5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 1/42
Politische TheologieVier Kapitel zur Lehre von der Souveränität
Von
Carl Schmitt
DRITTE AUFLAGE
DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 2/42
UNIVEf-1:31TATS
BIBLIOTHEK
HEIDELBERG
Alle Rechte vorbehalten
© 1979 Duncker & Humblot, Berlin 41
Unveränderter Nachdruck der 1934 erschienenen zweiten Auflage
Gedruclü 1979 bei fotokop, wilhelm weihert, Darmstadt
Printed in Germany
ISBN 3 428 01327 1
InhaltsübersichtSeite
Vorbemerkung zu r zweiten Aus ga be . . . . . .
I. Kapitel. Def in i t ion der Souveräni t ä t . . . . . . . 11-'22
Souveränität und Ausnahmezustand S. 11/1'2. Der Souveränitätsbegriff bei Bodin und in de r naturrechtliehen Staats-
lehre als Beispiel für die begriflli<he Verbindung von Sou
veränität und AusnahmezustandS. 13-18. lgnoriei·ung desAusnahmefalles in der Doktrin des liberalen Re<h.tsstaatesS. 18-22. Allgemeine Bedeutung des versmiedenartigen
wissensrnafti!<nen-Intere:oiSes an Regel (Norm) oder Aus-- ~ l l a h m e S. '2'2. ~ - - - - ·
II. Kapitel. Das Problem der Souveräni t ä t als Pro-
b I e m der Rechts f o r m u n d d er E n t s c h e i dun g. . 25-46
Neuere S<hrnen zur Staatslehre: Kelsen, Krabbe, Wolzen-
dorff S. 29-36. Die Eigenart der Red1tsform (gegenüberde r te<hnis<hen oder ä.sthl·tis<hen Form), berii.lleil-aaliT<fe-rDezision S. 36-43. Inhalt de r Ents<h.eidunf.! und Subjekt de r
Ents<heidung und die selbständige Bedeutung der Ent
scheidung an sich S. 43-44. Hobbes als Beispiel "dezislonistismen" Denkens S. 44-46.
lll. Kapitel. Poli t ische Theologie ........... 49-66
Theologls<he Vorstellungen in der Staatslehre S. 46-55.Soziologie jmisti s<her Begriffe, insbesondere des Souveränitätsbegl'iffes S. 55-6o. Die Obereinstimmung der sozialenStruktur einer Epoche mit ihrem metaphysis<hen Weltbild,insbesondere Monar<hie und theistis<hes Weltbild S. 6o.
Obergang von Transzendenzvorstellungen zur Immanenzvom 18. zum 19. Jahrhundert (Demokratie, organisme Staats-
lehre, Identität von Re<ht un d Staat) S. 63-66.
IV. Kapitel. Zur Staa t sphi I o so p h i e der Gegen r e vo-1u t i o n (de Maistre, Bonald, Donoso Corte s) . . . . . . 67-84
Dezisionismus in de r Staatsphilosophie der GegenrevolutionS. 69-71. Autoritäre und anarmistis<he Theorien auf der
Grundlage des Gegensatzes der Thesen vom "nati.irlimbösen" und "nati.irlim guten" Mens<hen S. 71-74. DieStellung der liberalen Bourgeoisie und deren Definitiondurm Donoso S. 75-80. ldeengesmi<htli<he Entwicklungvon de r Legitimität zur Diktatur S. S0-84.
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 3/42
Vorbemerkung zur zweiten Ausgabe
iese zweite Ausgabeder
"Politisd1en Theologie" istu n ~
verändert geblieben. Heute, nach zwölf Jahren, wird manbeurteilen können, wie weit die im März 1922 ersmienene kleineSmrift standgehalten hat. Aum die Auseinandersetzung mit demliberalen Normativismus und seiner Art "Remtsstaat" ist Wortfür Wort geblieben. Einige Kürzungen bestehen nu r darin, daßStellen, die sich mit Unwesentlimem befaßten, gestrimen sind.Im Verlauf der letzten Jahre haben sim zahlreime neue A n ~ wendungsfälle der Politismen Theologie ergeben. Die"Repräsentation"vom 15.bis zum 19.Jahrhundert,dieMonarmiedes1?.Jahrhunderts, die dem Gott der Baro<kphilosophie analog ~ e d a m t wird, die "neutrale" Gewalt des 19. Jahrhunderts, "qui regne etne gouverne pas", bis zu den Vorstellungen des reinen Maßnahmen- und Verwaltungsstaates, "qui administre et ne gouverncpas", sind ebenso viele Beispiele für die Frumtbarkeit des Gedankens einer Politismen Theologie. Das große Problem dereinzelnen Stufen des Säkularisationsprozesses - vom Theologisdlen über das Metaphysisd1e zum Moralism-Humanen undzum Ökonomismen- habe i(h in meiner Hede über "Das Zeitalterder Neutralisierungen und Entpolitisierungen" (Oktober 1929in Barcelona) behandelt. Vonprotestantismen Theologen habenbesonders Heinrid1 Forsthoff und Friedrim Gagarten gezeigt)daß ohne den Begriff einer Säkularisierung ein Verständnis derletzten Jahrhunderte unserer Cesmimte überhaupt nimt möglimist. Freilid1 stellt in der protestantischen Theologie eine andere,angeblim unpolitisme Lehre Gott in det·selben Weise als das"Ganz Andere" hin, wie für den ih r zugehörigen politismen 1 ~ Libemlismus Staat und Politik das " Ganz Andere" sind. lnzwismen rhaben wir das Politisd1e als, das Totale erkannt ~ ! ! ! < ! ~ ~ il!:; ''f o l g e d e s s e n ~ ~ l ! 9 J J ~ ~ 9 1 ! f 3 die E,ntsd1eidung darüber, oll etwas un -woTilT !fcli i t i . ~ ~ ' T ~ ~ e ~ w ~ ~ ; r ~ t : 1 r l ~ ' ~ t l ·p ~ · · · · ~ · ~ ~ ~ ß . . , . , ~ U I J ] l C f ~ . l ! ~ ~ . J l . Q w - ! . 1 < ~ · ~ · ~ · · ~ . . . •..... r · · ~ · ~ · · J::! . 1
.~ v .e....:r....... i·eJ:r·.····· ·1···&.. uld .roit Yddt...e. · .HI... e w . ~ . ! s . ~ s . . r . ! P J I ~ . ~ n.. ~ ·.· ... ·.·.s···J·:···1·ümkleidet. Das gilt aum.für die F r ~ ; t g . ~ , ob. eine I l e s t i r o m t u p ~ g . : IQgte palitisme o(Jer unpolitisme.Theologie. ist. ·Öie ffeJherkung zu Hobbes, über die beiden Typen juristismenDenkens, am Smluß des zweiten Kapitels (S. 44) mömte im nommit einem Wort ergänzen, weil diese Frage meinen Stand und
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 4/42
Beruf als Reihtslehrer angeht. Im würde heute niiht mehr zwei,sondern drei Arten re<htswissensihaftliihen Denkens untersiheiden, nämli<h außer dem normativistisihen und dem dezisionistisihen no<h den institutionellenTypus. Die Erörterung meinerLehre von den "institutionellen Garantien" in der deutsihenRe<htswissens<haft und die Besd1äftigung mit der tiefen und bedeutenden Institutionstheorie Maurice Haurious haben mir diese
Erkenntnis vers<hafft. Während der reine Normativist in unpersönli<hen Regeln denkt und der Dezisionist das gute Remt derriihtig erkannten politismen Situation in einer persönlimen Entsmeidung durmsetzt, entfaltet sim das institutionelle Red1tS-
denken in überpersönlimen Einriihtungen und Gestaltungen. Undwährend der Normativist in seiner Kntartung das Remt zumbloßen Funktionsmodus einer staatlimen Bürokratie maiht und
: der Dezisionist immer in der Gefahr steht, durih die Punktualisierung des Augenbli<ks das in jeder großen politisd1en Bewegungenthaltene ruhende Sein zu verfehlen, führt ein isoliert institutionelles Denken in den Pluralismus eines souveränitätslosen,feudal-ständisihen Wamstums. So lassen siih die drei Sphärenund Elemente der politismen f ~ i n h e i t - Staat, Bewegung, Volk -den drei juristismen Denktypen sowohl in deren gesunden wiein ihren entarteten Ersmeinungsformen zuordnen. Der sogenannte Positivismus und Normativismus der deutsmen Staatsreihtslehre de r Wilhelminisihen und der W eimm·er Zeit ist nurein degenerierter- weil statt auf ein Naturremt oder Vernunftremt begründeter, an bloß faktism " geltende" Normen angehängte r - daher in sim widersprumsvoller Normativismus, vermismtmit einem Positivismus, der nur ein remtsblinder, an die "nonnative Kraft des Faktismen" statt an eine ernte Entsmeidung siihhaltender, degenerierter Dezisionismus war. Die gestaltlose undgestaltungsunfähige Mismung war keinem ernsten staats- undverfassungsremtlimen Problem gewac:hsen. Diese letzte Epomeder deutsmen Staatsremtswissensmaft ist dadurm gekennzeimnet,daß sie die staatsremtlime Antwort auf den entsmeiden den Fall,nämlim die Antwort auf den preußisd1en Verfassungskonflikt mitBismar<k und infolgedessen aum die Antwort auf alle weiteren
entsmeiden den Fälle smuldig geblieben ist. Um der Entsmeidungauszuweimen, prägte sie für solme Fälle einen Satz, der auf sieselbst zurückgefallen ist und den sie nunmehr selbst als Mottoträgt: "Das Staatsremt hört hier auf."
Berlin, im November 1933. Carl Sc.hmitt.
I.Definition der Souveränität
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 5/42
~ o u v e r ä n ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.
[) Diese Definition kann dem Begriff der Souveränität als~ i n e m Grenzbegriff allein gerecht werden. Denn Grenzbegriffrpedeutet nicht einen konfusen Begriff, wie in der unsauhern
ferminologie populärer Li teratur, sondern einen Begriff der
Jußersten Sphäre. Dem entspricht es, daß seine Definition nicht
~ n k n ü p f e n kann an den Normalfall, sondern an einen Grenzfall.Epaß hier unter Ausnahmezustand ein allgemeiner Begriff der
'·''\
~ t a a t s l e h r c zu verstehen ist, nicht irgendeine Notverordnung oder
feder Belagerungszustand, wird sich aus dem Folgenden ergeben.
paß der Ausnahmezustand im eminenten Sinne fü r die juristische , \ ,., I ~ J:>efinition der Souveränität geeignet ist, hat einen systematischen, i \ ~ I r }-echtslogischen Grund. Die Entscheidung über die Ausnahme ist '' - - ~ ~ " " % - - - . " " " " ' ~ - - - - - . -··---" _ " ~ ~ - ~ - - · · · · · · .-.. ..~ c - - ~ ~
· ~ · ~ ~ : ~ ~ ~ ; , : ~ : . e : ~ . e ..~ ~ ~ . n . ~ g~ . ~ ~ d ~ c ~ : ~ t ~ s ~ t z ~ : : : t . : ; l : ~ k g a n . e : : . ~ : 'bsolute Ausnahme niemals erfassen und daher auch die Ent-
. -··. . ....
.
f.'c h e i d u n g ~ · ~ a a ß ein echter Ausnahmefall gegeben ist, nicht restlos
regründen. Wenn Mohl (Monographien, S. 626) sagt, die Prü-
Jfung, ob ein Notstand vorliege, könne keine juristische sein, so
eht er von der Voraussetzung aus, daß efrie Entscheidung Imechtssinne aus dem Inhalt einer Norm restlos abgeleitet \ve:rden
I1iß. Das aber ist die Frage. In der Allgemeinheit, wie Mohl
en Satz ausspricht, ist er nur ein Ausdruck von rechtsstaat
'chem Liberalismus und verkennt er die selbständige Bedeutung
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 6/42
',
12 I. Definition der Souveränität I. Definition der Souveränität 13
Das abstrakte Schema, das als Definition der Souveränität a u ~ a l l vorliegt, als auch darüber, was geschehen soll, um ihn zu
gestellt wird (Souveränität ist höchste, n i ~ h t abgeleitete Herr.sche.4peseitigen. Er steht a u ß e r h ~ der n o r m ~ l g e l t ~ d e ~ ~ ~ c h ~ -macht), kann man gelten lassen oder mcht, ohne daß dann elfordnung und gehört doch zu 1hr, denn er 1st zustand1g fur d1e
.. großer praktischer oder theoretischer Unterschi·ed läge. Um e i n e ~ n t s c h e i d u n g , ob die Verfassung in totosuspendiert werden kann.
Begriff an sich wird im allgemeinen nicht gestritten werden, atfAlle Tendenzen der modernen rechtsstaatliehen Entwicklungwenigsten in der Geschichte der Souveränität. Man streitet urfg.ehen dahin, den Souverän in diesem Sinne zu beseitigen. Darin
die konkre te Anwendung, und das bedeutet darüber, wer i1iegt die Konsequenz der im folgenden Kapitel behandelten Ideen
Konfliktsfall entscheidet, worin das öffentliche oder s t a a t l i c h ~ o n Krabbe und Kelsen. Aber ob der extreme Ausnahmefall wirk-~
Interesse, die öffentliche Sicherheit und Ordnung, le salut publill.ich aus der Welt geschafft werden kann oder nicht, das ist keine
usw. besteht. Der Ausnahmefall, der in der geltenden RechtsUuristische frage. Ob man das Vertrauen und die Hoffnung hat,
ordnung nicht umschriebene Fall, kann höchstens als Faier lasse sich tatsächlich beseitigen, hängt von philosophischen,
äußerster Not, Gefährdung der Existenz des Staates oder derknabesondere geschichtsphilosophischen oder metaphysischen
gleichen bezeichnet, nicht aber tatbestandsmäßig umschrieheLberzeugungen ab.
werden. Erst dieser Fall macht die Frage nach dem Subjekt det Es gibt einige geschichtliche Darstellungen der EntwicklungSouveränität, das heißt die Frage nach der Souveränität ü b e r ~ e s Souveränitätsbegriffes. Doch begnügen sie sich mit der Zu
haupt, aktuell. Es kann weder mit subsumierbarer Klarheit a n ~ 1 ammenstellung der letzten abstrakten Formeln, in denen lehr
gegeben werden, wann e i ~ N ~ t f a l l vorliegt, noch kann inhaltlie.buchartig, abfragbar, die Definitionen der Souveränität ~ n t h a l t e n aufgezählt werden, was m emem solchen Fall geschehen darf ind. Keiner scheint sich die Mühe gegeben zu habr.n, dte endlos
wenn es sich wirklich um den extremen Notfall und um sein1wiederholte, völlig leere Redensart von der höch;;ip:n. I ~ '!.s'ht bei
Beseitigung handelt. Voraussetzung wie Inhalt der Kompetentden berühmten Autoren des Souveränitätsbegriffes . r zu
sind hier notwendig unbegrenzt. Im rechtsstaatliehen Sinne liegJuntersuchen. Daß dieser Begriff sich an dem k!( .sv""'' das
daher überhaupt keine Kompetenz vor. Die Verfassung k a n ~ h e i ß t dem Ausnahmefall orientiert, tritt scJ,.l . J, ' ·
höchstense J ~ z e b e n ,
wer in einem solchen Falle handeln darf4Mehr als mit seiner of t zitierten Definition ((<', u' "' ,,
Ist dieses Handeln keiner Kontrolle unterworfen, wird es n i c h t ~ l a puissance absolute et perpetuelle d'une , ,
wie in der Praxis der rechtsstaatliehen Verfassung, in i r g e n d e i n e ~ s e i n e r Lehre von den »Vraies remarques de souverainete« (Cap. X
Weise auf verschiedene, sich gegenseitig hemmende und balanides I . Buches der Republik) der Anfang der modernen Staats
cierende Instanzen verteilt, so ist ohne weiteres klar, wer derilehre. Er erörtert seinen Begriff an vielen praktischen Beispielen
Souverän ist. Er entscheidet sowohl darüber, ob der extreme Not1und kommt dabei immer au f die Frage zurück: Wieweit ist
Il
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 7/42
r=l
14 I. Definition der Souveränität I. Definition der Souveränität 15
der Souverän an die Gesetze gebunden und den Ständen gegefuntertanen dispensieren lassen. Das aber erscheint Bodin als eine
über verpflichtet? Diese letzte besonders wichtige Frage h"-bsurdität; denn er meint, weil die Stände doch auch nicht die
antwortet Bodin dahin, daß Versprechen bindend sind, weil 4Herren über die Gesetze sind, so müßten sie wiederum ihrerseits
verpflichtende Kraft eines Versprechens auf dem Naturrecht b ~ i c h von ihren Fürsten dispensieren lassen, und so wäre die Sou
ruht; im Notfall aber hört die Bindung nach allgemeinen n a t ü ~ e r ä n i t ä t jouee a deux parties; bald das Volk und bald der Fürstliehen Grundsätzen auf. Allgemein sagt er, daß gegenüber d{väre Herr, und das ist gegen alle Vernunft und alles Recht.
Ständen oder dem Volk der Fürst nur so lange verpflichtet isloarum i'>t die Befugnis, das geltende Gesetz aufzuheben - sei
als die Erfüllung seines Versprechens im Interesse des V o l k ~ s generell, sei es im einzelnen Fall -, so sehr das eigentliche
liegt, daß er aber nicht gebunden ist, si Ia necessite est u r g e n ~ K e n n z e i c h e n dee Souveränität, daß Bodin alle anderen Merkmale
Das sind an sich keine neuen Thesen. Das Entscheidende in d,(Kriegserldärung und Friedensschluß, Ernennung der Beamten,
Ausführungen Bodins liegt darin, daß er die Erörterung der B ~ e t z t c Instanz, Begnadigungsrecht usw.) daraus ableiten will.
ziehungen zwischen Fürst und Ständen au f ein einfaches En{ In meinem Buche über die Diktatur (München und Leipzig
weder-Oder bringt, l1Ild zwar dadurch, daß er auf den Notf41g2 I) habe ich, entgegen dem überlieferten Schema der ge
verweist. Das war das eigentlich Imponierende seiner D e f i n i t i o ~ c h i c h t l i c h e n Darstellung, gezeigt, daß auch bei den Autoren desdie die Souveränität als unteilbare Einheit auffaßte und die F r a ~ N a t u r r e c h t s im I 7· Jahrhundert die Frage der Souveränität als
nach der Macht im Staat endgültig entschied. Seine wissenschaffdie Frage nach der Entscheidung über den Ausnahmefall ver
liehe Leistung und der Grund seines Erfolges lieg·en also d a r i ~ t a . n d e n wurde. Insbesondere gilt das fü r Pufendorff. Alle sind
daß er die Dezision in den Souveränitätsbegriff hineingetrag1darüber eilug, daß, wenn innerhalb eines Staates Gegensätze
hat . Es ~ i b t h e ~ t e k ~ U I ~ ~ i n e ~ r ~ r t e r u n g ~ e s Souv..eränitäl.auftretcn, jede P ~ r l e i natürlich nur. das allgemeine Beste will
begnffes, m der mcht die ubliche Zitierung Bodms vorkame. Ab---- darin besteht Ja das bellum ommum contra omnes -, daß
nirgends findet man die Kernstelle jenes Kapitels der Republ a.ber die Souveränität, und damit der Staat selbst, darin besteht,
zitiert. Bodin fragt, ob die Versprechungen, die der Fürst d diesen Streit zu entscheiden, also definitiv zu bestimmen, wasI .· Ständen oder dem Volke gibt, seine Souveränität aufheben.
