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Rückblick auf die Anfänge der Elektrifizierung

Date post: 23-Dec-2016
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1 3 SCHWERPUNKTTHEMA Online publiziert: 26. Oktober 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Rückblick auf die Anfänge der Elektrifizierung Frank Dittmann uwf (2013) 21:189–197 DOI 10.1007/s00550-013-0298-8 bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein Verbundbetrieb von Kraftwerken heraus. Im Laufe mehrerer Jahrzehnte entstand das heute hierarchisch gestaffelte, weit verzweigte und über Ländergrenzen hinweg verbundene Elektroenergienetz mit seiner verbrauchernahen Energieerzeugung und dem Austausch von Regelleistung sowie Strom im Havariefall. Elektroenergie übernahm dabei den Transport von Energie, die bis heute im Wesentlichen aus der Verbrennung fossiler Energieträger gewonnen wird. Dieses System gilt es nun im Zuge der Energiewende umzubauen. Dabei ist sicherlich die Frage nach einem histo- rischen Rückblick legitim. Die Betrachtung der technischen, ökonomischen, rechtlichen und sozialen Bedingungen kann hilfreich für das Verständnis der Prozesse in der Vergangen- heit sein. Zugleich sollte man keine konkreten Handlungs- anweisungen für die Zukunft erwarten. Dieser Essay kann deshalb lediglich Denkanstöße liefern. Letztlich kommt es auf die Handlungen der jeweiligen Akteure an. Akzeptanz ist in einer demokratischen Gesellschaft eine wesentliche Voraussetzung für eine sozialverträgliche Problemlösung. Dabei ist klar, dass diese umso schwieriger zu erreichen ist, je komplexer die Verhältnisse sind. Dennoch muss und wird die Gesellschaft einen Weg finden. Zweifellos ist dabei nicht alles möglich, aber meist viel mehr, als die einzelnen Akteure in der Situation oft glauben. 2 Energie war und ist nicht gleich Energie Energie ist heute wie selbstverständlich in aller Munde. Dabei ist dieses abstrakte Konzept kaum mehr als 150 Jahre alt. Um 1800 führte der englische Naturforscher Thomas Young den Begriff in die Physik ein; er setzte sich aber nicht durch. Der Terminus Arbeit wurde 1828/29 von Gus- tave Gaspard de Coriolis und Jean Victor Poncelet geprägt. 1 Ist ein historischer Rückblick hilfreich? Als Alessandro Volta 1800 mit der später nach ihm benann- ten Säule eine Quelle für elektrischen Strom zur Verfü- gung stellte, waren die Folgen nicht absehbar. Nach einer Zeit intensiver Forschung auf dem neuen Gebiet, versuch- ten bereits in den 1840er Jahren viele Erfinder den Elek- tromotor als Antrieb für das Kleingewerbe zu etablieren, scheiterten aber neben konstruktiven Unzulänglichkeiten der Maschinen an den Kosten des Stroms aus Batterien. Es dauerte weitere 40 Jahre bis in den 1880er Jahren in großen Städten erste Gleichstrom-Blockstationen entstanden. Mit dem Wechsel von der Gleichstrom- zur Wechsel- und bald zur Drehstromtechnik wanderten nach etwa 1895 immer mehr Kraftwerke an die Peripherie der Städte bzw. in die Nähe industrieller Verbrauchszentren. Zugleich dauerte es noch mehrere Jahrzehnte, bis auch abgelegene Ortschaften ans Stromnetz angeschlossen wurden. Da in Drehstromsys- temen Speicher noch schwieriger zu realisieren sind, als in Gleichstromnetzen mit ihren Akkumulatoren, bildete sich F. Dittmann () Deutsches Museum, München, Deutschland E-Mail: [email protected] Frank Dittmann
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Schwerpunktthema

Online publiziert: 26. Oktober 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Rückblick auf die Anfänge der Elektrifizierung

Frank Dittmann

uwf (2013) 21:189–197DOI 10.1007/s00550-013-0298-8

bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein Verbundbetrieb von Kraftwerken heraus. Im Laufe mehrerer Jahrzehnte entstand das heute hierarchisch gestaffelte, weit verzweigte und über Ländergrenzen hinweg verbundene Elektroenergienetz mit seiner verbrauchernahen Energieerzeugung und dem Austausch von Regelleistung sowie Strom im Havariefall. Elektroenergie übernahm dabei den Transport von Energie, die bis heute im Wesentlichen aus der Verbrennung fossiler Energieträger gewonnen wird.

Dieses System gilt es nun im Zuge der Energiewende umzubauen. Dabei ist sicherlich die Frage nach einem histo-rischen Rückblick legitim. Die Betrachtung der technischen, ökonomischen, rechtlichen und sozialen Bedingungen kann hilfreich für das Verständnis der Prozesse in der Vergangen-heit sein. Zugleich sollte man keine konkreten Handlungs-anweisungen für die Zukunft erwarten. Dieser Essay kann deshalb lediglich Denkanstöße liefern. Letztlich kommt es auf die Handlungen der jeweiligen Akteure an. Akzeptanz ist in einer demokratischen Gesellschaft eine wesentliche Voraussetzung für eine sozialverträgliche Problemlösung. Dabei ist klar, dass diese umso schwieriger zu erreichen ist, je komplexer die Verhältnisse sind. Dennoch muss und wird die Gesellschaft einen Weg finden. Zweifellos ist dabei nicht alles möglich, aber meist viel mehr, als die einzelnen Akteure in der Situation oft glauben.

