Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Sans Papiers und Gesundheit
Paulus-Akademie Zürich
Denise Efionayi-Mäder
Schweizerisches Forum für Migrations- und
Bevölkerungsstudien, Universität Neuchâtel
10.04. 2014
Zürich, 10. April 2014.
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Wer sind überhaupt die Sans-Papiers?
Gesundheitszustand und verhalten
Gesundheitsversorgung
Rechte & Rahmenbedingungen
Praxis: Angebote, Dienste
Spannungsfelder + Heraus-
forderungen
Fazit - Ausblick
INHALT
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Arbeiterinnen jüngeren bis mittleren Alters,
die aus Südamerika, eventuell Osteuropa, Asien oder Afrika
stammen, (Haushalte, Gastgewerbe, Dienstleistungen,
Landwirtschaft, Sexgewerbe); auch Männer
abgewiesene Asylsuchende, mehrheitlich junge Männer aus
dem Balkan, Afrika oder Asien;
andere Drittstaatsangehörige, die ihre Aufenthaltsbe-
rechtigung in der Schweiz verloren haben (overstayers)…
Wer sind sie?
Zunehmende Vielfalt der
Migrationshintergründe,
Merkmale und Lebens-
welten, Zunahme Asyl +
Langzeitaufenthalt
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Begünstigt illegale
Migration Krankheit ?*
*Vgl. Buch von Regula Weiss «Macht
Migration krank? (2003) Seismo
Ja
Manchmal bei Flucht, Ent-
wurzelung, Verfolgung, Kriegs-
oder Gewalterfahrungen
Entbehrungen und Armut vor der
Migration
Gefährdende Migrationserfah-
rungen (z.B. Flüchtlingslager,
Obdachlosigkeit)
Schlechte Arbeitsbedingungen
Ausgrenzung, Diskriminierungs-
erfahrungen, Stigmatisierung
Nein
Healthy migrant effect
Demographie (junge,
gesunde Menschen)
Migration als Ressource und
Chance (Subjektiver) sozialer
« Aufstieg »
Motivation zur Verbesserung
der finanziellen Situation
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Häufigste Gesundheitsstörungen
Vergleichbar mit der Allgemeinbevölkerung
Erkältungen, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Kinder-
krankheiten
Notfälle: Blinddarm, Unfälle usw.
(Arbeitsbedingte) Erkankungen Bewegungsapparat
Häufiger: TB, Anämie, STD, HIV
Ferner:
Psychische, Stress- (PTSD) und Suchtstörungen (Asylbereich)
Ungewollte Schwangerschaften, Schwangerschaftsabbruch
Karies, Zahnprobleme
Erhöhte soziale „Vulnerabilität“
Simply stated, social vulnerability occurs when unequal exposure to risk is coupled with unequal access to resources. (Morrow)
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Gesundheit und Prävention hat i.d.R. keine Priorität
Trotzdem Gesundheitsbewusstsein verbreitet
Verbreitete Selbstmedikation (Apotheken, Internet), alte Hausmittel,
gegenseitige Beratung Pflege
Sondersituation Asylwesen (fehlende
Tagesstruktur) Risikoverhalten
Konsultationen werden aufgeschoben
Gesundheit(sverhalten)*
Migrations-
hintergrund Aufenthalts-
kontext, -dauer
Erwerbs-
tätigkeit
Beziehung zur
Familie (hier/dort)
Hauptsächliche Determinanten:
* Achermann, Christin & Milena Chimienti (2006). Migration, Prekarität und Gesundheit : Ressourcen und
Risiken von vorläufig Aufgenommenen und Sans-Papiers in Genf und Zürich. Neuchâtel: SFM.
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
«Papierlos» ≠ rechtlos
Art. 41 BV Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung
zu pers. Verantwortung dafür ein, dass (…) jede Person
die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält;
Recht auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV)
KV-Obligatorium gilt auch bei „fiktivem“ Wohnsitz
Individuelle Versicherungspflicht
Aufnahmepflicht Versicherer + Gleichbehandlung aller versicherungs-pflichtigen Personen (unabhängig vom Aufenthaltsstatus)
Kontrollpflicht Kantone
Versicherungspflicht der Kantone bei Nothilfebe-ziehenden (vgl. Antwort auf Postulat Heim)
UV- Obligatorium gilt für alle Arbeitnehmer/innen
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Erschwerter Zugang zur Versorgung
Hauptgründe
Mangelnde Information über Rechte,
System, Angebote (nicht nur bei direkt
Betroffenen, auch Behörden, Medizin, …)
Fehlender Versicherungsschutz (Mehrheit)
Behandlungskosten (bzw. Kostenbeteiligung)
Angst vor Entdeckung (begründet oder nicht)
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Vorteilhafte Entwicklungen in der
Versorgung (Perspektive der Sans-Papiers)
Anlaufsttellen/Dienste in allen Städten ( Informa-tion + Beratung)
Breitere Palette von Behandlungen abgedeckt
Bessere Information der Tätigen im Gesund- heitswesen (Stellungnahmen Behörden)
KV und Zugang Mainstreamversorgung Kinder systematischer berücksichtigt
Unterstützung Vesicherungszugang (Info, Behörden, Vermittlung)
Prämienverbilligungen in vereinzelten Kantonen (7-8)
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Praxis-Typen
Ambulatorien in einem öffentl. Spital + breite Versorgungs-palette gedeckt
Beispiele: CAMSCO-HUG
PMU-UPV CHUV
Niederschwellige Anlaufstellen als Türöffner- (NPO)
Beispiele:
Meditrina ZH, Spagat SO, Frisanté FR, PEL Lausanne…
(Halb)Öffentliche Anlaufstellen für bestimmte Ge-sundheitsbereiche
Beispiele: Gynäkolog. Sprechstunde ZH, Fondation du Nant, soins psychiatriques
Vgl. Undocumented Migrants: their
needs and strategies for accessing
health care in Switzerland (2011)
http://files.nowhereland.info/795.pdf
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Spannungsfelder
Ausländerrechtl.
