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Date post: 01-Feb-2021
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Schlachtfeldarchäologie in Deutschland – von der Bronzezeit bis ins 20. Jahrhundert
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  • Die endgültige Herausbildung der Nationalstaatenin der zweiten Hälfte des 19. Jh., die »Massenheere«produzierende Einführung der Wehrpflicht in denmeisten Staaten sowie die sich immer schneller ent-wickelnde Militärtechnologie des Industriezeitaltersmündeten in die beiden Weltkriege, die wohl aus-uferndsten und verlustreichsten der Menschheitsge-schichte.

    Die neuen, alten Kriege

    Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Welt nur 18Tage Frieden. Dies waren die Tage direkt nach der japanischen Kapitulation 1945. Viele Kriege seitherverlaufen nach alten Mustern. Die moderne Kriegs-forschung hat für eine Gruppe von Konflikten, dieins besondere nach 1945 etwa im Kongo, in Ruandaoder teils auch in den Sezessionskriegen Jugoslawiens,z.B. in Bosnien, auftraten, den Begriff der »Neuen Kriege« geschaffen. Darin kämpfen nicht mehr Natio -nal staa ten gegeneinander, wie es nach dem Dreißig-jährigen Krieg bis ins 20. Jh. hinein weitgehend derFall war. Typisch für die »Neuen Kriege« ist ihre öko-no mische Verselbständigung. »Krieg« wird zumSelbst zweck, zu einer Erwerbsform für Heerscharen,die oft keine staat liche Institution repräsentieren, son-dern in denen »Warlords« als private Kriegsunter-nehmer handeln.

    Vor allem der Politikwissenschaftler HerfriedMünkler hat gezeigt, dass die Grundmuster der »Neu-en Kriege« so neu nicht sind, und dass ähnliche Ar-ten der Konfliktaustragung bzw. Erwerbstätigkeits-formen teils deutlich früher existierten. Etwa imDreißigjährigen Krieg (1618–1648), der weitgehendauf diese Weise geführt wurde und in dem ein Gene-ralissimus Wallenstein (1583–1634) ein enormes Pri-vatvermögen anhäufte. Archäologisch und teils auchhistorisch lassen sich erste Ansätze solcher Verhält-nisse schon im Kriegswesen der Bronzezeit und dergermanischen Gefolgschaften erkennen, wo eine ei-gene »Kriegerkaste« hervorscheint, die sich durchPlünderung und Überfall verdingte.

    Frieden

    Krieg und Gewalt steht zweifellos auch immer wiederein friedliches Miteinander gegenüber. Neben der er-nüchternden Feststellung, dass Krieg in den meistentraditionellen Gesellschaften die Regel war, kam Kee-ley ebenso zu dem Ergebnis, dass selbst bei den kriege-rischsten Völkern friedliche Aspekte wie Handel undKunst im Alltag die weitaus größte Rolle spielten.

    Dieses Miteinander lässt sich archäologisch aufvielerlei Weise ablesen: Wenn auch nicht immer, soerfolgte Handel meist durch zivile Kontakte und schlugsich in Gütern wie z.B. importierten Steinäxten oderKeramik nieder. In manchen Fällen zeigen DNS- undSpurenelementanalysen von sterblichen Überresten,dass verschiedene Bevölkerungsgruppen mitunter ver-wandtschaftliche Beziehungen aufgebaut haben, wenn-gleich auch dabei Gewalt eine Rolle gespielt habenkönnte, etwa in Form von Frauenraub. Doch erkenntman an bronze- oder eisenzeitlichen Gräbern immerwieder, dass »Fremde« in eine Gemeinschaft aufge-nommen wurden. Vielleicht hat sie die einheimi scheBevölkerung dank neuen, revolutionären Kenntnis-sen in der Metallurgie schnell akzeptiert und ehren-voll auf ihren Friedhöfen bestattet.

    Ebenso zeichnen sich Phasen ab, die zumindestweniger kriegerisch waren als andere. Insbesondereauf dem Gebiet der Jastorf-Kultur in Norddeutsch-land fehlen ab dem 5. Jh. v.Chr. übermäßig reichebzw. mit Waffen ausgestattete Gräber. Vielleicht wa-ren die sozialen Unterschiede in den bäuerlichenStammesgesellschaften vor allem Nordeuropas da-mals eher gering. Statt Höhensiedlungen und Be-festigungen bestimmten hier eine Zeit lang kleineWeiler das Siedlungsbild.

    Epilog

    Mit dem Thema Krieg beschäftigen sich unzähligewissenschaftliche Disziplinen: Psychologie, Soziolo-gie, Ethnologie, Anthropologie, Genderforschung,Primatenforschung oder Ontologie, um nur einige zunennen. Kaum ein Phänomen ist facettenreicher.

    Im Mittelhochdeutschen bedeutete das Verb »krie-gen« »sich anstrengen« oder »um etwas streiten«,»zanken« oder »kämpfen«. So sind auch Neid, Miss-gunst und Habgier Triebfedern des Krieges, ebensoHass, Wahn und Aggression.

    Auch in der Tierwelt gibt es »kriegsähnliche« Ver-hal tensweisen, wenngleich dort keine zu diesem Zweckhergestellten Waffen genutzt werden. Ameisenstaatenbekämpfen sich genauso wie manche Wespen-, Bie-nen- und Hornissenarten. Schimpansengruppen be-treiben jahrelang Patrouillenvorstöße in Gebiete »ge g-nerischer« Artgenossen. Im Falle klar unterlegener»Gegner« kommt es zum Angriff. Die Anthrop o loginJane Godall meinte zu der Beobachtung einer solchenSzene im Gombe Nationalpark, diese Attacken gehör-ten zu dem brutalsten, was sie je gesehen habe. DerMensch aber – so die gängige Meinung – unterschei desich von den Tieren eben gerade darin, dass er seineTriebe, Emotionen und Affekte kontrollieren könne.

    | Eine kurze Archäologie und Geschichte vom Krieg30

    Schlachtfeldarchäologie inDeutschland – von der Bronzezeit

    bis ins 20. Jahrhundert

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  • Seit 2008 wird der Fundplatz von Mitarbeitern desLandesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklen-burg-Vorpommern und der Universität Greifswaldim Rahmen eines interdisziplinären Forschun g spro -jektes systematisch untersucht. In schmalen Suchgrä-ben wurden dicht am Ufer vor allem weitere Knochengeborgen. Taucher des Landesverbandes für Unter-wasserarchäologie Mecklenburg-Vorpommern konn-ten zahlreiche neue Fundstellen entdecken.

    Unterstützt von Studierenden und Freiwilligen ha-ben die Forscher auf einer Länge von etwa 2 km ent-lang des Flusses bis Ende 2010 weit mehr als 2000Knochen aus der Bronzezeit eingesammelt – und das,obwohl gerade einmal 5% der möglichen Grabungs-fläche geöffnet wurde.

    Ersten anthropologischen Untersuchungen zufol-ge handelt es sich um die Skelettreste von mindestens90 Menschen, darunter überwiegend Männer im Alterzwischen 20 und 40 Jahren und nur wenige Frauenund Kinder. Da alle in dieselbe Torfschicht eingebet-tet waren, lassen sich die bisherigen Radiokarbonda-tierungen verallgemeinern. Demnach starben dieMenschen um 1300 v.Chr. Eine Holzprobe aus derKeule ergab ein entsprechendes, nur geringfügig frü-heres Datum von 1321 v.Chr.

    Kriegeradel

    Die Toten stammen aus genau jener Zeit, als sich inEuropa wohl erstmals stabile Handels- und Macht-zentren herausbildeten. Die Verarbeitung des neuenWerkstoffes Bronze weckte Begehrlichkeiten nachKupfer und Zinn und ermöglichte zugleich neue For-men der Gewaltausübung.

    Diese Epoche der Menschheitsgeschichte, dieBronzezeit, markiert ein erstes Zeitalter der großenSchlachten, die etwa durch Hieroglyphen- und Keil-schriften überliefert sind. 1457 v.Chr. etwa führteThutmosis III. Ägypten in die Schlacht bei Megiddo.1274 v.Chr. kämpfte Ägypten unter Pharao Ramses II.(»der Große«) an einer Festung am Fluss Orontesnahe der heutigen syrisch-libanesischen Grenze ge-gen die Hethiter in der Schlacht bei Kadesch – we-nige Jahre nach dem Tod der Menschen aus demTollensetal.

    Doch zu Europa, vor allem dem Norden, schweigendie Schriftquellen noch viele Jahrhunderte. Lediglichmanche Felsbilder mit Darstellungen von bewaffne-ten Kriegern und Kampfszenen lassen unmittelbarerahnen, welche Schlachten auch hier tobten.

    Allerdings schlagen sich in den prähistorischenFunden zumindest in manchen Gegenden aufkom-mende Reichtumszentren nieder. Ab dem 2. Jt. v.Chr.gaben sich deren Anführer in Prunkgräbern z.B. derWessex-Kultur in Südwestengland, der AunjetitzerKultur im östlichen Mitteleuropa sowie in frühmy -kenischen Schachtgräbern in Griechenland zu er-kennen.