~ ö f f e n t l i c h e Ordnung und Sicherheit ist, wann sie gestört wird usw.
antwortet mit dem Hinweis auf den Fall, daß es nötig wirbn der konkreten Wil·klichkeit stellt sich die öffentliche Ordnungt
solchen Versprechungen zuwider zu handeln, die Gesetze abz4und Sicherheit sehr verschieden dar, je nachdem etwa eine
ändern oder ganz aufzuheben, selon l'exigenoe des cas, des temdmilitaristische Bureaukratie, eine von kaufmännischem Geist be
et des personnes. Wenn in einem solchen Fall der Fürst vorhiherrschte Selbstverwaltung oder eine radikale Parteiorganisation
einen Senat oder das Volk fragen muß , so muß er sich von s e i n ~ d a r ü b e r entscheidet, wann diese Ordnung und Sicherheit bestehtIII.IIII•
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 8/42
16 I. Definition der Souveränität I. Definition der Souveränität 17
und wann sie gefährde t oder gestört wird. Denn jede Ordn Iäufigeren Wendung fragte man, wer die Vermutung der nicht
beruht auf einer Entscheidung, und auch der Begriff der Rech beg!enzten Macht für sich habe. Daher die Diskussion über den
ordnung, der gedankenlos als etwas Selbstverständliches a A ~ s n a h m e f a l l , den extremus necessitatis casus. In den Erörte
gewa.ndt wird, enthält den Gegensatz der zwei verschiedenen EI rung·en über das sogenannte monarchische Prinzip wiederholt
mente des Juristischen in sich. Auch die Rechtsordnung, wie je sich das mit derselben rechtslogischen S t r u k t u r ~ Auch hier wird- - ~ IOrdnung, ht}ruht auf einer Entscheidung und nicht aw. infolgedessen immer danach gefragt, wer über die Verfassungs-
Norm. mäßig nicht g·eregelten Befugnisse entscheidet, das heißt wer zu-
Ob nur Gptt souverän ist, da;s heißt derjenige, der in d ständig ist, wenn die Rechtsordnung auf die Frage nach der Zu
irdischen Wirklichkeit widerspruchslos als sein Vertret erhand ständigkeit keine Antwort gibt. Bei der Kontroverse, ob die deut
oder der Kaiser oder der Landesherr oder das Volk, das hei sehen Einzelstaaten nach der Verfassung von 1871 souverän
diejenigen, die sich widerspruchslos mit dem Volk identifizier waren, handelte es sich um eine Angelegenheit von weit ge
dürfen, immer ist die Frage auf das Subjekt der Souveränität g ringerer politischer Betleutung. Immerhin läßt sich dasselbe
richtet, das heißt die Anwendung des Begriffes auf einen ko Schema der Argumentation auch hier wieder erkennen. Der Nach
kreten Tatbestand. Die Juristen, die über Fragen der Souveräni weis, daß die Einzelstaaten souverän seien, den Seydel versuchte,diskutieren, gehen seit dem I 6. Jahrhundert von einem Katal hatte zum Angelpunkt weniger den Begriff der Ableitbarkeit oder
der Souveränitätsbefugnisse aus, der eine Reihe von notwendig Nicht-Ableitbarkeit der den Einzelstaaten verbliebenen Rechte,
Merkmalen der Souveränität zusammenstellt und im wesen als die Behauptung, daß die Zuständigkeit des Reichs durch die
liehen auf die eben zitierten Erörterungen von Bodin zurüc Verfassung umschrieben, das heißt prinzipiell begrenzt sei, wäh
zuführen ist. Souverän sein bedeutete, diese Befugnisse zu hab rend die der Einzelstaaten prinzipiell unbegrenzt s·ei. In der
Die staatsrechtliche Argumentation operierte in den unklar geltenden deutschen Verfassung von 1919 wird nach Artikel 48
Rechtsverhältnissen des alten Deutschen Reiches gern so, daß der Ausnahmezustand vom Reichspräsidenten erklärt, aber unter
von einem der zahlreichen Merkmale, das zweifellos gegeben w der Kontrolle des Reichstags, der jederzeit die Aufhebung ver
den Schluß zog, daß die andern zweifelhaften Merkmale eh langen kann. Diese Regelung entspricht der rechtsstaatliehen Entfalls gegeben sein müßten. Die Kontroverse bewegte sich imm wicklung und Praxis, w e l c _ ~ e durch eine Teilung der Zuständig
darum, wem diejenigen Befugnisse zukamen, über die nicht h keiten und gegenseitige Kontrolle die Frag,e nach der Souveränität
reits durch eine positive Bestimmung, etwa eine Kapitulation, ve möglichst weit hinauszuschieben sucht. Der rechtsstaatliehen
fügt war, mit andern Worten, wer für den Fall zuständig se' Tendenz entspricht aber n ~ r die Regelung der Voraussetzung
sollte, für den keine Zuständigkeit vorgesehen war. In einer Ausnahmcbefugnisse, nicht die inhaltliche Regelung des
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 9/42
18 I. Definition der Souveränität%
'Artikels 48, der vielmehr eine grenzenlose Machtvollkommenheil:{
verleiht und daher, wenn ohne Kontrolle darüber e n t s c h i e d e ~ 0
würde, in derselben Weise eine Souv·eränität verleihen w ü r d ~ wie die Ausnahmebefugnisse des Artikels 14 der Charbe von I 8 fden Monarchen zum Souverän machte. Wenn die E i n z e l s t a a o o ~ "Rnach der herrschenden Auslegung des Artikels 48 keine selbf
ständige Befugnis mehr haben, den Ausnahmezustand zu eriklären, sind sie keine Staaten. In Artikel ! ~ 8 liegt der eigentliche
j;
Schwerpunkt der Frage, ob die deutschen Länder Staaten sini
oder nicht. . ~ Gelingt es, die Befugnisse, die fü r den Ausnahmefall v e r h e b e ~
werden, zu umschreiben - - sei es durch eine gegenseitige K o ~ trolle, sei es durch zeitliche Beschränkung, sei es endlich, wie i,
der rechtsstaatliehen Regelung des BelagerWigszustandes, durcAufzählWig der außerordentlichen Befugnisse - , s o ist die F r a ~ nach der Souveränität um einen wichtigen Schritt zurückgedräng
aber natürlich nicht beseitigt. Praktisch hat eine Jmispruden'
die sich an den Fragen des täglichen Lebens und der laufend
Geschäfte orientiert, kein Intere.(?se an dem Begriff der S o u v e r ä n ~ tät. Auch fü r sie ist nur das Normale das Erkennbare und all
andere eine "StörWig". Dem extremen Fall steht sie fassungsl
gegenüber. Denn nicht jede außergewöhnliche Befugnis, nicli
jede polizeiliche Notstandsmaßnahme oder Notverordnung ist breits Ausnahmezustand. Dazu gehört vielmehr eine prinzipiell u ~ begrenzte Befugnis, das heißt die SuspendierWig der g e s a m t ~ bestehenden Ordnung. Ist dieser Zustand eingetveten, so ist kl ~ daß der Staat bestehen bleibt, während das Recht z u r ü c k t r i ~ . Weil der Ausnahmezustand immer noch etwas anderes ist als ei '
I. Definition der Souveränität 19
Ana1·chie und ein Chaos, besteht im juristischen Sinne immerInoch eine Ordnung, wenn auch keine Rechtsordnung. Die Exi-
stenz c ! ~ bewährt hier eine zweifellose Überlegenheit über~ - - - - - ~ ~ - - - ~ . . . . ....... . ......die G e l t u ~ ~ - - - ~ ~ r ß ~ c h t - , n o r m . Die Entscheidung macht sich frei
von jeder normativen Gebundenheit und wird im eigentlichenSinne absolut. Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht,
kraft eines Selbsterhaltungsrechtes, wie man sagt. Die zwei Ele
mente des Begriffes "Rechts-Ordnung" treten hier einander
gegenüber und b e w e i s e n ' ~ 1 h r e begriffliche Selbständigkeit. So wie
flil . Normalfall das selbständige Moment der EntscheidWig auf ein
Minimum zurückgedrängt werden kann, wird im Ausnahmefall
die Norm vernichtet. Trotzdem bleibt auch der Ausnahmefall der
juri<>tischen Erkenntnis zugänglich, weil beide Elemente, die
Norm wie die Entscheidung, im Rahmen des Juristischen verbleiben.
Es wät·e eine ro9e Übertragung der schematischen Disjunktion
von Soziologie und Rechtslehre, wenn man sagen wollte, die Aus
nahme habe keine juristische Bedeutung und sei infolg-edessen
"Soziologie". Die Ausnahme ist das nicht Subsumierbare; sie
entzieht sich der generellen Fassung, aber gleichzeitig offenbart
sie ein spezifisch-juristisches Formelement, die ! ? ~ ! ? . ! ? . , i n ab
solutet· Reinheit. In seiner absoluten Gestalt ist ~ C f e r ~ ~ t ' u s l l a h m e
fnll dann eingetreten, wenn erst die Situation geschaffen werdenmuß, in der Rechtssätze gelten können. Jede g·enerelle Norm ver
langt eine normale Gestaltung der Lebensverhältnis&e, auf welche
sie tatbestandsmä ßig AnwendWig finden soll und die sie ihrer
normativen Regelung unterwirft. Die Norm braucht ein homo
genes Medium. Diese faktische Normal ität ist nich t bloß eine2*
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 10/42
s.) 1. ,.J, ~ ' , ' s _(\ i '
' /) \_
rf- ~ 'I~ t~
20 I. Definition der Souveränität II
äußere Voraussetzung", die der Jurist ignorieren kann; sie g e ~ I" ~ hört vielmehr zu ihrer immanenten Geltung. Es gibt keine Norm1Jdie auf ein Chaos anwendbar wäre. Die Ordnung muß hergestelltl~ ~ e i n , damit die Rechtsordnung einen Sinn h a t ~ Es muß eine n o r ~ 1
I
Situation geschaffen werden, und souverän ist derjenige,j
der definitiv darüber entscheidet, ob dieser normal-e Zustandj- ,
wirklich herrscht. Alles Recht ist "Situationsrecht". Der Souverän I~ · · \ l''
schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. JEr hat das Monopol dieser letzten Entscheidung. Darin liegtj
das Wesen der staatlichen Souveränität, die also richtigerweisel
nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als Ent j
scheidungsmonopol juristisch zu definieren ist, wobei das Wortl
Entscheidung in dem noch weiter zu entwickelnden allgemeinenJ
Sinne gebraucht wird. Der Ausnahmefall offenbart das Wesen de!j
staatlichen Autorität am klarsten. Hier sondert sich die E n t ~ ~ ~ . _ -scheidung von der Rechtsnorm, und (um es paradox zu for
mulieren) die Autorität beweist, daß sie, um Recht zu s c h a f f e n ~ ~ nicht Recht zu haben braucht. I
Der rechtsstaatliehen Doktrin Lockes und dem rationalistischenj
18. Jahrhundert war der Ausnahmezustand etwas Inkommensu-J
rables. Das lebhafte Bewußtsein von der Bedeutung des Aus-<
I. Definition der Souveränität 21
überstehen. Daß ein Neukantianer wie Kelsen mit dem Aus
nahmezustand systematisch nichts anzufangen weiß, versteht sich
von selbst. Aber auch den Hationalisten müßte es doch inter-\
essieren, daß die Rechtsordnung selbst den Ausnahmefall vor
sehen und "sich selber suspendieren" kann. Daß eine Norm oder
eine Ordnung oder ein Zurechnungspunkt "sich selber setzt",
solleint dieser Art juristischen Rationalismus eine besonders leicht \_
vollziehbare Vorstellung zu sein. Wie aber die systematische Ein- _
heit und Ordnung in einem ganz konkreten Fall sich selber sus
pendieren kann, ist schwierig zu konstruieren und doch ein
juristisches Problem, solange der Ausnahmezustand sich vom
juristischen Chaos, von irgendeiner beliebigen Anarchie, unter
scheidet. Die rechtsstaatliche Tendenz, den Ausnahmezustand
möglichst eingehend zu regeln, bedeutet ja nur den Versuch, denFall genau zu umschreiben, in welchem das Hecht sich selber
suspendiert. Woher schöpft das Recht diese Kraft, und wie ist
es logisch möglich, daß eine Norm gilt mit Ausnahme eines kon
kreten Falles, den sie nicht restlos tatbestandsmäßig erfassen
kann?
Es wäre konsequentet' Rationalismus, zu sagen, daß die Aus
nahme nichts beweist und nur das Normale Gegenstand wissen-
nahmefalles, das im Naturrecht des 1 7· Jahrhunderts herrscht, schaftliehen Interesses sein kann. Die Ausnahme verwirrt die
geht im 18. Jahrhundert, als eine relativ dauernde Ordnung her..-;gestellt war, bald wieder verloren. Für Kant ist das Notrecht
überhaupt kein Recht mehr. Die heutige Staatslehre zeigt das
interessante Schauspiel, daß beide Tendenz·en, die r a t i o n a l i s t i s c h e ~ Ignorierung und das von wesentlich entgegengesetzten Ideen a u s - ~ t gehende Interesse für den Notfall , einander gleichzeitig gegen-;
1
Einheit und Ordnung des rationalistischen Schemas. In der positiven Staatslehre begegnet man öfters einem ähnlichen Argument.
So antwortet Anschütz auf die Frage, wie bei nicht vorhandenem
Etatsgesetz zu verfahren ist, das sei über haupt keine Rechts
frage. "Es liegt hier nicht sowohl eine Lücke im Gesetz, das
heißt im Vcrfassungstext, als vielmehr eine Lücke im Recht
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 11/42
22 I. Definition der Souveränität
vor, welche durch keinerlei rechtswissenschaftliche ßegrifl's
operationen ausgefüllt werden kann. Das Staatsrecht hört hier
auf" (Staatsrecht, S. goß). Gerade eine Philosophie des konkreten
Lebens darf sich vor der Ausnahme und vor dem extremen Falle
nicht zurückziehen, sondern muß sich im höchsten Maße fü r ihn
interessieren. Ihr kann die Ausnahme wichtiger sein als die Regel,
nicht aus einer romantischen Ironie für das Paradoxe, sondern
mit dem ganzen Ernst einer Einsicht, die tiefer geht als die klaren
Gencralisationen des durchschnittlich sich Wiederholenden. Die
Ausnahme ist interessanter als der NormalfalL Das Normale be
weist nichts, die Ausnahme beweist alles; sie bestätigt nicht nur
die H.egel, die H.egel lebt überhaupt nur von der Ausnahme. In
der Ausnal1me durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die
Kruste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik. E i n ; ~ p r o t e -stantischer Theologe, der bewiesen hat, welche.r· vitalen Intensität
die theologische Hoflexion auch im 1 g. Juhrhundert fähig sein
\
kann, ha.t es gesagt: "Die Ausnahme erklärt da s Allgeilleine und
sich selbst. Und wenn man das Allgemeinei-iclitig studieren will,
b r ; ~ h ' t c l m a r l sich nur nach einer wirklichen Ausnahme umzu
sehen. Sie legt alles viel deutlicher an den Tag als das Allgemeine
selbst. Auf die Länge wird man des ewigen G e r e d ~ vom All-
gemeinen überdrüssig; es gibt Ausnahmen. Kann man sie nicht
erklären, so kann man auch das Allgemeine nicht erklären. Gewöhnlich merkt man die Schwierigkeit nicht, weil man das All
gemeine nicht einmal mit Leidenschaft, sondern mit einer be
quemen Oberflächlichkeit denkt. Die Ausnahme dagcg·en denkt
das Allgemeine mit energischer Leidenschaft."
n.Das Problem der Souveränität
als Problem der Rechtsform
und der Entscheidung
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 12/42
"\ A, Jenn staatsrechtliche Theorien und Begriffe sich unter
'f 'f dem Eindruck politischer Ereignisse und Änderungen um-
gestalten, so steht die Diskussion zunächst unter den praktischen
Gesichtspunkten des Tages und modifiziert die überlieferten Vor-
stellungen nach irgendeinem naheliegenden Zweck. Die neuen
Aktualitäten können ein neues soziologisches Interesse und eine
Reaktion gegen die "formalistische" Methode der Behandlung
staatsrechtlicher Probleme hervorrufen. Es ist aber auch mög-
lich, daß sich das Bestreben zeigt, die juristische Behandlung von
dem Wechsel der politischen Verhältnisse unabhängig zu machen
und gerade in einer konsequent formalen Behandlungsweise diewissenschaftliche Objektivität zu gewinnen. So können aus der-
selben politischen Sachlage verschiedene wissenschaftliche Ten-
denzen und Strömungen hervorgehen.
Von allen juristischen Begriffen ist der Begriff der Souveränität
am meisten von aktuellen Interessen beherrscht. Man pflegt seine
Geschichte mit Bodin beginnen zu lassen, aber man kann nicht.
sagen, daß er seit dem 16. Jahrhundert eine logische Entwicklung
oder Fortbildung erfahren hätte. Die Etappen seiner Dogmen-
geschichte sind bezeichnet durch verschiedene politische Macht-
kämpfe, nicht durch eine dialektische Steigerung aus der Im-
manenz seiner Begrifflichkeit. Im 16. Jahrhundert entsteht aus
der endgültigen Auflösung Europas in nationale Staaten und aus ~ dem Kampf des absoluten Fürs tentums mit den Ständen der
Souveränitätsbegriff Bodins. Im 18, Jahrhundert reflektiert sich
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 13/42
II . Das Problem der Souveränität26
das staatliche S e l b s t b e w u l ~ t s e i n der neu entstandenen Staaten in
dem völkerrechtlichen Souveränitätsbegriff Vattels. Im neu ge
crründetcn Deutschen B.eich ergibt sich nach I 87 I die Notwendig
~ c i t , für die Abgrenzung der Hoheitssphäre de.r Gliedstaaten
gegenüber dem Bundesstaate ein Prinzip aufzustellen,. u ~ 1 d ~ u s diesem Interesse findet die deutsche Staatslehre eine D1stmktw.n
· 1 s ... '•l'ts und Staatsbegriff mit deren Hilfe stoZWlSC 1en OUVel antu'\ - 'den Einzelstaaten den Charakter der Staatlichkeil retten .kan:l,
ohne ihnen Souveränität zusprechen zu müssen. Immer wu·d111
. - v- . . d' lt Definition wiederholt:den versclnedensten ai'tatwnen te a e
Souveränität ist höchste, rechtlich unabhängige, nicht abgeleitete
M ~ h t .Eine solche Definition )äßt sich auf die verschiedensten polt-
tisch-soziologischen Komplexe anwenden und in den Dienst der
verschiedensten politischen Interessen stellen. Sie ist nicht d ~ r adäquate Ausdruck einer B.ealität, sondern eine Forme.l, em
Zeichen, ein Signal. Sie ist unendlich vieldeutig und daher 1n der
I>
18
• J. e nach der Situation außerordentlich brauchbar oderrax h "
gänzlich wertlos. Sie verwendet den S u p e r l a ~ v "höcl!Ste Mac t.
als Bezeichnung einer realen Größe, obwohlm der vom Kausah-
tätsgesetz beherrschten Wirklichkeit kein einzelner Faktor her-
'ff n(l n11
t einem solchen Superlativ bedacht werd.e,nausgegn en u . . .kann. Eine unwiderstehl iche, mit naturges.e,tzhcher Steherbett
funktionierende höchste, das heißt größte Macht gibt es in der
politischen Wirklichkeit nicht; die Macht beweist nichts für d ~ s Recht und zwar aus dem banalen Grunde,, den Rousseau m
ü b e r ~ i n s t i m m u n g mit seinem ganzen Zeitalter so f o r m u l i e r ~ hat:·
La force est une puissance physique; le pistolet que l.e br1gand
al s Problem der Rechtsform un d d01· Entscheidung 27
tient csL aussi une puissance (Contrat social I 3) D'e V b' _], • , • 1 er m u ~ ~ g von f.aktiSch und rechtheb höchster Macht ist das Grundprobl.· mn
dc.-; Souveränitätsbegriffes. Hier liegen alle seine Schwierigkeiten,
und es handelt sich darum, eine Definition zu finden, die nicht
mit allgemeinen tautologischen Prädikaten, sondern durch diePt·äzisierung des juristisch Wesentlichen diesen Grundbegriff der
Jurisprudenz erfaßt.
