Schnelles und Langsames Denken in Projekten Entscheiden und Handeln im komplexen Umfeld
Dr. Jens Köhler
BASF SE
67056 Ludwigshafen
GPM – Regionalgruppe Hamburg
21.11.2014
Das heutige Projektumfeld ist komplex
Zunehmend größere Projekte
Viele Abhängigkeiten
Bekannte und unbekannte Einflussgrößen
Unvollständige Informationen
Sich abrupt änderndes Umfeld
Klassisches Methodenumfeld im Projektmanagement ist fokussiert auf
Planung
Reporting
Sich stetig (langsam) veränderndes Umfeld
Wie kann die Methodenlücke zum komplexen Umfeld geschlossen werden?
Was bedeutet „Komplexität“?
Komplexe Systeme bestehen aus Teilsystemen, die untereinander vernetzt sind.
Kleine Änderungen können große Auswirkungen haben („sog. Schmetterlingseffekt“).
Es bilden sich spontan neue übergeordnete Strukturen aus.
Auf der Ebene dieser Makrostrukturen kann ein komplexes System gesteuert werden.
Wir müssen lernen, in Systemen zu denken, um entsprechend handeln zu können
Beispiel Konvektion
Quelle: Wikipedia, ConvenctionCells.jpg
Auswirkung von Komplexität im Projektumfeld
Eine Detailplanung über einen längeren Zeitraum ist zunehmend schwierig.
Einen detaillierten Überblick über alle Einflussfaktoren im Projekt zu behalten (Meilensteine, Aktivitäten, etc....) ist nicht mehr möglich.
Einzelne Details sind in der Regel keine Steuervariablen, um das Projekt in Richtung des Ziels zu führen.
Durch Zeitdruck besteht die Gefahr, dass wichtige Entscheidungen nicht hinterfragt werden.
Plötzliche, unerwartete Ereignisse sind mehr die Regel und weniger die Ausnahme.
Die Steuerungskompetenz im komplexen Umfeld muss erlernt werden
Modelle sind der Schlüssel zur Reduktion von Komplexität
Ein Modell beschreibt einen bestimmten Teil der Welt um uns herum durch ein vereinfachtes Schema.
Jedes Modell hat einen Gültigkeitsbereich. Außerhalb dieses Bereiches ist das Modell nicht anwendbar.
Modelle können (exakte) quantitative Vorhersagen, Beschreibungen oder auch Tendenzen liefern.
Menschen machen ständig (bewusst oder unbewusst) Modelle, um in der Welt zu überleben zu können.
Modelle zur Vorhersage: Wettermodelle
Modelle zu (visuellen) Darstellung: Prototyp bei einem Fahrzeug
Modelle zur Beschreibung und Charakterisierung von Menschen und Organisationen: Typologien
Modelle zur Entscheidungsfindung
Fragen an die Teilnehmer
Ein Ball und ein Schläger kosten zusammen 1,10€. Der Schläger kostet 1€ mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball?
1 + ½ + 1/3 + ¼ + 1/5 +..... + 1/n + ...... -> 0?
(a-x)*(b-x)*(c-x)*....*(z-x) = ?
Entscheidungsfindung nach Kahneman und Tversky bei Individuen
Unwillkürliche Operationen
Bewusst gesteuerte Operationen
Intuitives Denken Sachkundiges Denken Heuristisches Denken
Automatisierte Wahrnehmungs-,
Gedächtnisprozesse
Analytisches Denken
Komplexe Berechnungen
Selbstbeherrschung
aufmerksame Wahrnehmung, Konzentration, Fokussierung
System 1
Intuitiv, schnell, assoziativ
Intuition
Kreativität Oberflächlichkeit Leichtgläubigkeit
Verzerrungen Kognitive Fehler
Positive Teststrategie
System 2 Analytisch, langsam,
aufmerksam
Vigilanz Analytik
Niedergeschlagenheit Anstrengung
weniger Fehler Negative
Teststrategie
Steuern im Projekt bedeutet, zielführende Entscheidungen zu treffen
Die Welt der Verzerrungen
Bias (Verzerrung)
Priming
Halo-Effekt
Heuristiken
Verfügbarkeits- heuristik
Affekt- heuristik
WYSIATI
Ankern
Representativitäts- heuristik
Rückschaufehler
Erkenntnis- illusionen
Ergebnis- fehler
Illusionen der Gültigkeit
Kompetenz- illusionen
Optimismus- verzerrungen
Kausale Intuition
Fehler & Illusionen
Mentale Leichtigkeit
Fehleinschätzungen von Wahrscheinlichkeiten
Auswirkungen von System 1 und 2 im normalen Umfeld
(System 1 reagiert) Eine IT-Anwendung stürzt dreimal ab. Es bildet sich schnell die Sichtweise heraus, dass die Anwendung „immer“ abstürzt.