2 Energie war und ist nicht gleich Energie

Energie ist heute wie selbstverständlich in aller Munde. Dabei ist dieses abstrakte Konzept kaum mehr als 150 Jahre alt. Um 1800 führte der englische Naturforscher Thomas Young den Begriff in die Physik ein; er setzte sich aber nicht durch. Der Terminus Arbeit wurde 1828/29 von Gus-tave Gaspard de Coriolis und Jean Victor Poncelet geprägt.

1 Ist ein historischer Rückblick hilfreich?

Als Alessandro Volta 1800 mit der später nach ihm benann-ten Säule eine Quelle für elektrischen Strom zur Verfü-gung stellte, waren die Folgen nicht absehbar. Nach einer Zeit intensiver Forschung auf dem neuen Gebiet, versuch-ten bereits in den 1840er Jahren viele Erfinder den Elek-tromotor als Antrieb für das Kleingewerbe zu etablieren, scheiterten aber neben konstruktiven Unzulänglichkeiten der Maschinen an den Kosten des Stroms aus Batterien. Es dauerte weitere 40 Jahre bis in den 1880er Jahren in großen Städten erste Gleichstrom-Blockstationen entstanden. Mit dem Wechsel von der Gleichstrom- zur Wechsel- und bald zur Drehstromtechnik wanderten nach etwa 1895 immer mehr Kraftwerke an die Peripherie der Städte bzw. in die Nähe industrieller Verbrauchszentren. Zugleich dauerte es noch mehrere Jahrzehnte, bis auch abgelegene Ortschaften ans Stromnetz angeschlossen wurden. Da in Drehstromsys-temen Speicher noch schwieriger zu realisieren sind, als in Gleichstromnetzen mit ihren Akkumulatoren, bildete sich

F. Dittmann ()Deutsches Museum, München, DeutschlandE-Mail: [email protected]

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Zwischen 1842 und 1847 formulierten Julius Robert von Mayer, James Prescott Joule, Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz und andere die heutige Konzeption von Energie. Physikalisch beschreibt der Begriff die Fähigkeit eines Systems, Arbeit zu verrichten.

Energie ist also ein abstraktes Konzept. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hätten sich selbst Physiker nicht vorstel-len können, dass man die Kraft eines Zugtiers, das Licht der Sonne und die Wärme des Feuers mit dem gleichen Begriff belegen könnte. Und dies entsprach der unmittelba-ren Erfahrung der Menschen: Wurde Wärme benötigt, z. B. zum Brennen von Kalk oder Keramik bzw. zum Schmelzen von Metall oder Glas, nutzte man über Jahrtausende hinweg Holzkohle. War für bestimmte Prozesse Bewegungsenergie nötig, erzeugte man diese durch Wasser- bzw. Windmüh-len oder auch durch Muskelkraft. Letztere konnte – wenn auch nur im bescheidenen Umfang – relativ einfach vor Ort erzeugt werden. Im Gegensatz dazu waren Wasser- und Windenergie ortsgebunden und dabei oft saisonabhängig. Jahrhundertelang war es geübte Praxis, Ausgangstoffe und Halbprodukte zu einer Mühle, also dem Ort zu transportiert, an dem mechanische Energie zur Verfügung stand, um dort verarbeitet und als Fertigprodukt wieder abtransportiert zu

werden. Wo dies nicht möglich war – wie im Bergbau –, ent-standen aufwendige Stau- und Teichsysteme, um genügend Wasser zum Antrieb der Pumpen mittels Wasserräder zur Verfügung zu stellen (Abb. 1).

Im Grunde ordnet man auch heute noch Energieressour-cen mehr oder weniger den Zwecken zu. Im Bereich der Mobilität wird vor allem auf Benzin, Diesel oder Kerosin gesetzt, nicht aber auf Kohle, obwohl die Zeit der Dampf-lokomotiven noch gar nicht so lange vorbei ist. Bei Raum-heizung denken wir eher an Gas oder Öl, vielleicht auch an Biomasse (Holz) oder Fernwärme. Mit der Elektrizität wiederum verfügen wir über eine saubere, bequeme und leistungsstarke Energieform, die sich einfach und effektiv in alle anderen Energieformen – vor allem Wärme, Licht, mechanische bzw. chemische Energie – umwandeln lässt. Elektrizität hat nur einen entscheidenden Nachteil: Sie ist kaum speicherbar. Um sie zu nutzen, braucht man einen Netzanschluss. Im Energiesystem muss zu jedem Zeitpunkt genau die Strommenge erzeugt werden, die verbraucht wird. Dabei ist Elektroenergie keine eigenständige Primärenergie sondern ein Transportmedium, das den bequemen Bezug relativ großer Energiemengen aus der Steckdose zulässt. Diese Sicht ist in den letzten Jahren verloren gegangen.

