
Gesandten
zur
Forderung des Glaubens an den als
Opfer Gekreuzigten (vgl. 3,14-r6 )«
71
•
Damit erhält die Zeit
angabe von
Jo
6,4 innerhalb der Speisungsgeschichte einen
Sinn, der über den einer rein chronologischen Angabe hinaus
geht
72
• Das Thema des Kreuzestodes, das den
Höhepunkt
des
Abschnitts bildet, klingt schon zu seinem Beginn an. Speisung
und Brotrede sind aufeinander bezogen.
Das Johannesevangelium kennt keine eigentliche Entwicklung
des Weges Jesu. Alles ist im Grunde von Anfang an schon
entschieden.
Im
Einzelnen ist das Ganze jeweils schon
vorhan
den. In der Brotrede spricht aus dem Munde des irdischen Jesus
schon die Erkenntnis seines Dahingegebenseins. Auch die
7
Vgl. Jo
18,28.39;
19 I4.3L42.
71
H. Strathmann Das Evangelium nach Johannes,
119
72
Jo 11,55; 12,1; 13,1 sind aucl nimt rein clJronologische Angaben, son
dern werden mit Jesu Tod in Verbindung gebracht.
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Struktur von Speisung und Seewandel zeigt, daß im Fragment
schon das Ganze enthalten ist. Das kann
man
sehen, wenn man
der Bewegung der Geschichte folgt. Jesus,
mit
den Jüngern zu-
sammen auf dem Berg, steigt herab, um das Volk zu speisen;
das Mißverständnis des Volkes
führt
ihn
auf
den Berg, allein.
Die Jünger bleiben allein auf dem
See
bis dann Jesus zu ihnen
kommt, sich ihnen offenbart und sie ihn voll Freude in ihr
Boot nehmen. Diese
Struktur
ist auch die
Struktur
des ganzen
Schicksals Jesu nach Johannes. Jesus steigt herab, er wird nicht
verstanden, die Seinen nehmen ihn nicht auf Jo
r,u .
So be-
steigt er den Berg des Kreuzes, er allein.
Die
Jünger sind allein
gelassen, aber nach der kleinen Weile sehen sie ihn wieder.
»Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen« Jo 20,
20 .
Sie sehen ihn als den gekreuzigten Erhöhten. Das aber
heißt für Johannes Glauben.
Damit
soll nicht gesagt sein,
daß
in Speisungsgeschichte
und
Seewandel das Schicksal Jesu, wie
Johannes es sieht, sich allegorisch verbirgt. Doch ist zu be-
denken, daß die Struktur eines Denkens sich bis in das kleinste
Werk, das es gestaltet, überträgt, wie die Sehweise eines Ma-
lers, mit der er die Wirklichkeit sieht, sich in jedem seiner Bil-
der findet, gleichgültig welches Sujet sie darstellen. Wenn Jesu
Schicksal von Johannes in großen Bildern entworfen wird, und
wenn eine eigentliche Geschichte Jesu nicht geboten wird, son-
dern alles von Anfang schon entschieden ist, sind wir berech-
tigt, die Struktur des Schicksals des johanneischen Jesus Chri-
stus im großen Bild von der Speisung und vom Seewandel zu
entdecken.
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V
J SUS DIE MITTE DER EV NGELIEN
Der
Vergleich von Perikopen in denen die Synoptiker den
gleichen Stoff wie Johannes überliefern brachte uns Einblicke
in die Art wie der jeweilige Redaktor eine Jesustradition aus
seiner Sicht überlieferte und auslegte. Auch wenn diese Peri
kopen nur eine schmale Basis für einen Vergleich zwischen den
Synoptikern und Johannes sind war
es
doch möglich ver
schiedene Profile voneinander abzuheben. Die Auswahl gerade
dieser drei Perikopen
war
zwar durch den Umstand bedingt
daß
es sich
bei ihnen um Johannes und den Synoptikern ge
meinsame Stoffe handelte. Es konnte daher nicht erwartet
werden daß
sie
genügten um einen umfassenden Oberblick
über die Theologien der Evangelisten zu gewinnen; aber den
noch hat
sich
gezeigt daß man durch
sie
die Verschiedenartig
keit der Evangelisten untereinander erkennen konnte. Der
Vergleich ließ zudem jeweils die Umrisse von Vorlagen erken
nen die
sich
in der Art wie
sie
die Jesustraditionen auslegten
wiederum von den Evangelisten unterschieden. Der redak
tionsgeschichtliche Frageansatz bemüht
sich
darum die jewei
lige theologische igenart der vangelien und des ihnen zu
grunde liegenden Quellenmaterials zu erkennen. Dabei wird
die Einheit der Evangelien mehr oder weniger vorausgesetzt
oder nicht in den Blick genommen. Läßt
sich
über die Einheit
der Evangelien aber noch mehr ausmachen als daß sie alle von
Jesus reden und gewisse Jesustraditionen gemeinsam haben?
