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Romitelli Analysis

Date post: 02-Jan-2016
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Romitelli Analysis
60
Fausto Romitelli: An Index of Metals Eine kompositorische Analyse Martin Hiendl (2012)
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Page 1: Romitelli Analysis

Fausto Romitelli: An Index of Metals

Eine kompositorische Analyse

Martin Hiendl (2012)

Page 2: Romitelli Analysis

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Allgemeine Analyse 2

3. Detaillierte Analyse 14

4. Kontext und Zusammenfassung 51

5. Anhang 54

6. Literaturverzeichnis 58

Page 3: Romitelli Analysis

1. Einleitung

Meine Erfahrung mit der Musik Fausto Romitellis geht auf einen Meisterkurs für Komposi-

tion im Jahr 2009 zurück, bei der mir einer der Teilnehmer zwei CDs des ictus Ensembles mit

der Bemerkung gegeben hat, erst diese Aufnahmen hätten ihn davon überzeugt, dass

Fausto Romitelli ein genialer Komponist sei. Bis dahin hatte ich noch nichts von dem zu

diesem Zeitpunkt schon verstorbenen Komponisten gehört, und in der Tat hat mich seine

Musik seitdem nicht mehr losgelassen. Die außergewöhnlichen Bemühungen und die Hin-

gabe der Mitglieder des ictus Ensembles für die Verbreitung von Romitellis Werk kann in

diesem Zusammenhang nicht genug gewürdigt werden. Sie waren es auch, die in Zusam-

menarbeit mit der Fondation Royaumont sein letztes Werk, An Index of Metals1, in Auftrag

gegeben und uraufgeführt haben. Nach den Worten von Jean-Luc Plouvier, des künstleri-

schen Leiters des ictus Ensembles, hat Romitelli diese Oper in den letzten 50 Tagen seines

aktiven Komponistenlebens geschrieben und danach noch einige Au!ührungen miterlebt,

bevor er am 27. Juni 2004 im Alter von nur 41 Jahren seiner langwierigen Krankheit erlag.2

Am 2. Juni 2011 führte ich nach viermonatiger Vorbereitungs- und Probenphase An Index

of Metals mit Studenten der University of California San Diego auf. Auch hierfür unterstütz-

te mich das ictus Ensemble rat- und tatkräftig, indem sie mir Hintergrundinformationen

und Materialien zukommen ließen und ihre Erfahrung in der Au!ührung des Stückes mit

mir teilten. Mit dieser Arbeit möchte nun auch ich diese Erfahrungen zurück- und weiter-

geben und meinen Beitrag dazu leisten, mehr Aufmerksamkeit auf das schräge, wunderli-

che und fantastische Werk Romitellis zu lenken.

1

1 Urau!ührung: 3. Oktober 2003 in L’apostrophe. Cergy, Frankreich.

2 Jean-Luc Plouvier: Vorwort zu: Alessandro Arbo: The Heart of the Matter. CD-Booklet in: Fausto Romitelli / Paolo Pachini: An Index of Metals. Ictus Ensemble. Cypres CYP5622. Brüssel 2006, S. 24.

Page 4: Romitelli Analysis

2. Allgemeine Analyse

2.1. Setup

2.1.1. Ensemble

An Index of Metals ist eine ca. 50-minütige Video-Oper für Sopran, verstärktes Ensemble,

Elektronik und 3-Kanal Video. Das 11-köp"ge Ensemble besteht aus folgenden Instrumen-

ten:

C-Flöte (auch Bass!öte, Stimmpfeife)

Oboe (auch Englisch Horn, Stimmpfeife)

Klarinette (auch Bassklarinette, Mundharmonika)

C-Trompete (auch Mundharmonika)

Posaune (auch Mundharmonika)

E-Gitarre

Bassgitarre

Klavier (auch Keyboard, Sampler)

Violine

Viola

Violoncello

Au!allend hierbei ist die klare Gliederung in Instrumentengruppen, die sich an der traditi-

onellen Unterteilung Holz, Blech, Rhythmusgruppe und Streicher orientiert. Romitelli

komponiert die musikalischen Phrasen meist in Blöcken die in Rhythmik und Harmonik ei-

ner Struktur unterworfen sind. Er kreiert damit sozusagen Metainstrumente, die zwar in

ihrer Zusammensetzung wechseln, aber immer einem gemeinsamen Gestus folgen. Eines

der besten Beispiele hierfür liefern die Streicher im zweiten Satz des Stückes (Takt 281–

509), die fast durchgehend in einem rhythmischen Unisono spielen. Ebenso präsentieren

sich die Bläser im zweiten Teil desselben Abschnittes (Takt 451–506) als ein Metainstru-

ment. (Auf die spezi"sche Zusammensetzung der Instrumentengruppen wird bei der Ana-

lyse der einzelnen Sätze im weiteren Verlauf dieser Arbeit genauer eingegangen.) In der

Tat gibt es so gut wie keine Momente, in denen ein Instrument als Solist aus dem Ensemble

2

Page 5: Romitelli Analysis

hervortritt. Einzelne Ausnahmen hierfür bilden das Violoncello (Takt 529!, Takt 546!) oder

die Oboe (Takt 527!). Trotz der relativ kleinen Besetzung erscheint die Partitur dadurch als

äußerst orchestral komponiert: Jede Struktur und jede Geste ist immer verdoppelt, okta-

viert oder anderweitig angereichert. Es "ndet eine ständige Klangmischung statt, bei der

die kleinste musikalische Einheit immer schon ein komplexer Klang ist und nie nur ein Ton.

Im Hinblick auf Romitellis Studium in Frankreich und seiner Beschäftigung mit dem Spek-

tralismus erscheint diese Praxis naheliegend.

Eine weitere Besonderheit seiner Instrumentierung ist die Mischung von Instrumenten aus

der Rockmusik mit denen der klassischen Musik. Erst diese spezielle Kombination erzeugt

die Heterogenität und die typische Spannung innerhalb Romitellis Klangsprache, die mit

rein akustischen oder rein elektronischen Mitteln nicht erreicht werden könnte. Jedoch ist

es nicht nur die Art der Klangquelle, die diese Spannung kreiert, sondern vor allem auch

die musikalische Sprache der beiden Welten. In nur wenigen Fällen verlassen die Gitarren

das Rock-Idiom und benutzen experimentelle Spieltechniken (Takte 56–271, 522–536,

542–549 und 620–631). Stattdessen verwenden die Gitarren an Schlüsselstellen des Werkes

oft quasi archetypische Gesten aus der Rockmusik (Takte 277–280, 678–679, 778–797 und

904–916) ebenso wie Elemente aus der Noisemusik (Takt 437–440, Quarto Intermezzo Takt

682–687, Cadenza Takt 921). Da auch für die akustischen Instrumente kaum experimentelle

Spieltechniken verwendet werden, entsteht die für Romitellis Klangsprache so typische

Spannung durch die Konfrontation von Archetypen der Rockmusik mit Archetypen der

Neuen Musik.

An nur zwei Stellen im ganzen Stück kommen die Stimmpfeifen und die Mundharmonikas

zum Einsatz: Takt 510–549 und Takt 773–777. Für ihre Verwendung lassen sich ähnliche

Prinzipien feststellen: keine experimentellen Spieltechniken, dafür archetypische Klang-

sprache. In dieser Funktion sind sie ein weiterer Baustein in der äußerst heterogenen

Klangwelt von An Index of Metals.

Darüber hinaus erlauben jedoch vor allem die Harmonik und die einheitliche Phrasierung

der Gesten in weiten Teilen des Stückes eine klangliche Verbindung von Rock- und klassi-

schen Instrumenten, die durch die Verstärkung aller Instrumente und den dadurch erzeug-

ten homogeneren Klangraum weiter unterstützt wird.

3

Page 6: Romitelli Analysis

2.1.2. Stimme

An Index of Metals ist für eine Sopran-Stimme mit einem Ambitus von h bis h2 geschrieben.

Außer den Atemgeräuschen in ein Megaphon (Takt 776,777) sind keine experimentellen

Stimmtechniken gefordert. In der DVD-Produktion des ictus Ensemble mit der Sängerin

Donatienne Michel-Dansac und der elektronischen Nachbearbeitung von Jean-Luc Plou-

vier und Alexandre Fostier3 sind jedoch E!ekte wie Verzerrung, Flanger und Panning-E!ek-

te bei der Stimme im letzten Satz des Stückes (Takt 695, 702, 710, 718, etc.) hörbar, die

aber nicht in der Partitur vorgeschrieben sind.

Die Stimme ist maximal in das Ensemble integriert, denn im Gegensatz zu klassischen O-

pern gibt es kein Bühnengeschehen. Die Sängerin ist in der Mitte des Ensembles platziert

und mit Hilfe der Verstärkung wird sie auch in denselben Klangraum gebracht. Trotzdem

steht sie nicht im Zentrum der musikalischen Entwicklung, was deutlich wird, wenn man

die Einsätze und die Länge der Gesangspartie untersucht:

Satz Sängerin präsent in Phrasen davon gesungen1. (229 Takte insgesamt) 120 Takte 78 Takte2. (229 Takte insgesamt) 138 Takte 72 Takte3. (130 Takte insgesamt) 50 Takte 21 Takte5. (229 Takte insgesamt) 103 Takte 62 Takte

Tabelle 1

Die errechnete Gesamtdauer der Gesangspartie ist 8’ 27”, was bei einer Gesamtdauer von

49’ 7” nur 17,2% der errechneten Spielzeit entspricht. Außerdem ist bemerkenswert, dass

die Stimme in den Sätzen 1., 2. und 3. jeweils nur etwa die erste Hälfte klanglich präsent ist

(Takt 56–175, 283–409 und 522–571). Sie verlässt das musikalische Geschehen und der an-

gefangene Prozess geht ohne die Stimme zu Ende. Unter dem Gesichtspunkt einer „Video-

Oper” erscheint die Entscheidung, die Gesangspartie so weit zu reduzieren, jedoch als kon-

sequent, da dadurch Raum für die visuelle Erfahrung des „faktischen Charakters” der Oper

gescha!en wird: für „das Licht”4.

4

3 Fausto Romitelli / Paolo Pachini: An Index of Metals. Ictus Ensemble. Cypres CYP5622. Brüssel 2006.

4 Jean-Luc Plouvier: Fausto Romitellis Requiem. Anmerkungen zu «An Index of Metals», in: Katalog Wien Mod-ern 2004, hrsg. von Berno Odo Polzer und Thomas Schäfer. Saarbrücken: Pfau 2004, S. 240 f.

Page 7: Romitelli Analysis

2.1.3. Elektronik

Nachfolgende Skizze ist Teil des Au!ührungsmaterials von Ricordi und illustriert den räum-

lichen Aufbau der Elektronik.

Die Elektronik besteht aus 11-Kanal Audiodateien, die sich aus acht Kanälen Surround,

zwei Kanälen Stereo und einem Kanal Clicktrack für den Dirigenten zusammensetzen. Die

Surround-Lautsprecher werden in einem Kreis über dem Publikum aufgehängt, während

Stereo-Lautsprecher durch stehende und hängende Lautsprecher links und rechts vom En-

semble jeweils verdoppelt werden. Zusätzlich dazu sind Subwoofer vonnöten, da einige

der elektronischen Klänge den tiefen Frequenzbereich normaler Lautsprecher überlasten

würden. Jedes Instrument und die Sängerin werden aufgenommen und durch die Stereo-

Lautsprecher auf der Bühne verstärkt.

Das Original der Zuspielung5 ist unterteilt in 39 Audiodateien, die an unterschiedlichen

5

5 Unglücklicherweise sind in der o#ziellen Partitur von Ricordi keine Einsätze für die Elektronik verzeichnet. Erst das Studium der Partitur mit Hilfe der Aufnahme ermöglichte die genaue Zuordnung der Audiodateien zu bestimmten Abschnitten im Stück. Für die Au!ührung, die ich organisiert habe, musste ich der besseren Spielbarkeit und Zuverlässigkeit wegen die Audiodateien neu zusammenschneiden, sowie Clicktracks teil-weise überarbeiten, neu hinzufügen oder herausnehmen. Das vom Verlag zugeschickte Material war in seiner Form nicht au!ührungsreif.

Page 8: Romitelli Analysis

Stellen im Stück abgespielt werden müssen. Manche Dateien, wie z.B. für Introduzione oder

1., sind mit einem durchgehenden Clicktrack versehen, während andere (z.B. für 2.) im

Stück einen Clicktrack dazu schalten, um Tempoveränderungen mit der Zuspielung zu syn-

chronisieren. Für die Au!ührung ist mindestens ein Klangregisseur vonnöten, der die Parti-

tur verfolgt und die Einsätze zum gegebenen Zeitpunkt auslöst.

Die Klangquellen für die Elektronik sind verschiedenster Natur, soweit eine Höranalyse

oder die spärlichen Informationen eine Aussage darüber ermöglichen. Die elektronischen

Klänge zur Introduzione sind ein Zitat der Orgel vom Anfang von Pink Floyds Shine On You

Crazy Diamond. In diesem Zusammenhang erklingt es jedoch fragmentiert, wie wenn es

von einem Plattenspieler, der immer wieder von Hand unterbrochen wird, abgespielt wür-

de. Im ersten Satz hört man ein elektronisch verfremdetes Glissando, das durch das Anei-

nanderreiben von Aluminiumröhren erzeugt wurde.6 Die vier elektronischen Intermezzi

stammen von dem "nnischen Elektromusik-Duo Pan Sonic, mit denen Fausto Romitelli be-

freundet war und die ihm die Rechte gaben, aus mehreren ihrer Stücke die Intermezzi

zusammenzumischen.7 Die elektronischen Klänge im zweiten, vierten und fünften Satz

scheinen synthetisierte Klänge zu sein, deren Herkunft oder Machart durch eine reine Hör-

analyse schwer nachzuvollziehen ist. Die Cadenza wiederum stellt eine Noise-Improvisati-

on mit verzerrter Gitarre und Bassgitarre dar. Aus einem Email-Austausch mit Jean-Luc

Plouvier ging hervor, dass die gesamte Elektronik von Paolo Pachini stammt, der diese in

Absprache mit Romitelli ausgewählt, komponiert und gemischt hat.

