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Roland Baader EURO · französische Politiker spätestens seit der Montanunion des Jahres 1952...

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Die EURO- Katastrophe Roland Baader Die EURO- Katastrophe Für Europas Vielfalt, gegen Brüssels Einfalt Die Mahnung aus dem Jahr 1993 mit einem aktuellen Geleitwort von Carlos A. Gebauer
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Die EURO-Katastrophe

Roland Baader

Die EURO-Katastrophe

Für Europas Vielfalt, gegen Brüssels Einfalt

Die Mahnung aus dem Jahr 1993

mit einem aktuellen Geleitwort von Carlos A. Gebauer

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Das Buch: Dies war 1993 die wohl umfassendste kritische Auseinander-setzung mit den Brüsseler Plänen für die Europäische (Politische undWährungs-) Union, wie sie im Vertrag von Maastricht manifest gewordensind. Im Unterschied zu den herkömmlichen EG-Skeptikern, die meist ausder nationalistischen Ecke kommen, legt hier ein klassisch-liberalerFreund der europäischen Idee alle konzeptionellen Fehler, Irrtümer, Män-gel und Schwächen des politisch-bürokratischen Parforceritts in denEuro-Staat bloß und schildert die verhängnisvollen Konsequenzen derüberstürzten Unierungsmanie der Brüsseler Technokraten. Baadersscharfsinnige Analyse ist zugleich eine mutige Streitschri gegen jeneFunktionärscliquen, die mit einer Kombination aus Realitätsignoranz undMachtarroganz einen bürgerfernen und zentralistischen Superstaat er-richten wollen, ein Europa vom Reißbrett der Sozialingenieure, und dieletztendlich die großartige europäische Idee zerstören werden.

Der Autor: Roland Baader (1940-2012) war Privatgelehrter und freier Autor. Nach dem Studium der Volkswirtschaslehre, u. a. beim späterenNobelpreisträger Friedrich August von Hayek, war er 20 Jahre als Unter-nehmer tätig, bevor er sich ganz der Publizistik widmete. Er schrieb zahl-reiche vielbeachtete Bücher und Hunderte Fachartikel in verschiedenenPublikationen. Roland Baader bekannte sich zur „aussterbenden Spezies“klassisch-liberaler Denker. Seine Arbeit, ganz der Tradition klassisch- bisordo-liberaler Philosophen und Nationalökonomen verpflichtet (vonAdam Smith über Edmund Burke und Alexis de Tocqueville bis Ludwigvon Mises, Friedrich A. von Hayek, Franz Böhm, Wilhelm Röpke undLudwig Erhard), richtete sich hauptsächlich auf ein leidenschalich ver-folgtes Ziel: Geist und Inhalt der großen Freiheits-Lehren aus ihrer oakademisch-vergilbten Diktion in eine lebendige Alltagssprache zu über-setzen und sie – jeweils auf drängende Zeitprobleme projiziert – auf dieseWeise dem gebildeten Ökonomie-Laien verständlich zu machen.

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Roland Baader

DIE EURO-KATASTROPHEFür Europas Vielfalt – gegen Brüssels Einfalt

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© 1993 by Roland Baader. Von den Erben und dem Autor des Geleitworts 2017 lizensiert zur nicht-kommerzielen Weitergabe ohne Änderungen mit Namensangabe: CC-BY-NC-ND. http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/legalcode.de.Anzugebende Autoren: Roland Baader, Carlos A. Gebauer.Zum 25-jährigen Jubiläum neu herausgegeben von Daniel Baader. Lektoratund Layout: Stefan Blankertz ([email protected]). Das Buch liegt vor alskostenloses eBook (.epub und .mobi) sowie als pdf. Es ist in alter Recht-schreibung verfaßt und so sollte es bleiben. Impressum: Daniel Baader, See-blickstrasse 6, CH-8272 Ermatingen.

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INHALT

Geleitwort zur Neuausgabe 2018 von Carlos A. Gebauer 9

Ein Eingeständnis 31Vorwort 33

Erstes Buch: Europa und die MenschenI. Kann (und sollte) Europa eine multikulturelle Gesellschaft werden?

1. Was ist Kultur – und was nicht? 372. Kultur macht auch aua 373. Gibt es eine europäische Kultur? 384. Gibt es multikulturelle Gesellschaften? 415. Ist Europa eine Multikultur? 436. Was verbirgt sich hinter dem Multikultur-Begriff? 447. Was hat Multikultur mit Asyl und Immigration

zu tun? 498. Fazit 53

II. Europäische Sicherheit: Realistische Perspektive oder gefährliche Illusion?

1. Macht eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Europa sicherer? 55

2. Kann die WEU ein „Pfeiler der Nato“ sein? 613. Wie wackelig ist die Nato bereits? 674. Ist Europa als politische Union sicherer? 705. Fazit 73

III. Sozialeuropa: Idee und Wirklichkeit der „menschlichen“ Dimension der EG

1. Was ist unter „Sozialeuropa“ zu verstehen? 772. Was bedeutet Sozialeuropa wirklich

– und was werden seine Folgen sein? 97

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a. Produktivitätssklerose – oder die noch neuere Armut 101

b. Massenarbeitslosigkeit – oder die unendlich lange Freizeit 105

c. Sozialtourismus – oder: Das Wandern ist des Schnorrers Lust 109

d. Kapitalzerstörung – oder: Geld zum Fressen, aber sonst nichts 111

e. Eurosteuern – oder die Finanzierung des organisierten Gebrechens 114

f. Solidarbankrott – oder North Dakota in Europa 117

g. Politische Willkür – oder GULAG mit Komfort 120

3. Fazit 123

Zweites Buch: Europa und die Institutionen I. Braucht Europa eine Verfassung?

1. Ist der Nationalstaat ein Auslaufmodell? 1412. Profi-Modelle für eine europäische Verfassung 1463. Großeuropäische Verfassungs-Romantik 1594. Welche Verfassung Braucht Europa? 175

II. Demokratie-Defizit und Defizit-Demokratie1. Besteht in der EG Ein »Demokratie-Defizit«? 1812. Kann das Demokratie-Defizit behoben werden? 1903. Das eigentliche Demokratie-Defizit in Europa 193

III. Ist Der Föderalismus in Europa noch zu retten?1. Wie föderalistisch ist Deutschland? 1992. Europa der Regionen:

Beteiligungsföderalismus stattKompetenzföderalismus 202

3. Subsidiarität: Die große Heuchelei 209

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IV. Ist die Lenkungssucht der Euro-Bürokratie vermeidbar?1. Vom (Un)Wesen der Bürokratie 2152. Das Tor zum Euro-Interventionismus:

Industriepolitik 2213. Die Festung Europa 2274. Ein Abgesang 234

Drittes Buch: Europa und das GeldI. Was erwartet den Steuerbürger in Euroland?

1. Europäische Unternehmensbesteuerung: „Harmonie“ als Gleichschaltung des Ungleichen 235

2. Das gemeinsame Mehrwertsteuerverfahren:Karrieresprungbrett in den Knast 238

3. Ein »Europa der Steuerbürger« oder »Kleptokratie ohne Grenzen«? 243

II. Die Europäische Währungsunion und ihre voraussichtlichen Folgen

1. Eine kurze Vorgeschichte 2512. Was ist ein »stiller Staatsstreich«? 2573. Glanz und Elend des EWS 2634. Fixe und flexible Wechselkurse 2735. „Vorbild“ deutsche Währungsunion? 2816. Die Inflationsmaschine 2887. Droht mit Einführung der Einheitswährung

eine Währungsreform? 3068. Warum also eine Europäische Währungsunion? 3139. Geschichte, Märchen und neudeutsche Legende 324

III. Ein Teufelskreis aus Geld und Politik 331

Anhang Eine kleine Blütenlese aus Anti-Maastricht-Zitaten 335Literatur 349

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GELEITWORT ZUR NEUAUSGABE 2018von Carlos A. Gebauer

Im Jahre 1748 schenkte Charles-Louis de Secondat, Baron deLa Brède et de Montesquieu der Welt sein bis heute unverges-senes, staatsphilosophisches Werk „Vom Geist der Gesetze“.Er entwickelte dort unter anderem seine eorie über das Be-ziehungsgeflecht zwischen den Gesetzen eines Landes undden Sitten der dort lebenden Menschen. Notwendigerweiseentstehe nämlich gerade wegen dieses Zusammenhanges injeder Nation ein besonderes, einzigartiges Normengewebe,das sich den natürlichen Gegebenheiten des Ortes und dentraditionellen Üblichkeiten ihrer Bürger punktgenau anpas-se. Jener beinahe organische Zusammenhang aus faktischemDasein und normativem Sollen sei auch die ganz wünschens-werte Grundlage für ein nachhaltig geordnetes Zusammen -leben im Staat: „Denn nichts tun wir so gut wie das, was wiraus freiem Willen und unserer Natur entsprechend tun.“Im 25. Jahr nach dem Erscheinen der „Euro-Katastrophe“ istdieses traditionelle Wissen der europäischen Staatsphiloso-phie und sind die feingliedrigen Sensibilitäten für historische,landschaliche, klimatische, künstlerische, musikalische, in-stitutionelle, familienpsychologische oder selbst mikrosozialtraditionstypische Prägungen den führenden Politikern inDeutschland offenbar abhanden gekommen. In einem e-senpapier zu kultureller Integration und gesellschalichemZusammenhalt ließ die sozialdemokratische Integrations -beauragte der Bundesregierung – eine zugleich stellvertre-tende Kuratorin des Deutschen Historischen Museums undder Stiung „Haus der Geschichte“ – wissen: „Eine spezifischdeutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht iden-tifizierbar“.Klarer als mit dieser vermeintlich unmöglichen Identifizier-

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barkeit der o beschriebenen „deutschen Seele“ hätte die inHamburg geborene Migrationspolitikerin ihr fehlendes Ge-spür für die spezifisch deutschen und europäischen Befind-lichkeiten kaum unter Beweis stellen können. Denn die Tat-sache, daß Deutschland und Europa in diesen Jahrzehntenebenso tragisch ungebremst wie fatal vielschichtig in die vonRoland Baader beschriebene Euro-Katastrophe abglitten undabgleiten, findet ihre Ursache bei genauerer Betrachtungeben nirgendwo sonst als in eben diesem von dem BaronMontesquieu beschriebenen Zusammenhang aus kulturellerBefindlichkeit und (noch immer) weithin akzeptierten Ge-setzesnormen.Denn Deutschlands europäische Nachbarn belächeln dieDeutschen zwar wegen ihrer legendären Ängste so sehr, daßdas Wort von der „German Angst“ inzwischen sogar – ebensowie die Vokabel „Weltschmerz“ – in den englischen Wort-schatz übernommen ist. Doch auch die anderen europäischenPlayer sind nicht frei von eigenen Befürchtungen: So legenfranzösische Politiker spätestens seit der Montanunion desJahres 1952 immer wieder ganz offen den größten Wert auf dieorganisatorische Einhegung und Einbindung Deutschlands,um friedenstiende supranationale Zusammenarbeit vor-sorglich auch gleich mit einer Verunmöglichung nationalerAlleingänge ihrer östlichen Nachbarn zu paaren. Und von Briten, die 1990 aus London nach Deutschland geschickt wur-den, um über die deutsche Wiedervereinigung zu verhandeln,wird berichtet, sie hätten einen „starken Hang zum Selbstmit-leid“ ihrer Gesprächspartner sowie „den Wunsch, gemocht zuwerden“ festgestellt. Margaret atcher überlegte demnachsogar, russische Truppen vorsorglich möglichst lange in Ost-deutschland stationiert zu halten: „Vielleicht brauchen wir sienoch eines Tages, um ein vereintes Deutschland in Schach zuhalten“.

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Wer diese wechselseitigen Grundperspektiven der binnen -europäischen Betrachtung mit ihren unabsehbar kleinteili-gen Konsequenzen auf den Alltag dieses Kontinentes nicht inseine Welterkenntnis einbezieht, der muß zwangsläufig ohnejede Chance bleiben bei dem Versuch, die kulturellen Befind-lichkeiten in Deutschland und Europa in ihrem Kern zu ver-stehen. Denn die Sorge der europäischen Staaten vor einemunbeherrschbaren Deutschland in ihrer Mitte paart sich justmit der beschriebenen, traditionell innerdeutschen Angst vorallen denkbaren und undenkbaren Schicksalsschlägen. Diesscha natürlich ein dem Außenstehenden verborgenes, dochsehr spezifisches Wechselspiel der regionalen, nationalen undinternationalen Kräe. Gerade weil die „German Angst“nämlich so prägend ist für Deutschland und die Deutschen,läßt sich mit ihr innerhalb dieses Landes so geschmeidig Po-litik betreiben; vor allem dann, wenn man die Bereitschabesitzt, im rücksichtslosen politischen Eigeninteresse Ah-nungslosigkeit, Unaufmerksamkeit und Überforderung derweit verstreuten Bürger auszunutzen.Nicht ohne Grund läßt sich daher auch jeder im deutschenBundestag vertretenen Partei problemlos eine spezifischeAngst zuordnen, vor der sie ihre Wähler zu bewahren ver-spricht: Das ehemals konservative Lager der christlichen Par-teien jongliert mit der Angst vor Wohlstandsverlusten, So -zialdemokraten mit der Angst vor sozialem Abstieg, Kom-munisten mit der Angst vor Altersarmut, grüne Politiker mitder Angst vor dem Zusammenbruch der Umwelt, Liberalemit der Angst vor Unvernun in der Politik und die soge-nannten rechten Politiker mit der Angst vor Überfremdungund staatlichem Kontrollverlust. Jeder deutsche Kanzler seitBismarck wußte: Die vielgestaltigen Ängste der deutschenBevölkerung sind natürlich der ideale Humus, um darauf einen für seine Verwalter reiche Früchte tragenden Sozial-

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staat zu züchten. Die Ausdehnung der innerdeutschen Stabi-litätspolitik auf ganz Europa und das beruhigende Verspre-chen, mittels politischer Instrumente Frieden und wachsen-den Wohlstand zu garantieren, stellt sich in diesem Kontextfaktisch als Versuch dar, den angesehenen Bonner Sozialstaatauf den ganzen europäischen Kontinent auszudehnen. Werdie Wohltaten bringt, der wird gemocht und nicht gefürchtet.Wer die Sicherheit garantiert, dem fliegen die Herzen derÄngstlichen zu. Wer heute satt ist und zufrieden, der fragtnicht, wie es morgen um ihn wirtschalich und wie es über-morgen um ihn politisch bestellt sein wird.Roland Baader gehörte zu denen, die früh erkannten, wie trü-gerisch und brüchig diese wirtschas- und währungspoliti-sche Sedierung des europäischen Bürgers war und ist. Indemer zur Feder griff, um 1993 vor der „Euro-Katastrophe“ zuwarnen, setze er sich Kritikern aus, die ihm – wie allen ande-ren Hellsichtigeren – geradezu reflexha eine anti-europäi-sche Haltung vorwarfen. Teils wuchtige und vor tiefer Empö-rung geradezu aufschreiende Formulierungen haben seinenGegnern zuweilen die Vorlage geboten, den akademischenGehalt seiner Darlegungen in diabolischer Rhetorik anzu-zweifeln. Tatsächlich aber zählt Roland Baader, ganz im Ge-genteil, zu den intellektuell sattelfesten und moralisch her -ausragenden, vorbildlichen Europäern, die auf der Grund lageeigenen demütigen Lernens, Forschens, Verstehens und Er-klärens die kulturellen, wissenschalichen, rechtlichen undökonomischen Kontexte dieses Kontinents erfaßt und ver-mittelt haben. Aus heutiger Sicht wirkt die „Euro-Katastrophe“ aus demJahr 1993 gleichsam wie eine hellsichtige Prophetie dessen,was wir seither in Europa politisch wie wirtschalich sahenund sehen. Sie ist zugleich auch eine Quelle, aus der sich gutmaßgebliche Details und verständliche Argumente für Parla-

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mentsreden schöpfen lassen. Wer also die Prinzipien undPrämissen einer wirklich tragfähigen Ökonomie und einersubstantiell friedenstienden Politik erfahren möchte, dersollte zur Lektüre dieses Buches greifen. Denn wenn sichnach 1993 beinahe alles genau so entwickelte, wie es RolandBaader 1993 voraussagte, dann spricht natürlich vieles –wenn nicht alles – dafür, daß die Instrumente seines Weltver-ständnisses eher richtig als falsch sind. Und wenn diese In-strumente in den vergangenen 25 Jahren für zutreffende Er-kenntnisse gesorgt haben, dann deutet darüber hinaus auchalles darauf hin, daß sie uns in der weiteren Zukun richtigleiten werden. In seinem dreigliedrigen Werk über die Euro-Katastrophe ar-beitete sich der äußerst belesene Roland Baader zuerst ebensodetail- wie kenntnisreich durch die gesellschalichen Proble-me jener (im Kern natürlich paradoxen) Multikulti-Zentral-kultur, die bis heute aus Brüssel proklamiert wird, um sodanndie Institutionen der nun „Europäische Union“ heißendenPolitkonstruktion zu beleuchten. In seinem dann dritten undabschließenden Schritt beschrieb er die absehbaren Dysfunk-tionalitäten einer vereinheitlichten Währung und eines „har-monisierten“, d.h. gleichgeschalteten Steuersystems. Im Rückblick fällt auf, wie sehr auch schon vor 25 Jahrensachliche Kritiker der Überverwaltung als rückständige Na-tionalisten und Reaktionäre verunglimp wurden, statt sichmit ihren Einwendungen inhaltlich auseinanderzusetzen.Insgesamt bestätigt sich der Eindruck, daß der seinerzeitigewie heutige Hurra-Utopismus der organisierten EG-Institu-tionen einer jeden rationalen Basis jenseits schierer Macht-politik ermangelt. Der geneigte Leser erkennt nicht ohne Er-schütterung, mit welchem Weitblick Roland Baader die kom-menden Jahrzehnte überschaute. Lange vor dem migrations-politischen Versagen der Kanzlerin Merkel ab dem 4. Sep-

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tember 2015 formulierte er: „Möge Europa so gastfreundlichsein, wie dies einer jeden Kultur und zumal einer christlichenals Aufgabe und Anspruch gebührt […]. Doch möge Europaniemals so töricht sein, die Türen und Fenster des Hauses Tagund Nacht offenstehen zu lassen. Die Gäste, die dann kom-men, werden mehr als eine Mahlzeit und ein Gespräch ver-langen. […] Es zeichnet sich jedenfalls ab, daß sich die 800-jährige Reconquista in Spanien (722 bis 1492) ab der bevor-stehenden Jahrtausendwende in Europa mit umgekehrtenVorzeichen abspielen wird. Und sie wird weniger als 800 Jah-re benötigen.“Roland Baader warnte davor, ein pluralistisches Miteinanderverschiedener Kulturen in ein Projekt umschlagen zu lassen,in dem jene unterschiedlichen Kulturen zu einem multikul-turellen Einheitsbrei verrührt werden. Denn dies werde amEnde nur zu einer Auslöschung der ursprünglichen Kulturenund dadurch zu einem Zustand der Unkultur führen. Geradeder zentraleuropäische Trend des 20. Jahrhunderts, Men-schen zu religiösen Analphabeten zu erziehen, führte in derEinschätzung Roland Baaders dazu, daß Christen sich mehrund mehr die Hand von tonangebenden Nicht-Christen füh-ren ließen: „Nach der überwiegenden bis totalen Politisie-rung der Schulen und Hochschulen, der Medien und Infor-mationsträger, des Arbeitslebens und des Gesamtbereichs des,Sozialen‘ inklusive der Kirchen, soll nun die letzte Bastion,konservativen‘ und ,bürgerlichen‘ Lebensgefühls, nämlichdie Kultur im weitesten Sinne, durch vollständige Relativie-rung (Beliebigkeit) lächerlich (,altmodisch‘) gemacht und aufjenen Rest minimalisiert werden, den man als ,Politische Kul-tur‘ domestizieren, dominieren, tabuisieren und dem ,sozia-len‘ (sprich: sozialistischen) Parteidiktat unterwerfen kann.“Sorgenvoll zitiert Roland Baader den Züricher Soziologenomas A. Becker mit seiner Warnung vor kultureller Ein -

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ebnung durch „Multikulti“ als der „Gretchenfrage der Mo-derne“. Und nochmals, geradezu prophetisch, formuliert er:„Multikultur erweist sich nicht als friedensstiend, sondernals Systematik der Konfliktüberflutung. Unheil erwächst denEuropäern aus einem Zuviel an Aufnahmebereitscha fürnicht-integrationswillige und nicht-assimilationsfähige Men-schen außereuropäischer Kultur- und Religionszugehörig-keit. In einer politischen Union wird Europa mit einer unab-sehbaren Menschenlast seines kolonialen Erbes konfrontiertwerden. Wohin die Reise geht, zeigt die Dubliner Konventionvom Juni 1990. Das Übereinkommen besagt, daß künig dererste in irgendeinem EG-Land gestellte Asylantrag Wirkungfür das gesamte Gemeinschasgebiet haben soll. Glaubt je-mand im Ernst, daß ein Neuankömmling, dem man in Grie-chenland oder Portugal Asyl gewährt, in diesen Ländern blei-ben wird, wohlwissend, daß ihm in Deutschland weit höhereLöhne und ein wesentlich bequemeres Sozialnetz erwarten?“Hätte man im deutschen Kanzleramt die „Euro-Katastrophe“schon 1993 gelesen, dann würden sich der 4. September 2015und seine Folgen anders dargestellt haben.In der Betrachtung der sicherheitspolitischen ArchitekturEuropas plädierte Roland Baader für einen atlantischen Zu-sammenschluß unter dem Dach der NATO. Denn er hielt fürfraglich, ob eine von jahrzehntelang gesichertem Dasein ver-wöhnte europäische Bevölkerung noch das hinreichendeVerständnis haben werde, welche inneren und äußeren Kräf-te zusammenwirken müssen, um die einmal etablierte, hoch-komplizierte Zivilisation zu erhalten. In großer analytischer Schärfe erspürte Roland Baader bereitsdie aueimende Interessenlage der USA innerhalb derNATO. Nicht mehr fern sei der Tag, an dem in den USA derRuf ertönen werde „Stecken wir unser Geld in unser eigenesLand!“. Daß sich durch eine Abspaltung Europas von den

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USA die Sicherheitslage in Europa aber keinesfalls vereinfa-chen werde, beschrieb er unter Hinweis auf die Unterschied-lichkeit der Nationalitäten innerhalb Europas: „In Anbe-tracht der deutlichen Unterschiede der europäischen Natio-nen hinsichtlich Mentalität, Geschichte, Parteienstruktur,ökonomischem Potential, geostrategischer Lage und gravie-rend differierender Bindungen zu (vielfach sprachverwand-ten) Nachbarländern kann es in einer Politischen Europa-Union keine wirksame einheitliche Sicherheitspolitik geben.In einem Gebilde aus derart heterogenen Interessenträgernist Einheitlichkeit ein logischer Widerspruch in sich selbst.“Den genauen Kontrast zum Respekt vor diesen Unterschied-lichkeiten markiert das Bestreben der Zentralisierungsbefür-worter, alles und jeden in Europa mit einem Einheitsmaß zumessen. Die Kluen und Abgründe zwischen den verschie-denen Ländern und Nationen der Gemeinscha werden seitjeher als bloße „Wettbewerbsverzerrungen“ verharmlost, diees durch Umverteilung zu entzerren gelte: „Nicht sehen willman, daß als Folge solchen Treibens die Transferzahlungender Starken an die Geschwächten ins Uferlose wachsen undsomit als finanzieller Aderlass auf die eigenen Bilanzen zu-rückschlagen müssen.“Immer wieder scheint in den Darlegungen Roland Baadersdas spezifische Gefahrenpotential des Totalitarismus durchUmverteilung und – mit ihm – die Warnung vor den zentral-staatlichen Usurpatoren auf: „Es ist kein Zufall, daß alle Des-potien der Geschichte zentralistisch angelegt waren“. Indemdie europäische Zentralverwaltung mehr und mehr zu einembürokratisch-konstruktivistischen Sonderprojekt entartet,werden die Spielräume für gesunde, spontane, dezentraleEvolutionen immer geringer. Das glückverheißende „Sozial-europa“ faßte Roland Baader in Kurzform zusammen:„Schleichender Sozialismus und Freiheitszerstörung. Das ist

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keine pessimistische Implikation, sondern eine realistische.Man braucht hierüber nicht zu spekulieren. Die Reiseroutesteht fest.“ Tatsächlich muß dem sensiblen Bürger die auei-mende Mischung aus politischen Zentralisierungsgelüsten,überwachungs- und steuerungstechnischen Digitalisierungs-potentialen und sprachlich-kulturell diversifizierter (und da-mit also faktisch außer Kra gesetzter) öffentlicher Kontrolleden kalten Schauer über den Rücken jagen.Als Volkswirt wußte Roland Baader die Kennzahlen der be-teiligten Nationalökonomien sehr wohl zu deuten. Er ver-glich beispielsweise die Arbeitskosten Portugals mit denender Bundesrepublik Deutschland und stellte fest, daß ein por-tugiesischer Arbeiter im Jahre 1990 nur 19 Prozent der Pro-duktivität eines deutschen Arbeiters erbracht hatte. Nicht nurdeswegen war ihm klar: „Hieraus wird ersichtlich, welcheverheerenden Konsequenzen fixe oder gar – mittels einerWährungsunion – entfallende Wechselkurse zeitigen kön-nen.“ Die Arbeitslosigkeit müsse unter solchen Bedingungen„weit über das bisher gekannte Maß hinaus“ ansteigen. Aller-dings werde kein zur Ausgleichung gezahlter Betrag ausrei-chen können, um diese Leistungsgefälle zu beseitigen, „weilTransfers dieser Art die Leistungsanreize der Beschenktenmit jeder Übertragung noch weiter senken“ und die Lei-stungskra der Geber „mit jedem Zwangstransfer progressivaustrocknet“. Wer könnte angesichts des Bail-Out-Dramas inGriechenland an diesen Sätzen zweifeln?Wer in den Tagen kurz vor und nach der deutschen Bundes-tagswahl im September 2017 die Reden des Kommissions-präsidenten der Europäischen Union und des französischenStaatspräsidenten zur Erweiterung der EU mit eigenen Steu-erhebungsrechten Brüssels gehört hat, dem müssen die SätzeRoland Baaders aus dem Jahre 1993 in erschreckender Weisenoch prophetischer erscheinen: „Wie schon bei den Euro-

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Beiträgen und den verschiedenen Fonds, so sollen auch dievon der EG in supranationaler Hoheit neu zu erfindendenund zusätzlich zu den nationalen Steuern zu erhebendenSteuern und Abgaben künig die reichen Länder auf der Er-hebungsseite progressiv stärker belasten und auf der Verwen-dungsseite degressiv weniger begünstigen als die ärmeren.“Indem die Zentralisierer und Verstaatlicher dem Bürger im-mer mehr seiner privaten Freiheiten und Dispositionsbefug-nisse entziehen, engen sie seine individuellen Handlungs-spielräume immer weiter ein. Solange der Bürger aus solchenStaatsgebilden wenigstens auswandern kann, sorgt alleinedies für eine gewisse Disziplinierung der Staaten. Wird demBürger jedoch auch dieses Ausweichen durch die termino -logisch als „Harmonisierung“ verharmloste Gleichmachungder Lebensverhältnisse überall verunmöglicht, geht zuletztauch dieser letzte verbliebene Rest bürgerlicher Freiheit ver-loren: „Wohin sollen die Menschen fliehen, wenn ihre Ab-stimmung mit den Füßen überall in die gleichen Amtsstubenführt?“ Der Baseler Professor Peter Bernholz hatte gemein-sam mit Kollegen im Jahre 1990 einen alternativen Verfas-sungs-Rahmenentwurf für Europa veröffentlicht. Dort plä-dierte er zwar durchaus für einen europäischen Bundesstaat,stellte aber klar, dessen Zentralgewalt drastisch zu begrenzen:„Die Mitgliedstaaten haben das Recht, aus der Gemeinschaauszutreten. Provinzen oder Gemeinden können sich mittelsMehrheitsentscheidung ihrer Bevölkerung von ihrem bis -herigen Staat trennen und sich einem anderen Mitgliedstaatanschließen, sofern dessen Bevölkerung mehrheitlich zu-stimmt.“ Jene Verfassungskonstruktion erwies sich jedochfür die machtbewußten Zentralstaatler als bei weitem zu bür-gerfreundlich. Was die EU hier nicht erlaubt, gestattet übri-gens seit der Verfassungsreform des Jahres 2003 das Fürsten-tum Liechtenstein seinen Gemeinden. Mag jeder Europäer