(System 2 prüft die Fakten) Es findet eine Untersuchung statt, ob dies der Fall ist und unter welchen Voraussetzungen das passiert.
Danach werden Maßnahmen basierend auf den erarbeiteten Fakten getroffen.
System 2 wirkt stabilisierend
Auswirkungen von System 1 und 2 im kritischen Umfeld
(System 1 reagiert) Eine IT-Anwendung stürzt dreimal ab. Es bildet sich schnell die Sichtweise heraus, dass das System „immer“ abstürzt.
(System 2 wird nicht gehört) Die IT-Anwendung wird als unzuverlässig angesehen.
Dies führt zu (unnötigen) Überlegungen, eine Nachfolgeanwendung einzuführen.
Die Nachfolgeanwendung zeigt ähnliche Problematiken, da die prinzipiellen Ursachen nicht behoben wurden.
Man hat also nichts gewonnen: Neben der Beschäftigung mit einer neuen, gleichartigen Anwendung gibt es potentielle zukünftige Aufgaben, wie z.B. Migration von Altdaten etc.
In Krisensituationen besteht die Gefahr, System 2 zu ignorieren.
Zwei Beispiele zu Heuristiken und wir man mit ihnen umgeht
Zielfrage Heuristische Frage
Typ Gefahr Gegenmaßnahme
Ist der Kollege die beste Wahl für diese Aufgabenstellung?
Mag ich den Kollegen?
Affekt Es wird nicht der beste, sondern der sympathischste Kandidat ausgewählt
Kriterienkatalog aufstellen, Einsatz von Persönlichkeitsmodellen
Wie komplex ist das Projekt
Wie viel Aufwand habe ich für das Projekt geschätzt?
Repräsentation Die im Projekt enthaltenen Risiken werden nicht transparent und es entsteht kein Lerneffekt im Umgang mit Komplexität
Einsatz von Projekttypmodellen bzw. Komplexitätsmodellen
Von Individuen zu Projektteams
Projekte werden in Teams aufgabenteilig bearbeitet.
In Projektteams treffen Menschen unterschiedlicher Persönlichkeit, Organisationen und Kenntnissen zusammen.
Es ist die Aufgabe des Projektmanagements, das Team auf eine Lösung zu fokussieren und verzerrungsminimierte Entscheidungen zu treffen.
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Aufgabenstellung Organisationen
Menschen
Struktur
Komplexität
Innovation
Abstraktion
Marketing
Entwicklung
Vertrieb
Forschung
Projekt
Frauen Ingenieur
Männner Forscherin
Unternehmer
Verbindung von Aufgabenstellung, Organisationen und Menschen
Hebelwirkung
Aufgabenstellung Organisationen
Menschen
Projekt
modellieren!
modellieren! modellieren!
Verbindung von Aufgabenstellung, Organisationen und Menschen
Modellierung des Temperaments im Wandel der Jahre
Sanguiniker/Phlegmatiker Melancholiker/Choleriker
Extraversion/Introversion Sensing/Intuition Thinking/Feeling
Extraversion/Introversion Sensing/Intuition Thinking/Feeling Judging/Perceiving
Galen (200 n. Chr.) Jung (1921) Myers&Briggs (1943)
Dim
ensi
onen
Neuroticism Extraversion Originality Accommodation Consolidation
NEO-PI-R (1992)
Temperamentdimensionen nach MBTI: Menschen
Extraversion (E) Introversion (I)
Sensing (S) Intuition (N)
Thinking (T) Feeling (F)
Judging (J) Perceiving (P)
Soziale Interaktion
Informationserschließung & Problemlösung
Entscheidungsfindung
Anforderung an die Umwelt
Sensing (S) vs. Intuition (N)
Das ist ein Eisberg. Das Volumen oberhalb der Wasseroberfläche beträgt 10% des Gesamtvolumens. Schiffe haben einen Tiefgang und können mit dem nicht sichtbaren Anteil des Eisbergs daher kollidieren. Schiffe müssen deshalb in einem ausreichenden Sicherheitsabstand vom Eisberg entfernt fahren.
Die verschiedene Größenverteilung der Volumina ist beeindruckend. Wie stellen wir sicher, dass Schiffe nicht kollidieren? Vielleicht lässt sich aus der Geometrie ein minimaler Radius ableiten.