Allein schon diese etwas ober$ächliche Analyse macht deutlich, wie sehr durch die Zu-

sammenstellung unterschiedlichster Quellen eine äußerst heterogene Klangwelt erzeugt

wird. Neben der Tatsache, dass der Zuhörer durch die Anordnung der Lautsprecher mitten

in das musikalische Geschehen eingetaucht wird, ist es auch vor allem auch die Lautstärke

und die Präsenz dieser energetischen Klänge, die Romitellis Wunsch, vom „Körper [der Zu-

hörer, Anm.] Besitz zu ergreifen”8, seiner Verwirklichung näher bringen.

6

6 Alessandro Arbo: The Heart of the Matter. CD-Booklet in: Romitelli, Fausto / Pachini, Paolo: An Index of Metals. Ictus Ensemble. Cypres CYP5622. Brüssel 2006, S. 12.

7 Dies ging aus einem Email-Austausch mit Jean-Luc Plouvier hervor.

8 Fausto Romitelli: Im Hochhofen einer rituellen Soundmesse. Zu „Index of Metals”, in: Katalog Wien Modern 2004, hrsg. von Berno Odo Polzer und Thomas Schäfer. Saarbrücken: Pfau 2004, S. 239.

Page 9: Romitelli Analysis

2.1.4. Video

Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt in der musikalischen Analyse von An Index of Metals.

Deshalb wird nachfolgend nur kurz umrissen, wie das Video aufgebaut ist und in welcher

Beziehung es zur Musik steht.

Der Videokünstler Paolo Pachini hat in Zusammenarbeit mit Leonardo Romoli ein 3-kanäli-

ges Video gescha!en, das auf drei verschiedenen Leinwänden gleichzeitig projiziert wer-

den muss. Es besteht genauso wie die Elektronik aus Videodateien, die an bestimmten

Momenten im Stück abgespielt werden und Teil derselben Cueliste sein sollten. Da An In-

dex of Metals als Video-Oper oder auch als „Light-Show”9 gedacht ist, müssen sich die drei

Leinwände als einziges Bühnengeschehen behaupten. Verwendetes Material für das Video

sind Aufnahmen von irisierenden Lichte!ekten metallischer Ober$ächen ohne jegliches

synthetisierte Material10, die in einer Montage zusammengestellt wurden.

Das Konzept einer körperlichen Überwältigung in der Wahrnehmung seiner Kunst, wie

oben bereits angedeutet, hat für Romitelli im Zusammenhang mit der Entwicklung des Vi-

deos eine starke synästhetische Komponente gewonnen, wie nachfolgendes Zitat belegt:

„Es wird […] ein neues Konzept präsentiert, bei dem Sound und Licht Teil eines einzigen, durchgehenden Prozesses werden, geradeso wie bei der Verbindung von Musik und Video auch Klangfarben und Bilder nur Elemente ein und dessel-ben Kontinuums sind und auf dieselbe Weise per Computer transformiert wer-den. Erzählt wird die Geschichte von der Verschmelzung der Wahrnehmung, von der Abwesenheit von Grenzsteinen und Orientierungspunkten, vom Hinfort entgrenzter Körper im Hochofen einer rituellen Soundmesse.” 11

Ziel des Videos in seinen Augen ist zusammen mit Musik ein totales, allumfassendes

Kunsterlebnis zu scha!en, das sich nicht gegenseitig ergänzt, sondern als eine Erlebnisma-

terie erfahren wird, in die der Zuschauer gewaltsam eingetaucht wird. Diese Überwälti-

gungsstrategie hat mitunter historische Konnotationen und man kann durchaus Parallelen

zu Komponisten der späteren Romantik ziehen. Allen voran Richard Wagner und Alexander

7

9 Jean-Luc Plouvier: Fausto Romitellis Requiem. Anmerkungen zu «An Index of Metals», in: Katalog Wien Mod-ern 2004, hrsg. von Berno Odo Polzer und Thomas Schäfer. Saarbrücken: Pfau 2004, S. 240 f.

10 Alessandro Arbo: The Heart of the Matter, Fußnote 3.

11 Fausto Romitelli: Im Hochhofen einer rituellen Soundmesse.

Page 10: Romitelli Analysis

Skrjabin hatten vergleichbare Vorstellungen einer totalen Kunsterfahrung („Gesamtkunst-

werk”) mit synästhetischen Elementen.

2.2. Allgemeiner Aufbau

An Index of Metals ist gegliedert in fünf große instrumentale Sätze, vier Intermezzi, einer In-

troduzione und einer Cadenza in folgender Reihenfolge:

Abschnitt Takte Taktanzahl errechnete Dauer

Introduzione 1–49 49 212”

Primo Intermezzo 50 1 100”

1. 51–279 229 472”

Secondo Intermezzo 280 1 120”

2. 281–509 229 602,7”

Terzo Intermezzo 510 1 80”

3. 511–640 130 372,4”

4. 641–681 41 222,1”

Quarto Intermezzo 682–687 6 50”

5. 688–916 229 520,7”

Cadenza 917–920/921 4+1 17,5” + 178” (Noise Cadenza)

Gesamtspielzeit:Gesamtspielzeit:Gesamtspielzeit: 2947,4”

entspricht:entspricht:entspricht: 49’ 7,4”

!=229

Tabelle 2

Unter dem Blickwinkel dieser Tabelle tauchen in An Index of Metals interessante Zahlen-

strukturen auf. Die instrumentalen Sätze 1., 2. und 5. haben jeweils 229 Takte. Zählt man die

Takte von Introduzione, den vier Intermezzi und den instrumentalen Sätzen 3. und 4. zu-

sammen, kommt man ebenfalls auf: 49 + 1 + 1 + 1 + 130 + 41 + 6 = 229. Das heißt, dass

Romitelli das Stück als vier gleich große Teile konzipiert hat, von denen einer weiter unter-

teilt und zwischen die übrigen Sätzen eingeschoben wurde.

Zählt man nun die vier Sätze à 229 Takte zusammen, ergeben sich 916 Takte, was die letzte

notierte Taktzahl auf der letzten Seite der Partitur ist. Dort hat Romitelli jedoch fünf Takte

8

Page 11: Romitelli Analysis

hinzugefügt, wenn man den Einsatz der Cadenza als eigenen Takt wertet. (Dies ist durch

die Tatsache gerechtfertigt, dass Romitelli den Intermezzi, selbst wenn sie rein elektronisch

waren, eine eigene Taktzahl gegeben hat.) Addiert man nun diese fünf Takte zu 916 erge-

ben sich: 921, eins weniger als 922, der Spiegelzahl von 229. Dies entspräche einer sozusa-

gen fast runden formalen Struktur, die um einen Takt gerade nicht aufgeht, bzw. nicht auf-

gehen soll. Des weiteren hat An Index of Metals, wenn man die Elektronik als ein Instrument

zählt, 13 Musiker, was der Quersumme von 229 bzw. 922 entspricht.

Untersucht man die fünf instrumentalen Sätze unter dem Aspekt der Taktdauer (als Sekun-

den pro Takt) wird folgende Entwicklung deutlich:

Satz 1. 2. 3. 4. 5.

Sek. pro Takt 2 2,6 2,9 5,4 2,3

Tabelle 3

In den ersten vier Sätzen wird die Zeitwahrnehmung zunehmend gestreckt, indem mit

immer weniger Takten mehr Zeit bestritten wird und sich die musikalische Struktur weiter

ausdehnt. Diese Entwicklung wird mit dem fünften Satz abgebrochen, was im Zusammen-

hang mit dem im folgenden Abschnitt dieser Arbeit besprochenen Libretto noch weiter

diskutiert werden muss.

Der fünfte instrumentale Satz ist auch aus einem anderen Grund als deutlich anders gestal-

teter Satz aufzufassen als die Teile 1.–4., da er im Gegensatz zu jenen, klare Zäsuren auf-

weist, die ihn in mehrere, deutlich voneinander getrennte Abschnitte unterteilen. Diese

Zäsuren beziehen sich auf Instrumentationswechsel, Tempowechsel oder radikale Stim-

mungswechsel. Im Gegensatz dazu dominiert in den Sätzen 1.–4. meist ein Prozess oder

eine Geste, die sich zwar auf eine Kulmination hin entwickeln, aber nicht abgebrochen

oder abgeschnitten werden.

9

Page 12: Romitelli Analysis

2.3. Text

Der Text für An Index of Metals wurde von Kenka Lèkovich, einer kroatischen Schriftstellerin

und Journalistin geschrieben. Unter dem Titel metalsushi. 3 songs for an index of metals

(2003) hat sie drei Gedichte geschrieben, die jeweils mit HELLUCINATION 1_DROWNINGIRL,

HELLUCINATION 2_RISINGIRL und HELLUCINATION 3_EARPIERCINGBELLS überschrieben sind.

Nachfolgend wird Lèkovichs Originaltext mit dem Text, wie er in der Oper verwendet wird,

verglichen. Rot markierte Passagen weisen auf Auslassungen oder Veränderungen hin, die

Romitelli vorgenommen hat.

OriginalOriginal VerwendungVerwendung

HELLUCINATION 1_DROWNINGIRLHELLUCINATION 1_DROWNINGIRL

1.shining growingmelting drowninginto an ironbluegrey wavea pillowing wavebreaking over her headsudden extreme honeymooners literally drown-ing in emotions

1.shining growingmelting drowninginto an ironbluegrey wavea pillowing wavebreaking over her headsudden extreme honeymooners literally drown-ing in emotions

1.shining melting drowningshining growingmelting drowningironbluegrey wavebluegreypillowing wavebreaking over her headsudden extreme honeymooners literallydrowning drowning in emotions

into an ironbluegrey wavebluegreyblue

1.shining melting drowningshining growingmelting drowningironbluegrey wavebluegreypillowing wavebreaking over her headsudden extreme honeymooners literallydrowning drowning in emotions

into an ironbluegrey wavebluegreyblue

2.she suddenly fellin a metal-miso hella loop of seaweed soup pieces of milky broken glass leaves of red copper rust industrial noisy dust

2.she suddenly fellin a metal-miso hella loop of seaweed soup pieces of milky broken glass leaves of red copper rust industrial noisy dust

2.she suddenly fellfellshe fell

2.she suddenly fellfellshe fell

2.she suddenly fellin a metal-miso hella loop of seaweed soup pieces of milky broken glass leaves of red copper rust industrial noisy dust

2.she suddenly fellin a metal-miso hella loop of seaweed soup pieces of milky broken glass leaves of red copper rust industrial noisy dust in a metal-miso hell

hellmetal hell

in a metal-miso hellhellmetal hell

loop of seaweed soupsouploop of soup

loop of seaweed soupsouploop of soup

pieces of milky broken glassglasspieces of glass

pieces of milky broken glassglasspieces of glass

10

Page 13: Romitelli Analysis

OriginalOriginal VerwendungVerwendung

leaves of red copper rustrustleaves of rust

leaves of red copper rustrustleaves of rust

industrial noisy dustdustnoisy no- no- noisy dust

industrial noisy dustdustnoisy no- no- noisy dust

3.she don’t careshe won’t call Brad for helpshe would rather give up too soon she will drown and sink in a spoon

3.she don’t careshe won’t call Brad for helpshe would rather give up too soon she will drown and sink in a spoon

3.she don’t careshe won’t call Bradshe don’t careshe won’t call Brad for help

3.she don’t careshe won’t call Bradshe don’t careshe won’t call Brad for help

she would give up to soonshe will drown and sink into a spoonshe will drownshe will drown<a>

she would give up to soonshe will drown and sink into a spoonshe will drownshe will drown<a>

SHE’D RATHER SINK IN HER NAIL ENAMELSHE’D RATHER SINK IN HER LONGLASTING NAIL ENAMEL INOXIDIZABLE STAINLESS EXPRESS

SHE’D RATHER SINK IN HER NAIL ENAMELSHE’D RATHER SINK IN HER LONGLASTING NAIL ENAMEL INOXIDIZABLE STAINLESS EXPRESS

I will drownI will sink in my nail enamelan iron wavea bluegrey wavean iron wavemy nail enamellong lasting enamelinox stainless express

I will drownI will sink in my nail enamelan iron wavea bluegrey wavean iron wavemy nail enamellong lasting enamelinox stainless express

HELLUCINATION 2_RISINGIRLHELLUCINATION 2_RISINGIRL

1.Murder by guitar,nickel you arebut when I pierce and "x your smileto dive in and diveyou rise on and rise infected by noise

1.Murder by guitar,nickel you arebut when I pierce and "x your smileto dive in and diveyou rise on and rise infected by noise

1.Murder by guitar,nickel you arebut when I pierce and "x your smileto dive in and diveyou rise on and rise infected by noise

1.Murder by guitar,nickel you arebut when I pierce and "x your smileto dive in and diveyou rise on and rise infected by noise

2.A brown lust for life, rust you arebut when I collapse into your eyesto dive in and diveyou rise on and rise corroded by noise

2.A brown lust for life, rust you arebut when I collapse into your eyesto dive in and diveyou rise on and rise corroded by noise

2.Brown lust for life, rust you arewhen I collapse into your eyesto dive in and dive

to dive in and diveyou rise on and risecorroded by noise

2.Brown lust for life, rust you arewhen I collapse into your eyesto dive in and dive

to dive in and diveyou rise on and risecorroded by noise

11

Page 14: Romitelli Analysis

OriginalOriginal VerwendungVerwendung

3.Black Iron Prison, chrome you arebut when I crash into your bonesto dive in and dive you rise on and rise corrupted by noise