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selbst beurteilen, wo ein Raum der Sicherheit, der Freiheitund des Rechtes besser verwirklicht ist.Die Kreativität der Bürokraten bei der Umgehung ihrer eige-nen, fundamentalen Gründungsdogmen zur europäischenEinigung wird von Roland Baader als faktisch unbegrenztentlarvt. Insbesondere die Aushöhlung des verfassungsrecht-lichen Subsidiaritätsprinzips durch die Brüsseler Zentralver-waltung erschien schon ihm als geradezu diabolisch. Er zi-tierte hierzu aus einem Tagungsprotokoll des EuropäischenRates in Lissabon Ende Juni 1992. Einerseits warnen die dor-tigen Verfasser vor der Gefahr, daß mit jedem erweiterndenBeitritt zur Union eine Überlastung und Lähmung der Ge-meinscha eintreten könnte, weswegen „der Grundsatz derSubsidiarität viel rigoroser befolgt werden“ müsse. Am Endedes Protokolls wird andererseits diese Bezugnahme auf dasSubsidiaritätsprinzip faktisch wieder in ihr Gegenteil ver-kehrt, indem die Kommissionäre zwischen Entscheidungs -befugnis und Durchführungsbefugnis der Mitgliedstaatendifferenzieren, „wobei letztere häufig dezentralisiert werden“solle. In den Worten Roland Baaders bedeutet dies lediglicheinen „dezentral delegierten Handlangerdienst für allmächti-ge Entscheidungszentralisten“. Im bundesrepublikanischenKommunalrecht sprechen Juristen von „Pflichtaufgaben zurErfüllung nach Weisung“. Um nichts anderes geht es. Für denebenso weitgehend unterlaufenen bundesrepublikanischenFöderalismus beschreibt Roland Baader ein vergleichbaresPhänomen dort, wo der grundgesetzliche Kompetenzfödera-lismus zu einem bloßen Beteiligungsföderalismus verdünntwird. Die Zentrale befiehlt, die Peripherie gehorcht.In der seinerzeitigen Debatte dominierte bisweilen das Wortvon einem Demokratie-Defizit in der Europäischen Gemein-scha. Roland Baader hingegen riet bereits, sich eher „überdie Erosion der rechtsstaatlichen Fundamentalprinzipien

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beunruhigt“ zu zeigen und bei alledem auch keine großeHoffnung auf das Bundesverfassungsgericht zu setzen. Denn:„Auch diese Hoffnungen trügen.“ Fatal klingen in den Ohreneines Juristen die von Roland Baader zitierten Worte des ita-lienischen Ethikers Angelo M. Petroni: „Wenn es etwas gibt,was uns die politische Geschichte der letzten hundert Jahregelehrt hat, dann ist es genau das, daß Verfassungen ein weit-gehend untaugliches Mittel zur Beschränkung von Machtzu-wachs sind. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß dieseLehre bei der Heranbildung einer neuen Macht – wie es dieEuropäische Union notwendigerweise sein wird – nicht mehrgültig sei.“Selbstverständlich stelle die Vision des „einigen Europa“ eineIdee von welthistorischem Rang dar. Roland Baader warnteallerdings davor, in dieser europäischen „Übernation“ dieRettung vor schädlichem Nationalismus zu sehen. Wer sodenke, der möge innehalten und überlegen, „daß dasSchlechte o nicht als das Gegenteil des Guten auszumachenist, sondern als ein Zuviel des Guten“. Europa sei eben geradekeine Einheit, sondern eine Vielheit, die sich noch weit klein-teiliger darstelle, als ein Zusammenschluß nur aus ihrerseitsweitgehend fiktiven nationalen Einheiten: „Man muß nichtnur an Basken, Bretonen, Korsen, Schotten, Tiroler, Kroatenoder Kurden denken, um zu sehen, daß sich diese vermeint-liche Homogenität fast überall als Illusion erwiesen hat.“ Ausder Perspektive des Jahres 2017 wird man dieser Aufzählungexplizit auch die Katalanen hinzufügen und dezidiert vor ei-nem neuen Hypernationalismus der EU-Euphoriker warnenmüssen. Frappierend stellt sich dem Leser auch eine weitere histori-sche Parallele dar. Im Jahre 1992 schrieb der damals 90-jähri-ge Karl R. Popper zur Lage der europäischen Einigung:„Wenn ich John Major wäre, würde ich sagen: ‚Fangen wir

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nochmal von vorne an.‘ Die ganze Situation seit der Zeit derRömischen Verträge ist in unvorhersehbarer Weise verän-dert, und ich verstehe nicht, warum wir nicht nochmal vonvorn anfangen sollen.“ Diese Sätze Poppers fallen faktisch indasselbe Jahr, in dem sich der spätere Brexit-Vorbereiter Ni-gel Farage in Großbritannien politisierte. Im September 2017erklärte er in einem auf youtube veröffentlichten Video-In-terview, die Europäische Union könne nicht mehr reformiertwerden. Der letzte Zeitpunkt, in dem dies vielleicht noch hät-te gelingen können, liege nun 25 Jahre zurück.Aus heutiger Sicht muß erschrecken, welche Vielzahl aner-kannter Kapazitäten und Autoritäten in jenen Jahren mit ih-ren Warnungen und Mahnungen ungehört blieb. Der BonnerStaatsrechtslehrer Fritz Ossenbühl riet eindringlich, aus Be-geisterung für Europa den bewährten Bestand nationalerVerfassungsstrukturen nicht zu gefährden. Maurice Allais,Nobelpreisträger für Wirtschaswissenschaen 1988, forder-te auf, die demokratische Gesellscha dadurch zu verteidi-gen, daß die staatliche Macht unter so vielen Menschen wieeben möglich aufgeteilt werde. Alle Experten, die sich gegenjene exzessive Machtzusammenballung bei der BrüsselerZentrale aussprachen, konnten sich natürlich auch ohne wei-teres ihrerseits auf unbestrittene Vordenker berufen: „JohnLocke hatte die Gewaltenteilung damit begründet, daß es ge-fährlich für die Freiheit des Staatsbürgers sei, wenn eine Le-gislative die von ihr erlassenen Gesetze auf einen konkretenFall anwenden könnte, statt auf solche allgemein gültigen Re-geln, von denen die an der Gesetzgebung Beteiligten befürch-ten müssen, daß sie irgendwann an ihnen selbst exekutiertwerden.“ Und: „Fast beschwörend gemahnt uns WilhelmRöpke: ‚Achtung vor dem Eigenen und Besonderen, vor demMannigfaltigen, den kleinen Lebens- und Kulturkreisen unddie Ablehnung jeder mechanischen Zentralisierung; das wä-

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ren einige der allgemeinen Richtlinien, deren Respektierunguns erst dazu legitimiert, uns echte Europäer zu nennen‘.“Gleichwohl setzte sich in Brüssel ein Konglomerat aus natio-nalen Exekutivorganen durch, das begann, sich seine eigenenGesetze zu schreiben. „Wohin man blickt: Regierung, Regie-rung, Regierung, Regierung. Eine Exekutiv-Orgie. In einerArt institutionalisierter Erbmonarchie wird die Exekutive ausder Exekutiven selbst geboren.“Roland Baader war klar, daß gerade die immense Vielfältig-keit der Strukturen in Europa einer zentralisiert handhabba-ren Exekutivmacht wesentlich entgegensteht. Als Motor derharmonisierenden Vereinheitlichung erkannte er das Prinzip„Vielfalt raubt den Überblick. Also muß sie beseitigt unddurch eine überschaubare Hierarchie hochdotierter Inkom-petenz ersetzt werden.“ Wie intensiv die Machtgelüste derseinerzeit handelnden Politiker sich darstellten, beschriebRoland Baader anhand eines Papiers sozialdemokratischerWirtschaspolitiker aus dem Jahre 1991. Diese forderten „dieErweiterung der wirtschaspolitischen Ziele des Stabilitäts-und Wachstumsgesetzes von 1967. Diese [viereckige] Alche-misten-Formel, die Preisstabilität, hohen Beschäigungs-stand, außenpolitisches Gleichgewicht und stetiges Wachs-tum zwar gesetzlich festschreiben, aber natürlich niemalseinlösen konnte, sollte zu einem magischen Neuneck erwei-tert werden. Zu den vier genannten Zielen sollten hinzutre-ten: Erhaltung und Verbesserung der nationalen Lebens-grundlagen, Erleichterung des wirtschalichen Strukturwan-dels, Abbau des regionalen Wirtschasgefälles, gleichmäßigeEinkommens- und Vermögensverteilung und vorsorgenderVerbraucherschutz.“ Dem hielt Roland Baader entgegen:„Das größte Hindernis und die größte Gefahr für das große,einige Europa sind nicht die erheblichen Unterschiede in Kul-tur, Mentalität, Sprache, Wertestrukturen, industriellem Ent-

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wicklungsstand und sonstigen sozio-ökonomischen Gege-benheiten der verschiedenen europäischen Völker und Na-tionen, sondern die Einheitlichkeit des ökonomokratischenOrganisationswillens der Politiker, Bürokraten und Interes-sen-Syndikate aller Länder des Kontinents. Schon heute be-herrschen diese Kräe fast alle Institutionen, die sie benöti-gen, um ihre Pläne um jeden Preis durchsetzen zu können.Werden sie eines nicht allzu fernen Tages auch die Währungin der Hand haben, gibt es für den Niedergang Europas keineBarriere mehr.“Mit diesem Hinweis auf das drohende geldpolitische Desasterin Europa leitete Roland Baader vor 25 Jahren von seiner In-stitutionenkritik über zu seinen geldpolitischen Betrachtun-gen. Auch diese fallen wiederum in schlichtweg erschrecken-der Weise prophetisch aus. Wer den aktuellen Kampf der in-teressierten Kreise gegen die Verwendung von Bargeld kennt,der liest jene Zeilen aus dem Jahre 1993 mit Entsetzen: „Wennnach dem Wegfall der Schlagbäume und Personenkontrollenan den innereuropäischen Grenzen das Paradies für das orga-nisierte Verbrechen meilenweit offensteht, dann werden diegroßeuropäischen Fiskalsozialisten mit den DrohvokabelnMafia, Drogenbosse, Geldwäsche und internationale Verbre-cherbanden alle Werkzeuge in der Hand haben, um den an-ständigen und harmlosen Rest von 99 Prozent der Bevölke-rung mit einem dichten Netz unentrinnbarer Schnüffelbüro-kratie zu überziehen und ihn im Namen eines sicheren undgerechten Europas einen gespenstigen Steuer- und Abgaben-terror aussetzen können.“Die Möglichkeiten, diesen Automatismen durch Parlamentein den Mitgliedstaaten noch zu entgehen, wurden schon da-mals systematisch ausgeschlossen. „Das Wörtchen ‚automa-tisch‘ führt zu dem Schluß, daß die EG zu einem Zeitpunktnach dem 31. Dezember 1996 die Bundesrepublik wird zwin-

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gen können, an der Währungsunion auch dann teilzuneh-men, wenn Parlament und Bundesregierung dagegen stim-men sollten.“ Ökonomisch sinnvolle Vorschläge für ein evo-lutionäres, organisches Zusammenwachsen der europäischenWährungen, wie sie Helmut Schlesinger oder auch John Major (mit einer Parallelwährung namens ‚Harter ECU‘) indie Debatte stellten, blieben machtpolitisch unbeachtet. DieBevölkerung Europas, die gegen diese organisierten Macht -interessen infolge eigener Zersplitterung und sprachlicherBarrieren keine Gegenmacht mehr auauen konnte, bliebschutzlos. Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland wur-den die Unübersichtlichkeiten der zeitgleich stattfindendenWiedervereinigung zu verfassungsrechtlichen Weichenstel-lungen genutzt, mit denen Europa weiter in die Falle einerBrüsseler Zentralisierung getrieben wurde. Roland Baaderprotokollierte: „Hinsichtlich der Eile, die der Gesetzgeberbeim ‚Europa-Artikel‘ des Grundgesetzes [Art. 23 GG] anden Tag legte, bekundete der Bochumer Lehrstuhlinhaber fürÖffentliches Recht, Professor Dr. Peter J. Tettinger, seine Ver-wunderung: ‚Wenn man daran denkt, welche Sorgfalt in frei-heitlichen Demokratien üblicherweise selbst kleinen Verfas-sungsänderungen gilt, so erscheint es doch in höchstem Ma-ße überraschend, ja befremdlich, wie hier für ein Staatswesenganz zentrale, alle Bürger unmittelbar betreffende, funda-mentale Änderungen durchgepeitscht werden‘.“Aus dem Abstand von 25 Jahren wird dem Leser – auch demseinerzeitigen Zeitzeugen – noch einmal bitter bewußt, wel-che machtpolitischen Rücksichtslosigkeiten jenen Abschnittder Geschichte prägten und mit welcher bemerkenswertenKonsequenz die damaligen Akteure handelten. Roland Baa-der notierte: „Nach dem Gipfel in Maastricht (9. und 10. De-zember 1991) ließ Finanzminister eo Waigel verlauten, mitder Währungsunion werde in Europa eine Stabilitätsgemein-

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scha von noch nie gekanntem Ausmaß geschaffen. ‚WirDeutschen haben eine der härtesten und stabilsten Währun-gen der Welt. So stark wie die Mark wird auch im vereintenEuropa die gemeinsame Währung bleiben‘.“ Daß die Brüsse-ler Zentralpolitiker mit ihren seinerzeitigen und bis heute er-reichten Machtzuwächsen keine Ruhe geben würden, wußteRoland Baader ebenfalls bereits vor 25 Jahren vorherzusagen.Wer den neuesten Plan Jean-Claude Junckers aus dem Sep-tember 2017 gehört hat, die europäische Einigung nun weiterdadurch voranzutreiben, daß alle EU-Mitgliedstaaten denEuro als einheitliche Währung übernehmen sollen, der weißdie Klugheit Roland Baaders zu schätzen, der 1993 formulier-te: „Längst liegen Vorschläge auf dem Tisch, den polnischenZloty, die tschechische Krone und den ungarischen Forint anden ECU ‚anzubinden‘. Der Aufweichung des ECU soll mit‚Interventionsverpflichtungen‘, mit Stand-by-Krediten unddem ganzen Budenzauber moderner Währungsklempnereientgegengewirkt werden.“Natürlich wußte Roland Baader auch 1993 bereits, daß die inden vergangenen Jahren immer wieder rhetorisch ins Feldgeführten Versprechungen über „rote Linien“ und „Brand-mauern“ zum Schutze der Gemeinschaswährung das Papiernicht wert waren, auf denen sie niedergelegt wurden: „DieZusicherung im Maastricht-Vertrag, daß es für die Staats-schulden einzelner Mitglieder keine solidarische Haung geben soll, entspricht in ihrer Irrationalität der Behauptungeines Unternehmers, er könne bei Bedarf seine Buchhal-tungsabteilung zu Konkurs gehen lassen, ohne daß dieses Er-eignis seine Firma oder seine Bilanz berühre. Solches undähnlich albernes Beschwichtigungsgerede der Eurokraten er-innert an den Scherz des EG-Budgetdirektors Jean-Paul Min-gasson, der Übergang von der D-Mark zum ECU sei nichtsanderes, als wenn man der Mark eine Pappnase aufsetze.“

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Paul Fabra, der Leitartikler von „Le Monde“ legte die Sehn-süchte seiner französischen Politiker 1992 eindrücklich of-fen: „Die wahre Absicht hinter der offiziellen Erklärung vonder ,Aueilung der geldpolitischen Souveränität‘ unter denTeilnehmerstaaten sei, daß der Gouverneur der Banque deFrance im zukünigen Europäischen Zentralbankrat als Ver-treter der Interessen Frankreichs aureten und dabei, je nachden Umständen, unterschiedliche Allianzen knüpfen könne.Während man so tue, als ob die Geldwertstabilität nachMaastricht-Definition am deutschen ‚Anker‘ hinge, sei daswahre Ziel des Vorhabens, die Rolle der Mark zu schwächen.‚Der Bundesbank ihre Bewegungsfreiheit zu nehmen‘, so Fa-bra, ‚das war vom Anfang bis zum Ende der Regierungskon-ferenz über die Währungsunion das zwangha verfolgte Zielder französischen Unterhändler und zweifellos auch der Ita-liener und einiger anderer‘.“Roland Baader schließt seine Betrachtungen zur Euro-Kata-strophe mit einem eindringlichen Appell, die Verantwortungder seinerzeitigen Akteure und ihr Handeln gegen allen Sinnund Verstand nicht zu vergessen: „Keinem der Akteure desMaastricht-Dramas darf die Gelegenheit geboten werden,sich eines Tages die Selbstabsolution zu erteilen und sich ausder Verantwortung zu schleichen. Denn noch niemals in derGeschichte der Bundesrepublik hat es einen vergleichbarenMassenprotest gegeben, wie er in den zwölf Monaten desNach-Maastricht-Jahres 1992 die Repräsentanten der ökono-mischen Wissenscha und der politischen Publizistik inWarn- und Ablehnungsschrien vereinigt hat. […] Keinerder politisch Verantwortlichen soll sich jemals darauf beru-fen können, nicht rechtzeitig gewarnt worden zu sein odernichts von den Gefahren gewußt zu haben, die von demMaastrichter Brandstier-Papier für die Völker Europas undfür die europäische Idee ausgehen. Sie alle handeln wider bes-

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seres Wissen; zumindest wider ihrer Verpflichtung, sich dasnotwendige Wissen anzueignen.“Leider hat sich gezeigt, daß die Reaktionsträgheit der euro-päischen Bevölkerungen gegen den übernationalen politi-schen Organisationsakt zu groß war, um ihn noch abzuweh-ren. Bis die vielen Bürger Europas spüren werden, welcheSchäden ihnen jene vermeintlich soziale Harmonisierungs-politik aus Brüssel zugefügt hat, werden viele der ursprüng -lichen Täter schon nicht mehr in ihren Ämtern sein oder gargestorben. Gleichwohl bleibt es eine Aufgabe der weiter -blickenden und verantwortlicher handelnden Europäer, diebeschriebenen Abläufe nicht zu vergessen, die Erinnerung ansie im Gegenteil wachzuhalten und mit der nötigen kulturel-len Sensibilität und europäischen Ausbildung noch besserund intensiver darauf hinzuarbeiten, wieder eine gesündere,gedeihlichere, unschädliche Politik für alle Europäer zu er-möglichen. Roland Baaders „Euro-Katastrophe“ bietet dazuzugleich einen wertvollen historischen Blick zurück und ei-nen fachlichen Blick nach vorne, um aus den Fehlern der Ver-gangenheit zu lernen. Denn am Ende werden die Europäer inihrer langen Tradition auch diesmal wieder wissen, was zutun ist, um ihre Gesetze mit einem freiheitsliebenden Geistzu erfüllen.

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Roland Baader

DIE EURO-KATASTROPHEFür Europas Vielfalt – gegen Brüssels Einfalt

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EIN EINGESTÄNDNIS

„Man kann Maastricht ablehnen und dennoch begei-sterter Europäer sein. Es gibt in Deutschland und an-derswo genug kritische Geister, nachdenkliche Warner,denen ein Scheitern des schädlichen Vertrages Erleich-terung verschaffen würde. Sie brauchen sich deswegennicht die Etiketten ankleben zu lassen, welche dieMaastricht-Enthusiasten für sie bereithalten: Angst-macher, D-Mark-Chauvi, Nationalist, anachronisti-scher Reaktionär. Sie haben nur andere Vorstellungenvon der europäischen Integration: sie soll nicht mit po-litischer Gewalt herbeigezwungen werden, sondernnatürlich wachsen und auf Bewährtem aufbauen.“Hans Martin Kölle im »Rheinischen Merkur« vom 27. November 1992.

Unter dem Postulat der Aktualität kann man Zeitungs- undZeitschrienartikel über das werdende Europa verfassen undpublizieren, aber man sollte mit diesem Anspruch kein Buchschreiben. Der Brüsseler Eilzug fährt so schnell, daß einemjeden Autor „die Worte im Munde faulen“ müssen, zumaldann, wenn zwischen Arbeitsbeginn am Manuskript undDruckreife bzw. Auslieferung an den Leser in aller Regelmehr als zwei Jahre vergehen. Mit jedem EG-Gipfel, ja sogarmit jeder neuen Richtlinie der EG-Kommission (also nahezutäglich) erweisen sich ganze Manuskriptsegmente als ver -altet, überflüssig, unvollständig oder gar falsch. Von ein-schneidenderen Ereignissen, wie bspw. dem Beitrittsgesuchder Schweiz oder dem Referendums-Nein der Dänen, ganzzu schweigen.Doch was ist die Alternative? Soll man sich damit abfinden,daß es nach wie vor (außerhalb der rein juristischen Fachlite-

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ratur) kein systematisches und zugleich kritisches Buch überalle maßgeblichen Aspekte des europäischen Einigungswer-kes gibt, und daß der nach Orientierung suchende Bürger imWust aus Pressekommentaren und oberflächlichen Fernseh-informationen ersäu? Oder soll man den Auskunsuchen-den an die einseitige Jubelliteratur der Interessenverbändeausliefern? Ich will es wagen, diese Fragen mit Nein zu beant-worten und bitte stattdessen den Leser um Verständnis für alle Schwächen, Unzulänglichkeiten und Fehlerhaigkeiten,die sich aus den genannten Umständen ergeben müssen unddie er in den folgenden Kapiteln mit Sicherheit feststellenwird.Und noch ein Geständnis: Ich fürchte, daß dies die trockenstePublikation werden wird, die ich je geschrieben habe. Dasliegt weder daran, daß mir plötzlich die Kunst des Formulie-rens und Fabulierens abhandengekommen wäre, noch daran,daß man dem ema „Europa“ jegliche gemütvoll-geistrei-che oder intellektuell faszinierende Seite absprechen müßte.Der Grund ist schlicht darin zu suchen, daß die EG der Brüs-seler Bürokratie den gleichen Charme versprüht wie ein Ver-waltungsgerichtsurteil. Die EG der Eurokraten ist so sprödewie ein tiefgefrorener Blumenstrauß. Welcher Dichter sollteden mit zierlich gesetzten Worten besingen können?! Wietrefflich in diesem (wenngleich verfremdeten) Zusammen-hang der Satz von Renate Kohl: „Wenn die Sprache das Hausdes Seins ist [Heidegger], wird aus einem europäischen Hauswohl nichts werden.“

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VORWORT

Kein vernüniger Mensch kann gegen die großartige Ideevon einem geeinten Europa sein, also gegen jene Vorstellungvon einem friedlichen Europa der Bruderstaaten ohne Gren-zen für Menschen, Dienste, Güter und Kapital, die gottlob inweiten Teilen schon Realität geworden ist. Aber aus dem glei-chen europhilen Grund muß ein jeder, der seines Verstandesnoch mächtig ist, gegen einen zentralistischen europäischenGroßstaat vom Reißbrett der Brüsseler Einheitsarchitektenvotieren. Es wäre eine beispiellose historische und geistes -geschichtliche Perversion, wenn wir in der gleichen welt -geschichtlichen Stunde, in der wir die zentralistischen, büro-kratischen und supranationalen Großreichgebilde des Ostenszusammen- und auseinanderbrechen sehen, und nach demgleichen Strickmuster ein zentralistisches, bürokratischesund supranationales Kolossal-Europa errichten würden.Die wohl bedeutendsten Sozialphilosophen der Neuzeit,Friedrich A. von Hayek und Karl Popper, haben in ihren ge-waltigen Denkgebäuden eindrucksvoll herausgeschält, daßder tiefste Kern und Quell aller gesellschalichen Irrlehrenunseres Jahrhunderts im „Konstruktivistischen Rationalis-mus“ (Hayek) zu suchen ist. Hierunter ist jene intellektuelleHybris und jener verhängnisvolle Aberglauben zu verstehen,welche annahmen, der menschliche Verstand könne komple-xe sozio-ökonomische Gebilde wie die moderne Großgesell-scha ganz oder weitgehend rational erfassen und erklären –und deshalb auch neue, bessere oder gar optimale Gefügedieser Art entwerfen und organisieren. Daß es sich bei die-sem übersteigerten und pathologischen Rationalismus umeine furchtbare Verirrung des menschlichen Geistes gehan-delt hat (und nach wie vor handelt), ist inzwischen von denführenden Köpfen in allen Haupt- und Randfakultäten der

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Sozialwissenschaen nachvollzogen oder originär entdeckt,analysiert und bestätigt worden: in der Nationalökonomie,Philosophie, Anthropologie und Soziologie, in den Rechts-und Geschichtswissenschaen ebenso wie in der Wissen-schas- und Erkenntnistheorie, ja sogar in der Physik und inder Biologie. Doch nicht nur die eorie hat hier gründlicheArbeit geleistet; auch das milliardenfache Leid und Elend derMenschen in den (inzwischen überwiegend zusammenge-brochenen) sozialistischen und kommunistischen Staatender Erde haben eindrucksvoll belegt, daß der rationalistisch-konstruktivistische Gesellschasentwurf der schrecklichsteIrrtum und der furchtbarste Wahn in der gesamten Mensch-heitsgeschichte gewesen ist (und zum Teil noch immer ist).Als genau von dieser „Qualität“ jedoch erweist sich bei nähe-rem Hinsehen der planifikatorische Entwurf Delors-Europas.Das Brüsseler „Modell“ hat – von prinzipieller Warte aus be-trachtet – drei grundlegende, verhängnisvolle und entschei-dende Strukturfehler: Es ist ordnungspolitisch falsch, es istevolutionstheoretisch ignorant, und es ist geostrategisch ge-fährlich. Darunter, unterhalb dieser prinzipiellen Warte, istauch in den flacheren Gefilden der europäischen General-stabskarte eine Fülle von Ungereimtheiten, Widersprüchen,Anachronismen, Illusionen und Gefahren zu erkennen, wel-che mit den genannten Elementardefekten in mehr oder we-niger engem Zusammenhang stehen.Dieses Netzwerk in all seinen Verästelungen und Verknüp-fungen nach den Regeln der logischen und sachlichen Syste-matik aufzuzeigen, wäre das Werk einer mehrjährigen inten-siven Arbeit. Da der europäische Hochgeschwindigkeitszugein solches perfektionsbeflissenes Kabinettstück nicht zuläßt(zumindest dann nicht, wenn man gerade dieser blindwüti-gen Raserei entgegenwirken will), suche ich Zuflucht in einerzeitsparenden „taktischen Unzulänglichkeit“: Die den drei

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Generalaspekten Ordnungstheorie / Evolution / Geostrategieuntergeordneten Bausteine des großen Europa-Mosaiks –wie Multikultur, Föderalismus, Demokratie, Währungsstabi-lität etc. – werden aphorismenha und eigenständig abge-handelt. In einem jeweiligen Schlußkapitel soll alsdann derVersuch unternommen werden, die Konturen der übergeord-neten Prinzipien nachzuzeichnen. Das heißt, daß es letztlichdem Leser überlassen bleibt, die vielfältigen gedanklichenund sachsystematischen Verbindungslinien zwischen demgroßen Rahmen und den Details der europäischen Plan -skizze zu ziehen. Das düre bei aufmerksamem Studium undaufgrund der wechselseitigen Implikationen aller behandel-ten Aspekte ohne besondere Schwierigkeit möglich sein,wenngleich dieses Erfordernis der Qualität der vorliegendenArbeit wohl einigen Abbruch tun mag.

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ERSTES BUCH: EUROPA UND DIE MENSCHEN

I. Kann (und sollte) Europa eine multikulturelle Gesellschaft werden?

„Was ermöglicht, philosophisch gesprochen, eine Ge-sellschaft? Es ist … die Kultur. Kultur ist das Entschei-dende. Allerdings: Postmoderne Kultur, die fröhlicheApokalypse, d.h. die Einwilligung in den Zustand, indem sich alles in heterogene Pluralitäten auflöst undverflüchtigt, ist nur das, was man früher Dekadenz ge-nannt hat.“Prof. Günter Rohrmoser (1990)

1. Was ist Kultur – und was nicht? Alles Gerede über Kultur hil uns nicht weiter, solange wirnicht (wieder) verstehen lernen, daß das Wesen aller KulturTriebbeschränkung und moralische Disziplin ist. (Letzteresollte nicht mit Prüderie verwechselt werden.) Eine Kulturder Volkssport-Bumser, der Perversionsakrobaten und or -dinären Emanzipations-Schlampen, der Enttabuisierungs-Schwätzer in den Talkshows und der Coming-out-Memmenim Affenzirkus der Medien gibt es nicht. Es sind dies besten-falls Symptome einer rapide fortschreitenden Kulturzerstö-rung, und schlimmstenfalls ist es der Leichengestank einerbereits untergegangenen Kultur.

