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ROTTWEILER HEIMATBLÄTTER Herausgegeben von Winfried Hecht für den Rottweiler Geschichts- und Altertumsverein e.V. Druck: Druckzentrum Südwest GmbH Redaktion: Andreas Pfannes, Rottweil 76. Jahrgang 2015 Nr. 3 Im Gebiet „Hinterprediger“ verläuft die Burkard-Straße, eine Benen- nung, mit der die meisten Einwoh- ner nichts anzufangen wissen. Nur wenigen Ortskundigen ist bekannt, dass sich Andreas Burkard Anfang des 19. Jahrhunderts mit Erfolg für die Rückgabe des vom württem- bergischen Staat konfiszierten städtischen Waldbesitzes einge- setzt hat. Tatsächlich war Dr. Bur- kard als erster Abgeordneter des Oberamtsbezirks Rottweil in der Zweiten Kammer der württembergi- schen „Landstände“ eine Persön- lichkeit mit deutlichem politischem Profil. Dr. Andreas Burkard wurde 1786 in Rottweil als Sohn eines Metzger- meisters geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und promo- vierte zum Doktor der Jurispru- denz; allerdings verzeichnet keine süddeutsche oder österreichische Universität seinen Namen. Später ließ er sich in seiner Heimatstadt als Rechtsanwalt und Notar nieder (1). Seine Kanzlei schien regen Zu- lauf gehabt zu haben, denn schon 1821 konnte er das Hofgut Oberro- tenstein samt dem ehemaligen Schlösschen von der württembergi- schen Staatsfinanzverwaltung für 6000 Gulden erwerben (2). Sein jüngerer Bruder Ignaz, Gastwirt zum Hecht, wurde durch seine Protektion zum Rottweiler Stiftungswaldmeister befördert (3). Die Wahl zu den Landständen Früh fühlte sich Andreas Burkard zur Politik hin- gezogen, denn die Ausarbeitung einer Verfas- sung für das junge Königreich stand politisch im Raum. Schon König Friedrich hatte eine Verfas- sung geplant, dazu war eine allgemeine Stän- deversammlung einberufen worden, von Rott- weil zunächst Stadtschreiber Augustin Stein- häuser, später folgte ihm Johann Philipp Geor- gii nach (4). Doch erst mit König Wilhelm I. kam das stockende Verfassungsvorhaben wieder in Gang, die Nachbarländer Baden und Bayern hatten bereits 1818 eine Verfassung erhalten, und die sich anbahnenden reaktionären Karls- bader Beschlüsse des österreichischen Staats- kanzlers Metternich drängten in Württemberg zur Eile. Die Wahlvorbereitungen zur verfas- sunggebenden Landesversammlung waren for- mal an einer Wahlordnung von 1815 ausgerich- tet, in Wirklichkeit wurden die Wahlen im Vorfeld von der Staatsregierung über die Oberamtmän- ner massiv beeinflusst, in Rottweil Oberamt- mann Steinhäuser im Verbund mit Bürgermei- ster Zipfehli und den Stadträten Dorfer und Lie- bermann. Es gab nur einen Kandidaten, so dass das Wahlergebnis nicht überraschen konnte. Am 21. Juni 1819 wurde Dr. Andreas Burkard von einer Anzahl mehr oder weniger willkürlich ernannten höchstbesteuerten Wahl- berechtigten zum „Repräsentanten“ gewählt (5). Ab Juli 1819 tagte die „Konstituante“ in Lud- wigsburg, endlich am 25. September trat die Verfassung in Kraft. Einmalig für die Geschichte des deutschen Frühkonstitutionalismus ist die Tatsache, dass Württemberg als einziger deut- scher Staat eine Verfassung im Wege eines Vertrags zwischen Fürst und Volk erhielt. Die Presseorgane des Landes, auch Rottweils „Ge- meinnütziger Anzeiger“, waren gehalten, dies der Öffentlichkeit bekannt zu ma- chen: So ließ König Wilhelm in einem Manifest verlauten, „Wenn Wir … Unserem Volke nochmals die Hand zum Vertrage boten, so geschah dies im Vertrauen auf … treue Anhänglichkeit“ (6). Erste Ansätze zu Parlamentarismus und Demokratie Nach der neuen Landesverfas- sung war der Abgeordnete der Zweiten Kammer Vertreter des ganzen Landes und nicht eines Wahlkreises (Repräsentations- prinzip). Politische Parteien oder Fraktionen gab es noch nicht, doch lockere, am politischen Ta- gesgeschehen ausgerichtete Zweckbündnisse. Die wichtigste Aufgabe der Landstände war die Bewilligung von Steuern, wobei der Grundsatz galt, dass der Staatsbedarf primär aus den Ein- nahmen des Staatsbesitzes zu fi- nanzieren sei. Eine Besonderheit des württembergischen Budget- rechts bestand darin, dass einmal bewilligte Steuern, samt Steuer- sätzen, nicht einfach vom Finanz- ministerium forterhoben werden konnten, sondern alle drei Jahre vom Landtag neu bewilligt werden mussten (7). Die Zweite Kammer konnte sich obendrein auch mit Anfragen und Petitionen an die Regierung wenden. Modern mutet an, dass die Kammersitzungen öffentlich waren und die Sitzungsprotokolle im Druck publiziert wurden. Die württembergische Verfassung wurde von den Zeitgenossen als echter politischer Fort- schritt empfunden, sie garantierte mehrere indi- viduelle Grundrechte. Nach heutigem Verständ- nis war die Partizipation des Volkes an der poli- tischen Willensbildung eher bescheiden: Zur Zweiten Kammer galt das Wahlrecht nur für volljährige Männer ab 25 nach einem kompli- zierten Zensuswahlsystem. Erste Begegnung mit Ludwig Uhland Bei den Verhandlungen um die neue Verfas- sung war Ludwig Uhland der Wortführer, der mit Nachdruck auf das „alte gute Recht“ des würt- tembergischen Volkes pochte. Ausgehend vom historischen Vorbild des Tübinger Vertrags von Rottweils erster Landtagsabgeordneter Dr. Andreas Burkard von Wolfgang Vater Gläserne Wappenscheibe mit dem Wappen von „Dr. Andreas Burkardt, Advocat u. Repräsentant 1786-1830“ an einem der Fenster des Vorraumes des Alten Rathauses in Rottweil. Foto: Gerald P. Mager, Stadtarchiv Rottweil
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Page 1: ROTTWEILER HEIMATBLÄTTER - GAVgav-rottweil.de/wp-content/uploads/2018/11/2015_3...ROTTWEILER HEIMATBLÄTTER Herausgegeben von Winfried Hecht für den Rottweiler Geschichts- und Altertumsverein