    Krieg spielte in der Ideologie dieser hierarchischenGesellschaften zweifelsohne eine zentrale Rolle. InGräbern und Horten fast in ganz Europa fanden sichab dem 2. Jt. v.Chr. Tausende Schwerter, Dolche,Streitbeile, Lanzenspitzen sowie andere Waffen undAusrüstungsteile. Daran lässt sich zugleich die Ent-wicklung der Waffentechnologie verfolgen. Gehörtenin der Jungsteinzeit und frühen Bronzezeit noch Dolchund Streitaxt zur Hauptbewaffnung, setzte sich all-mählich das Bronzeschwert als Nahkampfwaffe undStatuszeichen des Kriegers durch. Seit dem 13. Jh.v.Chr. vereinte das Schwert sowohl Stich- und Hieb-funktion in einer einzigen Waffe und verdrängte Dolchund Streitaxt. Ergänzt wurde die Bewaffnung durchLanze, Speer sowie Pfeil und Bogen, deren Beweh-rungen nun in Metall ausgeführt werden konnten.

    Ab der Wende vom 14. zum 13. Jh. v.Chr. tauchtenvereinzelt auch metallene Schutzausrüstungen wieHelme, Brustpanzer, Beinschienen und Schildteileauf. Im Kampf trugen die Anführer aufwendige Pan-zer aus Leder und Metall, die beispielsweise in derbayerischen Heunischenburg entdeckt wurden und

    Kriegeradel | 33

    Noch im Juni 1996 erfolgte eine einwöchige ar-chäologische Sondierung des Fundplatzes. Dabei ka-men in Grabungsschnitten am Ufer, 1,5 m unter derOberfläche, aus einer Torfschicht, die über einerSchwemmsandschicht lag, weitere Knochen und Höl-zer ans Tageslicht. In einer südlichen Konzentrationwurden überwiegend Tierknochen entdeckt. Die Res-te von wenigstens fünf menschlichen Skeletten fan-den sich hauptsächlich am Ufer, teils noch im anato-mischen Verband. In der Hauptkonzentration derSondierungsschnitte lagen größere, zum Teil ver-brannte Hölzer. Mit zunehmender Entfernung vomUfer dünnten die Funde aus.

    Auch die neuen Entdeckungen wiesen Besonder-heiten auf: So war an einem menschlichen Hinter-hauptfragment eine große Fraktur mit deutlich nachinnen gebrochenen Rändern zu erkennen. »Offen-bar«, so das Forscherteam, »war der Angreifer mitgroßer Brutalität vorgegangen.« Der Form der Im-pression nach könnte ein »schweres Beil, eine schwe-re Axt oder eine massive Holzwaffe« als Tatwaffe inBetracht kommen.

    In den folgenden Jahren gab das Ufer immer wie-der Überreste frei. Noch im November 1996 barg Ro-nald Borgwardt einen weiteren Schädel. 1999 ragteam Fluss ein Holzteil empor, das sich bei der Notber-gung durch Mitarbeiter des Landesamtes für Kulturund Denkmalpflege als Holzgerät mit langem Stil undsorgfältig zugerichtetem Keulenende erwies. Auchdiesmal waren Skelettfunde zu verzeichnen, von de-nen einige noch im anatomischen Verband gelegenhaben sollen.

    Die Toten aus dem Tollensetal: ein Schlachtfeld der Bronzezeit?

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    Schädel mit Verletzungen aus dem Tollensetal.

    Im Tollensesee in Mecklenburg-Vorpommern nimmtder schmale Fluss seinen Lauf, überwindet auf einerLänge von 68 km gerade einmal 13 Höhenmeter undverliert sich schließlich in der Peene. Die Tollense istein friedliches und eigentlich auch ein eher unspekta -k u läres Gewässer. Nur hinter Altentreptow, bei Welt-zin, strömt sie etwas rascher. Hier windet sich dasWasser in engen Bögen durch ein ca. 400 m breites Tal,vorbei an sanft abfallenden Weiden mit grasendenKühen. Genau hier, am Ende der Bronzezeit, beginntmomentan die Schlachtfeldarchäologie in Deutsch-land – vielleicht.

    Mehr als 3000 Jahre barg der Fluss ein Geheimnis.Inzwischen hat er einen Teil davon preisgegeben: DieGebeine von mehr als 200 Menschen und unzähligenPferden sowie mehrere Holzwaffen traten seit 1996 ausseinem Ufersaum zutage. Einige menschliche Kn o-chen zeigen noch deutlich Spuren der Gewalt. Wie je- nes Kugelgelenkende eines Oberarmknochens, in demnoch eine Pfeilspitze steckte, oder das Hinterhaupt eines mit einem stumpfen Gegenstand erschlagenenjungen Mannes.

    Die Tollense hat unfriedliche Zeiten erlebt. Dochwas sich hier genau ereignete, woher die Totenstammten und wie sie starben, ist derzeit blankeTheorie. Die wahrscheinlichste Hypothese lautet, dasses sich um die Opfer eines kriegerischen Konflikteshandelt.

    Keulen und Knochen

    1996 bargen der Hobbyarchäologe Hans-DietrichBorgwardt und sein Sohn Ronald menschliche undtierische Knochen sowie einige Holzreste. Darunterwaren eine ca. 70 cm lange »baseballschlägerartigeHolzkeule«, diverse Knochen von Pferden und Men-schen sowie der Oberarmknochen mit Pfeilspitze. Siewar flächenretuschiert und an der Basis eingezogen,was eine Datierung in die Bronzezeit nahelegte. DiePosition der Pfeilspitze im Knochen deutete auf einen»Einschuss mit beachtlicher Energie aus rückwär tigerPosition«, so die Archäologen Christine und DetlefJantzen sowie Thomas Terberger in ihrer Fachpubli-kation aus dem Jahr 2006.

    Menschlicher Oberarm -knochen mit eingeschossenerPfeilspitze vom FundplatzWeltzin 20.

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  • 34 | Die Toten aus dem Tollensetal: ein Schlachtfeld der Bronzezeit?

    hier der Schuss nicht tödlich war. Doch bei beidenFällen ist eher von Gewaltakten innerhalb einer so-zialen Gruppe auszugehen.Ähnliche Befunde, vor al-lem Pfeilschussverletzungen, sind zudem schon ausfrüheren Zeiten bekannt.

    Anders verhält es sich mit den Toten von Wassen -aar in den Niederlanden. Dort kam 1987 ein Mas-sengrab mit jeweils zwei Kindern, Jugendlichen undjungen Frauen sowie sechs Männern zutage. DieMenschen wurden gleichzeitig getötet und kurz da-rauf bestattet. In der Brust eines jungen Mannessteckte noch eine Pfeilspitze, der Schädel eines Säug-lings lag abgetrennt neben dem Arm eines Mannes,und auch andere wiesen untrügliche Zeichen bruta-ler Gewalt wie Hiebwunden an Kiefer und Oberarmauf. Radiokarbonuntersuchungen datieren das Ge-schehen um 1700 v.Chr.

    Was geschah im Tollensetal?

    Wurden die Funde angespült oder gelangten sie amUfer des Flusses in den Boden? War die Tollense Zeu-gin blutiger Schlachten oder heiliger Zeremonien, beidenen Menschen und Holzwaffen geopfert wurden?Bei ihren Interpretationen sind die Wissenschaftlervorsichtig. Noch ist vollkommen unklar, ob die Kno-chen ein bronzezeitliches Schlachtfeld markierenoder ob die Toten vielleicht doch einstmals auf einem»normalen«, vielleicht erodierten Friedhof beigesetztworden waren.

    an das Ende des 2. Jt. datieren. Üblicherweise dürftendie Schutzwaffen allerdings hauptsächlich aus orga-nischem Material hergestellt worden sein.

    Doch nicht nur die Grab- und Hortfunde lassenden hohen Stellenwert der Kriegsführung erahnen.Die Bronzezeit ist zugleich jene Epoche, in der erst-mals in großer Zahl Burgen entstehen. Zwar warendie meisten Siedlungen auch damals noch unbefes-tigt, doch vor allem ab Mitte des 2. Jt. v.Chr. wurdenviele Dörfer mit entsprechenden Anlagen umgeben.Offenbar mussten sich die Einwohner schützen. InNordostdeutschland sind solche Umwehrungen bis-her bei Basedow, Kamminke, Kratzeburg und Saalentdeckt worden.

    Die Wiege des Krieges

    Obwohl kaum eine Epoche so kriegerisch erscheintwie die Bronzezeit, sind Relikte direkter Konfronta-tio nen bislang rar. Gerade deshalb ist der Fundplatzan der Tollense bei Weltzin für die Forschung von sogroßer Bedeutung.

    Nur wenige weitere Fundgruppen beweisen, dassKrieg nicht nur in der Ideologie, sondern auch imrealen Leben eine wichtige Rolle spielte. Dazu gehö-ren Scharten und Nachschärfungen an Schwertern,aber auch Brandspuren oder Geschossspitzen an Tor-anlagen deuten gelegentlich auf Kämpfe hin. In derHeunischenburg fanden Archäologen hauptsächlichim Torbereich über 300 Waffen und Ausrüstungsge-genstände aus Bronze, darunter Schwerter, Lanzen-spitzen, Knöpfe und Beschläge. Am häufigsten aller-dings waren Pfeilspitzen, die vor allem im Torbereichbzw. unter verstürzten Mauern der Befestigung lagen.Ein Teil der Waffen weist typische Kampfspuren auf.Andere hingegen wurden scheinbar verbogen undzerbrochen. Ganz offensichtlich kämpften hier alsogrößere Gruppen gegeneinander.

    Verglichen mit den vielen Waffen und Befestigun-gen sind auch direkte anthropologische Hinweise aufGewalt auffallend selten, etwa Hieb- und Stichverlet-zungen an Knochen durch Lanzen, Schwerter, Beileund Dolche. Im thüringischen Klings beispielsweisesteckte eine Bronzepfeilspitze in einem Lendenwir-bel. Der Schuss an sich war zwar nicht tödlich, dochführte er zur Lähmung und brachte das Opfer mit Si-cherheit zu Boden, wo es wohl rasch auf andere Artzu Tode kam, denn der Wirbel zeigt keinerlei Anzei-chen eines Heilungsprozesses.