Die eingehendste Behandlung des Souveränitätsbegriffes, die
aus den letzten J ahren vorliegt, versucht allerdings eine ein
fachere Lösung, indem sie eine Disjunkt ion: Soziologie _ Juri s
prudenz, aufstellt und mit einem simplistischen Entweder-Oder
etwas rein Soziologisches und etwas rein Juristisches gewinnt.
Kelsen hat in seinen Schriften "Das Problem der Souveränität
und die Theorie des Völkerrechts" (Tübingen 1 g:w) und "Ders ~ z i o l o g i s c h e und der juristische Staatsbegriff" (Tübingen 1 gn)
diesen Weg verfolgt. Alle soziologischen Elemente werden aus
dem juristischen Begriff ferngelassen, damit in unverfälschter
lleinheit ein System von Zurechnungen auf Normen und auf eine
letzte einheitliche Grundnorm gewonnen wird. Die alte Gegen
überstellung von Sein und Sollen, von kausaler und normativer
Betrachtung wird mit größerer Nachdrücklichkeit und Rigorosi
tät, als es bereits Georg Jellinek und Kistiakowski getan hatten,
aber mit derselben unbewiesenen Selbstverständlichkeit, auf denGegensatz von Soziologie und Jurisprudenz übertragen. Es scheint
zum Schicksal der juristischen Wissenschaft zu gehören, daß ihr
von irgendeiner anderen Wissenschaft oder von der Erkenntnis
theorie her solche Disjunktionen appliziert werden. Kelsen
kommt mit Hilfe dieses Verfahrens zu dem k e i n e s w ~ s über-
\
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 14/42
28II . Das Problem der Souveränität
h d R ultatdaß fü r die J. uristische Betrachtung der
rase en en es ,Staat etwas rein Juristisches sein müsse, etwas normativ Gelten-
des, also nicht irgendeine Realität oder ein Gedacht.es neben ~ d außer der Rechtsordnung, sondern nichts anderes als eben d1ese
Rechtsordnung selbst, freilich (daß hier das Problem liegt,
scheint keine Schwierigkeiten zu machen) als eine Einheit. Der
Staat ist also weder der Urheber noch die Quelle der Rechts-
dn. alle solche Vorstellungen sind nach Kelsen Personi-
or ung, . .fikationen und Hypostasienmgen, Verdoppelungen der emhelt-
lichen und identischen Rechtsordnung zu verschiedenen Sub
jekten. Der Staat, das heißt die Rechtsordnung, ist ein S y s t ~ m von Zurechnung!m auf einen letzten Zurechnungspunkt und eme
l t ~ t z t e Grundnorm. Die im Staat geltende über- und Unter
ordnung beruht darauf, daß von dem. einheitlichen Mitt elpunkt
bis zur untersten Stufe Ermächtigungen und Kompetenzen aus
gehen. Die höchste Kompetenz konunt nicht etwa einer Person
oder einem soziologisch-psychologischen Machtkomplex zu, son
dern nur der souveränen Ordnung selbst in der Einheit des
Normensystems. Für die juristische Betrachtung gibt es weder
wirkliche noch fingierte Personen, s o n d t ~ r n nur Zureclmungs
punkte. Der Staat ist der Endpunkt der Z u r e c h n ~ n ~ , ~ e r Punkt,
an dem die Zurechnungen, die das Wesen der Junstischen Be
trachtung sind, "haltmachen können". Dieser "Punkt" ist zu
gleich eine "nicht weiter ableitbare Ordnung". Ein durchgehendes
System von Ordnungen, ausgehend von . der u r ~ p r ü n g l i c h e n , letzten, höchsten zu einer niederen, das hetßt delegterten Norm,
kann auf solche Weise gedacht werden. Das entscheidende,
immer und immer von neuem wiederholte und gegen jeden
als Problem der Rechtsform un d der Entscheidung 29
wissenschaftlichen Gegner von neuem vorgebrachte Argument
bleibt immer dasselbe: der Grund fü r die Geltung einer Norm
kann wiederum nur eine Norm sein; der Staat ist daher fü r die
juristische Betrachtung identisch mit seiner Verfassun d, as
heißt der einheitlichen Grundnorm.Das große Wort dieser Deduktion ist "Einheit". "Die Einheit
des Erkenntnisstandpunktes fordert gebieterisch ein.e monistische
Anschauung.'' Der Dualismus der Methoden von Soziologie und
Jurisprudenz endet rn einer monistischen Metaphysik. Die Ein
heit der Rechtsordnung aber, das heißt der Staat, bleibt im
Hahmen des Juristischen von allem Soziologischen "rein". Ist
diese jurist ische Einhei t von derselben Art wie die welt
umfassende Einheit des ganzen Systems? Wie kommt es, daß ein
Haufe positiver Bestimmungen auf eine Einheit mit demselbenZurechnungspunkt zurückgeführt werden kann, wenn nicht die
Einheit eines naturrechtlicf1en Systems oder einer theoretischen
allgemeinen Hechtslehre, sondern die Einheit einer positiv gelten
den Ordnung gemeint ist? Worte wie Ordnung, System, Einheit
s i ~ d doch nu r Umschreibungen desselben Postulats, von dem ge
zeigt werden müßte, wie es sich in seiner H e i n l H ~ i t erfüllen läßt
wie es sich. fügt, ~ a ß auf der Grundlage einer "Verfassung" ( d i ~ entweder eme wettere tautologische Umschreibung der "Einheit"
oder ein brutales soziologisch-politisches Faktum bedeutet) einSystem entsteht. Die systematische Einheit ist nach Kels.en eine
"freie Tat der juristischen Erkenntnis". Sehen wir einmal ab
von der interessanten mathematischen Mythologie, nach welcher
ein Punkt eine Ordnung und ein System und identisch mit einer
Norm sein soll, und fragen wir, worauf die gedankliche Not-
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 15/42
30II . Das Problem der Souveränität.
wendigkeit und Objektivität der verschiedenen Z u r e c h ~ u n ~ e n auf
die verschiedenen Zurechnungspunkte beruht, wenn s1e mcht auf
einer positiven Bestimmung, das heißt auf einem Befehl, beruht.
Als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt, wird
immer wieder von der durchgehenden Einheit und Ordnung ge
sprochen; als bestände eine prästabilierte H a ~ m o n i e z ~ v i s c h e n d e ~ n Resultat einer freien juristischen Erkenntms und emem nur m
der politischen Wirklichkeit zu einer Einheit verbundenen Kom
plex, wird von einer Stufenleiter höherer und nwderer O r d n u n g ~ n gesprochen, die sich in allem finden lassen soll, was der .Tuns
prudenz an positiven Anordnungen auf den Tisch g e ~ o r f e n w i r ~ . Die normative Wissenschaft, zu der Kelsen die .Tunsprudenz m
aller Reinheit erheben will, kann nicht normativ in dem Sinne
sein, daß der Jurist aus eigener freier Ta t wertet; er kann nurauf ihm gegebene (positiv gegebene) w,erte beziehen. ~ a d u r c h scheint eine Objektivität möglich zu werden, aber kem not
wendiger Zusammenhang mit einer Positivität. Die Werte, a ~ l f die der Jurist bezieht, werden ihm zwar gegeben, aber er verhalt
sich ihnen gegenüber mit relativistischer Überlegenheit. Denn Cl'
kann aus allem eine Einheit konstruieren, wofür er sich juristisch
interessiert, wofern er nur "rein" bleibt. Einheit und Reinheit
sind aber leicht gewonnen, wenn man die eigentliche Schwierig
keit mit rrroßem Nachdruck ignoriert und aus formalen Gründenalles, wa: sich der Systematik widersetzt, als unrein ausscheidet.
Wer sich auf nichts einläßt und entschlossen methodologisch
bleibt ohne an einem einzigen konkreten Beispiel zu zeigen, worin
sich ~ e i n e Jurisprudenz von dem unterscheidet, was man bisher
als Jurisprndem: betrieb, hat es leicht, zu kritisieren. Die metho-
als Problem der Rechtsform un d der Entscheidung 31
dologischen Beschwörungen und Begriffsschärfungen und die
scharfsinnige Kritik sind nur als Vorbereitung wertvoll. Wenn
sie mit der Begründung, daß die Jurisprudenz etwas Formales
sei, nicht zur Sache kommen, so bleiben sie trotz allen Aufwandes
in der Antichambre der Jurisprudenz.Kelsen löst das Problem des Souveränitätsbegriffs dadurch, daß
et' es negiert. Der Schluß seiner Deduktionen ist: "Der Sou
~ · e r ä n i t l i t s b e g r i f f muß radikal verdrängt werden" (Problem der
Souveränität, S. 32o). In der Sache ist das die alte liberale Ne
~ i e r u n g des Staates gegenüber dem Recht und die Jgnorierung
des selbständigen Pl'Oblems der Rechtsverwirklichung. Diese Auf-
fassung hat eine bedeutende Darlegung gefunden durch H. Krabbe, l/·, n \.
dessen Lehre von der Rechtssouveränität ( 1906, unter dem Titel
"Die moderne Staatsidee" I 9 9 in zweiter deutscher vermehrterAusgabe erschienen) auf der These beruht, daß nicht der Staat,
sondern das Hecht souverän ist. Kelsen scheint hier nur einen
Vorläufer seiner Lehre der Identität von Staat und Rechtsordnung
zu s e h e n ~ In Wahrheit hat die Theorie Krabhes wohl eine gemein-
same, weltanschauungsmäßige Wurzel mit dem Resultat Kelsens;
aber gerade in dem, was Kelsen originell ist, in seiner Methodo-
logie, besteht kein Zusammenhang des holländischen Rechts
gelehrten mit den erkenntnistheoretischen und methodologischen
Distinktionen des deutschen Neukantianers. "Die Lehl'e von derRechtssouveränität ist", wie Krabbe sagt, "j e nachdem man es
nehmen will, entweder die Beschreibung eines wirklich bestehen-
den Zustandes oder ein Postulat, nach dessen Verwirklichung ge-
strebt werden soll" (S. 39)· Die moderne Staatsidee ootzt nach
Krabbe an die Stelle einer persönlichen Gewalt (des Königs, der
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 16/42
32 II . Das Problem der Souveränität
Obrigkeit) eine geistige Macht. "Wir leben jetz t nicht mehr unter
der Her rschaft von Personen, seien es natürliche oder konstruierte
(Rechts-) Personen, sondern unter der Herrschaft von Normen,
geistigen Kräften. Darin offenbart sich die moderne Staatsidee.''
"Diese Kräfte herrschen im strengsten Sinne des Wortes. Denndiesen Kräften kann, eben weil sie aus der geistigen Natur des
Menschen hervorgehen, freiwillig Gehorsam geleistet werden."
Die Grundlage, die Quelle der Rechtsordnung, ist "nur in dem
Rechtsgefühl und Rechtsbewußtsein der Volksgenossen zu finden''.
"über diese Grundlage läßt sich nicht weiter diskutieren: sie ist
die einzige, welche Wirklichkeitswert besitzt." · Obwohl Krabbe
sagt, er befasse sich nicht mit soziologischen Untersuchungen
über die Formen der Herrschaft (S. 7S), macht er doch wesent
lich soziologische Ausführungen über die organisatorische Gestaltung des modernen Staates, in welchem sich das Berufs
beamtentum als selbständige obrigkeitliche Gewalt mit dem Staat<e
identifiziert und das Beamtenverhältnis als etwas spezifisch
öffentlich-rechtliches, von dem gewöhnlichen Dienstverhältnis
Verschiedenes hinstellt. Der Gegensatz von öffentlichem und pri
vatem Recht, sofern er sich auf einen Unterschied in der Wirk
lichkeit der Subjekte stützt, wird radikal abgelehnt (S. I 38). Die
Weiterentwicklung der Dezentralisation und Selbstverwaltung auf
allen Gebieten soll die moderne Staatsidee immer deutlicher her
vortreten lassen. Nicht der Staat, sondern das Recht soll die Macht
haben. "Das alte, stets wieder aufs neue aufgestellte Merkmal des
Staates, die Macht, und die Begriffsbestimmung dieses Staates als
einer Machterscheinung, können wir auch weiterhin zulassen
unter dieser einzigen Bedingung, daß in bezug auf dies,e Macht
als Problem der Rechtsform und der Entscheidung33
anerkannt wird, daß sie sich im Rechte offenbart und in keiner
anderen Weise als durch Erlassung einer Rechtsnorm sich zur
Geltung bringen kann. Zugleich ist dann aber auch hieran festzu
halten, daß ausschließlich in der Erzeugung des Rechts, sei es
mittels der Gesetzgebung, sei es auf dem Wege des umgeschrie
benen Rechts , der Staat sich kenntlich macht. Nicht also in der
~ ~ a w q t l ~ ~ l ! ! ~ Y 9 n Gesetzen oder der Wahrnehmung irgendwelcher
offentlicher Interessen" (S. 2 55). Der Staat hat nur die Aufgabe,
das Recht zu "bilden", das heißt die Feststellung des Rechts
wertes der Interessen (S. 2 61 ).
" N i c ~ t ~ u r c h Beherrschung irgendwelcher Interessen, sondern
ausschheßhch durch die eigene ursprüngliche Rechtsquel1e, von
woher alle jene Interessen und alle sonstigen Interessen ihren
~ e c h t s w e r t erhalten" (S. 2 6o). Der Staat wird ausschließlich auf
~ l e R e ~ h t s p r o d u k t i o n beschränkt. Das bedeutet aber nicht, daß er
mhalthch Recht produziere. Er tut nichts als d R ht, en ec swert
von Interessen, wie er sich nach dem Rechtsbewußtsein der Volks-
genossen ergibt, feststellen. Darin liegt eine doppelte Beschrän
kung; nämlich einmal die auf das Hecht, im Gegensatz zu Inter
esse, Wohlfahrt, also das, was in der Kautischen Rechtslehre
Materie heißt; zweitens auf den deklaratorisch·en I'n I . W ., r·emer eise
konstitutiven Akt der Feststellung Daß g r d . d' I ~ · e a e m teser 'es t-
stellung das Problem des Rechts als einer substanziellen Forr . mtegt, wtrd sich aus dem Folgenden ergeben. Bei Krabbe muß
beachtet werden, daß der Gegensatz von Recht und Interesse f" .~ 'h wl n mc t der Gegensatz von Form und Materie 1st u r
.. . . n enn er sagt,alle offentliehen Interessen seien dem Recht unterwoi·f b
en, so e-aSchmit t , PolitischeTheologie
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 17/42
t '
I ',
II . Das Problem der Souveränität
34
deutet das: im ·modernen Staat ist das Rechtsinteresse das höchst.e
Interesse, der Rechtswert der höchste Wert.
Der gemeinsame Gegensatz zum zentralistischen Obrigkeits-
staat bringt Krabbe in die Nähe der Genossenschaftstheorie. Sein
Kampf gegen den Obrigkeitsstaat und gegen die Juristen des
Obrigkeitsstaates erinnert an die bekannten Schriften von Hugo
Preuß. Gierke selbst, der Begründer der Genossenschaftstheorie,
formulierte seinen Staatsbegriff dahin, daß der "Staats- bzw.
Herrscherwille nicht die letzte Quelle des Rechts, sondern das
berufene Organ des Volkes fü r den Ausspruch des vom Volks
leben hervorgebrachten Rechtshewußts.eins sei" (Grundbegriff·e
des Staatsrechts, S. 3 I). Der persönliche Wille des Herrschers
wird in den Staat als in ein organisches Ganzes eingefügt. Doch
sind fü r Gierke H.echt und Staat "ebenbürtige Mächte", und die
grundlegende Frage nach ihrem gegens.eitigen Verhältnis beant
wortet er dahin, daß beide zwei selbständige Faktoren d·es
menschlichen Gemeinlebens sind, das eine nicht ohne das andere
denkbar, aber keines durch das andere oder vor dem anderen
bestehend. Bei revolutionären Verfassungsänderung·OO ·liegt ein
Rechtsbruch vor, eine Durchbrechung der H.echtskontinuität, die
ethisch geboten oder geschichtlich berechtigt sein kann; aber ein
"echtsbruch bleibt. Doch kann er geheilt werden und nachträg-
lich einen Hechtsgrund erhalten "durch irgendeinen fü r das
Rechtsbewußtsein des Volkes ausreichenden rechtlichen Vorgang",
z. B. eine Verfassungsvereinbarung oder Volksabstimmung oder
die heiligende Macht der Gewohnheit (S. 35). Es besteht die
Tendenz, daß Recht und Macht sich finden und dadurch der
sonst unerträgliche "Spannungszustand" beseitigt wird. Die Eben-
niR Problem ller Reehtsf'o 1 Im um <er Entschei1Iung 3r;. ,)
bürtigkei t des Staates wird ll d' .nach Gierke die staatlich Ga ter tbngs dadurch verdunkelt, daß
e ese zge ung nur d I t fSiegel" ist, welches der St t d " as e zte ormelleaa em Recht aufd .. 1 ·liehe Ausprägung", die nur . .. ruc' ' eme "staat-
emen "außeren formalen W " halso nur das ist was Krabb· . bl ·ert at,
' e eme oße Festst ll dwertes nennt, die aber . ht e ung es Rechts-mc zum Wesen des Rechts h"
halb nach Gierke das V"lk h ge ort, wes-o errec t Recht sein I hliebes Recht zu sein w· d d S {ann, o ne staat -
. ll ' er taat auf d' . V' · ·des bloß dekl · d V · tese ·v eise m die Rolle
aneren en Herolds ed ..souverän sein. Preuß .ko t . gd rangt, so kann er nicht mehr
nn e nu t en Arg t dschaftstheorie den So .. . .. b . umen en er Genossen-
uveramtats egriff als ein R . d
Obrigkeitsstaates ablehnen und . d eSI uum desunter sich aufba d G . m em genossenschaftlich von
uen en ememwesen ein 0 . . .die das Herrschaftsmonor lol nicht I I e Igamsahon finden,
S
Jrauc 1t und dahe1
houveränität auskommt U t . d r auc 1 o ne. n eJ en lleueren Vert. t d
noss·enschaftstheorie hat u r I d . Ie ern er Ge-vvo zen orff auf Jh. G dProb · - ~ ~ · · · · · · · · 1
er run lage dasem emer neuen Staalser)Oche" , I" "
l l
. w osen versucht V ·za 1 reichen Aufsätzen ( , :·I . · on semenmwamt sc1en· D 1 1denken, H )I
9; Die I .. 0' d .. · eu sc Ies Völkerrechts-
, ... ut>e es Volkerrechts I . G .Staatsrechls
19?.