ROTTWEILER HEIMATBLÄTTERHerausgegeben von Winfried Hecht für denRottweiler Geschichts- und Altertumsverein e.V.

Druck: Druckzentrum Südwest GmbHRedaktion: Andreas Pfannes, Rottweil

76. Jahrgang 2015 Nr. 3

Im Gebiet „Hinterprediger“ verläuftdie Burkard-Straße, eine Benen-nung, mit der die meisten Einwoh-ner nichts anzufangen wissen. Nurwenigen Ortskundigen ist bekannt,dass sich Andreas Burkard Anfangdes 19. Jahrhunderts mit Erfolg fürdie Rückgabe des vom württem-bergischen Staat konfisziertenstädtischen Waldbesitzes einge-setzt hat. Tatsächlich war Dr. Bur-kard als erster Abgeordneter desOberamtsbezirks Rottweil in derZweiten Kammer der württembergi-schen „Landstände“ eine Persön-lichkeit mit deutlichem politischemProfil.Dr. Andreas Burkard wurde 1786 inRottweil als Sohn eines Metzger-meisters geboren. Er studierteRechtswissenschaften und promo-vierte zum Doktor der Jurispru-denz; allerdings verzeichnet keinesüddeutsche oder österreichischeUniversität seinen Namen. Späterließ er sich in seiner Heimatstadtals Rechtsanwalt und Notar nieder(1). Seine Kanzlei schien regen Zu-lauf gehabt zu haben, denn schon1821 konnte er das Hofgut Oberro-tenstein samt dem ehemaligenSchlösschen von der württembergi-schen Staatsfinanzverwaltung für6000 Gulden erwerben (2). Seinjüngerer Bruder Ignaz, Gastwirtzum Hecht, wurde durch seine Protektion zumRottweiler Stiftungswaldmeister befördert (3).

Die Wahl zu den Landständen

Früh fühlte sich Andreas Burkard zur Politik hin-gezogen, denn die Ausarbeitung einer Verfas-sung für das junge Königreich stand politisch imRaum. Schon König Friedrich hatte eine Verfas-sung geplant, dazu war eine allgemeine Stän-deversammlung einberufen worden, von Rott-weil zunächst Stadtschreiber Augustin Stein-häuser, später folgte ihm Johann Philipp Geor-gii nach (4). Doch erst mit König Wilhelm I. kamdas stockende Verfassungsvorhaben wieder inGang, die Nachbarländer Baden und Bayernhatten bereits 1818 eine Verfassung erhalten,und die sich anbahnenden reaktionären Karls-bader Beschlüsse des österreichischen Staats-kanzlers Metternich drängten in Württembergzur Eile. Die Wahlvorbereitungen zur verfas-sunggebenden Landesversammlung waren for-

mal an einer Wahlordnung von 1815 ausgerich-tet, in Wirklichkeit wurden die Wahlen im Vorfeldvon der Staatsregierung über die Oberamtmän-ner massiv beeinflusst, in Rottweil Oberamt-mann Steinhäuser im Verbund mit Bürgermei-ster Zipfehli und den Stadträten Dorfer und Lie-bermann. Es gab nur einen Kandidaten, sodass das Wahlergebnis nicht überraschenkonnte. Am 21. Juni 1819 wurde Dr. AndreasBurkard von einer Anzahl mehr oder wenigerwillkürlich ernannten höchstbesteuerten Wahl-berechtigten zum „Repräsentanten“ gewählt(5).Ab Juli 1819 tagte die „Konstituante“ in Lud-wigsburg, endlich am 25. September trat dieVerfassung in Kraft. Einmalig für die Geschichtedes deutschen Frühkonstitutionalismus ist dieTatsache, dass Württemberg als einziger deut-scher Staat eine Verfassung im Wege einesVertrags zwischen Fürst und Volk erhielt. DiePresseorgane des Landes, auch Rottweils „Ge-meinnütziger Anzeiger“, waren gehalten, dies

der Öffentlichkeit bekannt zu ma-chen: So ließ König Wilhelm ineinem Manifest verlauten, „WennWir … Unserem Volke nochmalsdie Hand zum Vertrage boten, sogeschah dies im Vertrauen auf …treue Anhänglichkeit“ (6).

Erste Ansätze zu Parlamentarismus undDemokratie

Nach der neuen Landesverfas-sung war der Abgeordnete derZweiten Kammer Vertreter desganzen Landes und nicht einesWahlkreises (Repräsentations-prinzip). Politische Parteien oderFraktionen gab es noch nicht,doch lockere, am politischen Ta-gesgeschehen ausgerichteteZweckbündnisse. Die wichtigsteAufgabe der Landstände war dieBewilligung von Steuern, wobeider Grundsatz galt, dass derStaatsbedarf primär aus den Ein-nahmen des Staatsbesitzes zu fi-nanzieren sei. Eine Besonderheitdes württembergischen Budget-rechts bestand darin, dass einmalbewilligte Steuern, samt Steuer-sätzen, nicht einfach vom Finanz-ministerium forterhoben werdenkonnten, sondern alle drei Jahrevom Landtag neu bewilligt werden

mussten (7). Die Zweite Kammer konnte sichobendrein auch mit Anfragen und Petitionen andie Regierung wenden. Modern mutet an, dassdie Kammersitzungen öffentlich waren und dieSitzungsprotokolle im Druck publiziert wurden.Die württembergische Verfassung wurde vonden Zeitgenossen als echter politischer Fort-schritt empfunden, sie garantierte mehrere indi-viduelle Grundrechte. Nach heutigem Verständ-nis war die Partizipation des Volkes an der poli-tischen Willensbildung eher bescheiden: ZurZweiten Kammer galt das Wahlrecht nur fürvolljährige Männer ab 25 nach einem kompli-zierten Zensuswahlsystem.