    Aus Saalfeld (Sachsen-Anhalt) stammt ein Bron-zegeschoss, das ebenfalls in einem menschlichen Wir-bel steckte. Der Schuss hatte das Opfer von der Seitegetroffen. Knochenwucherungen belegen, dass auch

    35Was geschah im Tollensetal? |

    entdeckt wurden. Dortige Siedlungsreste geben Auf-schluss über die Bevölkerungsdichte in schlechter un-tersuchten Gegenden. Schätzungsweise lag sie bei vierbis fünf Menschen pro Quadratkilometer. Demnachdürfte es sich am Fluss wohl kaum um einen »Nach-barschaftsstreit« gehandelt haben.

    Ein anderer Schlüssel liegt in der Tollense und ih-ren Funden selbst. Seit 2010 erforschen Archäologen,finanziert durch die Deutsche Forschungsgemein-schaft, den mutmaßlichen Schlachtplatz und seinUmfeld. Dabei werden nicht nur neue Grabungendurchgeführt, sondern Ruth Bollongino von der Uni-versität Mainz versucht zugleich, anhand von DNSVerwandtschaftsbeziehungen und Gruppen der Tol-lenseschlacht herauszulesen. Täter und Opfer lassensich unterscheiden, und bei ersten Tests waren Erb-gutinformationen bestens erhalten. Zusätzlich könn-ten Isotopenanalysen der Zähne über die Herkunftder Beteiligten Aufschluss geben.

    Entscheidend ist insbesondere die Landschaftsre-konstruktion. Vor mehr als 3000 Jahren staute der da-mals ansteigende Meeresspiegel der rund 80 km ent-

    Fehlende Kleidungsbestandteile und metallischeObjekte erwecken den Eindruck, als hätte man dieLeichen gefleddert. Die Verletzungen, die Holzwaffenund Pfeilspitzen, die vielen Pferdeknochen – all dasist für einen Friedhof jener Zeit ungewöhnlich. Es wa-ren unruhige Zeiten. Im Süden breitete sich die so ge-nannte Urnenfelderkultur aus, und damit verstärkensich auch archäologische Hinweise auf kriegerischeAktivitäten. »Die Fakten deuten derzeit am ehes-ten auf einen kriegerischen Zusammenhang«, so derArchäologe Thomas Terberger von der UniversitätGreifswald.

    Bislang hat der Fluss lediglich verraten, dass er einGeheimnis birgt. Doch dieses wirft noch viele Fragenauf. Ein Schlüssel zum Rätsel liegt im weiteren Um-feld der Tollense. Zwar weiß man insgesamt noch eherwenig über die Menschen um Weltzin, wie sie siedel-ten und wirtschafteten ist im Detail bisher weitgehendunbekannt. Nur sehr wenige Hügelgräber haben sicherhalten. Aber immerhin gibt es einige Funde, dievermutlich derselben Zeit entstammen und gehäuftbeim Bau der Autobahn 20 ca. 1 km vom Fluss entfernt

    Menschenknochen am Ufer der Tollense.

    Seit dem Jahr 2000 hat die Bezirksarchäologie Hanno-ver eine Reihe von Siedlungsplätzen untersucht, die inbisher ungeahnter Deutlichkeit kriegerische Ereignisseder Mittellatènzeit (ca. 280–190/150 v.Chr.) widerspie-geln. Teils handelt es sich um schon seit Längerem be-kannte befestigte Siedlungen. Von besonderem Inte-resse aber sind drei neu entdeckte unbefestigte Stättenin Höhenlage am Rande des Leinetales bei der Baren-burg, am Deister und am Negenborner Burgwall. Diesegaben sich nicht durch Bauten, sondern ausschließlichdurch eine Anhäufung bestimmter Funde im Geländezu erkennen. Illegale Raubgräberei hatte die Untersu-chungen notwendig gemacht.

    Auf den Höhen fanden sich Scherben von Vorrats-gefäßen und Trachtbestandteile, aber auch landwirt-schaftliche Geräte wie Sicheln, Tüllenbeile und Pflug-schare. Zudem waren Überreste handwerklicher Tätig-keiten sichtbar.

    In gewisser Weise ähnelt die Fundzusammensetzungder drei Plätze jenen normaler Siedlungen. Da sich Ers-tere jedoch in Höhen über 200 M ü.NN. und in durchRinnen und Hänge durchzogenem, gänzlich unwegsa-mem Gelände befanden und es zudem keine Wasser-versorgung gab, dürfte es sich wohl kaum um dauer-haft bewohnte Orte gehandelt haben. Anzunehmen ist,dass sich Menschen in Zeiten von Bedrohung hierherzurückgezogen hatten.

    Außerdem spricht die Fundverteilung für Fluchtver-suche und zum Teil für Kampfhandlungen. Am Negen-borner Burgwall gelang es der Bevölkerung offenbar zuentkommen. Die auffällige Verteilung verloren gegan-gener Trachtbestandteile deutet darauf hin, dass sichdie Menschen in zwei Richtungen absetzten. Im Falledes Deisters wurden die Geflohenen aber offenbar ge-tötet oder zumindest entführt, denn die verborgenenGüter verblieben an Ort und Stelle. Auch bei der Baren-burg sind Fluchtbewegung und Versuche von Gegen-wehr erkennbar.

    Die Neufunde weisen auf umfangreiche kriegerischeEreignisse innerhalb eines relativ engen Zeitabschnittsder Mittellatènezeit hin. Auch einige der bereits bekan n -ten befestigten Orte waren nachweislich in Kampfhand -lungen verwickelt, z.B. die Amelungsburg, die Pippins-burg bei Osterrode/Harz und die Schnippenburg beiOstercappeln. Dabei erfolgten die Angriffe offenbar miteiner gewissen Vorwarnzeit. So hatten die Bewohner ge-nügend Zeit, ihr Hab und Gut, Vorräte und Gussformenzu packen und in die Wälder zu fliehen.

    Der ehemalige Bezirksarchäologe von Hannover, Er-hard Cosack, vermutet, dass die Gefahr von keltisch ge-prägten Kriegerscharen ausging, die in der nördlichenMittelgebirgszone regional begrenzte Raubzüge durch-führten. Zu ihrer Beute dürften in besonderem Maßewohl auch Menschen gehört haben, so Cosack.

    Flucht in die Wälder – Höhensiedlungen im Leinetal

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  • Die Schlacht gilt als eine der größten Niederlagen desRömischen Reiches. Die besiegten 17., 18. und 19. Le-gionen wurden nie wieder aufgestellt, ihre Nummernin der Legionszählung nicht mehr vergeben. Der his-torischen Überlieferung nach waren die Verluste sovernichtend, dass Kaiser Augustus in Rom seinenKopf gegen Türen geschlagen, tagelang weder Bartnoch Haar geschnitten und immer wieder den einenSatz ausgerufen haben soll: »Quinctilius Varus, gibdie Legionen zurück!« Doch der Feldherr PubliusQuinctilius Varus hatte sich am Ende der Kämpfe insein Schwert gestürzt und seinen »halbverkohltenLeichnam«, so schilderte der römische HistorikerVelleius Paterculus, hatten »die Feinde in ihrer Roh-heit in Stücke« gerissen.

    Viele antike Autoren erwähnten die »clades varia-na«, den Untergang der je drei Legionen und Reiter-schwadronen sowie sechs Kohorten an Hilfstruppenund unzähliger Zivilisten im Jahre 9 n.Chr. Zeitge-nossen wie Ovid, Manilius, Strabon und Velleius Pa-terculus notierten den Untergang in den WäldernGermaniens ebenso wie Tacitus, Sueton und CassiusDio – die Verfasser der wichtigsten Werke zur Ge-schichte der frühen Römischen Kaiserzeit.

    Die Schlacht, ihre Umstände und ihr Nachwirkenhaben das Zeug zum großen Drama: Nach ihrem Siegzerstritten und bekriegten sich die Germanen, stattvereint gegen Rom zu marschieren. Der Hauptver-schwörer, Arminius, raubte sich die Tochter seines Rivalen, Thusnelda, die ihn ebenfalls liebte. Doch fielThusnelda in die Hände von Germanicus, wurde nachRom verbracht und gebar dort in Gefangenschaft dengemeinsamen Sohn Thumelicus. Arminius wurde mit37 Jahren von seinen eigenen Verwandten hinterlistigermordet. Das Haupt des Varus gelangte über Umwe -ge nach Rom und wurde im Familiengrab bestattet.Ebenso kehrten wenige Jahre später die verlorenenLegionsadler nach Rom zurück.

    Die Germanen sollen das Ereignis noch einige Zeitin Heldenliedern besungen haben, doch mit dem Ende des Römischen Reiches geriet das Geschehen inVergessenheit. Im 12. und 13. Jh. interessierten sichnur wenige dafür. Man vermutete den Ort der Schlachtbei Augsburg oder Duisburg. Erst mit der Wieder-entdeckung von Tacitus’ Annalen im Jahre 1507 er-

    wachte erneut ein breites Interesse an Arminius, vorallem unter Humanisten und Reformatoren wie Mar-tin Luther, Philipp Melanchthon und Ulrich von Hut-ten. Ersterer übersetzte den Namen des Verschwörersaus dem Lateinischen ins Deutsche: Aus »Arminius«wird bei ihm »Hermann«. Melanchthon verortete dasSchlachtgeschehen, Tacitus folgend, unweit von Lip-pe und Ems. Hutten bezeichnete den Cherusker alsgrößten Helden deutscher Geschichte.