Abb. 1 Das Wasserhebewerk bei Marly diente zur Versorgung der Fontänen im Park von Versailles mit Wasser. Die Wasserräder in der Seine trieben über mechanische Gestänge Pumpen an, die das Wasser heben. (Foto: Deutsches Museum)

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gebrochen. Der Zugriff auf in über Jahrmillionen gespei-cherte Biomasse (und damit Sonnenenergie) in Form von Kohle – und bald auch auf weitere fossile Energieträger wie Erdöl und -gas – setzte eine enorme Dynamik in Gang, die die gesamte Gesellschaft veränderte. In ihrer vollen Ausprä-gung entfaltete sich die Hochenergiegesellschaft sicher erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber bereits 20 Jahre später wurden im bekannten Bericht des Club of Rome Die Gren-zen des Wachstums (Meadows 1972) Zweifel am fortgesetz-ten Wachstum von Wirtschaft und Gesellschaft artikuliert.

So scheint in der öffentlichen Diskussion Elektroenergie fast die einzige Energieform zu sein, während „Sprit“ für unsere Autos und Gas oder Öl für die Heizung kaum noch als solche wahrgenommen werden. Im Ergebnis wird in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Energiewende vor allem über Strom gesprochen, aber z. B. kaum über Raum-heizung, obwohl gegenwärtig etwa 50 % der Primärenergie-träger in Wärme umgesetzt werden. Die Energiewende ist zur Stromwende mutiert und es ist fraglich, ob Deutschland mit diesem Reduktionismus seine Klimaschutzziele errei-chen kann.

3 Die Dampfmaschine – aus Wärme wird Bewegung

Im Gegensatz zu unserer gegenwärtigen Hochenergiege-sellschaft war in vorindustriellen Gesellschaften die Ver-fügbarkeit von Energie deutlich limitiert. Um es deutlich zu sagen: Die Geschichte der Menschheit war längstens eine Geschichte des Energiemangels. Bewegungsenergie stand nur begrenzt zur Verfügung und war zudem standort- und saisonabhängig. Wärme wiederum wurde vor allem aus Holz erzeugt und stand in Konkurrenz zu dessen Nutzung als Bau- und Konstruktionsmaterial. Da Holz keine unbe-grenzte Ressource war, schwanden die Wälder zunehmend und die Transportkosten stiegen, um den Rohstoff aus immer weiterer Entfernung heranzuholen. In diesem Zusammen-hang entstand in der Forstwirtschaft das heute allgemein bekannte Konzept der Nachhaltigkeit, d. h. Wälder wurden wieder aufgeforstet und es durfte nicht mehr Holz einge-schlagen werden, als nachwachsen konnte. Erstmals wurde diese die Grundidee bereits Mitte des 16. Jhs. in der kurs-ächsischen Forstordnung formuliert. Die Obrigkeit reagierte damit auf die Verknappung und damit den Preisanstieg für Holz, das u. a. als Verbaumaterial im sächsischen Bergbau eingesetzt wurde – bekanntlich waren die Silbergruben im Erzgebirge eine der wichtigsten Quelle für Sachsens Glanz. Dieses Beispiel zeigt, dass auch in der Vergangenheit Refor-men erst vorgenommen wurden, wenn der Problemdruck zu groß wurde.

Mit der Dampfmaschine änderte sich die Situation grund-legend. Bereits 1712 hatte der Engländer Thomas Newco-men die erste verwendbare Dampfmaschine konstruiert. Selbstverständlich, möchte man fast sagen, diente sie zum Abpumpen des Wassers in einem Kohlebergwerk, was die verfügbaren Energiereserven erhöhte. Etwa 50 Jahre später verbessert James Watt die Maschine erheblich. Damit war es nunmehr möglich, Wärme effektiv und überall in mecha-nische Energie umzusetzen. Kohle wurde mit Schiffen auf Flüssen und Kanälen, bald auch mit der Eisenbahn trans-portiert und vor Ort mittels Dampfmaschinen in Bewegung umgesetzt (Abb. 2). Das Jahrtausende alte Diktum, dass Bewegungsenergie an einen Ort gebunden ist, war damit

Abb. 2 Diese Maschine war bis 1885 in Eisleben zur Entwässerung eines Kupferbergwerks in Betrieb. Sie gilt als älteste in Deutschland erhaltene Dampfmaschine und ist baugleich mit der ersten 1785 in Hettstedt errichteten Dampfmaschine in Deutschland. Die Leistung beträgt 14,6 kW (20 PS). (Foto: Deutsches Museum)

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erweitern: „Man hatte damit also in der That die Möglich-keit, eine irgendwo vorhandene Kraft, welche an Ort und Stelle eine primäre Maschine treibt, durch den hier erzeug-ten Strom an eine beliebig entfernte Stelle zu leiten und dort wieder eine Bewegung in einer Maschine hervorrufen zu lassen“ (Hoppe 1884). Doch auf dieses Feld drängten auch mechanische Transmissionen sowie Übertragungssys-teme mit Druckluft und Druckwasser. Der größte Konkur-rent war jedoch das Gasnetz, aus dem einfach Gasmotoren gespeist werden konnten: „Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass gerade das Gas und die Elektricität, welche schon seit Jahren auf dem Felde der Beleuchtung zusammengestossen sind, auch hier in der Triebkraftfrage einander gegenüber stehen“ (Behringer 1883).

Auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung 1882 in München demonstrierte die elektrische Übertragung ihr hohes Potential. Der Ausstellungsleiter Oskar von Mil-ler – später sollte er als Gründer des Deutschen Museums bekannt werden – hatte gemeinsam mit dem französischen Elektrotechniker Marcel Deprez eine 57 km lange Gleich-stromleitung konzipiert und eingerichtet. Dabei speiste eine Dampfmaschine im Oberbayerischen Kohlebergwerk Mies-bach einen Generator. Der Gleichstrom mit einer Spannung zwischen 1.500 V und 2.000 V wurde über eine Telegra-fenleitung zum Ausstellungsgelände in München übertra-gen und trieb im Glaspalast einen Motor mit Pumpe an, die ihrerseits einen zwei Meter hohen Wasserfall speiste. Der Wirkungsgrad betrug allerdings bescheidene 23 %. Oskar von Miller verband dennoch mit diesem Experiment weit-reichende energiepolitischen Überlegungen: „Für München und Bayern aber war dieser Versuch besonders wichtig, weil er geeignet schien, die unbenützten Wasserkräfte in

4 Das Scheitern des ersten Einsatzes des Elektromotors

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland die Entwicklungen im Mutterland des Kapitalismus inten-siv diskutiert. Dabei kam man zu dem Schluss, dass die wirtschaftliche Überlegenheit Englands auf den reichen Steinkohlevorkommen beruhte. Mit Kohle wurden Dampf-maschinen befeuert, die ihrerseits ganze Maschinensäle bewegten, was wiederum zu einem enormen Ausstoß an preiswerten Produkten führte – klassisch sind hier Textilien zu nennen. Da Deutschland aber nur wenige leicht zugäng-liche Kohleflöze besaß, sah man nur die Möglichkeit, die britische Überlegenheit zu brechen, indem Kupfer- und Zinkvorkommen in galvanischen Elementen genutzt würde (Lindner 1986). In den 1840er Jahren galt Elektrizität im Vergleich zur Dampfmaschine als einfach und gefahrlos, da die Maschinen von ungelerntem Personal aufgestellt bzw. bedient werden konnten, keine Explosionen drohten und keine gesundheitsschädlichen Gase entstanden. Weitere Vorteile im Vergleich zur Dampfmaschine sah man in der Anpassungsfähigkeit, dem geringen Platzbedarf, der Mög-lichkeit einer Drehzahlveränderung sowie der Unempfind-lichkeit gegen Lastwechsel und Richtungsumkehr. Damit schien der Elektroantrieb bestens geeignet für die deutsche Wirtschaftsstruktur, die stark durch Handwerk und Gewerbe geprägt war. So nimmt es nicht Wunder, dass „elektromag-netische Helden“ – wie sie genannt wurden – von Regie-rungen mit teilweise hohen Beträgen unterstützt wurden. Doch bald erwiesen sich die angebliche Verschleißfreiheit der Maschinen und vor allem die vermeintlich niedrigen Kosten des Elektroantriebs, die man durch den Verkauf der in den Batterien gebildeten Stoffe erhofft hatte, als Trug-schluss (Abb. 3). Im günstigsten Fall war die elektromag-netische Kraft fünfmal so teuer wie Pferdekraft und doppelt so teuer wie die Arbeitskraft eines Tagelöhners! Die Hoff-nungen auf den Elektromotor als Retter des Handwerks zerstoben und niemand konnte sich vorstellen, dass dieser jemals eine akzeptable Antriebsmaschine werden könnte. So ist in einem Standardwerk von 1873 zu lesen, dass „der Magnetismus und die Elektricität wenig Aussicht haben, als bewegende Kräfte in der Industrie angewandt zu werden“ (Dub 1873).

5 Am Anfang stand die „elektrische Kraftübertragung“

Nachdem die Elektrizität alle Hoffnungen enttäuscht hatte, Retter des Handwerks zu sein, drängten ab etwa 1880 ver-mehrt andere Antriebssysteme auf den Markt, etwa Klein-dampfmaschinen, Heißluft-, Gas-, Benzin-, Petroleum- oder Äthermotoren. Private Mühlenbesitzer wiederum nutzten in dieser Dekade zunehmend die sog. Elektrische Kraftüber-tragung als probates Mittel, ihren Maschinenpark einfach zu

Abb. 3 Moritz Hermann Jacobi experimentierte 1838 mit diesem Elektromotor. Er baute ihn in ein Boot ein und fuhr damit auf der Newa in St. Petersburg. Der Versuch zeigte die prinzipielle Möglich-keit, Energie aus Batterien zu nutzen zugleich aber auch deren Unwirt-schaftlichkeit zu jener Zeit. (Foto: Deutsches Museum)

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den. Nunmehr konnte man die Elektrizitätswerke im äuße-ren Stadtgebiet ansiedeln und Kohlevorkommen aber auch Wasserkräfte in der Nähe der Städte ausnutzen. Bald wurden die Regionalnetze verbunden, um die Reservehaltung zu vermindern und die Havariesicherheit zu verbessern. Ende der 1920er Jahre wurden Forderungen nach einem europa-weiten Verbundsystem stärker, die sich auf die Erfahrungen bereits realisierter Netzkopplungen stützten. So begann z. B. 1923 der Stromaustausch zwischen Deutschland und den Niederlanden und 1926 jener zwischen Deutschland und der Schweiz. Ab 1929 verband eine von RWE gebaute 220-kV-Leitung das Ruhrgebiet mit den Wasserkraftwerken in den österreichischen Alpen (Tab. 1). Die Wärmekraftwerke im Ruhrgebiet liefen nun sehr wirtschaftlich im Grundlast-bereich, während die Wasserkraftwerke in den Alpen das Ausregeln der Leistungsspitzen bzw. -täler übernahmen. Elektrische Kraftübertragung blieb noch lange der Terminus technikus. So erschien das 1912 erstmals unter diesem Titel publizierte Standardwerk von Herbert Kyser 1953 in der 4. Auflage mit unverändertem Titel (Kyser 1912 und 1953).