Erste Begegnung mit Ludwig Uhland

Bei den Verhandlungen um die neue Verfas-sung war Ludwig Uhland der Wortführer, der mitNachdruck auf das „alte gute Recht“ des würt-tembergischen Volkes pochte. Ausgehend vomhistorischen Vorbild des Tübinger Vertrags von

Rottweils erster Landtagsabgeordneter Dr. Andreas Burkard

von Wolfgang Vater

Gläserne Wappenscheibe mit dem Wappen von „Dr. Andreas Burkardt, Advocatu. Repräsentant 1786-1830“ an einem der Fenster des Vorraumes des AltenRathauses in Rottweil. Foto: Gerald P. Mager, Stadtarchiv Rottweil

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1514 setzte der Tübinger Professor, unterstütztvor allem von den Altwürttembergern, den Ver-tragsgedanken in der neuen Verfassung durch.Uhlands erste Begegnung mit dem RottweilerParlamentsvertreter 1819 stand allerdings eherunter negativen Vorzeichen. Andreas Burkard,der sich betont als Vertreter Neuwürttembergs,insbesondere der mediatisierten Reichsstädtebetrachtete, verfocht vehement und mit Erfolgseinen Anspruch auf einen Sitz in einer Land-tagskommission zu Lasten Ludwig Uhlands.Dieser gab nach und schrieb an seine Eltern:„Für die Sache mag es gut sein, dass noch einNeuwürttemberger hineinkam, es hätte sonstEifersucht erregen können“ (8).

Um städtische Schulden und Waldbesitz

Die Rückgabe des 1803 beschlagnahmtenRottweiler Waldbesitzes und die Schuldenüber-nahme durch den württembergischen Staat istkein politischer Sonderfall, sondern Teil einervon König Wilhelm I. groß angelegten Aktion,die Bürger der mediatisierten Reichsstädte fürdas neue bunt zusammengewürfelte König-reich zu gewinnen. Dabei hatte der württember-gische Staat auch im Jahr 1803 eingegangeneRechtsverpflichtungen zu beachten. In Stuttgarterschienen seit 1815 Kommissionen aus zahl-reichen Städten zu Verhandlungen mit Regie-rungsvertretern. Die Verhandlungen gestaltetensich zäh, da über den Umfang der staatlichenSchuldenübernahmeverpflichtung und denZahlungsmodus unterschiedliche Auffassun-gen im Raum standen. Nach Jahren zähen Rin-gens erhielt zum Beispiel Ulm einen Schulden-erlass und Vermögensrückübertragung im Wertvon 210 000, und die kleine Stadt Isny von80 000 Gulden (9). Ähnlich wie die Vertreter derStadt Ravensburg, die ebenfalls um ihren Wald-besitz kämpften, drang auch Dr. Burkard, dendie Stadt Rottweil mit dem Titel „Syndicus“ zuihrem Chefunterhändler gewählt hatte, auf Ein-haltung von Artikel 27 des Reichsdeputations-hauptschlusses von 1803, wonach alle zu kirch-lichen und „milden“ Stiftungen gehörigen Güterund Einkünfte den ehemaligen Reichsstädtenverbleiben sollten, eine Maxime, die das würt-tembergische Innenministerium schon 1817 ak-zeptiert hatte. Erschwert wurde Burkards Ver-handlungsführung durch überzogene Forderun-gen des Rottweiler Stadtrats, dem der diploma-tisch versierte und beharrliche Syndicusmehrmals zur Mäßigung riet. Endlich kam esam 14. April 1821 zu einem Vergleich Rottweilsmit dem württembergischen Staat (10). Dieserübernahm 100 000 Gulden städtischer Schul-denlast und gab 622 Jauchert Wald, etwa 190Hektar, an die Stadt Rottweil zurück. Tatsäch-lich waren 1802 nur etwa ein Fünftel der städti-schen Waldungen vom Staat konfisziert wor-den, so dass Rottweil unterm Strich weitgehendverschont blieb (11). Rottweil sparte nicht mitDankerweisen für seinen erfolgreichen Ver-handlungsführer. Am Sonntag 1. Juli 1821 ver-anstaltete die Stadt ein „Dankfest für die Gnadeunseres Königs Wilhelm“, in Wirklichkeit mehrein Fest zu Ehren von Dr. Burkard: Es begannum 5 Uhr früh mit Böllerschüssen „von denStadtwällen“, um 8 Uhr folgte ein Hochamt mitPredigt, im Anschluss daran die Geschenk-übergabe in Form eines silbernen Bechers und100 Dukaten, dann ein Gastmahl, eine Komö-dienaufführung und ein Ball im Gasthaus zumWilden Mann (12). Der Vergleich mit dem würt-tembergischen Staat hatte seine Wirkung nichtverfehlt, Rottweils Bürgerschaft arrangierte sichzunehmend mit dem neuen Staatswesen.