3.Black Iron Prison, chrome you arebut when I crash into your bonesto dive in and dive you rise on and rise corrupted by noise

3.Black Iron Prison, chrome you arewhen I crash into your bonesto dive in and rise on and rise corrupted by noise

3.Black Iron Prison, chrome you arewhen I crash into your bonesto dive in and rise on and rise corrupted by noise

4.The basement is done lithium you arebut when I hit and shot your soulto dive in and diveyou rise on and rise cruci"ed by noise

4.The basement is done lithium you arebut when I hit and shot your soulto dive in and diveyou rise on and rise cruci"ed by noise

4.The basement is done lithium you arewhen I hit and shot your soulto dive and rise on and rise cruci"ed by noise

4.The basement is done lithium you arewhen I hit and shot your soulto dive and rise on and rise cruci"ed by noise

HELLUCINATION 3_EARPIERCINGBELLSHELLUCINATION 3_EARPIERCINGBELLS

BEDRIDDEN (TO) DUMBFOUND NOISEDIN EARPIERCING BELLS HELLPHONES METAL SHELLS

BEDRIDDEN (TO) DUMBFOUND NOISEDIN EARPIERCING BELLS HELLPHONES METAL SHELLS

Bedriddendumbfoundnoisedinnoisedinear-piercing bellshellphonesandmetal shells

Bedriddendumbfoundnoisedinnoisedinear-piercing bellshellphonesandmetal shells

Steel thrust sucking spaceSteel thrust sucking space Steel thrust sucking spaceSteel thrust sucking spaceSteel thrust sucking spaceSteel thrust sucking space

corrupting infectingtrans"xingcollapsingempoisonimprisonenchainincineratelacerateperforateintoxicatedemolishingsquashingcrashing

corrodepierceholeboredrownnailrentbreakcutshootstrikehitcrucify the heartbeat

corrupting infectingtrans"xingcollapsingempoisonimprisonenchainincineratelacerateperforateintoxicatedemolishingsquashingcrashing

corrodepierceholeborenailrentbreakrentbreakcutrentbreakcutshootstrikehitcrucify the heartbeatcrucify the heartbeatcrucify the heartbeat

12

Page 15: Romitelli Analysis

In Romitellis Umgang mit dem Text ist bemerkenswert, wie ungleich sich die Verteilung der

drei „Songs” über das ganze Werk gestaltet. Die drei Strophen des ersten Songs werden

analog zu den Sätzen 1.–3. verwendet. Der zweite und dritte Song, die vom Umfang fast

genauso viel Text wie der erste Song bieten, werden beide im Satz 5. präsentiert. Während

der erste Song auf 37’ 11,2” ausgedehnt wird, indem der Text fragmentiert, wiederholt und

in der Reihenfolge verändert wird, werden der zweite und dritte Song mit der insgesamt

fast doppelten Textmenge in weniger 10” vorgestellt.

Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass Romitelli die Sätze 1.–4. ganz dem The-

ma des kontinuierlichen Ertrinkens widmen wollte. Hier ist der Verweis auf die Tabelle 3

angebracht, die zu verdeutlichen versucht, wie sich die Zeitwahrnehmung in den ersten

vier Sätzen kontinuierlich ausdehnt, indem die Ereignisdichte schrittweise reduziert wird.

Man könnte in einer Interpretation sogar soweit gehen zu sagen, dass es sich hierbei um

eine Art „Ho!nungsform” handelt, bei der das „Risingirl”, als eine Metapher für eine wie

auch immer geartete Auferstehung, erst im fünften Satz, der formal wie inhaltlich deutlich

von den anderen Sätzen getrennt ist, in Erscheinung tritt. Außerdem lässt Romitelli im

Schluss des dritten Songs (5. musikalischer Satz) das sonst so prominente Motiv des Ertrin-

kens („drown”) weg, obwohl dafür keine rhythmisch oder musikalische Notwendigkeit in

der Gesangslinie besteht.

Eine weitere Besonderheit ist die Veränderung des Textes von Lèkovich, die Romitelli am

Ende der dritten Strophe von Song 1 vornimmt. Er wechselt von der dritten Person („she”)

in die erste Person („I”) und verändert die Reihenfolge. Außerdem bringt er das Motiv der

Wellen und des Ertrinkens, das in der ersten Strophe anklingt, wieder zurück. Musikalisch

"ndet dieser Moment am Ende des 3. Satzes statt, der, wenn man 1.–4. als einen großen

Prozess des Ertrinkens interpretiert, das letzte Auftreten der Stimme in dieser Entwicklung

markiert. Die Reprise des Motivs des Ertrinkens könnte Romitellis Bedürfnis nach einer Bo-

genform in diesem großen formalen Prozess entspringen.

Des weiteren sind auch noch Auslassungen (v.a. in Song 3) festzustellen, die sich entweder

auf kleinere Füllwörter beziehen (a, but) oder auf Wiederholungen vorhergehender Phra-

sen (you, dive). Hier scheinen pragmatische musikalische Erwägungen den Anstoß gege-

ben zu haben, um die Gesangslinie rhythmisch oder harmonisch in das Gefüge einzuglie-

dern.

13

Page 16: Romitelli Analysis

3. Detaillierte Analyse

3.1. „Introduzione”

Dem ersten instrumentalen Satz (1.) sind die Introduzione und das rein elektronische Primo

Intermezzo vorangestellt. Die Introduzione beginnt mit einem Zitat von Pink Floyd, dem

immer wieder nur kurz angespielten, mit großen Pausen unterbrochenen g-Moll Akkord

des Anfangs von Shine On You Crazy Diamond. Nach einer Minute setzt das Ensemble un-

merklich ein und fängt an, die kurzen Zitate schrittweise zu verfremden.

Folgende Besetzung wird in Introduzione verwendet:

Bass!öte

Englisch Horn

B-Klarinette

C-Trompete

Posaune

Keyboard

Violine

Viola

Violoncello

Die Tatsache, dass beide Gitarren in der Introduzione weggelassen werden, lässt sich viel-

leicht dadurch erklären, dass das Zitat von Pink Floyd ein Zitat aus der Rockgeschichte mit

starkem populärmusikalischen Ein$uss ist und die dadurch erzeugte Spannung in der

Klangsprache nicht durch eine Verdopplung durch die Gitarren live auf der Bühne an Ein-

deutigkeit verlieren soll. Außerdem scheint es so, also ob sich die Gitarren erst am Ende

von 1. (Takt 277) durch äußerst archetypische Gesten (Powerchords auf d) als Rockgitarren

manifestieren und sie sich bis dahin nur im klanglichen Hintergrund des Ensembles aufhal-

ten. Man könnte die Entwicklung von Introduzione, Primo Intermezzo und 1. als ein schritt-

weises Hervortreten der Rockmusik aus der Musikgeschichte (Zitat Pink Floyd) auf die real-

existierende Bühne (emphatische Manifestation in Takt 277) interpretieren. Auch unter die-

14

Page 17: Romitelli Analysis

sem Aspekt macht es Sinn, dass sich in der Introduzione nur das Zitat und nicht der echte

Musiker präsentiert.

Ebenso fällt in der Introduzione die Stimme weg, was diesem Abschnitt den Charakter eines

instrumentalen Vorspieles, bzw. einer Ouvertüre im klassischen Sinne verleiht. Die Entwick-

lung bis zum ersten Einsatz der Stimme in 1. (Takt 56) kann man auch als einen vorberei-

tenden Prozess beschreiben, der sich aus der Elektronik (Zuspielung), über verstärkte In-

strumente (Keyboard), akustische Instrumente (Ensemble) hin zum Einsatz der Stimme

vollzieht.

Die Klangquellen in der Introduzione lassen sich in drei Gruppen unterteilen: Elektronik,

elektronisches Instrument (Keyboard) und akustische Instrumente (Ensemble), die jeweils

drei verschiedene Funktionen erfüllen.

1. Die Elektronik, die in immer kürzer werdenden Abständen dasselbe Material wieder und

wieder präsentiert, könnte man als eine elektronische Grundierung beschreiben. Es ist be-

merkenswert, dass dieses Zitat von Pink Floyd der einzige Klang im gesamten Werk ist, der

sich in keiner seiner vielen Wiederholungen verändert, sondern immer exakt identisch

klingt. Es stellt sich als die einzige, sich nie verändernde Konstante im gesamten Stück dar,

gegen die sich das restliche Material erst abheben kann.

2. Das Keyboard agiert als ein Hybridinstrument, das zwar wie ein akustisches Instrument

zu spielen ist, aber elektronische Klänge produziert. Es stellt somit die Brücke dar, die die

Elektronik mit den Instrumenten des Ensembles verbindet. Das Keyboard benutzt dasselbe

harmonische Material wie die Zuspielung (g-Moll) und holt somit die Elektronik aus dem

„O!” auf die Bühne des realen Geschehens. Auch hier verändert sich das musikalische Ma-

terial nicht, allein die dynamische Präsenz $uktuiert.

3. Das Ensemble verfremdet die Elektronik, indem es sich zuerst ganz der harmonischen

Ordnung des Zitates unterordnet (g-Moll) um sich dann sukzessive davon zu entfernen.

Durch diese Subversion dominiert das Ensemble am Ende der Introduzione das musikali-

sche Geschehen.

15

Page 18: Romitelli Analysis

Der formale Aufbau der Introduzione gestaltet sich wie folgt:

Einsatznr. Dyn. Zeit (Sek.) Abstand (Sek.)Abstand (Sek.) Dauer (Sek.) Pausen (Sek.)

19i 0:19 1920

4 19

ii 0:3920

206 16

1 pp 0:5920

168 14

2 1:1516

169 8

3 1:3116

1610 7

4 1:4716

1610,5 6

5 2:0316

1611,5 5,5

6 p 2:1915

1612,3 4,5

7 2:3415

1412 2,7

8 2:4811

1410,5 2

9 sf poco 2:5911

1110 0,5

10 3:109

119 1

11 f 3:199

76,5 0

12 ff 3:267

6,5 0,5

Tabelle 4

Die Elektronik ist immer ungefähr zwei Sekunden vor und nach dem Keyboard hörbar, wo-

bei sich dieser Wert im Verlauf der Introduzione verringert. Außerdem erscheint die Zuspie-

lung zuerst zwei Mal ohne Instrumente (vgl. Tabelle 4: i, ii) bevor das Ensemble mit der Ver-

fremdung einsetzt. Ab diesem Zeitpunkt sind Keyboard und Streicher bei jedem Einsatz (1-

12) präsent, während die Bläser in unterschiedlichen Kombinationen erscheinen:

Einsatz

Flöte

Posaune

Trompete

Englisch Horn

Klarinette

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Anzahl

X X X X X X X 7

X X X X X X X X 8

X X X X X X X X 9

X X X X X X X X X X 10

X X X X X X X X X X X 11

Tabelle 5

16

Page 19: Romitelli Analysis

Kein Bläser ist bei allen zwölf Gesten präsent. Die Häu"gkeit ihres Einsatzes organisiert sich

jedoch sequenziell absteigend beginnend bei 12-1, 12-2, usw.

Eine weitere Besonderheit dieser Strukturen sind die Zahlenreihen, die mehrere sich über-

lappende Prozesse aufzeigen. Während in der ersten Hälfte ab dem Einsatz des Ensembles

(Einsätze 1–6) die Einsatzabstände konstant bei 16 Sekunden bleiben, "ndet in der zweiten

Hälfte (Einsätze 7–12) eine quasi exponentiell ansteigende Verdichtung statt (vgl. Tabelle 4:

Abstand). Dieser Entwicklung wird ein an- und abschwellender Prozess in den Dauern der

Gesten entgegenstellt (vgl. Tabelle 4: Dauer), was wiederum die Pausen zwischen den Ein-

sätzen linear zurückgehen lässt (vgl. Tabelle 4: Pausen). Diese Entwicklung drückt sich in

der Instrumentierung in der ersten Hälfte durch die Hinzunahme zusätzlichen von Instru-

menten aus (vgl. Tabelle 5: Einsätze 1–6: 2-2-4-5-5-5 Instrumente). In der zweiten Hälfte

verfällt diese vertikale Klangdichte zugunsten der oben beschriebenen horizontalen Ver-

dichtung der Einsätze.

Die dynamische Entwicklung unterstützt diesen Prozess durch eine stetige Steigerung (vgl.

Tabelle 4: Dyn.).

Harmonisch ist die Introduzione um den Akkord g-Moll herum organisiert, der in seiner ur-

sprünglichen Form durchgehend von der Zuspielung und vom Keyboard repräsentiert

wird. Folgendes Notenbeispiel macht die harmonische Entwicklung des restlichen En-

sembles deutlich:

°

¢

L

Einsätze: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

ML

M

M

M

ww# wwb ww ww# ww#n

wwBµ www#n wwwµ# wwwB www#µnwwwb wwwb wwwb wwwb wwwb wwwb

www## wwwnn wwwbwwwµ˜ wwwn#˜ wwwµB# www#µµ wwwµn

17

Page 20: Romitelli Analysis

°

¢

L7. 8. 9. 10. 11. 12.

L

M

M

M

wwwwwwnbb www## ww wwbb wwnn

wwwµB wwwnµ www#µb www˜n wwwµbn wwwnµwwwb wwwb wwwb wwwb wwwb wwwb

wwb ww# w wwwwnn# wwwbµµ wwwn# www### wwwbµ wwn

Notenbeispiel 1

Hierbei zeigt sich, dass g-Moll das harmonische Zentrum bildet, um welches sich mehrere

Dreiklänge baumartig au!ächern. Durch diese Analyse "ndet man zwei Dreiklangsent-

wicklungen, die sich nach oben und nach unten von g-Moll wegbewegen (Notenbeispiel 1:

Notenzeilen 2 und 5). Diese beiden Dreiklänge sind einem weiteren Prozess unterworfen.