Läßt
sich
so etwas wie eine innere Einheit erkennen die auch
dann bleibt wenn verschiedene Stoffe überliefert werden?
Oder aber ist die Einheit
nur
formal? Legen die Evangelien
Jesus jeweils völlig anders aus?
Wir
sind diesem Problem schon bei der Analyse der Perikope
von der
Tempelreinigung
begegnet. Obwohl von dem gleichen
Ereignis gesprochen wurde waren die Unterschiede in Sicht
und Darstellung zwischen Markus und Johannes unverkenn
bar. Gleichzeitig ergab
sich
ein Zugang zu dem den die Evan
gelisten als Evangelium verkünden. Die traditionsgeschicht-
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liehe Nachfrage ließ nämlich den Weg zu der Handlung Jesu
selber aufleuchten. Die Handlung der Tempelreinigung erwies
sich als im Kontext der eschatologischen Verkündigung J esu
durchaus möglich und zeigte daß Jesu eschatologische Verkün
digung Konsequenzen in sich barg die letzten Endes zu Leiden
und Kreuz führten. Hinter dieser Handlung wurde eine Auto
rität
sichtbar die unmittelbar und unabgeleitet den der ihr
begegnete in eine Entscheidung führte die gleichzeitig eine
Entscheidung für oder gegen die Person Jesu war. er Kon
text von J
esu
eschatologischer Verkündigung erwies sich als der
beste Zugang zum Verständnis einer
Handlung
des
histori
schen
Jesus deren prophetischer Zeichencharakter das Ende
des Alten und den Anbruch
des
Neuen verkündigte. Wenn
Gott selber seine Eschata heraufführt wenn er seine Herr-
schaft aufzurichten beginnt fallen Tempel und Gottesdienst
dahin weil sie nur vorläufig sind Schatten
des
Kommenden.
Wir
sahen wie durch die Aufnahme der Perikope in das
arkusevangelium eine Deutung beginnt die die Tiefendi
mensionen
des
Ereignisses erschließt indem sie Jesu Tempel
handlung als Heils- und Gerichtszeichen verkündet. Als Heils
zeichen durch das
sich
die universale Weitung
des
Heils in den
Eschata vollzieht als Gerichtszeichen gegenüber denen die
sich
auf die in Jesus
sich
ereignende Autorität Gottes nicht ein
lassen. Die nachösterliche Sicht erschließt die Bedeutung des
sen was sich in Jesu Tempelhandlung vollzogen hatte weil
das was die Tempelhandlung ankündigte nicht dahingefallen
war sondern durch Kreuz und Auferstehung seine bleibende
Relevanz erwies.
aß
das mit Jesus hereingebrochene Escha
ton die universale Weitung des Heils wie auch das vollzogene
Gericht gewesen war ist von Ostern her sichtbar. aß Ostern
die Fortdauer
des
in der Tempelhandlung Jesu sichtbar wer
denden N euen ist wird durch die Aufnahme gerade dieser
Tradition eingeschärft.
o
versteht Markus die Tempelhand
lung Jesu als ein Zeichen des Gerichtes und des Heils.
Bei ]ohannes zentriert sich alles in der Person Jesu.
Er
ver
steht die Tempelreinigung als ein »christologisches« Zeichen
das geeignet ist einerseits die bis zum Letzten gehende Selbst-
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hingabe Jesu Zeichenhaft darzustellen - worin Johannes auf
seine Weise den alten Passionsbezug der Perikope wahrt -
andererseits aber auch zu verkünden, daß er als der nach drei
Tagen wieder aufgerichtete Tempel in Zukunft der einzige
Ort
ist, an dem man Gott begegnen kann und ihn verehren darf.
Die Sache Jesu, die sich in der markinischen Darstellung noch
als Gericht und Heil geltend machte, ist bei Johannes mit der
Person J esu, des
sich
selbst dahingebenden Gekreuzigten, in
Identität
mit dem nach drei Tagen, d. h. durch Gott wieder
aufgerichteten Tempel, in eins gesehen.