0. D . . ., 9
1
9• e1st d.es' ·" ' ei reme Staat I92o) . t .
meisten die letzte S ·I ·'ft D . .' " m eresswrt hier amc ui " er reme Staat" s·. .
daß der Staat das Recht d d R . Ie geht davon aus,un as echt den St t b
,,das Recht als das tiefere p : . .. aa raucht, aber
in Banden". Der Staat . t o n z ~ : h ~ l t letzten Endes den StaatIS ursprunghebe H 1
er ist es als di M h errsc lergewal t; abere ac t der Ordnung als die F "
Iebens, nicht als ein b1
b' ' " orm des Voiles-e Je Iger Zwang d h · .
Von dieser Macht . d I urc Irgendeme Gewalt.. Wir ver angt, daß sie . . . .d ~ e freie, individuelle od nm emgreife, soweit
3 * er genossenschaftliche Tat unvermögend
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 18/42
11. Das Problem der Souveränität
. . . Hintergrund bleiben; das Otd-. . ll al ulttma tatlO ID l • 1 dtst; sle so s . . ts h ftlichen noch soZla en o er
. d f wedet mi t wn c anungsmäßtge al' d weil diese der Selbst-
verknüpft wer en,kultmellen Interessen .. D ß zm Selbstverwaltung
b 1 n werden mussen. a ff
venvaltung ü er asse .. d" ft allerdings Wolzendor .s'f " ehort ur eeine gewisse "Rel e g ' .. . d nn solche historisch-
f"h r h werden konnen, e . hPostulaten ge a r lC . d eschichtlichen Wirkhc -
. p bl me nehmen m er g .pädagogtSchen ro e von der DiskusSIOD zur
· rwartete Wendung fkeit häufig eme une . t · Staat der sich au
ff . er Staat lS em 'Diktatur. Wolzendor s rem D hört auch die Rechts-
f ktion beschränkt. azu geseine Ordnungs un . . p blem des ß.estand,es der
'1 all Recht zugleich em robildung, wet es ll d s Recht bewahren; er
0 d ist Der Staat so a .staatlichen r nung · h ls Hüter nicht bloß em
. ht G bieter" aber auc a
ist "Hüter, nie e ' tl' h r und letztentscheiden-. " d rn verantwor lC e"blinder Dtener 'son e ,, . ht VVolzendorff eine Äuß,erung
" I Rätegedanken sieder Garant . m h ftli hen Selbstverwaltung, zur
d genassense a c kdieser Ten enz zur . . . " zustehenden Fun -
.. k d Staates auf dte Ihm "remBeschran ung es
tionen. d ff 'eh bewußt gewesen ist,. h d ß Wolzen or SI
Ich glaube mc t, a d letztentscheidenden Ga-. . der Wendung von em " .
wte sehr er mi t f1. h d demokratischen Staats-
" . d nossenscha t tc en un .rauten emer er ge t r'tären Staatstheone
t eaengesetzten au 0 1
auffassung extrem en g ~ . l ' bb un d den genannten Ver. t Gegenuber "-ra enahegekommen IS . . . t di letzte Schrift Wolzen-
chaftstheone 1S esetreternder Genassens . s· brinat die Diskussion au f
dorffs deshalb besonders. w i c h ~ l g . l i hte d n ~ e r Form im substan-'d d Begnff nam c e
den entschet en en ' · h wird so hoch be-. ie Macht der Ordnung an stc
ziellen Smne. D , . Selbständ iaes, daß
d die Garantiefunktion Ist etwas so owertet, un
als Problem der Rechtsform un d der Entscheidung 37
der Staat nicht mehr nur der Feststeller oder "äußerlich formale"
Umschalter der Rechtsidee ist. Es erhebt sich das Problem, wie-
1
weit in jeder Feststellung und Entscheidung mit rechtslogischer
Notwendigkeit ein konstitutives Element enthalten ist, ein Eigen
wert der Form. VVolzendorff spricht von der Form als einem"sozial-psychologischen Phänomen", einem wirkenden Faktor des
historisch-politischen Lebens, dessen Bedeutung darin besteht,
daß er den gegeneinander wirkenden politischen Triebkräften die
Möglichkeit gibt, in der gedanklichen Struktur der staatlichen
Verfassung ein feststehendes Element konstruktioneUer Berech
nung zu erfassen (Arch. d. öfi. Hechts, Bd. 3 ( ~ , S. !177). DerStaat
wird also zu einer Form im Sinne einer Lebensgcstaltung.
Zwischen einer Gestaltung, die dem Zweck ber,cchcnbaren Funk
tioniereng dient, und einer Form im ästhetischen Sinne, so wiedas Wort etwa bei Hermann Hefele gehraucht wird, hat Wolzen
dorfi nicht deutlich unterschieden.
Die Verwirrung, die sich in der Philosophie um den Begriff der
Form verbreitet, wiederholt sich hier besonders unheilvoll in der
Soziologie und der Jurisprudenz. Hechtsform, technische Form,
ästhetische Form und schließlich der Formbegriff der tran
szendalen Philosophie bezeichnen wesentlich verschiedene Dinge.
In der Rechtssoziologie Max Webers kann man drei Begriffe der
Form unterscheiden. Einmal ist fü r ihn die begriffliche Präzi
sierung des rechtlichen Inhaltes dessen rechtliche Form, die
normative Regelung, wie er sagt, aber nu r als "kausale Kompo
nente des Einverständnishandelns". Dann, wo er von der Diffe
renzierung der Sachgebiete spricht, wird das Wort formal gleich
bedeutend mi t rationalisiert, fachmäßig geschult und schließlich
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 19/42
38II . Das Problem der Souveränität
I 1 b 1 1.1
0s·
1o·t e1· llaß ein formell entwickeltes Recht ein
)erec lCll a · LJ < tJ ' .
Komplex bewußter Entscheidungsmaximen ist, und daß sozio-
logisch dazu die Mitwirkung von geschulten R e c h t s k u n d i g e ~ , ~ c -amtetcn Trägern der Rechtspflege usw. gehört. FaclunaßJgc
Schulung, das h e i l ~ t (sie!) rationale Schulung, wird mit steigen
llem Verkehrsbedürfnis notwendig, woraus sich die moderne
1\ationalisierung des Rechts zum spezifisch-juristischen und die
Herausbildung "formaler Qualitäten" ergibt (Rechtssoziologie II ,
~ 1). Form kann also bedeuten: erstens die transzendentale "Be
dingung" juristischer Erkenntnis; zweitens eine gleichmäßige,
aus wiederholter übung und fachmäßigem Durchdenken ent
stehende Hegelmäßigkeit, die weg.en ihrer Gleichmäßigkeit und
Berechenbarkeit übergeht in die dritte, "rationalistische" Form,
das heißt eine aus den Notwendigkeiten des Y·erkehrs oder auch
der Interessen einer juristisch gebildeten Bürokratie entstehende,
auf Berechenbarkeit gerichtete technische Vervollkornmnung, die
beherrscht ist von dem Ideal reibungslosen Funktionierens.
Auf den Formbegriff der Neukantianer braucht hier nicht ein
gegangen zu werden. Was die technische Form . a n g ~ h t , s ~ be
deutet sie eine Präzisicrung, die von ZweckmäßigkCltsgestehls
punkten beherrscht ist und sich zwar auf den organisierten staat
lichen Apparat anwenden läßt, aber das "Justizförmige" nicht
trifft. Der militärische Befehl wird in seiner Präzision einemtechnischen, nicht einem Rechtsideal gerecht. Daß er ästhetisch
bewertet werden kann, vielleicht auch Zeremonien zugänglich ist,
ändert nichts an seiner Technizität. Die uralte aristotelische
Gegenüberstellung von cleliberare und agere geht von zwei ver
schiedenen Formen aus; das deliberare ist einer Rechtsform zu-
als Problem der Rechtsform un d der Entscheidung 39
gänglich, das agere nur einer technischen Formierqng. Die
Rechtsform wird beherrscht von der Rechtsidee und der Not
wendigkeit, einen Rechtsgedanken .auf eine.n konkreten Tatbestand
anzuwenden, das heißt von der Rechtsverwirklichung im weitesten
Sinue. Weil die Rechtsidee sich nicht selbst verwirklichen kann' '
bedarf es zu -jeder Umsetzung in die Wirklichkeit einer beson-
deren Gestaltung und Formung. Das gilt sowohl fü r die Formie
rung eines allgemeinen Rechtsgedankens in einem positiven Ge-
_setz als auch fü r die Anwendung einer positiven generellen
Rechtsnorm in der Rechtspflege oder Verwaltung. Hiervon ist bei
einer Erörterung der Eigenart der Rechtsform auszugehen.
Was bedeutet es, wenn heule in der Staatslehre der Formalis
mus der Neukantianer beiseite geworfen, gleichzeitig aber von
einer ganz anderen Seite her eine Form postuliert wird? Ist daseine jener ewigen Vertauschungen, welche die Geschichte der
Philosophie so monoton machen? Eines ist jedenfalls in diesem
Bestreben der modernen Staatslehre sicher zu erkennen: die Form
soll aus dem Subjektiven ins Objektive verlegt werden. Der Form-
begriff der Kategorienlehre von Lask ist noch subjektiv, wie das
zu jeder erkenntniskritischen Einstellung gehört. Kelsen wider
spricht sich selbst, wenn er einmal einen solchen kritisch ge
' ~ o n n e n e n subjektivistischen Formbegriff zum Ausgangspunkt
mmmt und die Einheit der Rechtsordnung als eine freie Tatjuristischen Erkennens auffaßt, dann aber, wo er sich zu einer
Weltanschauung bekennt, Objektivität verlangt und selbst dem
Hegeischen Kollektivismus den Vorwurf des Staatssubjektivismus
l ~ a c h t . ?i e Objektivität, die er fü r sich beansprucht, erschöpft
Sich dal'ln, daß er alles Personalistische vermeidet und die Rechts-
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 20/42
40 ·II .Das Problem der Souveränität
ordnung auf das unpersönliche Gelten einer unpersönlichen Norm
zurückführt.
Die verschiedensten Theorien des Souveränitätsbegriffes -
Krabbe, Preuß, Kelsen - verlangen eine solche Objektivität,
wobei sie sich darüber einig sind, daß alles Persönliche aus dem
Staatsbegriff verschwinden muß. Persönlichkeit und Befehl ge
hören für sie offenbar zusammen. Nach Kelsen ist die Vorstellung
vom persönlichen Befehlsrecht der eigentliche Irrtum der Lehre
von der Staatssouveränität; die Theorie vom Primat der staat
lichen Rechtsordnung nennt er "subjektivistisch" und eine Nega
tion der Rechtsidee, weil der Subjektivismus des Befehls an die
Stelle der objektiv geltenden Norm ges.etzt werde. Bei Krabbe
verbindet sich der Gegensatz von Persönlich und Unpersönlich
mit dem von Konkret und Allgemein, Individuell und Generell,und man kann ihn weitertreiben zu dem von Obrigkeit und
Hechtssatz, Autorität und Qualität und in seiner allgemeinen phi
losophischen Formulierung zum Gegensatz von Person und Idee.
Es entspricht der rechtsstaatliehen Tradition, in dieser Weise den
nersönlichen Befehl der sachlichen Geltung einer abstrakten Norm
~ n t g e g e n z u s t e l l e n . In der Rechtsphilosophie des I g. Jahrhunderts
hat das zum Beispiel Ahrens besonders deutlich und interessant
ausgeführt. Fü r Preuß und Krabbe sind alle Persönlichkeitsvor
stellungen historische Nachwirkungen aus der absoluten Monarchie. Alle diese Einwendungen verkennen, daß die Persönlich
keitsvorstellung und ihr Zusammenhang mit der formalen Auto
rität einem spezifisch juristischen Interesse entsprungen ist,
nämlich einem besonders klaren Bewußtsein dessen, was das
Wesen der rechtlichen Entscheidung ausmacht.
als Problem de1· Rechtsform un d der Entscheidung 41Eine solche. Entscheidung im weitesten Sinne gehört zu j-eder
rechtlichen Perzeption. Denn jede r Rechtsgedanke überführt die
niemals in ihrer Reinheit Wirklichkeit werdende R·echtsidee in
einen anderen Aggregatzustand und fügt ein Moment hinzu, das
sich weder aus dem Inhalt der Rechtsidee noch, bei der Anwen
dung irgendeiner generellen positiven R·echtsnorm, aus deren In
halt entnehmen läßt. Jede konkrete juristische Entscheidung ent
hält ein Moment inhaltlicher Indifferenz, weil der juristische
Schluß nicht bis zum letzten Rest aus seinen Prämissen ableitbar
ist, und der Umstand, daß eine Entscheidung notwendig ist, ein
selbständiges determinierendes Moment bleibt. Dabei handelt es
sich nicht um die kausale und psychologische Entstehung einer
solchen Entscheidung, obwohl auch hierfür die abstrakte Ent
scheidung als solche von Bedeutung ist, sondern um die Bestimmung des rechtlichen Wertes. Soziologisch tritt das Interesse an
der Bestimmtheit der Entscheidung besonders im Zeitalter einer
intensiven Verkehrswirtschaft hervor, weil der Verkehr in zahl
losen Fällen häufig weniger Interesse an einem bestimmt ge
arteten In halt als an einer berechenbaren Bestimmtheit hat. (Oft
interessiert es mich weniger, wie der Fah rplan im einz·elnen Falle
die Abfahrt- oder Ankunftzeit festsetzt, als daß er zuverlässig
funktioniert, so daß ich mich danach richten kann.) Im recht
lichen Verkehr bietet die sogenannte "formal·e Wechselstrenge"des Wechselrechts ein Beispiel solchen Interesses. Mit dieser Art
Berechenbarkeit ist das rechtliche Interesse an der Entscheidung
als solcher nich t zu vermengen. Es ist in der Eigenart des Norma
tiven begründet und ergibt sich daraus, daß ein konkretes Faldum
konkret beurteilt werden muß, obwohl als Maßstab' der Beur-
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 21/42
42II . Das Problem de r Souveränität
teilmw nur ein rechtliches Prinzip in seiner generellen Allge-o .
· 1 't eben ist So liegt ]. edesmal ·eine Transformatton vor .mem1m geg .Daß die Rechtsidee sich nicht aus sich selbst umsetzen kann,
er.ribt sich schon daraus, daß sie nichts darüber aussagt, wer sie
· 0 1 11 Itl1·edct· Umformung liegt eine auctoritatis inter
auwenc en so .positio. Eine unterscheidende Bestimmung darü.ber, welche in-
diYiduelle Person oder welche konkrete Instanz eme solche Auto
rität fü r sich in Anspruch nehmen kann, ist aus der bloßen
Hechtsqualität eines Satzes nicht zu entnehmen. Das ist die
Schwierigkeit, die Krabbe beständig ignoriert. . . .
Daß es die zuständige Stelle W<H', die eine Enlschmdung lallt,
macht die Entscheidung relativ, unter Umständen auch absolut,
unabhängig von der H.ichtigkeit ihres Inhaltes undschneidet die
weitere Diskussion darüber, ob noch Zweifel bestehen können,
~ b . Die Entscheidung wird im Augenblick unabhängig von der
t. den Begründung und erhält emen s·elbständigen
argumen ICren .Wert. In der Lehre vom fehlerh,dten Staatsakt offenbart s1ch
das in seiner ganzen theoretischen und praktischen B e d e u t u ~ g . Der unrichtigen und fehlerhaften Entscheidung k o m ~ t eme
Hechtswirkung zu. Die unrichtige Entscheidung enthält em kon
stitulives Moment, gerade wegen ihrer Unrichtigkeit. Aber es
liegt in det' Idee der Entscheidung, d a ( ~ es überhaupt keine ab
solut deklaratorischen Entscheidungen geben kann. Von dem Inhalt der zugrundeliegenden Norm aus betrachtet ist jenes kon-
. stitutive, spezifische Entscheidungsmoment etwas Neues . und
: ')Fremdes. Die Entscheidung ist, normativ b e t r a c ~ t ~ t , a ~ s emem .
JNichts geboren. Die rechtliche Iüaft der DeziSIOn 1st e t w ~ s '' anderes als das H.esultat der Begründung. Es wird nicht mit
/ i f,r
(/ '
als Problem der Rechtsform und der Entscheidmw"
43
Hilfe einer Norm zugerechnet, sondern umgekehrt; e1·st voll
einem Zurechnungspunkt aus bestimmt sich, was eine N o r ~ und
was normative Richtigkeit ist. Von der Norm aus ergibt sich
kein Zurechnungspunkt, wndern nur eine Qualität eines Inhaltes.
Das Formale im spezifisch-rechtlichen Sinne liegt in einemGegensatz :w dieser inhaltlichen Qualität, nicht zu der quantita
tiven Inhaltlichkcit eines Kausalzusammenhanges. Denn d a ( ~ dieser letzte Gegensalz fü r die Hechtswissenschaft nicht in Be
tracht komml, sollte sich eigentlich von selbst verstehen.