Während sich der aufsteigende Dreiklang im Verlauf des Stückes immer weiter verdichtet,

spreizt sich der absteigende Dreiklang zunehmend auseinander.

In den absteigenden Dreiklängen wird zudem, ähnlich wie in der formalen Struktur, eine

quasi exponentielle Steigerung des Prozesses ab der Hälfte des Stückes deutlich, wenn

man die Halbtonschritte der Grundtöne zählt:

Einsatz 11 22 33 44 55 66 77 88 99 1010 1111 1212

Halbtonschritte 0.50.5 0.50.5 0.50.5 11 11 1.51.5 0.50.5 22 2.52.5 4.54.5 4.54.5

Tabelle 6

Zusätzlich zu diesen beiden Dreiklangsstimmen gibt es noch zwei Nebenstimmen (Noten-

beispiel 1: Notenzeilen 1 und 4), die die oben beschriebene Entwicklung gelegentlich wei-

ter au!ächern:

1. Der 4.–6. Einsatz wird durch einen weiteren Dreiklang in Abwärtsrichtung angereichert.

2. Es entwickelt sich auch eine Oberstimme, die abwechselnd in Terzen und Intervallen

größer als eine Oktave das harmonische Spektrum weiter anreichern und verfremden.

18

Page 21: Romitelli Analysis

Die Introduzione endet mit einem ff -Akkord im Ensemble, der zu einem lange gehaltenen

C-G Orgelpunkt im Keyboard moduliert wird. In den letzten beiden Takten (Takt 48, 49)

fängt die Zuspielung für das Primo Intermezzo bereits an und scha!t so einen nahtlosen

Übergang zum nächsten Abschnitt.

3.2. „Primo Intermezzo”

Das Primo Intermezzo ist das erste von vier elektronischen Zwischenspielen, die von dem

Pan Sonic für Fausto Romitelli bereitgestellt wurden. Es greift anfangs das tiefe C auf und

präsentiert dazu ein hohes e3 bzw. e4 in einer durchdringenden Klangfarbe. Im Verlauf sei-

ner exakt 100 Sekunden erklingt zunächst rhythmisches Pulsieren von Klickgeräuschen ge-

folgt von Schwingungen abwechselnd einen Halbton über oder unter dem hohen e. Das

tiefe C und die Klickgeräusche treten in den Hintergrund, bis sie ganz verschwinden, und

die Violine und Viola greifen das hohe e auf, um ebenso bruchlos überzuleiten in den 1.

Satz überzuleiten.

3.3. „1.”

Im ersten großen instrumentalen Teil tritt die Stimme mit dem komplette Ensemble auf.

Das Ensemble gliedert sich in drei Gruppen, die jeweils eine bestimme Funktion erfüllen.

1. Rhythmusgruppe (E-Gitarre, Bassgitarre, Keyboard): Die Gitarren verwenden eine experi-

mentelle Spieltechnik, die sie fast während des gesamten ersten Satzes deutlich in den

Hintergrund treten lässt, bis sie sich im Takt 277 emphatisch als Gitarren durch verzerrte

Powerchords manifestieren. Indem sie mit dem Holz eines Bogens (col legno) die Saiten

streichen, ohne dabei mit der linken Hand die Töne zu greifen, erzeugen sie einen subtilen,

in seiner Intonation $uktuierenden Ton. Zusammen mit dem Keyboard agieren sie, nicht

untypisch für eine Rhythmusgruppe, als das harmonische Fundament von 1. (Takt 56).

2. Harmonieträger (Streicher): Die Streicher bilden ein komplexes Gewebe von langgehal-

tenen Schwelltönen, Sprüngen, Doppelgri!en und Glissandi, die allesamt tendenziell einer

Abwärtsbewegung folgen.

3. Klangliche Anreicherung (Bläser): Holz- und Blechbläser werden in unterschiedlichen

Konstellationen mit den Streichern kombiniert und spielen meist Tremoli, Glissandi oder

beides zusammen. Sie stellen kein neues harmonisches Material vor, sondern verdoppeln

lediglich das Material der Streicher in einer neuen Klangfarbe. Gegen Ende des Stückes

19

Page 22: Romitelli Analysis

gewinnen v.a. die Blechbläser deutlich mehr Eigenständigkeit im Zuge einer allgemeinen

Verdichtung und Steigerung der Komplexität.

Es lassen sich zwei unterschiedliche Strukturen feststellen, die das harmonische Gefüge

von 1. bestimmen:

1. Das ist zum einen eine simple Harmoniefolge (Struktur A), die in ihrer Einfachheit pop-

musikalische Ein$üsse aufweist und die so aufgebaut ist, dass sie immer mit den leeren Sai-

ten der drei Streicher konsonant ist (Tabelle 7).

1. beginnend ab Takt 56beginnend ab Takt 56beginnend ab Takt 56beginnend ab Takt 56beginnend ab Takt 56

D open (6) C open (9) G open (6)

D open (6) A min (4,5) C maj (8) G maj (2,5) B maj7 (4) C open (4,5)

Summe: 50,5 Takte

2.

D open→maj (4,5)D open→maj (4,5) C open (3,5) G open (2,5)

D open (2,5) A min (1,5) C maj (4) G maj (2,5) B maj7 (6,5) C open (4)

Summe: 31,5 Takte

3.

D open (1) C open (1,5) A open (1,5) G open (2)

D open (2) A min (2,5) C maj (2,5) G maj (2) B maj7 (3,5) C open (2,5)

Summe: 21 Takte

4.

D open (1) G maj (1,5) B maj7 (1,5)

D min (2) C maj (2) d

G maj (2,5) B maj7 (2)

D min (2,5) C maj (2) d

G maj (1,5) B maj7 (1,5) C open (1)

Summe: 21 Takte

Ende Gesangsstimme (Takt 179)Ende Gesangsstimme (Takt 179)Ende Gesangsstimme (Takt 179)Ende Gesangsstimme (Takt 179)Ende Gesangsstimme (Takt 179)Ende Gesangsstimme (Takt 179)Ende Gesangsstimme (Takt 179)5.

D open (1) C open (1,5) A open (1,5) G open (2)

D open (2) A min (2,5) C open (2,5) G maj (2) B maj7 (3,5) C open (2,5)

Summe: 21 Takte

20

Page 23: Romitelli Analysis

6.

D open (2,5) Es maj7 (1,5) F open (2) G maj (2) B maj (2,5)

D min (2,5) C maj (2) d

G maj (2) B maj7 (1,5) C open (2,5) ↳ cis

Summe: 21 Takte

7.

D open (1) C open (1,5) A min (1,5) G open (2)

D open (2) A min (2,5) C maj (2,5) G maj (2) B maj7 (3,5) C open (2,5)

Summe: 21 Takte

8.

D open (2,5) Es maj7 (1,5) F open (2) G maj (2) B maj7 (2,5)

D open (2,5) G maj (2) B maj7 (2)

Summe: 17 Takte

9.

D open (1,5) C maj (1,5) A min (1) G maj (1)

D open (1,5) A min (1,5) C open (2) G maj (2) B maj7 (2,5) C open (2,5)

Summe: 17 Takte

D open Gitarren Einsatz auf D (Takt 277), danach Secondo IntermezzoGitarren Einsatz auf D (Takt 277), danach Secondo IntermezzoGitarren Einsatz auf D (Takt 277), danach Secondo IntermezzoGitarren Einsatz auf D (Takt 277), danach Secondo IntermezzoGitarren Einsatz auf D (Takt 277), danach Secondo IntermezzoGitarren Einsatz auf D (Takt 277), danach Secondo Intermezzo

Tabelle 7

Über den Grundtönen D, A, C, G, B und C werden Harmoniefolgen mit pop- bzw. jazzarti-

gen Akkorden gebildet (vgl. Tabelle 7: min = Minor, maj = Major, maj7 = Major 7) sowie o!ene

Akkorde, die weder Dur noch Moll aufweisen (vgl. Tabelle 7: open). Die Gesamtheit aller

Grundtöne ist: D – Es – F – G – A – B – C – D, was der phrygischen Kirchentonart über D ent-

spricht. Diese Akkordfolgen sind in ihrer Vollständigkeit durchgehend im Keyboard prä-

sent, während die Bassgitarre immer den Grundton eines jeden Akkordes und die E-Gitarre

beliebige weitere Töne der Harmonien spielt. Die Streicher haben jedoch eine weitaus

komplexere Rolle im harmonischen Gefüge des 1. Satzes: Am Anfang und Ende jeder musi-

kalischen Phrase spielen sie, einem bestimmen Muster folgend, jeweils die leeren Saiten,

die zu diesen Pop-Akkorden konsonant sind:

21

Page 24: Romitelli Analysis

Vl.Vl.

Vla.Vla.

Vlc.Vlc.

a a d d

d a d g g

a g d a d d g

d a c g d g g c

a g d a d d g

d a c g d g g c

D A C G Bmaj7 Copen Esmaj7 Fopen

Tabelle 8

Im weiteren Verlauf ihrer Phrase folgen die Streicher dann aber einem anderen harmoni-

schen Prinzip.

2. Diese zweite Struktur (Struktur B) ist ein Abwärtsglissando sich immer weiter spreizender

Akkorde (Anhang 1). Dieses Glissando vollzieht sich in 110 Schritten in der Unterstimme

von es4 zu a und in der Oberstimme von c5 zu c2. Es ist in drei Stimmen gegliedert, die je-

weils von Violine, Viola bzw. Violincello repräsentiert werden. Der Prozess des Aufspreizens

beginnt in einem Unisono in derselben Oktave und vollzieht sich durch die Oktavierungen

des Unisono, versetzte Oktavierungen hin zu Doppelgri!en (zuerst Violoncello, dann Viola

und zuletzt Violine). Die Akkorde fächern sich danach immer weiter auf bis die Streicher 6-

stimmige Akkorde ohne Verdopplungen spielen. Die einzige Ausnahme bildet die Unter-

stimme gegen Ende des Prozesses: Bei den sehr weiten Doppelgri!en wird das Violoncello

wieder auf eine Einzelstimme beschränkt, was damit begründet werden könnte, dass die

Schwingungen der o!enen Saiten, die das Cello am Anfang jeder Phrase spielt, nicht un-

terbrochen werden sollten (Takt 244–253, Takt 258–278).

Wie oben bereits angedeutet, wechseln die Streicher zwischen diesen beiden harmoni-

schen Feldern (Struktur A und B) hin und her. Dieser Prozess lässt sich am Beispiel der Takte

138–158 anschaulich machen. Diese Takte entsprechen dem 3. Abschnitt der Tabelle 7 und

sie gliedern sich in zwei Hälften: die erste Hälfte besteht aus den Takten 138–143, die zwei-

te Hälfte aus den Takten 144–158. Anhand dieser Tabelle wird nun ersichtlich, dass in die-

sem Abschnitt sieben Harmoniewechsel statt"nden, die mit sieben Phrasen der Streicher

korrespondieren. Am Beginn jeder Phrase (Grundtöne wie folgt: Takt 138: D, Takt 139: C,

Takt 140/2: A, Takt 142: G, Takt 144: D, Takt 146: A, Takt 148/2: C, Takt 151: G, Takt 153: B, Takt

156/2: C) spielen die Streicher die entsprechenden leeren Saiten an, die in Tabelle 8 aufge-

listet wurden, und lassen dann die lang gehaltenen Töne der Akkorde des Abwärtsglissan-

22

Page 25: Romitelli Analysis

dos erklingen. Diese Gesten, sowohl die leeren Saiten als auch die Akkorde, bauen sich

zeitlich versetzt immer wieder von unten nach oben auf. Außerdem stauchen und dehnen

sich diese Bewegungen zyklisch, wobei die maximale Dichte am Anfang eines jeden Ab-

schnittes und die maximale Ausdehnung am Beginn der zweiten Hälfte eines jeden Ab-

schnittes vorzu"nden ist.12

Die Rolle der Bläser in diesem Zusammenhang beschränkt sich auf die klangliche Anrei-

cherung der Abwärtsakkorde der Streicher, da sie kein eigenständiges harmonisches Mate-

rial benutzen sondern vielmehr, zumindest am Anfang des Stückes, während der Dauer

eines Abschnittes eindeutig einem Streicher zugeordnet sind. In dem besprochenen Ab-

schnitt (Takt 138–158) "ndet diese Zuordnung jeweils zwischen Flöte und Violine, zwi-

schen Oboe, Klarinette und Viola sowie zwischen Trompete, Posaune und Violoncello statt.

Im Verlauf des ganzen 1. Satzes "ndet auch hier ein Prozess der Verdichtung statt, indem

am Beginn nur die Oboe und die Klarinette spielen, danach jedoch immer mehr Bläser ein-

setzen, bis ab dem 3. Abschnitt (Takt 138) das ganze Ensemble spielt. Durch zunehmende

Ornamentierung der Bläserstimmen ab Abschnitt 7 (Takt 222) wird das Geschehen weiter

verdichtet und ihre eindeutige Zuordnung zu den Streichern durch zunehmende Ver-

selbstständigung ihrer Stimmen komplexer gestaltet.

Um den formalen Aufbau von 1. zu erklären, lohnt sich ein Blick zurück auf die Tabelle 7.

Das Stück ist in neun Abschnitte aufgeteilt, die auf demselben harmonischen Gerüst basie-

ren. Jeder Abschnitt ist noch einmal zweigeteilt in einen kürzeren ersten Teil und einen

längeren zweiten Teil. Während sich in der ersten Hälfte das harmonische Gerüst meist in

seinen reduzierten Grundpfeilern präsentiert (D – C – G), wird dieser Kern in der zweiten

Hälfte in seiner elaborierten Form dargestellt (D – A – C – G – B – C). Abschnitte 6 und 8 bil-

den hier jedoch eine Ausnahme, in dem jeweils die erste Hälfte anstatt abwärts (D – C – A –

G) nun aufwärts zum G kommt (D – Es – F – G).