In
verschiedener Weise
wird
dennoch die Bedeutsamkeit des
Ereignisses festgehalten. Der in der Tempelreinigung zu Tage
tretende Vollmachtsanspruch Jesu der ihn schließlich in Kreuz
und Tod führt,
wird
in der alles in Jesu Person konzentrie
renden Sicht des Johannes bewahrt. Der eschatologische An
spruch Jesu
wird
von Markus inhaltlich entfaltet. Das eschato
logische Heil
läßt sich
nicht auf Israel beschränken, sondern
gilt vielmehr universal. Dieser Aspekt wird von J ohannes nicht
aufgegeben. Er sieht ihn
zwar
nicht unter der Vorstellung von
nicht mehr geltenden völkischen und nationalen Grenzen, den
noch ist Jesus als der eschatologische Tempel Gottes selbst der
allen, d. h. jedem der glaubt, offenstehende Zugang des Men
schen zu Gott.
Das
Angebot der eschatologischen Gottesherrschaft wurde von
Jesus auch im Bild der
eschatologischen ischgemeinschaff
ge
macht. Eine der sichersten Tatsachen, die wir von ihm wissen,
ist, daß er mit den V erachteten, den Sündern und religiös De
klassierten, aber auch mit Pharisäern Mahlgemeinschaft unter
hielt. Der Anbruch der Gottesherrschaft war
Grund
zu einer
Freude, die ihm und seinen Jüngern das Fasten verbot Mk
2,19).
Der
Tischgemeinschaft, die Jesus unterhielt, eignete
Reich-Gottescharakter. Die evangelische Tradition
hat
diesen
Aspekt des Auftretens Jesu bewahrt. Es zeigt
sich
besonders
daran, daß sogar Beschimpfungen Jesu, die ihm gerade dieses
Verhalten vorwarfen, weiter überliefert wurden: Sein Ver
halten war so daß ihn seine Gegner einen Fresser und Wein
säufer nennen konnten Mt
u r9;
vgl. Mk
z,r6).
Schon die
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vormarkinische Tradition bewahrt in den Brotvermehrungs
geschichten den eschatologischen Akzent den Jesus der Tisch
gemeinschaft gab. Allerdings
tritt
seine Person deutlicher in
das Zentrum.
r
gibt der hungernden Menge Brot.
In
ihm
so
wissen die frühen vormarkinischen Gemeinden ist ihnen Got
tes eschatologisches Erbarmen nahe. Markus unterstreicht das
noch durch eine reflektiertere christologische Sicht der Ge
schichten. Jesus erweist
si h
als eschatologischer Hirte der ver
streuten Schafe Jahwes. r gibt als Anwesenheit des göttlichen
Erbarmens der Menge Weisung und Brot. Zugleich wird der
naive Blick auf das Bild in dem die Gemeinde das Erbarmen
Gottes in J esus anwesend sieht gebrochen. Die Erfahrung der
Ablehnung Jesu und seines Todes dringt in das Bild seiner irdi
schen Wirksamkeit ein. Die Speisongsgeschichten sind bei Mar
kus vom Jüngerunverständnis her zu lesen. Das in Jesus an
wesende Eschaton verschließt
si h zunächst dem Verständnis
so wie das Herrschaft-Gottes-Angebot Jesu auf Widerstand
stieß. Erst von Ostern her öffnet es si h dem Verstehen. Die
Konzentration auf die Person Jesu hin erreicht bei johannes
ihren Höhepunkt. So wie Jesus der eschatologische Zugang zu
Gott ist so ist er das eigentliche Brot. r ist nicht mehr nur
die Anwesenheit des Erbarmens Gottes sondern in seiner
Person das Brot durch das der Mensch eigentlich lebt.
r
ist
es
deshalb weil er zugleich die Selbstmitteilung Gottes
an
den
Menschen ist das Wort das
Gott
zum Menschen spricht. Als
der Erhöhte ist er zugleich der Irdische. Als am Kreuz Er
höhter ist er als der Herabgekommene erkennbar. Die Stel
lungnahme für oder gegen ihn entscheidet für den Menschen
alles sie ist entweder Glaube der die Identität von Herab-
gekommenem und Irdischem erkennt oder aber Unglaube der
nicht sieht daß er das Brot des Menschen ist.