Um niedrige Steuern

Anders als heute, wo der Finanzminister be-müht ist, die Ausgabenfreudigkeit seiner Regie-rungskollegen und der Parlamentarier zu brem-sen, sahen die Vertreter der 63 Oberämter inder Zweiten Kammer ihre Aufgabe vorrangigdarin, die Staatsausgaben und das Steuerauf-kommen möglichst niedrig zu halten. Mit gleich-gesinnten Kollegen pochte Burkard auf das ver-fassungsmäßig verbriefte Recht der Kontrolleder Staatsausgaben v o r dem Beschluss einesneuen Haushaltsplans. Gegen den Versuch derStaatsregierung, Steuerfreiheit für die Besol-dungen der Staatsdiener und Geistlichendurchzusetzen, wandte er sich vehement alsWortführer zahlreicher Kollegen (13). Er könnenicht nachvollziehen, warum der „Landmann“,also der gewerbetreibende Bürger, allein dieSteuerlast tragen solle. So erreichte er in derSitzung vom 17. Mai 1820 einen politischen Er-folg mit dem Beschluss der Kammer, Einkom-men und Pensionen von Beamten im Betragvon mehr als 100 Gulden jährlich zu besteuern,unter sozialer Berücksichtigung niedriger Be-soldungseinkünfte (14). Schon aus diesen Zu-sammenhängen wird ersichtlich, dass sich Bur-kard als Vertreter des ganzen Volks und nichtnur partikularer und regionaler Interessen be-trachtet hat.Gut verständlich, dass Burkard für eine niedrigeSteuerlast des „Landmanns“ eingetreten ist,doch war ihm sicher bekannt, dass hinter demAnsinnen der Regierung um die Bewilligung hö-herer Steuern sich ein finanzielles Strukturpro-blem verbarg. Dem Staat waren durch die obenerwähnte Rückgabe kommunaler Waldungenwertvolle Einkünfte verloren gegangen, dazukam die vom König seit 1817 eingeleitete„Bauernbefreiung“, die zwangsläufig mit demWegfall von Zinseinkünften, gerade auch beiden säkularisierten Klostergütern verbundenwar. Die Verfassung von 1819 hatte zudem dieLeibeigenschaft der Bauern aufgehoben (15).Der Einsicht in die Knappheit der Ressourcendes Staats haben sich die Abgeordneten derZweiten Kammer bewusst verschlossen. Sieschöpften ihre verfassungsmäßig garantiertenRechte voll aus im Wissen um ihren engen poli-tischen Spielraum: Der Landtag besaß wederdas Recht der Gesetzesinitiative, noch war dieStaatsregierung dem Landtag parlamentarischverantwortlich.Im Zusammenhang mit Haushaltsberatungensoll 1827 das Zitat gefallen sein, das sprich-wörtlich für angebliche Knauserigkeit und man-gelnden Kunstsinn der Schwaben steht. AlsStuttgart die berühmte Gemäldesammlung derBrüder Boisserée mit mehr als 200 altniederlän-dischen und altdeutschen Werken zum Kaufangeboten wurde, soll Damian Mosthaf, der Ab-geordnete des Oberamts Oberndorf gesagt ha-ben: „Mir brauchet koi Konscht, mir brauchetGrombiera.“ Dieser Satz ist in den Landtagspro-tokollen nicht vermerkt, möglicherweise fiel erim privaten Kreis. Wie Andreas Burkard sich inder Angelegenheit verhalten hat, ist nicht be-kannt, ebenso wenig, ob er sich für die staatli-che Förderung der Bildenden Künste in Würt-temberg jemals eingesetzt hat. Jedenfalls ent-ging der württembergischen Regierung ein be-deutender Kunstkauf, die Sammlung Boisseréeist heute in der Alten Pinakothek in München zubewundern.

Für eine schlanke Verwaltung

Typisch für das politische Programm der frühli-beralen Volksvertreter war die Beschränkung

der staatlichen Aufgaben auf ein absolutes Mi-nimum und entlang der knappen bewilligten Fi-nanzmittel eine schlanke Staatsverwaltung. Alssich 1824 sogar die Finanzkommission derZweiten Kammer dazu herbeiließ, Zwischenin-stanzen als Aufsichtsbehörden des Finanz- undInnenministeriums in den vier Kreisen (eine ArtRegierungsbezirke) zu fordern, erntete sie leb-haften Widerspruch, auch von Burkard. Mit demEinwand, dies diene nur der „Vermehrung derVielschreiberey“, ohne echte Entscheidungsbe-fugnis, wollte man den Verwaltungsapparat soklein wie möglich halten (16).

Der Fall Friedrich List

Der renommierte Reutlinger Wirtschaftstheore-tiker, in späteren Jahren ein entschiedener Be-fürworter eines deutschen Zollvereins und ge-samtdeutschen Eisenbahnnetzes, war 1819 indie Zweite Kammer der württembergischenLandstände gewählt worden, konnte jedochsein Mandat nicht antreten, da er zu jenem Zeit-punkt das gesetzliche Mindestalter von 30 Jah-ren noch nicht erreicht hatte. Anstatt ein paarMonate abzuwarten, hatte die Staatsregierungeinen plausiblen Grund gefunden, die Wahl despolitisch unbequemen Mannes für ungültig zuerklären. Nach einer weiteren Wahl 1820 zog erfür Reutlingen in den Landtag ein, doch gerieter schon 1821 ins Visier von König Wilhelm unddessen Regierung, als er in seiner „ReutlingerPetition“ die württembergische Bürokratie gei-ßelte und sich für die Demokratisierung derkommunalen Selbstverwaltung aussprach.Streng nach dem Buchstaben der Verfassungbetrieb eine „Kriminal-Untersuchung“ des Land-tags auf massiven Druck des Landesherrn denMandatsentzug Lists. Der politische Riss gingquer durchs Plenum, Andreas Burkard hattesich schon am 12. Februar 1821 für den Reut-linger Abgeordneten erklärt. In der Sitzung derKammer vom 24. Februar stimmten, unter demDruck der Staatsregierung, 56 Abgeordnete fürLists Ausschluss, 36 stimmten dagegen, da-runter Ludwig Uhland und Andreas Burkard. Dadie Abstimmung namentlich erfolgte, hattensich auch Burkard und seine Gesinnungsge-nossen politisch verdächtig gemacht (17).