    Erst Anfang des 19. Jh., als die NapoleonischenKriege Europa erschütterten, wurde die Schlacht zumMythos. Als »Gründungsakt der Deutschen Nation«stilisierte man sie zum Identifikationssymbol derDeutschen, das in Werken wie »Die Hermanns-schlacht« von Kleist 1808 seinen Niederschlag inDichtung, Theater und Musik fand. Bei Detmold im»Teutoburger Wald« weihte man 1875, vier Jahrenach Gründung des Deutschen Reiches, ein Denkmalfür den Anführer der Aufständischen ein. Der Alt -historiker und Nobelpreisträger Theodor Mommsenbezeichnete sie als »Wendepunkt der Weltgeschich-

    Kalkriese und die Varusschlacht

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    Gilt als einer der bedeutends -ten Altertumswissen-schaftler des 19. Jh.: TheodorMommsen (1817–1903).

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    fernten Ostsee die Tollense zurück. Statt der heutigenUferwiesen wuchsen hier Schilf und Sauergras, derenabgestorbene Pflanzenreste sich bis zu 3 m hoch zubeiden Seiten des Flusses ablagerten. Schon damalswand sich die Tollense durch das Tal, doch wo genauihr Bett verlief, muss erst herausgefunden werden.Denn dann klärt sich auch, ob die Toten an ihremAuffindungsort angeschwemmt, begraben oder getö-tet wurden.

    Einfache, aber effektive Waffen

    Vielleicht, so Detlef Jantzen, Landesarchäologe vonMecklenburg-Vorpommern, war der Fluss selbst einGrund für das Gemetzel. Sicherlich war er für die Re-gion eine Lebensader, er bot Wasser und Fische unddiente als Transportweg. Weitere in der Umgebunggefundene unterschiedliche Bronzeobjekte deuten an,

    dass das Tollensetal im Verlauf des späten 2. Jt. v.Chr.einen gewissen »Aufschwung« erlebte.

    Statt eines Clan-Zwistes hat der Landesarchäologedeshalb eine andere Theorie: »Vielleicht ging es umRessourcen, etwa um Salz. Vielleicht war die Tollen-se ein Grenzfluss und hier eine Furt, die jemand kon-trollieren wollte.«

    Einmal mehr unterstreichen die Funde aus derTollense den kriegerischen Charakter der Bronzezeit.Doch werden sie das bisherige Bild dieser Epochenachhaltig verändern. Statt der zahlreich bekanntenprunkvoll ornamentierten Waffen, metallenen Dol-che und Schwerter sind es hier schlichte Keulen. »EinBronzeschwert hatten nur die Reichen, eine Holz-waffe konnte jeder herstellen«, meint Thomas Ter-berger. »Hier finden wir diese. Es sieht so aus, als wärezumindest ein Teil der Kämpfer mit einfachs-ten, aber hocheffektiven Waffen aufeinander losge -gangen.«

    | Die Toten aus dem Tollensetal: ein Schlachtfeld der Bronzezeit?36

    Bewaffnete Reiter in Kampf-linie auf einem bronze-zeitlichen Felsbild in Tanum,Schweden.

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  • setzt worden waren. Die lediglich zum Teil komplettvorhandenen Skelette fanden sich ungeordnet und inmehreren Schichten übereinander. Teils lagen sie aufdem Bauch, mal blickten sie nach Osten, mal nachWesten, die Füße einiger Toter waren auf den Ge-sichtern anderer. Eine erste anthropologische Begut-achtung ergab, dass es sich wohl ausschließlich umMänner handelte. Der Zustand ihrer Zähne war meistschlecht, wie Spuren von Karies und Zahnstein sowieabgekaute Oberflächen beweisen. Zudem wiesen dieGebisse zweier Skelette runde Löcher auf. Dabei han-delt es sich um so genannte Pfeifenusuren, die durchden Gebrauch der vor allem vom 17. bis 19. Jh. übli-chen Tonpfeifen entstehen konnten. Deren Stieleschliffen im Laufe der Zeit die Zähne ab, was bei star-ken Rauchern im Extremfall zu solchen Öffnungenführte. An mehreren Knochen waren darüber hinausSpuren massiver Gewalteinwirkung erkennbar, etwaSchusswunden und Trümmerbrüche. Demnach sindzumindest einige der Menschen keines natürlichenTodes gestorben. Zu dieser Annahme passen auch dieaus einem Schädel geborgene Bleikugel sowie dasBruchstück eines Bajonetts. Aufgrund dieser Befun-de sowie angesichts zahlreicher aus dem Grab gebor-gener Knöpfe und einer Schnalle vermutet der Ar-chäologe Jörg Ansorge, dass das Massengrab vomFrankenhof mit einer historisch überlieferten Belage-rung der Festung Stralsund während des GroßenNordischen Krieges durch dänische, preußische so-

    Schlacht bei Chiari (Italien,1701) zwischen kaiserlichenund französisch-spanischenTruppen. Typische zeitge -nössische Darstellung einessolchen Ereignisses von Ca-rington Bowles (1701–1702).

    Auch in den etwa eineinhalb Jahrhunderten zwischendem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648)und dem Beginn der Revolutions- bzw. Koalitions-kriege 1792 wurden auf dem Gebiet des heutigenDeutschlands bewaffnete Konflikte ausgetragen. ImWesentlichen waren dies der Pfälzische Erbfolgekrieg(1688–1697), der Große Nordische Krieg (1700–1721), der Spanische Erbfolgekrieg (1701−1714), derÖsterreichische Erbfolgekrieg (1740–1748) sowie derSiebenjährige Krieg (1756–1763). Heute werden die-se von absolutistischen Herrschern geführten Kon-flikte zusammenfassend auch als Kabinettskriege be-zeichnet. Charakteristisch für sie war, dass sie mitstehenden Heeren geführt und dass deren Soldatenauch im Frieden nicht demobilisiert wurden. Andersetwa im Dreißigjährigen Krieg, als große Teile der Ar-meen aus kurzfristig angeworbenen Söldnern oderzwangsrekrutierten Kriegsgefangenen bestanden.Selbst große Schlachten wurden jetzt nur mit maxi-mal mehreren Zehntausend Kämpfern pro Seite ge-führt. Demgegenüber konnten die Heere des 19. Jh.ohne Weiteres auf bis zu einige Hunderttausend Sol-daten anwachsen. Schließlich waren in den Kabi-nettskriegen eingeschränkte Kriegsziele üblich, eben-so wechselnde Koalitionen, selbst zwischen zuvorverfeindeten Seiten. Doch auch in diesen »geregelten«Konflikten litt die Zivilbevölkerung unter Plünde-rungen, Rekrutierungen und Steuern.

    Den materiellen Hinterlassenschaften der Kabi-nettskriege kommt in Deutschland seitens der Archä o-logie bislang kaum Aufmerksamkeit zu. Entsprechen-de Forschungen stellen immer noch Ausnahmen darund sind meist Folge zufälliger Entdeckungen. Sowurde etwa bei Malchin in Mecklenburg-Vorpom-mern anhand von Metallfunden ein vermutlich ausdem Jahr 1659 stammender Lagerplatz dokumentiert.Bei Wittislingen in Bayern erfolgten Untersuchungenzu einem befestigten kaiserlichen Feldlager von 1703.Vermutlich oder auch sicher aus dem Kontext vonSchlachten bzw. Belagerungen stammende mensch-liche Überreste wurden ebenfalls immer wieder auf-gefunden, z.B. zwei mutmaßliche Opfer einer der bei-den Schlachten bei Höchstädt (1703 und 1704)zwischen Lutzingen und Deisenhofen (Bayern) oderzwei vielleicht in Zusammenhang mit der Schlacht

    bei Minden (1759) getötete Individuen bei Petersha-gen-Lahde (Nordrhein-Westfalen). Weitere Bestat-tungen wohl des Siebenjährigen Krieges (1756–1763)sind von Bergen (Hessen) und Hildesheim (Nieder-sachsen) bekannt, wo man wahrscheinlich im La -zarett verstorbene französische Soldaten verscharrt hatte.

    Im Ausland wurden mehrfach Gräber Gefalle-ner entdeckt, etwa vom Gefecht bei Eisenbirn 1703(Österreich), den Schlachten bei Poltawa 1709 (Uk -raine) sowie Lobositz/Lovosice (1757) und Kolin/Kolín (1759) in der Tschechischen Republik, wo manzudem wiederholt Feldbefestigungen des 18. Jh. aus-gegraben hat.

    Interessant sind menschliche Überreste eines krie-gerischen Ereignisses dieser Zeit, die Ende 2009 beibauvorbereitenden Untersuchungen am Frankenhofin Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) geborgenwurden. Auf dem Fußboden eines bereits in alter Zeitabgerissenen, vermutlich aber schon während desDreißigjährigen Krieges existierenden Gebäudes aufdem ehemaligen Frankenhornwerk kam eine dichteMasse von Knochen zutage. Im Verlauf der Ausgra-bung zeigte sich, dass in einer nur etwa 4 m × 1,60 mmessenden Grube mindestens 25 Menschen beige-

    Zwischen Dreißigjährigem Krieg undFranzösischer Revolution

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    Gebiss eines der Toten von1715. Die Löcher in den Zähnen – so genannte Pfeifen -usuren – sind durch inten-sives Rauchen von Tonpfeifenentstanden.