Vom Glauben spricht auch die Perikope vom
auptmann von
Kapharnaum. Für Matthäus und Lukas wie auch für ihre
Vorlage heißt Glauben darauf vertrauen
daß
der
Herr
si h
wirksam erweist auch dann wenn seine körperliche An
wesenheit nicht gegeben ist. Es ist schon Vertrauen auf seine
Person nicht mehr nur gläubige Annahme seiner Reich-Gottes-
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Botschaft. Und dieser Glauben, daß si h seine krankenheilende
Wirksamkeit auch dann fortsetzt, wenn er nicht zugegen ist,
ist das eigentliche Wunder der Geschichte. Auch johannes for
dert den Glauben an sein Wort, das das Leben gibt. Nicht das
Wunder gebiert den Glauben, sondern der Glauben erkennt
das Wunder.
Bei allen Unterschieden nicht nur in den Einzelheiten, son
dern auch in der ganzen Sicht, zeigt
si h
die prinzipielle Ge-
meinsamkeit der Evangelien Für die Evangelien hat
si h
die
mit Jesu Botschaft und Auftreten hereinbrechende Gottes
herrschaft in Jesus realisiert. Ohne die prinzipielle Einsicht,
daß Jesus das endgültige Eschaton Gottes ist, hätten die Evan
gelien nicht als Evangelien geschrieben werden können. Das
unterscheidet sie von jeglicher biographischen Literatur. Bio
graphien werden geschrieben, weil man das Leben eines Men
schen für das eigene und das anderer für bedeutsam, erhellend
oder warnend hält. Die Evangelien aber halten
Wort
und
Werk des irdischen Jesus nicht
nur
für bedeutsam, erhellend
oder warnend, sondern als den Menschen total betreffend und
einfordernd. Am Anfang der Evangelienschreibung steht die
Erfahrung einer neuen und endgültigen Welt, die mit Jesus
beginnt.
Mit diesem Ansatz nehmen die Evangelien das auf, was
si h
mit Jesu Auftreten begeben hatte. Jesus verkündet das Her
einbrechen der neuen und endgültigen, eschatologischen Welt
Gottes. Die Herrschaft Gottes ist nahe herangekommen. Die
Aufteilung von Welt und Geschichte in einen jetzigen Un
heilsäon und einen von diesem ganz und gar geschiedenen Heils
äon wird überwunden. Das Heil Gottes, seine Herrschaft,
ragt in den jetzigen Aon hinein. Das Samenkorn des Reiches
Gottes ist in den Boden der Welt gelegt. Was die Zeit vor
Jesus in Sehnsucht zu sehen begehrte, ereignet
si h
jetzt vor
den Augen seiner Zeitgenossen Mt q 16f. - Lk 10,23 f.).
Darum
ist seine Zeit Zeit der Freude Mk 2,19). Die Königs
herrschaft Gottes ist nicht mehr eine ausschließlich für die Zu
kunft erwartete Größe, sondern wirkt machtvoll schon in der
Gegenwart.
175
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Was aber berechtigt die Evangelisten Jesu Botschaft von der in
die Gegenwart hereinreichenden Heilssphäre Gottes als in
Jesus selbst realisiert zu verkünden? Jesus selber versteht sich
nicht
nur
als einer, der das Kommen der Gottesherrschaft an
sagt, sondern er selbst bindet schon dieses Kommen an seine
Person. »Die Verkündigung der Gegenwart der Gottesherr
schaft gründet in dem Anspruch Jesu, daß in seinem Wirken
Gottes Herrsein aufgerichtet wird«
1
• Jesus spricht jedoch bei
aller Eindeutigkeit dieses Anspruchs sehr behutsam von der
Bindung des Kommens der Gottesherrschaft an seine Person.
Nur
indirekt spricht er von der Bedeutsamkeit seiner Person,
wenn er verkündet, daß »hier mehr als Salomo und Jonas«
anwesend ist (Mt I2,4I f Lk I I,3 I f.). Dennoch ist sein An
spruch unüberhörbar.
Er
rechtfertigt seinen Umgang mit Zöll
nern und Sündern, indem er auf die Denk- und Handlungs
weise Gottes hindeutet. Gottes Sünderliebe begibt sich im
Wirken J esu zu den Verlorenen, Geschlagenen und Gebeugten.