Um die Gleichberechtigung der katholischen Kirche

Mit der Säkularisation der reichsunmittelbarenKlöster und der Mediatisierung von Reichsstäd-ten und Adelsherrschaften (1803-1806) erhieltWürttemberg einen enormen Bevölkerungszu-wachs mit überwiegend katholischer Konfes-sion. Wohl war schon im Religionsedikt von1806 die Gleichberechtigung der christlichenGlaubensbekenntnisse erklärt worden, dochharrten zahlreiche Streitpunkte zwischen Staatund katholischer Kirche einer endgültigen Klä-rung, angefangen von der Gründung eines Lan-desbistums bis hin zur Verwendung und Ver-waltung des Kirchenguts. Einen guten Ansatz-punkt bot die Verfassung von 1819, die denchristlichen Kirchen weit entgegenkam und ih-nen die Nutznießung ihrer Schul-, Kirchen- undArmenfonds sowie die Autonomie ihrer inner-kirchlichen Angelegenheiten garantierte. Dochsah die Verfassungswirklichkeit anders aus, derkirchenpolitische Handlungsschwerpunkt lageindeutig beim „Königlich Katholischen Kir-chenrat“, einer Landesbehörde, und nicht beiGeneralvikar von Keller, der 1828 zum erstenBischof von Rottenburg geweiht wurde.Ohne das geltende Staatskirchenrecht in Fragestellen zu wollen, drangen Landtagsausschüs-

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se im Dezember 1820 auf die verfassungsmä-ßig garantierte Ausscheidung des katholischenKirchenguts aus dem Staatsbesitz. Zudem wur-den Forderungen an den Staat formuliert wiedie Errichtung eines katholischen Lehrersemi-nars, eines Pensionsfonds für Schullehrer und,recht modern anmutend, Beiträge des Staatszu den Druckkosten der Lehr- und Unterrichts-mittel sowie staatliche Zuschüsse zum Schul-hausbau. In Albert Schott, dem Vertreter desOberamts Böblingen, hatte Burkard einen Mit-streiter gefunden, dem, obwohl evangelisch,klar geworden war, dass nur ein Entgegenkom-men gegenüber dem katholischen Bevölke-rungsteil das junge Königreich im Innern konso-lidieren konnte (18). Mit dem Linksliberalen Al-bert Schott, der 1848 in die Frankfurter Natio-nalversammlung einzog, kooperierte Burkardnoch des Öfteren.Im gemischt konfessionellen Württemberg ent-standen durch Binnenwanderung zwangsläufigkatholische Minderheiten, insbesondere in dengrößeren Städten. Burkard nahm sich im Land-tag um die Probleme der Katholiken in der„Diaspora“ an, als er im Mai 1820 an den Innen-minister die Frage richtete, ob für die vorgese-hene katholische Kirche in Reutlingen die im„Special-Etat“ genannte Summe bereits zu die-sem Zweck verwendet worden sei. Es vergingnoch geraume Zeit, bis sich König Wilhelm per-sönlich einschaltete und der jungen katholi-schen Pfarrgemeinde Reutlingen die Nikolai-Kirche für ihre Gottesdienste zuwies.Seit 1828 blieb Andreas Burkard häufig wegenKrankheit den Kammersitzungen fern, im Janu-ar 1830 wurde er wegen gesundheitlicher Pro-bleme auf unbestimmte Zeit beurlaubt, am 12.Mai 1830 starb er im Alter von wenig mehr als43 Jahren (19).

Auf dem Weg des liberalen Fortschritts

Die Julirevolution in Frankreich 1830 griff schonbald auf die politische Öffentlichkeit der deut-schen Staaten über, es kam zu Unruhen inSachsen und Hannover und im Ergebnis zuLandesverfassungen, die sich an den süddeut-schen orientierten. Ein frischer Wind ging auchdurch den als reaktionär und bevormundend

empfundenen Wahlmodus zu den württember-gischen Landtagswahlen. Statt informeller Ho-noratiorenauslese und mehr oder weniger un-verhohlener Lenkung der Wahlen durch dieOberamtmänner kam es im Vorfeld der Dezem-berwahlen von 1831 zur öffentlichen Diskussionum die Kandidatur von Wahlmännern und teil-weise auch zu Alternativvorschlägen bei denLandtagskandidaten (20). In Rottweil hatte sichein „Verein zu Vorbereitung der Wahl einesständischen Abgeordneten“ konstituiert: Ihmgehörten so angesehene Bürger an wie Kir-chenpfleger Benz, Stiftungswaldmeister IgnazBurkard, Oberlehrer Thaddäus Villinger undselbst sieben Schultheißen von umliegendenLandgemeinden - eigentlich an sich schon be-achtlich. Dennoch meldeten sich wenige Tagespäter über die örtliche Presse Bürger zu Wort,die dem Verein Geheimniskrämerei vorwarfenund sich dafür aussprachen, „dem WürdigstenEmpfohlenen (damit konnte nur BenediktPflanz gemeint sein) einen annähernd Würdi-gen an die Seite zu stellen“, im Klartext, dieMinderbesteuerten verlangten eine echte Aus-wahl unter zwei Kandidaten (21). Am 18. De-zember 1831 veröffentlichte der „Gemeinnützi-ge Anzeiger“ ein Verzeichnis der von der Bür-gerschaft gewählten 31 Wahlmänner zur Wahleines Abgeordneten für die nächste Ständever-sammlung. Anhand dieser Zahl lässt sich derWahlmodus für die Rottweiler Verhältnisserecht gut rekonstruieren. Nach der Verfassungkam auf sieben Steuerpflichtige (direkte Steuer,z.B. Grund- und Gewerbesteuer) ein Wahlbe-rechtigter, zwei Drittel der Wahlberechtigtenhatten als Höchstbesteuerte je eine Direktstim-me zur Landtagswahl, die übrigen „Steuer-Con-tribuenten“ wählten aus ihren Reihen ein Drittelder Wahlberechtigten als „Wahlmänner“, alsoindirekte Wahl. Wurden also 31 Wahlmänner imSinne der indirekten Wahl gewählt, so standender Stadt Rottweil insgesamt 93 Wahlberechtig-te zu, demnach hatte die Stadt damals 651Steuer zahlende Gemeindebürger.Obgleich sie nicht zu den Höchstbesteuertenzählten, gehörten auch die 31 genannten Wahl-männer zu den angesehensten Bürgern derStadt. Es spricht für die Schulstadt Rottweil undden guten Ruf ihrer Lehrkräfte , dass gleich fünf