    Knöpfe und Schnalle ausBuntmetall aus dem Massen-grab von 1715.

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    Napoleon – über kaum eine historische Persönlich-keit gingen und gehen die Meinungen so weit ausei-nan der. Der Mann, der 1769 als Napoleone Buona-parte auf Korsika geboren wurde, Karriere erst aufdem Schlachtfeld und dann in der Politik machte, sich1804 als Napoleon I. selbst zum Kaiser der Franzosenernannte und schließlich die Welt erobern wollte –dieser Mann polarisiert bis heute.

    Da ist zum einen Napoleon, Politiker und Militär,der auf diplomatischem Parkett wie auf dem Schlac h t -feld die Errungenschaften der Französischen Revolu-tion gegen die Angriffe der reaktionären MonarchienEuropas verteidigte. Und deren Ideen – Freiheit,Gleichheit, Brüderlichkeit – u.a. mit dem GesetzbuchCode civil (Code Napoleon) auch in zahlreichen an-deren Staaten einführte.

    Da ist zum anderen Napoleon, der unter Missach-tung der hohen Ideale der Revolution, die er für beendet erklärte, Alleinherrscher wurde. Der brutal innere wie äußere politische Gegner bekämpfte, Welt- herrschaftsphantasien entwickelte und für deren

    Durchsetzung den Tod unzähliger Menschen in Kaufnahm.

    Napoleons Platz in den Geschichtsbüchern ist ge-sichert – nicht zuletzt aufgrund der vielen Kriege, dieer geführt hat. Die Ambitionen des Kaisers hinterlie-ßen verbrannte Erde, kosteten Millionen das Leben,Soldaten wie Zivilisten. Sie haben Spuren hinterlas-sen – in der Erinnerung der Menschen wie auch im»archäologischen Gedächtnis« der Erde.

    Kein Jahr seiner Alleinherrschaft verging ohne gr ö -ßere militärische Aktion, zu Lande und zu Wasserkämpften französische Truppen gegen Großbritan-nien, Preußen, Österreich, Spanien, Portugal undRussland. Die Kriege der 3., 4., 5., 6. und 7. Koalition– auch Koalitionskriege genannt – umfassen annä-hernd Napoleons gesamte Regierungszeit seit seinerKaiserkrönung 1804. Die Bezeichnungen dieser Kon-flikte gehen auf die jeweilige Koalition anderer Staa-ten zunächst gegen das revolutionäre, dann gegen dasKaiserreich Frankreich zurück. Heute ist der populä-re Sammelbegriff »Napoleonische Kriege« gebräuch-

    Die Napoleonischen Kriege

    |

    Völkerschlacht bei Leipzig, 16. bis 19. Oktober 1813: zeitgenössische Darstellungder Kämpfe bei der Er-stürmung des Peterstores.

    wie sächsisch-polnische Truppen im Dezember 1715in Zusammenhang steht. Somit wäre es eines der we-nigen bislang archäologisch dokumentierten und pu-blizierten Zeugnisse kriegerischer Ereignisse dieserZeit in Deutschland.

    Gezielte und mit modernen Methoden durchge-führte Untersuchungen von Schlachtfeldern der zwei-ten Hälfte des 17. und fast des gesamten 18. Jh. gibtes jedoch bislang kaum. Und das, obwohl immer wie-der zufällig Relikte der genannten Konflikte entdecktwurden und werden, etwa bei Bergen, Minden oderHöchstädt. Seit 2010 finden entsprechende For-schungen auf dem Schlachtfeld des Großen Nordi-schen Krieges bei Gadebusch (Wakenstädt) in Meck-lenburg-Vorpommern statt, wo 1712 schwedischeTruppen ein überlegenes Heer aus Dänen und Sach-sen besiegten. Und auch das Schlachtfeld von Min-den, auf dem 1759 im Siebenjährigen Krieg eine ausBriten, Hannoveranern und Soldaten weiterer deut-

    scher Staaten bestehende Streitmacht über ein fran-zösisch-sächsisches Heer triumphierte, wird seit 2010untersucht. In beiden Fällen dauern die Arbeitennoch an, und abschließende Resultate liegen nochnicht vor.

    Ganz anders stellt sich die Situation im Auslanddar. So wird beispielsweise in Polen seit mehrerenJahren das Schlachtfeld des Siebenjährigen Kriegesvon 1759 bei Kunersdorf/Kunowice erforscht. Auchdas schwedische Slagfältsteamet (»Schlachtfeldteam«)arbeitet etwa nahe Lund (1676) und Landskrona(1677) auf Plätzen dieser Zeit. Weitere aktuelle Pro-jekte in Belgien (Oudenaarde 1708) und Spanien (Ta-lamanca 1714) beschäftigen sich mit Relikten desSpanischen Erbfolgekrieges. Und in Großbritannienkommt u.a. den Untersuchungen des schottischenSchauplatzes der Schlacht bei Culloden (1746), desentscheidenden Ereignisses des Zweiten Jakobiten-aufstands (1745–1746), höchste Aufmerksamkeit zu.

    | Zwischen Dreißigjährigem Krieg und Französischer Revolution78

    Stralsund: das freigelegteMassengrab von 1715.

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  • Doch Russlands Volk und das Wetter erwiesen sichals übermächtige Gegner. Das Vielvölkerheer des Kai-sers ging unter, Hunderttausende Deutsche, Italiener,Franzosen, Polen und Niederländer verbluteten aufden Schlachtfeldern oder erfroren im russischenWinter. Nur Reste erreichten Anfang 1813 franzö-sisch kontrolliertes Gebiet. Hier kamen auch Napo-leons Weltherrschaftsträume zum Erliegen.

    Es folgten die so genannten Freiheitskriege, inPreußen auch propagandistisch als »Befreiungskrie-ge« bezeichnet. Deren Ziel war einerseits die Beendi-gung der französischen Hegemonie. Daneben ging esden europäischen Monarchen, vor allem Österreichsund Preußens, aber zugleich primär darum, alteMachtstrukturen wieder herzustellen und die von Napoleon auch in ihren Reichen eingeführten Ideender Französischen Revolution auszumerzen. Am17. März 1813 erklärte der preußische König Fried-rich Wilhelm III. Frankreich den Krieg. Sein Heerkämpfte nun an Russlands Seite. Napoleon dagegensammelte eine neue Grande Armée in Sachsen. Nachersten Kämpfen im Frühjahrsfeldzug 1813 galt denSommer über ein Waffenstillstand. Nun traten auchÖsterreich und Schweden der Koalition gegen denKaiser bei. Großbritannien, dessen Truppen in Spa-nien kämpften, unterstützte seine Verbündeten mitGeld, Waffen und Ausrüstung.

    Am 17. August begann der Herbstfeldzug – unddamit jene Phase des Kriegsjahres 1813, die sich inDeutschland bisher am deutlichsten anhand archäo-logischer Untersuchungen nachvollziehen lässt.

    Eine Spur durch Europa

    Obwohl die Napoleonischen Kriege für mehr als einJahrzehnt Europa verwüsteten, interessierte sich dieArchäologie lange Zeit kaum für diese Schlachtfelder.Natürlich kamen immer wieder Zufallsfunde zutage,etwa bei Bauarbeiten oder in der Landwirtschaft.Doch sie wurden meist, wenn überhaupt, nur flüch-tig dokumentiert und noch seltener publiziert. Ge-zielte größere Forschungsprojekte fehlten, möglicher-weise deshalb, weil für die Napoleonische Zeit imVergleich mit älteren Epochen ein insgesamt umfang-reicher Bestand an historischen Quellen existiert, z.B.Berichte von Augenzeugen, offizielle Darstellungenoder Abbildungen. Entsprechend groß ist auch dieFülle an Büchern, die in den letzten 200 Jahren zu denmilitärischen Ereignissen dieser Zeit verfasst wurden.

    Erst seit Ende der 1990er-Jahre finden gezielte archäologische Schlachtfelduntersuchungen statt.Frühe Beispiele sind 1998 und 1999 durchgeführteProspektionen mit Metallsuchgeräten auf dem itali -

    enischen Schlachtfeld vom 2. und 3. Mai 1815 bei Tolentino. Daneben wurde 1999 bei Studzionka (=Студзёнка, Weißrussland) jener Ort erforscht, wovom 26. bis 29. November 1812 die Reste von Napo-leons geschlagener Grande Armée unter ständigenrussischen Angriffen den Fluss Beresina überschrit-ten hatten. 2002 wurden dann in Polen Teile desSchlachtfelds bei Pułtusk (26. Dezember 1806) unter-sucht, in Finnland 2008 jenes bei Oravais (14. Sep-tember 1808). In Deutschland erfolgten erstmalig2006 entsprechende Arbeiten auf dem Schlachtfeldbei Großbeeren (23. August 1813), seit 2007 wird hierauch der Schauplatz des Gefechts bei Lauenburg (17.bis 19. August 1813) ausführlich dokumentiert. Fer-ner finden seit 2010 Prospektionen bei Hassenhausen(14. Oktober 1806) statt. Dort werden Teilbereichedes Schlachtfelds von 1806 bei Auerstedt archäolo-gisch erforscht, weil eine Umgehungsstraße durch dashistorische Gelände gebaut werden soll.

    Neben diesen Orten direkter militärischer Kon-frontationen werden auch andere Relikte der Napo-leonischen Zeit sowie der vorangehenden Revoluti-onskriege (Erster und Zweiter Koalitionskrieg)analysiert, z.B. Schanzen in Brandenburg, aber auchLagerplätze wie jene am Ärmelkanal, wo Frankreich1803 bis 1805 Truppen für eine nie erfolgte InvasionGroßbritanniens gesammelt hatte, oder solche desHerbstfeldzuges 1813 in Schleswig-Holstein.