Flankiert wurden in den 1930er Jahren die Pläne zu einem europäischen Wechselstromnetz von Überlegungen zur Elektroenergieerzeugung in Großprojekten, etwa riesi-gen Wasserkraftwerken. Auch an technischen Lösungen zur Übertragung großer Leistungen über weite Entfernungen,

Bayern nun im Interesse des Landes und der Bevölkerung überall dorthin zu übertragen, wo man disponible Arbeits-kräfte benötigte“ (Miller 1932).

Neun Jahre später regte Oskar von Miller wiederum als Ausstellungsleiter erneut den Bau einer Fernleitung an: Auf der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt a. M. 1891 stellte die AEG gemeinsam mit der Maschinenfabrik Oerlikon Zürich eine Drehstromübertra-gung über 175 km von Lauffen am Neckar zum Ausstel-lungsgelände in Frankfurt vor, diesmal mit einer Spannung von 15.000 V, später versuchsweise sogar bis 25 kV. Der hohe Wirkungsgrad von 75 % bewies die technische und wirtschaftliche Praktikabilität der elektrischen Übertra-gung, die den verlustarmen Energietransport von Orten mit Primärenergieüberschuss (z. B. Wasserläufe oder Kohlegru-ben) zu Gebieten mit hohem Verbrauch ermöglichte. Neben der Übertragungstechnik zeigte man auf der Ausstellung auch Generatoren und Antriebsmotoren für Drehstrom. Damit waren alle wichtigen Funktionsglieder heutiger Drehstrom-Energienetze, also Generatoren, Transformato-ren, Schalter, Übertragungsleitungen und Motoren auf der Ausstellung präsent (Abb. 4).

Zugleich wurde auf dieser Ausstellung der heftige Streit zwischen den Befürwortern der Gleichstrom- und der Wechselstromtechnik zugunsten des Drehstroms entschie-

Abb. 4 Auf der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt a. M. 1891 demons-trierte die Drehstromübertragung über 175 km von Lauffen am Neckar zum Ausstellungsgelände in Frankfurt die technische und wirtschaftliche Praktikabilität der elektrischen Energieübertragung über große Entfernungen. (Foto: Deutsches Museum)

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trizitätswerk konnte keinem Anlieger die Anschaltung an die vorhandene Leitung mit dem Hinweis verweigern, dass der prognostizierte Verbrauch zu gering sei und die Kos-ten deshalb nicht gedeckt würden. Generell waren die ers-ten Stromerzeugungsanlagen in Deutschland meist private Kleinkraftwerke, die einzelne Häuser, Fabriken oder Zeche-nanlagen versorgten, während sich der Staat weitgehend aus der Elektrizitätswirtschaft heraushielt.

Bis etwa 1900 bestanden noch erhebliche rechtliche Unsicherheiten beim Stromverkauf und angesichts der hohen Stromkosten kam ein illegaler Strombezug gar nicht so selten vor. Nach widersprüchlichen Urteilen unterer Ins-tanzen in Fällen von Stromdiebstahl war 1896 das Reichs-gericht angerufen worden. Aufgrund des damals gültigen Strafgesetzes kamen die Richter nicht umhin festzustellen, dass Stromdiebstahl nicht verfolgt werden könne, da Elek-trizität keine bewegliche und vor allem keine körperliche Sache sei. Nach einiger Diskussion, in die sich auch der VDE einschaltete, konnte 1900 mit einer Gesetzesände-rung Rechtssicherheit für die E-Werke geschaffen werden (Bericht 1896 sowie Kohlrausch 1899).

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg vollzog sich eine rasante technische Entwicklung, der Stromverbrauch stieg, und die Elektrizitätswerke schossen wie Pilze aus dem Boden. Bis 1911 entstanden 557 E-Werke als private Aktiengesellschaft und GmbH, 703 Kommunalwerke, 171 genossenschaftliche Werke, 22 Werke von Kommunal-verbänden und 967 sog. Überlandzentralen (Zängl 1989). In dieser Zeit entstand auch das Verbundnetz, das Hilfe bei Störungen leisten, die Reserveleistung der einzelnen E-Werke verringern und damit für eine bessere Auslastung der Kraftwerkskapazitäten sorgen sollte. Das war auch nötig. Solange es hauptsächlich Gleichstromkraftwerke gab, konnte Elektroenergie in großen Akkumulatorenanla-gen zwischengespeichert werden. In Drehstromkraftwerken war diese Speichung nur noch um den Preis der zweifachen Umwandlung in Motorgeneratoren möglich, was den Wir-kungsgrad drastisch senkte.