2. Kultur macht auch auaKultur hat auch mit Singen und Tanzen zu tun, mit Ostereier-Suchen und Sackhüpfen, aber noch mehr mit Verzicht undDisziplin, mit Einschränkung und Anpassung, Bescheiden-heit und Einsicht in die Notwendigkeiten jeglicher Gemein-samkeit. Kultur tut auch weh und ist vielfach lästig und unbe-

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quem. Deshalb paßt sie nicht mehr in die Zeit der Mein-Bauch-gehört-mir-Emanzen und der Kondom-Touristen inden Single-Apartments. Und deshalb ist sie im Begriff, uns zuverlassen. Kultur ist auch das Aufsichnehmen von Mühsalund Schwierigkeiten, und eben nicht die Attitüde des Neu-zeithedonisten, Konflikte mit dem Koffer zu beantwortenoder ihnen mit Hintertüren-Partnerschaen aus dem Weg zugehen. Mit jeder zerbrechenden Ehe (und das ist inzwischenjede füne) und mit jeder nichtehelichen Lebensgemein-scha stirbt auch ein Herzkranzgefäß des Lebensmuskels„Kultur“.Lebensgefährte kommt eben von „gemeinsam fahren“ undvon gemeinsamer Gefahrenbewältigung und nicht von „fah-ren lassen“. Zur Ehe (als pars pro toto für das, was wir Gesell-scha und Kultur nennen) schreibt Franz Kromka: Auch frü-her gab es Normenverstöße, aber „der wesentliche Unter-schied zwischen gestern und heute besteht darin, daß damalsder ›haltlose‹ Normverletzer und gegenwärtig die ›harte‹Norm diskreditiert wird“, und: „Das traditionelle, christlicheLeitbild der Ehe (ist) nicht trotz, sondern gerade wegen dergroßen Mühen und Schwierigkeiten, die seine Realisierungimmer schon bereitet hat, fruchtbar …“ (Kromka  1991,S. 216 u. 218).Kurz: Bevor wir von „Multikultur“ reden, sollten wir überle-gen, ob wir überhaupt noch „kulturfähig“ sind.

3. Gibt es eine europäische Kultur?Antwort: Es hat sie gegeben, und in ihren wesentlichen Ele-menten gibt es sie noch immer. Der gemeinsame kulturelleNenner der Europäer: das ist – jenseits aller Nationalismen –die individualistische christliche Überlieferung (auch diemosaische!), verbunden mit den Wurzeln der individualisti-schen griechischen und römischen Klassik. Aus dieser ge-

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meinsamen Tradition sind in langer und o blutiger Ge-schichte jene gemeinsamen Werte gewachsen, die der Euro-parat in moderner Diktion festgeschrieben hat: Menschen-rechte, Demokratie und die liberalen Ordnungsprinzipien of-fener Gesellschaen (welche sich natürlich noch weiter kon-kretisieren und auffächern lassen: Rechtsstaatlichkeit, Selbst-bestimmung, Gewaltentrennung, Säkularisation, Presse- undRedefreiheit etc.). Was Europa wirklich verbindet, das ist we-der Geographie noch Sprache noch Geschichte, sondern dassind die gemeinsamen Wertvorstellungen. Und diese ge-meinsamen Wertvorstellungen sind ohne die christlichenTraditionen und Überlieferungen weder denkbar noch über-lebensfähig. Die gemeinsame europäische Kultur ist einechristliche Kultur.1

1 Der Begriff »Christliche Kultur« impliziert nicht einen religiösen Fun-damentalismus. Wir wollen – politisch – nicht zurück zur Gottesstaats-Idee und damit zur politischen Steinzeit. Als sozio-ökonomischer Begriffversteht sich »Christliche Kultur« oder »Abendländische Wertegemein-schaft« zivilreligiös in dem Sinne, wie ihn der ReligionswissenschaftlerProf. Fritz Stolz definiert hat: „Der Staat braucht Normen, die nicht ein-fach zur Disposition stehen und jederzeit durch einen Mehrheitsentscheidumgestoßen werden können. Erziehung braucht Leitlinien, die indiskuta-bel gelten; zwischenmenschliche Beziehungen sind auf Grundlagen ange-wiesen, die gelten. Wirtschaft muß auf einem grundsätzlichen Vertrauender Tauschpartner basieren. Zivilreligion gibt es nicht; aber sie muß sein,zumindest als regulative Idee der Ordnung im Gemenge von Grundorien-tierungen, die faktisch wirksam sind.“Und noch etwas: »Christliche Kultur« ist nicht gleichbedeutend mit derAufforderung an die Religionen, politisch zu werden. Ganz im Gegenteil!Was sich speziell die Evangelische Kirche diesbezüglich in den letztenzwanzig Jahren „geleistet“ hat, ist mehr als eine „nur“ religiöse Katastro-phe. Die Theologen beider großen christlichen Konfessionen sollten sichins Brevier schreiben, was Fritz Stolz hierzu als Warnung zu geben weiß:„Wenn die christliche Botschaft einen Beitrag zur Zivilreligion leistet,kann sie sich … entweder zur Zivilreligion reduzieren; sie paßt dann insGemenge zivilreligiöser Argumentationen (seien diese nun progressivoder konservativ, individualistisch oder kollektivistisch). Oder sie kann

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Es ist deshalb dringend, ja beschwörend davor zu warnen, ins„Europäische Haus“ auch nur ein einziges Land aufzuneh-men, das nicht in der Tradition der christlich-abendländi-schen Wertegemeinscha lebt (was jedoch nichts mit der un-abdingbaren Forderung nach freiem Welthandel zu tun hat).Fast das gesamte 20. Jahrhundert hat Europa unter derschrecklichen Drohung und Gefahr des Atheismus in Gestaltdes Kommunismus / Sozialismus gelebt, ja dem atheistischenDrachen sogar hundert Millionen Menschen zum Fraß undzur Vernichtung in den Rachen geworfen. Jetzt, da man dieGefahr überwunden glaubt (was sie längst nicht ist), bewegtsich ein noch gefährlicheres Welteroberungs-Ungeheuer aufdieses alte Europa zu: ein antichristlicher Fundamentalismus,der das zweieinhalb Jahrtausende umfassende abendländi-sche Ringen um Aulärung, Säkularisation, Individualismusund Rechtsstaatlichkeit zermalmen kann, als habe es niemalsexistiert. Über allen Bestrebungen nach einer Wirtschas-und Währungsunion, nach Politischer und SozialunionEuropas muß deshalb das Gebot zur Festigung und Erneue-rung der CHRISTLICHEN GLAUBENS- UND WERTE-UNION stehen. Es ist sonst absehbar, daß man mit unserenpolitisch-ökonomischen Unions-Chartas die Scheiterhaufenentzünden wird, auf denen das Abendland verbrennt.Möge Europa so gastfreundlich sein, wie dies einer jeden Kul-

ihre Identität bewahren und paßt dann auf jeden Fall nicht. Dies ist ein alt-bekannter Sachverhalt, schließlich hat schon Jesus gesagt, sein Reich seinicht von dieser Welt. Von außen her betrachtet bedeutet das, daß eine Re-ligion, welche sich in Zivilreligion einpaßt, ihre gesellschaftliche Funktionverliert, da sie keine den Selbstverständlichkeiten gegenüber transzenden-ten Gesichtspunkte geltend zu machen vermag; sie geht im chaotischenGleichgewicht gegensätzlicher zivilreligiöser Tendenzen unter. Behält siedemgegenüber ihre sperrige Externität, wird sie vielleicht dem Gemengezivilreligiöser Orientierungen Dynamik und Struktur geben und damitder Gesellschaft zu einer gewissen Orientierung verhelfen“ (Stolz 1991).

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tur und zumal einer christlichen als Aufgabe und Anspruchgebührt, denn Gäste bereichern das Leben, erweitern denHorizont und dienen der wechselseitigen Verständigung.Aber sie gehen auch wieder. Doch möge Europa niemals sotöricht sein (oder bleiben), die Türen und Fenster des HausesTag und Nacht offenstehen zu lassen. Die Gäste, die dannkommen, werden mehr als eine Mahlzeit und ein Gesprächverlangen. Das Bild des mittelalterlichen Sehers Nostrada-mus für die kommende Jahrtausendwende, daß die Kameleam Rhein saufen werden, mag man für Hokuspokus halten,abwegig ist es längst nicht mehr. Es zeichnet sich jedenfallsab, daß sich die achthundertjährige Reconquista in Spanien(722 bis 1492) ab der bevorstehenden Jahrtausendwende inEuropa mit umgekehrten Vorzeichen abspielen wird. Und siewird weniger als achthundert Jahre benötigen. Wenn wir unsauf einen Kulturbegriff einlassen sollten, dessen gemeinsa-mer europäischer Nenner nicht mehr ausschließlich christli-cher Prägung ist, dann sind wir am Ende. Wenn eines nichtmehr allzu fernen Tages die Glocken im Abendland verstum-men werden, dann wird es kein Abendland mehr geben. Unddas ist nicht nur eine religionsspezifische, sondern auch einesozio-ökonomische und politische Aussage.

4. Gibt es multikulturelle Gesellschaften?Antwort: Es hat sie gegeben, aber – in historischen Dimen-sionen gesehen – nur für kurze Zeit. Beispiele sind: der Liba-non, Südafrika, Jugoslawien und (als Stadtstaat) New York.Alle sind als Modelle des friedlichen Zusammenlebens allzuverschiedener Kulturen und / oder Religionen gescheitert.Selbst die vorgebliche „Multikultur“ der USA erweist sich zu-nehmend als Schimäre. Was zunächst als „Schmelztiegel“ –das heißt eigentlich als Kulturauslöschung – begonnen hatte,will sich zunehmend als Multikultur verstanden wissen, in-

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dem sich mindestens fünf ethnische Gruppierungen (euro -päisch-amerikanische, afro-amerikanische, asiatisch-ameri-kanische, latino-hispanische, indianische) auf Wurzeln be-sinnen wollen, welche längst verkümmert und verrottet sind.Das Ergebnis ist ein rasantes Anwachsen pathologisch-mili-tanter Rassen-Empfindlichkeiten, welche den Kulturbegriffseiner ästhetisch-moralischen Essenz berauben und ihn zueinem Konglomerat politisch-rassistischer Sonderrechte per-vertieren.Multikultur – Amerika wird es bitter erfahren müssen – istUnkultur; mindestens Nicht-Kultur. Multi-rassischer Kultur-ersatz wird den Amerikanern ein Alptraum-Jahrhundert be-scheren. „Mit der multikulturellen kommt – wie überall –auch die multikriminelle Gesellscha“ (Bruno Bandu-let 1992a). „Multiculturalism“, wie er jetzt ins BildungssystemAmerikas einzieht, bedeutet nicht weniger als das Ende derbisherigen USA. Ob aus Eigendynamik erwachsend oder vonethnozentrisch argumentierenden Demagogen in Bewegunggesetzt, besagt der Begriff für die Vereinigten Staaten, daß eseine „gemeinsame Kultur“ nie gegeben hat, und daß der„Schmelztiegel“ nur so lange funktioniert hat, als er eineFluchtburg vor rassisch-ethnischer Diskriminierung drau-ßen vor den Toren der Fluchtburg gewesen ist. Je mehr je-doch „draußen“ das Selbstwertgefühl der verschiedenen Ras-sen und Völker steigt, desto mehr nimmt der Schutz- undTrutzcharakter des amerikanischen Schmelztiegels ab unddesto mehr Hunger nach der eigenen kulturellen Identität derverschiedenen Ethnien in der amerikanischen Gesellschakommt auf. Es ist dies nur einer von vielen historischen Beweisen dafür, daß „Multikultur“ ein synthetischer Kunst-begriff ist. (Vgl. F. Müller 1992.)Zur Warnung an Europa mögen zwei Sätze von Gerd Haber-mann dienen: „Europa als ›Schmelztiegel‹ ist nicht mehr

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Europa“, und: „Es ist abwegig, traditionsreiche Nationalstaa-ten wie England, Frankreich, Italien oder Deutschland mitkünstlichen Gebilden wie South Dakota zu vergleichen“ (Ha-bermann 1991).Einen anderen Vergleich (besser: eine Verwechslung) sollteman ebenfalls vermeiden, nämlich den von „Multikultur“und Pluralismus. Obwohl in der Wertediskussion endgültigeAussagen nicht gemacht werden können, scheint mir dochfestzustehen, daß Pluralismus (im Gegensatz zu „Multikul-tur“) nicht Relativismus im Sinne totaler Beliebigkeit bedeu-tet. Pluralismus weist zwar auf ein duldendes Anerkennenanderer, fremder Werthaltungen hin, jedoch ohne die Bereit-scha, solche anderen Werthaltungen für die eigene Lebens-führung anzunehmen. Weil die eigene Lebensführung wie-derum in das soziale Umfeld existentiell eingebunden ist,müssen die sog. pluralistischen Werte zumindest den Ver-träglichkeitstest zur eigenen Kultur bestehen.

5. Ist Europa eine Multikultur?Wer von Multikultur redet, kann nicht das Neben- und Mit -einander der Europäer meinen, denn die kulturelle LandschaEuropas besteht aus einem christlich-abendländischen Fächermit vielfältigen Farben und Facetten. Würde man dies unzu-lässigerweise mit „Multikultur“ bezeichnen, so hätte MichaelWolffsohn recht, wenn er sagt: „Umstritten ist nicht, obDeutschland und Europa multikulturell werden. Sie sind es“(Wolffsohn 1991). Aber die Vielfalt verschiedener nationaleroder regionaler, jedoch tendenziell – unter einem größerenNenner – gleichgearteter Kulturen, ist eben nicht gleich Multi-kultur. Anders formuliert: Die Gestalt europäischer Kulturkann in vielen verschiedenen Gewändern und Trachten ein-herstolzieren, aber eben nicht im Schleier oder im Turban. Dasbedeutet keineswegs eine Abwertung uns fremder Kulturen

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und Religionen. Ihnen allen sollte unser uneingeschränkterRespekt und unsere vorbehaltlose Toleranz gebühren. BesagteBedingung einer „europäischen Kultur“, die diesen Namenverdient, nämlich die Zugehörigkeit zur gleichen christlich-abendländischen Wertegemeinscha, würde selbst dann gel-ten, wenn wir alle der Ansicht wären, Islam, Buddhismus, Hin-duismus – oder was auch immer – würden kulturell, geistigoder menschlich höher stehen als das Christentum. Seien die-se unsere Werte nun besser oder schlechter als andere, sie wa-ren und sind eben unsere einzigen wirklich gemeinsamen.Letzteres freilich weist nochmals auf die Gefahr hin, dieEuropa von innen erwächst: daß nämlich eine von „religiösemAnalphabetismus geprägte Generation“ (Udo Hahn 1990) denZugang zu den Grundlagen unserer Zivilisation verliert – unddaß damit auch der Grundkonsens freiheitlich-demokrati-scher Gesellschasordnungen verloren geht.An dieser Stelle noch zwei Nachsätze zur hypothetischen(oder faktischen) Gleichwertigkeit verschiedener Kulturen:Der erste stammt von Joseph A. Schumpeter: „Der zivilisierteMensch unterscheidet sich vom Barbaren vor allem dadurch,daß er sich über den relativen Wert seiner Überzeugungendurchaus im klaren ist, sich aber dennoch mit Nachdruck fürsie einsetzt.“ Der zweite stammt von Bruno Bandulet: „Werdie Unterschiede sieht, ist nicht arrogant, sondern realistisch.Zwischen Beethoven und Buschtrommeln bestehen eben ge-wisse Unterschiede“ (Bandulet 1990, S. 81).

6. Was verbirgt sich hinter dem Multikultur-Begriff?Bei Beobachtung der europäischen Intellektuellen-Zirkel be-stätigt sich der Verdacht, daß bei vielen der Eierköpfe, derenHerz noch immer links von Vernun und Realität schlägt, diesozialistisch-internationale Weltgesellscha als Idee fortlebtund sich lediglich als „Multikulturelle Weltgesellscha“ neu

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etikettiert. Auch die wachsende militante Energie der Bewe-gung deutet auf die nämlichen Motivationsquellen hin. Eben-so der dem sozialistischen Definitions-Sumpf entlehnteGleichheitsgedanke. Den wahren Kosmopoliten schaudert:Er hat sich stets in allen verschiedenen Küchen der Weltwohlgefühlt, nur in einer nicht: in der internationalen Ein-topüche, wo man die chiligewürzte Sauerkraut-Paella mitStäbchen ißt.Lassen wir uns durch die vorgetäuschte und verlogeneGleichsetzung von Multikultur mit Fremdenfreundlichkeitnicht täuschen. Die Begriffe „Multikultur“ oder „Multikultu-relle Gesellscha“ sind Erfindungen und strategisch hoch-wirksame Wortschöpfungen der progressiven Linken, die aufdiesem Weg den weitgespannten Kulturbegriff auf eine „Poli-tische Kultur“ verengen und damit weitgehend auslöschenwollen. Nach der überwiegenden bis totalen Politisierung derSchulen und Hochschulen, der Medien und Informationsträ-ger, des Arbeitslebens und des Gesamtbereichs des „Sozialen“inklusive der Kirchen, soll nun die letzte Bastion „konserva-tiven“ und „bürgerlichen“ Lebensgefühls, nämlich die Kulturim weitesten Sinne, durch vollständige Relativierung (Belie-bigkeit) lächerlich („altmodisch“) gemacht und auf jenenRest minimalisiert werden, den man als „Politische Kultur“domestizieren, dominieren, tabuisieren und dem „sozialen“(sprich: sozialistischen) Parteidiktat unterwerfen kann.Da Kultur in Wahrheit ein Mosaik aus vielen Bausteinen(Werten) ist, bedeutet diese Verkürzung auf eine Dimensionnicht nur eine „Umwertung aller Werte“, sondern auch derenEliminierung. Was wir unter „abendländischen Werten“ zuverstehen haben, werden wir künig über das bereits erreich-te Maß hinaus den Richtlinienprogrammen der Links- undMitte-Links-Parteien zu entnehmen haben. Und wohl leiderauch den ähnlich verengten Sehschlitz-Gegenentwürfen der

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rechten Ultra-Gruppierungen.2 Es ist in diesem Zusammen-hang durchaus rational, daß die SPD den Zustrom der (wer-tekonservativen!) Rußland-Aussiedler bremsen, aber dieAsylantenflut unbehindert lassen will. Es gibt eben – wie Bru-no Bandulet es meisterlich formuliert hat – im politischenSpektrum der Bundesrepublik Kräe, „die sich von einer im-portierten Proletarisierung der Gesellscha politische Tan-tiemen versprechen“ (Bandulet 1990, S. 93).Die Dramaturgie des Trauerspiels läßt sich aus dem miesenEinheitserbgut aller Utopien der Neuzeit leicht herleiten:Utopien sind Leichengeburten. Stirbt die eine, so entsteht ausihrem Kadaver eine andere. Die Menschen ertragen es nicht,wenn ihre utopischen Erwartungen enttäuscht werden. Nochwährend die eine intellektuelle Mißgeburt in Agonie liegt,hätscheln sie bereits die Nachzucht des gleichen Ungeheuers.Mit einiger – erkenntnistheoretisch durchaus fruchtbarer –Einseitigkeit läßt sich die ideengeschichtliche Genealogie derUtopien der Neuzeit auch als Aufeinanderfolge falscher

2 Kaum jemand hat gemerkt, daß es sich bei der Vokabel „Ausländer-feindlichkeit“ um einen neuen antikapitalistischen Propagandatrick derdeutschen Linken handelt. Nach dem Versagen und der Blamage der jahr-zehntelang betriebenen, antikapitalistisch motivierten Pro-Sowjetunion,Pro-DDR, Pro-Che-Guevara-, Pro-Ho-Chi-Minh-, Pro-Allende-, Pro-Ni-caragua- und Pro-Mandela-Politmasche, und nach dem allmählichen Er-müden der sich überlappend anschließenden – ebenfalls antikapitalisti-schen – Emanzipations- und Feminismus-Hysterie schließt sich nunmehrdie – wiederum antikapitalistische – Xenophobie-Masche nahtlos an, mitder man den Deutschen einreden will, sie seien ausländerfeindlich. Immergeht es im Kern darum, die Werte und Institutionen der kapitalistischenGesellschaft zu zerstören, bzw. der bürgerlich-marktwirtschaftlichen Ge-sellschaft ein permanent schlechtes Gewissen ob ihres angeblich maroden,rückständigen und repressiven Moralsystems einzuimpfen. Den politischnaiven Bundesbürgern ist noch nicht einmal aufgefallen, daß der seit vier-zig Jahren latent vorhandene und immer wieder ausbrechende Antiameri-kanismus hier und andernorts nichts anderes war und ist als ein an der Vo-kabel „Amerika“ festgemachter Antikapitalismus.

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Gleichheits-Vorstellungen und -Forderungen darstellen. Esreihen sich dann fast nahtlos aneinander: die (materiellen)Gleichheitsutopien der Französischen Revolution, des Sozia-lismus-Kommunismus, des Feminismus und – nunmehr –des Multikulturismus. Die multikulturelle Gesellscha: dasheißt letztlich die „Gleichheit“ aller kulturellen Prägungender Menschen, also deren Einebnung. Nicht ein bereichern-des Neben- und Miteinander wird angestrebt, sondern einevermischende Beliebigkeit – und somit ein Auslöschen dergewachsenen Differenzierungen verschiedener Stämme, Völ-ker, Rassen, Religionen und Traditionen. Man wird erinnertan Saint-Exupérys kleine Blume, die den Kleinen Prinzen be-lehrt: „Die Menschen? … Es fehlen ihnen die Wurzeln, das istsehr übel für sie.“ Es ist also die nächste schreckliche Egali-täts-Utopie, die hier heraufzieht – mit all ihren zerstöreri-schen Illusionen vom „Neuen Menschen“ (schon wieder!),ihren arroganten Umerziehungsansprüchen (neudeutsch:Umdenkungsprozeß) und ihrem wertezersetzenden Erlö-sungswahn, der die Menschen hörig machen soll für die Mas-senpropaganda der Gesellschas-Ingenieure.Nochmals: Das im Multikultur-Begriff versteckte Axiom vonder Gleichwertigkeit der Kulturen ist eine Irrlehre, welchehinter der sozialistischen von der Gleichheit der Menschennicht zurücksteht. Beide Irrlehren verwechseln eine rechts-staatliche Verfahrensweise (und einen Imperativ der indivi-duellen Moral) mit anthropologischem und evolutionstheo-retischem Totalitarismus. Konkret: Es ist richtig, daß alleMenschen gleich sind vor Gott; und sie sollen (nicht zuletztdeshalb) gleich sein vor dem Gesetz, d.h. gleich behandeltwerden, obwohl sie ungleich sind. Und alle Kulturen sollen –im selben Sinne – den gleichen Respekt genießen, obwohl sieentwicklungs- und vor allem zivilisationsgeschichtlich unter-schiedlich tauglich waren (und nach wie vor sind). Der Ter-

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minus „Multikultur“ hingegen impliziert Beliebigkeit, weil ernicht gleichen Respekt, sondern Gleichwertigkeit unterstellt.Es sei deshalb ohne Belang, welche und wieviele Kulturenman zusammenmixe.Man unterschätze nicht die Sprengkra des Multikulturbe-griffs (und verwechsle ihn vor allem nicht mit einer plumpenAsyl-Definition). Es gibt über jeden parteilichen Zwist erha-bene politische Denker – wie omas A. Becker vom Institutfür Zeitfragen in Buchs / Zürich –, welche die in der Multikul-tur-Vokabel implizit enthaltene Frage nach den Grenzen un-serer Toleranz für abweichende Rationalitätsmodelle für die„Gretchenfrage der Moderne“ halten. Konkret: „Die Frage ist,wieviel Relativierung unsere Kognitions- und Wertestruktu-ren aushalten, ohne zu kollabieren.“ Die Antwort: „Wir kom-men nicht darum herum, anderen Kulturen zuzumuten, sichin der Freiheit der industrialisierten und individualisiertenWelt zurechtzufinden. Konsequenter Relativismus führt letz-ten Endes in die Barbarei. In ihren Auswirkungen für Rolleund Bedeutung des Individuums laufen Kulturrelativismusund politisches Nivellierungsstreben auf dasselbe hinaus …Die unvermeidlichen Härten der zu nutzenden Freiheit lassensich zwar durch gelebte Solidarität mildern, jedoch sind dieUhrzeiger, nach denen die ›multikulturelle Zeitbombe‹ einge-stellt ist, ein beträchtliches Stück vorgerückt“ (Becker 1991).Fazit: Die facettenreichen, aber prinzipiell kongruenten Kul-turen Europas sind keine Multikultur. Mit dem Argument„Europa“ läßt sich diese unselige Vokabel nicht legitimieren.Multikultur ist ein sozialistisches Zersetzungsinstrument,mit welchem das nihilistisch-emanzipatorische Polit-Gesin-del des Westens die europäischen Kulturen je einzeln – undsomit auch die „Europäische Kulturnation“ als Gesamtheitauflösen und politisch „entsorgen“ will.

