Schemata und Modi bei Patienten
ambulanter psychiatrischer
Rehabilitation in Abhängigkeit von
Trauma-assoziierten Diagnosen
Birgit Senft, Andreas Affenzeller, Alexandra Schosser
Jahrestagung der DeGPT
14. bis 16. März 2019 Frankfurt
Inhalt
▪ Schemata und Modi nach Young
▪ Unterschiede zwischen PatientInnen mit und ohne
Trauma-assoziierte Diagnosen in Schemata und Modi
▪ Vorhersagewert der Schemata für Depression und
Lebensqualität
▪ Fallbeispiele
▪ Diskussion
5 Schema-Domänen
1) Abgetrenntheit und Ablehnung (Frustration des Bedürfnisses
nach sicherer affektiver Bindung zu anderen Menschen)
2) Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung (Frustration des
Bedürfnisses nach Autonomie, Kompetenz und
Identitätsgefühl)
3) Beeinträchtigung im Umgang mit Grenzen (Frustration des
Bedürfnisses nach realistischen Grenzen)
4) Fremdbezogenheit (Frustration des Bedürfnisses nach Freiheit,
Bedürfnisse und Emotionen zu äußern)
5) Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit (Frustration
des Bedürfnisses nach Spontaneität und Spiel)
Domänen und Schemata
1 AB: Verlassenwerden/Instabilität/Verlassenheit
Domäne 1: Trennung und
Zurückweisung
2 MA: Misstrauen/Missbrauch
3 ED: Emotionale Vernachlässigung/emotionale Entbehrung
4 DS: Minderwertigkeit/Scham-Mangelhaftigkeit/Unliebenswert
5 SI: Sozialer Ausschluss/Isolation/Entfremdung
6 DI: Abhängigkeit/unzulänglich-praktische InkompetenzDomäne 2:
Beeinträchtigte Autonomie und
Leistungsfähigkeit
7 VH: Vulnerabilität in Bez. auf äuß. Ereignisse/Verwundbarkeit Leid/
8 EM: Verstricktsein mit anderen/nicht entwickeltes "Selbst"
9 FA: Versagen bei Leistungserbringung
10 ET: Anspruch auf Großartigkeit/Ansprüchlichkeit Domäne 3: Abgrenzungsprobleme
11IS: Mangelnde Selbstkontrolle/Selbstdisziplin
12 SB: Unterwerfung Domäne 4: Auf Andere gerichtet
sein13 SS: Aufopferung/Selbstaufopferung
14 AS: Zustimmung/Bewunderung/Anerkennung suchen
15 NP: Negative Grundhaltung/Pessimismus/Sorgenmachen
Domäne 5: Übervorsichtigkeit und
Hemmung
16 EI: Emotionale Hemmung/Gehemmtheit
17 US: Unerbittliche Standards/extremes Kritisieren
18 PU: Bestrafend sein/Selbstbestrafung
Schematherapie I
▪ von Jeffrey Young und Kollegen (Young 1990, 1999) entwickelte innovative,
integrative Therapie, die die traditionellen Behandlungsformen und
Konzepte der kognitiven Verhaltenstherapie erheblich erweitert
▪ zur Behandlung KVT-refraktärer Pat. (v.a. Persönlichkeitsstörungen)
▪ ist keine neue Therapieform und integriert verschiedene
erlebnisaktivierende Techniken
▪ neurobiologisch fundiertes, integratives und konsistentes Modell
▪ verbindet emotionsfokussiert kognitive Klärung und Handlung/
Verhaltensänderung
▪ klärt und korrigiert frühe Beziehungserfahrungen
▪ arbeitet in und mit der therapeutischen Beziehung
▪ basiert auf expliziter Fallkonzeption und manualisiertem Ablauf
(empirische Belege)
▪ braucht aktives Therapeutenverhalten („limited reparenting“)
Schemata und Trauma
▪ Patientinnen mit interpersonalem Trauma weisen in allen Skalen höhere Werte auf
▪ Je höher EMS ausgeprägt sind, ..