Die spezifische Eigenart der Hechtsform muß in ihrer rein
juristischen Natur erkannt werden. Hier sollen nicht Spekula
tionen angestellt werden über die philosophische Bedeutung der
l\echtskraft einer Entscheidung oder die unbewegliche, von Zeit
und Baum unberührte "Ewigkeit" des Hechts,von
der Mcrkl(Arch. d. öffentl. Rechts, I gq, S. I g) gesprochen hat. Wenn
er sagt: "Eine Entwicklung der Hechtsform ist ausgeschlossen,
denn sie hebt die Identität auf", so verrät er damit, daß im
Grunde eine grob-quantitative Vorstellung von Form bei ihm
wit·ksam ist. Von dieser Art Form aus ist es allerdings unerklär
lich, wie ein personalistisches Moment in die Lehre von Hecht
uucl Staat hineinkommen kann. Es entspricht der uralten rechts
staatlichen Tradition, die immer davon ausgegangen ist, daß nur
ein genereller Rechtssatz maßgebend sein dürfe. The Law g ~ v e s authority, sagt Locke und braucht hier das Wort Gesetz in be
wußter Antithetik zur commissio, das heißt dem persönlichen
Befehl des Monarchen. Aber er sieht nicht, daß das Gesetz nicht
sagt, we m es Autorität gibt. Es kann doch nicht jeder jeden be
liebigen Rechtssatz vollstrecken und realisieren. Der Rechtssatz
! \
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 22/42
44 II . Das Problem der Souveränität
als Entscheidungsnorm besagt nur, wi e entschieden werdoo soll,
aber nicht, wer entscheiden soll. Auf die inhaltliche Richtigkeit
könnte sich jeder berufen, wenn es keine letzte Instanz gäbe.
Die letzte Instanz ergibt sich aber nicht aus der Entscheidungs
norm. Demnach ist die Frage die nach der Kompetenz; eineFrage, die sich aus der inhaltlichen Rechtsqualität eines Satzes
heraus nicht einmal erheben, viel weniger beantworten läßt.
Kompetenzfragen damit zu beantworten, daß au f das materielle
hingewiesen wird, heißt, einen zum Narren halten.
- Es gibt vielleicht zwei Typen juristischer Wissenschaftlichkeit,
die man danach bestimmen kann, wie weit ein wissenschaftliches
Bewußtsein von der normativen Eigenheit der rechtlichen Ent
scheidung besteht oder nicht. De r klassische Vertreter des (wenn
ich dies Wort bilden darf) dezisionistischen Typus ist Hobbes.Aus der Eigenart dieses Typus erklärt es sich auch, da ß er, und
nicht der andere Typus, die klassische Formulierung der
Antithese gefunden hat: Autoritas, non veritas facit Iegern
(Leviathan, Kap. 26). Die Antithese von autoritas und veritas is t
radikaler u n d ~ J : l r ä z i s e r als Stahls Gegenüberstellung\Ailtorität,
nichf Majoritätl Hobbes ha t auch ein entscheidendes Argument
vorgebracht, welches den Zusammenhang dieses DezisiO'Ilismus
mit dem Personalismus enthält und alle Versuche, an die SteHe
der konkreten Staatssouveränität eine abstrakt geltende Ordnungzn setzen, ablehnt. Er erörtert die Forderung, da ß die staatliche
Gewalt der geistlichen Gewalt unterworfen sein muß, weil die
geistliche Gewalt eine höhere Ordnung sei. Auf eine solche Be
gründung gibt er die Antwort: Wenn eine ,,Gewalt" (Power,
potestas) der andern unterworfen sein soll, so bedeutet das nur,
als Problem der Rechtsform un d der Entscheidung45
daß derjenige, der die Gewalt ha t dem.. . d .G alt h ' Jemgen, er die andere
ew at, unterworfen sein soll; he whi h h th h .. b . . c a t e one PowerlS su Ject to lnm that hath the other D ß
U · a mau von üb e . dnterordnun · h . I - un
. . . g spnc .t und srch gleichzeitig bemüht, abstrakt
blmben, Ist ihm unverständli h ( . zu. . c "we cannot understand") FSubJechon, Command, Right and p . . ,, or
Powers but of p " ower are acCidents, not of. ersons ( cap. 42). Er illustriert das durch .
Jener Vergleiche, die er in der unbeirrten N" ht h . emend uc ern eit seines
gesun en Menschenverstandes so schlagend b . .eine Gewalt oder Ordnun k . . anzu rmgen wmß:
. . . g ann emer andern so unterwodensem, ww die Kunst des Sattlers der des R 't
er ers unterworfe . taber das Wesentliche ist doch daß trot di ab n ls ;1 't ' z eser · strakten Stuf.en-m er von Ordnungen niemand daran denkt de . .
zeinen Sattler · d . . ' shalb den em-Je em emzelnen Rmter zu unterwerfen und zurn
Gehorsam zu verpflichten.
Daß einer der 1. wnsequentesten Vertreter der abst 1 i\ r1 f l
. .ra <: en l ~ a t u r WISsensc la trchkeit des I 7 Jah h d • -· · r un erts so personalistisch · dIst auffallend. Es Prklärt s' 1 I d Wir '
, , Ic 1 a )e r araus d ß 1 . . .D I . b . ' a ., er a s Juristischer
en <:et e ensosehr ehe effektive Wirklichkeit dliehen L b · " - - - ~ ~ ~ ~ - ~ es gesellschaft-
e ens Wie als Ph'l , 1 dDenker die Wirklichk '. ~ . osop I un naturwissenschaftlicher
. . . ~ . . , , , ~ ~ ~ . ~ ~ I ~ t dei Natur erfa.'lsen will D ß .JUnshsche Wirklichkeit und Leb di 1 . . . a es emcw· ·k r h1 . en g <.Clt gibt, die nicht die
u rc <.elt der natmwissenschaftlichen Reall'ta" t . bI t · · zu sem raucht~ ~ : l a ~ : i : : : n : ~ ~ ~ = u ~ S t l ~ e m a c h t . Auch sind mathematischet:mma Ismus nebeneinand . I
scheint öfters die er Wir <.sam ErEinheit des Staates von J'edem h 1' b' .
gebene p kt e Ie Ig ge-n un aus konstruieren zu können Ab d . . .
Denken war damals 1 . . er as JUnst.Ischenoc 1 mcht so vom naturwissenschaftlichen
'p ' \1
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 23/42
46 JT. Das P r ~ b l e m der Sonverlinitiit nlR Prohlem d!w Tiechtsform
überwältigt, daß er bei der Intensität seiner W i s s . e n s c h a f t l i c h ~ keit an der in der Rechtsform liegenden spezifischen Realität
des Rechtslebens ahnungslos hätte vorbeigehen können. Die Form,
die er sucht, liegt in der konkreten, von einer bestimmten In-
stanz ausgehenden Entscheidung. Bei der selbständigen Be-deutung der Entscheidung hat das Subjek t der Entscheidung
eine selbständige Bedeutung neben ihrem Inhalt. Es kommt für
die Wirklichkeit des Rechtslebens darauf an, wer entscheidet
Neben der Frage nach der inhaltlichen Richtigkeit steht die Frage
. nach der Zuständigkeit. In dem Gegensatz von Subjekt und In-
halt der Entscheidung und in der Eigenbedeutung des S u b j e k t s ~ liegt das Problem der juristischen Form. Sie hat nicht die aprio-
rische Leerheit der transzendentalen Form; denn sie entsteht ge-
rade aus dem jurist isch Konkreten. Sie ist auch nicht die Formder technischen P rüzision; denn diese hnt ein wesentlich sach-
liches, unpersönliches Zweckinteresse. Sie ist endlich auch nicht
die Form der ästhetischen Gestaltung, die eine Dezision nicht
kennt.
IH.
Politisme 'fheologie
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 24/42
Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind sä
_t-'\_kularisierte theologische Begriffe. Nicht nur ihrer historischen Entwicklung nach, weil sie aus der Theologie auf die
Staatslehre übert ragen wurden, indem zum Beispiel der all
mächtige Gott zum omnipotenten Gesetzgeber wurde, sondern
auch in ihrer systematischen Struktur, deren Erkenntnis not
wendig ist fü r eine soziologische Betrachtung dieser Begriffe.
Der Ausnahmezustand hat fü r die Jurisprudenz eine analoge Be-11deutungwie das Wunder für die Theologie. Erst in dem Bewußt~ solcher analogen S!ellung läßt sich die Entwicklung er- I
kennen, welche die staatsphilosophischen Ideen in den letztenJahrhunderten genommen haben. Denn die Idee des modernen
Hechtsstaates setzt sich mit dem Deismus durch, mit einer Theo-,...... ..--·-- - --. . - --- '- \\ j
logie und Metaphysik, die das Wundet' aüs-der Welt verweist und \
-die im Begriff des Wunders enthaltene, durch ein-en unmittel-
baren Eingriff eine Ausnahme statuierende Durchbrechung der
Naturgesetze ebenso ablehnt wie den unmittelbaren Eingriff des
Souveräns in die geltende Rechtsordnung. Der Rationalismus der
Aufklärung verwarf den Ausnahmefall T ~ - - jf;lder Form. Die,
theisti&che Überzeugung der konservativen Schriftsteller der
Gegenrevolution konnte daher versuchen, mit Analogien aus
einer theistischen Theologie die persönliche Souveränität des
Monarchen ideologisch zu stützen.
Seit langem habe ich auf die fundamentale systematische und
methodische Bedeutung solcher Analogien hingewiesen (Der4 Seh ml tt , Politlsc,he Theologie
': \
\ '
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 25/42
50III. Politische Theologie
Wert des Staates, I9I4; Politische Romantik, I9I9; Die D i ~ -) E. ausführl iche Darlegung der Bedeutung, dw
tatur, I 92 I . me
d B'ff d Wunders in diesem Zusammenhange hat, muß
er egn es. h . f" m'e andere Stelle vorbehalten. H ~ e r interessiert n u r ~ 1C m1r ur e
. 't d' r Zusammenhang für eine S o z i o l o g ~ e juristischerw1e we1 1ese
Begriffe in Betracht kommt. Die i n t e r ~ s s a n t e _ s t e p o l i t i s c h ~ Ver-
cl ti Analogien findet s1ch bm den katholiSchen
wertung erar ger .Staatsphilosophen der Gegenrevolution, bei Bonald, de ~ a i s t r e und Donoso Cortes. Bei ihnen ist auch auf den ersten B h c ~ { zu
1l daß es sich um eine begrifflich klare, systematiSche
er wnnen, .Analogie und nich t um irgendwelche mystischen, n a t u : h i l ~ -sophischen oder gar romantischen Spielereien handelt, dte, Wi e
für alles andere, so natürlich auch fü r Staat und G e s e l l s ~ h a f t bunte Symbole und Bilder finden. Die klarste philosopbtscheÄußerung über jene Analogie steht aber in der Nova ~ e t h o d u s (§§ 4, 5) von Leibniz. Er lehnt die Vergleichung ~ e r Junspru.denz
. d M d' 'n ·•nd der Mathematik ab, um dw systematischemi t er e 1z1 u
Verwandtschaft mit der Theologie zu betonen: "Merito p a r t i ~ i o n i s 1 Tbeoloma ad J urisprudentiam transtuhmus,
nostrae exemp um a o- .
quia mira est utriusque Facultatis s i m i l i t u d ~ . " B e i ~ e .haben em
duplex principium, die ratio (daher gibt es eme ~ a t u P l . I C h e Theo
logie und eine natül'lliche Jurisprudenz) und dle scnptura, das
heißt ein Buch mit positiven Offenbarungen und Anordnungen.Adolf Menzel hat in einem Aufsatz "Naturrecht und Sozio
logie" (Wien I 9 I 2) bemerkt, daß heute die Soziologie Funk
tionen übernommen hat, die im I 7· und I 8. Jahrhundert das
Naturrecht ausübte, nämlich Gerechtigkeitsforderungen, ge
i scbichtsphilosophische Konstruktionen oder Ideale nuszudrücken.
III. Politische Theologie
Er scheint zu gla,uben, daß die Soziologie dadlU'ch der JlU'is
prudenz, die positiv geworden sein soll, unterlegen ist, und sucht
zu zeigen, daß alle bisherigen soziologischen Systeme darin enden,
daß sie "politische Tendenzen mit dem Schein der Wiss·enschaft
licbkeit" versehen. Wer sich aber die Mühe gibt, die staatsrechtliche Literatur der positiven Jurisprudenz auf ihre letzten Be
griff·e und Argumente zu untersuchen, siebt, daß an allen SteHen
der Staat eingreift, bald wie ein deus ex macbina im W e ~ e der
positiven Gesetzgebung eine Kontroverse entscheidend, welche die
freie Tat der juristischen Erkenntnis nicht zu einer allgemein
einleuchtenden Löstmg führen konnte, bald als cJ.er Gütige und
Barmherzige, der durch Begnadigungen und Amnestien seine
Überlegenheit über seine eigenen Gesetze beweist; immer dieselbe
unerklärliche Identität, als Gesetzgeber, als Exekutiv·e, als Polizei,als Gnadeninstanz, als Fürsorge, so daß einem Betrachter, der
sieb die Mühe nimmt, das Gesamtbild der heutigen Jurisprudenz
aus einer gewissen Distanz au f sich wirken zu lassen, ein großes
Degen- und Mantelstück erscheint, in welchem der Staat unter
vielen Verkleidungen, aber als immer dieselbe unsichtbare Person
agiert. Die " O ~ l 1 i p o t e n z " des modernen Gesetzg.ebers, von der
man in jedem Lehrb-uch des Staatsrechts hört, i s t ~ nicht nu ;
sprachlich aus der Theologie hergeholt. Aber auch in den Einzel
heiten der Argumentation tauchen theologische Reminiszenzen auf.
Meistens natürlic.h in polemischer Absicht. Im p o s i t i v i s t i s c h ~ n Zeitalter macht man seinem wissenschaftlichen Gegner gern den
Vorwurf, daß er Theologie oder Metaphysik treibe. Wenn der
Vorwurf mehr als eine bloße Beschimpfung sein soll, hätte
wenigstens die Frage naheliegen können, woher die Neigung zu
4*
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 26/42
'\
52Ill. Politische Theologie
solchen theologischen und metaphysischen Entgleisungen eigent
lich stammt; man hätte untersuchen müssen, ob sie historisch zu
erklären sind, vielleicht als Nachwirkung der monarchistischen
Staatslehre, die den theistischen Gott mit dem König identifi
zierte, oder ob ihnen vielleicht systematische oder methodische
Notwendigkeiten zugrunde liegen. Ich gebe g•ern zu, d a f ~ es .Ju
risten gibt, bei denen aus einer Unfähigkeit, widersprechende
Argumente oder Einwendungen gedanklich zu b e w ~ l t i g e ~ , dm:
Staat mit einer Art Kurzschluß des Denkens erschemt, wtc bct
gewissen Metaphysikern der Name Gottes fü r solche Z w e c ~ \ . e miß-
braucht wird. Aber damit ist die sachliche Frage noch mcht be
antwortet. Bisher hat man sich im allgemeinen nur mit bei
läufigen Andeutungen begnügt. Hänel hat in der Schrift über
das Gesetz im formel•len und materiellen Sinne (S. I 5o) di311
alten Einwand vorgebracht, es sei "Metaphysik", wegen der not
wendigen Einheitlichkeit und Planmäßigkeit alles staatlichen
Willens (welche notwendige Einheitlichkeit und P l a n m ä f ~ i g k e i ter also keineswegs bestreitet) die v,ereinigung aller staatlichen
Funktionen in einem einzigen Organ zu fordern. Preuß (in der
Festgabe fü r Laband I go8, II , S. 2 36) sucht seinen genossen
schaftlichen Staatsbegriff ebenfalls dadurch zu verteidigen, Jaß
er den Gegner ins Theologische und Metaphysische drängt: der
Souveränitätsbegriff der Staatslehre von Laband und Jellinek unddie Theorie von der "alleinigen Herrschergewalt des Staates"
macht aus dem Staat ein abstraktes Quasi-Individuum, ein "uni
euro sui generis", mit ihrem durch "mystische Erzeugung" ent
standenen Herrschaftsmonopot Das ist nach Preuß eine j u r i ~ stische Verkleidung des Gottesgnadentums, die "Viederholung der
III. Politische Theologie 53
Lehreu Maurenbrechers mit der Modifikation, daß an die Stelle
der religiösen die juristische Fiktion gesetzt wird. Während
solchermaßen ein Vertreter der organischen Staatslehre seinem
Gegner den Einwand macht . daß er theologisiere, bringt Bernatzik
in seinen kritischen Studien über den Bngriff der juristischenPerson (Arch. d. öffentl. Rechts, V., 18go, S. 210 , 226, 2tr4)
umgekehrt den Einwand gemde gegen die organische Staatslehre
vor und sucht eine Ansicht von Stein, Schulze, Gierke und Preuß
mit der höhnischen Bemerkung zu erledigen: Wenn die Organe
der Gesamtpersönlichkeit wiederum Personen sein sollen, dann
wäre jede Verwaltungsbehörde, jedes Gericht usw. eine juristische
Person und doch der Staat als Ganzes ebenfalls wieder eine
einzige solche juristische Person. "Dagegen gehalten wäre ja der
Versuch, das Dogma der Dreieinigkeit zu begreifen, eine Kleinigkeit." Auch die Meinung Stobbes, daß die Gesamthänderschaft
eine juristische Person sei, tut er ab mit dem Satz, "derlei aber
mals an das Dogma von der Dreieinigkeit erinnernde Wendungen"
verstehe er nicht. Er selber sagt freilich: "Schon in dem Begriff
der Rechtsfähigkeit liegt es, daß die Quelle derselben, die staat
liche Hechtsordnung, sich selbst als Subjekt allen Rechts, mithin
als juristische Person, setzen muß." Dieses Sich-selber-Setzen
ist ihm anscheinend so einfach und plausibel, daß er eine ab
weichende Meinung "nur als Kuriosität" erwähnt, ohne sich zu
fragen, warum es in höherem Maße logische Notwendigkeit sein
soll, daß die Quelle der Rechtsfähigkeit, nämlich die Rechts
ordnung, und zwar die staatliche Rechtsordnung, sich selbst als
Produkt setzt, als wenn Stahl sagt, daß immer nur eine Person
der Grund einer anderen Person sein könne.
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 27/42
54.III. Politische Theologie
Kelsen hat das Verdienst, seit I 9 2 o mit dem ihm eigenen
Akzent auf die methodische Verwandtschaft von Theologie und
Jurisprudenz hingewiesen zu haben. In seiner letzten Schrift über
den soziologischen und den juristischen Staatsbegriff führt er ein•e
Menge freilich diffuser Analogien an, die aber für eine tiefereideengeschichtliche Einsicht die innere Heterogenität seines er
kenntnistheoretischen Ausgangspunktes nnd seines weltanschau
ungsmäßigen, demokratischen Resultates erkennen lassen. Denn
seiner rechtsstaatliehen Identifikation von Staat und Rechts
ordnung liegt eine Metaphysik zugrunde, die Naturgesetzlichkeit
und normative Gesetzlichkeit identifiziert. Sie ist aus ein·em aus
schließlich naturwissenschaftlichen Denken entstanden, beruht
auf der Verwerfung aller "Willkür" und sucht jede Ausnahme
aus dem Bereich des menschlichen Geistes zu verweisen. In
der Geschichte jener Parallele von Theologie und Jurisprudenz
findet eine solche Überzeugung ihren Platz am besten wohl bei
J. St. Mill. Auch er betonte im Interesse der Objektivität und
aus Furcht vor Willkür die ausnahmslose Geltung jeder Art von
Gesetzen, aber er nahm wohl nicht - wie Kels·en - an, daß
die freie Tat der juristischen Erkenntnis aus jeder beliebigen
positiv·en Gesetzesmasse den Kosmos ilues Systems g•estalten
könne; denn dadurch wird die Objektivität wieder aufgehoben.