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7. Was hat Multikultur mit Asyl und Immigration zu tun?Beide (bzw. alle drei) Begriffe oder Vorgänge sind inkompati-bel. Ihre Vermengung oder gar kausale Verkettung (indem daseine, Asyl und Immigration, mit dem anderen, der Multikul-tur, gerechtfertigt wird) muß als politisches Falschgeld mar-kiert und zurückgewiesen werden.3 Ein gemeinsamer Nennerist allenfalls in der Dimension der Gefährdung der OffenenGesellscha zu finden. Alle Formen der Migration in ein be-stehendes Gesellschasgefüge münden letztlich in einen Testder Toleranzschwelle für die kulturelle Identität der betreffen-den Nation. Und Toleranz heißt Leidensfähigkeit. Und Leidenund Leidensfähigkeit hat immer mit dem Ausmaß der Bela-stung zu tun. Mit oder ohne multikulturellen Heiligenscheinspitzen sich alle Migrationsvorgänge zu einer Frage von Dich-te, Häufigkeit und schierer Anzahl zu. (Multikultur, um es ausanderer Sicht zu wiederholen, erweist sich unter diesemAspekt nicht als friedensstiend, sondern als Systematik derKonfliktüberflutung und des programmierten Gesellschas-zerfalls, weil der politische Imperativ des Begriffs mit den Ka-tegorien von Dichte, Häufigkeit und Anzahl positiv korreliert.Also: Je mehr und je dichter, desto multikultureller.)Unheil erwächst den Europäern – allen voran den Deutschen –nicht aus der wachsenden Mobilität und Vermischung derkerneuropäischen Nationen und Menschen, und auch nicht

3 Hier ist nicht der Ort für eine generelle Klärung der im Parteiengeschäfthoffnungslos verfilzten Begriffe „Asylanten“, „Übersiedler“, „Aussiedler“,„Einwanderung“, „Fremdenfeindlichkeit“ etc., obwohl dies dringend ge-boten wäre. Umso nachdrücklicher sei auf das Buch »Die Rückseite desWunders« von Dr.  Bruno Bandulet verwiesen, speziell auf das Kapitel»Übersiedler, Aussiedler, Ausländer«. Die „Blüten“ des politischen Falsch-geldes, das unter diesen Namen in Umlauf ist, werden dort ebenso gründ-lich entlarvt wie die dahinterstehenden Falschmünzer. Einprägen sollteman sich vor allem Bandulets Schluß: „Gut gemeint ist auch hier das Ge-genteil von gut.“ (Bandulet 1990; Zitat S. 90)

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aus der Aufnahme außereuropäischer Asylanten und Immi-granten, sondern aus einem Zuviel an Aufnahmebereitschafür nicht-integrationswillige und nicht-assimilationsfähigeMenschen außereuropäischer Kultur- und Religionszugehö-rigkeit.Die Eingrenzung der ematik in der politischen Debatte aufdas Stichwort „Asyl“ wird sich hierbei bald als viel zu eng undzu kurzsichtig erweisen. Und die Ausrede für die Entschei-dungsunfähigkeit und Handlungsunwilligkeit der politischenKaste, man könne die Probleme nur „auf europäischer Ebe-ne“ lösen, wird durch penetrante Wiederholung nicht glaub-würdiger, sondern armseliger und verlogener. Das Gegenteilist zutreffend: Das unierte Europa wird die Probleme nichtlösen, sondern bis zur faktischen Unlösbarkeit aulähen und komplizieren. In einer politischen Union wird Europamit einer unabsehbaren Menschenlast seines kolonialen Er-bes konfrontiert werden (und zwar zusätzlich zur Armuts-Völkerwanderung, die uns ins Haus steht).Nicht nur die europafernen Kulturen des britischen Com-monwealth und der französischen Protektorate übertreffendie Einwohnerzahl Gemeinschaseuropas spielend; schondie Bürgerrechts- und Naturalisationsgesetze des in dieserHinsicht unverdächtigen Italien reichen theoretisch aus, dieEinwohnerzahl der Zwölfergemeinscha um einhundertMillionen zu erhöhen. Ob „Gemeinsame Einwanderungspo-litik“ oder „Gemeinsame Asylpolitik“: wohin die Reise geht,zeigt die Dubliner Konvention vom Juni 1990. Das Überein-kommen besagt, daß künig der erste in irgendeinem EG-Land gestellte Asylantrag Wirkung für das gesamte Gemein-schasgebiet haben soll. Hierzu die Frage: Glaubt jemand imErnst, daß ein Neuankömmling, dem man in Griechenlandoder Portugal Asyl oder Einwanderung (mit europaweiterWirkung) gewährt, in diesen Ländern bleiben wird, wohl

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wissend, daß ihn in Deutschland weit höhere Löhne und einwesentlich bequemeres Sozialnetz erwarten? Eine „europäi-sche Lösung“? Nein, eine deutsche Katastrophe!Die Multikulturbeflissenen in unserem Land haben einewirksame Methode entdeckt, ihre Gegner mundtot zu ma-chen oder moralisch zu disqualifizieren. Im Revolverstil derPro- und Contra-Spektakel wird jeder Deutsche, der in derZuwanderungs- oder Asylproblematik seines Verstandesnoch mächtig ist, als „Ausländerfeind“ verleumdet. Mit derTotschlagvokabel „Ausländerfeindlichkeit“ wird auch aufParteiebene ein widerwärtiges politisches Spiel getrieben.Schon die Verwendung des Terminus „Asylmißbrauch“ deu-tet man als faschistoides Gehabe von ultrarechts. Die nüch-terne Wirklichkeit des deutschen Alltags sieht indes ganz an-ders aus: Die meisten, ja nahezu alle Deutschen leben fried-lich, gutnachbarlich und vielfach sogar freundschalich mitden fast sechs Millionen Ausländern in ihrem Land. Die un-verhohlene Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit ist hierbeinicht unmaßgeblich. Wer soll auch in einem Land, das baldmehr Studierende als Lehrlinge und mehr Architekten alsMaurer haben wird, noch die Knochenarbeit machen. Jeden-falls gibt es bei uns – mit Ausnahme von ein paar hundertChaoten und Idioten – keine Ausländerfeindlichkeit (besser:noch nicht!). Und dennoch sind die meisten Deutschen gegenden Asylmißbrauch und artikulieren ein gesundes Mißtrau-en gegen das massenhae Einströmen von Menschen, denenwestliche Lebensweise und christliche Religion fremd sindund welche deshalb weder integrationswillig noch -fähigsind. Als „ausländerfeindlich“ darf man das ebensowenig be-zeichnen wie man einen treuen Ehemann nicht des Weiber-hasses bezichtigen sollte, nur weil er sich weigert, sein Lagermit einem Dutzend Nebenfrauen zu teilen. Wer also denAsylmißbrauch-Gegner als Ausländerfeind etikettiert, be-

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treibt verbale und politische Falschmünzerei und stellt einganzes Volk in eine moralische Sünderecke, wo es weder hin-gehört noch stehen will. Was Hans Urs von Balthasar für dietheologische Sphäre konstatierte, gilt eben auch für die welt-lichen Belange: „Die Wahrheit ist symphonisch.“ Und dieFrage nach der Wahrheit unserer Befindlichkeit gegenüberfremden Ethnien und Kulturen stellt sich deshalb – hier wieüberall auf der Welt – ganz anders, als uns die Protagonistendes vergienden Entweder-Oder einreden wollen. Nämlichso: Wieviel Bevölkerungsdichte und wieviel fremdländischeEinflüsse kann man – in welcher Intensität und Geschwindig-keit, wie lange und mit welchen Folgen – einem Volk, einerRegion, einer Stadt oder einer Dorfgemeinscha, einem Be-trieb und einer Schule zumuten, ohne daß die angestrebtenZiele (Echtes Asylrecht, Pluralismus, Gastfreundscha, Tole-ranz, Kulturelle Bereicherung durch fremde Einflüsse, Fried-liche Nachbarscha etc.) darunter leiden oder gar ins Gegen-teil umschlagen? Das Multikultur-Postulat ist auch bezüglichdieser Frage gefährlich und destruktiv, weil es die besagtenanthropologischen und sozialpsychologischen Toleranz-schwellen leugnet oder nicht wahrhaben will.Multikultur ist nicht nur Kulturzerfall, sondern auch eineFrage der „kritischen Masse“. Los Angeles ist ein neuerlichesMenetekel dafür, daß aus der Flower-Power einer Friede-Freude-Eierkuchen-Gesellscha bei Überschreiten der kriti-schen Masse schnell ein brisantes Gemisch aus Haß, Neid,Mord und Zerstörungswut werden kann. Es ist das Verdienstdes Soziologen Lothar Bossle, unermüdlich vor der Gefahr zuwarnen, daß eine Überforderung der sozio-kulturellen undpsychosozialen Anpassungsfähigkeit der Menschen zu extre-men Gegenbewegungen führen kann. Unter solchen Gege-benheiten – so Bossle bereits 1989 (auf einer Tagung derAWP; s. Bibliographie) – könne sogar ein neuer nationaler

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Faschismus entstehen. Und als eindringliche Mahnung stellteBossle den Satz des Philosophen eodor Haecker in denRaum: „Die Unveränderlichkeit des Menschen ist immer umeine Dimension größer als seine Veränderbarkeit.“Wer wissen möchte, was die Multikultur-Protagonisten wirk-lich wollen, der darf nicht auf ihre Tarnvokabeln hereinfallen(zu denen auch ein unbegrenztes Asylrecht gehört), und dermuß genauer hinschauen: Was so manche Gruppierung hier-orts – und fernab von jeglichem Kulturbegriff – unter „Mul-tikultur“ versteht, das ähnelt jener Hetzjagd, welche „Auto-nomes Schwulenreferat“, „Rosa Telefon“, „Feministisches Ar-chiv“, „Feministische Frauenliste“, „Rosa Liste“ und „Positi-vengruppe Marburg“ auf den Fuldaer Bischof Dyba veran-stalteten, nur weil er für den Schutz des ungeborenen Lebenseingetreten war. Es ist das weder Mono- noch Multikultur,sondern der stinkende Faulschlamm eines längst verwestenKultur-Kadavers.

8. Fazit1. Kulturzerfall kann man mit „Multikultur“ nicht aualten,

sondern nur beschleunigen. Eine übereilte europäischeUnionierung scha keine Eurokultur, sondern versetztden europäischen Kulturen den Todesstoß.

2. In umgekehrter Richtung gilt das gleiche: Mit der Multi-plizierung von Kulturen scha oder fördert man keinVereinigtes Europa, sondern Dominanzkonflikte und Vakua im Selbstwertgefühl der Völker, welche sich mitAggressivität und revitalisiertem Nationalismus füllen.Multikultur ist nicht die Einigungsklammer, sondern derSprengsatz für eine Politische Union Europas.

3. Mit der Ausrede „Europäische Lösung“ (als Variante derMultikultur-Pathologie) läßt sich die Entscheidungsun -fähigkeit und Führungsschwäche der politischen Instan-

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zen in der Asyl- und Einwanderungsfrage nicht heilen,sondern nur verlängern. Die Multikultur-KatastropheDeutschlands läßt sich nicht mit europäischen Räte-Kol-lektiven verhindern, sondern nur durch strenge Asyl- undglasklare Einwanderungs-Gesetze (und deren entschlos-sene Durchführung).

4. Kultur und Zivilisation haben auch etwas mit wirtschali-cher Prosperität zu tun. Wenn wir vor lauter „Harmonisie-rung“, Gleichschalterei und Ausgleichsbestrebungen in derEG die Produktivitätsquellen unserer Wirtscha zuschüt-ten, und vor lauter Multikultur den sozio-ökonomischenOrdnungsrahmen unserer Leistungsstrukturen aushebeln,dann ist eben Feierabend nicht nur mit unserem Wohl-stand, sondern auch mit aller Kultur. Denn wie zu allen Zei-ten, so gilt auch heute noch die weise Erkenntnis, die derHistoriker Will Durant bei seiner Betrachtung des Klassi-schen Griechenland und der Kultur und DemokratieAthens gewonnen hat: „Dieser Demokratie und dieser Kul-tur liegt die Erzeugung und Verteilung von Wohlstandsgü-tern zugrunde. Die einen können Staaten regieren, nachder Wahrheit suchen, Musik machen, Statuen meißeln, Bil-der malen, Bücher schreiben, Kinder unterrichten oderden Göttern dienen, weil die anderen in schwerer ArbeitNahrung schaffen, Stoffe weben, nützliche Dinge herstel-len, Güter transportieren, sie tauschen oder ihre Herstel-lung oder Fortbewegung finanzieren. Überall ist das dieVorbedingung“ (Durant 1977, S. 40; Herv. d. Verf.).

5. Mit „Multikultur“ läßt sich die Dreisprung-UnionierungEuropas vom Reißbrett der Brüsseler Sozial-Ingenieurenicht rechtfertigen. Wenn wir das Vereinigte Europa alsZiel einer zweitausendjährigen Odyssee vor Augen haben,müssen wir uns vor den multikulturellen Sirenenklängenfest an die Masten binden.

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II. Europäische Sicherheit: Realistische Perspektive oder gefährliche Illusion?

Wenn die äußere Bedrohung eines Gemeinwesens ab-nimmt, verlagert sich die Bedrohung nach innen. Sieentsteht dann von innen und richtet sich nach innen.Die Wahrung einer Grundsubstanz an militärischenTugenden ist deshalb – auch als Quelle von Arbeits-ethik und Disziplin – überlebensnotwendig für jedeDemokratie.Lothar Bossle (sinngemäß in einem Vortrag, gehalten 1989 vor der AWP)

1. Macht eine gemeinsame Außen- und SicherheitspolitikEuropa sicherer?Ein Blick auf das Verhalten der EG anläßlich des Militärput-sches in der ehemaligen Sowjetunion 1991 und im Fall Jugo-slawien sollte genügen, um die diesbezüglichen Ambitionen(Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) Europas als il-lusionären Popanz zu entlarven. Gewiß, die Europäische Zu-sammenarbeit ist „noch nicht soweit“, wie die Entschuldi-gungsfloskel bei allen Pannen lautet. Doch dem kann manentgegenhalten: Was im Ansatz und im Detail faul ist, dasbleibt auch faul, wenn man es institutionell aneinanderkettetund fortentwickelt (oder wird eher noch fauler). Will man dieunterschiedlichen Bruchzahlen nationaler Interessenpolitikaddieren, so gelingt dies nur nach der Methode des KleinstenGemeinsamen Nenners. Und in der Militär- und Sicherheits-politik bedeutet der Rückzug auf den Kleinsten Gemeinsa-men Nenner die Fortbewegung in Richtung Größter Ge-meinsamer Gefahr.Man muß sich das ganze Ausmaß und die Tragweite der EG-Erbärmlichkeit in der Jugoslawien-Katastrophe einmal vor

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Augen führen, um zu erkennen, daß dieses Europa noch lan-ge nicht in der Lage sein wird, seine eigene Sicherheit zu ge-währleisten: Da findet zum ersten Mal in der Nachkriegszeitein sinnloser Vernichtungskrieg auf europäischem Bodenstatt. Ein kommunistisch-totalitärer Machtapparat überfälltund bombardiert ein demokratisch legitimiertes Volk, dasvon seinem völkerrechtlichen Anspruch auf Selbstbestim-mung Gebrauch gemacht hat. Und die Europäische Gemein-scha? In Mißachtung aller historischen Erfahrung und allervölkerrechtlichen Normen unterstützt sie argumentativ denblindwütig mordenden, längst illegitim gewordenen Zentral-staat und bestätigt so vor den Augen der gesamten Welt denVorwand der Aggressoren, es handele sich bei ihrem Völker-mord um ein „innerjugoslawisches Problem“. Der niederlän-dische Außenminister und Vorsitzende des EG-Rates gar, vanden Broek, entblödet sich nicht, den Kroaten wegen ihrerVerteidigungsversuche die Schuld am Bürgerkrieg zuzu-schieben. Und der deutsche Außenminister, dem man an-fänglich fast ein wenig Mut zugetraut hätte, zog flugs denSchwanz ein, nachdem er sich bereits mit der Andeutung desWörtchens „Anerkennung“ bei seinen europäischen Kolle-gen saige Watschen und rote Ohren geholt hatte. Ja es war –das haben die politischen Analysen inzwischen ergeben – al-len Ernstes ein Zeichen relativen Mutes, was Genscher zu tunwagte: Als das kleine, von der freien Welt verratene Volk derKroaten im September 1991 vor lauter Waffenstillständenseine Toten nicht mehr zählen konnte, da stieß dieser Außen-minister die „europaverträgliche“ finstere Drohung aus, dieEG könne, wenn die bösen Sachen nicht auörten, beginnenzu überlegen, ob sie nicht in Erwägung ziehen müsse, daß dieMöglichkeit bestehe, der Eventualität einer Anerkennung derkroatischen Souveränität näherzutreten. Genscher am 4. Sep-tember 1991 im Deutschen Bundestag (man frage nicht, ob es

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zum Weinen oder zum Lachen ist): „Mit jedem Schuß rücktdie Stunde der Anerkennung näher.“ Wenn das „EuropäischeSicherheitspolitik“ ist, dann sollten wir unseren Kindernkünig nichts mehr von den „Werten des Abendlands“ erzäh-len, sondern sie gleich lieber Russisch, Chinesisch und Ara-bisch lernen lassen.Wenigstens eines hätten die europäischen Jammerlappen undDauerkonferenzler tun können: zu erklären, daß sie niemalseine willkürlich oder kriegerisch veränderte Republikgrenzeanerkennen würden, weder in einem fortbestehenden Jugo-slawien noch in eventuellen Nachfolge-Teilstaaten.Was nicht heißen soll, daß es nicht vorher schon eine Palettevon Möglichkeiten zur Konflikteindämmung gegeben hätte.Otto von Habsburg: „Das grauenhae Blutvergießen und derVertreibungs- und Vernichtungskrieg gegen die Kroaten …hätte verhindert werden können: in den zwölf Monaten vonFrühling 1990 bis Frühling 1991 durch politisch-diplomati-schen Druck, im Juli und August durch die diplomatischeAnerkennung von Slowenien und Kroatien, im Septemberdurch scharfe Sanktionen“ (Habsburg  1991a). Doch selbstnach der unvermeidlich gewordenen Anerkennung Slowe-niens und Kroatiens als souveräne Staaten hielten Bonn undBrüssel an der Fiktion eines „einheitlichen Wirtschasrau-mes“ und damit an einer Art „Nachfolge-Jugoslawien“ festund unterstützten auf diese erbärmliche Weise das Mordge-schä der großserbischen Genozid-Spezialisten. Statt an „Eu-ropäische Sicherheit“ dachten die Franzosen eben an ihreaufmüpfigen Korsen, die Briten an die IRA, die Spanier an dieETA, die Italiener an ihre Sarden und die Niederländer anBeatrixens Antillen-Untertanen. Und die Deutschen dachtenan ihre Rolle als Liebe Mausi im europäischen Pantomimen-theater historischer Empfindlichkeiten.Die entscheidenden Motive der obszönen EG-Verweigerung

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waren und sind jedoch noch degoutanter: Für Frankreichund England war ihre nach dem Ersten Weltkrieg selbstge-zeugte Mißgeburt (Jugoslawien) ein südöstliches Bollwerkgegen Deutschland. Und Jugoslawien war für die alten Alli-ierten schon immer Großserbien, und nicht das (Habsburg-treue) deutschfreundliche Kroatien. Und dabei, bei derFurcht der Siegermächte vor einem nach Ost und Südost „un-befestigten“ Deutschland, ist es trotz allen Freundschas -gesäusels geblieben, auch wenn solche Atavismen der histori-schen Mottenkiste entstammen. Für dieses ebenso widerlichewie lächerliche Machtkalkül mußten und müssen Zehntau-sende von Menschen im Trümmerhaufen des Tito’schen Er-bes ihr Leben lassen und Hunderttausende aus ihrer Heimatfliehen – vielleicht für immer.(Eine notwendige Anmerkung: Ich zweifle nicht an der tiefenFreundscha zwischen Deutschen und Franzosen, und Gotthelfe uns, sie zu bewahren und zu stärken, aber ich bezweiflenachhaltig, daß diese endlich errungene Freundscha zwi-schen den Menschen diesseits und jenseits des Rheins eineentscheidende Rolle im eiskalten Machtkalkül Mitterrandsund seiner europäischen Schachbrett-Costrategen spielt. Derbundesrepublikanische Michel sollte sich an diesem Aperitifzum Europamahl jedenfalls einen Vorgeschmack für das ho-len, was ihm blüht, wenn er seine amerikanischen Verbünde-ten vor den Kopf stoßen und sich unter seinen europäischenHausgenossen geborgen fühlen sollte.) Die europäische Feig-heit und Ratlosigkeit im Fall Jugoslawien hat nicht zuletzt –so seltsam es klingen mag – etwas mit Sozialismus zu tun.Denn Europa denkt und fühlt sozialistisch (besser verständ-lich: antikapitalistisch!), auch nach dem Bankrott im Osten.Ein jeder mag sich ausmalen, was in den Medien und auf denStraßen Deutschlands und seiner Nachbarn losgebrochenwäre, wenn auf dem Balkan auch nur ein einziger amerikani-

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scher (kapitalistischer) Soldat einen Knallfrosch gezündethätte. (Erst jetzt, im Herbst 1992 setzt ein Stimmungswandelein, weil selbst der bornierteste Antikapitalist sich angesichtserschossener Säuglinge und geschlachteter Bauersfrauen kei-ne Indoktrinationschance mehr ausrechnet.) Aber so – wennkommunistische Mörderbanden ein ganzes Volk niedermet-zeln und sein Territorium erobern, so herrschte eben Stilleauf den Protestmarsch-Routen; und in den Fernsehanstalten,wo die meisten Herzen links schlagen, blieb es ein ganzes Jahrlang beim business as usual: ein bißchen Parteiengewäsch,ein bißchen bum-bum aus Kroatien und Bosnien, und danndie Lottozahlen und das Wetter.4 Es ist wohl mehr als nursymbolhaer Zufall, daß die von den Eurokraten gewählteAbkürzung GASP für die „Gemeinsame Außen- und Sicher-heits-Politik“ im Englischen „keuchen“ und „nach Luschnappen“ bedeutet.Wenn Europäische Sicherheitspolitik auch nur eines Mini-mums an Solidarität in der EG bedarf (in Wahrheit natürlicheines Maximums), dann zeigte sich spätestens im Juli 1992,wie es um diese Mindestbedingung bestellt ist: Die Weige-rung unserer Partnerländer, auch nur einen Teil der bos-nisch-herzegowinischen Flüchtlingslast mitzutragen, ist dietotale Bankrotterklärung nicht nur westlicher Humanität,sondern auch des sicherheitspolitischen Entwurfs der Euro-Illusionisten. Hans Mundorf ist vehement beizupflichten,wenn er konstatiert: „Europa ist weder eine politische Unionnoch eine Verteidigungsgemeinscha, sondern eine Organi-sation, die, wenn sie einmal ein Löwe werden sollte, zunächstnur als Schwanzquaste existiert“ (Mundorf 1991).

4 Die beste und aufschlußreichste Darstellung der Ursachen des Jugos -lawien-Desasters und der Hintergründe des erbärmlichen Fehlverhaltensder EG ist m. E. das »Dossier über den Zerfall Jugoslawiens« von Dr. BrunoBandulet (Bandulet 1992 b).

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Dem totalen Versagen Europas in Jugoslawien werden weite-re politisch-strategische Dilettantismen mit welthistorischkatastrophalen Auswirkungen folgen. Schon jetzt steht einerder nächsten Kandidaten auf der Totenliste europäischer Un-fähigkeit fest: Südafrika. Das gleiche Europa, das mit jahre-langen wirtschalichen Sanktionen die weiße Regierung indie Knie gezwungen hat, schert sich nun einen Dreck um dieFolgen dieser Politik, welche apokalyptisch sein werden.(Manuskript-Niederschri dieses Satzes: im März 1992.)Auch hier also nur Desinteresse, Apathie und scheinheiligeBelehrungssprüche, obwohl die nationalen Regierungen der Gemeinscha und die EG als Kollektiv durch massiveHilfe an die reformwilligen Weißen einerseits und durch eindeutige Sanktionsdrohungen an den fundamentalrevolu-tionären Teil der Schwarzen-Gruppierungen andererseits dasSchlimmste verhindern könnte.5

Was hat Südafrika mit der Sicherheit Europas zu tun? Werdiese Frage stellt, hat nicht begriffen, wie klein, vernetzt undverletzlich die Welt inzwischen geworden ist, und auch nicht,welche Rolle Südafrika bisher als einzige westlich-orientierteOrdnungsmacht auf dem schwarzen Kontinent gespielt hat,wie viele Milliarden Dollar oder Mark das dortige soziale,ökonomische, politische und ideologische Chaos die Indu-strieländer bereits gekostet hat (und noch kosten wird), undwas auf Europa zukommt, wenn Afrika in Flammen steht.Kurz: Das Zukunskonzept für Europas „Sicherheit“ wird diehierarchische Struktur einer (von der Nato bislang verwöhn-ten) Schoßhundefamilie annehmen: Jeder darf mal bellen,wenn der jeweils feindliche fremde Hund nicht allzu groß istund gerade mal nicht knurrt.Eine Pressestimme, welche unsere Eingangsfrage nach der Si-5 Ein sachkundiges Panorama der Südafrika-Problematik findet sich beiProf. Dr. Werner Kaltefleiter (s. Kaltefleiter 1991).

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cherheit Europas durch eine Gemeinsame Außen- und Si-cherheitspolitik am besten beantwortet (»Neue Zürcher Zei-tung« vom 31. Mai 1992): „Das, was Politiker die europäischeSicherheitsarchitektur nennen und als System ineinandergrei-fender Institutionen beschreiben, ist ein imaginäres Gebilde,eine Konstruktion fern der Realität, und funktioniert offen-sichtlich nicht, wenn es wirklich um Krieg, Tod und Zerstö-rung geht … Die einzige Organisation in Europa, die über diemilitärischen und politischen Mittel verfügt, auch im Ostendes Kontinents stabilere Verhältnisse zu schaffen, ist dienordatlantische Allianz unter amerikanischer Führung.“

2. Kann die WEU ein „Pfeiler der Nato“ sein?

„Eine Hoffnung auf ewigen Frieden könnte genausodas Unheil heraufbeschwören wie jene Politiker, dieden Menschen das Paradies auf Erden versprechen.Denn das ist der sicherste Weg in die Hölle.“Otto von Habsburg (1991b)

Ein Statement vorweg (und nicht nur in Richtung der Alt-und Neu-Pazifisten): Eine Gesellscha, die nicht (mehr) ver-teidigungswillig ist, ist zum Untergang verurteilt. Das giltauch dann, wenn aktuell – scheinbar oder tatsächlich – keineäußere oder innere Bedrohung in Sicht ist. Freiheitswille undFreiheitsliebe sind aktive Phänomene, keine passiven. Erlah-mende Wachsamkeit und sinkendes Engagement für dieWerteordnung einer freien Gesellscha (wozu auch unabläs-sige Verteidigungsbereitscha gehört) ist per se schon eineGefahr für den Bestand der Freiheit. Wenn das Licht der Frei-heitsliebe in den Herzen der Menschen erlischt, ist die Folgenicht neutrale Indifferenz, sondern Dunkelheit und Finster-nis. Der Vertrauensselige, Schläfrige, Wehrlose und Unacht-same ist immer bedroht, und für den Schwachen ist es nur ei-

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ne Frage der Zeit, bis er beraubt, erpreßt, gedemütigt, ver-sklavt oder getötet wird.

Zur aktuellen Nato / WEU-Debatte: Das Harmonie- und Verträglichkeitsgerede über die Atlanti-sche Allianz einerseits und die Westeuropäische (Verteidi-gungs-) Union (WEU) andererseits verschleiert nur die radi-kalen strategischen, psychologischen, hierarchischen, geopo-litischen und sozialphilosophischen Gegensätze und Unter-schiede zwischen diesen beiden Institutionen. Bei näheremHinsehen erweisen sich zudem alle offiziösen Statementszum Neben- und Miteinander von WEU und Nato als leerePhrasen. Als Musterbeispiel die besonders „markanten“ Sätzedes Bundesaußenministers Klaus Kinkel vor der WEU in Paris (am 2. Juni 1992): „Diese Doppelfunktion der WEU alseigenständiges Instrument europäischer Sicherheit und alseuropäischer Pfeiler der Nato bringt zum Ausdruck, daß dieeuropäische Sicherheit untrennbar mit der der nordamerika-nischen Demokratien verbunden ist … So wie die WEU, soist auch das Euro-Korps darauf angelegt, die gemeinsame Si-cherheit zu stärken und nicht durch unvereinbare Parallel-strukturen zu schwächen. Dieses Korps bringt auch für dieSicherheitsinteressen der Allianz ein Mehr, nicht ein Wenigeran Handlungsoptionen“ (Kinkel 1992).Reine Beschwörungsformeln ohne jede logisch-inhaltlicheSubstanz! All die schönen Wischiwaschi-Begriffe „Brückezur Nato“, „Europäischer Sicherheitspfeiler der Nato“, „Wech-selseitige Ergänzung von Nato und WEU“ etc.: Illusions-Fir-lefanz profilsüchtiger Funktionäre. Die größte Sicherheitsge-fahr für die Europäer liegt in der Illusion, gemeinsam (ohnedie USA) stark genug zur eigenen Verteidigung und zur geo-politischen Sicherung Europas zu sein oder werden zu kön-nen. Diese Vorstellung ist unter allen denkbaren Aspekten

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falsch: unter interessenpolitischen, strategischen, geographi-schen und demographischen, psychologischen, logistischenund potentialorientierten. Eine Nato oder ein anderes wieauch immer geartetes Verteidigungsgebilde ohne die USA indominierender Position würde ungeahnte Gefahren geradezuheraueschwören und wäre ein Sicherheitsrisiko ersten Ran-ges. Auch wenn sich die Nachfolgestaaten der Sowjetunionkünig und dauerha als Friedenslämmer erweisen sollten(was höchst unrealistisch ist), bliebe Europa sicherheitspoli-tisch ein lächerlicher Zwerg unter unberechenbaren Riesen.Die Gefahren für den alten Kontinent werden sich zwar wan-deln, aber sie werden nicht geringer werden. Die Sicherheitdes Abendlandes kann nur gesamtabendländisch sein, dasheißt atlantisch, nicht aber rumpfabendländisch, also euro-päisch. Vergessen wir in der gegenwärtigen Friedenseuphorie(mit Blick nach Osten) nicht, daß Europa von ganzen Konti-nenten schizophrener Giganten eingekreist ist. Die Schizo-phrenie: Einerseits handelt es sich um militärische und de-mographische Kolosse, andererseits um ökonomisch dahin-siechende Elendsgesellschaen: Rußland, Afrika, Nahost; umAtom- und / oder Land- und Menschenmassen-Riesen, dieam Rande des Hungertods jederzeit in die blindwütige Rase-rei derer verfallen können, die nichts mehr zu verlieren ha-ben. Noch – und vielleicht noch lange – stehen die Worte des„Schwarzen Oberst“ der Roten Armee, Viktor Alksnis, vomJanuar 1991 im Raum (in einem Interview mit der Illustrier-ten »Bunte« vom 24. Januar 1991): „Wenn das so weitergeht,wird der Bürgerkrieg in der UdSSR unvermeidlich. Und eswird ein schrecklicher Krieg. Eine richtige Apokalypse. Dannwerden wir ohne Zweifel alle tot sein, aber leider, es ist sehr,sehr schade, mit uns wird die gesamte Welt sterben … Wennwir gehen müssen, dann gehen wir nicht allein.“ Fest steht:Mit dem Ende des Warschauer Paktes ist am Ostrand der