    Recht zahlreich untersucht sind inzwischen Grä-ber – ob es nun sterbliche Überreste von im Kampfgetöteten Menschen und Tieren oder jene von im La-zarett an Wunden oder Seuchen gestorbenen Perso-nen sind. Entsprechende Befunde wurden in den ver-gangenen Jahrzehnten immer wieder meist zufälligaufgedeckt, u.a. in Znojmo und Jiríkovice (beideTschechische Republik), Tolentino und Marengo(beide Italien), Tolosa (Spanien), Kitzen, Güldengos-sa, Leipzig, Orsingen sowie Bedburg-Königshoven. InWilna (Vilnius, Litauen) kamen 2001 BestattungenTausender Soldaten der im russischen Winter1812/13 untergegangenen Grande Armée zutage.Massengräber in Valencia (Spanien) bargen mehr als170 Menschen, deren Skelette Spuren brutaler Gewaltaufwiesen.

    Lauenburg – 17. August 1813

    Einer der ersten Zusammenstöße des Herbstfeldzu-ges erfolgte am 17. August 1813 unmittelbar nach Ab-lauf des Waffenstillstands westlich von Lauenburg ander Elbe. Hier hatten zuvor antinapoleonische Trup-pen drei schwache Schanzen aus Erde aufgeworfenund drei kleine Kanonen in Stellung gebracht. Es wa-

    81

    lich, aber auch »Antinapoleonische Kriege« wird ver-wendet.

    Als sich Napoleon am 2. Dezember 1804 selbstzum Kaiser krönte, herrschte längst Krieg – ohne dassihm dies allein anzulasten wäre. Denn die großeFranzösische Revolution von 1789 war nicht überallauf Gegenliebe gestoßen. Europas Monarchen schlos-sen sich zusammen, um die gerade errungene Volks-herrschaft zu beenden und die Monarchie der Bour-bonen mit Waffengewalt wiederherzustellen. Dochihre Versuche scheiterten, im Ersten Koalitionskrieg(1792–1797) ebenso wie im Zweiten (1799–1802),den Revolutionskriegen.

    Aufgrund der Belastungen durch andauerndenKrieg geriet die junge französische Republik aller-dings in eine innere Krise. Die Menschen verloren ihrVertrauen in die Regierung. Der junge General Na-poleon Bonaparte bekam seine Chance. 1799 wurdeer Erster Konsul, beendete den Zweiten Koalitions-krieg siegreich. Mit zunehmender Popularität wurde

    ihm zunächst sein Amt auf Lebenszeit verliehen, 1804erhielt er dann, auch auf eigenes Betreiben, die Kai-serwürde angetragen – und verlieh sie sich von eige-ner Hand. Spätestens jetzt wurden die ursprünglichgegen das revolutionäre Frankreich gerichteten Ko-alitions- bzw. Revolutionskriege der europäischenMonarchen in erster Linie gegen den Herrscher Na-poleon geführt, wurden zu Napoleonischen bzw. an-tinapoleonischen Kriegen.

    Doch der Kaiser siegte, 1805 gegen Österreich undRussland, 1806 und 1807 über Preußen und Russlandund 1809 abermals über Österreich. Stetig bewegtesich Napoleon in diesen Jahren auf den Höhepunktseiner Macht zu, kontrollierte halb Europa. NurGroßbritannien widersetzte sich erfolgreich, brachteihm auf See und auf der Iberischen Halbinsel emp-findliche Niederlagen bei.

    1812 marschierte er schließlich mit der GrandeArmée, die aus mehr als einer halben Million Mannbestand, in Russland ein und eroberte u.a. Moskau.

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    Orsingen-Nenzingen, Cam-ping-Resort, Ausgrabung2009: zwei Skelette aus demPferdemassengrab. In derFlanke eines der Tiere wurdeeine Musketenkugel aus Blei mit einem zur Zeit der Koalitionskriege um 1800gängigen Kaliber gefunden.

    Lauenburg – 17. August 1813 || Die Napoleonischen Kriege

    Im Juni 2009 wurden bei Bauarbeiten nahe Orsingen(Baden-Württemberg) Knochen entdeckt. Bei der nach-folgenden archäologischen Untersuchung wurden auseiner 17 m langen, 1 bis 3 m breiten und maximal 1 mtiefen Sandrinne 36 Skelette geborgen. Sie stammenüberwiegend von Pferden, teils eventuell auch vonMaultieren. Die meist vollständigen Skelette lagen dichtgepackt, paarweise oder in Gruppen von acht bis 13 Tie-ren. Sichere Aussagen zu den Todesursachen lassen sichnicht treffen, auch wenn vereinzelte Hiebverletzungeneventuell damit zusammenhängen könnten.

    Eine Bleikugel zwischen den Rippen eines Tieres erlaubteine zeitliche Einordnung des Befundes. Mit 24,5 g und16 mm Durchmesser entspricht sie dem seit 1792 gülti-gen Standard für französische Militärgeschosse. Diesund historische Berichte deuten den Bearbeitern zufol-ge darauf hin, dass die bei Orsingen verscharrten Tiereentweder 1799 oder 1800, während des Zweiten Koali-tionskrieges, bei Kavalleriegefechten im Umfeld des Or-tes zu Tode kamen. Andere Funde fehlen, abgesehenvon wenigen Eisennägeln, die wohl beim Entfernen derHufeisen zurückblieben.

    Tote Pferde bei Orsingen

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  • Die bereits im 19. Jh. zahlreich und detailliert vor-handenen historischen Quellen sind ab dem 20. Jh.oft im Übermaß verfügbar: offizielle Darstellungen,Zeitzeugenberichte, Fotografien und Filme. Dabeikann die Archäologie jedoch selbst für dicht doku-mentierte Ereignisse von Nutzen sein, denn häufigzeigt sich dabei, dass weniger Fakten bekannt warenals gedacht oder dass sich Quellen widersprechen.Zudem bricht die historische Überlieferung immerwieder teilweise oder auch ganz weg, wie etwa fürKämpfe in Deutschland 1945.

    Veränderungen in Kriegsführung und Waffen-technik wirken sich auch auf die Archäologie aus.Metallteile von Munition und Ausrüstung lassen sichimmer besser bestimmten Streitkräften zuordnen.Hinzu kommen halb- und vollautomatische Schuss-

    waffen in großem Umfang, Artillerie in bisher unge-sehenem Ausmaß sowie Heere, deren Größe alles bis-her Dagewesene überstieg. Dadurch vervielfachte sichder Materialanfall, vor allem dort, wo längere Zeit ge-kämpft wurde, und entsprechend einfacher lassensich kriegerische Auseinandersetzungen nachweisen.

    Doch gerade der Umstand, dass nun riesige Ge-biete zu »Schlachtfeldern« wurden, dass manche Dör-fer, Wälder und Äcker wieder und wieder die Besitzerwechselten, macht eine »herkömmliche« Schlacht-feldarchäologie praktisch unmöglich. Hier sind teil-weise andere Herangehensweisen notwendig als beiKampfplätzen früherer Zeiten. Eine archäologischeRekonstruktion etwa der Grabenkämpfe des ErstenWeltkriegs mag in der von unzähligen Granatein-schlägen zerpflügten Landschaft am ehesten noch

    Die Kriege des 20. Jahrhunderts

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    Erster Weltkrieg: die West-front 1914 bis 1918.

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    Armee stand. Allerdings ist unklar, in welcher Inten-sität auf den besagten Feldern gekämpft wurde bzw.ob hier überhaupt länger anhaltende Gefechte statt-fanden.

    Um diese Frage zu klären, wurden die Felder von2004 bis 2006 mit Metallsuchgeräten auf Kampfrelik-te hin untersucht. Insgesamt kamen mehr als 200 Ob-jekte zutage, die definitiv von der Schlacht stammen,darunter verschiedene Geschosse für Handfeuerwaf-fen, Zündhütchen, Granatfragmente und unschein-bare Metallröhrchen. Letztere sind Geschützzünderund stellen Indikatoren für ehemalige Artillerie-standorte dar.

    Eine Kartierung nur der Geschosse für Handfeuer -waffen und der Zündhütchen ergab Überraschendes:Die schleswig-holsteinischen Kugeln und Spitzge-schosse waren fast sämtlich unbenutzt und kon -zentrierten sich mit den schleswig-holsteinischenZündhütchen in einem von der heutigen Straße ge-schnittenen Streifen. Dagegen waren die dänischenKugeln und Spitzgeschosse sämtlich verfeuert undzeigten keine solch klare Anhäufung. Auffällig war beidiesen jedoch, dass sie großteils südlich der genann-ten Konzentration auftraten.

    Weiterhin war festzustellen, dass sich besagte Kon-zentration der Funde schleswig-holsteinischer Her-kunft im rechten Winkel an die alte, heute verschwu n-dene Chaussee anlehnte, entlang derer 1850 gekämpftwurde. Anhand dieser Indizien vermutet Weise, dassauf den drei Feldern am 25. Juli 1850 eine Einheit derschleswig-holsteinischen Armee stand. Ihre Aufstel-lung orientierte sich dabei an der Chaussee, denn aufdieser griffen die Dänen von Norden her an.

    Während des folgenden Kampfes trafen einige dä-nische Kugeln ihre Ziele, dabei fielen etwa unbenutz-te schleswig-holsteinische Spitzgeschosse und Zünd-hütchen zu Boden. Manch dänisches Geschoss gingjedoch auch zu hoch und schlug südlich, im Rückender Schleswig-Holsteiner, ein.