Lehrer aufgelistet sind, Zeichenlehrer Franz Jo-seph Uhl, Lehrer Johann B. Meich (Ölporträt imStadtmuseum), die Brüder Thaddäus undFranz Joseph Villinger sowie Markus Glükher,nach dem eine Gasse im Sprengerort benanntist.

Anmerkungen:1) Chronik der Pfarrei Heilig-Kreuz in Rottweil 1814-1879,bearb. von W. Wittmann und A. Braun (2010) S. 66.2) Beschreibung des Oberamts Rottweil (1875) S. 435.3) Porträts Rottweiler Bürger des 18. bis 20. Jh., von W. Vaterund G.P. Mager. – Kleine Schriften des Stadtarchivs Rottweil18 (2011) S. 30f.4) W. Hecht, Rottweil 1802-1970 (1997) S. 36.5) StadtA Rottweil Stadtratsprotokolle Jg.1819 Bd. A 106p.8b: Sitzung vom 17. Juni 1819. – Tagebuch des Joh. Nep.Maurer 1798-1839 p.47.6) Gemeinnütziger Anzeiger (GA) 21.Jg., 7. Oktober 1819.7) B. Mann, Württemberg 1800-1866. In: Handbuch der Ba-den-Württembergischen Geschichte Bd. 3 (1992) S. 277f.8) Ludwig Uhlands Leben, zusammengestellt von seiner Wit-we (Emilie Vischer) (1874) S. 156-158.9) W. H. Hepach, Ulm im Königreich Württemberg 1810-1848(1979) S.17-20; I. Kammerer, Isny im Allgäu (1956) S. 182.10) G. Wochner, Von der Reichsstadt zur Stadtgemeinde,Rottweil (1994) S.129-131; W. Hecht a. a. O. S. 38.11) L. Weisser, Rottweils Wirtschaft und Gesellschaft vomEnde des Reichsstadtzeit bis zum Ersten Weltkrieg (1978)S. 24.12) Tagebuch J. N. Maurer p.49; GA 23. Jg., 5. Juli 1821Sp. 569-572.13) Verhandlungen in der Kammer der Abgeordneten des Kö-nigreichs Württemberg (=Protokolle) im Jahr 1820 S. 694 und725 ff.14) a. a. O. S. 746 ff.15) K. und A. Weller, Württembergische Geschichte im süd-westdeutschen Raum, 7. Aufl. (1972) S. 232.16) Verhandlungen in der Kammer … in den Jahren 1823 und1824 S. 1537: Sitzung vom 2.Juli 1824.17) Verhandlungen ... im Jahr 1821 S. 25 ff. und 139f.; B.Mann a. a. O. S. 281f.18) Verhandlungen … im Jahr 1820, Sitzung vom 9. Dezem-ber 1820 Beilage IV S. 33.19) GA 32. Jg., 16. Mai 1830.20) Vgl. B. Mann S. 294.21) GA 33. Jg. Nr. 96, 1. Dezember 1831; nr. 97, 4. Dezember1831 Sp. 913-915. – Vgl. D. Burkard, Benedikt Alois Pflanz(2004) S. 19f.

Zur Gründung des Verschönerungsvereins (1869)

Der „Verein für die Verschönerung der StadtRottweil und ihrer Umgebung“ wurde 1869 vonProfessor Oskar Hölder gegründet (1). Die Sat-zung vom 31. Juli.1869 führt im § 1 als Zweckdes Vereins die Verschönerung von Rottweilund seiner Umgebung aus, wobei die nötigenGeldmittel durch die Beiträge seiner Mitglieder– jährlich 1 Mark – sowie Spenden beschafftwerden sollten (2). Der Verein hat der Illustrier-ten Chronik der Stadt Rottweil von 1884 zufolgeim Jahre 1883 125 Mitglieder umfasst, die jähr-lich mindestens 30 Kreuzer Beitrag zahlten (3).Die vom Autor dieses Artikels für das Stadtar-chiv erfassten und archivierten Dokumente er-lauben zunächst einen Blick auf die Gründung

des Vereins, dann auf die Erneuerung der Sat-zung am 28. November 1899. Leider fehlenProtokolle von Vereinssitzungen, Gedächtnis-notizen oder Briefwechsel, aus denen die kon-krete Umsetzung des in der Satzung festgeleg-ten Zwecks oder eine Erfolgsbilanz direkt ables-bar wäre. Ausweislich einer Zeitungsnotiz derSchwarzwälder Bürgerzeitung Nr. 67 vom Frei-tag, 14. Juni 1872, hatte es nach einer Unter-brechung der Vereinsaktivitäten während desDeutsch-Französischen Kriegs von 1870/71eine Wiederaufnahme der Tätigkeit des Vereinsgegeben (4).