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Nato ein Gürtel schutzloser Staaten entstanden. Diese wer-den Schutz suchen und früher oder später auch finden. Ent-weder im Westen oder im Osten. Auf Europa und seine lang-fristige Sicherheitsstrategie kommen Aufgaben zu, welche imAtomzeitalter ohne die Integrationsklammer einer unge-schwächten Nato nicht zu lösen sein werden. Fest steht leiderauch, daß sich Europa nach 42 wohlbehüteten Jahren imSchoß der Nato nun „emanzipieren“ und mit Hilfe der WEUselber eine Großmacht werden will. Ein Blick auf die Land-karte genügt, um diesen Wunsch als gefährlichen Unsinn zuentziffern. Das im Weltmaßstab winzig kleine und dichtbe-siedelte Europa ist hochverletzlich und – gemessen an atoma-ren Parametern – ein Wicht, wenn nicht gar ein wichtigtueri-scher Hanswurst. Angesichts der Kernwaffen-Proliferation inlabile Staaten, der Bevölkerungsexplosion in der DrittenWelt, weltweiter Wanderungsbewegungen und Umweltzer-störungen, sowie unwägbarer Entwicklungen in den Nachfol-gestaaten der Sowjetunion und einer raschen Ausweitung desislamischen Krisenbogens redet der Historiker Prof. MichaelStürmer in dankenswerter Nüchternheit nicht von einer„Neuen Weltordnung“, sondern von einer katastrophalenWelt-Unordnung, aus welcher er folgert: Die Kooperation imRahmen weniger, aber handlungsfähiger Institutionen wiediejenige der Nato bleibt in dieser anarchischen Staatenweltvon größter Bedeutung (s. Stürmer 1992).Hätte die WEU tatsächlich, wie vielfach behauptet wird, nurdas bescheidene Ziel, Koordinationsaufgaben für den euro-päischen Pfeiler der Nato wahrzunehmen, so könnte sieNützliches zuwege bringen. Jacques Delors jedoch, Präsidentder EG-Kommission, hat sich ausdrücklich für eine eigeneVerteidigungspolitik der EG und gegen Vorschläge ausge-sprochen, die WEU nur als Kooperationsbrücke zur Nato zunutzen (im März 1991 vor dem International Institute for

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Strategic Studies, in London). Und die französische Regie-rung hat beim Maastrichter Gipfel am 9. und 10. Dezember1991 ihr Maximalziel einer unabhängigen EG-Verteidigungs-politik nur deshalb nicht erreicht, weil Helmut Kohl sich demtrüben Spiel verweigerte. Noch steht also die Wacht am Rhein(Bonn) vor der Gefahr eitler Großmannssucht vieler europäi-scher Polit-Fürsten, aber wehe wenn das Pendel bei einerkünigen Wahl nach links ausschlagen sollte, also in jeneRichtung, wo der „Amerika-Skeptizismus“ Tradition hat. Dieabendländische Linke hat im Schatten der kommunistischenWeltbedrohung ihre sozialistischen Trugbilder siebzig Jahrelang weitergeträumt – auch sicherheitspolitisch. Jetzt, da dasSowjetreich und seine Erben in Agonie liegen (von der nie-mand weiß, wie lange sie dauern mag oder was sich schließ-lich aus dem Totenbett erheben wird), jetzt also würde dieseLinke endgültig in einen sicherheitspolitischen Tiefschlaf fal-len, der dem Scheintod näher wäre als der Ohnmacht.Man mag es drehen und wenden wie man will: die WEU istund bleibt eine Mißgeburt. Will sie die Nato nicht antasten,ist sie überflüssig; will sie sich auf Kosten der Nato entwickelnoder von der Nato „emanzipieren“, werden sich die USA ausEuropa zurückziehen und den gesamten Kontinent schutzlosdem pubertären europäischen Sicherheits-Krüppel WEUhinterlassen. Deutschland (als Nicht-Nuklearmacht) undganz Europa unter dem „Schutz und Schirm“ von ein paaratomaren Kurzstrecken-Zahnstochern Frankreichs: eineHorrorvision. Die europäisch-amerikanische Allianz mußgestärkt, nicht geschwächt werden. Europäische Möchtegern-Feldherren sind im Zeitalter der atomaren Weltvernichtungs-potentiale Witzblattfiguren; allerdings solche von der maka-bersten Sorte, die sich denken läßt.In der Diskussion über einen „Umbau“ der Nato (besser: dendahinterstehenden Abbaugelüsten) kommt dem Buch des

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Historikers Arnulf Baring »Deutschland, was nun?« eineerstrangige Bedeutung zu. Entschieden plädiert Baring fürdie sorgsame Bewahrung der amerikanisch-deutschen Alli-anz und warnt davor, die USA als wichtigsten Bündnispart-ner durch das unendlich viel schwächere Frankreich ersetzenzu wollen. Deutschland wird nicht nur finanziell, sondernauch sicherheitspolitisch die Hauptlast der Unwägbarkeitenöstlich seiner Grenzen zu tragen haben, und es sollte sichhierbei nicht allzu sehr auf die Hilfe seiner EG-Partner ver-lassen. Es besteht die begründete Gefahr, daß sich die ande-ren westeuropäischen Nationen hinter dem neuen Sicher-heitspuffer Deutschland verschanzen werden (die makabreNeuauflage eines westverschobenen „Cordon sanitaire“).Winfried Becker faßt in einer Besprechung des Baring’schenBuches zusammen: „Die nachdrückliche Präsenz der USAauf dem Kontinent ist unverzichtbar, solange die Mächtekon-stellation ungeklärt bleibt, kommunistische Armeeführer aufeigene Faust Kriege anzetteln und eine von Osteuropa impor-tierbare Labilität unsere innere Lage zusätzlich komplizierenkönnte, die durch das west-östliche Sozialgefälle und entspre-chende Mentalitätsdifferenzen schwierig genug gewordenist.“ Und stellvertretend für Baring fragt Becker: „Hat die voneinem gesicherten Dasein verwöhnte Mehrheit der Bevölke-rung noch einen zureichenden Begriff davon, welcher inne-ren Anstrengungen und welcher äußeren Mächtekonstella-tionen es bedarf, um komplizierte Hochzivilisationen … amLeben zu erhalten? … Glaubt man wirklich, auf die Demon-stration von Kra und Festigkeit nach außen, auf eindeutigeGesten der Verbundenheit mit unseren wichtigsten Freundenverzichten zu können? Die ständige Präsentation von EG-Konferenzen im Fernsehen bietet dafür keinen Ersatz“ (Ba-ring 1991; W. Becker 1991).

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3. Wie wackelig ist die Nato bereits?

(Zur Nato:) „Wer drin ist, ist sicher; wer draußen ist, istweniger sicher. Sie ist das Stabilste, was es in dieserWelt gibt.“Nato-Generalsekretär Manfred Wörner

Ende Februar 1991 überreichten die US-Botschaer bei allenMitgliedsländern der WEU den jeweiligen Regierungen einevertrauliche Demarche. Der Inhalt in Kurzfassung: Eine eu-ropäische Sicherheitsunion auf Kosten der Nato ist für dieUSA nicht akzeptabel.Man unterschätze nicht die diesbezügliche amerikanischeBefindlichkeit und Empfindlichkeit. Besonders die Worte desPräsidenten und seines Außenministers sollte man sorgfältigwiegen, um ihr ganzes Gewicht feststellen zu können. GeorgeBush auf dem Nato-Gipfel in Rom Anfang November 1991(an die Adresse der Europäer): „Wenn es Ihr Ziel ist, selbst fürIhre Verteidigung zu sorgen, so haben Sie heute die Gelegen-heit, es uns zu sagen.“ Und James Baker in einem Interviewmit dem »Wall Street Journal« im Dezember 1991: „Wir wer-den dort [in Europa] so lange bleiben, wie wir erwünschtsind, aber auch keine Minute länger.“ Auch das AngebotBushs an die Deutschen, „partners in leadership“ sein zu kön-nen, gehört auf die Goldwaage der deutschen Geschichte. Esbesagt nicht weniger, als daß der Präsident befürchtet (undzugleich ho), daß die Bundesrepublik sich als der einzigverläßliche kontinentaleuropäische Sicherheitspartner dies-seits des Atlantiks erweisen könnte. Ein schweres Wort in ei-ner zerbrechenden Welt.Jedenfalls ist den amerikanischen Bürgern in ihrem hochver-schuldeten und von ökonomischen Krisen geschütteltenLand eine geopolitische Alleinzuständigkeit der USA für dasÜberleben des Westens nicht mehr vermittelbar. Schon gar

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nicht mehr nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Was in denUSA noch an geostrategischem Sicherheitsinteresse fort -bestehen kann, wird sich wohl künig stärker auf bilateraleverläßliche Partnerschaen abstützen. Vorrangige Adressenhierfür: Rußland, Großbritannien, Deutschland. Eine seltenanzutreffende analytische Sehschärfe für diese ematik fin-det sich bei Ronald Asmus von der Rand Corporation, wenner aus der veränderten Sicht der Amerikaner die Schlußfolge-rung zieht, daß für Deutschland künig viel, wenn nicht allesdavon abhängen wird, wie es auf Krisen am europäischenRand reagiert. Drückebergerei und verbale Eiertänze unterBerufung auf ein (noch lange) handlungsunfähiges Gemein-schas-Europa jedenfalls werde Deutschland aus der Riegeder möglichen „partners in leadership“ ausgrenzen und dieNato in Agonie versetzen. Kurz: „Der alte Konsens, welcherden deutsch-amerikanischen Beziehungen zugrunde lag, ist… auf beiden Seiten des Atlantiks in Gefahr … Wir braucheneinen neuen politischen, wirtschalichen und strategischenPakt zwischen den USA und Europa“ (Asmus 1992).Eine ähnlich pointierte Analyse findet sich bei Daniel Bur-stein (»Weltmacht Europa«). Seine Sicht: Der Niedergang derUSA liegt in den Reagan’schen Rüstungsausgaben und derdamit einhergehenden Verschuldung begründet. Die Militär-ausgaben der achtziger Jahre von zweitausend MilliardenDollar haben Amerikas Defizite und Schulden in astronomi-sche Höhen getrieben. Die weitere Folge: Verteuerung derKapitalkosten um 200 bis 300 Prozent und ein entsprechen-der Niedergang der Langfrist-Investitionen. Wirklich „loh-nend“ waren also nur noch die kurzfristigen, volkswirtscha-lich unproduktiven Finanzgeschäe, Übernahmen und Fir-menausschlachtungen. In der gleichen Zeit haben Japan undDeutschland ihr Geld in industrielle Investitionen gestecktund sind deshalb die eigentlichen neuen Weltmächte gewor-

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den. Burstein: „Der Dritte Weltkrieg [Kalter Krieg; d. Verf.]ist beendet, und die Japaner und Deutschen haben ihn ge-wonnen“ (Burstein 1991, S. 140).Hier wird – so scheint mir – die Gefahr für die Nato (und dasheißt: für die deutsche und europäische Sicherheit) nochdeutlicher: Auf der einen Seite werden die USA mit zuneh-menden wirtschalich-finanziellen Schwierigkeiten überrea-gieren. Motto: Endlich stecken wir unser Geld in unser eige-nes Land. Militärischen Schutz für Europa gewähren wir al-lenfalls noch gegen Erstattung der vollen Kosten. Auf der an-deren Seite wird Europa auf „Zumutungen“ dieser Art mit ei-nem neuen und übersteigerten Selbstwertgefühl reagieren.Tenor: Wenn wir schon so viel Geld ausgeben sollen, dannkönnen wir das Sicherheitsgeschä auch selber besorgen. Esbesteht also die Gefahr des Auseinanderdriens von beidenSeiten der atlantischen Partnerscha. Und das ist lebensge-fährlich für Europa (und vor allem für Deutschland), dennder alte Kontinent wird noch jahrzehntelang – vielleicht so-gar für immer – nicht in der Lage sein, allein für seine Sicher-heit zu sorgen. Daniel Burstein jedenfalls könnte recht behal-ten mit seiner finsteren Prognose: „Bis zum Jahr 2000 wirdDeutschland effektiv neutralisiert, Europa weitgehend einewaffenfreie Zone und das amerikanische Truppenkontingentabgezogen sein … Zu diesem Zeitpunkt könnte es nicht mehrum die Frage gehen, ob sich Deutschland an den Westen bin-det und sich nach Osten wendet, sondern vielmehr darum,ob nicht das von Deutschland dominierte gesamte Europaunentrinnbar in eine sowjetische6 Allianz eingebunden ist“(Burstein 1991, S. 254 f).

6 Bursteins inzwischen veralteten Begriff „sowjetisch“ sollte man heutedurch „großrussisch“ ersetzen. Zur Dimension, die dieses „großrussisch“annehmen kann, einige Sätze des Vorsitzenden der Liberal-Demokrati-

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4. Ist Europa als politische Union sicherer?

„Den [Befürwortern] des westeuropäischen Großstaa-tes geht es nicht in erster Linie um wirtschaftlichenWohlstand, sondern um politische Geltung im übrigenEuropa und in der Welt. Die Rede ist von einer hand-lungsfähigen Weltmacht Europa. Aber sichert nicht diegroße Zahl der kleinen und mittelgroßen Länder denFrieden besser als das tripolare Weltsystem mit denUSA und Japan, das manchem vorschwebt?“Christian Watrin (1992)

Es ist des Nachdenkens wert, ob nicht ein politisch uniertesEuropa über mehr Geschlossenheit und Kra in seinen si-cherheitspolitischen Entscheidungen und Handlungen ver-fügen würde als die derzeitige Gemeinscha souveräner Staa-ten aufzuweisen hat. Der Gedanke ist auf den ersten Blick be-stechend. Auf den zweiten, genaueren Blick zeigt sich jedoch,daß der unerläßliche Eckpfeiler einer Politischen UnionEuropas, nämlich die Sicherheitsunion, bereits im Geburts-stadium und aus prinzipiellen Gründen morsch und brüchigist. In Anbetracht der deutlichen Unterschiede der euro -päischen Nationen hinsichtlich Mentalität, Geschichte, Parteienstruktur, ökonomischem Potential, geostrategischer Lage und gravierend differierender Bindungen zu (vielfachsprachverwandten) Nachbarländern kann es in einer Politi-schen Europa-Union keine wirksame einheitliche Sicherheits-politik geben. In einem Gebilde aus derart heterogenen Inter -schen Partei Rußlands, Wladimir Schirinowski (in der Zeitschrift »Rossi-ja«): Eine Mehrheit der russischen Bevölkerung – so Schirinowski – wolleeine Diktatur. Wenn er, Schirinowski, zum Diktator gewählt werde, werdeer das Russische Reich zunächst in den Grenzen der früheren Sowjetunionwiederherstellen, und danach in den Grenzen des Zarenreiches. Die russi-sche und die deutsche Regierung – so Schirinowski weiter – würden Ost-europa unter sich aufteilen.

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essenträgern ist Einheitlichkeit ein logischer Widerspruch insich selbst. Und Sicherheitspolitik bedarf nun einmal der un-zweifelhaen Einheitlichkeit grundlegender Interessen. Hierwird jede Inkongruenz der Partner im Wollen, Können undMüssen zur tödlichen Gefahr. (Genau deshalb ist ja die Natoals interessenübergreifende und von einer nichteuropäischenWeltmacht dominant geführte Klammer so unerläßlich undeffektiv für den Schutz des Alten Kontinents.)Für eine „einheitliche“ Sicherheitspolitik unter europäischerRegie würden immer nur zwei Optionen zur Wahl stehen:Entweder der faule Kompromiß, also jenes Minimalkonzept,auf welches man sich gerade noch einigen könnte, oder diesog. „Salat-Lösung“. Salat-Lösung will sagen: Jeder darf vondem, was ihm persönlich schmeckt, etwas in die gemeinsameSchüssel werfen, auf daß es vermengt und als Gemischter Salat angeboten werden kann. Anders ausgedrückt: Alleswird durchgesetzt, um die Interessen eines jeden Mitglieds zuwahren, aber von allem eben nur ein bißchen. An dieser Stelleist mit dem Einwand der Maastricht-Apologeten zu rechnen,die EG müsse eben in allen Belangen mit Mehrheitsbeschlüs-sen entscheiden, auch in denen der Außen- und Sicherheits-politik (und nicht wie bisher auf diesem Gebiet mit Einstim-migkeit). Am Beispiel Jugoslawien konkretisiert, bringt dasdie Überzeugung der Mehrheitsentscheid-Anhänger zumAusdruck, die EG hätte von Anfang an ganz anders handelnkönnen, wenn sie für ihre Beschlüsse nicht der Zustimmungaller Partner bedur hätte, sondern nur der Mehrheit. Dies istjedoch – sowohl prinzipiell als auch im konkreten Beispiel –ein Irrtum. Die Anerkennung Kroatiens als souveräner Staatwäre in den entscheidenden Schicksalsstunden des kroa -tischen Volkes auch mit Mehrheitsbeschluß abgelehnt wor-den. „Warum“, fragt omas Kielinger vom »RheinischenMerkur«, „sollten diejenigen, die in Freiheit gegen etwas sind,

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unter Zwang dafür sein?“ Und er fährt fort: „Es muß vielmehrmit der Möglichkeit gerechnet werden, daß bei auswärtigenKonflikten eine handlungsbereite europäische Minderheitdurch Mehrheitsbeschluß daran gehindert wird, sich beimKrisenmanagement zu engagieren. So geht das eben bei demokratischen Prozessen. Die Minderheit düre dann nichtausscheren, weil, täte sie es, das Kartenhaus der PolitischenUnion in sich zusammenbräche … Anders gesagt: Der Zwangzur Einheit kann aus der Politischen Union ein besonderspeinliches Spektakel der Schwäche machen … Freiwilligschwach sein ist eine Blamage, schwach sein aus Prinzip (unter institutionellem Zwang) eine Katastrophe“ (Kielin-ger 1991).Wie wirklichkeitsnah diese Sicht der Dinge ist, mag sich einjeder an den Golrieg-Konstellationen vergegenwärtigen. Injenen Tagen konnten wenigstens Frankreich und England ei-nen aktiven Beitrag zur Unterstützung des amerikanischenPartners leisten. (Wohlgemerkt bei einer Aktion, bei der esum das Lebens- und Überlebenselixier der westlichen Indu-strienationen ging: um die Energiequellen.) Als PolitischeUnion wäre Europas Handlungsspielraum damals nicht grö-ßer, sondern gleich Null gewesen. Auch künig werden wirmit Blick auf unsere östlichen Nachbarn feststellen müssen,wie weit die politisch-historischen Sichtweisen der verschie-denen EG-Länder differieren. Auch aus den Veränderungenim Osten kann die Europäische Gemeinscha keine über -einstimmenden (und somit gar keine) Schlußfolgerungenziehen, weil – wie Herbert Kremp es ausdrückt – „die ›Ge-schichtsphilosophien‹ der Regierungen auseinanderklaffen“(Kremp 1991).Bliebe da noch der Einwand, Europa als Politische Unionkönne die KSZE, die Konferenz über Sicherheit und Zusam-menarbeit in Europa, zu einem festen Sicherheitsdach über

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den eurasischen Kontinent ausbauen. Mein Gegenargument:Zum einen bleibt uns das auch außerhalb einer Union unbe-nommen, und zum anderen vergesse man nicht, daß – bei al-ler Notwendigkeit dieses Forums – die KSZE weder Soldatennoch Waffen noch taktische oder strategische Planungsstruk-turen hat. Im Konflikts- oder gar im Angriffsfall wäre dieKSZE völlig macht- und hilflos. Weder für die westeuropäi-sche Sicherheit noch für die Bewältigung der hochbrisantenProbleme, die sich aus dem sicherheitspolitischen Vakuum inOsteuropa ergeben können, gibt es eine Alternative zur Nato.Wir kommen nicht umhin, uns der Einsicht zu beugen, daßeine Politische Union nach dem Strickmuster der EurokratenEuropa nicht sicherer macht, sondern zum Selbstmordkandi-daten.

5. FazitAlles deutet darauin, daß der profilneurotische Traum derpolitischen Euro-Kaste von einem großmächtigen Europa dieNato aushöhlen und deren einzigartige Stabilität gegen dieSchimäre eines quotengeregelten Multivölker-Heerhaufenseintauschen wird. Und das, obwohl spätestens der Golrieggezeigt haben sollte, daß keine europäische Institution in ab-sehbarer Zeit über eine integrierte militärische Kommando-struktur verfügen kann, wie sie die Nato seit Jahrzehnten ein-geübt hat. Und dies auch in krassem Widerspruch zur Ein-sicht, die wir nach 35 Jahren endlich gewonnen haben sollten:daß die Nato mehr als ein Militärbündnis ist, nämlich eineLebensgemeinscha freier Völker und eine Schutz- undTrutz-Weltinsel in einem zunehmend chaotischen Meer ausElend, Feindscha und Zerstörung.Ein anderer Aspekt wiegt vielleicht noch schwerer: Es ist un-zweifelha, daß sich Europa entschieden und umfassend nachOsten öffnen muß. Geschieht dies nicht schnell und gründ-

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lich, so werden wir auf dem eurasischen Kontinent binnenweniger Jahre Polarisierungen und militärisch-ideologischeGruppierungen vorfinden, welche die Zeit des Kalten Kriegesals paradiesisches Interregnum der Schicksalsgöttinnen wer-den erscheinen lassen. Die Akteure Maastricht-Europas wol-len uns nun durch penetrante Wiederholung weismachen, esgebe keinen Widerspruch zwischen der Vertiefung Kerneuro-pas einerseits und einer fast beliebigen Erweiterung nachOsten und Südosten andererseits. Dies ist wohl die abenteu-erlichste aller Euro-Illusionen. Da es keine Politische Unionund keine Währungsunion von Lissabon bis Wladiwostokgeben kann, muß jede diesbezügliche Vertiefung der west-europäischen Union die materielle und psychologische Mau-er nach Osten um eine unerträgliche Dimension erhöhen.Während die EWG, also die Europäische Wirtschasgemein-scha, sich beliebig weit nach Osten öffnen könnte (denn fürfreie Märkte und freien Handel ist kein Raum groß genug; die optimale Größe wäre der gesamte Globus), ist jeder überdie Wirtschasgemeinscha hinausgehende Unionierungs-schritt Kerneuropas ein Bauelement zu einem neuen Eiser-nen Vorhang zwischen Ost und West.Hierbei sollte nicht in Vergessenheit geraten, daß es dieseEWG, diese Wirtschasgemeinscha gewesen ist, die dasfriedliche Zusammenwachsen der europäischen Völker in ei-nem organisch-evolutorischen Entwicklungsprozeß viel wei-ter vorangeführt hat, als wir uns das vor 35 Jahren hättenträumen lassen. Mit Blick auf die Zukun der bestehendenEG, aber auch mit Blick auf unsere östlichen Nachbarn solltesich jeder Eurokrat den Spruch an seine Bürowand nageln:„Economics unite and politics divide“ (Wirtscha verbindetund Politik trennt).Aus alledem folgt: Die Politische Union Europas nach Maas-trichter Dreisprung-Manier läßt einen dramatischen Sicher-

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heitszerfall für die Völker der Gemeinscha erwarten. DieHöhe des Gefährdungsrisikos, also allein schon der sicher-heitspolitische Aspekt sollte hinreichen, dieser übers planifi-katorische Knie gebrochenen Form der Politischen Unierungentschieden entgegenzutreten.

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III. Sozialeuropa: Idee und Wirklichkeit der „menschlichen“ Dimension der EG

„Uneinsichtigkeit in logische Währungs- und Wirt-schaftszusammenhänge kann [nicht] ursächlich seinfür das Verhalten von Kanzler, Finanzminister und Au-ßenminister. Selbst primitive europäische Hurragesin-nung kann für die überstürzte und für ganz Europaschädliche Vorgangsweise nicht ausschlaggebend sein.Eher ist es Furcht vor der ökonomischen, ökologischenund politischen Zukunft, die Furcht davor, dem Volkselbst klarmachen zu müssen, daß der bisherige Weg inden Wohlfahrtsstaat falsch war und daß daraus unab-sehbare Überforderungen erwachsen. Wahrscheinlichhandelt es sich also um Flucht aus der Verantwortung,um eine ›Flucht nach Brüssel‹, das dann den europäi-schen Völkern ›Mores lehren‹ kann, ohne dafür poli-tisch zur Verantwortung gezogen werden zu können.“Helmuth Seliger (1992)

1. Was ist unter „Sozialeuropa“ zu verstehen?Was also hat es mit den wohlklingenden Bezeichnungen „So-zialunion“, „Sozialcharta“, „Charta der sozialen Grundrechte“,„Soziale Dimension“ oder „Soziale Flankierung“ im EG-Kon-text auf sich? Seit der Verabschiedung der Einheitlichen Euro-päischen Akte im Juli 1987 zeichnete sich in der Gemeinschaein neues Ziel ab: die Unterschiede in den sozialpolitischenVorschrien der Mitgliedsländer sollten abgebaut werden.Ende 1988 forderte die EG-Kommission den Wirtschas- undSozialausschuß der EG auf, eine „Europäische Charta der sozialen Grundrechte“ auszuarbeiten. (Im Wirtschas- undSozialausschuß der EG haben Vertreter von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Gewerkschaen, freien Berufen, Landwirten

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und von kleinen und mittleren Unternehmen Sitz und Stim-me.) Im Mai 1989 legte die Kommission einen Vorentwurf die-ser Sozialcharta vor, welche alsdann im September 1989 ange-nommen und im darauffolgenden Dezember auf dem Gipfelin Straßburg von allen EG-Mitgliedern (mit Ausnahme Groß-britanniens) feierlich verabschiedet wurde.Auch im Europaparlament fand das ema rasch Anklang.Nach der Neuwahl von 1989 befaßte sich eine der ersten gro-ßen Debatten mit „Sozialeuropa“. In seltener Einmütigkeitunter den großen Fraktionen der Sozialisten und Christde-mokraten sprachen sich die EG-Parlamentarier für verstärk-ten Druck auf EG-Kommission und Ministerrat aus. Diesebeiden maßgeblichen Organe der EG sollten den gemeinsa-men Binnenmarkt mit konkreten Maßnahmen „sozial flan-kieren“. EG-Kommissionspräsident Jacques Delors sagte denAbgeordneten zu, die einschlägigen Artikel der EinheitlichenEuropäischen Akte jeweils „extensiv“ auszulegen. (Merke: Fürdiplomatisch geschulte Funktionäre ist „extensiv“ ein salon-fähiges Synonym für „exzessiv“.)Hatten sich die EG-Bemühungen bis dato darauf beschränkt,die Grenzen zwischen den verschiedenen nationalen Arbeits-märkten durchlässiger zu machen (Freizügigkeit, Niederlas-sungsfreiheit, wechselseitige Anerkennung von Berufs -abschlüssen etc.), so zeigte sich nun in der „Gemeinschas-charta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer“ (kurz:Sozialcharta) die eindeutige Absicht der Eurokraten, mög-lichst alle Unterschiede in den sozialpolitischen Regulie-rungsnetzen der Mitgliedsländer abzuschaffen. (Wohlge-merkt nicht die Regulierungsnetze selbst, was ja vehement zubegrüßen wäre, sondern nur deren Unterschiede.) WelcherWahnwitz sich hinter solchen Ambitionen verbirgt, ist nur zuermessen, wenn man sich die gewaltigen Unterschiede inLöhnen und Sozialleistungen, Produktivität und Kapitalaus-

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stattung, Ausbildung und Beschäigung zwischen den Län-dern der Gemeinscha vor Augen führt. So war beispielswei-se eine Klu von eintausend Prozent in den Arbeitslosenquo-ten zwischen dem am wenigsten und dem am meisten betrof-fenen Land der EG in den letzten Jahren die Regel (Luxem-burg um 2 %, Spanien um 20 %). Sogar die Erwerbsquoten(Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung)differieren im Extrem um zweistellige Prozentzahlen. Die Be-schäigungsstruktur (Männer, Frauen, Jugendliche; Land-wirtscha / Industrie / Dienstleistungen) ist noch inhomoge-ner. Bei den Stundenlöhnen war 1990 ein Gefälle vom Faktor5 zwischen Dänemark und Portugal festzustellen; ein nochgrößeres bei den Lohnnebenkosten. Ähnliche Extremwertegibt es bei Produktivität, Bruttoinlandsprodukt je Kopf undsonstigen makroökonomischen Kennziffern, die sich mit derLeistungskra und dem Entwicklungsstand der europäischenVolkswirtschaen befassen. Was jedoch von weit größererTragweite ist: Hinter dem Prozent-Wirrwarr verbergen sichDivergenzen in absoluten Zahlen, welche – in D-Mark ausge-drückt – Hunderte von Milliarden ausmachen und vielfachsogar die Größenordnung von einigen Tausend Milliardenannehmen.Doch Europas Bürger lassen sich derweil von Partei- und Ge-werkschasfunktionären einreden, es handele sich bei Unter-schieden in den Löhnen und den Sozialleistungen zwischenden Ländern der EG um „Wettbewerbsverzerrungen“, welcheschleunigst zu eliminieren seien. In Wirklichkeit sind solcheVariablen jedoch Bedingungen und Voraussetzungen desWettbewerbs und spiegeln nur jene Ungleichheiten der Men-talität, der geographischen und demographischen Gegeben-heiten, des Entwicklungsstandes und der politischen Kon-zeptionen und Konstellationen in den Ländern der Gemein-scha wider, welche den Wettbewerb im internationalen Wa-