Konkret, präzise, im Hier und Jetzt, Ziehen Schlüsse aufgrund des Beobachtbaren
Metaphern, Analogien, ganzheitlich, unpräzise auf das Mögliche ausgerichtet, haben eigene Vorstellungen
Beide Temperamentdimensionen S und N sind gleichermaßen wichtig!
S-Typ
N-Typ
Collective Mind zur Eliminierung von Verzerrungen und Fokussierung auf die Lösung
Start
Ziel
Der Collective Mind ist
• der gemeinsame Projektverstand • definiert den Start • definiert das Ziel, • verknüpft Start und Ziel, • stellt den Kompass dar, • ist ein Werkzeug.
Collective Mind zur Fokussierung der Kommunikation
„Ziel-Ebene“ (z.B. Big Picture, Gesamtproduktarchitektur,
Metapher, Endtermin, Gesamtkosten)
„Was-Ebene“ (z.B. Prozesskategorien, Funktionsblöcke,
Modulkosten, Meilensteine)
„Wie-Ebene“ (z.B. Prozesse, Funktionen, Einzelkosten, Projektpläne)
N-Typen
S-Typen
Ebene der Verknüpfung
Intuition bei Kahneman und im Collective Mind Umfeld
Kahneman und Tversky CMM
Schnell, Unbewusst Schnell, Unbewusst
Verzerrung Analoge Sprache, Großskalig
Lösungen aus vergangenen Erfahrungen
Lösungen sind Konzepte und Analogien
Keine Faktenprüfung Keine detaillierte Faktenprüfung
Rationalität bei Kahneman und im Collective Mind Umfeld
Kahneman und Tversky CMM
Faktenbasierend Faktenbasierend
Langsam Gründlich
Detailorientiert Detailorientiert
Logisch, Rational Logisch, Rational
Collective Mind zur Fokussierung der Kommunikation
„Ziel-Ebene“ (z.B. Big Picture, Gesamtproduktarchitektur,
Metapher, Endtermin, Gesamtkosten)
„Was-Ebene“ (z.B. Prozesskategorien, Funktionsblöcke,
Modulkosten, Meilensteine)
„Wie-Ebene“ (z.B. Prozesse, Funktionen, Einzelkosten, Projektpläne)
N-Typen
S-Typen
Ebene der Verknüpfung
Collective Mind zur Fokussierung der Kommunikation
„Ziel-Ebene“ (z.B. Big Picture, Gesamtproduktarchitektur,
Metapher, Endtermin, Gesamtkosten)
„Was-Ebene“ (z.B. Prozesskategorien, Funktionsblöcke,
Modulkosten, Meilensteine)
„Wie-Ebene“ (z.B. Prozesse, Funktionen, Einzelkosten, Projektpläne)
System 1, N-Typen
System 2, S-Typen
Ebene der Verknüpfung
Die Erarbeitung eines Collective Mind ist ein dynamischer Prozess
Sensorische Wahrnehmung
INtuitive Wahrnehmung
Analytisches (T-) Urteilen
Gefühlsmäßiges (F-) Urteilen
Extraversion Introversion
Judging Perceiving
Sammeln von Daten und Fakten
Lösungsalternativen objektiv analysieren
Lösungsalternativen erarbeiten
Auswirkung der Lösungsalternativen
Anwendung des Collective Minds zur Eliminierung von Verzerrungen
Zielfindung Ziel-Ebene
Was-Ebene
Wie-Ebene
Abgleich Ziel Abgleich Ziel
Eliminierung von Verzerrungen
durch Konkretisierung
Erarbeitung geeigneter Lösungen
Abgleich mit Außenwelt
Detaillösung
Projektbeispiel
Projektaufgabe: Entwicklung eines IT-Systems in der klinischen Forschung, um aus vorhandenen Daten Wissen zu generieren.
Dazu wird ein Projektteam aus Forschern und IT-Fachleuten zusammengestellt, das erste Statements zusammenstellen soll.
Projektbeispiel: Forschungsprozess
Nach einigen Sitzungen bilden sich die folgenden Sichtweisen heraus:
Es besteht die Forderung, dass die Architektur des Systems besonders flexibel sein muss, da sich der Forschungsprozess abrupt ändern könnte.
Der Schwerpunkt wird tendenziell auf das Hochdurchsatzverfahren gelegt.
Ein Teil des Teams kennt sich aus früheren innovativen Projekten und somit dominiert die innovative Sicht auf das Projekt.
Auf den ersten Blick vernünftig, doch hintergründig mit erheblichen Risiken behaftet.
Risikominimierende Vorgehensweise
Priorität 1: Ein Teil des Teams kennt sich aus früheren innovativen Projekten und somit dominiert die innovative Sicht auf das Projekt.