Ob der bedingungslose Positivismus sich unmittelbar an das ihmzugeworfene Gesetz hält, oder ob er sich erst die Mühe gibt, ein
System herzustellen, sollte vor einer Metaphysik, di-e plötzlich
in das Pathos der Objektivität fällt, keinen Unterschied recht
fertigen. Daß Kelsen, sobald er über seine methodologische Kritik
hinaus einen Schritt weiter geht, mit einem ganz naturwissen-
III. Politische Theologie 55
schaftliehen Ursachenbegriff operiert, zeigt sich am schönsten
darin, daß er glaubt, Humes und Kants Kritik des Substanz
begriffes lassen sich auf die Staatslehre übertragen (Staa;sbegriff,
S. 208), ohne zu sehen, daß der Substanzbegriff des scholasti
schen Denkens etwas ganz anderes ist als der des mathematisch
naturwissenschaftlichen Denkens. Die Unterscheidung von Sub
.stanz und Ausübung eines Rechts, die in der Dogmengeschichte
des Souveränitätsbegriffes eine fundamentale Bedeutung hat (ich
habe in meinem Buch über die Diktatur, S. 44, I05, 1 g4, darauf
hingewiesen), ist mit naturwissenschaftlichen Begriffen überhaupt
nicht zu erfassen und doch ein wesentliches Moment der juristi
schen Argumentation. In der Begründung, die Kelsen sein·em Be
kenntnis zur Demokratie gibt, spricht sich die konstitutionell
mathematisch-naturwissenschaftliche Art seines Denkens offen
aus (Arch. f. Soz.-W. 1920 , S. 84): die Demokratie ist der
Ausdruck eines politischen Relativismus und einer wunder- und
.dogmenbefreiten, auf den menschlichen Verstand und den Zweifel
der Kritik gegründeten Wissenschaftlichkeit.
Für die Soziologie des Souveränitätsbegriffes ist es notwendig,
sich über die Soziologie juristischer Begriffe überhaupt klarzu
werden. Jene systematische Analogie theologischer und juristi
scher Begriffe wird hier deshalb hervorgehoben, weil eine Sozio
logie juristischer Begriffe eine konsequente und radikale Ideo
logie voraussetzt. Es wäre ein arges Mißverständnis, zu glauben,
darin liege eine spiritualistische im Gegoosatz zu ein.er materiali
stischen Geschichtsphilosophie. Zu dem Satz, den Max Weber in
seiner Kritik der Stammlersehen Rechtsphilosophie ausgefühl't
hat, daß man einer radikal materialistischen Geschichtsphilosophie
I
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 28/42
56III. Politische Theologie
. , , d'k l spiritualistische Geschichts-'d l r eh eme e b e n ~ o l a l aunw1 er eg
1k" b' t t allerdinas die politische
. . enüberstellen onne, Ie e o .ph1losoph1e geg . 't . e vortreffliche IllustratiOn.
o ie der Restauratwnszei em . . .Theol g . .. S l 'ftsteller erklärten diC pohtl-
d' e enrevolutwnaren c In
Denn Ie g g . .:.
d rung der vVdtanschanung und.. d . ngen aus emer 1'-n esehen An Cl u1
t' f die Philosophie der Auf-"h die französische H.evo u IOn au .
fu rten . l l r\ntithese wenn radikale.. k E war nur eme <are J '
klärung zuruc · s . .. . Dcnken der .\nde-. "re um ekehrt ehe Anderung ll11
Hevolutwna g d . 1 Verhältnissen zureclmeten.. d n olitischen un sozw en .
rung m e P J h ·h nderl<> war <'S emh . den zwanziger Jahren des I 9· . a r u ~
Sc on m . F k . h verbreitetes Dogma, daf..b d S 111 • ran rmc ,in Westeuropa, eson er . . \nde-
'1 1 . h künstlerische und literansehe 'reliaiöse pht osop usc e, 'o ' . . d . 1 n Zuständen eng zusammt n-. t ohhschen un sozw e .
rung·en mi p M . t' l n G e s c h i c h t s p h i l o ~ o p h i e isL cheserh=- . In der arx1s 1sc 1e .angen. . Ö . , l ·adikalisierl und systematisch
Zusammenhang ms kononusc le I •
. d m auch fü r die politischen und sozialenernst genommen, m e im ökonomi-
Änderungen ein Zurechnungspunkt gesucht und .. ht
f J . ·d Diese materialistische Erklarung macsehen ge un en wn . .. 1' h
. d l . ·eher Konsequenz unmog IC '·eine isolierte Betrachtung 1 eo ogiS " kl 'd a ...
" S . elungen Ver ei unb en'1 sie überall nur "Reflexe ' " pieg , ' " . h
wei . h B . h ngen sieht, also konsequent nut psyc o-ökonomisc ·er ezie u . 'h l
d 'gstens m 1 rer vu -1 . hen Erklärungen, Deutungen un ' wem .
og1sc b . t G . de wcg.en Ihres't Verdächtigunaen ar mte. maaär·en Fassung, ml 0 • • l'o k . aber leicht in eine Irra hona 1-. R t' 1' mus ann s1emass1ven a wna 1S ll D k
1 'l sie a es en enstische Geschiehtsau ffassung umsch agen, wel •
1 Funktion und Emanation vitaler Vorgänge auffaßt. Dera s . . G orges Sorel hat au f
h ndikalistische Sozialismus von e~ m a r c o-sy
III. Politische Theologie 57
diese Weise Bergsous Lebensphilosophie mit der ökonomischen
Geschiehtsauffassung von Marx zu verbinden gewußt.
Die spiritualistische Erklärung materieller Vorgänge und die
materialistische Erklärung geistiger Phänomene suchen beide
ursächliche Zusammenhänge zu ermitteln. Sie stellen erst einenGegensatz zweier Sphären auf und lösen dann, durch die Redu
zierung des einen auf das andere, diesen Gegensatz wieder in ein
Nichts auf, ein Verfahren, das mit methodischer Notwendigkeit
zur Karikatur werden muß. Wenn Engels das kalvinistische
Dogma von der Prädestination als eine Spiegelung der Sinnlosig
keit und Unberechenbarkeit des kapitalistischen Konkurrenz
kampfes ansieht, so kann man ebensogut die moderne Relativi
tätstheorie und ihren Erfolg au f die Valutaverhältnisse des
heutigen Weltmarkts reduzieren und hätte dann ihren ökonomi
schen Unterbau gefunden. Es gibt einen Sprachgebrauch, der das
als Soziologie 'eines Begriffes oder einer Theorie bezeichnen
würde. Das kommt hier nicht in Betracht. Anders verhält es sich
mit der soziologischen Methode, die fü r bestimmte lde,en und
intellektuelle Gestaltungen den typischen P.ersonenkreis sucht,
der aus seiner soziologischen Lage heraus zu bestimmten ideo
logischen Resultaten kommt. In diesem Sinne ist es Soziologie
juristischer Begriffe, wenn Max Weber die Diffevenzierung der
sachlichen Rechtsgebiete auf die Herausbildung geschulber
1\echtskundiger, beamteter Träger der RechtspHege oder Rechts
honoratioren zurückführt (Rechtssoziologie, II, § I). Die sozio
logische "Eigenart des Personenkreises, der sich berufsmäßig mit
der Hechtsgestaltung befaßt", bedingt gewisse Methoden und
Evidemen der juristischen Argumentation. Aber auch das ist noch
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 29/42
58III. Politische Theologie
nicht Soziologie eines juristischen Begriffes. Ein begriffliches
Resultat auf den soziologischen Träger zurückzuführen, ist
Psychologie und Feststellung einer bestimmt.en A r ~ der .Motivation
l l . h Handelns Das ist allerdings em soz10logi.Sches Pro-Jnensc 1 lC en .
blem, aber nicht das der Soziologie eines Begriff-es. Wird dieseMethode auf geistige Leistungen angewandt, so führt sie zu Er
klärungen aus dem Milieu oder gar zu der geistreichen "Psycho
logie", die man als Soziologie bestimmter Typen, des Büro
kraten, des Anwalts, des staatlich angestellten Professors, kennt.
Sie würde zum Beispiel eine Soziologie des Hegeischen Systems
darin finden können, daß man es als die Philosophie des berufs
mäßigen Dozenten bezeichnet, dem durch seine ö k o n o ~ i s c h e und
soziale Situation ermöglicht wird, sich mit kontemplativer Über
legenheit des absoluten Bewußtseins bewußt zu werden, das h e i f ~ t seinen Beruf als Dozent der Philosophie auszuüben; oder man
könnte die Kelsensche Jurisprudenz als die Ideologie des bei
wechselnden politischen Verhältnissen arbeitenden juristischen
Bürokraten betrachten, der unter den verschiedensten Herr
schaftsformen, mit relativistischer Überlegenheit über die je
weilige politische Macht, die ihm zugeworfenen positiven An-
-ordnungen und Bestimmungen systematisch zu verarbeiten sucht.
In ihrer konsequenten Manier ist das jene Art Soziologie, di.e man
.am besten der schönen Literatur zuweist, ein sozial-psychologi
sches "Porträt", dessen Verfahren sich von der literarisch-geist
vollen Kritik, etwa von Sainte-Beuve, nicht unterscheidet.
Etwas ganz anderes ist die Soziologie von Begriffen, die hier
vorgeschlagen wird und die g e g e n u b ~ r einem Begriff wie dem der
Souveränität allein Aussicht auf ein wissenschaftliches Resultat
III. Politische Theologie 59
daß, hinausgehend über die an den nächsten
tischen Interessen des Rechtslebens orientierte juristische Be
>YTuu_,",_,..._..,u, die letzte, radikal systematische Struktur gefunden
. diese begri ffliche Struktur mit der begrifflichen Verarbei-
tung der sozialenStruktur
einer bestimmten Epoche verglichenOb das Ideelle der radil(alen Begrifflichkeit hier der Reflex
soziologischen Wirklic hkeit ist, oder ob die soziale
als die Folge einer bestimmten Art zu denken
infolgedessen auch zu handeln aufgefaßt wird, kommt
nicht in Betracht. Vielmehr sind zwei geistige, aber
sulost;anl:ielle Identitäten nachzuweisen. Es ist also nicht So
"''v-•v .. •v des Souveränitätsbegriffes, wenn beispielsweise die Mon-
des I 7· Jahrhunderts als dus Heale bezeichnet wird, das
im kartesianischen Gottesbegriff "spiegelte". Wohl aber ge
es zur Soziologie des Souveränitätsbegriffes jener Epoche,
zeigen, daß der historisch-politische Bestand der Monarchie
gesamten damaligen Bewußtseinslage der westeuTopäischen
entsprach und die juristische Gestaltung der histo
Wirklichkeit einen Begriff finden konnte,
Struktur mit der Struktur metaphysischer Begriffe über
. ""''"u1•umle. Dadurch erhielt die MonM·chie fü r das Bewußtsein
ener Zeit dieselbe Evidenz, wie fü r eine spätere Epoche die De
. Voraussetzung dieser Art Soziologie juris tische r Be-
e ist also radikale Begrifflichkeit, das heißt eine bis zum
und zum Theologischen weitergetriebene Kon
z. Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeit
von der Welt macht, hat dieselbe Strulüur wie das, was
als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres em-
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 30/42
60III. Politü;chc Theologie
leuchtet. Die Feststellung einer solchen Identität it>t die Sozio
logie des Souveränitätsbegriffes. Sie beweist, daß in der Tat, wie
Edward Caird in seinem Buch über Auguste Comte gesagt hat, die
Metaphysik der intensivste und klarste Ausdruck einer Epoche ist.
»lmiter les decrets immuables de la Divinite« war das Ideal
staatlichen Rechtslebens, das dem Rationalismus lles I 8. Jahr
hunderts ohne weiteres einleuchtete. Bei Rousseau, in dessen Auf
satz "E.conomie politique" sich dieser Ausspruch findet, ist die
Politisierung theologischer Begriffe gerade beim Souveränitäts
begriff so auffällig, daß sie wohl kaum einem wirklichen
Kenner seiner politischen Schriften entgangen ist. Boutmy (An
nales des sciences politiques I go 2, p. 4 8) sagt: »Rousseau
applique au souverain l'idee que les philosophes se font de Dieu:
il peut tout ce qu'il veut; mais il ne peut vouloir le mal«Daß der Monarch in der Staatslehre des I 7· Jahrhunderts
Gott identifiziert wird und im Staat die genau analoge
hat, die dem Gott des kartesianischen Systems in der Welt
kommt, hat Atger (Essai sur l'histoire des doctrines du
social xgo6 S. x36) bemerkt: »Le prince developpe toutes
virtualites de l'Etat par une sorte de creation continuelle. Le
est le Dieu cartesien transpose dans le monde politique.« Dafür
daß hier zunächst psychologisch (für einen Phänomenologen
auch phänomenologisch) eine vollkommene Identität durchmetaphysischen, politischen und soziologischen V
hindurchgeht und den Souverän als eine persönliche Einheit
letzten Urheber postuliert, gibt die schöne Erzählung des
cours de la methode ein außerordentlich lehrreiches B
Sie ist ein Dokument des neuen rationalistischen Geistes, der
III. Politische Theologie 61
allen Zweifeln eine Beruhigung darin findet, unbei'lTt seinen Ver
stand zu gebrauchen: j'etais assure d'user en tout de ma raison.
Aber was ist das Erste, das dem plötzlich zum Nachdenken sich
sammelnden Geist einleuchtet? Daß die Werke, die von mehreren
Meistern geschaffen wurden, nicht so vollkommen sind \'\rie dieandern, an denen ein einziger g e a ~ · b e i l e t hat. "Un seul architecte"
muß ein Haus und eine Stadt bauen; die besten Verfassungen sind
das 'Verk eines einzigen klugen legislateur, sie sind "inven tees
par un seul", und schließlich: ein einziger Gott regiert die Welt.
Wie Descarles einmal an Mersenne schre ibt: c' est Dien qui a etabli
ces lois en nature ainsi qu'un roi etablit les lois en son royaume.
Das I 7· und I 8 . Jahrhundert war YOn dieser Vorstellung be
herrscht; das ist, abgesehen von der dezisionistischen Art. ~ e i n e s enkens, einer der Gründe, warum Hobbes trolz Nominalismus
und NaLurwissenschaftlichkeit, trotz seiner Vernichtung des In-
diYidumns zum Atom, doch personalistisch bleibt und eine letzte
konkrete entscheidende Instanz postuliert, und auch seinen Staat,
den Leviathan, zu einet· ungeheuren Person geradezu ins Mytho
"""'"'""'ue steigert. Das Ü;t bei ihm kein Anthropomorphismus;
war er wirklich frei, sondern eine methodische und sy:-;te-
. ehe Notwendigkeit seines juri stischen Denkens. Das Bild
vom Architekten und Welthaumeister enthält allerdings die Un
'L des Kausalitätsbegriff:-;. Der 'Veltbaumeis,ter ist gleich
Urheberund Gesetzgeber, das heißt legitimi€'!.'ende Autori
tät. Während der ganzen Aufklärung bis zur framösischen Re-
lion is l ein solcher 'Velt- und Staatsbaumeister der "legis-
'Seit dieser Zeit dringt die Konsequenz des ausschließlich natm:-
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 31/42
62 III. Politische Theologie
wissenschaftlichen Denkens auch in den politischBn Vorstellungen
durch und verdrängt das wesentlich juristisch..,.ethische Denken,
das in der Aufklärung noch vorherrschte. Die generelle Geltung·
eines Rechtssatzes wird mit der ausnahmslos geltenden Natux
gesetzlichkeit identifiziert. Der Souverän, der im deistischenWeltbild, wenn auch außerhalb der Welt, so doch als Monteur
der großen Maschine geblieben war, wird radil(al verdrängt. Die
Maschine läuft jetzt von selbst. Der metaphysische Satz, daß Gott
nul' generelle, nicht partikulare Willensäußerungen von sich gibt,
beherrscht die Metaphysik von Leibniz und Malebranche. Bei
Rousseau wird die volonte generale identisch mit dem Willen des
Souveräns; gleichzeitig aber erhält der Begriff des Generellen
auch in seinem Subjekt eine quantitative Bestimmung, das heißt
das Volk ,vird zum Souverän. Dadurch geht das dezisionistischeund personalistische Element des bisherigen Souveränitäts
begriffes verloren. Der Wille des Volkes ist immer gut, le peuple
est toujours vertueux. »De quelque maniere qu'une nation
veuille, il suffit qu' elle veuille; toutes les form es sont bonnes
et sa volonte est toujours la loi supreme« (Sieyes). Aber die Not
wendigkeit, aus der heraus das Volk immer das Richtige will,
war eine andere als die Richtigkeit, welche die Befehle des persön
lichen Souveräns auszeichnete. Die absolute Monarchie hatte in1. dem Kampf widerstreitender Interessen und Koalitionen die E n t ~ l scheidung gegeben und dadurch die staatliche Einheit begründet.
Die Einheit, die ein Volk darstellt, hat nicht diesen dezisionisti-
1 sehen Charakter; sie ist eine organische Einheit, und mit dem
I Nationalbewußtsein entstehen die Vorstellungen vom organi
. sehen Staatsganzen. Dadmch wird der theistische wie der de-
III. Politische Theologie 63
istische Gottesbegriff fü r die politische Metaphysik unverständ
lich. Zwar bleiben noch eine Zeitlang die Nachwi;lmngen der
Gottesvorstellung erkennbar. In Amerika wird das zu dem ver
nünftig-pragmatischen Glauben, daß die Stimme des Volkes
Gottes Stimme sei, ein Glaube, der J effersons Sieg vonISo zu
grunde liegt. Tocqucville sagte noch in seiner Schilderung der
amcrilwnischen Demokratie, im demokratischen Denken schwebe
das Volk über dem ganzen staatlichen Leben wie Gott über der
'Velt, als Ursache und Ende aller Dinge, von dem alles ausgeht
und zu dem alles zurückkehrt. Heute dagegen kann ein bedeu
tender Staatsphilosoph wie Kelsen die Demokratie als den Aus
druck relativistischer, unpersönlicher Wissenschaftlichkeit auf-
fassen. Das entspricht in der Tat der Entwicklung, die sich in
der politischen Theologie und Metaphysil( des 1 g. Jahrhunderts
durchgesetzt hat.