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ren- und Faktoraustausch erst möglich machen. Wettbewerblebt von Unterschieden, nicht von der Gleichheit. (Mit Aus-nahme der Homogenität des Ordnungsrahmens. Doch da-von später.) Und diese Unterschiede sind auch kein „Lohn-oder Sozialdumping“, wie es den Gewerkschasbossen soleicht von den Lippen geht. Dumping nennt man die künst -liche, staatlich subventionierte Verbilligung von Güterpreisenoder von Produktions- und Arbeitskosten, keinesfalls jedochdas natürliche und entwicklungsgeschichtlich begründeteGefälle zwischen verschiedenen Nationen, Regionen undEthnien. (Vielfach ist es sogar falsch, bei solchen Ungleich-heiten von „Gefälle“ oder von „reich und arm“ oder „besser /schlechter“ zu reden, denn sie können auch Ausdruck einerandersartigen Lebensweise und unvergleichbarer Sozial-strukturen im Leben verschiedener Völker sein. Wer düresich beispielsweise die Behauptung anmaßen, ein schwer-kranker oder hinfälliger griechischer Großvater, der im in-takten Verband seiner Sippe betreut und gepflegt wird, sei„ärmer“ oder beklagenswerter als ein vermögender und tage-geldversicherter einsamer Senior im Seelenwinter einer bun-desdeutschen Pflegestation.)Nochmals: Wenn bei der geplanten politisch betriebenen An-gleichung der Kostenniveaus (Löhne / Lohnnebenkosten /Soziallasten) in der EG von „Konvergenz“ der Wettbewerbs-bedingungen gesprochen wird, so zeugt das von einem funda-mentalen Mißverständnis, wenn nicht gar von einer bewuß-ten Verfälschung des Wettbewerbsgedankens in einer Markt-wirtscha. Hier, in der Marktwirtscha, gelten als Wettbe-werbsbedingungen (welche möglichst gleich sein sollten) derfreie, ungehinderte Marktzugang, die weitestmögliche Mobi-lität der Produktionsfaktoren, und die freie unternehmeri-sche Entscheidung über deren Kombination und Allokation,sowie eine Rechtsordnung, welche diese Bedingungen und

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die Eigentumsrechte vor Beschränkungen und Mißbrauchschützt. Keinesfalls darf in Marktwirtschaen unter „Gleich-heit“ (oder Konvergenz) der Wettbewerbsbedingungen, dersogenannten Rahmenbedingungen, eine völlige oder weitge-hende Unterschiedslosigkeit der Wettbewerbskomponenten –also vor allem der Faktorpreise (oder Kosten) verstandenwerden. Politisch-administrativ betriebene Preis- und Ko-stenangleichungen zwischen verschiedenen Wettbewerbern– auch zwischen Ländern und Regionen – verfälschen diePreissignale und somit auch die wahren Kosten- und Knapp-heitsrelationen. Die Folge sind massive Investitions-Fehllen-kungen und Ressourcenverschwendung unabsehbaren Aus-maßes. Die volkswirtschalichen Schäden werden durchKorrekturen, welche der Markt früher oder später erzwingt,noch vergrößert; also durch Firmenzusammenbrüche, Bran-chen-Krisen, gesamtwirtschaliche Rezessionen oder garDepressionen.Doch nicht nur die Politische Kaste strebt die Planierung So-zialeuropas an. Auch die Gewerkschaen und Unterneh-mensverbände der Hochlohnländer in der EG haben ein ge-meinsames Interesse an der europaweiten Allgemeinverbind-lichkeit „sozialer Mindeststandards“, denn damit werden die„sozialen Nachhinker“ unter den Gemeinschasländern alsKonkurrenten geschwächt. Nicht sehen will man in denFunktionärs- und Vorstandsetagen, daß als Folge solchenTreibens die Transferzahlungen der Starken an die Ge-schwächten ins Uferlose wachsen und somit als finanziellerAderlaß auf die eigenen Bilanzen zurückschlagen müssen.Natürlich bleibt auch bei diesem üblen Spiel der Steuerzahlerder Hauptschadensträger. Am traurigsten jedoch ist der Um-stand, daß jene „ärmeren“ unter den Partnerländern, denenangeblich geholfen werden soll, zu den Verlierern zählen wer-den. Der ordoliberale Wirtschasjournalist Peter Gillies hat

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die Chancen der Habenichtse, welche mit dem europäischenSozialegalitarismus verschüttet werden, schön beschrieben:„Gleiche politische Freiheiten bedeuten keine gleichen Ein-kommen. Umgekehrt bewirken erst die Einkommensunter-schiede den Antrieb des Wohlstands. So ist auch die Visioneines sozialen Binnenmarktes in der EG eine gedanklicheFehllenkung … Die Chance der Wachstumshungrigen be-steht in der Ungleichheit. Der Eigennutz, es auch zu etwasmehr zu bringen, ermöglicht den ›Nebeneffekt‹ der Markt-wirtscha: So webt sie das soziale Netz, das umso tragfähigerist, je mehr Leistungsbereite in die Lage versetzt werden, dar-auf vertrauen zu dürfen, ohne es freilich benutzen zu müssen“(Gillies 1989).Im Köcher der Sozialplanierer Europas stecken natürlichnoch viele Pfeile. Doch alle sind vergiet. Ein Beispiel sollhier genügen: Es wird – vor allem von Gewerkschasseite –behauptet, Lohn- und Sozialleistungs-Unterschiede zwischenden Ländern der EG müßten schon deshalb rasch beseitigtwerden, weil sonst massenhae Wanderungsbewegungenvon den ärmeren in die reicheren Länder zu erwarten seien.Diese Argumentation ist falsch. (Richtig ist das dahinterste-hende Motiv der Behauptung: die Furcht vor „Lohndruck“durch billigere Arbeitskräe und vor Abwanderung der In-dustrie an Billigstandorte.) Am Beispiel der deutschen Verei-nigung läßt sich deutlich demonstrieren, daß Lohn- und Ar-beitskostenangleichungen, die dem Produktivitätsgefälle vor -auseilen, zu Massenarbeitslosigkeit führen. Und diese Mas-senarbeitslosigkeit hat alsdann eine ebenso massenhae Ab-wanderung zu den verdienstversprechenden Nachbarn zurFolge. (Für Deutschland  Ost konnte das bisher nur durchTausend-Milliarden-Transfers verhindert werden.) Bei der„Wanderung von arm zu reich“ in Europa handelt es sich alsozumindest insofern um ein Scheinargument, als hier der Teu-

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fel mit Beelzebub ausgetrieben werden soll. (Nebenbei be-merkt: Was heißt „reicher“ im Zusammenhang mit der Bun-desrepublik?! Wir hatten zwar vor der Wiedervereinigungmit knapp 39.000  DM Sozialproduktsausweis je Kopf dendritten Rang in der europäischen Wohlstandsskala inne –nach der Schweiz und Norwegen –, rutschten aber nach derVereinigung auf Platz 13, gerade noch vor die europäischenFußkranken Portugal, Griechenland und Irland. Deutsch-land als Alleinfinanzier des Bankrotts der Ex-DDR, als größ-ter Finanzier der Reformländer Mittel- und Osteuropas, undals Hauptfinanzier der „Auffanggesellscha Sowjetunion(bzw. GUS)“ – und nun auch noch Zahlmeister Sozialeuro-pas?! Man kann auch den kräigsten Stier zum Umfallenbringen, wenn man ihn auf zu viele Kühe aufreiten läßt.)Im übrigen gibt es für die Funktionärs-Nomenklatura Sozial-europas und ihre Arbeitsweise ein internationales „Kleinmo-dell“, das zwar weit weniger „effizient“ funktioniert, bei wel-chem wir uns jedoch einen Vorgeschmack auf das kommen-de Glück Europas holen können: die „Internationale Arbeits-organisation“ (ILO). Einerseits hat die ILO bisher rund 170sogenannte „Internationale Arbeitsnormen“ aufgestellt, an-dererseits klagte sie auf ihrer Konferenz in Genf (Juli 1991),daß – gemessen an der Latte dieser Normen – die Beschäi-gung im „informellen Sektor“ der Entwicklungsländer(sprich: Schwarzarbeit) stärker gewachsen sei als im offiziel-len Sektor, und daß künig vielleicht nur noch dreißig Pro-zent des Bevölkerungszuwachses von letzterem aufgenom-men werden könne. Mein Lösungsvorschlag („systemkon-form“): Man erhöhe die Zahl der „Internationalen Arbeits-normen“ von 170 auf 1.000. Die Folge: Hundert Prozent derweltweiten Wirtschastätigkeit wird hierdurch definitionsge-mäß „informell“, das heißt zur Schwarzarbeit. Dann ist manaller Sorgen ledig: der eine Sektor wächst nicht mehr schnel-

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ler als der andere. Ein wahrha berauschendes Vorbild fürSozialeuropa.Ein anderes „Vorbild“: Europa hat bereits seit 1961 eine „So-zialcharta“, einen völkerrechtlichen Vertrag, der 1961 vonden meisten Mitgliedern des Europarats unterzeichnet wur-de. Gott schütze uns vor einer europäischen Verfassung nachdem Muster dieser Charta, denn sie enthält unter ihren bin-denden Kernrechten das „Recht auf Arbeit“ und das „Rechtauf soziale Sicherheit“. Sie ist somit ein Freibrief für totalitäreInterpretationen durch künige Volksbeglücker und Usurpa-toren. Man darf – wie üblich geworden – solche „Rechte“nicht mit den Allgemeinen Menschenrechten oder denGrundrechten auf freie Meinungsäußerung, auf freie Berufs-wahl und auf Gleichheit vor dem Gesetz verwechseln, dennsolche Rechtsnormen formulieren Freiheiten vom Staat, sindalso Beschränkungen staatlicher Macht. Die „sozialen Grund-rechte“ hingegen sind Ansprüche an den Staat, welche ihmjederzeit als Freibrief dienen können, zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen andere Freiheitsrechte einzu-schränken oder zu suspendieren. Alle rechtsverbindlichenGrundstandards dieser Art, auch das „Recht auf Aus- undFortbildung“, das „Recht auf angemessene Wohnung“, auf„Chancengleichheit“ u.ä. haben ja nur dann einen Sinn, wennes sich um einklagbare Rechte handelt, das heißt, wenn mitihrer Implementierung auch die Erfüllungsverpflichteten ge-nannt werden. In einer freien Gesellscha kann jedoch nie-mand auf die Einlösung derartiger Rechtsansprüche ver-pflichtet werden, auch nicht der Staat. Erfüllen, zwangserfül-len könnte solche Ansprüche nur eine omnipotente, alles re-gelnde und alles per Befehl anordnende Organisation, alsoein totalitärer Staat. Und auch der nur bis zu seinem absehba-ren Bankrott. DDR redivivus. Nicht ohne Grund hat der gro-ße Nationalökonom und Philosoph Friedrich A. von Hayek

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die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ von 1948als „Proklamation des Totalitarismus“ bezeichnet, weil diegenannten „sozialen Rechte“ dort ihre erstmalige systemati-sche Darstellung erfahren hatten (s. a. Hayek 1981, S. 142 f).Auch in „gemilderter“ Form, als sogenannte „Staatsziele“ haben solche rechtszersetzenden Beschwörungsformeln, dienur Eingangstore für kommendes Unheil sind, in einer Ver-fassung oder in Chartas jeder Art nichts zu suchen. Sozial -europa freilich wird uns anderes lehren.Doch mit dem Glattstrich der Lohn- und Sozialpolitik vomTejo bis zum Skagerrak ist es nicht getan. Die „Einheitshobleram Binnenwerk“ (Petra Münster) wollen mehr. Nicht nur Ar-beitsentgelte und Krankenkassenleistungen, nicht nur Ar-beitszeiten und Mutterschasurlaub sollen „harmonisiert“werden, sondern alle Lebensumstände und alle Soll- und Ha-benpositionen in den sozioökonomischen Bilanzen der euro-päischen Nationen. Im niederländischen Maastricht ist nun-mehr das Kalkül der Lahmen und Kranken in der Gemein-scha voll und ganz aufgegangen. Mit der Drohung, das gan-ze Vertragswerk platzen zu lassen, setzte Felipe Gonzáles (alsSprecher der Eurobettler) die Aufnahme des sogenanntenKohäsionsprinzips in die Reform-Verträge durch. Und zwarals rechtsverbindliches Protokoll. Die ungezählten Milliar-den, die hinfort aus den Taschen der „Reichen“ in die Säckelihrer zurückgebliebenen Nachbarn fließen werden, verstek-ken sich – nach bewährter politischer Gauklermanier – hin-ter hochtrabenden Namen und wohlklingenden Begriffen:„Finanzielle Solidarität untereinander“ heißt da der konti-nentalsozialistische Umverteilungswahnsinn; und „Gerech-tere Mittelverwendung in der Europäischen Union“ sowie„Beitragsleistung nach realem Wohlstand“ nennt sich derWeg in die Armut des kommenden Sozialeuropa.Konkret: Die relativ minderbemittelten Länder sollen (degres-

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siv) weniger oder nichts in die Gemeinschaskasse zahlen, dierelativ gutbestallten (progressiv) viel oder alles. Und natürlichmehr als bisher und als bis dato geplant. Viel mehr. Aus demgemeinsamen Pott sollen alsdann in Umkehrung des Einlege-prinzips die Zurückgebliebenen viel oder alles, die Spitzen-marschierer wenig oder nichts bekommen. Das sind – wohl-gemerkt – zwei Vorgänge! Aber danach geht’s erst richtig los:Die bereits bestehenden drei Struktur- und Regionalfonds, dieinfrastrukturelle Vorhaben in Regionen mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen, hoher struktureller Arbeitslosigkeit undüberwiegend ländlichem Gepräge begünstigen sollen, müssendrastisch aufgestockt werden (obwohl sie sich von 1987 bis1993 schon verdreifacht haben werden, auf dann 60 MilliardenECU =  ca.  120 Milliarden D-Mark). Die „Kohäsionsfonds“schließlich sind die eigentlichen Turbolader Sozialeuropas.Aus ihnen sollen Mitgliedsländer subventioniert werden, de-ren Bruttoinlandsprodukt je Einwohner weniger als neunZehntel des Gemeinschasdurchschnitts beträgt. Das sindderzeit Griechenland, Spanien, Portugal und Irland. Schlußmit den Transferzahlungen ist also erst, wenn alle EG-Länderauf nahezu gleichem Wohlstandsniveau liegen. Um weitereKandidaten und um die Ewigkeit dieser Fonds braucht unsnicht bange zu sein; spannend wird allenfalls, welche Metho-den den jetzigen und künigen Empfängerländern einfallenwerden, um entweder dauerha arm (und empfangsberech-tigt) zu bleiben oder um ärmer (und endlich begünstigt) zuwerden. Auch den Berechnungsmethoden und dem Einfalls-reichtum der nationalen Statistiker wird ein gewisser Unter-haltungswert nicht abzusprechen sein.Man muß diesen Mummenschanz der Brüsseler Sozialnarrenrichtig in die ökonomisch-finanzielle und ordnungspoliti-sche Realität der Bundesrepublik und der EG einordnen, umdie ganze Tragweite des makabren Spuks zu begreifen. Es ist

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nämlich nicht irgendein faules Ei, das den Deutschen undEuropäern hier ins Nest gelegt wird, sondern es ist das neuntein einem Umverteilungs-Gelege, dessen Moder zum Himmelstinkt. Die bisherigen acht:1. Die interpersonelle („soziale“) Umverteilung, mit welcher

in den letzten dreißig Jahren auf direktem Weg (von Mi-chel zu Hans, und zu Michel zurück) und auf indirektemWeg (Inflation) eine viele Tausend Milliarden Mark um-fassende Summe an Realkapital und Vermögenssubstanzder Bürger vernichtet worden ist.

2. Die branchenspezifische Umverteilung über den Schutzund die Subventionierung bestimmter Industrie-, Land-wirtschas- und Dienstleistungsbereiche (EG-Agrar-markt / Bergbau / Stahl / Energie), mit welcher unvorstell-bare Milliarden-Berge in marode, leistungsschwache oderüberflüssig gewordene Wirtschassektoren geschaufeltund somit einer effizienten Verwendung entzogen wordensind. (Mit der weiteren Folge einer späteren Sanierungoder „Entsorgung“ solcher volkswirtschalichen Ruinenmit noch größeren Summen.)

3. Die interregionale Umverteilung über Zuschüsse an ent-wicklungsschwache Landstriche, mit welcher die starkenRegionen geschwächt und die schwachen nicht gestärktwurden. Der Mezzogiorno ist auch nach dreißig JahrenBluttransfusion von Nord nach Süd noch der Mezzogior-no, das heißt genauso krank und siech wie vorher. Der„Erfolg“ besteht lediglich darin, daß nun auch der italieni-sche Norden die Schwindsucht bekommen hat. (Und daswird auch für den deutschen „Mezzogiorno“ im Osten zu-treffen, so wie die Folgen auch den deutschen Westen ent-kräen werden.)

4. Die kommunale Umverteilung über den Gemeindefi-nanzausgleich, mit welchem die sparsamen und rührigen

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Kommunalverwaltungen bestra und die Bauschäden-Planer in den Ortsfürsten-Ämtern belohnt worden sind.

5. Die länderspezifische Umverteilung über den Länder -finanzausgleich, mit welchem die Musterknaben unterden Bundesländern (wie Baden-Württemberg) zu Gun-sten der Verschwender (wie das Saarland) ausgesaugt undentmutigt wurden.

6. Die sektorale Umverteilung vom privaten zum öffent -lichen Bereich (Bahn / Post / Hochschulen etc.), derenGrößenordnung alle Vorstellungskra sprengt.

7. Die nationale Umverteilung von Deutschland West nachDeutschland Ost, welche – sei sie nun gut oder schlecht,richtig oder falsch – den Wirtschasriesen unter den Indu-strieländern noch in eine Elendsgestalt verwandeln wird.

8. Die schlimmste und schamloseste Variante: Die Intergene-rationen-Umverteilung (sprich: Verschuldung), mit wel-cher die verbrecherisch besonders Begabten unter den so-zialsozialistischen Polit-Zampanos nicht nur das Erbe derkommenden Generation verspielt haben, sondern sogardie künige eigene Lebensleistung unserer Kinder und En-kel. (Mehr darüber im nächsten Kapitel. Hier nur so viel:Gelingt es der Gemeinscha zivilisierter Staaten schonnicht, die Mörder und Genozid-Spezialisten des zerfallen-den Ostblocks zur Rechenscha zu ziehen, so wird es erstrecht nicht und leider niemals einen internationalen Ge-richtshof geben, vor dem sich das politische Lumpengesin-del einer Vieltausend-Milliarden-Verschwendung jemalswird verantworten müssen.)

Diesem Wahn also, dieser achtbahnigen Umverteilungsrase-rei, soll nun mit Sozialeuropa eine neunte Spur hinzugefügtwerden: die internationale Umverteilung innerhalb des ge-samten europäischen Kontinents. Ein Vorgang, dessen Folgen– auch für die europäische Idee – verheerend sein werden.

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Nachdem in Maastricht der einzige Bremser (Großbritan-nien) aus dem fahrenden Zug gesprungen ist, kann die Loko-motive der europäischen Sozialutopisten so richtig unterDampf gehen. Jetzt sind die Milliarden- (Ver-) Heizer untersich. Niemand wird ihnen mehr Einhalt gebieten wollen undkönnen.7 (Wo nötig, schrecken sie auch vor billigen Tricksnicht zurück. So hat sich beispielsweise der britische Premier,John Major, zurecht darüber beklagt, daß man ihn bei der europaweiten „Arbeitszeitharmonisierung“ – welche Ein-stimmigkeit im Rat erfordert – linken wollte, indem man sieunter dem Titel „Arbeitssicherheit“ zur Vorlage brachte –über welchen mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werdenkann.) Die wahren Europa-Freunde sollten sich also keinenIllusionen hingeben: Bei „Sozialeuropa“, der „EuropäischenSozialcharta“, dem „Sozialraum Europa“ – oder wie immer

7 Um am britischen Widerstand gegen die Europäische Sozialcharta nichtdas ganze Vertragswerk scheitern zu lassen, wurde das Kapitel »Europäi-sche Sozialpolitik« insgesamt aus dem Vertragsentwurf über die PolitischeUnion herausgenommen. Es ist nun ein „Vertrag im Vertrag“, auf dessenSpielfeld sich die übrigen Partner nach Belieben tummeln können.Die Meinung ist weit verbreitet, Großbritanniens Vorbehalte gegen die„Sozialunion“ seien im niedrigen Niveau der dortigen Sozialleistungen be-gründet, welches man sich aus Wettbewerbsgründen erhalten wolle. Dasist barer Unsinn. Das sogenannte „Soziale Netz“ ist in Großbritannienmindestens so eng geknüpft wie in Deutschland, befindet sich also durch-aus auf EG-Höchstniveau. Wovor sich Briten – zurecht – fürchten, ist dieGefahr, im Rahmen der „Sozialunion“ arbeitsrechtliche Normen überneh-men zu müssen, welche den Gewerkschaftsterror der Vergangenheit wie-deraufleben lassen. Wie gewaltig die Kärrnerarbeit der Thatcher-Regie-rung nach dem jahrzehntelangen Niedergang des Landes gewesen ist, magman an den Vergleichszahlen der Arbeitsniederlegungen erahnen: ImZwölfmonatszeitraum von Dezember 1990 bis November 1991 betrugdiese Ziffer nur noch ein Siebentel (371) des Jahresdurchschnitts von2.631 Arbeitsniederlegungen in den Siebziger Jahren. Die Sensibilität derbritischen Regierung bei diesem Thema ist also durchaus verständlich undsollte die übrigen EG-Partner eher zum Nachdenken als zur unqualifizier-ten Schelte anregen.

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dieser Rechtskrüppel genannt werden mag – handelt es sichum ein Projekt, das zwischen den unterschiedlichen Parteienund Interessenverbänden nicht im Prinzip, sondern allenfallsim Detail strittig ist. Auch im Europaparlament ist es nichtbloß Wunschbild der Sozialisten, sondern Einheitsfront-For-derung aller Fraktionen. Die Gewerkschaen werden Sozial-europa fordern und fördern, um weiterhin ihre jeglicher(Produktivitäts-) Realität spottende Lohn- und Sozialpeit-sche schwingen zu können; die Politiker und Parteien werdenes vorantreiben, um sich als jeweils „fortschrittlichste“ und„sozialste“ Repräsentanten ihrer Völker profilieren zu kön-nen; die Unternehmer in den Hochlohnländern werden esherbeiwünschen in der Hoffnung, es werde die Kosten derKonkurrenten in den billigeren Ländern erhöhen,8 und dieUnternehmer der Nachzügler-Regionen in der Hoffnung aufstaatliche Hilfen und Subventionen. Und die Bürger der süd-lichen EG-Partner werden Sozialeuropa begrüßen, weil sieihre Gärten unter dem Geldregen der EG erblühen sehen; dieBürger der Geberländer, weil ihnen der ganze Schwindel inhochglanzlackierten Mogelpackungen verkau wird. Wer al-8 Auch seitens der Industrie und ihrer Verbände ist anstelle einer grund-sätzlichen Ablehnung oder einer Alternativ-Konzeption nur Herumnör-geln an den Details der Europäischen Sozialunion zu hören. Tenor: Wennschon gefesselt und geknebelt wird, dann bitteschön alle gleichermaßen.Symptomatisch die Kritik des Präsidenten der Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände, Klaus Murmann, zum Ausscheren Groß-britanniens aus der „Sozialunion“: „Am Ende stünden … eine in hohemMaße durchregulierte Gemeinschaft von elf Mitgliedstaaten und ein hier-von gänzlich unberührtes Großbritannien. Für alle Drittländerinvestorendürfte damit die Standortfrage entschieden sein“ (Murmann 1991). MeineLogik: Wenn dem so ist, daß eine „in hohem Maße durchregulierte“ Ge-meinschaft die Investoren von draußen abschreckt, dann würde das auchfür eine durchregulierte Gemeinschaft der Zwölf (also mit England) gelten.Also sollten die Herren Arbeitgeberfunktionäre doch konsequent gegen die„Durchregulierung“ Front machen und nicht gegen die Tatsache, daß einerder Partner vielleicht dem Elend entrinnen kann.

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so sollte oder könnte sich dem Euro-Wahn, dem Geist aus derMaastricht-Flasche noch entgegenstellen!?Umso dankenswerter ist der Mut und die Entschlossenheit derwenigen Warner in Wissenscha und Publizistik, die ihreStimme laut, deutlich und unverschleiert gegen die Sozialega-lisierung Reißbrett-Europas erheben, und die damit auch fürdie lebensfähige Idee einer sich evolutorisch entwickelnden Eu-ropäischen Union eintreten. Und umso mehr muß sich derfreiheitsliebende Autor veranlaßt sehen, solche Stimmen her-vorzuheben. Hier sei deshalb (aber auch als Anregung zu wei-terer Lektüre) eine Handvoll der besonders „kantigen“ unterden Apologeten eines freien, wettbewerblichen und evolutori-schen Europa herausgestellt (in alphabetischer Reihenfolge):– Dr. Bruno Bandulet, Autor und Journalist, der mit seinem

Informationsbrief »Geopolitik und Finanz« die histori-schen und politischen Hintergründe des Europa-Gesche-hens ausleuchtet und damit ein umfassendes Arsenal ansachlichen Argumenten gegen politische und finanzielleIllusionen – auch gegen die der Euro-Funktionäre – lie-fert. Einer der wenigen unabhängigen Männer der Repu-blik, die noch „Klartext“ reden können (Bandulet 1992).

– Professor Herbert Giersch, langjähriger Leiter des Insti-tuts für Weltwirtscha in Kiel sowie Altmeister der deut-schen Nationalökonomie, der vor allem vor den schwer-wiegenden strukturellen Verwerfungen warnt, welche ausder europaweiten Angleichung von Kartellorganisationen(also vor allem der gewerkschalichen Tariartelle) fol-gen werden. Als abschreckendes Beispiel nennt Gierschdie „vorauseilende Angleichung“ der Löhne in Ost-deutschland mit ihren zerstörerischen und investitions-feindlichen Wirkungen vor allem für Klein- und Mittelbe-triebe. Die Konsequenzen sind: Arbeitslosigkeit vor Ort,übermäßiges Pendeln und Wegzug – mit Überlastung der

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Ballungsräume (Verkehrsinfarkt, Slums). Giersch: „Beimangelnder Lohndifferenzierung drängen die Arbeits-stätten in die Zentren, und die Menschen sehen sich da-durch gezwungen, ihre Wohnstätten in die Vororte zu ver-lagern … Es ist fast eine Art Naturgesetz: Wo Einheit alsGleichheit im Raum erzwungen wird, gibt es übermäßigAgglomerationen wie bei einer Flut, die die Menschen aufdie Hügel und Berge treibt. Das Arbeitsleben drängt zu je-nen Punkten, an denen das Niveau des Nivellierens nichtzu hoch ist“ (Giersch 1992).

– Dr. Gerd Habermann, Referatsleiter der ASU (Arbeitsge-meinscha Selbständiger Unternehmer in Bonn), der miteiner Vielzahl von Schrien, Presseartikeln und Vorträgenseit Jahren gegen den „Jakobinischen Zentralismus“ derEurokratie und für ein evolutorisches Zusammenwachsender europäischen Völker und Nationen zu Felde zieht.„An die Stelle des Leistungswettbewerbs der Unterneh-men und Arbeitnehmer“ – so eine seiner hundertfältigenWarnungen – „wird der politisierte Wettbewerb europäi-scher Verteilungskoalitionen um eine ›sozial gerechte‹Aueilung des Sozialprodukts treten.“ Und: „Die Einfüh-rung ›sozialer Grundrechte‹ ist für die Eurokraten einMittel zum unmittelbaren Zugriff auf jeden einzelnenBürger“ (Habermann 1991a / b).

– Walter Hirt, Herausgeber des Schweizer Informationsdien-stes »Wirtscha aktuell«, der unermüdlich gegen die Brüs-seler Umverteilungsmaschinerie und gegen die „EG-Falle“Front macht, in welche sein Land zu tappen droht. Zur „Da-me mit der wilden Mähne“ schreibt er beispielsweise: „DieGriechin Vasso Papandreou ist … angesehene Sozialkom-missarin der EG und ein besonderer Schützling des zentra-listischen Sozialisten Delors. Sie ist …Tochter jenes frühe-ren Premierministers in Griechenland, der maßgeblich für

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die heutigen ökonomischen Schweinereien im Lande ver-antwortlich ist: Andreas Papandreou, der soeben derschweren Korruption und des Betruges überführt werdenkonnte. Ich bin keineswegs für Sippenha, es ist aber einstarkes Stück, wenn sich Europa ausgerechnet von Frau Pa-pandreou, einer radikalen Sozialistin, soziales Verhaltenaufzwingen läßt. Sie beherrscht die Verführung der Men-schen zur Steigerung der Ansprüche gegenüber dem Staatals Umverteilungsmaschine perfekt“ (Hirt 1991).