Von besonderer Bedeutung für die öffentliche Diskus-sion war das von Hugo Stinnes geleitete gemischt-wirt-schaftliche Unternehmen RWE (Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG). Das Unternehmen veränderte nach 1900 die Prämissen für Erzeugerstandorte, Absatzpolitik und Eigentümerschaft. Das Kraftwerk sollte, um die Roh-stofftransportkosten zu senken, nicht mehr unbedingt im Versorgungsgebiet liegen, sondern in der Nähe der Primär-energieträger. Die Absatzpolitik zielte nun darauf, große Strommengen billig zur Verfügung zu stellen. Der Gewinn entstand durch die konsequente Ausnutzung der „econo-mies of scale“. Nach 1905 expandierte die RWE, indem sie Kommunen, Kreise und Länder als Gesellschafter aufnahm. War der Staat im Stromsektor bis 1900 nicht in Erscheinung getreten, änderte sich das nun. Auch die Reichsregierung

wie der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), wurde bereits vor dem Zweiten Weltkrieg intensiv gearbei-tet. So begannen 1941 Siemens und die AEG gemeinsam eine zweipolige 60 MW-Übertragung (± 200 kV gegen Erde) über mehr als 110 km zwischen dem Kraftwerk „Elbe“ bei Dessau und Berlin-Marienfelde zu errichten. Die 1945 fer-tig gestellt Anlage ging aber infolge der Kriegswirren nicht mehr in Betrieb, wurde von der sowjetischen Besatzungs-macht demontiert und für die einpolige HGÜ-Verbindung von Kaschira nach Moskau (200 kV, 30 MW, 112 km) ver-wendet, die 1951 in Betrieb ging.

6 Rechtlicher Rahmen

Neben den technischer Voraussetzungen spielten und spielen bis heute auch die rechtlichen Rahmenbedingun-gen eine große Rolle. In der Anfangszeit der Elektrifizie-rung in den 1880er und 1890er Jahren ging es vor allem um Konzessionsverträge. Solche Verträge waren bereits einige Jahrzehnte zuvor für Gaswerke üblich. Allgemein wird der von Emil Rathenau, Vorstand der Deutschen Edi-son-Gesellschaft für angewandte Elektricität (später AEG), mit der Stadt Berlin geschlossene Vertrag als erster in der Geschichte der Elektrifizierung angesehen. Hier wurde bereits die sog. Anschlusspflicht verankert, d. h. das Elek-

Tab. 1 Die Entwicklung von Systemen zur Übertragung von Elektro-energie war und ist bis heute ein wichtiges Arbeitsfeld der Elektro-technik

Wichtige Energieübertragungen und Freileitungen bis 1930

1873 Elektrische Kraftübertragung über 1 km auf der Wiener Weltausstellung durch H. Fontaine

1882 Internationale Elektrizitäts-Ausstellung in München, elektrische Kraftübertragung über 57 km von Miesbach nach München durch M. Deprez (2.000 V, 2 PS)

1886 8 km lange 2,5 kV-Gleichstromverbindung mit einem Wirkungsgrad von 70 % von der Maschinenfabrik Oerlikon, 2 Generatoren in Reihe

1885 Patente für ein Stromsystem mit Transformatoren für K. Zipernowsky, O. T. Blaty und M. Deri, Ganz & Co., Budapest

1891 Internationale Elektrotechnische Ausstellung in Frank-furt a. M. 1891, Drehstromübertragung über 175 km von Lauffen am Neckar zum Ausstellungsgelände in Frankfurt, Wirkungsgrad von 75 %

1905 50 kV-Verbindung zwischen Moosburg und München1911 Erste deutsche 110 kV-Leitung Lauchhammer – Riesa1913 150 kV-Leitung von Big Creek – Eagle Rock, Kalifor-

nien, USA1915 80 kV-Fernleitung von Zschornewitz – Piesteritz (Bay-

rische Stickstoffwerke)1918 100 kV-Leitung Zschornewitz – Berlin1926–1929 Bau der ersten europäischen 220 kV-Leitung Vorarl-

berg – Köln

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Mark. Hinzu kam die Kilowattstunde mit Preisen zwischen 60 und 80 Pfennige und die Zählermiete schlug noch ein-mal mit bis zu 40 Mark im Jahr zu Buche. Im Vergleich dazu verdiente ein Elektriker zu dieser Zeit etwa 30 bis 40 Pfennige pro Stunde, ein Hauer Untertage ca. 4 Mark pro Schicht (Horstmann 1990). Um die Kosten zu senken, ver-zichteten die Elektrizitätswerke in dieser Situation auf nicht unbedingt notwendige Komponenten, z. B. Stromzähler. Damit war aber lediglich eine Abrechnung nach Pauschalta-rif möglich. Dazu zog man die geschätzte Betriebszeit sowie die installierte Leistung der Verbraucher, z. B. Bogen-, bald auch Glühlampen, Ventilatoren oder auch Antriebsmotoren in Werkstätten von Gewerbetreibenden, heran. Da die Geräte in den meisten Fällen von den E-Werken vermietet wurden, war das zunächst kein Problem und für beide Seiten von Vorteil: Der Stromkunde konnte mit bekannten Kosten, der Stromlieferant mit festen Einnahmen rechnen. Nachteilig war aber, dass dieses Abrechnungssystem den Verbraucher tendenziell zu einem erhöhten Stromverbrauch animierte. So konnte er selbst beschaffte Geräte anschließen oder die vom E-Werk geliehenen Verbraucher länger nutzen als ver-anschlagt. Setzte das Elektrizitätswerk aber vorsorglich die Gebühren höher an, verschlechtert sich die Konkurrenzfä-higkeit der Elektroenergie im Vergleich zu anderen Ener-gieträgern, insbesondere zum Stadtgas. Dieser Nachteil des Pauschaltarifs wurde rasch erkannt, aber die Herausbildung eines passenden Tarif- und Rabattsystems dauerte noch bis in die 1920er Jahre. Bereits 1892 kam der Vorschlag auf, bei den Betriebskosten eines E-Werks zwischen einem festen und einem veränderlichen Teil zu unterscheiden. Die Fix-kosten sollten den weitaus größten Teil der Gesamtkosten ausmachen, schließlich mussten die Elektrizitätswerke in erheblichem Maße in Vorleistung gehen, ohne sichere Ein-nahmen in Aussicht zu haben. Eine vergleichbare Situation ergab sich in den 1930er Jahren mit der „Elektrifizierung des platten Landes“. Die Energieversorgungsunternehmen (EVU) mussten wiederum erhebliche Investitionen täti-gen, um ländliche Gebiete an das Stromnetz anzuschließen. Oft genug wurde die neue Energiequelle aber nur wenige Wochen im Jahr intensiv genutzt, vorzugsweise um eine Dreschmaschine anzutreiben. Die weitaus längste Zeit im Jahr beschränkte sich der Verbrauch auf ein paar Glühlam-pen von 10 bis 15 W. Dennoch konnten die EVUs die Preise nicht so hoch ansetzen, dass die größere Leistungsabnahme in wenigen Wochen die gesamten jährlichen Kosten abdeck-ten. Einen Ausweg zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der teuren Anlagen sah man in der Erhöhung des Stromab-satzes in der lastschwachen Zeit mittels elektrischer Koch- und Wärmegeräte, wofür intensiv geworben wurde.