Ein weiteres typisches Merkmal von Romitellis Methode sind die nicht linearen Zahlen-

strukturen, die sich meist exponentiell oder logarithmisch gestalten. In Tabelle 7 ist die

kürzer werdende Abschnittlänge (in rot dargestellt) einer solchen Ordnung unterworfen,

23

12 Möchte man eine Metapher bemühen, könnte man diese Strukturen mit Wellenbewegungen an einem Strand vergleichen, die sich in ewiger Wiederholung ausdehnen und verdichten, was der textlichen Thematik des Ertrinkens assoziativ sehr nahe steht.

Page 26: Romitelli Analysis

da sie sich anfangs in großen Schritten reduziert um sich danach auf immer kleiner wer-

dende Werte einzupendeln.

Die Gesangsstimme ist nur ungefähr die Hälfte des Stückes bis zum Takt 175 präsent. Das

Ende ihrer Partie wird begleitet von der einzigen Ausnahme in der Struktur: Der 4. Ab-

schnitt besteht nicht aus zwei Teilen, sondern aus drei, die jeweils um eine Harmonie er-

weitert und verlängert werden. Dieser Abschnitt hat außerdem die meisten nicht-o!enen

Akkorde. In den restlichen Abschnitten 5–9 verdichtet sich das musikalische Geschehen

zusehends, was durch die schrittweise Steigerung der dynamischen Präsenz unterstützt

wird:

Abschnitt 1–3 pp, Abschnitt 4–6 p, Abschnitt 7 sf poco, Abschnitt 8 f und Abschnitt 9 ff.

Das Stück endet in den bereits erwähnten ff -Powerchords der Gitarren, die dreimal hinter-

einander angeschlagen werden (Takt 277, 278 und 279). Ihr Ausklang leitet danach in das

Secondo Intermezzo über.

3.4. „Secondo Intermezzo”

Über dem Ausklang der Powerchords in d erhebt sich im Secondo Intermezzo ein elektroni-

scher Puls aus Klick-Geräuschen in sehr hohen und sehr tiefen Frequenzen. Dem Hörein-

druck zufolge scheinen alle Klicks demselben Sample zugrunde zu liegen (vielleicht ein

Bassdrum Kick), die aber unterschiedlich ge"ltert wurden und zu einem Beat übereinander

gelagert wurden. Ab dem Zeitpunkt wo die Powerchords verschwinden, hat sich der Beat

etabliert, der dann mit zwei elektronischen Drones angereichert wird: Das ist zum einen

ein Klang der sich an der Quinte es-b orientiert, und zum anderen das f1, das gegen Ende

des Secondo Intermezzo immer in mehreren Oktavsprüngen nach oben aufsteigt. Der Beat

wird mit einem Lowpass Filter auf die Kicks im Bass reduziert um dann am Ende ganz zu

verschwinden. Zu diesem Zeitpunkt setzt die Elektronik des 2. Satzes ein und scha!t auch

hierzu einen Übergang ohne Unterbrechung.

24

Page 27: Romitelli Analysis

3.5. „2.”

Im zweiten Satz spielt wieder das ganze Ensemble, wobei bei den Holzbläsern dieses Mal

die Bass$öte, das Englisch Horn und die Bassklarinette verwendet werden. Im Gegensatz

zum 1. Satz lassen sich hier die Instrumente weniger klar in Gruppen aufteilen, die be-

stimmen formalen oder harmonischen Strukturen folgten. Jedoch sind die Streicher und in

weiten Teilen auch die Bläser innerhalb ihrer Gruppe jeweils durch rhythmische Unisoni in

ihrer Gestik und Expressivität eng miteinander verbunden. Die harmonischen und forma-

len Schwerpunkte der Phrasen lassen sich am einfachsten in der Rhythmusgruppe verfol-

gen (Keyboard/Klavier, E-Gitarre, Bassgitarre), was ihr, wie auch in 1., eine Schlüsselposition

im Stück zukommen lässt.

Formal ist der zweite Satz in 16 Abschnitte unterteilt, die man wiederum in drei größere

Teile gruppieren kann, entsprechend Anfangsteil (A), Mittelteil (B) und Schlussteil (C).

Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über den formalen Aufbau dieses Satzes:

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

A1 281 1 Takt 8 S 8 S S= 60

16 Takte 2 S 32 S

Summe: 40 S 40”

A2 298 2 Takte 8 S 16 S

17 Takte 2 S 34 S

Summe: 50 S 50”

A3 317 2 Takte 8 S 16 S

20 Takte 2 S 40 S

Summe: 56 S 56”

A4 339 2 Takte 8 S 16 S

22 Takte 2 S 44 S

Summe: 60 S 60”

25

Page 28: Romitelli Analysis

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

A5 363 2 Takte 8 S 16 S24 Takte 2 S 48 S

Summe: 64 S 64”

A6 389 2 Takte 8 S 16 S

1 Takt 2 S 2 S

27 Takte 2 S 54 S S= 72

Summe: 72 S 63”

Ende Gesangsstimme (Takt 409)Ende Gesangsstimme (Takt 409)Ende Gesangsstimme (Takt 409)Ende Gesangsstimme (Takt 409)Ende Gesangsstimme (Takt 409)Ende Gesangsstimme (Takt 409)

B1 419 1 Takt 8 S 8 S

11 Takte 2 S 22 S

Summe: 30 S 25”

B2 431 5 Takte 4 S 20 S S= 60

4 Takte 2 S 8 S

11 Takte 4 T 44 T T= 60

2 Takte 2 S 4 S S= 60

% Takt 4 S 1 S + 5 S

Summe: 39 S + 44 T 83”

C1 453 (2. Hälfte)453 (2. Hälfte) 13 S + 4 S S= 72

Summe: 17 S 14,2”

C2 459 (2. Hälfte)459 (2. Hälfte) 15 S + 5 S S= 72

Summe: 20 S 16,7”

C3 466 (2. Hälfte)466 (2. Hälfte) 17 S + 4 S S= 72

Summe: 21 S 17,5”

C4 474 (2. Hälfte)474 (2. Hälfte) 19 S + 3 S S= 76

Summe: 22 S 17,4”

26

Page 29: Romitelli Analysis

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

C5 483 (2. Hälfte)483 (2. Hälfte) 17 S + 4 S S= 76

Summe: 21 S 16,6”

C6 491 (2. Hälfte)491 (2. Hälfte) 15 S + 3 S S= 80

Summe: 18 S 13,5”

C7 498 (2. Hälfte)498 (2. Hälfte) 13 S + 3 S S= 80

Summe: 16 S 12”

C8 504 (2. Hälfte)504 (2. Hälfte) 12 S S= 60

8 T T= 60

Summe: 20 S 20”

Tabelle 9

Die Abschnitte A1–6 des Anfangsteiles weisen denselben strukturellen Aufbau, dieselbe

Gestik und dieselbe Expressivität auf: Die Streicher erö!nen jede Phrase mit einem hohem

Flageolett-Akkord (vgl. z.B. Takt 282). Die danach einsetzenden an- und abschwellenden

Akkorde im Keyboard werden von Gitarren und Bläsern zeitlich versetzt aufgegri!en, wäh-

rend dazu die Stimme einsetzt (vgl. z.B. Takt 283–286). Diese Gesten kulminieren in einer

Fermate, bei der die Stimme das e2 singt und das Ensemble einen Akkord mit weitem Am-

bitus hält (vgl. z.B. Takt 287). Wilde Gesten der Streicher und Bläser sowie Glissandi nach

unten in Gesang, Keyboard und Gitarren lassen dann das Geschehen auf einen tiefen Ak-

kord im Klavier abstürzen (vgl. z.B. Takt 287–295). Es erfolgen tiefe Schwellenakkorde des

gesamten Ensembles unter einer Fermate (vgl. z.B. Takt 297) bis ein überdimensioniert lau-

tes An- und Abschwellen in der Elektronik das Ende der Phrase markiert.

Betrachtet man die formale Entwicklung der A1–6 (Tabelle 9) wird eine Ausdehnung der

Abschnitte deutlich, die nicht exponentiell, sondern relativ linear in geraden Zahlen voll-

zogen wird. Diese Ausdehnung "ndet meist in der zweiten Hälfte der jeweiligen Abschnit-

te (nach der Fermate) statt.

Das Ende des Anfangsteils wird durch das Ausbleiben der lauten Elektronik am Ende von

A6 angekündigt (Takt 419). Obwohl die Stimme nicht mehr mitsingt, erfolgt noch einmal

ein ähnlicher Aufbau wie in den Abschnitten A1–6, der dieses Mal jedoch in einen auf G-

27

Page 30: Romitelli Analysis

Dur basierenden Mittelteil mündet (Takt 419–450, Tabelle 9: B1–2). Nach einer ersten Ver-

dichtung erfolgt ein Noise-Ausbruch der Bassgitarre (Takt 438–440). Im letzten Abschnitt

des Mittelteils (Takt 441–450) erklingen versetzte Schwellakkorde der Streicher und Bläser,

die nahtlos in den Schlussteil überleiten, der durch den Einsatz der E-Gitarre erö!net wird.

Der Schlussteil "ndet ebenso ohne Gesang statt und ist in acht relativ kurze Abschnitte

eingeteilt, die strukturell identisch sind. Die Dauer eines jeden Abschnittes setzt sich zu-

sammen aus der Anzahl der halben Noten und der Länge der Fermate (in Tabelle 9 als z.B.

13 S + 4 S dargestellt). Obwohl sich die Anzahl der halben Noten im Verlauf der acht Ab-

schnitte immer in Zweierschritten zuerst steigert und dann reduziert (vgl. Tabelle 9 rot

markierte Zahlen), entspricht die erlebte Entwicklung eher einer Verdichtung und Intensi-

vierung, da das Tempo durchgehend schneller wird (von S = 72 nach S = 80) und sich die

Harmonie chromatisch nach oben bewegt (siehe harmonische Analyse weiter unten).

Der letzte Abschnitt C8 bricht diese Entwicklung mit dem neuen Tempo S = 60 ab und lei-

tet über in das Terzo Intermezzo.

In den ersten sieben Abschnitten (A1–6, B1) "ndet man mehrere harmonische Strukturen.

Eine davon ist ein chromatisch absteigender Akkord (Notenbeispiel 2, Akkorde [b], [c], [d],

in rot dargestellt), der vor jeder Fermate in seiner deutlichsten Ausprägung vom Keyboard

gespielt wird, aber auch in den Bläsern, Gitarren und Streichern vertreten ist.

28

Page 31: Romitelli Analysis

Notenbeispiel 2

Diese Akkorde sind drei Prozessen unterworfen:

1. Innerhalb eines jedes Abschnittes wird der Akkord zweimal chromatisch nach unten

transponiert, wobei die innere Struktur erhalten bleibt. Somit hat jeder Abschnitt eine Fol-

ge von drei Grundakkorden.

2. Diese absteigende Akkordfolge wird nun von Abschnitt zu Abschnitt chromatisch nach

oben transponiert. Sind die Grundtöne in A1 b, a, gis, sind sie in A2 h, b, a, in A3 c, h, b, usw.

Diese beiden Bewegungen überkreuzen sich und erzeugen den E!ekt einer aufsteigenden

Abwärtsbewegung.

29

Page 32: Romitelli Analysis

3. Außerdem verändert sich die innere Struktur der Akkorde von Abschnitt zu Abschnitt,

folgt aber einem einfachen Prinzip. Die Intervallstrukturen der Akkorde werden in jedem

neuen Abschnitt seriell durchgetauscht, wie die nachfolgende Tabelle zu verdeutlichen

versucht.

3676

6367

7636

6763

Tabelle 10

Auch hier wird das Motiv der Kreuzung von Auf- und Abwärtsbewegung sichtbar. Die ein-

zige Ausnahme hiervon ist der Akkord in A6, in dem anstatt der Intervallstruktur 6, 3, 6, 7

eine Quinte den Tritonus ersetzt: 7, 3, 6, 7.

Bevor das Keyboard mit den bereits erwähnten Akkorden den jeweiligen Abschnitt be-

ginnt, spielen die Streicher einen sehr hohen Flageolett-Akkord, der mit den nachfolgen-

den Akkorden strukturell verbunden ist (Notenbeispiel 2: Akkorde [a]): Zählt man die Inter-

valle stellt sich eine Spiegelung der Intervallstruktur des ersten Keyboard-Akkordes heraus

(–die einzige Ausnahme ist der Akkord in A3).

Weitere interessante Strukturen sind der Akkord der Fermate (Notenbeispiel 2: Akkorde

[e]), der jedes Mal von dem gesamten Ensemble und der Sängerin gespielt wird. Au!allend

dabei ist, dass der von den Streichern gespielte Teil (blau markiert) fast immer dieselbe

Struktur aufweist und sich nur einmal (A2) deutlich verändert.13

Die harmonische Struktur der Phrasen nach der Fermate eines jeden Abschnittes lässt sich

weniger einfach einem gemeinsamen Prinzip zuordnen. Einige Besonderheiten dieser

Phrasen sind die Tendenz zur Quintenbildung, die meist durch Glissandi eingeleitet wird

(vgl. z.B. Takt 290–292), sowie der sehr markante Klavierakkord (Notenbeispiel 2: Akkorde

[f ], Partitur: Takt 295, 314, 334, usw.), der die Schlussphase der jeweiligen Phrase einleitet.

Dieser Akkord ist meist identisch oder eng verbunden mit dem letzten Akkord der Key-

boards vor der Fermate (Notenbeispiel 2: Akkorde [d]) mit den Tönen der E-Gitarre und der

Bassgitarre.