– Professor Gerhard Prosi, Direktor des Instituts für Wirt-schaspolitik an der Universität Kiel, der sich als Natio-nalökonom ebenso wissenschalich wie kritisch mit derEuropäischen Integration auseinandersetzt. Einige seinerprononcierten Sätze zu „Sozialeuropa“: „Es hängt von derArbeitsproduktivität ab, welches Arbeitskostenniveau sicheine Volkswirtscha leisten kann“ [nicht von den Kosten-harmonisierungsträumen Brüssels; d. Verf.]; „Sozialpoli-tik ist eine Illusion, wenn die Leistungsansprüche die Lei-stungsfähigkeit einer Volkswirtscha übersteigen. DieForderung deutscher Politiker, Gewerkschaer und Ar-beitgebervertreter, das Lohn- und Sozialkostenniveau derBundesrepublik zum Maßstab für Europa zu machen, be-deutet Massenarbeitslosigkeit in allen Ländern mit gerin-gerer Arbeitsproduktivität“ (Prosi 1991, S. 125). „Bei derpolitisch verordneten ›Harmonisierung‹ sind Fehlerwahrscheinlich, die wegen des schwerfälligen Einigungs-prozesses kaum korrigierbar sind und ganz Europa läh-men können. Sie haben viel größeres Gewicht als Fehlerkleinerer Einheiten, die mit anderen konkurrieren undschon deshalb zur schnellen Fehlerbeseitigung gezwun-gen sind“ (S. 130). „Da jede verordnete Harmonisierungmit heutigem Wissen den Stand von gestern fortschreibtund für morgen in einer sich verändernden Welt nicht

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mehr paßt, sind Dauerkonflikte unvermeidlich“ (S. 131).„Harmonisierungssysteme mit dem Ziel supranationalerChancenumverteilung bedeuten eine zunehmende Ver-staatlichung privater Beziehungen und wachsende supra-nationale Regulierung. Sie erfordern die Vertretung vonSonderinteressen durch die nationalen Regierungen, alsodie ›Supranationalisierung privater Interessenkonflikte‹“(S. 133).9

– Professor Gerard Radnitzky, der nach Karl Popper wohl bedeutendste Wissenschastheoretiker unserer Zeit,10

dem das Verdienst zukommt, in vielen Schrien nicht nurden evolutionsfeindlichen Konstruktivismus Maastricht-Europas mit dem epistemologischen Seziermesser freige-legt, sondern auch anderen Autoren und Wissenschalern(als Herausgeber von Anthologien) ein Forum für kritische

9 Nebenbei bemerkt, findet sich bei Gerhard Prosi (Prosi 1991) auch eineBeschreibung der Wettbewerbsfunktion in einer Marktwirtschaft, die zumbesten und eindrucksvollsten gehört, was mir diesbezüglich je begegnet ist.10 Professor Radnitzky ist zwar in Südmähren gebürtig, hat jedoch nurden kleineren Teil seines Lebens in Deutschland verbracht (seit 1973). Sei-ne Bücher und Schriften sind überwiegend im englischen Sprachraum er-schienen. Dies hat wohl maßgeblich dazu beigetragen, daß G. Radnitzkyim deutschen Sprachraum als Wissenschaftstheoretiker und Sozialphilo-soph noch nicht den Bekanntheitsgrad erlangt hat, der diesem großen Gelehrten gebührt. In Deutsch liegen inzwischen – neben zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen – vor: »Ordnungstheorie und Ord-nungspolitik« (hrsg. mit Hardy Bouillon), 1991 (s. Bibliographie), sowie:»Die ungewisse Zukunft der Universität: Folgen und Auswege aus der Bildungskatastrophe« (hrsg. mit H. Bouillon), Duncker & Humblot, Ber-lin 1991. Ferner: Radnitzky und G. Andersson (Hrsg.): »Fortschritt undRationalität der Wissenschaft«, Mohr Siebeck, Tübingen 1980. Dieselbenund ebenda: »Voraussetzungen und Grenzen der Wissenschaft«, 1981. L. Gabriel, G. Radnitzky, E. Schopper (Hrsg.): »Die i-Waffen: Informationim Kräftespiel der Politik«, Herbig, München Berlin 1982, sowie: L. Bossleund Radnitzky (Hrsg.): »Die Selbstgefährdung der offenen Gesellschaft«,Naumann, Würzburg 1982. H. Seiffert und Radnitzky (Hrsg.): »Handlexi-kon zur Wissenschaftstheorie«, 1989, neu bei dtv, München 1992.

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Europabetrachtungen geboten zu haben. Seine diesbezüg-lichen Analysen sind so grundsätzlicher Natur, daß man ihre Lektüre zur Zulassungsbedingung für jede einzelnePosition in der Brüsseler Mammutbürokratie erheben soll-te. Radnitzky durchleuchtet einerseits, wie und warum eszu den vielfältigen Hochzivilisationen Europas, zum „Eu-ropäischen Wunder“ gekommen ist (Radnitzky  1992a),und andererseits, wie und warum die Maastricht-Formelder Brüsseler Sozialingenieure vor diesem historisch-so-zioökonomischen Hintergrund die EntwicklungssubstanzEuropas zerstören muß (Radnitzky 1991a). Den Gegensatzzwischen einem freien Europa des evolutorischen Wettbe-werbs und dem interventionistisch-korporativistischenBrüsseler Regime bringt Radnitzky auf die knappe, abertreffende Formel: „L’Europe Delorsienne versus a HayekianEurope“ (Radnitzky 1991a, S. 143). Zurecht beklagt er, daßdie Advokaten einer ex-ante-Harmonisierung nach Maas-tricht-Manier nichts aus dem „Europäischen Wunder“ ge-lernt haben. Die Sozialcharta des Sozialisten Delors, soRadnitzky, ist sozialistisch; keine Konsumenten-, sonderneine Produzenten-Charta. Unter der Ägide des Konstruk-tivistischen Rationalismus französischer Provenienz wür-de die Freiheit drastisch reduziert werden und ein plane-risch-sozialistischer Superstaat entstehen, der alsbald zurBeute eines transnationalen Korporativismus verkommenwürde. Denn neu entstehende transnationale Interessen-gruppen würden einen wachsenden Druck auf die Zentral-regierung ausüben, und am Ende triumphierte die konti-nentweite Umverteilung als alles beherrschende General-regel. Das Hayekianische Europa hingegen, die Vision einesEuropa der freien Völker, wäre eine Herausforderung, denGeist des Europäischen Wunders wiederzubeleben. Ja, eshätte gar die Chance, zum Muster einer freien und offenen

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Weltordnung zu werden. Nur ein offenes System mit Wett-bewerb auf allen Ebenen (Steuersysteme, Unternehmens-formen, Währungen, Arbeitsbeziehungen etc.) kann dieAchtung privater Rechte gewährleisten. Und diese Privat-rechte sind der einzige Gegenspieler zu Leviathan. Freie Be-wegung also für Güter und Dienste, für Menschen und Ka-pital, aber nicht freie Hand für die Eurokraten, die unserenKontinent in den Eurosozialismus und in die Euroskleroseführen (s. S. 144 f). Man möge sich, so Radnitzky an andererStelle, von der „Umverteilungs-Nomenklatura“, die aufdem alten Kontinent die Parteien und Ämter, die Medienund Schulen, die Universitäten und Kirchen beherrscht,nicht täuschen lassen. Sie führen zwar das Wort „Markt“gern und o im Mund, benutzen es jedoch nur wie der Be-trunkene den Laternenpfahl: um sich zu stützen, nicht umim Laternenlicht besser sehen zu können – „they use mar-kets the way a drunk uses a lamp-post: for support, not forlight“ (S. 147).

– Last but not least Dr. Hans-Dieter Schoen, spiritus rectorder »Aktionsgemeinscha Wirtscha und Politik« (AWP)und unermüdlicher Kämpfer für Freiheit und Rechtsstaat– und demzufolge gegen den Wohlfahrtsstaat, auch wenner den Namen „Sozialeuropa“ trägt. Schon die Titel seiner»Politischen Informationen« zeugen vom Gehalt seinerbrillant formulierten Streitschrien: „Europa – so nicht!“(Nr. 31-32, 1991), „Europäische Integration auf Abwegen.Maastricht: Dichtung und Wahrheit“ (Nr.  8-9, 1992),„Flucht nach Brüssel – warum? In der Sackgasse des Sozi-alstaats“ (Nr.  14-15, 1992). Ein streitbarer, aufrichtigerMann, ein zoon politikon der Sonderklasse, und eine Ver-einigung (AWP), der man zum Wohle unseres Landes vie-le Millionen Mitglieder (statt der kaum tausend) wün-schen möchte (Schoen 1991 / 92).

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2. Was bedeutet Sozialeuropa wirklich – und was werden seine Folgen sein?

„Freedom is the shadow of serfdom; like health it is ap-preciated only when it is absent or threatened.“(Freiheit ist der Schatten der Knechtschaft; wie die Ge-sundheit, so schätzt man auch sie erst dann, wenn sieverloren gegangen oder bedroht ist.)Gerard Radnitzky (1992, S. 90)

„Sozialeuropa“ bedeutet in Kurzform: Schleichender Sozia-lismus und Freiheitszerstörung. Das ist keine pessimistischeImplikation, sondern eine realistische. Man braucht hierübernicht zu spekulieren. Die Reiseroute steht fest. Das Credo derGewerkschaen und damit (wegen der wechselseitigen Ver-filzung) auch das der maßgeblichen Parteien hat der zweiteVorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, im Januar 1992 un-mißverständlich formuliert: Die hochindustrialisierten Re-gionen der Welt, so Zwickel, sollten nicht mit niedrigen Löh-nen und langen Arbeitszeiten gegeneinander (sic!) konkur-rieren, sondern mit effizienten Produktionsprozessen undder Qualität der Produkte. Deshalb sollten die Gewerkschaf-ten innerhalb der EG gemeinsame Initiativen zur europawei-ten 35-Stunden-Woche und zur Durchsetzung des Prinzips„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ entwickeln (HB 1992a).So also sieht der Rückfall in den finstersten Marxismus aus,der doch angeblich mausetot sein soll. Als ob das eine (die Ef-fizienz der Produktionsprozesse und die Produktqualität)unabhängig wäre vom anderen (den Löhnen und Arbeitszei-ten)! Produktionseffizienz – letztlich also Produktivität – undProduktqualität (und -preis) sind doch in der Realität das Er-gebnis der Suche nach der sogenannten „Optimalen Kombi-nation der Produktionsfaktoren“. Und dieses von Land zuLand, von Region zu Region, von Betrieb zu Betrieb verschie-

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dene Optimum hängt entscheidend von den Preisen (Kosten)ab, von der Verfügbarkeit und der Einsatzdauer, von der Fle-xibilität und Qualität, sowie vom „Management“ der Produk-tionsfaktoren (Arbeit und Kapital vor allem) – und natürlichauch von der Nachfragestruktur des jeweiligen Landes, vomVerbrauchernutzen der Produkte, von den Einkommensver-hältnissen und Konsumgewohnheiten der Bevölkerung etc.Arbeit ist eben kein „Wert an sich“ (wie bei Marx), den manobjektiv messen und demzufolge weltweit gleich entlohnenkönnte, sondern Arbeit ist ein Koeffizient aus einer Glei-chung mit vielen Variablen, welche überall verschieden undin ständiger Veränderung begriffen sind. Über den „Wert derArbeit“ entscheiden letztlich nicht die Tarifverträge und Ge-setze, sondern Menge und „Reifegrad“ des verfügbaren undeingesetzten Kapitals, welches die Arbeit erst „produktiv“macht. Und natürlich der Verbraucher; nämlich über denPreis, den er für ein Produkt zu zahlen bereit ist, sowie überArt und Menge der Güter und Dienste, die er nachfragt. DieForderung also, man solle „aus Wettbewerbsgründen“ aufden Wettbewerb des wichtigsten Produktionsfaktors (Arbeit)verzichten, ist eine Perversion des Wettbewerbsgedankens,die nur zur Schwindsucht der Marktwirtscha führen kann –und damit zur Zerstörung der Grundlagen unserer Freiheitund unserer Zivilisation.Ohnehin haben der Zusammenbruch des „real existierendenSozialismus“ im Osten und die illusionären Jubelkommenta-re in seinem Gefolge nur übertüncht, wie tief in der Wolle ge-färbt sozialistisch Westeuropa und seine Menschen und poli-tischen Kasten nach wie vor sind (s. Baader 1991). Man darfaus diesem Grund konsequenterweise nicht alles Übel Maas-tricht-Sozialeuropa anlasten. Dafür sind die schon bestehen-den Verhältnisse zu kläglich. Es sollte nicht übersehen wer-den (um nur wenige Beispiele zu nennen), daß wir im markt-

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wirtschalichen Musterland Bundesrepublik einen viertel -sozialistischen Energiesektor, einen halbsozialistischen Bau-und Wohnungsmarkt, eine dreiviertelsozialistische Agrar-wirtscha und ein nahezu voll sozialistisches Bildungs- undGesundheitswesen vorfinden; dazuhin eine korporativi -stische politische Struktur, ein von sozialsozialistischen Um-verteilungs-Kaskaden unterspültes Rechtsstaats-Fundament,und einen kartellierten Arbeitsmarkt, den als „Markt“ zu be-zeichnen schierem Hohn gleichkommt. Marktwirtscha inReinkultur findet bei uns nur noch in der Schattenwirtschaund auf Schweizer Bankkonten statt.Von hier aus zu einem bürokratischen, zentralistischen, in-terventionistischen – also sozialistischen Europa bedarf eskeines revolutionären Dreisprungs entlang der Maastricht-Latte mehr, sondern nur noch einiger kleiner Schritte. Sozial-europa, wie es jetzt vom Sozialisten Delors projektiert wurde,ist nicht das Übel, sondern nur die konsequente Perfektionie-rung der bereits vorhandenen Übel. Und für die Bürger derordnungspolitisch verwahrlosten Nationen bedeutet deshalbEuropa 1993ff nicht nur völlig neue, unerwartete Mühsal,sondern auch konsequente Steigerung der schon vorhande-nen dirigistischen Bedrängnis und der bereits bestehendenfiskalischen Ausbeutung durch die politische Kleptokratie.Was natürlich seine Widersacher nicht apathisch, sondernnur noch entschlossener machen sollte.(Eigenartigerweise wird von den Wohlfahrtszöglingen kaumregistriert, daß sich die westliche Form des sozialistischenBankrotts – adäquat dem gemilderten Sozialisierungsgrad –zwar nicht so spektakulär und sturzflutartig wie im Osten ab-spielt, aber nichtsdestoweniger unaualtsam, sozusagen inRaten. Die sich immer schneller jagenden „Gesundheitsrefor-men“, um nur ein Beispiel zu nennen, sind nur Spielarten ei-ner permanenten Konkursverschleppung. Daß am Ende des

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viertel-, halb- und dreiviertel-sozialistischen Marathonlaufsder gleiche Totalzusammenbruch wartet, steht fest. Es dauertnur länger, weil der Kräeverzehr in teilweise funktionieren-den Märkten eben geringer ist als in vollsozialisierten Markt-Wüsten. Aus den genannten Gründen werden auch aus demabsehbaren sozialversicherten Begräbnis der Marktwirtschaund dem finalen Zusammenbruch des Weltfinanzsystemsweder Einsicht noch Reue erwachsen. Im Gegenteil: Nachdem Desaster wird man alle Schuld „dem Kapitalismus“ zu-schieben, der eben „versagt“ habe; nicht aber den wahrenSchuldigen: den vermögenden Nachlaß-Sozialisten, welchedas Erbe der Erhard-Generation in hemmungslosen Sozial-Orgien verpraßt haben. Kapitalismus kommt eben von Kapi-tal, von Realkapital; und Realkapital ist ein Synonym für Er-sparnis, nicht für Verschwendung. Verschwendung, Vergeu-dung, Ineffizienz und Zerstörung sind die liederlichen Be-gleitkumpane des Sozialismus – auch seiner schleichendenVariante –, nicht des Kapitalismus.)Einen Vorgeschmack auf die deutsche Glückseligkeit im Lot-terbett Sozialeuropas (vielleicht nach der nächsten Wahl) hatder Bremer Parteitag der SPD vom Mai 1991 gewährt. Nach-drücklich wurde dort gefordert, die Gemeinscha müsse den„Europäischen Sozialstaat“ verwirklichen, sowie einen„hochrangigen Sachverständigenrat“ einsetzen, der jährlicheinen „Verteilungsbericht“ erarbeiten solle.Bei unseren Nachbarn stehen die Segel nicht besser, sonderneher schlechter im Wind. Nur wenige Deutsche (auch nichtdie Konservativen und Liberalen) haben beispielsweise eineVorstellung davon, wie tief verankert sozialistisches Gedan-kengut in Frankreich geblieben ist. Sogar der Umstand, daßdas deutsche duale Ausbildungssystem (und die Lehrlings-ausbildung überhaupt) in Frankreich so gut wie unbekanntist, wird meist verständnisvoll mit historischen Gegebenhei-

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ten erklärt. Das ist irreführend! In Wirklichkeit wurde das(heimlich bewunderte) deutsche System seit Jahrzehnten nurdeshalb verworfen, weil der Sozialistischen Partei und ihrerwirksamsten Fronttruppe, der Lehrerscha, eine „Ausbil-dung im Dienste des Kapitalismus“ zutiefst zuwider war.Erörterungen über sozialistische Gepräge in Spanien, Portu-gal und Italien düren sich an dieser Stelle wohl erübrigen,wenn man nicht gänzlich in Depressivität verfallen will.Was werden nun – etwas konkreter ausgeführt als bisher an-geklungen – die Folgen „Sozialeuropas“ im Maastricht-Ge-wand sein? Obwohl sich die vielfaltigen Wirkungen nicht ausihrer wechselseitigen Vernetzung herauslösen lassen, soll imFolgenden der Versuch unternommen werden, ihr komple-xes Gefüge aus einem halben Dutzend verschiedener analyti-scher Blickwinkel zu betrachten – und somit besagte Folgengedanklich wenigstens schemenha zu isolieren:

a. Produktivitätssklerose – oder die noch neuere Armut

„Wann immer die wirtschaftlichen Ziele kraftvoll ange-strebt wurden, ergaben sich etwas später politische Er-gebnisse wie von selbst … Und wann immer der politi-sche Karren vor die wirtschaftlichen Pferde gespanntwurde, drohte der Sturz in den Straßengraben.“Nicholas Colchester, stellv. Chefredakteur des »Economist« (1992)

Das Produktivitätsgefälle in Europa entspricht in etwa demeuropäischen Arbeitskostengefälle. Letzteres reichte 1990 bishinunter zu 19 % (Portugal) und 28 % (Griechenland) derdeutschen Arbeitskosten je Industrie-Arbeitsstunde. Die enge Korrelation von Produktivität und Arbeitskosten (vorallem also Löhnen) entspricht der marktwirtschalichen Logik, denn langfristig orientieren sich alle Löhne an der

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Produktivitätsentwicklung. (Übersteigen die Lohnzuwächseaufgrund gewerkschalichen Drucks den Produktivitätsfort-schritt, so senkt die hieraus folgende Inflation und / oder Ar-beitslosigkeit die Reallöhne und / oder Realeinkommen wie-der auf den „richtigen“ Wert; meistens sogar darunter.) Trotz-dem – oder gerade deshalb – steht die Wettbewerbsfähigkeitverschiedener Länder nicht in unmittelbarer Relation zu ihren Lohnniveaus, denn Produktivität ist nicht das direkteErgebnis hoher oder niedriger Löhne, sondern das Ergebnisder effizienten Kombination der eingesetzten Faktoren Kapi-tal und Arbeit. Wobei diese Effizienz, also Art und Menge der„Kombination“ natürlich durchaus mit der Lohnhöhe va-riiert. So kann also ein Billiglohnland durchaus produktiv –und somit wettbewerbsfähig – sein, wenn dort bei Konzen-tration auf arbeitsintensive Produktionsprozesse die „opti-malen Kombinationen“ aus billiger Arbeit und teurem (weilknappem) Kapital angestrebt werden. Umgekehrt kann einHochlohnland wettbewerbs fähig bleiben, solange es mit ka-pitalintensiven Produktionen das entsprechende Kombina -tionsoptimum aufrechterhalten kann. Unterschiedliche Pro-duktivitätsebenen sind also nicht identisch mit dem Antago-nismus „produktiv  –  unproduktiv“, sondern können sehrwohl auf dem Boden positiver, wenn auch unterschiedlicherProduktivitäten miteinander konkurrieren. (Voraussetzungist allerdings ein „Übersetzungsscharnier“ zwischen den unterschiedlichen „Antriebsaggregaten“ in den verschiede-nen Ländern. Und die Funktion solcher „Kupplungen“ über-nehmen die Wechselkurse. Hieraus wird auch ersichtlich,welche verheerenden Konsequenzen fixe oder gar – ver-mittels einer Währungsunion – entfallende Wechselkursezeitigen können. Doch davon soll das Dritte Buch – »Europaund das Geld« – handeln.) Erfolgversprechend im internatio-nalen Güter- und Leistungsaustausch ist jedoch nicht nur das

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Aneinanderkoppeln verschiedener nationaler Produktivitäts-niveaus.Die eigentlichen Wettbewerbschancen sind dynamischer Na-tur und deshalb im Produktivitätsgefälle selbst zu suchen.Wettbewerb ist kein statischer, sondern ein dynamischer Vor-gang, ein in stetem Wandel begriffenes Entdeckungs- undLernverfahren. Und deshalb liegen die Ursachen von Fort-schritt und Wohlstand weniger im geruhsamen Nebeneinan-derhertrotten der Beteiligten als vielmehr in der Auoljagdder Zurückgebliebenen und im Vorsprungstreben der Spit-zenreiter. Die heute in den europäischen Volkswirtschaenbestehenden Unterschiede sollten deshalb nicht als Problemund als „Harmonisierungsbedarf “ gesehen werden, sondernals einzigartige Chance für alle Beteiligten. Harmonisierenoder vereinheitlichen muß man bei diesem Wettstreit – ähn-lich wie beim Sport – nur die Spielregeln, nicht aber Konditionoder gar Ernährungsgewohnheiten der Sportler (was im Bildden Löhnen und Sozialleistungen entsprechen würde). Daswäre das Ende allen Wettbewerbs, des sportlichen wie des öko-nomischen. „Viele dieser Unterschiede“, schreibt Gerhard Pro-si, „werden, sofern sie nicht aus nationalem Egoismus politischgeschützt sind, im Wettbewerb durch Nachahmung automa-tisch ›harmonisiert‹. Jedoch werden auch laufend neue Unter-schiede durch Innovation entstehen. Die Überlegenheit auchdes realen, unvollkommenen Wettbewerbs, neues Wissen zufinden und anzuwenden, und die Freiheit, anders zu sein, sindweit produktiver als die grundsätzlich unvollkommenen undüber die Zukun per se unwissenden Bürokraten in Brüssel,Bonn oder anderswo“ (Prosi 1991, S. 135).Soziale Wohltaten, um die es ja in den Harmonisierungspara-graphen des Maastricht- Vertrages vorrangig geht, sind im-mer entweder Lohnbestandteil (im Sinne von Lohnneben -kosten) oder Lohnersatz (ähnlich den Sachleistungen). Sie

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mindern also immer den Barlohn. In weniger entwickeltenund minderproduktiven Regionen Europas besteht – vor al-lem seitens der Arbeitnehmer – ein Interesse, schnell an diehohen Löhne der fortgeschrittenen Nachbarn aufzuschlie-ßen, indem die Barlöhne unter Inkaufnahme geringerer So -zialleistungen rasch steigen. Werden nun die Sozialleistungender Wohlfahrtsweltmeister der Gemeinscha zur Norm füralle, so bleiben (außerhalb der Alternative „Massenarbeits -losigkeit“) nur zwei denkbare Wege: Entweder die Barlöhneder Niedriglohnländer fallen relativ rasch weiter zurück, oderdie Ausgleichsfonds schieben noch mehr Milliarden in dieLohnsubventionierung dieser Länder – mit der Folge, daß In-effizienz europaweit belohnt und Effizienz bestra wird.Struktur- und produktivitätspolitischer Unsinn wird auf die-se Weise mit riesigen Kauraverlusten bezahlt. Es geht keinWeg an der Tatsache vorbei, daß erst das Fließen von Res-sourcen in Produktivitätsgefälle hinein langfristig zur An-gleichung der Produktivitäts- und damit auch der Lohn -niveaus führt. Ein Zubetonieren der Gefälle mit sozialemEinheitsbrei bringt alle Ströme zum Erliegen und endet in einer den ganzen Kontinent umfassenden Produktivitäts -sklerose. Da schon auf jeweils nationaler Ebene das jahrzehn-telange Vorauseilen der Löhne gegenüber dem Produktivi-tätszuwachs als Ergebnis das gezeitigt hat, was wir „Neue Ar-mut“ nennen, wird die Wiederholung und dramatische Po-tenzierung dieses Fehlers im internationalen Maßstab Sozial-europas uns lehren, welche Dimensionen eine noch neuereund allerneueste Armut annehmen kann.