Regelungen Grundrechte,
Gesundheitsrechte
Straffällige Rechtsträger-innen
Migrationspolitik Gesundheitspolitik
Sans-Papiers als:
Rechtsgüterkonflikt:
Meldepflicht ? Schweigepflicht ?
Behörden, Gesundheitspraxis:
Rahmenbedingungen:
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Fazit
Rechtlicher Rahmen klar, relativ kohärent, konstant
Allerdings: Kluft zwischen Recht(sansprüchen) + Praxis
Bsp: Anspruch auf Versorgung in Notfall unbestritten, aber immer wieder Infragestellung des Rechts auf « Grundversorgung »
Versicherungsmöglicheiten, aber keine Prämienverbilligung
Variable Ausgestaltung der Nothilfe (Art. 12 V) in Kantonen und Gemeinden
Bestehende Unklarheiten betreffend Melde- und Schweigepflichten bzw. Kann-Bestimmungen
Regelungsdichte und Jurisprudenz beschränkt
Welche Rechtssicherheit für die Betroffenen?
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Ausblick: Herausforderungen
Politische Brisanz: Konstruktiver Umgang mit Interessenskonflikt zwischen Grundrechten und Bekämpfung illegaler Migration gefragt
Kontinuierliche und sachliche Information
Knackpunkt Prämienverbilligung
Dilemmata im Umgang mit der Versicherungspflicht
Öffentlich-private Partnerschaften Versorgung
Wechselnde Praxis im Asylbereich (Aus-, Einschluss)
Härtefall-Regelungen schwieriger (ausser bei 2. Generation)
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Literatur I
• Achermann, Christin & Milena Chimienti (2006). Migration, Prekarität und
Gesundheit : Ressourcen und Risiken von vorläufig Aufgenommenen und
Sans-Papiers in Genf und Zürich. Neuchâtel: SFM.
• Achermann, Christin & Denise Efionayi-Mäder (2003). Leben ohne
Bewilligung in der Schweiz : Auswirkungen auf den sozialen Schutz. Bern.
• Bahnan Büechi, Rania und Christine Sieber (2004). "Frauen Sans-Papiers:
Recht auf Gesundheit", in Departement Migration - SRK (Hg.), Migration -
eine Herausforderung für Gesundheit und Gesundheitswesen. Zürich:
Seismo, S. 139-149.
• Bilger, Veronika et. Al. (2011) HealthCare for Undocumented Migrants in CH.
BAG, SFM, ICMPD Vienna, Bern. http://files.nowhereland.info/795.pdf
• Chimienti, Milena und Christin Achermann (2007). "Coping strategies of
vulnerable migrants : the case of asylum seekers and undocumented
migrants in Switzerland", in Björngren Cuadra et al. (Hg.), Migration and
health : difference sensitivity from an organisational perspective. Malmö:
Malmö University, International Migration and Ethnic Relations (IMER) [etc.],
S. 65-74.
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
Literatur II
• Efionayi-Mäder, Denise et al. (2010) Leben als Sans-Papiers in der Schweiz.
EKM, Bern.
• Induni, Eliana (2006). L'accès aux soins des sans-papiers : un droit ou un
privilège ? Genève: [s.n.].
• Kiener, Regina und Lucie von Büren (2007). "Strafbarkeit durch
medizinische Betreuung von Sans-Papiers ?" Asyl, 22(4): 11-16.
• Rüefli, Christian & Eveline Huegli (2011) Krankenversicherung und
Gesundheitsversorgung von Sans Papiers – Bericht zur Beantwortung des
Postulats Heim (09.3484). Büro Vatter, Bern.
• SRK(Hg.) (2006). Sans-Papiers in der Schweiz : unsichtbar - unverzichtbar.
Zürich: Seismo.
• Tolsdorf, Mareike (2008). Verborgen: Gesundheitssituation und –
versorgung versteckt lebender MigrantInnen in D/CH. Bern: Huber.
• Winizki, David (2002) „Schattenmedizin für Sans-Papiers“ in Soziale
Medizin (4) 54-55.
Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM)
nom date
Forum suisse pour l’étude des migrations et de la population (SFM), UniNE Faubourg de l’Hôpital 106
CH-2000 Neuchâtel
www.migrations-population.ch
Denise-Efionayi-Mäder
Sociologue
+41 (0)32 718 39 33 / 076 36065 44
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