30

13 Diese Abweichung könnte sich durch einen Notationsfehler im Violoncello im Takt 304 erklären, da womöglich ein Wechsel zurück in den Bassschlüssel vergessen wurde. Auf der nächsten Seite wird nämlich ohne weitere Markierung am Systemanfang wieder der Basschlüssel verwendet.

Page 33: Romitelli Analysis

Der Mittelteil beginnt, wie oben bereits erwähnt, mit derselben harmonischen Struktur

und Gestik wie die ersten sechs Abschnitte (Notenbeispiel 2: B1 nach A1–6), mündet dann

aber in einen von G-Dur dominierten Teil (Notenbeispiel 3: B2, Partitur: Takt 431–440), in

dem sich abwechselnde Schwellakkorde der Streicher und Bläser zeitlich verdichten und in

zwölf Schritten teilweise chromatisch nach oben transponiert werden. Diese Steigerung

wird begleitet durch eine dynamische Entwicklung von ppp zu fff und mündet in einen

lang gehaltenen Akkord der Streicher, der dann zusammen mit der verzerrten Bassgitarre

durch Überdruck bzw. Feedback in einen äußerst lauten Noiseklang kippt.

B2

L

LK

M

œ# œ# œœ#n œn œœn# œœnn œœnb œœœnnn œœœbnn

œœn œœœ

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œœœœnnnn

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œœœœ#n## œœœ##n œœœ#nb œœœnn#œœœ##n

œœœnn# œœnn œœnn

œœœnnn œœœn##

œœœnnn œœ#n œœ#n œœ#n œœ#n œœn# œ# œ# œn œ# œn

Notenbeispiel 3

Der zweite Abschnitt des Mittelteils (Notenbeispiel 4, Partitur Takt: 440–450) beinhaltet

ebenso Schwellakkorde der Bläser und Streicher, die sich um das Zentrum G (vertreten im

Keyboard) herum schrittweise au!ächern und spreizen.

L l KL

L

œœœœœµB œœœœœµµµ œœœœœµµB œœœ

œœBBb œœœœœ#µ#

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˙bwww ˙ w

wwwb

œœœœœœbµ#bbb œœœœœœnnBB#n œœœœœµµnµn œœœœœœnµ#nµ# œœœœ

œœ#Bnn#nNotenbeispiel 4

31

Page 34: Romitelli Analysis

Durch die E-Gitarre wird der Schlussteil erö!net (Takt 451). Bei den Akkorden handelt es

sich hierbei um dieselbe Intervallstruktur wie schon am Anfang, mit dem gleichen Durch-

tauschungsprinzip (Ausnahme: Akkord C7) und der chromatischen Steigerung. Au!allend

ist jedoch, dass die Akkorde vor und nach jeder Fermate dieselben sind, allein die Bassgi-

tarre deutet sie mit einem neuen Grundton harmonisch um. In ständiger Wiederholung

übernimmt jeder Abschnitt den Akkord des vorherigen, deutet ihn um und präsentiert da-

nach eine durchgetauschte und transponierte Version (Notenbeispiel 5).

C1 C2 C3 C4 C5 C6 C7 C8

L

3676 U

6367 U

7636 U

6763 U

3676 U

6367 U

6736 U

7673 U

M #nn#

bb

œœœœ#n#

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œœœœbbœ œœœœbb

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#n# œœœœbnbn œ œœœœbb

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b œœœœœ##nn œ œœœœœ

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œ#œbœœn

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œbœ

œœ œœœ œ œn œ œœ

Notenbeispiel 5

Im Takt 506 bricht dieser Prozess ab und die Streicher spielen einen hohen Flageolett-Ak-

kord, den sie dann schrittweise nach weiter nach oben transponieren, ohne dabei die inne-

re Struktur zu verändern (Notenbeispiel 6). Mit einem letzten Glissando (Takt 509) leiten sie

in das Terzo Intermezzo über.

L›

L‹

7677

œ# œœ œœ## œœ œœ# œœ# œœn œœ## œœn œœ#b

œ# œœœ# œœœ#n œœœ## œœœ#n œœœ##œœœn œœœ# œœœn## œœœ#

œœœNotenbeispiel 6

32

Page 35: Romitelli Analysis

3.6. „Terzo Intermezzo”

In den 80 Sekunden des Terzo Intermezzo präsentiert sich die Elektronik als ein sehr langes

Crescendo von Knistergeräuschen, das Assoziationen an das Leerlaufen eines Schallplat-

tenspielers weckt. Dazu erklingt ähnlich wie bei einem Morsecode in unregelmäßigen Ab-

ständen ein e, das sich gegen Ende des Intermezzos verdichtet. In zehn Wiederholungen

eines 8 T -Taktes spielen die Flöte (mit Mundharmonika), die Klarinette (mit Stimmpfeife),

die Gitarre, das Klavier und die Streicher zu dieser Elektronik Akzente und Schwellakkorde,

die in einem hohen Register die o!enen Harmonien e–h–e präsentieren. Die Steigerung

der Elektronik mündet in das Klaviersolo des 3. Abschnittes.

3.7. „3.”

Der dritte Satz ist mit 130 Takten deutlich kürzer als die ersten beiden Sätze (siehe Tabelle

2) und die Stimme ist wieder nur in der ersten Hälfte präsent. Der Satz ist tutti besetzt, wo-

bei die Holzbläser mit C-Flöte, Oboe und B-Klarinette vertreten sind und Klarinette, Trom-

pete und Posaune in der ersten Hälfte, in dem die Stimme präsent ist, jeden neuen Ab-

schnitt mit Mundharmonikas einleiten.

Der Satz zeichnet sich durch eine dreigliedrige Form aus, die sich in ein Vorspiel (Tabelle

11: i), einen Anfangsteil (Tabelle 11: 1.–3.) und einen Schlussteil (Tabelle 11: 4.–6.) untertei-

len lässt. Die Stimme singt nur in Teilen der ersten drei Abschnitte (Tabelle 11: grau hinter-

legt).

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

i 511 3 Takte 4 T 12 T T= 40

3 Takte 4 T 12 T T= 60

5 Takte 2 T 10 T

11 Takte 38 T 36”

1. 522 6 Takte 4 T 24 T T= 60

3 Takte 4 T 12 T

5 Takte 2 T 10 T

1 Takt 4 T 4 T

33

Page 36: Romitelli Analysis

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

3 Takte 2 T 6 T

2 Takte 4 T 8 T

Summe: 20 Takte 64 T 64”

2. 542 3 Takte 4 T 12 T T= 66

1 Takt 2 T 2 T (Wiederholung)

4 Takte 4 T 16 T

3 Takte 4 T 12 T

5 Takte 2 T 10 T

1 Takt 4 T 4 T

3 Takte 2 T 6 T

3 Takte 4 T 12 T

1 Takt 5 T 5 T

Summe: 24 Takte 79 T 71,8”

3. 566 6 Takte 4 T 24 T T= 72

3 Takte 4 T 12 T

1 Takt 2 T 2 T

1 Takt 4 T 4 T

3 Takte 2 T 6 T

1 Takt 4 T 4 T

Summe: 15 Takte 52 T 43,3”

4. 581 3 Takte 4 T 12 T T= 76

1 Takt 3 T 3 T

4 Takte 2 T 8 T

1 Takt 4 T 4 T

3 Takte 2 T 6 T

1 Takt 4 T 4 T

2 Takte 5 T 10 T

Summe: 15 Takte 47 T 37,1”

34

Page 37: Romitelli Analysis

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

5. 596 6 Takte 2 T 12 T T= 80

6 Takte 2 T 12 T

1 Takt 4 T 4 T

3 Takte 2 T 6 T

2 Takte 4 T 8 T

3 x 2 Takte 2 T 12 T

Summe: 24 Takte 54 T 40,5”

6. 616 5 Takte 4 T 20 T T= 84

1 Takt 3 T 3 T

9 Takte 4 T 36 T

1 Takt 5 U 5 U

1 + 1 Takte 4 T 8 T T= 72

3 Takte 2 T 6 T

3 x 1 Takt 2 T 6 T

2 Takte 4 T 12 T

2 x 1 Takt 5 T 10 T

Summe: 28 Takte 103,5 T 78,9”

Tabelle 11

Die einzige au!allende Entwicklung, die sich durch den gesamten 3. Satz zieht, ist die

Temposteigerung, die bei T = 40 im Vorspiel beginnt, bei T = 84 ihren Höhepunkt "ndet um

danach auf wieder T = 72 zurückzufallen. Weder in der Anzahl der Takte, Anzahl der Viertel

oder der Dauer der Abschnitte lässt sich ein übergeordneter Prozess feststellen, mit einer

Ausnahme: Jeder Abschnitt besteht aus sich ständig wiederholenden, absteigenden Lini-

en, die in ihrer Urform im Klavier im Vorspiel vorgestellt werden (siehe harmonische Analy-

se weiter unten). Diese Linien bewegen sich immer auf das gleiche Ziel zu: das ff -E im Kla-

vier und im Bass, das sich danach mit den Bläsern und Streichern zu einem weit gespreiz-

ten Akkord aufbaut. Der Prozess, der die immer schneller absteigenden, sich „überschla-

genden” Linien begleitet, ist in jedem Abschnitt ähnlich organisiert (Tabelle 11: gestrichelt

eingerahmte Zellen). Das E wird immer in einem 4 T-Takt erreicht, und die darau!olgenden

3 x 2 T-Takte entsprechen dem sich aufbauenden Akkord über E. Die Länge der Phrase die

zu diesem E hinführt wechselt von Abschnitt zu Abschnitt: In den Abschnitten 1. und 2.

35

Page 38: Romitelli Analysis

sind es noch 22 T, im 3. Abschnitt 14 T, im 4. Abschnitt 11 T und im 5. Abschnitt 12 T. Im

letzten Abschnitt lässt sich der Anfang der absteigenden Linien nicht mehr klar ausma-

chen.

Die sieben beschriebenen Abschnitte sind alle durch die im Vorspiel (i) vorgestellten Ab-

wärtslinien organisiert (Notenbeispiel 7). Diese Linie lässt sich durch die Halbtonschritte 1–

3–1–2–1–3–3–1–3–3–1 beschreiben. Au!allend hierbei ist die Dominanz von kleinen Ter-

zen, die durch eine Basslinie mit genauso vielen großen Terzen harmonisiert wird: 7–4–1–

4–4–1–7–4–7–4–3–2.

L

i

M

œ œb œ œ# œ œb œ œ œb œn œ œ#œn œb œ œ# œn œb œn œn œb œn œ œ#

œ œ# œ œ œ œb ˙n ˙b ˙ œnNotenbeispiel 7

Diese Linien werden in den Abschnitten 1.–3. vom gesamten Ensemble in verschiedenen

Ausprägungen ständig wiederholt und gegen Ende der Phrase zunehmend fragmentiert

und verdichtet, um dann in den Zielpunkt E zu münden (Notenbeispiel 8). Die Stimme ist

hierbei immer nur bei der ersten Hälfte präsent und jeweils erst nachdem sie aufgehört hat

beschleunigt sich der Prozess des „Hinunterstürzens”.

1.

LStimme ¿

M

œn œb œ œ# œn œb œn œn œb œn œ œ# œn œb œ œ# œn œb œœn œb œ œ# œn œb œœn œb œ wwwwwbbnb

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36

Page 39: Romitelli Analysis

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2.

LStimme

M¿

œ œb œn œ# œn œb œ œ œb œn œ œb œn œb œ œ# œn œb œœn œb œ œ# œn œb œ œ œb œn œ œbwwwwwwwnn#

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3.

LStimme

”“¿

M

œn œ œb œ œ œ# œ œb œn œ# œ œb œœnn œb œ œ# œn œb œœn œb œ œ# œb œb wwwwwwww#nn##n

œ œ œ œ ˙ ww#

Notenbeispiel 8

In den gesangslosen Abschnitten 4. und 5. kommen zwei neue Elemente hinzu: Zum einen

spielt der Bass nicht mehr die bisher bekannte Dur-lastige Harmonisierung, sondern eine

chromatisch absteigende Linie, die bei der Hälfte der Strecke noch einmal zurückgreift um

dann umso schneller zum tiefen E hinabzufallen (Notenbeispiel 9: blau markiert).

4.

L

M nb b bn b

œnœœœœbbn œnœœ

œœbb œbœœœœnnnb œnœœœ

œbbnn œnœœœœnbbb œb œeœœe

œnnbbnn œœœœnnb œœœœnn#n œœœ

œbnn œœœœnbbn œœeœœnnnbn œœœ

œbnnb œœœœbbn

wwwwwwwbn#bb

œb œn œb œ œ œb œ œb œœ œb œn œb œœn

œbœb œœ œœ œn œb œœ œb œn œœ œn œ œn œ œn w

wn

5.

L

M nb b bn b

œneœœœœ#bbn œnœœ

œœbbnn œbœœœœnnnb œneœœ

œœbnbnn œnœœ

œœnbbb œb œœeœœeœnn#bnbn œœœœnnb eœœœœnnnn# œœœ

œbnn œœœœnbbn œœœœ

ennnnn œœœ

œbnb œœœœbbn

wwwwwnb#b

œb œ œb œ œ œb œ œb œ œ œb œn œb œnœn

œbœb œœ œœ œn œb œœ œb œn œœ œn œ œn œ œn w

Notenbeispiel 9

37

Page 40: Romitelli Analysis

Außerdem wird die eingangs erwähnte absteigende Linie (Notenbeispiel 9: rot markiert)

durch die Bläser, Gitarren und Streicher neu harmonisiert. Diese insgesamt 13 Akkorde fol-

gen verschiedenen seriellen Prinzipien, wie Tabelle 12 zu veranschaulichen versucht.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

6 4 4 6 4 6 4 4 6 4 4 6 44 6 6 4 6 4 6 4 4 6 6 4 66 4 4 6 4 7 4 6 6 4 4 6 44 6 4 4 6 4 6 4 4 4 4 4 64 4 6 4 4 4 4 4 6 6 6 6 4

Tabelle 12

Im sechsten und letzten Abschnitt des dritten Satzes (Notenbeispiel 10) fällt die tiefe Bass-

linie weg und es treten hohe Schwellakkorde der Bläser, Streicher und später auch der Gi-

tarren (mit einem E-bow) auf, die ebenso langsam absteigen und nach einem ff -Akzent

(Takt 632) wieder beim tiefen E landen und im weiteren Verlauf zum 4. Satz überleiten.