Zu dem Gottesbegriff des q . und 18. Jahrhunderts gehört
die Transzendenz Gottes gegenüber der Welt, wie eine Tran-
szendenz des Souveräns gegenüber dem Staat zu seiner Staats
philosophie gehört. Im 1 9· J uhrhunder t wird in immer weiterer
Ausdehnung alles von Immanenzvorstellungen beherrscht. Alle
die ldentitäten, die in der politischen m1d staatsrechtlichen Dok
tein des I 9· Jahrhunde rts wiederkehren, beruhen auf solchen lm-
manenzvorstellungen: die demokratische These von der Identität 0 Ider Regierenden mit den Regierten, die organische Staatslehre
und ihre Identität von Staat und Souveränität, die rechtsstaatliche
Lehre Krabbes und ihre Identität von Souveränität und Rechts
ordnung, endlich Kelsens Lehre von der Identität des Staates
mit der Rechtsordnung. Nachdem die Schriftsteller der Restau-
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 32/42
64 III. Politische Theologie
rationszeit zue rst eine politische Theologie entwickelt hatten,
richtete sich der ideologische Kampf der radikalen Gegner aller
bestehenden Ordnung mit steigendem Bewußtsein gegen den
Gottesglauben überhaupt als gegen den extremsten fundamen
talen Ausdruck des Glaubens an eine Herrschaft und an eineEinheit. Unter dem deutlichen Einfluß von Auguste Comte hat
Proudhon den Kampf gegen Gott aufgenommen. Bakunin hat ihn
mit einer skythischen ·wucht fortgesetzt. Der Kampf gegen die
überlieferte Religiosität ha t selbstverständlich sehr verschiedene
politische und soziologische Mo live: die konservative Hal tung des
kirchlichen Christentums, das Bündnis von Thron und Altar, der
Umstand, daß so viele große Schriftsteller "deklassiert" waren,
daß im 19. Jahrhundert eine Kunst und Literatur entstand, deren
geniale Vertreter wenigstens in entscheidenden Epochen ihreso<..__ Lebens von der bürgerlichen Ordnung ausgespieen wurden, alles
das ist in den soziologischen Einzelheiten bei weitem noch nicht
el'kannt un d gewürdigt. Die große Linie der Entwicklung geht
zweifellos dahin, daß bei der Masse der GebildeLen alle Vorstel
lungen yon Transzendenz untergehen und ihnen entweder ein
mehr oder weniger klarer Immanenz-Pantheismus oder aber eine
positivistische Gleichgültigkeit gegen jede Metaphysik evident
wird. Soweit die Immanenz-Philosophie, die ihre großartigste
systematische Ar chitektur in Hegels Philosophie gefunden hat,
den Gottesbegriff beibehält, bezieht sie Gott in die \IVelt ein und
läßt sie das Recht und den Staat aus der Immanenz des Objek
tiven hervorgehen. Bei den exh·emsten Radileuleu wurde ein kon-
l sequenter Atheismus herrschend. Die deutschen Links-Hegelianer
waren sich dieses Zusammenhanges am meisten bewußt. Daß die
III. Politische Theologie 65
Menschheit an die Stelle Gottes treten mußte, haben sie nicht
weniger entschieden ausgesprochen wie Proudhon. Daß ·dieses
Ideal einer sich ihrer selbst bewußt werdenden Menschheit in
einer anarchistische n Freih eit enden müsse, haben Marx und
Engels niemals verkannt. Vongrößter
Bedeutung gerade wegenseiner intuitiven Jugendlichkeit ist hier ein Ausspruch des jungen
Engels aus den Jahren I842-44 (Schriften aus der Frühzeit,
herausgegeben von G. Mayer, 1920, S. 281): "Das Wesen des
Staates wie der Religion ist die Angst der Menschheit vor sich
selber."
Von dieser Art ideengeschichtlicher Betrachtung aus gesehen,
zeigt die staatstheoretische Entwicklung des xg. Jahrhunderts
zwei charakteristische Momente: die Beseitigung aller theistischen
und transzendenten Vorstellungen ood die Bildung eines neuen
Legitimilätsbegriffes. Der überlieferte Legitimitätsbegriff verliert
offenbar alle Evidenz. Weder die privatrechtlich-patrimoniale
Fassung der Restaurationszeit, noch die Fundier·un,g au f ein ge
fühlsmäßiges, pietätvolles Atlachement halten dieser Entwick
lung stand. Seit I 848 wird die Staatsrechtslehre positiv und ver
birgt gewöhnlich hinter diestim Wort ihre V e ~ l e g e n h e i t , oder aher
sie gründet in den verschiedensten Umschreibungen alle Gewalt
auf den pouvoir constiluant des Volkes, das heißt: an die Stelle
des monarchistischen tritt der demokratische Legitimilätsgedanke.
Es ist daher ein Vorgang von unermeßlicher Bedeutung, daß
einer der größten Repräsentanten dezisionistischen Denkens und
ein katholischer Staatsphilosoph, der sich mi t großartigem Radi
kalismus des metaphysischen Kernes aller Politik bewußt war,
Donaso Cortes, im Anblick der Revolution von 1848 zu der Er-
5 So h rn It t, Politische Theologie
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 33/42
66 III. Politische Theologie
kenntnis kam, daß die Epoche des Royalismus zu Ende ist. Es
gibt keinen Hoyalismus mehr, weil es keine Könige mehr gibt.
" Es gibt daher auch keine Legitimität im überlieferten Sinne.
Demnach bleibt für ihn nur ein Resultat: die Diktatur. Es ist das
Resultat,zu
dem auch Hobbes gekommen ist, aus derselben, wennauch mit einem mathematischen Relativismus vermischten Kon-
sequenz dezisionistischen Denkens. Autoritas, non veritas facit
legem.
Eine ausführliche Darstellung dieses Dezisionismus und eine
eingehende Würdigung von Donaso Cortes gibt es noch nicht.
Hier kann nur darauf hingewiesen werden, daß die theologische
Art des Spaniers ganz in der Linie mittelalterlichen Denkens
bleibt, dessen Struktur juristisch ist. Alle seine Perzeptionen, alle
seine Argumente sind so bis ins letzte Atom juristisch, daß er der
mathematischen Naturwissenschaftlichkeit des 1 9· Jahrhunderts
mit derselben Verständnislosigkeit gegenübersteht wie diese Natur-
wissenschaftlichkeit dem Dezisionismus und der spezifischen
Schlüssigkeit jenes juristischen, in einer persönlichen Entschei-
dung kulminierenden Denkens.
IV.
Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution
(De Maistre, Bonald, Donaso Cortes)
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 34/42
D en deutschen Romantikern ist eine originelle Vorstellung
eigentümlich: das ewige Gespräch; Novalis und Adam
Müller bewegen sich darin als der eigentlichen Realisierung ihres
Geistes. Die katholischen Staatsphilosophen, die man in Deutsch
land Romantiker nennt, weil sie konservativ oder reaktionär
waren und mittelalterliche Zustände idealisierten, de Maistre, Bo
nald und Donoso Cortes, hätten ein ewiges Gespräch wohl eher
für ein Phantasieprodukt von grausiger Komik gehalten. Denn
was ihre gegenrevolutionäre Staatsphilosophie auszeichnet, ist das
Bewußtsein, daß die Zeit eine Entscheidung verlangt, und mit
einer Energie, die sich zwischen den beiden Revolutionen von
I 789 und 1848 zum äußersten Extrem steigert, tritt der Begriff
der Entscheidung in den Mittelpunkt ihres Denkens. überall, wo
die katholische Philosophie des I 9· Jahrhunderts sich in geistiger
Aktualität äußert, hat sie in irgendeiner Form den Gedanken
ausgesprochen, daß eine große Alterna live sich aufdrängt, die
keine Vermittlung mehr zuläßt. No medium, sagt Newman, be
tween ca!holicity and atheism. Alle formulieren ein großes Ent-
weder-Oder, dessen Rigorosität eher nach Diktatur klingt als nach
einem ewigen Gespräch.
Mit Begriffen wie Tradition und Gewohnheit und mit der Er-
kenntnis des langsamen geschichtlichen Wachstums kämpfte die
Restauration gegen den aktivistischen Geist der Revolution. Solche
Ideen konnten zu völliger Negation der natürlichen Vernunft und
zu einer absoluten moralischen Passivität führen, die es als böse
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 35/42
70 IV. Z ~ r Staatsphilosophie det Gegenrevolution
ansieht, überhaupt tätig zu werden. Theologisch ist der Traditio
nalismus durch J. Lupus und den P. Chastel widerlegt worden,
vor diesem übrigens unter Hinweisen auf den "sentimentalisme
allemand", der die Quelle derartiger Irrtümer sein soll. Im letz
ten Resultat bedeutete der extreme Traditionalismus tatsächlicheine irrationalist.ische Ablehnung jeder intellektuell bewußten
Entscheidung. Trotzdem ist Bonald, der BegTünder des Traditio
nalismus, weit entfernt von der Idee eines ewigen, sich von selbst
aus sich selbst entwickelnden Werdens. Sein Geist hat allerdings
eine andere Struktur als der von de Maistre oder gar Donoso
Cortes; of t zeigt er sich wirklich überraschend deutsch. Niemals
aber wird bei ihm der Glaube an die Tradition etwas wie Schel
lings Naturphilosophie, Adam Müllers Mischung der Gegensätze
oder Hegels Geschichtsglaube. \Die Tradition ist fü r ihn die einzigeI öglichkeit, den Inhalt zu gewinnen, den der metaphysische
Glaube des Menschen akzeptieren kann, weil der Verstand des
Einzelnen zu schwach und elend ist, um von sich aus die W a h r ~ heit zu erkennen. Welch ein Gegensatz zu jedem jener drei Deut
schen offenbart sich in dem furchtbaren Bild, das den Weg der
Menschheit durch die Geschichte darstellen soll: eine Herde von
Blinden, geführt von einem Blinden, der sich an einem Stock
weitertastetl In Wahrheit enthalten auch die Antithesen und Di-
stinktionen, die er so liebt und die ihm den Namen eines Schola
stikers eingetragen haben, moralische Disjunktionen, keineswegs
Polantäten der SeheHingsehen Naturphilosophie, die einen "In-
differenzpunkt" haben, oder bloß dialektische Negationen des ge
schichtlichen Prozesses. »Je me trouve constamment entre deux
abimes, je marche toujours entre l'etre et le neant.« Es sind die
IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution 71
Gegensätze von Gut und Böse, Gott und Teufel, zwischen denen
auf Leben und Tod ein Entweder-Oder besteht, das keine Syn
these und kein "höheres Drittes" kennt.
De Maistre spricht mit besonderer Vorliebe von der Souveräni
tät, die bei ihm wesentlich Entscheidung bedeutet. Der Wert desStaates liegt darin, daß er eine Entscheidung gibt, der Wert der
Kirche, daß sie letzte inappellable Entscheidung ist. Infallibili
tät ist fü r ihn das Wesen der inappellablen Entscheidung und die
Unfehlbarkeit der geistlichen Ordnung mit der Souveränität der
staatlichen Ordnung wesensgleich; die beiden Worte Unfehlba.r
keit und Souveräni1ät sind "parfaitement synonymes" (du Pape,
eh. 1). Jede Souveränität handelt, als wäre sie unfehlbar, jede
Regierung ist absolut - ein Satz, den ein Anarchist, wenn auch
aus ganz anderer Absicht, wörtlich ebenso hätte aussprechenkönnen. Die klarste Antithese, die in der ganzen Geschichte der
politischen Idee überhaupt auftritt, liegt in einem solchen Satz.
Alle anarchistischen Lehren, von Babeuf bis Bakunin, Kropotkin
und Otto Groß, drehen sich um das eine Axiom: le peuple est bon
et le magistrat corruptible. De Maistre dagegen erklärt gerade
umgekehrt die Obrigkeit als solche fü r gut, wenn sie nur besteht:
tout gouvernement est bon lorsqu'il est etabli. Der Grund liegt
darin, daß in d e r . ~ ~ ~ ! l n . z . ein,e.r Qhrigkeitlichen Autorität
~ i n . ~ ~ ! ! t ~ ~ h e ~ d l ! ! ! g ) i e g t und die Entscheidung wiederum als solche
wertvoll ist, weil es gerade in den wichtigsten Dingen wichtiger
ist, daß entschieden werde, als wie entschieden wird. »Notre in
t e r ~ t n'est point, qu'une question soit decidee de teile ou teile
maniere, mais qu'elle le soit sans retard et sans appel.« In der
Praxis ist es für ihn dasselbe: keinem Irrtum unterworfen zu
'<
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 36/42
72 IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution
sein und keines Irrtums angeklagt werden zu können; das Wesent
liche ist, daß keine höhere Instanz die Entscheidung überprüft.
Wie der revolutionäre Radikalismus in der proletarischen Re
volution von 1848 unendlich tiefer und konsequenter ist als in der
Revolution des dritten Standes von 1789, so steigerte sich auch im'staatsphilosophischen Denken der Gegenrevolution die Inten
sität der Entscheidung. Nur auf diese Weise kann die Entwick
lung von de Maistre zu Donoso Cortes - von der Legitimität zur
Diktatur - begriffen werden. An der steigenden Bedeutung der
axiomatischen Thesen über die Natur des Menschen manifestiert
sich diese radikale Steigerung. Jede politische Idee nimmt irgend
wie Stellung zur "Natur" des Menschen und setzt voraus, daß er
entweder "von Natur gut" oder "von Natur böse" ist. Mit päd
agogischen oder ökonomischen Erklärungen kann man der Frage
nur scheinbar ausweichen. Für den Rationalismus der Auf
klärung war der Mensch von Natur dumm und roh, aber erzieh
bar. So rechtfertigte sich sein Ideal eines "legalen Despotismus"
aus pädagogischen Gründen: die ungebildete Menschheit wird er
zogen von einem legislateur (der nach dem Cantrat social Raus-
seaus imstande ist, »de changer la nature de l'homme«), oder die
widerspenstige Natur wird bezwungen durch Fichtes "Zwing
. herrn" und der Staat wird, wie Fichte mit naiver Brutalität sagt,
eine "Bildungsfabrik". Der marxistische Sozialismus hält die
Frage nach der Natur des Menschen deshalb fü r nebensächlich
und überflüssig, weil er glaubt, mit den ökonomischen und so
zialen Bedingungen auch die Menschen zu ändern. Dagegen ist
fü r die bewußt atheistischen Anarchisten der Mensch entschieden
gut und alles Böse die Folge theologischen Denkens Wld seiner
IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution 73
Derivate, zu denen alle Vorstellungen von Autorität, Staat und
Obrigkeit gehören. Im Cantrat social, mit dessen staatstheore- \
tischen Konstruktionen de Maistre und Bonald sich hauptsäch
lich beschäftigen, ist der Mensch noch keineswegs von Natur gut;
erst in Rousseaus spätern Romanen entfaltet sich, wie SeillißTevortrefflich nachgewiesen hat, die berühmte "rousseauistische"
These vom guten Menschen. Donoso Cortes dagegen stand (
· Proudhon gegenüber, dessen antitheologischer Anarchismus kon--:.:
sequent von jenem Axiom hätte ausgehen müssen, während der
katholische Christ von dem Dogma der Erbsünde ausging. Aller
dings hat er es polemisch radikalisiert zu einer Lehre von der
absoluten Sündhaftigkeit und Verworfenheit der menschlichen
Natur. Denn das tridentinische Dogma von der Erbsünde ist nicht
einfach radikal Es spricht, im Gegensatz zur lutherischen Auf
fassung, nicht von Nichtswürdigkeit, sondern nu;r von einer Ent
stellung, Trübung, Verwundung, und läßt die Möglichkeit zum
natürlich Guten durchaus bestehen. Der Abhe Gaduel, der Donoso
Cortes vom dogmatischen Standpunkt aus kritisierte, hatte daher
recht, wenn er gegen die Übertreibung der natürlichen Bosheit
und Nichtswürdigkeit des Menschen dogmatische Bedenken erhob.
Dennoch war es wohl ein Unrecht, zu übersehen, daß es sich für
Cortes um eine religiöse und politische Entscheidung von un
geheurer Aktualität handelte, nicht um die Ausarbeitung eines
Dogmas. Wenn er über die natürliche Bosheit des Menschen
spricht, so wendet er sich polemisch gegen den atheistischen An
archismus und dessen Axiom vom guten Menschen; er meint es
ciyul'ltltG)c; und nicht Boyp.oc't'tltwc;. Obwohl er hier mit dem Luthe
rischen Dogma übereinzustimmen scheint, hat er doch eine
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 37/42
74 IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution
andere Hal tung als der Lutheraner, der sich jeder Obrigkeit
beugt; er behält auch hier die selbstbewußte Größe eines geistigen
Nachfahren von Großinquisitoren.
Freilich, was er über die natürliche Verworfenheit und Ge
meinheit des Menschen sagt, ist schrecklicher als alles, was jemals, eine absolutistische Staatsphilosophie zur Begründung eines
strengen Regiments vorgebracht hat. Auch de Maistre konnte
vor der Bosheit der Menschen erschrecken, und seine Äußerungen
über die Natur des Menschen haben die Kraft, die aus illusions
loser Moral und einsamen psychologischen Erfahrungen kommt.
Bonald täuscht sich ebensowenig über die fundamental bösen In
stinkte des Menschen und hat den unausrottbaren "Willen zur
Macht" so gut erkannt wie irgendeine moderne Psychologie. Aber
das verschwindet neben den Ausbrüchen von Donoso. Seine Verach
tung der Menschen kennt keineGrenzen mehr; ihr blinder Verstand,
ihr schwächlicher Wille, der lächerliche Elan ihrer fleischlichen
Begierden scheinen ihm so erbärmlich, daß alle Worte aller
menschlichen Sprachen nicht ausreichen, um die ganze Niedrig
keit dieser Kreatur auszudrücken. Wäre Gott nicht Mensch ge
worden - das Reptil, das mein Fuß zertritt, wäre weniger ver_:
ächtlich .als ein Mensch; el reptil que piso oon mis pies, seria amis
ojos menos despreciable que el hombre. Die Stupidität der Massen
ist ihm ebenso erstaunlich wie die dumme Eitelkeit ihrer Führer.
Sein Sündenbewußtsein ist universal, furchtbarer als das eines
Puritaners. Kein russischer Anarchist hat seine Behauptung, "der
Mensch ist gut", mit solcher elementaren Überzeugung aus
gesprochen, wie der spanische Katholik die Antwort: Woher
weiß er, daß er gut ist, wenn Gott es ihm nicht gesagt hat? De
IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution 75
donde sabe que es noble si Dios no se lo ha dicho? Die Verzweif
lung dieses Mannes, namentlich in den Briefen an seinen Freund,
den Grafen Raczynski, ist oft dem Wahnsinn nahe; nach seiner
Geschichtsphilosophie ist der Sieg des Bösen selbstverständlich
und natürlich und nur ein Wunder Gottes wendet ihn ab; dieBilder, in denen sich sein Eindruck von der menschlichen Ge
schichte objektiviert, sind voll Grauen und Entsetzen; die Mensch-
heit taumelt blind durch ein Labyrinth dessen E" A, mgang, us-gang und Struktur keiner kennt, und das nennen wir Geschichte
(Obras V, p. I 92) ; die Menschheit ist ein Schiff, das ziellos auf
dem Meer umhergeworfen wird, bepackt mit einer aufrühre
rischen, ordinären, zwangsweise rekrutierten Mannschaft, die
gröhlt und tanzt, bis Gottes Zorn das rebellische Gesindel ins
Meer stößt, damit wieder Schweigen herrsche (IV, 102 ). Aber das
typische Bild ist ein anderes: die blutige Entscheidungsschlacht, .
die heute zwischen dem Katholizismus und dem atheistischen Sozialismus entbrannt ist.