Gefahr: Durch den Halo-Effekt festgelegte und nicht mehr hinterfragte Einordnung des Projekts als innovativ kann eine Lösung entstehen, die die Anforderungen nicht erfüllt.
Lösung: Es muss expliziert werden, um welchen Projekttyp es sich handelt. Dabei kann und darf die Sichtweise durchaus unterschiedlich sein. Sie muss lediglich akzeptiert sein, z.B.:
Forscher: Innovatives Projekt, da neue Wissenszusammenhänge möglich werden
IT-Experten: Standardprojekt, da lediglich Schnittstellen neu zu implementieren sind.
„Ziel-Ebene“ (z.B. Big Picture, Gesamtproduktarchitektur,
Metapher, Endtermin, Gesamtkosten)
Risikominimierende Vorgehensweise
Priorität 2: Der Schwerpunkt wird tendenziell auf Hochdurchsatzverfahren gelegt
Gefahr: Das spätere IT-System wird lediglich für das Hochdurchsatzverfahren optimiert, da durch Ankerungseffekte eine Konzentration auf diesen Teilschritt entsteht.
Lösung: Der Forschungsprozess muss expliziert sein und vollständig in Betracht gezogen werden.
„Was-Ebene“ (z.B. Prozesskategorien, Funktionsblöcke,
Modulkosten, Meilensteine)
Risikominimierende Vorgehensweise
Priorität 3: Es besteht die Forderung, dass die Architektur des Systems besonders flexibel sein muss, da sich der Forschungsprozess abrupt ändern könnte.
Gefahr: Durch die Überschätzung von Ereignissen kleiner Wahrscheinlichkeit, wird die Architektur zu flexibel gehalten. Dies erfordert hohe Aufwände das IT-System zu ändern, wenn sich im Forschungsprozess kleinere Änderungen ergeben.
Lösung: Es muss detailliert geklärt werden, wie wahrscheinlich abrupte Änderungen sind.
„Wie-Ebene“ (z.B. Prozesse, Funktionen, Einzelkosten, Projektpläne)
Das Projektrisiko wird erheblich reduziert durch Klären der Punkte
Projekttyp
Führungsstil: Missionarsprojekt bei Anforderungserhebung und Rollout, Zimmermannsprojekt bei Umsetzung
Zurückführung auf den Gesamtprozess
Ziel nicht aus den Augen verlieren
Keine voreilige Festlegung auf eine bestimmte Architektur
Auswirkung beim täglichen Arbeiten zu Beginn prüfen
Dies zur erkennen ist nicht immer trivial und bedarf einer von System 1 und System 2 geprägten Sicht auf das Projekt.
Es erfordert auch den Verzicht auf eigene Steckenpferde (z.B. „Lieblingstechnologie“) bei den Projektbeteiligten. Der Lohn ist dann aber das erfolgreich abgeschlossene Projekt.
Wie können Verzerrungen aufgedeckt werden?
Konsequente Anwendung des Collective Mind-Schemas in Projektteams.
Anwendung der Post-Mortem Methode: „Stellen Sie sich vor, wir befinden uns ein Jahr in der Zukunft. Wir haben den Plan in seiner jetzigen Fassung umgesetzt. Das Ergebnis war eine Katastrophe. Nehmen Sie sich bitte fünf Minuten Zeit, um eine kurze Geschichte dieser Katastrophe zu schreiben.“
Sind hinter Fragen heuristische Fragen versteckt?
Wie bin ich aktuell geprimed?
Wie bin ich zur Zeit geankert?
Verallgemeinerbare Schlussfolgerungen System 1 und 2 sind keine Gegenspieler, sondern stabilisieren sich gegenseitig.
Durch Anwendung der Collective Mind Methode können Verzerrungen in Projekten reduziert oder sogar minimiert werden.
Die Wechselwirkung von System 1 und System 2 erfordert Zeit. Dies ist in der Projektplanung zu berücksichtigen.
Jens Köhler, Alfred Oswald: Die Collective Mind Methode, Springer, 2010
Alfred Oswald, Jens Köhler: Der Projektnavigator, in: Perfektes IT-Projektmanagement, Symposion, 2012
Alfred Oswald, Jens Köhler: Wechselwirkende Organisationen, Projektmanagement aktuell 5/2010 und 1/2011
Jens Köhler, Kolumne in Projektmanagement aktuell (seit 2012)
Alfred Oswald, Jens Köhler: Schnelles und langsames Denken in Projekten, Teil 1 und Teil 2, Projektmanagement aktuell 05/2013 und 01/2014