6.

L

M

œœœœœnbbn œœœœbn

n# œœœœœb#nnn œœœœ#nn œœœœœnn

nbb œœœœbnbn œœœœœbn

bnn œœœœnbnb œœœœœn

bbbn œœœœ

nnnn œœœœnn#n œœœ#n# œœœœbnnn œœœbbn œœœœnbbn œœœbnn

œn œb œb œn œn œb

L

M

œœœœnnnb œœœnnb œœœœ#nbn œœœn#n œœœ

œnn#n œœœnnn œœœœbnnn œœœbbn œœœœnbbn œœœnnb œœœnbn œœœbb œn

wwwwwwwwn#nnnnn#

œb œn œn œb œb œn œn œn œn œb œœœnnb œœœbnb œœœœb#nn w

Notenbeispiel 10

38

Page 41: Romitelli Analysis

Die Akkorde folgen der unten stehenden Struktur:

4 4 4 4 4 66 6 4 4 4 4 6 6 4 4 4 44 4 6 6 6 6 4 4 6 6 4 413 13 11 11 11 11 13 13 11 11 13 13 usw.

Tabelle 13

3.8. „4.”

Der 4. Satz geht übergangslos mit derselben Besetzung aus dem Ende von 3. hervor. Er

gliedert sich formal in zehn Abschnitte, die aus je zwei Teilen bestehen: Der erste Teil be-

steht aus einem lange gehaltenen Schwellakkord, der mit einem Akzent der Bläser beginnt

und den die Streicher dann mit einem Crescendo verstärken (vgl. z.B. Takt 641–646). Im

zweiten Teil entsteht jeweils eine von Abschnitt zu Abschnitt zunehmend ornamentierte ff

-Akkordstruktur zwischen dem Klavier und den Streichern, die in einem rhythmischen Uni-

sono geführt wird und die einen größer werdenden Ambitus von einem sehr hohen Regis-

ter zu immer tiefer werdenden Endpunkten durchschreitet (vgl. z.B. Takt 653, 656–657, 676-

677). Nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über den formalen Aufbau des 4. Satzes.

Takt Dyn. AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

1. 641 pp 2 Takte 10 T 20 T T = 60

2 Takte 9 T 18 T

2 Takte 8 T 16 T

1 Takt 5 T 5 T T = 80

2. 648 p 2 Takte 8 T 16 T T = 60

1 Takt 5 T 5 T T = 80

3. 651 p 2 Takte 7 T 14 T T = 60

1 Takt 5 T 5 T T = 80

39

Page 42: Romitelli Analysis

Takt Dyn. AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

4. 654 mf 2 Takte 7 T 14 T T = 60

2 Takte 5 T 10 T T = 80

5. 658 sf poco 2 Takte 6 T 12 T T = 60

2 Takte 5 T 10 T T = 80

6. 662 sf poco 2 Takte 6 T + 5 T 11 T T = 60

2 Takte 5 T 10 T T = 80

7. 666 f 2 Takte 5 T 10 T T = 60

2 Takte 5 T 10 T T = 80

8. 670 f 2 Takte 5 T 10 T T = 60

2 Takte 5 T 10 T T = 80

9. 674 f 2 Takte 5 T 10 T T = 60

2 Takte 5 T 10 T T = 80

10. 678 ff 2 Takte 5 T 10 T T = 60

2 Takte 4 T + 5 U 6 T + 1 U T = 80

Tabelle 14

Au!allend hierbei ist die Verkürzung der ersten Hälfte der Abschnitte im Verlauf des Stü-

ckes, die einer quasi logarithmischen Entwicklung folgt (Tabelle 14: grau markierte Zellen).

Dieser Verkürzung wird eine, wenn auch geringe Ausdehnung und Ornamentierung der ff

-Akkorde entgegengestellt. Die dynamische Entwicklung stützt die zunehmende Steige-

rung des musikalischen Geschehens, indem sie (wie in der Introduzione und 1.) beständig

lauter wird (Tabelle 14: Dyn.).

Harmonisch organisiert sich der 4. Satz eigentlich aus nur einem harmonischen Feld, das

durchgehend vom gesamten Ensemble präsentiert wird. Der lang gehaltene Akkord wird

durch einen Akzent der Bläser, Gitarren und des Klaviers eingeleitet, woraufhin die Strei-

cher meist einen ähnlich strukturierten, aber mikrotonal veränderten Akkord dazu spielen

40

Page 43: Romitelli Analysis

(Notenbeispiel 11). Die einzige Ausnahme ist der erste Abschnitt (Notenbeispiel 11: 1.) bei

dem die Streicher sehr tief beginnen, jedoch schnell nach oben steigen, um dann den Ak-

korden des restlichen Ensembles zu folgen.

1. 2. 3. 4.

L

M

L

M

˙µ ˙µ ˙#µ˜ ˙µ#˜ ˙µµ# ˙˙µ˜

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˙µµ# ˙˙µµ ˙# ˙nBµ

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˙ ˙bw

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5. 6. 7. 8. 9. 10.

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˙µµ ˙˙˜µ ˙

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wwwwwn# wwwww

b

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˙˙w

˙˙#wb

˙˙n

˙ ˙ ˙ ˙b ˙Notenbeispiel 11

Aus der Intervallstruktur lässt sich kein Muster herauslesen, jedoch ist bemerkenswert, dass

die Oberstimme der Akkorde quasi exponentiell nach oben steigt, und die Akkorde sich im

weiteren Verlauf zunehmend auseinander spreizen. Außerdem kehrt der Bass, unabhängig

davon wie der Anfang des Taktes harmonisiert wird, mit einem Glissando immer wieder

zum tiefen D1 zurück (Notenbeispiel 11).

41

Page 44: Romitelli Analysis

Am Höhepunkt dieser Steigerung spielt die E-Gitarre ein sehr idiomatisches Solo mit der

Whammy bar (Takt 678, 679) und nach einem letzten Absturz des Klaviers zusammen mit

den Bläsern erö!nen die verzerrten Gitarren das Quarto Intermezzo.

3.9. „Quarto Intermezzo”

Die Elektronik des Quarto Intermezzo besteht aus zwei Komponenten: Zum einen spielen

verzerrte E-Gitarren ein d, das dreimal angeschlagen wird und sich jeweils durch Feedback

zu einem a transformiert. Darüber erklingt eine ebenfalls verzerrte Noise-Struktur, die an-

fangs noch eher tonal einem a zuzuordnen ist, sich gegen Ende des Intermezzos aber in

ein immer höher werdendes Noise-Crescendo verwandelt. Die Gitarren auf der Bühne spie-

len dasselbe wie die Gitarren aus der Elektronik, d.h. d-Powerchords und ein Feedback auf

den Ton a. Darüber hinaus akzentuiert das Klavier die Attacken der Gitarren mit ff -d-Okta-

ven und die Streicher crescendieren mit Tremoli über a in den 5. Satz hinein.

3.10. „5.”

Der letzte Satz ist in 18 Abschnitte gegliedert, die sich in fünf große Teile zusammenfassen

lassen (Tabelle 15). Abschnitte 1.–12. sind der Anfangsteil (A), bei dem die letzten beiden

Abschnitte 11. und 12. als Abschluss und Überleitung agieren. Abschnitt 13. ist ein kurzer

Mittelteil (B) der in den Schlussteil des Gesangs (C, Abschnitt 14.) mündet. Der letzte Teil (D)

besteht aus den Abschnitten 15.–18. und stellt ein instrumentales Finale dar, dem sich am

Ende eine Noise Cadenza anschließt.

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

A 1. 688 2 Takte 4 T 8 T T = 60

2 Takte 2 T 4 T

3 Takte 4 T 12 T

Summe: 7 Takte 24 T

2. 695 2 Takte 4 T 8 T

2 Takte 2 T 4 T

3 Takte 4 T 12 T

Summe: 7 Takte 24 T

42

Page 45: Romitelli Analysis

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

3. 702 2 Takte 4 T 8 T2 Takte 2 T 4 T

4 Takte 4 T 16 T

Summe: 8 Takte 28 T

4. 710 2 Takte 4 T 8 T

2 Takte 2 T 4 T

4 Takte 4 T 16 T

Summe: 8 Takte 28 T

5. 718 2 Takte 4 T 8 T T = 66

2 Takte 2 T 4 T

4 Takte 4 T 16 T

Summe: 8 Takte 28 T

6. 726 2 Takte 4 T 8 T

2 Takte 2 T 4 T

4 Takte 4 T 𝄆 2 T 2 T 𝄇 4 T 16 T

Summe: 8 Takte 28 T

7. 734 2 Takte 4 T 8 T

2 Takte 2 T 4 T

1 Takt 4 T 4 T

4 Takte 2 T 8 T

1 Takt 4 T 4 T

Summe: 8 Takte 28 T

8. 744 2 Takte 4 T 8 T T = 72

2 Takte 2 T 4 T

3 Takte 4 T 12 T

Summe: 7 Takte 24 T

43

Page 46: Romitelli Analysis

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

9. 751 1 Takt 4 T 4 T1 Takt 3 T 3 T

2 Takte 2 T 4 T

3 Takte 4 T 12 T

Summe: 7 Takte 23 T

10. 758 1 Takt 4 T 4 T T = 76

2 Takte 2 T 4 T

4 Takte 4 T 16 T

Summe: 7 Takte 24 T

11. 765 1 Takt 4 T 4 T

1 Takt 2 T 2 T

Summe: 2 Takte 6 T

12. 767 1 Takt 5 T 5 T T = 60

1 Takt 4 T 4 T

1 Takt 8 T 8 T

1 Takt 10 T 10 T

1 Takt 8 T 8 T

Summe: 5 Takte 35 T

B 13. 773 1 Takt 4 T 4 T

3 Takte 8 T 24 T

1 Takt 4 T 4 T

Summe: 5 Takte 32 T

C 14. 778 21 Takte 4 T 84 T

Ende GesangFinale

44

Page 47: Romitelli Analysis

Takt AnzahlAnzahl Taktart Gesamt Tempo

D 15. 798 13 Takte 2 T 26 T T = 76

16 Takte 2 U 16 T

16. 827 17 Takte 2 T / 3 T 34/51 T T / V = 76

2 Takte 2 T 4 T T = 76

17. 846 30 Takte 2 U 30 T ( + 3 T )30 T ( + 3 T )

18. 876 40 Takte 2 U 40 T

1 Takt 4 T 4 T T = 60

1 Takt 3 T 3 T

2 Takte 4 T 8 T

1 Takt 5 U 5 U

Tabelle 15

Die einzelnen Abschnitte in A sind jeweils ähnlich aufgebaut und weisen im Aufbau nur

geringfügige Abweichungen auf. Besonders die Dauer der Abschnitte 1.–10. ist fast immer

identisch (Tabelle 15: grau markierte Zellen), auch wenn manchmal die innere Zusammen-

setzung verändert wird (vgl. z.B. Abschnitte 5., 6. und 7.).

Der Beginn eines jedes Abschnittes ist geprägt durch vier zeitlich versetzte ff -Oktaven im

Klavier, die vom tiefen D1–D aufbauend sich nach oben arbeiten (vgl. z.B. Takt 688). Das

Klavier wird bei der D1–D Oktave von den verzerrten Gitarren unterstützt, während die an-

deren Oktaven von den Streichern verstärkt werden. Mit dem Einsatz der Bläser werden

diese Harmonien weiter nach oben getragen um danach mit immer derselben Akkordfolge

der Streicher zum D zurückzukehren und den Einsatz der Stimme vorzubereiten (vgl. z.B.

Takt 689–692).

45

Page 48: Romitelli Analysis

Anhand des folgenden Notenbeispiels lässt sich der harmonische Aufbau der Abschnitte

1.–12. erklären:

1. 2. 3.

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L nbbn

nbnn

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4. 5. 6.

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7. 8. 9.

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46

Page 49: Romitelli Analysis

10. 11. 12.

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Notenbeispiel 12

Die Oktaven im Klavier und in den Streichern werden, nachdem sie jede neue Phrase erö!-

nen, von den Streichern noch einmal aufgegri!en, dieses Mal jedoch als länger gehaltene

Schwellakkorde und harmonisch immer etwas versetzt. Im ersten Abschnitt z.B. erklingen

zuerst D1–D als konstanter Grundton, darauf dann es–es1, b–b1 und e1–e2 um danach von

den Streichern leicht entzerrt als es–e1, b–h1 und e1–f2 aufgegri!en zu werden (Notenbei-

spiel 12: 1.). Dieses Vorgehen lässt sich im ganzen Abschnitt A verfolgen, wobei die Okta-

ven entweder um einen Halbton gestreckt oder gestaucht werden. Außerdem sind diese

Oktaven noch zwei weiteren Prozessen unterworfen.

Zum einen "ndet eine zeitliche Komprimierung der Oktaveinsätze statt, da die Oktaven am

Anfang (Takt 688) durch je 1 T versetzt einsetzen und von da an immer weiter zusammen-

rücken, bis sie ab Takt 726 (vgl. Notenbeispiel 12: 6.) nur noch 1 W voneinander getrennt

einsetzen.

