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Schmidt-Radefeldt, R. & Meissler, C. (Hrsg.). (2012). Automatisierung und Digitalisierung des...

Date post: 23-Dec-2016
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REZENSION Für die einen, wie Verteidigungsminister Thomas de Maiziere, sind sie nur ein konsequenter Evolutionsschritt der Militärtechnologie, für die anderen der Vorbote eines Zeitenwandels, der das Wesen des Krieges verändern wird: Kampfdrohnen oder besser bewaffnete Roboter. Über kein militärisches Mittel wurde seit der Ächtung der Streumunition so heftig diskutiert, wie über die ferngesteuerten, fliegenden Maschinen mit den Furcht einflößenden Namen Predator, Reaper oder Heron. Für die Bundeswehr ist eine Beschaffung von bewaffneten Drohnen noch nicht beschlossen, wenngleich sich Politiker und Vertreter des Verteidigungsministeriums bereits dafür ausgesprochen haben. Eine breite öffentliche, sicherheitspolitische Diskussion um die Konsequenzen für die Bundeswehr, die Veränderung der Kriegsführung und die ethischen Aspekte hat es in Deutschland nicht gegeben. In den USA führen sie vor allem WissenschaftlerInnen und JuristInnen entlang der Frage, ob die durch bewaffnete Drohnen der CIA in Pakistan, Somalia und Jemen durchgeführten gezielten Tötungen von Terrorverdächtigen legitim sind. Das Thema ist aber viel komplexer als es die Fokussierung auf das targeting killing vermuten lässt. Es geht um die Entmenschlichung des Krieges, wie es im Vorwort von Automatisierung und Digitalisierung des Krieges von Roman Schmidt-Radefeldt und Christine Meissler (Hrsg.) treffend beschrieben wird. Dazu zählen sie konsequenterweise auch die Auseinandersetzungen im Datenraum (Cyberspace), die uns durch die Angriffe der Schadprogramme Stuxnet und Flame in den vergangenen Jahren vor Augen geführt wurden. Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:619–621 DOI 10.1007/s12399-013-0351-2 Schmidt-Radefeldt, R. & Meissler, C. (Hrsg.). (2012). Automatisierung und Digitalisierung des Krieges. Drohnenkrieg und Cyberwar als Herausforderungen für Ethik, Völkerrecht und Sicherheitspolitik. Baden-Baden: Nomos, 202 S., ISBN: 978-3832971984, € 44,00. Marcel Dickow Online publiziert: 25.09.2013 © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Dr. M. Dickow () Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Ludwigkirchplatz 3–4, 10719 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]
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Page 1: Schmidt-Radefeldt, R. & Meissler, C. (Hrsg.). (2012). Automatisierung und Digitalisierung des Krieges . Drohnenkrieg und Cyberwar als Herausforderungen für Ethik, Völkerrecht und

Rezension

Für die einen, wie Verteidigungsminister Thomas de Maiziere, sind sie nur ein konsequenter evolutionsschritt der Militärtechnologie, für die anderen der Vorbote eines zeitenwandels, der das Wesen des Krieges verändern wird: Kampfdrohnen oder besser bewaffnete Roboter. Über kein militärisches Mittel wurde seit der Ächtung der Streumunition so heftig diskutiert, wie über die ferngesteuerten, fliegenden Maschinen mit den Furcht einflößenden Namen Predator, Reaper oder Heron. Für die Bundeswehr ist eine Beschaffung von bewaffneten Drohnen noch nicht beschlossen, wenngleich sich Politiker und Vertreter des Verteidigungsministeriums bereits dafür ausgesprochen haben. Eine breite öffentliche, sicherheitspolitische Diskussion um die Konsequenzen für die Bundeswehr, die Veränderung der Kriegsführung und die ethischen Aspekte hat es in Deutschland nicht gegeben. In den USA führen sie vor allem WissenschaftlerInnen und JuristInnen entlang der Frage, ob die durch bewaffnete Drohnen der CIA in Pakistan, Somalia und Jemen durchgeführten gezielten Tötungen von Terrorverdächtigen legitim sind. Das Thema ist aber viel komplexer als es die Fokussierung auf das targeting killing vermuten lässt. es geht um die entmenschlichung des Krieges, wie es im Vorwort von Automatisierung und Digitalisierung des Krieges von Roman schmidt-Radefeldt und Christine Meissler (Hrsg.) treffend beschrieben wird. Dazu zählen sie konsequenterweise auch die Auseinandersetzungen im Datenraum (Cyberspace), die uns durch die Angriffe der Schadprogramme Stuxnet und Flame in den vergangenen Jahren vor Augen geführt wurden.

Z Außen Sicherheitspolit (2013) 6:619–621DOI 10.1007/s12399-013-0351-2

Schmidt-Radefeldt, R. & Meissler, C. (Hrsg.). (2012). Automatisierung und Digitalisierung des Krieges. Drohnenkrieg und Cyberwar als Herausforderungen für Ethik, Völkerrecht und Sicherheitspolitik. Baden-Baden: Nomos, 202 S., ISBN: 978-3832971984, € 44,00.