    So konnte Weise eine in dieser Klarheit historischnicht überlieferte Episode rekonstruieren. Allerdingsist das Gelände östlich der untersuchten Flächendurch Kiesabbau zerstört, sodass die Ausdehnung derFundkonzentration nach Osten nicht mehr festge-stellt werden kann.

    Aus militärischer Sicht war die Schlacht bei Idstedtdas bedeutendste Ereignis des Schleswig-Holsteini-schen Krieges – obwohl sie weder eindeutige Siegernoch Verlierer sah. Im Januar 1851 wurden die Feind-seligkeiten auf Druck des Deutschen Bundes beendet.Sein offizielles Ende fand der Krieg mit dem Londo-ner Protokoll vom 8. Mai 1852.

    Zwischen Waterloo und Sarajevo

    Nach 1815 hatte in den deutschen Monarchien mehrals 30 Jahre lang Friede geherrscht. Beendet wurde ererst 1848 durch jene Revolutionen, die bürgerlicheFreiheiten einforderten und sich gegen die seit demWiener Kongress tonangebenden restaurativen Kräf-te richteten. Teils entwickelten sich bürgerkriegsähn-liche Auseinandersetzungen wie in Baden, Sachsenund der Pfalz, teils regelrechte Kriege – wie in Schles-wig-Holstein 1848 bis 1851. Nach der gewaltsamenBeendigung der revolutionären Phase durch die Ob-rigkeiten folgte für das Gebiet des heutigen Deutsch-lands ein ruhigerer Abschnitt, der erst 1864 mit demDeutsch-Dänischen Krieg endete. Dieser war der erstevon drei Konflikten – dazu zählen noch der DeutscheKrieg (1866) sowie der Deutsch-Französische Krieg(1870–1871) –, die später den Namen »Einigungskrie-ge« erhielten, da an ihrem Ende 1871 die Formierungdes preußisch dominierten Deutschen Kaiserreichsstand. In der Folge konzentrierten sich dessen krie-gerische Aktivitäten bis 1914 auf außereuropäischeGegenden – primär die »Kolonien«. Gewaltsam undohne Rücksicht auf Zivilisten niedergeschlagen wur-den u.a. der »Maji-Maji-Aufstand« (1905–1907) inDeutsch-Ostafrika sowie der Aufstand der Hereround Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904–1908),dessen Bekämpfung in einen Völkermord mündete.Schlachtfelder der Kriege zwischen 1815 und 1914waren in Europa wie in Deutschland bisher nur seltenGegenstand archäologischer Untersuchungen. ImWesentlichen sind aus Schleswig-Holstein die bereitsvorgestellten Arbeiten bei Idstedt (1850) und Mis-sunde (1848, 1850, 1864) zu nennen.

    Als ebenso spärlich erweist sich die Situation imeuropäischen Umland. In der Tschechischen Repu-blik wurden Massengräber sowie Einzelbestattungenpreußischer und österreichischer Soldaten aus demDeutschen Krieg (1866) sowie Feldbefestigungen ausder Schlacht bei Königgrätz (1866) erforscht. Fernerwurde das Schlachtfeld bei Balaklawa (Ukraine, 1854)aus dem Krimkrieg (1853–1856) untersucht. Damiterschöpfen sich aber auch hier im Wesentlichen diezugänglich publizierten europäischen Beispiele.

    In den USA wurden und werden Schlachtfelder undandere militärische Orte des 19. Jh. dagegen intensiverforscht. Auf einem Kampfplatz dieser Zeit beganndie »moderne Schlachtfeldarchäologie« – am LittleBig horn River (Kapitel 1). Besonderes Interesse kommtdabei dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865)zu. Daneben werden aber auch Schauplätze der Indi -aner kriege sowie anderer Konflikte untersucht.

    | Die größte Schlacht nördlich der Elbe96

    Dänisches Spitzgeschoss ausdem Krieg von 1848 bis 1851,Durchmesser ca. 1,6 cm.

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  • | Die Kriege des 20. Jahrhunderts98

    Der »Westwall«: Verlauf so-wie Kämpfe 1944 und 1945.

    Erster Weltkrieg, Westfront:von zahllosen Granatein-schlägen verwüstete Krater-landschaft.

    Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs | 99

    über eine Analyse der Feldbefestigungssysteme ge-lingen. Daneben stellt die Größe der Schlachtfeldervon 1914 bis 1918 bzw. 1939 bis 1945 die Bodendenk -malpflege vor Probleme. Plötzlich sind nun auch zahl-reiche Bauten verschiedener Art vorhanden, daruntersowohl »feste«, vor allem Bunker, als auch Feldstel-lungen wie Schützengräben und Ähnliches.

    Stets präsent auf Kriegsschauplätzen dieser Zeitsind menschliche Überreste – als Folge der stark angestiegenen Opferzahlen, die aus dem Einsatz vonMillionenheeren und immer länger andauerndenAuseinandersetzungen resultierten. Insbeson deredort, wo lange gekämpft wurde, birgt die Erde bisheute Gebeine – und gibt sie immer wieder frei. Wiebei Verdun, wo das »Beinhaus von Douaumont«Knochen von über 130000 unbekannten Franzosenund Deutschen bewahrt. In Deutschland werdenKriegstote vor allem durch Mitarbeiter des auch imAusland aktiven Volksbundes Deutsche Kriegsgrä-berfürsorge e.V. gesucht und geborgen. Oft ist nocheine Identifizierung möglich, sodass Angehörige Gewissheit über das Schicksal ihrer Verwandten bekommen.

    Ein mögliches Betätigungsfeld der Weltkriegsar-chäologie liegt in der professionellen Suche nach undAusgrabung von Gefallenen. Beispielsweise wurdenvon 2007 bis 2009 bei Fromelles (Frankreich) sechsMassengräber»wiederentdeckt« und ergraben. Darinlagen die Überreste von 250 am 19. und 20. Juli 1916

    gefallenen Australiern und Briten. Bis 2010 konntenDNA-Tests die Identität von 75 Toten klären.

    Eine weitere Besonderheit bei Untersuchungenvon Schlachtfeldern dieser Zeit ist die permanenteGefährdung durch Kampfmittel, wie z.B. aktive, mitKampfgas, Phosphor oder giftigem Sprengstoff ge-füllte Munition bzw. mit Metallsuchgeräten nicht zufindende Glas- und Holzminen. Diese machen For-schungen bisweilen lebensgefährlich, sodass sich dieSchlachtfeldarchäologie bei Kriegen der Moderne ei-nigen neuen Herausforderungen stellen muss.

    Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs

    Da die Schlachtfelder von 1914 bis 1918 nicht aufdem Gebiet des heutigen Deutschlands liegen, be-schränken sich archäologische Untersuchungen hierzwangsläufig auf andere »Militäranlagen« der Zeit,z.B. bei Emmerich (Nordrhein-Westfalen). Dort wur-den 1915/16 im Eltener Wald Betonbunker mit vor-gelagerten, charakteristisch rechteckig verlaufendenDeckungsgräben errichtet, die direkt an der Grenzezu den neutralen Niederlanden lagen. Eine Doku-mentation dieser aufgrund der Bestimmungen desVersailler Vertrags 1920/21 zerstörten Anlagen er-folgte 2009/10 unter Leitung von Wolfgang Wegener.

    »Schlachtfeldarchäologie« des Ersten Weltkriegswird heute hauptsächlich in Frankreich und Belgienbetrieben, wo die Westfront verlief. Neben lokalenWissenschaftlern sind u.a. auch britische Forscher so-wie deutsche Gruppen aktiv. In erster Linie werdenfeste Stellungen, Systeme von Schützengräben undBunkern dokumentiert sowie menschliche Überrestegeborgen. Dabei zeigte sich bislang mehrfach, dass

    Etwa 8 Millionen Kriegsgefangene mussten im ErstenWeltkrieg unter oft menschenunwürdigen Bedingun-gen in Lagern leben und arbeiten, für den Zweiten Welt-krieg gehen Schätzungen von Zigmillionen aus.

    Kriegsgefangenenlagerdes Ersten und Zweiten Weltkriegs

    Zwischen 1914 und 1918 existierten in Deutschlandetwa 175 solcher Stätten, auf die ca. 2,5 Millionen Ge-fangene verteilt waren. Bisher sind mehrfach entspre-chende Orte untersucht worden, z.B. bei Quedlinburg(Sachsen-Anhalt), wo 2004 ein Lager teilweise ausge-graben wurde, in dem über 17000 Russen, Franzosenund Briten untergebracht waren. Neben archäologi-schen Befunden wie Reste von Gebäuden, Gräben undZäunen kamen auch zahlreiche Gegenstände zutage,die den Alltag der Gefangenen widerspiegeln. In Glad-beck (Nordrhein-Westfalen) fanden sich bei einer Ge-bäuderenovierung 2002 etwa 34000 »Lagermünzen« –einst internes Zahlungsmittel für die 1915 bis 1918 imBergbau eingesetzten Kriegsgefangenen.

    Untersuchungen deutscher Lager des Zweiten Welt-kriegs für alliierte Gefangene erfolgten bislang haupt-sächlich im Rheinland sowie in Brandenburg. Dabeikonnten ebenfalls Gebäudestrukturen entdeckt wer-den, aber auch persönliche Gegenstände, die teils überRitzungen von Namen mit Individuen in Verbindung zubringen sind, so etwa im Zwangsarbeiterlager »Ikte-bach«, Jülich-Süd, in dem außer nichtdeutschen Zivilis-ten auch z.B. sowjetische und italienische Soldaten aus-gebeutet wurden.