Es liegt, nach Donoso, im Wesen des bürgerlichen Liberalis
mus, sich in diesem Kampf nicht zu entscheiden, sondern zu ver
suchen, statt dessen eine Diskussion anzuknüpfen. Die Bour-
geoisie definiert er geradezu als eine "diskutierende
Klasse", un a clasa discutidora. Damit ist sie gerichtet, denn
darin liegt, daß sie der Entscheidung ausweichen will. Eine Klasse,
die alle politische Aktivität ins Reden verlegt, in Presse und
~ a r l a m e n t , ist einer Zeit sozialer Kämpfe nicht gewachsen.
lJberall erkennt man die innere Unsicherheit und Halbheit dieser
liberalen Bourgeoisie des Julikönigtums. Ih r liberaler Konstitu
tionalismus versucht, den König durch das Parlament zu paraly-
c;.,
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 38/42
76 IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution
sieren, ihn aber doch auf dem Thron zu lassen, also dieselbe
Inkonsequenz, die der Deismus begeht, wenn er Gott aus der
Welt ausschließt, aber doch an seiner Existenz festhält (hier über
nimmt Donoso von Bonald die unermeßlich fruchtbare Parallele
von Metaphysik und Staatstheorie). Die liberale Bourgeoisie willalso einen Gott, aber er soll nicht aktiv werden können; sie will
einen Monarchen, aber er soll ohnmächtig sein; sie verlangt
Freiheit und Gleichheit und trotzdem Beschränkung des Wahl
rechts auf die besitzenden Klassen, um Bildung und Besitz den
nötigen Einfl uß auf die Gesetzgebung zu sichern, als ob
Bildung und Besitz ein Recht gäben, arme und ungebildete
Menschen zu unterdrücken; sie schafft die Aristokratie des Blutes
und der Familie ab und läßt doch die unverschämte Herrschaft
der Geldaristokratie zu, die dümmste und ordinärste Form einerAristokratie; sie will weder die Souveränität des Königs noch die
des Vollces. Was will sie also eigentlich?
Die merkwürdigen Widersprüche dieses Liberalismus sind
nicht nur Reaktionären wie Donoso und F. J. Stahl und nicht nur
Revolutionären wie Marx und Engels aufgefallen. Vielmehr ist
der seltene Fall eingetreten, daß man einmal bei einem kon
kreten politischen Tatbestand einen bürgerlichen deutschen Ge
lehrten Regelscher Bildung mit einem spanischen Katholiken kon
frontieren kann, weil beide - natürlich ohne gegenseitige Be
einflussung - die gleichen Inkonsequenzen feststellen, um dann
durch ihre verschiedene Bewertung in einen Gegensatz von
schönster typischer Klarheit zu treten. Lorenz von Stein spricht in
seiner "Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich" aus
führlich über die Liberalen: Sie wollen einen Monarchen, eine
IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution 77
persönliche Staatsgewalt also, einen selbstÄndigen Willen und eine
selbständige Tat, machen aber den König zum bloßen E x ~ k u t i v -organ und jeden seiner Akte von der Zustimmung des Ministe
riums abhängig, nehmen also wieder eben jenes persönliche Mo
ment; sie wollen einen König, der über den Parteien steht, der
also auch über der Volksvertretung stehen müßte, und bestimmen
gleichzeitig, daß der König nichts tun darf, als den Willen dieser
Volksvertretung auszuführen; sie erklären die Person des Königs
für unverletzlich und lassen ihn doch einen Schwur auf die Ver
fassung leisten, so daß eine Verfassungsverletzung möglich, aber
doch nicht verfolgbar ist. "Kein menschlicher Scharfsinn", sagt
Stein, "ist scharf genug, um diesen Gegensatz begrifflich zu
.lösen." Bei einer Partei wie der liberalen, di,e sich gerade ihres
Rationalismus rühmt, muß das doppelt sonderbar sein. Ein
preußischer Konservativer wie F. J. Stahl, der in seinen Vorträgen
"über die gegenwärtigen Parteien in Staat und Kirche" ebenfalls
die vielen Widersprüche des konstitutionellen Liberalismus be
handelt, hat eine sehr einfache Erldärung: der Haß gegen König
tum und Aristokratie treibt den liberalen Bourgeois nach links;
die Angst um seinen durch radikale Demokratie und Sozialismus
bedrohten Besitz treibt ihn wieder nach rechts zu einem mächtigen
Königtum, dessen Militär ihn schützen kann; so schwankt er
zwischen seinen beiden Feinden und möchte beide betrügen. Ganz
anders die Erklärung von Stein. Er antwortet mit dem Hinweis
auf das "Leben" und e r l c e n 1 i f ~ g e r a d e ~ d e n vielen Widersprüchen
die Fülle des Lebens. Das "unlösliche Verschwimmen der feind
lichen Elemente ineinander", das ist "eben der wahre Charakter
alles Lebendigen"; jedes Daseieode birgt seinen Gegensatz; "das
I
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 39/42
78 IV.· Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution
pulsierende Leben besteht in der fortwährenden Durchdringung
der entgegengesetzten Kräfte; und in der Tat sind sie erst wirklich
entgegengesetzte, wenn ma,n sie aus dem Leben herausschneidet".
Dann vergleicht er die gegenseitige Durchdringung der ~ g e n -
sätze mit dem Vorgang der organischen Natur und des persönlichen Lebens und sagt vom Staat, daß dieser ja auch persönliches
Leben habe. Es gehört zum Wesen des Lebens, immer neue Gegen
sätze und immer neue Harmonien langsam aus sich selbst zu
schaffen usw. u.sw.
Solchen "organischen" Denkens waren de Maistre_wie Donoso
Cortes unfähig. De Maistre hat es bewiesen dUII.'ch seine totale
Verständnislosigkeit fü r Schellings Lebensphilosophie; Donoso
wurde von Entsetzen ergriffen, als er in Berlin im Jahre r84g
den Hegelianismus von Angesicht sah. Beide waren Diplomaten
und Politiker von großer Erfahrung un d Praxis und haben genug
verständige Kompromisse geschlossen. Aber der systematische
und metaphysische Kompromiß war ihnen unfaßbar. Am ent
scheidenden Funkt die Entscheidung Slllspendieren, indem man
leugnet, daß hier überhaupt etwas zu entscheiden sei, mußte
ihnen als eine seltsame pantheistische Verwirrung erscheinen.
J euer Liberalismus mit seinen Inkonsequenzen und Kom
promissen lebt fü r Cortes nur in dem kurzen Interim, in dem
es möglich ist, auf die Frage: Christus oder Barrabas, mit einem
Vertagungsantrag oder der Einsetzung einer Untersuchungs
kommission zu antworten. Eine solche Haltung ist nicht zu
fällig, sondern in der liberalen Metaphysik begründet. Die Bour-
/' geoisie ist die Klasse der Rede- und Preßfreiheit und kommt
gerade zu diesen Freiheiten nicht aus irgendeinem beliebigen psy-
IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution 79
chologischen und ökonomischen Zustand, aus handelsmäßigem
Denken oder dergleichen. Man wußte längst, daß die Idee der
liberalen Freiheitsrechte aus den nordamerikanischen Staaten
stammt. vVenn in neuerer Zeit Georg Jellinek den nordamerika
nischen Ursprung dieser Freiheiten demonstriert, so ist das eine
These, die den katholischen Staatsphilosophen (so wenig übrigens
wie Karl Marx, den Autor des Aufsatzes über die Judenfrage)
kaum überrascht hätte. Auch die ökonomischen Postulate,
Handels- und Gewerbefreiheit sind fü r eine entschieden ideen
geschichtliche Untersuchung nur Derivate eines metaphysischen
Kerns. Donoso sieht in seiner radikalen Geistigkeit immer nur
die Theologie des Gegners. Er "theologisiert" keineswegs; keine
vieldeutigen, mystischen Kombinationen und Analogien, kein
orphisches Orakel; in den Briefen über aktuelle politische Fragen
eine nüchterne, oft grausame Illusionslosigkeit und keinerlei An
wandlung von Donquichotterie; in den systematischen Gedanken
gängen der Versuch, zur Konzision der guten dogmatischen Theo
logie zu gelangen. Daher ist seine Intuition in geistigen Dingen
oft frappant. Die Definition der Bourgeoisie als einer "Clasa
discutidora" und die Erkenntnis, daß ih re Religion in Rede- und
Preßfreiheit liegt, sind Beispiele dafür. Ich halte es nicht für
das letzte Wort über den gesamten, aber wohl fü r das erstaun
lichste Aper<;u über den kontinentalen Liberalismus. Vor dem
System eines C o n d ~ I s e t zum Beispiel - dessen typische Bedeu
tung Wolzendorff, vielleicht aus verwandtem Geist, erkannt und
vortrefflich geschildert hat - muß man doch wirklich glauben,
das Ideal des politischen Lebens bestehe darin, daß nicht nur die
gesetzgebende Körperschaft, sondern die ganze Bevölkerung dis-
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 40/42
''
80 IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution
kutiert, die menschliche Gesellschaft sich in einen ungeheuren
Klub verwandelt und die Wahrheit sich auf diese Weise durch
Abstimmung von selbst ergibt. Donoso hält das nur fü r eine
Methode, die Verantwortung zu umgehen und der Rede- und
Preßfreiheit eine übermäßig betonte Wichtigkeit zu geben, damitman sich im letzten nicht zu entscheiden brauche. Wie der Libe
ralismus in jeder politischen Einzelheit diskutiert und transigiert,
so. möchte er auch die metaphysische Wahrheit in eine Dis
kussion auflösen. Sein Wesen ist Verhandeln, abwartende Halb-
heit, mit der Hoffn.ung, die definitive. A u ~ e i n a n d e r s e t z u n g : die ··I
blutige Entscheidungsschlacht, könnte m eme p a ~ I a m e ~ t a n s c ~ e Debatte verwandelt werden und ließe sich durch eme ew1ge Dis-
kussion ewig suspendieren. ,
·Diktatur ist der Gegensatz zu D i s k u s s i o n ~ Es gehört zum De- ···\
zisionismus der Geistesart von Cortes, imme1r den extremen Fall .
anzunehmen, das jüngste Gericht zu erwarten. Darum verachtet
er dieLiberalen, während er den atheistisch-anarchistischen So
zialismus als seinen Todfeind respektiert und ihm eine diabolische
Größe gibt. In Proudhon glaubt er einen Dämon zu sehen.
Proudhon hat darüber gelacht und unter Anspielung auf die In-
quisition, als fühle er sich schon auf dem Scheiterhaufen, Donoso
zugerufen: allume! (Zusatz in den späteren Auflagen der Con
fessions d'un Revolutionnaire.) Aber der Satanismus dieser Zeit
war doch keine beiläufige Paradoxie, sondern ein starkes, in-tellektuelles Prinzip. Sein literarischer Ausdruck ist die Thron
erhebung des Satans, des »Pere adoptif de ceux qu'en sa noire
colere, Du paradis terrestre a chasses Dieu le pere«, und des
IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution81
Brudermörders Kain, während Abel der Bourgeois ist, »chauffant
SOll ventre a SOll foyer patriarcal«.
Race de Cain, au ciel monte
Et sur la terre jette Dieu! (Baudelaire.)
Nur ließ sich diese Position nicht halten, denn sie enthielt zu
nächst nur eine Vertauschung der Rollen von Gott und dem
Teufel. Auch ist Proudhon im Vergleich zu den spätern An
archisten noch ein moralistischer Kleinbürger, der an der Auto
rität des Familienvaters und am monogamen Familienprinzip
festhält. Erst Bakunin gibt dem Kampf gegen die Theologie die
ganze Konsequenz eines absoluten Naturalismus. Zwar will auch
er den "Satan verbreiten", und hält er das - im Gegensatz zu
Karl Marx, der jede Art Religion verachtete - fü r die einzigewirkliche Revolution. Aber seine intellektuelle Bedeutung beruht
doch auf seiner Vorstellung vom Lehen, das kraft seiner natür
lichen Richtigkeit die richtigen Formen von selbst aus sich selbst
schafft. Fü r ihn gibt es daher nichts Negatives und Böses als die
theologische Lehre von Gott und Sünde, die den Menschen zum
Bösewicht stempelt, um einen Vorwand fü r ihre Herrschsucht und
Machtgier zu haben. Alle moralischen Bewertungen führen zur
Theologie und zu einer Autorität, die ein fremdes, von außen
kommendes Sollen der natürlichen und immanenten Wahrheitund Schönheit menschlichen Lebens künstlich oktroyiert, deren
Quelle Habsucht und Herrschgier ist und deren Ergebnis eine all
gemeine Korruption bedeutet, sowohl derer, die die Macht
ausüben, als derer, über die sie ausgeübt wird. Wenn heute An
archisten in der auf väterlicher Gewalt und Monogamie beruhen-6 Schmitt, Politische Theologie
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 41/42
82 IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution
den Familie den eigentlichen Sündenzustand sehen und die Rück
kehr zum Matriarchat, dem angeblichen paradiesischen Ur
zustande, predigen, so äußert sich darin ein stärkeres Bewußt
sein der tiefsten Zusammenhänge als in jenem Lachen von Prond
hon. Solche letzten Konsequenzen, wie die Auflösung der aufväterlicher Gewalt beruhenden Familie, hat Donoso immer im
Auge, weil er sieht, daß mit dem Theologischen das Moralische,
tpit dem Moralischen die politische Idee verschwindet und jede
moralische und politische Entscheidung paralysiert wird in einem
paradiesischen Diesseits unmittelbaren, natürlichen Lebens nnd
problemloser »Leib«haftigkeit.
Heule ist nichts moderner als der Kampf gegen das Politische.
Amerikanische Finanzleute, industrielle Techniker, marxistische
Sozialisten und anarcho-syndikalistische Revolutionäre vereinigensich in der Forderung, daß die Unsachliche Herrschaft der Politik
über die Sachlichkeit des wirtschaftlichen Lebens beseitigt werden
müsse. Es soll nur noch organisatorisch-technische und ökono
misch-soziologische Aufgaben, aber keine politischen Probleme
mehr geben.· Die heute herrschende Art ökonomisch-technischen
Denkens vermag eine politische Idee ga r nicht mehr zu per
zipieren. Der moderne Staat scheint wirklich das geworden zu
sein, was Max Weber in ihm sieht: ein großer Betrieb. Eine
politische Idee· wird im allgemeinen erst dann begriffen, wenn es
gelungen ist, den Personenkreis nachzuweisen, der ein plausibles
ökonomisches Interesse daran hat, sich ih.rer zu seinem Vorteil
zu bedienen. Verschwindet hier das Politische im Ökonomischen
oder Technisch-Organisatorischen, so zergeht es auf der andern
Seite in dem ewigen Gespräch kultur- und geschichtsphilo-
I V. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution 83
sophischer Allgemeinheiten, die mit ästhetischen Charakteri
sierungen eine Epoche als klassisch, romantisc h oder barock
goutieren. In beidem ist der Kern der politischen Idee, die an
spruchsvolle moralische Entscheidung, umgangen. Die aktuelle
Bedeutung jener gegenrevolutionäreil Staatsphilosophen aber liegtin der Konsequenz, mit der sie sich entscheiden. Sie steigern das
Moment der Dezision so stark, daß es schließlich den Gedanken
der Legitimität, von dem sie ausgegangen sind, aufhebt. Sobald
Donoso Cortes erkannte, daß die Zeit der Monarchie zu Ende ist,
weil es keine Könige mehr gibt und keiner den Mut haben würde,
anders als durch den Willen des Volkes König zu sein, führ te .
et· seinen Dezisionismus zu Ende, das heißt, er verlangte eine
politische Diktatur. Schon in den zitierten Äußerun o·cn von de1:>
Maistre lag eine Reduzierung des Staates auf das Moment der
Entscheidung, konsequent auf eine reine, nicht räsonnierende und
nicht diskutierende, sich nicht rechtfertigende, also aus dem
Nichts geschaffene absolute Entscheidung.
Das ist aber wesentlich Diktatur, nicht Legitimität. Donoso war
überzeugt, daß der Augenblick des letzten Kampfes gekommen
war; angesichts des radikal Bösen gibt es nur eine Diktatur, unll
der legitimistische Gedanke der Erbfolge wird in einem solchen
Augenblick leere Hechthaberei. So konnten die Gegensätze von
Autorität und Anarchie in absoluter Entschiedenheit einander
gegenübertreten und die oben erwähnte klare Antithese bilden:
wenn de Maistre sagt, jede Hegierung ist notwendig absolut, so
sagt ein Anarchist wörtlich dasselbe; nur zieht er, mit Hilfe seines
Axioms vom guten Menschen nncl der korrupten Regierung, den
entgegengesetzten praktischen Schluß, d a f ~ nämlich eben deshalbu•
5/13/2018 schmitt- politische theologie - slidepdf.com
http://slidepdf.com/reader/full/schmitt-politische-theologie 42/42
84 ·IV. Zur Staatsphilosophie der Gegenrevolution
jede Regierung bekämpft werden müsse, weil jede Regierung
Dildatur ist. Jede Prätention einer Entscheidung muß für den
Anarchisten böse sein, weil das Richtige sich von selbst ergibt,
wenn man die Immanenz des Lebens nicht mit solchen Präten
tionen stört. Freilich, diese radikale Antithese zwingt ihn, sichselbst entschieden gegen die Dezision zu entscheiden; und bei dem
<Yrößten Anarchisten des 1 g. Jahrhunderts, Balmnin, ergibt sich0
die seltsame Paradoxie, daß er theoretisch der Theologe des
Anti-Theologischen und in der Praxis der Diktator einer Anti
Diktatur werden mußte.
V 01 44221 0 90
CARL SCHMITT
Verfassungslehre. 5., unveränderte Auflage. XX, 404 S. 1970. Ln.DM 44,-.
Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924 -1954 . 2. Auflage.
517 S. 1973. Ln. DM 68,-.
Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum.
2. Auflage. 308 S. 1974. Ln. DM 48,-.
Die Diktatur. 4. Aluflage. XXIII, 259 S. 1978. DM 48,-.
Der Hüter der Verfassung. 2., unveränderte Auflage. VIII, 159 S. 1969.DM 18,60.
Politische Romantik. 3., unveränderte Auflage. 234 S. 1968. DM 29,60.
Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. 4. Auf
lage. 90S. 1969. DM 9,80.
Politische Theologie II. Die Legende von de r Erledigung jeder Politi
schen Theologie. 126 S. 1970. DM 16,60.
Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mi t einem Vorwort und drei
CoroUarien. 124 S. 1963. DM 12,60.
Theorie der Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politi
schen. 2., unveränderte Auflage. 96 S. 1975. DM 12,60.
Legalität und Legitimität. 2., unveränderte Auflage. 98 S. 1968.DM 12,60.
Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt zum achtzigsten Geburtstag.
Hrsg. von H. Barion, E.-W. Böckenförde, E. Forsthoff und W. Weber.2 Bände. 794 S. 1968. Lw. DM 126,-.