Die in Jesu Wirken hereinbrechende Gottesherrschaft ist Be
freiung für den Menschen von aller Fremdherrschaft und
Selbstentfremdung. »Wenn ich mit dem Finger Gottes die
Dämonen austreibe, dann ist die Herrschaft Gottes zu euch
gekommen« (Lk 11 20- Mt 12,28). Sein Wirken ist also ein
Zeichen, das die Anwesenheit der Gottesherrschaft verbürgt,
das
sie
anwesend macht. Die anwesende Gottesherrschaft in
Jesu Wirken zielt dahin, den Menschen von allem, was ihn
niederhält, zu befreien: »Geht und berichtet Johannes, was
ihr hört und seht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige
werden rein, Taube hören, Tote werden auferweckt und Ar
men
wird
das Heil verkündet « (Mt
11 4f.- Lk
7,22). Sie ist
das Angebot des Lebens in einer Welt des Todes: »Ist es er
laubt am Sabbat Gutes zu tun statt Böses, ein Leben zu retten
statt
zu töten?« (Mk
3 4
par). »]esus versteht sich als Gottes
eschatologisches Wort und als sein entscheidendes letztes Han
deln für den Menschen. Er verkündigt nicht über seine Person,
sondern verweist auf sein Tun als der gegenwärtig wirkenden
H. W Kuhn
Enderwartung und gegenwärtiges Heil. Untersuchungen zu
den Gemeindeliedern von Qurnran, Göttingen 1966, 204 (= StUNT 4)
8/18/2019 Schnider, Franz & Stenger, Werner - Johannes und die Synoptiker (Kösel, 1971, 182pp)
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Heilsmacht Gottes. Aber dieses Tun ist eben sein
Handeln
in-
sofern er die Vollmacht dazu hat«
2
•
Zum Angebot der mit Jesu Wirken hereinbrechenden Gottes-
herrschaft gehört von Anfang an Annahme und Ablehnung.
In
zunehmender Klarheit erkennt Jesus, daß sein Angebot ab-
gelehnt
wird
und seine Person auf Widerspruch trifft.
r
über-
nimmt die Vergeblichkeit seines Lebens, ohne die Inhalte seiner
Verkündigung von der herannahenden Herrschaft Gottes auf-
zugeben. Auch die Vergeblichkeit und das vordergründige
Scheitern gehört zur Situation der gegenwärtigen Herrschaft
Gottes in diesem Kon. Das Saatgut geht auf vielfache Weise
verloren. Auch Jesu Weg in Kreuz und
Tod
ist paradoxes
Zeichen der gegenwärtigen Gottesherrschaft, Auch angesichts
des Todes hält er die die Gegenwärtigkeit der Gottesherrschaft
verbürgende Mahlgemeinschaft aufrecht. Unabhängig davon,
ob Jesus selber schon sein Geschick im Licht der jesajanischen
Gottesknechtsvorstellungen gedeutet hat, oder ob erst die
spätere Gemeinde mit Hilfe dieser Vorstellungen sich sein
Schicksal verständlich macht, gehört der Leidensweg Jesu eben-
so wie seine Machttaten und sein Wort zu den Zeichen, die das
Ankommen der Herrschaft Gottes begleiten. Mußte Jesus sel-
ber schon »in der Schule des Leidens Gehorsam lernen« Heb
5,7
f. ),
so
mußte auch die Gemeinschaft derer, die sein anfäng-
liches Angebot angenommen hatten, einen schmerzlichen Lern-
prozeß durchmachen. Mit Jesu Tod schien auch seine Botschaft
von der hereingebrochenen Herrschaft Gottes vergangen
zu
sein, gerade deshalb, weil er diese Botschaft mit der eigenen
Person so eng verbunden hatte. Widerfuhr der Gemeinde je-
doch die Erkenntnis, daß Gott Jesus nicht im Tode gelassen,
sondern auferweckt hatte, so mußte auch die Botschaft des irdi-
schen Jesus wieder aufleben und weiterhin von Bedeutung sein.