    Aus der Endphase des Zweiten Weltkriegs und derZeit unmittelbar danach stammen wiederum alliierteLager für deutsche Militärs. Archäologisch erforschtwurde ein solches bei Mönchengladbach-Wickrathberg.Dieser von der US-Armee eingerichtete Komplex war1945 mit bis zu 150000 Personen belegt. Unter den Fun-den interessieren vor allem über ein Dutzend Erken-nungsmarken, die darüber Aufschluss geben, welchenEinheiten die hier Internierten angehörten. In einigenFällen konnten die Schicksale ihrer Träger nachvollzo-gen werden.

    Unter den entsprechenden archäologischen Unter-suchungen im Ausland sind hauptsächlich österrei-chische Arbeiten zum Schicksal der auf deutscher Seitekämpfenden Kosaken in Osttirol sowie slowenische Aus-grabungen von Massengräbern der »Bleiburger Massa-ker« zu erwähnen.

    Quedlinburg: Tintenfässer und Schreibgeräte.

    Quedlinburg: Bierflaschen lokaler Brauereien sowie Verschlüsse.

    Zwangsarbeiterlager Jülich-Süd: aus Aluminiumlöffel gearbeitete inoffizielle »Erkennungsmarke« eines sowjetischen Kriegsgefangenen mit kyrillischen Schrift-zeichen und Daten.

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  • Ein Beispiel für den Versuch, historische Ereignis-se über Streuungen von Schlachtrelikten zu lokalisie-ren und zu rekonstruieren, ist die Suche nach demvergessenen Schauplatz jener Kämpfe, die dem US-amerikanischen Soldaten Alvin C. York 1918 die»Medal of Honor« einbrachten. Allerdings zeigen sichhier auch mögliche methodische Probleme undGrenzen des Ansatzes, denn zwei Gruppen nehmenjeweils für sich in Anspruch, den »wahren« Ort ge-funden zu haben.

    Weitere Untersuchungen zum Ersten Weltkriegund anderen Konflikten der Zeit beschäftigen sichmit Kämpfen in den Alpen, der nordafrikanischenWüste oder des Finnischen Bürgerkrieges (1918).

    Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs

    Im Gegensatz zum Ersten fand der Zweite Weltkriegin seiner Endphase am Boden auch auf heute deut-schem Gebiet statt. Somit ist hier eine archäologischeAuseinandersetzung mit Schlachtfeldern der Zeitmöglich. Gezielte Untersuchungen wurden bislang je-doch nur in wenigen Fällen durchgeführt. Häufigerkommen entsprechende Funde bei Grabungen mitanderen Zielsetzungen zutage.

    In Brandenburg sind es vor allem Relikte der sow-jetischen Großoffensive vom 16. April bis 2. Mai 1945,die heute als »Schlacht um Berlin« bekannt ist, etwaauf den Seelower Höhen, die vom 16. bis 19. AprilSchauplatz schwerer Kämpfe waren. Hier wurden dersowjetische Befehlsstand »Shukow-Bunker« sowie

    Laufgräben und Unterstände dokumentiert. Auch beiAusgrabungen im Niederlausitzer Braunkohlenrevierwurden zahlreiche Spuren entdeckt, z.B. in Klein Gö-rigk, wo zwischen 2004 und 2006 neben Waffen, Mu-nition und Ausrüstung auch 26 deutsche und dreisowjetische Tote geborgen wurden. Sie starben am 21.und 22. April 1945 bei einem Ausbruch deutscherTruppen aus dem »Kessel von Spremberg«. DieseFunde ermöglichten es teilweise, die historischeÜberlieferung zu den Kämpfen zu korrigieren und zuergänzen.

    Untersuchungen in Nordrhein-Westfalen beschäf-tigen sich in erster Linie mit Zeugnissen der Kämpfezwischen westalliierten und deutschen Truppen imHerbst und Winter 1944/45. Dabei wurden etwa imJahr 2007 zahlreiche, während der schweren Kämpfeim Hürtgenwald (6. Oktober 1944 bis 10. Februar1945) angelegte US-Unterstände und Schützenlöcherdokumentiert. Bei Derkum fand sich der Rest einerdeutschen 2 cm-Flugabwehrkanone, die wohl AnfangMärz 1945 im Kampf am Boden eingesetzt und dabeizerstört wurde. Dass oft auch kleine Funde Einblickeerlauben, zeigt ein bei Elsdorf entdecktes silbernesLuntenfeuerzeug. Aus guten Gründen wird vermutet,dass es verloren ging, als Ende Februar/Anfang März1945 amerikanische Truppen vor Ort waren.

    Luftschlachten und Bunkerstellungen

    Über Deutschland fand »Luftkrieg« vor allem von1942 bis 1945 statt. Diese neue Art der Kriegsführung

    Luftschlachten und Bunkerstellungen | 101

    Deutsche Erkennungsmarkenaus dem US-amerikanischenLager für deutsche Kriegs -gefangene von 1945 bei Mön-chengladbach-Wickrathberg.

    das Wissen zu den scheinbar gut dokumentiertenKämpfen oft erhebliche Lücken aufweist. Darüberhinaus ermöglichen Studien zur materiellen Kulturder Front neue Einblicke in den Alltag und die Men-talität jener Menschen, die hier lebten, kämpftenund starben.

    Seit 1985 beschäftigen sich die Mitglieder desDeutschen Erinnerungskomitees Argonnerwald e.V.mit einer besonders geschichtsträchtigen Region. Sieerforschen und erhalten Spuren jener Kämpfe, die1914 bis 1918 in den Wäldern der Argonnen und beiVerdun stattfanden. Vom 21. Februar bis 20. Dezem-ber 1916 ohne klaren Sieger auf Kosten von über700000 Toten, Vermissten und Verwundeten ausge-tragen, war und ist die Schlacht von Verdun Symbolfür den Wahnsinn des Krieges. Relikte jener Tage wieder übrigen Kriegszeit haben sich bis heute in großerZahl erhalten: ausgedehnte unterirdische Tunnel-und Bunkersysteme, Schützengräben, Unterstände,Lagerplätze, Friedhöfe und Denkmale. Diese oft ver-gessenen oder nur noch wenig bekannten Sachzeu-gen werden in enger Zusammenarbeit mit den zu-ständigen Behörden und Institutionen lokalisiert,dokumentiert, untersucht – auch durch Grabungen –sowie teilweise restauriert und einer interessiertenÖffentlichkeit zugänglich gemacht. Hauptziel der Ar-beit ist es, die Schrecken des Krieges zu dokumentie-ren und damit zur Völkerverständigung beizutragen.

    | Die Kriege des 20. Jahrhunderts100

    Hürtgenwald-Germeter: Aufmessung US-ameri-kanischer Feldstellungen von 1944.

    Eine archäologische Auseinandersetzung mit den um-fangreichen Überresten von Konzentrations- und Arbeits -lagern erfolgt verstärkt seit Ende der 1980er-Jahre. Sowurden inzwischen die Konzentrationslager Hamburg-Neuengamme, Bergen-Belsen, Dachau und Buchenwaldzum Teil umfassend archäologisch untersucht und dieReste von Bauten, etwa Fundamente von Häftlingsba-racken und Wachtürmen der SS, Spuren von Lagerzäu-nen oder Erschießungsstätten ebenso wie menschlicheÜberreste und Abfallgruben, in denen der persönlicheBesitz Ermordeter verscharrt wurde, dokumentiert.

    Zu den archäologischen Spuren des nationalsozia-listischen Terrors gehören aber auch viele unscheinba-re Funde wie die spärlichen Zeugnisse der »Euthanasie«-Morde an über 100 000 behinderten und psychischkranken Menschen.

    Auch ein vergleichsweise kleiner Befund in Stade(Niedersachsen) zählt dazu. Als 1945 das Kriegsende im-mer näher rückte, vernichteten offizielle Stellen vieler-orts in Deutschland hastig belastende Unterlagen. So

    auch hier, wo im April, kurz vor Einmarsch der Briten, ineiner Grube im Hinterhof der NSDAP-Kreisleitung Aktenverbrannt und anschließend vergraben wurden. NebenPropagandamaterial fanden sich bei der Ausgrabung1989 Reste der lokalen NSDAP-Mitgliederkartei und, be-sonders bedeutsam, Schriftstücke zur Aufstellung deslokalen Volkssturms sowie Reste eines »Feldurteils«.

    Weitere Hinterlassenschaften sind auch jene elf, einstals »entartete Kunst« diffamierten Skulpturen der Klas-sischen Moderne, die 2010 bei Ausgrabungen vor demBerliner Roten Rathaus aus dem Bombenschutt eines1944 zerstörten Gebäudes wieder ans Licht kamen.

    Die genannten, archäologisch dokumentierten Fun-de und Befunde tragen entscheidend dazu bei, all die-se Aspekte des »Dritten Reiches« zu visualisieren undmateriell zu belegen. Ein bedeutender Schritt war die2005 in Berlin gezeigte Ausstellung »Archäologie desGrauens«. An zahlreichen Orten in Deutschland infor-mieren Gedenkstätten und Museen heute auch mittelsarchäologischer Ergebnisse über das Geschehene.

    Archäologie des nationalsozialistischen Terrors

    Elsdorf: silbernes Lunten-feuerzeug (rechts), ver-mutlich im März 1945 von einem US-amerikanischenSoldaten verloren. Links:komplettes Vergleichsstück.

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