Marcel Dickow

Online publiziert: 25.09.2013© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

Dr. M. Dickow ()Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Ludwigkirchplatz 3–4, 10719 Berlin, Deutschlande-Mail: [email protected]

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Der bei Nomos erschienene Band beleuchtet in zwei Teilen die technologischen, sicherheitspolitischen, ethischen und völkerrechtlichen Aspekte der Automatisierung und Digitalisierung des Krieges. Für den interessierten Laien finden sich gute Einführungen in die Thematik ebenso wie für den fachkundigen Experten detaillierte Bearbeitungen z. B. juristischer Fragestellungen. So bietet der vorliegende Band einen gelungenen Über-blick über Thema und Problematik. Die vorwiegend deutschen AutorInnen prägen seit Jahren mit wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen den akademischen Dis-kurs und haben für diesen Band teilweise bereits erschienene Artikel überarbeitet oder zusammengefasst. Auch wenn das eine oder andere redundant ist, findet der Leser doch in jedem Beitrag neue Aspekte, die die einzelnen Texte jeweils lesenswert machen. Die überaus gelungene Einführung durch die HerausgeberInnen sollte zur Pflichtlektüre jedes Bundestagsabgeordneten gehören, bringt sie doch die von den AutorInnen beschriebenen Herausforderungen dieser militärtechnologischen Trends für die Politik auf den Punkt.

Im ersten Teil nehmen, aus aktuellem Anlass, die Kampfdrohnen einen breiten Raum ein. Die AutorInnen, darunter Peter W. Singer  (Wired for War), analysieren aber auch darüber hinaus die Trends zur Autonomisierung und Bewaffnung von Robotern, zu Lande, zur see und in der Luft. einstimmig attestieren sie dem zukünftigen autonomen Waffeneinsatz dieser Maschinen das Potenzial, das Kriegsbild nachhaltig zu verändern. Weder die Politik noch die derzeitigen völkerrechtlichen Bestimmungen fänden bislang befriedigende Regelungen für die sich abzeichnenden neuen Formen der Auseinanderset-zung. In den Analysen der AutorInnen deutet sich auch an, dass eher die Rüstungsplaner als die Militärs selbst Treiber der Robotisierung sind. Die längst mitgedachte taktische Einbettung von autonomen Maschinen hat im strategischen Denken der Militärs aber noch keine massiven Veränderungen hervorgebracht. So plädieren einige AutorInnen, vor allem Niklas Schörnig und Thomas Petermann, für die präventive Begrenzung einiger Fähigkeiten, wie z. B. den Einsatz von Waffengewalt durch autonom agierende Roboter. Thilo Marauhn bewertet den derzeitigen Einsatz von heutigen bewaffneten Drohnen aus völkerrechtlicher Perspektive. Seine detaillierte Analyse zeigt, dass die Intentionen und die Umstände des Gewalteinsatzes, nicht aber das Gerät selbst für die Legitimität des Einsatzes entscheidend ist. Aus den perspektivischen Analysen insbesondere von Niklas Schörnig kann der Leser ableiten, dass die zunehmende Automatisierung und Autonomi-sierung der Roboter den Quantensprung für die ethische und völkerrechtliche Bewertung darstellt.

Während die Robotisierung des Krieges weitgehend öffentlich abläuft – bis auf Details sind viele Projekte der Rüstungsindustrie und der Streitkräfte westlicher Län-der einsehbar –, vollzieht sich die Digitalisierung militärischer Mittel und ihr Einsatz in Konflikten eher im Verborgenen. Der zweite Teil widmet sich den Realitäten und Mythen des Cyberwar, in dem die AutorInnen vor allem die Unterschiede zur klassischen sicher-heitspolitischen Denkweise und die neue Dimension des Cyberspace aufzeigen. Dass das keine leichte Übung ist, begreift der Leser schnell anhand der Komplexität der von den AutorInnen geschilderten Szenarien. Aber auch, weil durch den zweiten Teil des Bandes keine Einigkeit besteht, was die wirklichen Herausforderungen des Cyber-Zeitalters sind. Erstaunlicherweise widmet sich kein Artikel dem wohl bedeutendsten Akteur in Europa, der sich wie kein Zweiter dem vernetzten Ansatz und einem umfassenden Sicherheits-begriff verschrieben hat: der Europäischen Union. Zwar sind Olaf Theilers Zeilen zu

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cyber defence in der NATO mehr als lesenswert und informativ, gleichzeitig machen sie aber doch die Begrenztheit des militärischen Ansatzes für ein gesellschaftliches Problem deutlich.

Automatisierung und Digitalisierung des Krieges ist ein informativer und aufschluss-reicher Band für den an neuen technologischen Trends interessierten Leser und eine gelungene Zusammenfassung für den Stand der politischen Diskussion. Besonders der erste Teil besticht mit genauen Analysen und detailliertem Wissen, während der zweite Teil das sich ständig weiterentwickelnde und bislang noch nicht vollständig verstandene Phänomen Cyber mosaikartig abbildet.


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