▪ desto stärker ist traumatischer Stress
▪ desto mehr Symptombelastung
▪ desto mehr Dissoziation
▪ desto weniger Selbstwert (Karatzias et al., 2016)
▪ Emotionale Traumata hängen mit höheren Werten in folgenden Schemata zusammen:
▪ emotionale Vernachlässigung
▪ Verlassenwerden
▪ sozialer Ausschluss
▪ Verstrickt sein mit anderen
▪ mangelnde Selbstkontrolle (Wesley & Manjula, 2015)
Modus
Modell
Zielsetzung der Studie
▪ Ausprägungen der Young Schemata und Modi in
Abhängigkeit von Trauma-assoziierten Diagnosen
▪ Zusammenhang zwischen Schemata und aktuellen
Belastungen/Symptomen
▪ Ableitung von Behandlungsmöglichkeiten
Phasenmodell der Rehabilitation
▪ Phase 1: Frühmobilisation (Akutkrankenhaus) → nicht
„Rehabilitation“ im Sinne des SV-Rechtes
▪ Phase 2: schließt entweder an die Phase 1 im Sinne eines
„Anschlussheilverfahrens “ bzw. „Rehabilitation nach
Unfall“ an den Aufenthalt im Akutkrankenhaus an oder an
eine akute Krankenbehandlung im extramuralen Bereich im
Sinne eines „Rehabilitationsheilverfahrens“
▪ Phase 3: nur im Anschluss an Phase 2 zum Zwecke der
Stabilisierung der dort erreichten Effekte; soll in
ambulanter Form und wohnortnah erfolgen
▪ Phase 4: langfristige ambulante Nachsorge, die
wohnortnah stattfinden soll und keine ärztliche Aufsicht
notwendig macht („Langzeitrehabilitation “ ) → nicht
„Rehabilitation“ im Sinne des SV-Rechtes
Stichprobe
▪ N = 350 PatientInnen
▪ 62,6% weiblich
▪ ø 43,09 Jahre alt (SD=9,95)
▪ Beruflicher Status:
▪ berufstätig 28,0%
▪ arbeitslos 59,7%
▪ sonstige 12,3%
▪ Diagnosen:
▪ F3 affektive Störungen 54,3%
▪ F4 neur., Belastungs-, somat. St. 37,4%
▪ F6 Persönlichkeitsstörungen 6,3%
▪ sonstige 2,0%
▪ Trauma-assoziierte Diagnose: 12%
Methoden
▪ Schriftliche Befragung am Beginn und Ende der
Rehabilitation
▪ Young Schema Questionnaire YSQ (Young, 2005; Kriston et al., 2013)
▪ Schema-Mode-Inventory SMI (Lobbestael et al., 2010; deutsche
Übersetzung Rothemund et al., 2010)
▪ Beck-Depression-Inventory BDI (Hautzinger et al., 2001)
▪ WHO Disability Assessment Schedule WHODAS 2.0 (Üstün et al., 2005)
▪ Helping Alliance Questionnaire HAQ (Nübling et al., 2017)
auffällige Ausprägungen ab 5
Schema-
Ausprägungen für
PatientInnen mit und
ohne Trauma-ass.
Diagnose
Multivariate Varianzanalyse:
kein sig. Unterschied (p=0,155)
tendenziell höhere Ausprägungen
bei Trauma
Auf Ebene der Domänen auch
kein Unterschied
Modi-Ausprägungen
für PatientInnen mit
und ohne Trauma-ass.
Diagnose
Multivariate Varianzanalyse:
kein sig. Unterschied (p=0,056)
Mit Trauma
tendenziell höhere Ausprägungen
Distanzierter Beschützer
Bereitwillig Erduldender
Verletzbares Kind
tendenziell niedriger in
Narz. Selbstüberhöhung
Dist. Selbstberuhiger
Vergleich mit
deutscher
Stichprobe
Vorhersage depressiver Symptomatik durch
Schemata
Modell 12: Abhängige Variable: BDI bei Aufnahme (Depression)Stand. Coeff. t Sig.sig. Prädiktoren:
(Constant) Beta -0,358 0,721
DS: Minderwertigkeit/ Scham-Mangelhaftigkeit/ Unliebenswert 0,119 2,094 0,037
DI: Abhängigkeit/ unzulänglich-praktische Inkompetenz 0,249 4,591 <0,001
VH: Vulnerabilität äuß. Ereignisse/Verwundbarkeit Leid/ Krankheit 0,146 2,546 0,011
SS: Aufopferung/ Selbstaufopferung 0,105 2,562 0,011
AS: Zustimmung/ Bewunderung/ Anerkennung suchen -0,086 -2,083 0,038
NP: Negative Grundhaltung/ Pessimismus/ Sorgenmachen 0,190 2,981 0,003
EI: Emotionale Hemmung/ Gehemmtheit 0,152 3,098 0,002
Multiple lineare Regressionsanalyse: rückwärts
Adj. R2: 0,469
7 Schemata haben sig. prädiktiven Wert
Prädiktiver Wert Domäne 1
Domäne 1: Trennung und Zurückweisung WHO: Umgang mit anderen
Menschen
AMOS-Modell zur Vorhersage der Skala Umgang mit anderen
Menschen durch Domäne 1:
CMIN/df=4,05; p < 0,001; NFI = 0,913; CFI = 0,932; TLI =0,890;
RMSEA = 0,093)
42% Varianzaufklärung
ähnlich bei Pat. mit und ohne Trauma
Prädiktiver Wert Domäne 2
Domäne 2: Beeinträchtige Autonomie WHO: Umgang mit anderen
Leistungsfähigkeit Menschen
AMOS-Modell zur Vorhersage der Skala Verständnis und
Kommunikation durch Domäne 2:
CMIN/df=3,42; p < 0,001; NFI = 0,924; CFI = 0,944; TLI =0,910;
RMSEA = 0,083)
42% Varianzaufklärung
ähnlich bei Pat. mit und ohne Trauma
Einfluss der Domänen auf Erfolgs- und
Beziehungszufriedenheit im HAQ
CMIN/df=16,78; p < 0,001; NFI = 0,985; CFI = 0,985; TLI =0,592;
RMSEA=0,213), 25% Varianzaufklärung Erfolgszufriedenheit, 5% bei
Beziehungszufriedenheit
so gut wie keine Vorhersagewert für die Beziehungszufriedenheit
25% Varianzaufklärung für Erfolgszufriedenheit
Behandlungserfolg
PatientInnen mit Trauma-ass. Diagnose (d=0,91) profitieren bei
stärkerer Belastung zu Reha-Beginn signifikant stärker als die
übrigen PatientInnen (d=0,64)
Ambulante medizinisch-psychiatrische
Rehabilitation in Österreich - Phase III
▪ Dauer: max. 12 Monate
▪ insgesamt 100 Einheiten
▪ 44 Wochen* / 18 Wochen
▪ *berufs-/ schulungsbegleitend möglich
▪ Therapiezeiten: bis max. 21:00
▪ Zielgruppe:
▪ hohe Therapiemotivation
▪ Compliance / regelmäßige Teilnahme im Vorfeld
Therapie-einheiten
à 50 Minuten
Psychotherapie – Einzel 20,0
Work-Life Balance,
Ergotherapie – Gruppe 22,0
Schulung 18,0
Problemlösetraining – Gruppe 22,5
Flexible Aufteilung orientiert am
Rehabilitationsziel 13,0
Zwischensumme – Therapie 95,5
Nichttherapeutische Einheiten: 4,5
Erstuntersuchung 1,0
Zwischenuntersuchung/en 1,0
Abschlussuntersuchung 1,0
Evaluation + Dokumentation 1,5
Summe – Gesamt 100,0
Patientin, 55 Jahre, schwerst traumatisiert
▪ F33.1 Rezidivierende depressive Störung (mittelgradig)
▪ F63.0 Pathologisches Spielen
▪ F40.2 Spezifische (isolierte) Phobien
▪ alleinstehend, arbeitslos, Pflichtschule, 38 Jahre in Bank tätig
▪ Schematherapeutische Methoden: Dialog mit Stühlen,
Imagination, Schemamemos, Moduslandkarten, Impact
Techniken, usw.)