Neben der bereits in den 1890er Jahren vorgeschlage-nen Teilung der Betriebskosten in einen festen und einen veränderlichen Teil, vertraten viele Experten die Ansicht, man müsse auch zwischen dem Zweck der Elektroenergie-

hatte bis zum Ersten Weltkrieg auf eine aktive Rolle in der Elektrizitätswirtschaft verzichtet. Während des Krie-ges jedoch engagierte sich das Reich für den Bau neuer, großer Kraftwerke, um den nötigen Strom für die Rüs-tungsindustrie bereit zustellen. Begründet wurde das u. a. damit, dass Großkraftwerke einen viel höheren Wirkungs-grad besäßen als mittlere und kleinere E-Werke. Das war zwar korrekt für den Verbund von Kessel, Dampfturbine und Generator, ignorierte aber die deutlichen Hinweise der Stadtwerke, dass die Abwärme z. B. zur Wohnraumheizung genutzt werden könne – heute als Kraft-Wärme-Kopplung bekannt. Im Ergebnis wurden Großkraftwerke in der Nähe von Kohlengruben errichtet, untereinander zum Verbundbe-trieb gekoppelt und mit den Verbrauchszentren verbunden. Klar war, dass solche weitreichenden Pläne nur mit Hilfe des Staates durchzusetzen durchzusetzen waren, der Kraft-werke und Hochspannungsleitungen betreiben sollte. In der ETZ wird dazu ausgeführt: „Die Großkraftversorgung über-steigt die der Privatwirtschaft gezogenen Grenzen… Soziale Gesichtspunkte wie planmäßige Eingliederung in das allge-meine Staatsgetriebe, Rücksicht auf Geschichts- anstatt auf Geschäftsperioden sind ausschlaggebend“ (Tröger 1920). Im Hintergrund dieser Verknüpfung von Staats- und privat-wirtschaftlichen Interessen steht nicht zuletzt die Tatsache, dass zu dieser Zeit Walter Rathenau Präsident der AEG und zugleich verantwortlich für die Kriegsrohstoffversorgung war.

7 Wirtschaftlichkeit und Tarife – ein ständiges Thema

Ein ständig diskutiertes Thema der Elektrizitätswirtschaft sind Tarife. Das sind verbindliche Preisgruppen für stan-dardisierte Abnehmer. Während bei Großverbrauchern stets Vertragsfreiheit besteht, greift diese schon wegen der großen Anzahl bei Kleinabnehmern nicht. Sowohl von Sei-ten der Elektrizitätswerke als auch der Abnehmer bestand ein großes Interesse an der Vergleichbarkeit von Preisen. Nun ist aber Elektroenergie kein Produkt, für das einfach die Summe der verschiedenen Kostenanteile zur Preisbil-dung herangezogen werden kann. Die Elektroenergie muss bekanntlich zu jedem Zeitpunkt entsprechend der Abnah-meleistung zur Verfügung gestellt werden. Die Abnah-meverhältnisse unterscheiden sich jedoch bei Groß- und Kleinverbrauchern erheblich. Hinzu kam die enge Kopp-lung von Stromerzeugungs- und -verteilungsanlagen. Darü-ber, wie die Kostenanteile während der täglich und jährlich verschiedenen Belastungsfälle auf diese Gruppen aufge-teilt werden sollten, entspann sich eine lange und intensive Diskussion.

Zu Beginn der Elektrifizierung war Strom purer Luxus: Der Hausanschluss kostete bis zu 250 Mark, Glühlampen wurden meist gemietet und kosteten monatlich bis zu 6

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Kernenergie, Regenerative Energiequellen, die Wärmedäm-mung von Gebäuden und in die Effizienzsteigerung von Kraftwerken, Motoren usw. investiert. Erst der politisch gewollte Ausbau der Stromproduktion aus Regenerativen Energiequellen im vergangenen Jahrzehnt macht jetzt eine Anpassung des Netzes notwendig.