Der zweite Prozess, dem die Oktaven in den Abschnitten 1.–12. unterworfen sind, ent-

spricht einem Anstieg nach oben, der sich an den Grundtönen der Oktaven verfolgen lässt

(rot markiert). Dieser Anstieg fängt beim ersten Abschnitt mit einem es an und steigt dann

quasi chromatisch von Abschnitt zu Abschnitt höher bis zum d1 im Abschnitt 12. Das The-

ma des Aufsteigens ist auch Teil des im 5. Satz verwendeten Librettos HELLUCINATION 2_RI-

SINGIRL, das einen Gegensatz bildet zu den in den Sätzen 1.–3. ständig präsenten abstei-

genden Linien und Strukturen, die eher dem Thema des Ertrinkens gewidmet sind (HELLU-

CINATION 2_DROWNGIRL).

Eine weitere Besonderheit in der Harmonik des Anfangsteiles A ist die (oben bereits er-

wähnte) identische Akkordfolge der Streicher, Gitarren und der Posaune, die jeden Ab-

47

Page 50: Romitelli Analysis

schnitt beschließt (Notenbeispiel 13: blau markiert). Diese Jazz-artigen Akkorde kann man

als Fis-7,+9,+11 und Bmaj-7,+9,+11 beschreiben und modulieren mit zwei Großterzsprüngen im-

mer wieder zurück zum d.

Der Anfangsteil A endet im Abschnitt 12, nachdem das D wieder erreicht wurde, mit einer

ff -Noise- und Feedbacksection der Gitarren, die dem Quarto Intermezzo sehr ähnlich ist.

Die Stimme singt hier jedoch in höchster Lage ebenfalls im ff den Anfang des letzten

Songs (HELLUCINATION 3_EARPIERCINGBELLS).

In einem radikalen Schnitt bricht der Noise ab und das gesamte Ensemble setzt mit p -Ak-

korden der gedämpften Streicher ein, während die Bläser ihre Stimmpfeifen und Mund-

harmonikas verwenden. In diesem Mittelteil B (Tabelle 15: Abschnitt 13.) singt die Stimme

in pp in ein maximal aufgedrehtes Megaphon die Worte Jim Morrisons: Steel thrust sucking

space14. Harmonisch bewegt sich das Ensemble ständig zwischen zwei Ganztoncluster hin

und her (Notenbeispiel 14).

13

L‹L

M

˙n ˙#

˙ ˙˙ ˙Notenbeispiel 14

Der nächste Abschnitt C (Tabelle 15: Abschnitt 14.) ist mit sff sempre markiert und ist der

Höhe- und Schlusspunkt der Stimme, die in höchster Lage und weiten Sprüngen die letz-

ten Zeilen des Librettos singt. Das Ensemble ist reduziert auf Gitarren, Klavier und Streicher

und zeichnet sich durch eine monotone, die Schwerpunkte der Takte betonende Gestik

aus, die in ihrem Duktus einem „Heavy-Metal-Trauermarsch” gleicht. Harmonisch ist dieser

Abschnitt von weit gespreizten Akkorden mit vielen Oktavverdopplungen geprägt, die sich

in chromatischen Auf- und Abwärtsbewegungen um das Zentrum d herum langsam auf-

bauen (Notenbeispiel 15) und die am Ende in das instrumentale Finale überleiten.

48

14 Alessandro Arbo: The Heart of the Matter, S. 27.

Page 51: Romitelli Analysis

14

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Notenbeispiel 15

Das Finale (Tabelle 15: D, Abschnitte 15.–18.) gliedert sich in vier Abschnitte. Das strukturel-

le und harmonische Zentrum bilden die Rhythmusgruppe und die Blechbläser, während

Holzbläser und Streicher in sehr schnellen, virtuosen Linien, Sprüngen und Doppelgri!en

die strukturelle Entwicklung gestisch anreichern.

Der 15. und 16. Abschnitt haben harmonisch die Quinte d–a als Ausgangspunkt, von dem

aus sich Akkorde nach oben und unten symmetrisch auf- und wieder zufächern (Notenbei-

spiel 16.). Dieser Zyklus wird eineinhalb Mal durchschritten und endet mit einem ff -Ak-

kord in seiner weitesten Au!ächerung (Takt 844).

15 16

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Notenbeispiel 16

49

Page 52: Romitelli Analysis

Im darau!olgenden 17. Teil agiert die Quinte d-a ebenso als Ausgangspunkt, von dem aus

sich Akkorde in kleiner werdenden Wellenbewegungen wieder auf dieselbe Quinte ein-

pendeln (Notenbeispiel 17).

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17

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Notenbeispiel 17

Im letzten Abschnitt (Tabelle 15: Abschnitt 18) spielen die Streicher, Holzbläser und auch

das Klavier rasend schnelle Aufwärtslinien, die zunehmend leiser werden und sich nach

oben verlieren. Dabei erklingen von den Gitarren mit einem Bottleneck aufsteigende Glis-

sando-Akkorde, die dann ab Takt 904 ohne Bottleneck die glissandierten g-Moll Akkorde

der Introduzione wieder zitieren (Notenbeispiel 18). Nachdem das restliche Ensemble auf-

gehört hat, werden die g-Moll Akkorde der Gitarren noch zweimal angespielt und leiten

dann in die Cadenza über.

18

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Notenbeispiel 18

50

Page 53: Romitelli Analysis

3.11. „Cadenza”

Die Cadenza ist der letzte Teil in An Index of Metals und wurde, wie aus dem oben bereits

erwähnten Email-Austausch mit Jean-Luc Plouvier hervorging, nicht mehr von Fausto Rom-

itelli selbst komponiert, sondern per Telefon Paolo Pachini diktiert. Dabei bezog sich Rom-

itelli auf sein früher komponiertes Werk Trash TV Trance für E-Gitarre, indem er die Cadenza

als „in the style of Trash TV Trance” haben wollte.

In den 2:50 Minuten der Cadenza müssen die E-Gitarre und die Bassgitarre mit der elektro-

nischen Zuspielung improvisieren, die ebenfalls einer Noise-Improvisation gleicht. Im Ge-

gensatz zu den Intermezzi, die nur in den Stereo-Lautsprechern auf der Bühne präsent

sind, wird die Cadenza jedoch von den acht Surround-Lautsprechern abgespielt und um-

stellt den Zuschauer mit Klangwänden aus Verzerrung, Feedback und Noise. Dies ist auch

der einzige Moment im Video, an dem die abstrakten Lichtre$exionen konkret werden und

einen Müll-Recycler zeigen.15

4. Kontext und Zusammenfassung

Diese Arbeit beschäftigte sich vorwiegend mit der strukturellen bzw. kompositorischen

Analyse von An Index of Metals. Ohne Frage stellt dies nur eine unter vielen Perspektiven

auf das Stück dar und repräsentiert nicht die Mannigfaltigkeit dieser Oper. Zu viele Ele-

mente in diesem Werk verweisen auf musikalische und außermusikalische Kontexte, deren

adäquate Behandlung den Umfang dieser Arbeit sprengen würden. Dazu gehört z.B. Faus-

to Romitellis Vorstellung von allgemeinen Begri!en wie high art und low art, sowie von

Musik mit Noten und Musik ohne Noten. Über An Index of Metals müsste zusätzlich der As-

pekt der Fülle der Wahrnehmung und die Körperlichkeit besprochen werden, deren Bedeu-

tung Romitelli immer wieder betont hat, und die sich in diesem Werk z.B. durch die Klang-

fülle (keine Pausen, hoher akustischer Pegel), die Klangverräumlichung (Surround Sound

System) und durch synästhetische Elemente (Video, Licht) ausdrücken. Weiterhin müsste

noch genauer auf die Natur und den Kontext mancher Klänge eingegangen werden, die

manchmal bestimmte Archetypen aus der Popmusik zitieren (Classic Rock, Minimal

Techno, Noise) oder durch die Harmonik bestimmte Genres strukturell zitieren (Pentatonik,

51

15 Jean-Luc Plouvier hat es so beschrieben: „An Index of Metals is a violent self-requiem, treating the famous Bible phrase (,You are dust and to dust you will return’) and converting it into a ruthless ,You are garbage and to garbage you will return’. ”

Page 54: Romitelli Analysis

Powerchords, Pop/Jazz-Harmonien). Die Ö!nung der Autorenschaft durch die Zusammen-

arbeit mit Paolo Pachini sowie Pan Sonic wäre ebenfalls einer gründlichen Diskussion wert,

genauso wie eine eingehende Analyse des Videos im Zusammenspiel mit der Musik.

Für eine kurze interpretatorische Zusammenfassung lohnt sich der Blick zurück auf den

ersten Abschnitt in An Index of Metals, auf die Introduzione. Zwei Dinge sind daran beson-

ders au!allend: Zum einen wird Romitellis Umgang mit Material und Form in der Introdu-

zione quasi emblematisch dargestellt. Möchte man diese Methode auf das Wesentlichste

reduzieren, "nden sich die Stichworte Wiederholung – Verdichtung –Sprengung. Diese ein-

fache strukturelle Entwicklung liegt allen Teilen der Oper zu Grunde, deren klarste und ein-

fachste Ausprägung die ständig wiederholten, verdichteten und schlussendlich vom En-

semble subvertierten g-Moll Akkorde darstellen.

Für den letzten Gedankengang mache man sich die eingangs erwähnte Bemerkung wieder

bewusst, nach der jede Struktur und jede Geste immer verdoppelt, oktaviert oder anderweitig

angereichert ist. Es "ndet eine ständige Klangmischung statt, bei der die kleinste musikalische

Einheit immer schon ein komplexer Klang ist und nie nur ein Ton. Dabei stellt sich nun die Fra-

ge, wie sich diese Entwicklung in Gang setzt, da man etwas braucht was man danach an-

reichern kann. Wovon geht man aus, worauf greift man zurück, wenn alles, was auf der

Bühne von den Instrumenten gespielt wird, immer schon komplex ist, immer schon ver-

fremdet, oder, um mit Romitellis Worten zu sprechen, immer schon verschmutzt („nicht

sauber”16) ist? Es kann kein Instrumentalklang sein, der diese Entwicklung in Gang setzt,

sondern es muss die Elektronik sein. Betrachtet man die Introduzione unter diesem Ge-

sichtspunkt, kann man die Zuspielung als diese Vorwegnahme interpretieren, da die g-Moll

Akkorde des Pink Floyd Zitates der erste dem Zuhörer präsentierte Klang sind, der außer-

dem auch nicht angereichert ist, sondern in seiner Urform präsentiert wird. Erst danach

setzt das Ensemble ein und in seiner subversive Rolle fängt es an, den Klang zu verfremden

um am Ende das musikalische Geschehen zu dominieren.

Interessant ist hierbei nun, dass das, was vor der „Verschmutzung” liegt, eine nostalgische

Erinnerung darstellt in der Form eines elektronischen Samples, nämlich ein Zitat aus der

Rockgeschichte. Diese Tatsache kann man als emblematisch für den Zwiespalt des Kom-

ponisten Romitelli interpretieren, der sich in das Verlangen nach Form, Gestaltung und

Entwicklung als dem Kunstanspruch eines abendländisch geschulten Komponisten, und in

52

16 Fausto Romitelli: Im Hochhofen einer rituellen Soundmesse.

Page 55: Romitelli Analysis

das Verlangen nach Unmittelbarkeit, Direktheit, körperlicher Daseinserfahrung, unhinter-

fragtem Rausch bzw. nach der Naivität einer nicht gespaltenen Musikwahrnehmung (E-

und U-Musik) unterteilt. Diese ersehnte Unmittelbarkeit der Emp"ndung kann Romitelli

nicht komponieren, sondern er muss sie zitieren und sich daran abarbeiten. Unter diesem

Blickwinkel erscheint An Index of Metals als ein kämpferisches, waghalsiges Ab- und Weg-

arbeiten des eigenen Zwiespaltes, um am Ende die E-Gitarre und die Bassgitarre, die bei-

den Instrumente, die wie keine anderen Romitellis Klangsprache geprägt haben, in den

letzten Takten des Werkes (Takt 916, vor der Cadenza) eben diese nostalgische Erinnerung

in ihrer Urform, rein und nicht angereichert, auf die Bühne bringen zu lassen und den

Komponisten mit sich selbst versöhnen.

53

Page 56: Romitelli Analysis

5. Anhang

Harmonische Analyse des 1. Satzes (Streicher).

Rot markierte Noten sind identische Wiederholungen des vorhergehenden Akkordes.

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54

Page 57: Romitelli Analysis

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55

Page 58: Romitelli Analysis

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56

Page 59: Romitelli Analysis

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57

Page 60: Romitelli Analysis

6. Literaturverzeichnis

■ Fausto Romitelli / Paolo Pachini: An Index of Metals. Ictus Ensemble. Cypres CYP5622.

Brüssel 2006.■ Alessandro Arbo: The Heart of the Matter. CD-Booklet in: Fausto Romitelli / Paolo Pachini:

An Index of Metals. Ictus Ensemble. Cypres CYP5622. Brüssel 2006.■ Jean-Luc Plouvier: Vorwort zu: Alessandro Arbo: The Heart of the Matter. CD-Booklet in:

Fausto Romitelli / Paolo Pachini: An Index of Metals. Ictus Ensemble. Cypres CYP5622.

Brüssel 2006, S. 24.■ Jean-Luc Plouvier: Fausto Romitellis Requiem. Anmerkungen zu «An Index of Metals», in:

Katalog Wien Modern 2004, hrsg. von Berno Odo Polzer und Thomas Schäfer. Saar-

brücken: Pfau 2004, S. 240 f.■ Fausto Romitelli: Im Hochhofen einer rituellen Soundmesse. Zu „Index of Metals”, in: Kata-

log Wien Modern 2004, hrsg. von Berno Odo Polzer und Thomas Schäfer. Saarbrücken:

Pfau 2004, S. 239.

58


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