Von der Tätigkeit des Vereins

Die Illustrierte Chronik der Stadt Rottweil von1884 nennt als erstes größeres Vorhaben des

Vereins „die Anlagen, die sich vom Hengststallaus mit den oberen Anlagen beim Hohenthurmverbinden. Es folgten kleinere Anlagen bei derRealschule, an der Heiligkreuzkirche und derZufahrtsstraße, wobei an geeigneten Punktenstets Ruhebänke erstellt wurden, die sich sei-tens der Spaziergänger und insbesondere derKindsmägde mit ihren Schutzbefohlenen einerstarken Frequenz erfreuten. Die neueste Lei-stung ist die gelungene Erweiterung der Hohen-thurmanlage in südlicher Richtung.“ (5) Die inden Dokumenten aufgefundenen Auszüge ausden Gemeinderatsprotokollen sind wenig aus-sagekräftig. Es lässt sich indessen aus der Fül-le der vorgefundenen Rechnungen verschiede-ner Handwerks- und Forstbetriebe und andererFirmen ablesen, dass Verschönerungsarbeiten,die vom Verein initiiert oder finanziert worden

Vom Verschönerungsverein zum Fremdenverkehrsverein Rottweil

von Arved Sassnick

Page 4: ROTTWEILER HEIMATBLÄTTER - GAVgav-rottweil.de/wp-content/uploads/2018/11/2015_3...ROTTWEILER HEIMATBLÄTTER Herausgegeben von Winfried Hecht für den Rottweiler Geschichts- und Altertumsverein

waren, ein durchaus ansehnliches Maß erreich-ten, wie oben schon erwähnt (6). Möglicherwei-se gab es wie anderwärts 1889 Verbindungenvom Verschönerungsverein zur Gründung desRottweiler Albvereins (vgl. W. Hecht, 125 JahreSchwäbischer Albverein in Rottweil 1889-2014.Rottweil 2014 S. 5).

Der Vorstand und die Mitglieder

Die Namen der 1872 gewählten Ausschussmit-glieder waren: Obertribunalrat Boscher,Rechtsanwalt Etter als Schriftführer, Waldmei-ster Hezinger, Professor Hölder als Vorsitzen-der, Stadtwirt Kuhnle, Stadtschultheiß Marx alsKassier, Kaufmann Riedlinger, DreikönigwirtRitter, Kreisgerichtsdirektor v. Stendel, GärtnerVetter und Kaufmann Widmann.Neben den oben erwähnten 125 Mitgliederndes Jahres 1883 sind Mitgliederverzeichnissefür die Jahre 1900, 1905, 1906 und 1911 aufge-funden worden (7). Interessant ist ein unter denDokumenten aufgefundener Ausriss einer An-nonce vom 3. November 1902, in der zur Grün-dung des Rottweiler Vereins zur Hebung desFremdenverkehrs aufgerufen wurde (8).Wortlaut des Texts: „Rottweil. Hebung desFremdenverkehrs. Von den bürgerlichen Kolle-gien beauftragt, einen Verein zur Hebung desFremdenverkehrs ins Leben zu rufen, laden wirzur Besprechung der in Betracht kommendenFragen alle Einwohner der hiesigen Gemeinde,welche sich für die Sache interessieren, zueiner allgemeinen Versammlung auf Sonntag,den 9. November 1902 (Jahreszahl als hand-schriftlicher Zusatz) nachmittags 3 1/2 Uhr imSonnensaal freundlich ein. Den 3. November1902. Für das bestellte Comité: StadtschultheißGlükher, Bürgerausschußobmann Bertsch.“Interessant ist diese Annonce insofern, alsdann der Verschönerungsverein im Jahre 1925mit diesem Verein fusionierte: Am 14. Mai 1925ergibt sich aus einem Schreiben des Verschö-nerungsvereins an den Verkehrsverein die Ab-sicht des Zusammenschlusses, über den dieAusschüsse der beiden beteiligten Vereine imSonnensaal am Sonntag, den 23. April 1925dann beraten sollten (9). Die Fusion beider Ver-eine ist dann tatsächlich am 14. Mai 1925 aufeiner Mitgliederversammlung im Oberen Son-nensaal erfolgt, wie sowohl die SchwarzwälderBürgerzeitung als auch der SchwarzwälderVolksfreund kurz hintereinander meldeten. DerVerlauf sei befriedigend gewesen, die Mitglie-der in großer Zahl erschienen (10).

Gründung und Namensgebung des Fremdenverkehrsvereins (1902)

Die Akten des Vereins zur Hebung des Frem-denverkehrs, die vom Autor des Artikels eben-falls archiviert worden sind, geben das Grün-dungsdatum des Vereins nicht her; es ist aberaus den Unterlagen des Verschönerungsver-eins und der entsprechenden Zeitungsnotiz,wie oben erwähnt, ersichtlich: 3. November1902. In den gesamten Unterlagen wird der vol-le Titel des „Vereins zur Hebung des Fremden-verkehrs“ zunehmend in der abgekürzten Form„Verkehrsverein“ verwendet. Es gibt keinen ver-nünftigen Zweifel daran, dass hier ein und der-selbe Verein gemeint ist. 1925 fusionierte dannder „Verschönerungsverein“ mit dem „Verkehrs-verein“, der danach bis 1979 nachgewiesenwerden kann.