▪ Sig. Verbesserung der depressiven Symptomatik
(von 34 auf 17 Punkte im BDI)
▪ Therapieziele wurden teilweise erreicht (ruhiger werden,
Reduktion Spielen, Überwinden von Ängsten)
▪ Erlebte Gruppen- und Einzeltherapie als sehr hilfreich
▪ Absolvierung Phase 2 und Phase 3
Patient, 52 Jahre,
▪ F31.3 Biplolare affektive Störung, mittelgradige depressive
Episode
▪ in Lebensgemeinschaft, Studium abgebrochen, Facharbeiter,
arbeitslos
▪ Schematherapeutische Methoden: Erkennen und Entmachten
des strafend/fordernd/kritischen Elternteils, Stärkung des Happy
Child Modus, Versorgung des vulnerablen und ärgerlichen Kinde
und Entwicklung eines gesunden Erwachsenen
▪ Erkennen von maladaptiven Bewältigungstrategien
▪ der Umgang mit den Modi gestaltete sich etwas schwierig
▪ Ziele teilweise erreicht (Tagesstruktur, soziale Kontakte,
Selbstwertstärkung)
▪ erlebte viele Therapien als sehr hilfreich
▪ besonders hilfreich Schematherapie im Einzelsetting und in der
Gruppe (Evaluation)
Fall 2
Zusammenfassung und Diskussion
▪ Je höher die Schema-Ausprägungen, desto größere Probleme im Umgang mit anderen Menschen sowie bei Verständnis und Kommunikation
▪ Frühen maladaptive Schemata sind Prädiktoren depressiver Symptomatik (Shorey et al., 2015, Renner et al., 2012)
▪ PatientInnen mit Trauma-assoziierten Diagnosen weisen tendenziell höhere Werte auf bei
▪ EI Emotionale Hemmung/Gehemmtheit
▪ MA Misstrauen/Missbrauch
▪ NP negative Grundhaltung/Sorgenmachen
▪ SS Aufopferung/Selbstaufopferung
▪ FA Versagen bei Leistungserbringung
▪ SB Unterwerfung
▪ wenige Unterschiede in den Modi: tendenziell höher bei
▪ DPt Distanzierter Beschützer
▪ CS Bereitwilliger Erdulder
▪ VC Verletzbares Kind
Fazit
▪ Nicht alle PatientInnen mit traumatischen Erlebnissen konnten erfasst werden – nur diagnosespezifisch
▪ Schemata gelten als relativ stabil und sind im Verlauf einer zeitlich begrenzten Behandlung nur in geringem Ausmaß modifizierbar
▪ Hilfreiche Erklärungsmodelle für PatientInnen
▪ Nützliche und ggf. behandlungsleitende Information für TherapeutInnen
▪ Effekte der Schematherapie in stationären Gruppensetting belegt (Roediger et al., 2018)
Literatur
Hautzinger, M., Bailer, M., Worall, H. & Keller, F. (2001). Beck-Depressions-Inventar. Testhandbuch (2. Aufl.). Bern: Huber.
Karatzias, T., Jowett, S., Begley, A. & Deas, S. (2016). Early maladaptive schemas in adult survivors of interpersonal trauma.
Foundations for a cognitive theory of psychopathology. European journal of psychotraumatology, 7, 30713.
https://doi.org/10.3402/ejpt.v7.30713
Kriston, L., Schäfer, J., Jacob, G. A., Härter, M. & Hölzel, L. P. (2013). Reliability and Validity of the German Version of the
Young Schema Questionnaire – Short Form 3 (YSQ-S3). European Journal of Psychological Assessment, 29 (3), 205–212.
https://doi.org/10.1027/1015-5759/a000143
Lobbestael, J., van Vreeswijk, M., Spinhoven, P., Schouten, E. & Arntz, A. (2010). Reliability and validity of the short Schema
Mode Inventory (SMI). Behavioural and cognitive psychotherapy, 38 (4), 437–458.
https://doi.org/10.1017/S1352465810000226
Nübling, R., Kraft, M., Henn, J., Kriz, D., Lutz, W., Schmidt, J. et al. (2017). Psychometrische Überprüfung des Helping Alliance
Questionnaire (HAQ) in unterschiedlichen Versorgungssettings. PPmP - Psychotherapie · Psychosomatik · Medizinische
Psychologie. https://doi.org/10.1055/s-0043-111083
Renner, F., Lobbestael, J., Peeters, F., Arntz, A. & Huibers, M. (2012). Early maladaptive schemas in depressed patients.
Stability and relation with depressive symptoms over the course of treatment. Journal of Affective Disorders, 136 (3),
581–590. https://doi.org/10.1016/j.jad.2011.10.027
Shorey, R. C., Elmquist, J., Anderson, S. & Stuart, G. L. (2015). The Relationship Between Early Maladaptive Schemas,
Depression, and Generalized Anxiety among Adults Seeking Residential Treatment for Substance Use Disorders. Journal of
psychoactive drugs, 47 (3), 230–238. https://doi.org/10.1080/02791072.2015.1050133
Üstün, T. B., Kostanjsek, N., Chatterji, S. & Rehm, J. (2010). Measuring health and disability. Manual for WHO disability
assessment schedule; WHODAS 2.0. Geneva.
Wesley, M. S. & Manjula, M. (2015). Early Maladaptive Schemas and Early Trauam Experiences ind Depressed and Non
Depressed Individuals: An Indian Study. Journal of Psychosocial Research, 10 (1), 125–137.
Young, J. E. (2005). Young Schema Questionnaire - Short Form 3 (YSQ-S3). New York: Cognitive Therapy Center.