8 Schlusswort

Betrachtet man die Entwicklung der Elektroindustrie bis kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert, wird deutlich, dass ihr der Erfolg keineswegs in die Wiege gelegt war, stand sie doch im Verdrängungswettbewerb vor allem mit der Gasindustrie. Die Elektrobranche musste auf verschiedenen Ebenen den Boden für ihre zukünftige Wirtschaftstätigkeit bereiten. Kernaufgabe war dabei, die Netze auszubauen und den Strompreis zu senken. Weiterhin mussten zukünftige Privatkunden mit der Elektrizität als neue und vor allem unsichtbare Energieform vertraut gemacht und auf das gegenüber anderen Techniken veränderte Nutzerverhalten hingewiesen werden. Diese Probleme sind lange gelöst. Heute stehen neue Fragen an. In einer demokratischen Gesellschaft können Antworten nur im aktiven Dialog der verschiedensten Interessengruppen gefunden werden. Dafür sind aber eine gegenseitige Akzeptanz sowie ein Verständ-nis der Probleme der jeweils anderen Seite nötig.

Literatur

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abnahme unterscheiden. Und tatsächlich war Kraftstrom oft wesentlich billiger als Lichtstrom. Nicht zuletzt gab es Vorschläge, dass sich der Preis nach dem Zeitpunkt der Stromentnahme richten sollte. Hintergrund waren die ausge-prägten täglichen und jährlichen Verbrauchsschwankungen. Vor allem Überlandzentralen hatten nach 1900 erhebliche Probleme mit hohen Kosten bei geringer Auslastung. Eine geeignete Tarifgestaltung sollte eine Steuerungsfunktion zum Ausgleich der großen Schwankungen entfalten. So wurden Stufenzähler angeboten, die je nach Entnahmezeit-punkt verschiedene Tarife berechneten. Auch Forderungen nach einem Zuschlag für die Stromentnahme in der Spitzen-zeit machten die Runde.

Nach langer Diskussion setzten sich die Vertreter des Grundgebührentarifes durch. Dies ist ein gemischter Tarif, bei dem ein periodisch wiederkehrender Grundpreis mit dem Arbeitspreis je Kilowattstunde kombiniert wird. Diese Tarifform nimmt die Idee der Kostenteilung in einen festen und einen veränderlichen Anteil auf. Dadurch erhalten die Kraftwerke eine Vergütung für die Bereitstellung der Infra-struktur, selbst wenn kein Strom abgenommen wird. Damit sinkt der Preis pro Energieeinheit tendenziell ab, je mehr Strom verbraucht wird. Aufgrund von technischen und finanziellen Grenzen kann der Privatkunde diese Möglich-keit aber nur im geringen Maßstab nutzen (Pirrung 1932).

Der Grundgebührentarif wurde ab 1912 eingeführt und verdrängte allmählich den Pauschaltarif. Die Einführung der Metallfadenlampe und die steigende Bedeutung des elektrischen Kochens hatte die Debatte erneut angestoßen. Die kostenlose Installation von Münzzählern sollte auch der ärmeren Bevölkerung die Segnungen der Elektrizität zugänglich machen. Das juristische Ende des Pauschaltarifs kam erst 1938, als Grundgebührentarife verbindlich vorge-schrieben wurden. Zu diesem Zeitpunkt wollte die NS-Füh-rung keine Tarife mehr zulassen, die den privaten Nutzer zu einem höheren Stromverbrauch animierte, sollten doch im Zuge des Vierjahresplans seit 1936 alle Ressourcen auf die „Wehrhaftmachung der Wirtschaft“ konzentriert werden.

Ende der 1930er Jahre hatte sich im Elektroenergienetz weitgehend eine Struktur herausgebildet, die nun mehrere Jahrzehnte die Praxisanforderungen erfüllen sollte: Groß-kraftwerke erzeugten Strom aus heimischer Braun- bzw. Steinkohle, der vorzugsweise in relativ nahe liegende Industrie- bzw. Ballungszentren geliefert wurde. Das Über-tragungsnetz verband diese Zentren und diente dem Ener-gieaustausch mit den Nachbarländern. Daran änderte auch nichts, dass ab den 1960er Jahren Kernkraftwerke sowie Öl betriebene Wärmekraftwerke hinzukamen. Ein bedeutender Einschnitt waren zweifellos die Ölpreiskrisen in den 1970er Jahren, demonstrierten sie doch die Abhängigkeit moderner Industriestaaten von fossiler Energie. Zugleich stießen sie eine Reihe von Entwicklungen an, die eine größere Unab-hängigkeit vom Öl zum Ziel hatte. So wurde vermehrt in

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Rückblick auf die Anfänge der Elektrifizierung

Tröger R (1920) Großkraftübertragung. ETZ 41, S. 905–908, 927–932, hier S. 905

Zängl W (1989) Deutschlands Strom. Die Politik der Elektrifizierung von 1866 bis heute. Campus, Frankfurt, S. 58

Miller Ov (1932) Erinnerungen an die Internationale Elektrizitätsaus-stellung im Glaspalast zu München im Jahre 1882. Deutsches Mu-seum, Abhandlungen u. Berichte 4, H. 6, S. 16

Pirrung A (1932) Elektrizitätstarife. Eine Untersuchung über die Ge-staltung von Grundgebührentarifen für Kleinabnehmer. Verl. d. Vereinigten Elektrizitätswerke E.V, Berlin


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