Aktivitäten des Verkehrsvereins

Die gesamten Unterlagen umfassen fast aus-

schließlich Rechnungen, Angebote von Annon-cen, Schreiben mit hauptsächlichem Bezug zurVergabe von Annoncen oder der Herstellungvon Druck-Klisches, einige Übersichten überRottweiler Fremdenzimmer, Tageslohnlisten fürgetätigte Arbeiten, Mitgliederlisten (11), Bahn-beförderungsbegleitscheine, dann Kriegsanlei-hen (12), seltener Dankeskarten von zufriede-nen Reisenden oder Anfragen nach Informa-tionsmaterial. Erstaunlich ist jedoch die Weite des Umkreises,in dem der Verkehrsverein die Vorzüge desLuftkurortes Rottweil angepriesen hat: Von Ber-lin (Reichsbäder-Adressbuch Berlin sowie Ull-steins Autoreisedienst) bis Wien (IllustriertesBadeblatt), von Emden (Verkehrsverein Emdene.V.) bis Leipzig (Karl Baedecker sowie BundDeutscher Verkehrsvereine), von Köln (KölnerTageblatt) bis Konstanz (Konstanzer Zeitung)reichen die Publikationen, in denen annonciertwurde, wobei sich durchaus Schwerpunkte her-auskristallisierten: Da ist zunächst der „Ver-kehrsverband Württemberg-Hohenzollern,Stuttgart“, dann das „Reichsbäder-AdressbuchBerlin“ und auch noch der „SchwarzwälderVolksfreund“ und die „Schwarzwälder Bürger-zeitung“. Des Weiteren fällt der alljährliche Blu-menschmuckwettbewerb auf, der vom Vereinorganisiert wurde.Bemerkenswert ist eine Verkehrszählung, dieder Verkehrsverein wohl 1925/26 an der Haupt-straßenkreuzung durchgeführt hat und die aufeinen für heutige Verhältnisse sehr ruhigen Ver-kehr blicken lässt: Die Aufzählung nennt 124Personenkraftwagen, 84 Lastkraftwagen und60 Motorräder in zwölf Stunden (13). Bei denAkten vermisst man sehr Protokolle oder Brief-wechsel, aus denen Vereinsstrategien, Vorha-ben und deren Ergebnisse hätten abgelesenwerden können.

Weitere Existenz des Vereins bis zur „Machtergreifung“

Sichtbar wird, dass der jeweilige Stadtschult-heiß von Rottweil über Jahrzehnte hinweg auchVorsitzender des Verkehrsvereins gewesen ist,wie dies beim Verschönerungsverein wohl auchschon der Fall gewesen war. Die Unterlagendes Verkehrsvereins enden schließlich mit demJahr 1929.Von da an ist man auf Fundstellen in den beidenortsansässigen Zeitungen und den Adressbü-chern der Stadt Rottweil angewiesen. Im No-vember 1933 wurde eine Mitgliederversamm-lung im Schwarzwälder Volksfreund angekün-digt, die dann am Donnerstag, 14. September1933, den Hinweis auf die „Gleichschaltung derFührung“ brachte, danach die Wiederwahl desbisherigen Vorstands mit Stadtschultheiß Abrellan der Spitze, dann Kaufmann Gaiselmann alsStellvertreter und zwei Vertreter der Presse zu-sätzlich (14).

Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg geben immerhinnoch die Rottweiler Adressbücher Auskunftüber die Existenz des Vereins, die Akten leidernicht mehr: 1953 ist Bürgermeister Arnulf Gut-knecht als Vorsitzender mit GeschäftsführerWilhelm Steinert genannt (15); 1962 wird Dr. E.Förster, Oberregierungsrat, als Vorsitzender er-wähnt (16); 1970 ist H.-J. Kaulich als Vorsitzen-der verzeichnet (17); 1976 erscheint WalterRieble als Vorsitzender (18); 1979 taucht WalterRieble als Vorsitzender nochmals auf (19); dasnächste Adressbuch von 1984/85 enthält kei-nen diesbezüglichen Eintrag mehr.

Fazit

Wenn in unseren Tagen Tourismus-Manage-ment und Tourismus-Leitbild als Neuheit zurwirtschaftlichen Stärkung von Rottweil und zurErhöhung des Bekanntheitsgrades unsererStadt in Marsch gesetzt werden, dann solltenicht vergessen werden, dass die Wurzeln die-ser Bemühungen bis ins Jahr 1869 zurückrei-chen.

Anmerkungen:1) Illustrierte Chronik der Stadt Rottweil, Rottweil 1884, S. 72,und W. Hecht, Rottweil 1802-1970. Von der Reichsstadt zurGroßen Kreisstadt. Rottweil 1997 S. 112 ff.2) Revidierte Satzungen des Vereins für die Verschönerungder Stadt Rottweil und ihrer Umgebung. Archiv Rottweil, Fas-zikel 1 Nr. 13) Illustrierte Chronik der Stadt Rottweil, Rottweil 1884, S. 734) SBZ Nr. 67 vom Freitag, 14. Juni 18725) Illustrierte Chronik der Stadt Rottweil, Rottweil 1884, S. 72f.6) Illustrierte Chronik der Stadt Rottweil, Rottweil 1884, S. 7 fsowie SBZ Nr. 67 vom Freitag, 14. Juni 18727) Konvolut Verschönerungsverein, Faszikel 48) Faszikel 4, Nr. 29) Faszikel 25, Nr. 118 und 119; SBZ Nr. 98 vom 29. April192510) SBZ Nr. 107 vom 9. Mai 1925; SVF Nr. 112, 15. Mai 192511) z. B. Faszikel 28, Nr. 8112) Faszikel 2713) Faszikel 25, Nr. 10414) SVF Nr. 208, Montag, 11. September 1933; ebensoNat.soz. Volkszeitung Nr. 208 vom Montag, 11. September1933: „Die Gleichschaltung ging sehr rasch vor sich, …wie-dergewählt wurden …“ Dieser Vorstand war wohl seit 1925 imAmt. Ob der Wortlaut bezüglich der sehr raschen Gleich-schaltung eher auf einen formal-deklaratorischen Vorgangoder aber auf einen reibungslosen Ablauf hinweist, ist nichtersichtlich.15) Rottweiler Adressbuch 1953, S. 6216) Rottweiler Adressbuch 1962, S. 1017) Rottweiler Adressbuch 1970, S. 1018) Rottweiler Adressbuch 1976, S. 619) Rottweiler Adressbuch 1979, S. 20

So warb der Rottweiler Verkehrsverein 1925 für„Rottweil am Neckar“. Die Anzeige findet sichauf Seite 1 des Rottweiler Adressbuches 1925,das die Druckereien H. Eller und M. Rothschildherausgaben. Vorlage: Stadtarchiv Rottweil


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