Wenn die Gemeinde darum die eschatologische at Gottes
durch
und an ]esus von Nazareth verkündete
so war
damit
immer auch die Verkündigung ]esu verbunden, daß die
Herr-
schaft Gottes mitsamt ihrer in Jesu irdischem Wirken ansichtig
2
J
Becker
Das Heil Gottes, Göttingen
1964,215
StUNT 3
177
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gewordenen Inhaltlichkeit inmitten dieses Aons herangebro
chen war. Die explizite Christologie der Gemeinde nach Ostern
hält damit den eschatologischen rundakzent der Reich-Got
tes-Botschaft Jesu durch. Das
Wort
Jesu von der hereinge
brochenen Herrschaft Gottes
wird
zum
Wort
über die eschato
logische Tat Gottes an Jesus. Dadurch
daß es
jetzt als Ver
kündigungswart der Gemeinde ergeht entschränkt sich die
Botschaft von den mit Jesu Auftreten in Israel gegebenen
Be-
grenzungen. Schon in der Reich-Gottes-Botschaft Jesu fehlten
völlig die völkisch-nationalen Vorstellungen. Angesichts der
hereinbrechenden Gottesherrschaft werden Sabbat Tempel
und kultisch-rituelle Vorschriften außer Bedeutung gesetzt. In
sofern ist schon bei Jesus selber der Weg über Israel hinaus ge-
öffnet. Aber sein konkretes Auftreten in Israel beschränkt ihn
auch darauf. n der christologischen Verkündigung der Ge
meinde fallen diese Grenzen. Aber diese Entschränkung macht
aus der Botschaft Jesu von Nazareth nicht eine .Form allge
meiner W elterklärung. Die Christologie bleibt gebunden an
den irdischen Jesus und hat seine Forderungen und sein Ange
bot weiter zu verkünden. Zugleich bringt sie zur Sprache daß
auch Jesu Leiden und Kreuz zu der von Jesus verkündeten
Wirklichkeit der Herrschaft Gottes in dieser Welt gehört. Da
mit wahrt
sie
die eschatologische Spannung der Botschaft Jesu
die das Herrsein Gottes
sich
in diesem .Aon schon auswirkend
verkündet aber die volle Errichtung des Reiches Gottes als
noch ausstehend erwartet. Das Spezifische der Verkündigung
der Evangelien liegt gerade darin daß sie das eingetroffene
Eschaton fest mit dem irdischen Jesus verbinden. Das bewahrt
die Gemeinde davor sich selber als die Gegenwart des Escha
ton zu verstehen
3
•
Sie ist
es
nur wenn und insofern
sie
die Bot
schaft Jesu nicht verstellt sondern ihr
Raum
gibt.
3
Vgl. H. W. Kuhn Enderwartung
und
gegenwärtiges Heil
2 4
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NH NG
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ATD
AThANT
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B ller
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BKAT
Blass
Debrunner
BZNF
HE
HNT
NTA
NTD
Quaest.
disp.
SBS
SNT
SNTSMS
StANT
StUNT
ABKüRZUNGSVERZEICHNIS
Das Alte Testament Deutsch Göttingen
Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testa
ments Basel-Zürich
Bonner Biblische Beiträge Bonn
H
Strack
P
Billerbeck Kommentar zum Neuen Testament
aus Talmud und Midrasch München 1926
Biblischer Kommentar Altes Testament Neukirchen
F. Blass Grammatik des neutestamentlichen Griechisch bearb.
v. A. Debrunner Göttingen
9
1954
Biblische Zeitschrift Neue Folge Faderborn
Historia Ecclesiastica
Handbuch zum Neuen Testament Tübingen
Neutestamentliche Abhandlungen Münster
Das Neue Testament Deutsch Göttingen
Quaestiones disputatae Freiburg
Stuttgarter Bibelstudien Stuttgart
Die Schriften des Neuen Testaments neu übersetzt
und
für die
Gegenwart erklärt von W. Bousset und W Heitmüller Göt-
tingen
1917-19
Society for New Testament Studies Monograph Series Cam
bridge
Studien zum Alten und Neuen Testament München
Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Göttingen
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PERSONENREGISTER
Abbot E. A.
69
Augustinus
52
Barth G. I36
Becker J. I77
Billerbeck
29 45 48 I
I9
Blank J. 44
II2
I6o I
Blinzler J. 23
Bornkamm G. I36
Bultmann R. 29 31 38 46 p
64 70 85 107 109 III 143
145
148 153
165 166
Dibelius
M.
10I
125
Eiliger K. 42
Eusebius
13 17
Faure A.
72
Fahrer G. 43 44
Fortna R. T.
72 145
155
Friedrich G.
126
Funk R.
W.
44
Grundmann
W.
128
Kähler M. r6
Kayser W. 57
Klemens von Alexandrien
13 14
21 22
Kraus H. J. 50
Kuhn
H. W. q6
q8
Leroy H. 38
Mußner F. 53 59 69 84 r67
Rengsdorf K H. 161
Roloff J.
125 I29 130 132
Schlier H.
87
88
Schmidt
K.
L.
r6
Schnackenburg R. 2 3 8 5
Schniewind J.
r
5 II1
II6 120
I26
Schweizer E. q 47 84 109 II3
129 13 r 132
Schulz S.
156 159
Strathmann H. I6J
r69
Trilling W. 59 77