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b. Massenarbeitslosigkeit – oder die unendlich lange Freizeit

„Nichts trägt mehr dazu bei, die Atmosphäre zwischenden Völkern zu vergiften, als enttäuschte Hoffnungenund im Feuer der Realität verdampfte Illusionen.“Carlo Schmid (1948)

Zu den aufgezeigten Elendsalternativen gibt es freilich einenoch elendere. Und vieles deutet darauf hin, daß Sozialeuro-pa auf sie zusteuern wird: auf Arbeitslosigkeit in vielen oderallen Ländern der Gemeinscha, weit über das bisher ge-kannte Maß hinaus.Trotz einstweiligen Dementis: Die europaweit genormte Ar-beitszeit lugt schon um die Ecke. Wir werden das entrüsteteGezeter der Gewerkschasbosse noch zu hören bekommen(aber auch das der Arbeitgeberverbände. Parole: GleicheWettbewerbsbedingungen), man könne doch in einem ge-meinsamen Markt die Portugiesen nicht zwanzig Prozentlänger arbeiten lassen als die Deutschen; und sogar die fünfoder sechs Prozent Mehrarbeit der Franzosen seien eine Un-verschämtheit. Also weg damit. Die europaweite 35-Stunden-Woche muß her. Nun sollte man wissen, daß eine solche „Ar-beitszeitharmonie“ selbst dann katastrophale Folgen zeitigenwürde, wenn die Lohnniveaus in allen Ländern der Gemein-scha gleich wären (was sie, wie gesagt, bei weitem und nochlange nicht sind). Denn auch bei gleichen Löhnen bewirkendie länderspezifisch höchst unterschiedlichen Kapitalausstat-tungen (Art, Qualität, Reifegrad, Größe und Altersstrukturdes Kapitalstocks, sowie seine quantitative Relation zum Ar-beitsvolumen) und die gänzlich andersgearteten Kombina-tionen von Arbeit und Kapital (Arbeits- oder Kapitalinten -sität) weit divergierende Kostenstrukturen. Auch erfordernsolche Differenzen ganz unterschiedliche Maschinenlaufzei-ten. Schon heute müssen die Maschinen in Portugal wesent-

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lich länger laufen als in Deutschland, wenn auch nur der be-stehende Produktivitätsabstand gehalten werden soll. Mankann sich leicht ausrechnen, wohin die weniger industria -lisierten Länder absacken müssen, wenn EG-weit gleiche Ar-beitszeiten über jene Abgründe gestülpt werden, die – zusätz-lich zu den beschriebenen Schluchten – zwischen den Lohn-niveaus von Kopenhagen bis Lissabon klaffen. Die ohnehinvorhandenen Abstände zwischen den Produktivitätsstan-dards müßten sich dramatisch vergrößern und die Lohn-stückkosten bei den Nachzüglern groteske Höhen erklim-men.Die zwangsläufige Folge: Massenarbeitslosigkeit, Bankrottder Sozialsysteme und Wuchern der Untergrundwirtscha.Die weitere Folge: Der Ruf nach Verzehnfachung der Struk-tur- und Kohäsionsfonds (Vorbild: Deutschland Ost) undnach Schutz der Gemeinscha vor der Konkurrenz der Welt-märkte. Also doch die entrüstet bestrittene „Festung Europa“.Auf diese Weise dreht sich alsdann die Armutsspirale für alleInsassen Sozialeuropas bis hinunter zur perfekten Glück -seligkeit der Egalitätsapostel: der unendlich langen Freizeitfür alle.Deshalb mein Vorschlag: Eine europaweit genormte Arbeits-zeit von Null und eine chinesische Mauer um das Gemein-schafts-Elysium, damit auch wirklich kein einziges Drittland-produkt aus irgendeinem Streberstaat unseren Frieden störenkann. Vor dem Hungertod können wir konsequenten Sozial-europäer uns notfalls immer noch retten, indem wir die Steuern für „die Reichen“ auf hundert Prozent erhöhen und ih-re Vermögen konfiszieren. Auch wenn man die Geldscheineaus ihren Tresoren nicht essen kann, auf den schicken Leder-koffern der Bonzen läßt sich eine Weile herumkauen, und dasKühlerwasser ihrer dicken Luxuskarossen kann bei einigemguten Willen als Getränk dienen. Sollen doch die weltfremden

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Nationalökonomen schwätzen, was sie wollen: wir Sozialok-kultisten Sozialeuropas wissen genau, wie man die „arbeitendeKlasse“ ins europäische Paradies führt. Diesmal ins Paradies-West natürlich, denn der Ostflügel ist seit einiger Zeit wegenReparatur geschlossen.Natürlich wissen die meisten Eurobastler recht genau um die-se Gefahren. Deshalb plädieren sie ja so nachdrücklich fürdie „Kohäsion“, die möglichst vorauseilende (ex ante) oderzumindest gleichzeitig (synchron mit der Lohn- und Sozial-netz-Angleichung) verlaufende Annäherung der makro -ökonomischen Einkommens- und Verteilungsströme in denMitgliedstaaten der EG, grob: für eine Harmonisierung desLebensstandards auf dem gesamten europäischen Kontinent.Und Harmonie (besser: Nivellierung) nach Art der Kon-struktivisten ist eben nur zu haben mit Transferzahlungenvon reich zu arm, von stark zu schwach. Was die Nivellierernicht sehen wollen, ist ein dreifaches: Zum einen, daß keinBetrag – und sei er noch so hoch – ausreicht, um internatio-nale oder interregionale Leistungsgefälle beseitigen zu kön-nen, weil Transfers dieser Art die Leistungsanreize der Be-schenkten mit jeder Übertragung noch weiter senken; zumzweiten, daß die Ausgleichssummen für die Erhaltung auchnur eines einzigen unproduktiven Betriebes (geschweigedenn ganzer Industriezweige oder gar Regionen) regelmäßigunterschätzt werden; und zum dritten, daß die Leistungskrader Geberländer mit jedem Zwangstransfer progressiv aus-trocknet. Um eine Ahnung von dem zu gewinnen, was aufEuropa an „Strukturerhaltung“ und „Strukturverbesserung“zukommt, muß man sich nur vor Augen führen, was dendeutschen Steuerzahler die Sanierung eines einzigen Betrie-bes Ost, nämlich Zeiss in Jena, kostet: vier Milliarden D-Mark. Das sind, um bei meiner Lieblingsrechnung zu blei-ben, viertausend Millionen Mark. Nicht mehr zählbar sind

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die Milliarden, die derselbe Steuerzahler der „Strukturpoli-tik“ nur eines Industriezweigs hat opfern müssen: des Stein-kohlenbergbaus. Und vierzig Jahre hat es gedauert, die ehe-mals 500.000 Kumpel an der Ruhr auf heute rund 130.000schrumpfen und die übrigen ins soziale Netz fallen zu lassen.Das Ergebnis: Noch immer sind die Gruben eine hochsub-ventionierte und hoffnungslos überbesetzte Branche.Endgültig jedoch sollte das Beispiel der deutschen Sozial -union mit ihrer auf Jahrzehnte hinaus programmierten gi-gantischen Bluttransfusion von West nach Ost den letztenKohäsions-Illusionisten schrecken. Stattdessen wird unisonoargumentiert, das Produktivitätsgefälle zwischen den euro-päischen Partnern sei lange nicht so monströs wie zwischenden alten und den neuen Bundesländern. Das ist sogar zu-treffend; aber dafür sind Raum und Menschenzahl Gemein-schaseuropas auch mehr als zwanzigmal größer als die Ex-DDR. Wir werden es noch erleben, wie Bürden dieses Ge-wichts (Deutschland Ost) selbst einen hochproduktivenKraprotz (Deutschland West) in die Knie zwingen können.International zeichnen sich die langfristigen Konsequenzenfalscher Ressourcenlenkungen schon lange ab: Während dieSozial-Fettwanste unter den Industrienationen, allen voranDeutschland, immer mehr finanzielle Mittel vom Investi -tionssektor abziehen und in den Konsumsektor transferieren,geht Japan konsequent den entgegengesetzten Weg. Der gi-gantische Wachstumszyklus Nippons seit den achtziger Jah-ren wurde von einem beispiellosen Schub der Anlageinvesti-tionen angetrieben. In einem einzigen Jahr (1990) investier-ten die japanischen Unternehmen 620 Milliarden Dollar inneue Anlagen und Anlagegüter. (Die USA zum Vergleich 510Milliarden.) Wenn im Zuge der Maastricht-Variante der EGdie Sozialnetze noch enger geknüp und über ganz Europageworfen werden sollten, dann wird Japan den Europäern in-

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nerhalb eines einzigen Jahrzehnts zeigen, mit welchen ganzanders gearteten Netzen man große Fischzüge veranstaltet.Zur Massenarbeitslosigkeit an den Rändern Europas addiertsich dann die Arbeitsplatzvernichtung in den Kernregionen.Und Additionen, die Ökonomen wissen es, münden bei kom-plexen volkswirtschalichen Gefügen rasch in kumulativeExponentialkurven von schrecklicher Kontur.

c. Sozialtourismus– oder: Das Wandern ist des Schnorrers Lust

„Die Göttin der Freiheit ist keine Freundin der Göttinder Gleichheit.“Will Durant (1977, S. 52)

Wenn Europas Grenzen fallen, müssen sie auch für bestimm-te elementare Versorgungsleistungen verschwinden. Das isteinerseits ein Segen, denn was würde die neue Freizügigkeitnützen, wenn beispielsweise ein Deutscher, der sich in Frank-reich niederläßt, mit dem Umzug seine bisher erworbenenRentenansprüche verlieren würde. Andererseits droht demkünigen Europa der Fluch eines grenzenlosen Sozialtouris-mus. Auch hier, bei den finanziellen Sicherungen, ist eben dasunabdingbare Notwendige nicht identisch mit der ganzenFülle des theoretisch Möglichen. Die Sozialgigantomanie ein-zelner Länder – vor allem Deutschlands – und die Egalisie-rungs- und Harmonisierungssucht der EG drohen jedenfallseine unheilige Allianz einzugehen.Wenn Mindestsicherungen übersteigende Regelungen nichtauf das Nationalitätsprinzip beschränkt bleiben, werden dieMenschen in jene Länder streben, welche die jeweils komfor-tabelsten Sozialhängematten zu bieten haben, um dort ihreAnsprüche zu erwerben. „Später“, wenn die Rechte verbriesind, kann man ja wieder heimwärts ziehen; die Ansprüche

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wandern ja mit. Die EG-Institutionen werden nichts unver-sucht lassen, das Territorial- oder Nationalitätsprinzip derbestehenden Sozialleistungssysteme auszuhebeln.Schon 1989 zeigte der sogenannte Salzano-Fall, welche Artvon Wanderlust in Sozialeuropa endemisch zu werden ver-spricht: Da Vater Salzano in Deutschland arbeitete, MutterSalzano aber ihre Kinder in Sizilien großzog, mußte das deut-sche Arbeitsamt die Differenz zwischen dem italienischenund dem deutschen Kindergeld nach Palermo überweisen.Sollte Vater Salzano arbeitslos werden, so bezieht er dashöchste Arbeitslosengeld der EG, Mutter Salzano weiterhindas auf deutsches Niveau hochgeschleuste Kindergeld. DerTag ist nicht mehr fern, an dem sich Papa Salzano ins Bett legen darf, wenn Mama Salzano in Sizilien das nächste Bam-bino erwartet. Wie sinnvoll oder unsinnig überzogen die So-zialleistungen in den einzelnen europäischen Ländern auchsein mögen, in „Sozialeuropa“ zeichnet sich ab, daß alle zwei-felhaen Segnungen des Wohlfahrtsstaates auf das jeweilshöchste Niveau in der Gemeinscha hochgeschleust werden– mit der Folge einer entsprechend uferlosen Kostenflut.Auch hier, im sozialpolitischen Detail, tritt dann jener Selbst-beschleunigungseffekt ein, der dem bürokratisch-ökonomi-schen Unsinn insgesamt innewohnt: Die Sozialcharta-Ambi-tionen der Zentralisten in Brüssel werden die Budgets derMitgliedstaaten zu Lasten des Geldwerts überstrapazieren.Sodann werden sich die aus der Kostenexplosion und Geld-werterosion resultierenden Arbeitslosenheere in den beson-ders betroffenen Regionen in Bewegung setzen. Eine gewalti-ge Wanderung in Richtung der noch prosperierenden Ländersetzt ein. Und mit wachsender Überforderung und Über-schwemmung einzelner EG-Partner muß alsdann der Ver-ordnungsdschungel Sozialeuropas „reformiert“, „saniert“und „perfektioniert“ werden; am Ende steht ein dichtgewo-

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benes Regulierungsnetz, das allen Freizügigkeitsparolen Ge-meinschas-Europas Hohn spricht.Würden sich die Euroneurotiker auf ein gemeinsames Ver-fahren des raschen und unbürokratischen Wechsels vom So-zialsystem eines Landes in das eines anderen einigen, wie dasbei Wohnsitz- oder Arbeitsplatzwechsel in einer vervoll-kommneten Europäischen Wirtschasgemeinscha drin-gend geboten wäre, dann würde sich hieraus ein weitererfruchtbarer Integrationsschub für die EG ergeben. Mit derharmonisierungswütigen Gleichschaltung aller Sozialsyste-me jedoch sind ausuferndes Anspruchsdenken, Wut undMißgunst erzeugende Überforderung und sinkende Lei-stungskra der Sicherungswerke vorprogrammiert. Und so-mit auch Desintegration und Zerfall des erreichten Gemein-schaswerks insgesamt.

d. Kapitalzerstörung – oder: Geld zum Fressen, aber sonst nichts

„Man klagt unsere Gesellschaft der ›sozialen Kälte‹: an.Nächstenliebe kann eben durch eine zwangsweise soli-darische Verpflichtung nicht ersetzt werden. Liebe läßtsich nicht anonymisieren, nicht bürokratisieren, ohneihre Substanz einzubüßen. Mit dem Fortschreiten desWohlfahrtsstaates werden die Wurzeln der Vitalitätund Lebensfreude freier Gesellschaften angegriffen,Barmherzigkeit und echte Solidarität verkümmern.“Gerd Habermann (1990)

Nach dem Scheitern der sozialistischen Wahnideen im Ostenund dem rapiden Zerfall der christlichen Werte im Westenwird Europa nun von einer neuen Ersatzreligion befallen: derWirtschasethik. Seltsamerweise richten sich deren rigideForderungen ausschließlich an die Adresse der Unternehmer

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und Unternehmen. Man mag das in so manchem Fall für er-forderlich halten; noch viel notwendiger jedoch wäre eineRückbesinnung auf das, was Europa und die westlichen Zivi-lisationen reich und lebensfähig gemacht hat, nämlich einereligiös fundierte Arbeitsethik.11 Das leistungsfeindlicheKampfgeschrei der Gewerkschaen hingegen, das Arbeit nurnoch als Hindernis auf dem Weg zur allseits stoßgedämpenLebensqualität interpretiert, nährt nur die Illusion von einerhöchst seltsamen Zukunswelt: von einem Zustand mithöchsten Löhnen und Transferleistungen bei geringster Lei-stung, also von einer Wohlfahrtswelt mit unendlich viel no-minellem Einkommen und unendlich wenig realen Gütern.Der Zustand läßt sich auch knapper beschreiben: Geld zumFressen, aber sonst nichts.Nicht anders verhält es sich bei dem, was die Architekten So-zialeuropas unter „Ethik“ verstehen. Es ist die Ethik vonSozial moralisten, die von den Realitäten der Welt längst abgehoben haben. In einem einzigen, nur handtellergroßenZeitungsartikel („Europaparlamentarier fordern echtes Mitspracherecht im Sozialbereich“, im »Handelsblatt« vom22. Mai 1991) fanden sich folgende Begriffe: „Sozialbereich,sozialpolitischer Sprecher, sozialpolitische Obleute, sozial abgesicherter Binnenmarkt, Sozialexperten, sozialpolitischesFeld, Sozialcharta, sozialpolitisches Aktionsprogramm, soziale Zukun, europäische Sozialpolitik, Sozialpolitiker,Soziale Union.“

11 „Arbeitsethik“ steht hier als pars pro toto für die Summe aller sittlichenReserven, auf deren Fundament eine marktwirtschaftlich verfaßte freieGesellschaft erst entstehen kann und ohne die eine solche Gesellschaftauch nicht überlebensfähig ist. Zu diesen sittlichen Reserven gehört einhohes Maß an Selbstständigkeitswillen und Selbstverantwortungsbereit-schaft. Die wechselseitige Bedingtheit von Selbstständigkeit und „Sitt -lichen Reserven“ eines Volkes ist besonders schön dargestellt bei: FranzKromka (s. Kromka 1992 a).

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Nun gilt es, zu verstehen, daß sich hinter derlei Sozialgewäschnicht diffuse Erwartungen, sondern mehr und mehr ganzpräzise Forderungen und Konzeptionen verbergen. Um nurein Beispiel zu nennen (Kommissionsvorstoß vom Dezember1990): Für die ca. vierzehn Millionen Teilzeitbeschäigtenund die rund zehn Millionen Beschäigten mit Zeitverträgenin der EG sollen gleiche Bedingungen geschaffen werden wiebei den Vollerwerbstätigen. Und zwar nicht nur hinsichtlichEntlohnung und Gesundheitsvorsorge (was noch sinnvollsein mag), sondern auch bei Urlaubsregelungen, sozialer Si-cherung jeder Art, Zugang zu Versorgungseinrichtungen desArbeitgebers, beruflicher Weiterbildung, Mutterschasrege-lungen etc. Man muß sich nur einmal in die Lage eines hand-werklichen Einmann-Betriebes mit einer Saison-Hilfskraoder einer Freitagnachmittag-Aushilfe versetzen, der nun mitder arbeits- und sozialrechtlichen Manpower eines Konzernsgleichziehen soll, also mit einem Stab von zwei Dutzend Be-triebsräten, Sicherheitsbeauragten, Jugendvertretern, Fir-menjustiziaren und einem Personalbüro in Divisionsstärke.Man versteht dann sehr schnell, daß mit jeder einzelnen Vo-kabel der sozialhysterischen Terminologie eine profane Ge-wißheit verknüp ist: steigende Kosten. Steigende Kostenwiederum haben ein wenig sympathisches Doppelgesicht:Auf der einen Seite verhindern sie neue oder zusätzliche Un-ternehmungen und Investitionen (Folge: Wachstums- undWohlstandsverluste); auf der anderen Seite machen sie auchbestehende produktive Anlagen weniger rentabel oder gar un-rentabel. Am einfachsten kann man diesen Vorgang vermit-tels des Kostenfaktors „Zinsen“ verdeutlichen: Angenom-men, ein Betrieb oder Betriebsteil erbringe als Gewinn eineVerzinsung des eingesetzten Kapitals von zehn Prozent. Beieinem angenommenen Kapitalmarktzins von sieben Prozentist besagte Produktionsanlage noch „rentabel“. Steigen nun

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die Marktzinsen auf elf Prozent, und gelingt es dem Betriebnicht, seinen Gewinn entsprechend zu erhöhen (was bei ge-wachsener Zinsbelastung auch nicht zu erwarten ist), so wirddie betreffende Produktion – inklusive der hierzu benötigtenMaschinen, möglicherweise sogar inklusive der zugehörigenFabrikgebäude – unrentabel. Und zwar in dem Sinne, daß derUnternehmer mehr Gewinn erzielt hätte, wenn er sein ein -gesetztes Kapital nicht in den Betrieb investiert, sondern inObligationen angelegt hätte. Und das, nicht zu vergessen, oh-ne Arbeit, Ärger und Risiko. Entsprechendes gilt natürlichfür alle Kosten – einschließlich der (und besonders für die)Soziallasten. Unabhängig von dem, was wegen steigender„sozialer“ Lohnneben- und Lohnzusatzkosten an Kapazitäts-erweiterungen, -verbesserungen und -erneuerungen unter-bleibt, wird also auf mittlere und lange Sicht vorhandenes undjetzt noch produktives Realkapital in unabsehbarer Quantitätminderausgelastet, abgebaut oder gar stillgelegt werden. So-zialeuropa, um es kurz zu machen, das Europa der BrüsselerSozialillusionisten und ihrer fleißigen Handlanger in Par -teien und Gewerkschaen, wird Realkapital in buchstäblichkontinentalen Größenordnungen vernichten.

e. Eurosteuern– oder die Finanzierung des Organisierten Gebrechens

„Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gutgemeint.“Karl Kraus (1874-1936)

Was so wohlklingend mit „wirtschalicher und sozialer Kohä-sion“ überschrieben wird, heißt, um es zu wiederholen, inWirklichkeit nur eines: Geld, Geld und nochmals Geld. Beson-ders Onkel Dagobert – sprich: die Bundesrepublik als größterNettozahler der EG – soll alle Schleusen seiner Schatztruhen

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öffnen. Die Planung für 1992 weist allein für die Strukturfondsder EG (die nicht mit den Kohäsionsfonds identisch sind, son-dern diesen hinzugerechnet werden müssen) einen Betrag vonumgerechnet 35 Milliarden D-Mark aus. (Zur penetranten Er-innerung: das sind fünfunddreißigtausend Millionen.) Dochfür die besonders enthusiastischen Kohäsionisten und Struk-turisten im Süden Europas sind das nur Peanuts. Sie wollen un-endlich viel mehr. Was ja verständlich ist; schließlich sind diebereits angesprochenen Gefälle von Nord nach Süd enorm.(Wenn der Arbeitskosten-Unterschied von rund vierzig Markin Deutschland zu rund acht Mark in Portugal – je Stunde inder Verarbeitenden Industrie – kein abgrundtiefes Gefälle ist,dann sind auch die Niagarafälle nur eine natürliche Handbrau-se.) Außerdem hat die EG-Kommission selber (im Wider-spruch zu den vorgelegten Planziffern) eingestanden, daß „ei-gentlich“ statt der angepeilten rund zwanzig Milliarden ECUjährlich mindestens fünfzig Milliarden ECU (= ca. hundertMilliarden Mark) zur Fütterung der Fonds erforderlich wären.Und das über einen geschätzten Zeitraum von zwanzig Jahrenhinweg. Das sind nach Adam Riese also insgesamt zweitau-send Milliarden Mark.Was man mit solch aberwitzigen Summen kohäsionieren undumstrukturieren kann, dafür mögen die völlig maroden undvon Korruption durchsetzten griechischen Sozialsysteme einBeispiel abgeben: Es gibt in Griechenland eine chaotischeVielzahl von über dreihundert Sozialversicherungskassen,deren Invaliditätsrenten-Budgets den EG-Durchschnitt umbis zu sechzig Prozent übersteigen, weil eine ganze „Pensio-nierungsindustrie“ aus Politikern und Beamten einen illega-len, aber geduldeten Invaliditätsbescheinigungs-Schwindelbetreibt. Es wäre also durchaus im Sinne der „Sozialethik“Sozialeuropas, einem solchen Volk des organisierten Gebre-chens wieder auf die schwerbehinderten Beine zu helfen.

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Das ebenso beliebte wie dümmliche Argument: „na ja, wennalle Europäer zusammenlegen …“, ist wohl kaum einer Erör-terung wert. Es werden eben nicht alle, sondern nur ganz we-nige Nettozahler unter den EG-Ländern „zusammenlegen“,um die europäischen Sozial-Halluzinationen zu finanzieren.In den Funktionärsetagen der politischen Finanzjongleurevon Brüssel bis Bonn und Paris steht deshalb auch längst fest,daß die Fondsspeisungen aus den nationalen Haushalten unddie Bestückung der EG-Kassen aus den Mehrwertsteueran-teilen bei weitem nicht ausreichen werden, um den sozialeu-ropäischen Moloch sattfüttern zu können. Eigene Steuern,Europa-Steuern müssen her. Und natürlich müssen auch die-se Steuern wieder „sozialeuropäisch“ gestaltet werden. DieSüdländer haben ihre diesbezüglichen Vorstellungen bereitsvorgetragen: Das „System eigener Einnahmen der EG“ sollden „Prinzipien des relativen Wohlstands und der Progressi-vität“ Rechnung tragen. Klartext: Wie schon bei den Euro-Beiträgen und den verschiedenen Fonds, so sollen auch dievon der EG in supranationaler Hoheit neu zu erfindendenund zusätzlich zu den nationalen Steuern zu erhebendenSteuern und Abgaben künig die reichen Länder auf der Er-hebungsseite progressiv stärker belasten und auf der Verwen-dungsseite degressiv weniger begünstigen als die ärmeren.Also wiederum das Prinzip der doppelten Schröpfung.Über den Erfindungsreichtum der Plünderfiskalisten brauchtman sich hierbei keine Sorgen zu machen. Außerdem liefertdas Vorbild der deutsch-deutschen Sozialunion reichlich An-schauungsmaterial. Sogar den Herren aus der „Wissenscha“erblüht bei derlei Anlässen so manch illustre Beutel-Phanta-sie, wenn es nach einem politischen Durchmarsch mal beiden Finanzen klemmt. So hat beispielsweise eine Gruppe von„Alternativ-Professoren“ (Arbeitsgruppe „Alternative Wirt-schaspolitik“) im Frühjahr 1991 zur deutschen Finanzie-

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rung Ost vorgeschlagen: Auflegung einer fünährigen Anlei-he mit Zeichnungspflicht, deren Verzinsung „im Rahmen derjährlichen Inflationsrate“ liegen solle. Bei der Zwangszeich-nung müßten natürlich – man ahnt es schon – „sozial ausge-wogene“ Freigrenzen gewährt werden. Wir können also dieBürger Europas und vor allem die Deutschen beruhigen:Wenn die politischen Sozialgigantomanen und ihre wissen-schalichen Vordenker auch mit Blick auf Sozialeuropa Ein-fälle dieser und ähnlich genialer Art haben werden, danndürfen wir der wachsenden Liebe und der zunehmendenHarmonie unter den Völkern Europas gewiß sein.

f. Solidarbankrott – oder North Dakota in Europa

„Eines von beiden wird früher oder später weichenmüssen: das freie Gesellschafts- und Wirtschaftssy-stem oder der heutige Wohlfahrtsstaat.“„Die staatlich organisierte Massenfürsorge ist ebennichts anderes als die Prothese einer durch Proletaris-mus verkrüppelten Gesellschaft.“Wilhelm Röpke (1958, S. 213 f)

Eine „innerdeutsche“ Frage vorweg: Was nützt den vergleichs-weise soliden Bajuwaren – mit einer Pro-Kopf-Verschuldung(Landes- und Kommunalschulden 1990) von 3.831 DM – ihrehaushaltspolitische Zurückhaltung, wenn sie via Finanz -ausgleich die Schuldzinsen (und somit auch die Schulden)mittragen müssen, welche die tiefrote Volksrepublik Bremenangehäu hat: satte 21.235 DM je Kopf (1990)?!Im Anschluß hieran eine europäische Frage: Was nützt denDeutschen ihre vergleichsweise (aber wirklich nur „ver-gleichsweise“!) erträgliche Staatsschuld von (noch!) fünfzigProzent des Sozialprodukts, wenn sie via Struktur- und Kohä-sionsfonds die weit über hundert Prozent hinausgehenden

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Staatsschulden Griechenlands, Italiens und Belgiens „solida-risch“ mittragen müssen? Dabei spielt es keine Rolle, ob dieentsprechenden Mittel auf direktem oder auf indirektem Wegeden Eigentümer wechseln. (Indirekt bspw. über geringere oderganz entfallende Beitragszahlungen der Staatsbankrotteure zuden europäischen Fonds. Dramatische Formen nimmt dieseeuropäische Solidarbankrottfinanzierung natürlich erst rechtbei der Europäischen Währungsunion an. Doch davon später.)Schon bisher, also vor Inkratreten der Maastricht-Regelun-gen, stand z. B. fest, daß der griechische Staat ohne die Milliar-den aus der EG-Kasse hätte Bankrott anmelden müssen. Aufjeden Griechen entfielen um die Jahreswende 1990 / 91 öffent-liche Schulden in Höhe von 14.000 DM. Das entsprach wohl-gemerkt einem griechischen Durchschnittseinkommen voneineinhalb Jahren! Die Staatsschuld stand zur gleichen Zeit bei150 %! des Sozialprodukts. (Auf ein Unternehmen übertragenwürde das bedeuten: Eineinhalb mal so viel Schulden wie Um-satz.) Offensichtlich sollen nun, wenn Sozialeuropa so richtigin Maastricht-Fahrt kommt, die deutschen und französischenSteuerzahler auch noch den riesigen Schuldenberg abtragen,den die sozialistische Pasok-Partei nach acht Jahren Mißwirt-scha hinterlassen hat. Welch ein zynischer Betrug an den soliden EG-Bürgern und an den vorangegangenen Generatio-nen, die das Fundament für den jeweils erreichten Wohl-standsvorsprung hart und lebenslänglich erarbeitet haben.Welcher Frevel aber auch an unseren Kindern, die um ihrenAnteil am nationalen Erbe betrogen werden.Es bleibt bei der bitteren Erkenntnis: Der Nivellierungswahnder Brüsseler Kohäsionisten ist nicht finanzierbar. Auchnicht, wenn man nach beliebter politischer Gauklermanierunbezahlbare Schuldenberge als „Sondervermögen“ de -klariert und für jede finanzpolitische Jauchegrube duendeNamen erfindet. Der amerikanische Nationalökonom Le-

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ster C. urow hat – als Warnung an die Euroeuphoriker –darauf hingewiesen, daß in den Vereinigten Staaten einhun-dert Jahre nach ihrer Unionierung noch immer ein Gefällevon zwei zu eins existiert. „Weite Gebiete der USA wie NorthDakota“, so urow, „sind leer. Zwei Drittel unserer Countiesverlieren an Bevölkerung. Einige Gebiete, darunter vielleichtIrland, werden das North Dakota Europas sein. … Wenn dieuntergehenden Firmen und Regionen realisieren, was da ge-schieht, werden sie die weitere Integration der EG bekämp-fen. Um diese Opposition zu beschwichtigen, muß die EG dieVerlierer entschädigen. Wo aber soll sie dafür die Ressourcenhernehmen?“ (urow 1989).Meine Antwort: sie, die EG und ihre Maastrickser, werdentricksen und inflationieren, bis wir Sozialeuropäer eines nichtmehr fernen Tages allesamt arme North-Dakota-Schluckergeworden sind. Feierabend, so die wohl älteste politischeWeisheit, ist bei den Staatsfürsten aller Zeiten immer erstdann, wenn die Kassen leer sind; und wenn sie aus ihren Un-tertanen Sklaven, Bettler oder Leichen gemacht haben, ausdenen nichts mehr herauszupressen ist.Doch der Solidarbankrott Sozialeuropas wird nicht nur finan-zieller Natur sein. Vieles deutet darauf hin, daß er auch das Ge-sicht einer Verarmung der vielfältigen sozio-ökonomischenStrukturen des Zusammenlebens tragen wird. Letztlich be-deutet das: Tarifvertraglich garantierte Einebnung der euro-päischen Kulturlandscha. Niemand wird die Brüsseler Glatt-strich-Spezialisten daran hindern, die letzte griechische Bäue-rin vermittels Kollektivversicherungen, beschäigungsge-bundenen Rentenansprüchen, Mutterschasgeld und Baby-jahren aus ihren großfamiliären und sippengeprägten Bandenherauszulocken, auf daß sie sich mit stumpfsinniger Fabrik -arbeit wird „selbstverwirklichen“ können. Und erst wenn dieRollgitter der italienischen Lädchen in unseren bevorzugten

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Urlaubsorten zur germanischen Ladenschlußzeit fallen wer-den, wird das tarifvertragliche Gewissen unserer Syndikats-bosse zur Ruhe kommen. Der Solidarbankrott Sozialeuropaswird viele Gesichter haben und viele Namen tragen. Aber eineswird all diesen Namen gemeinsam sein: das Präfix „sozial“.

g. Politische Willkür – oder Gulag mit Komfort

„Nur der Markt kann Leviathan zähmen, kann denkleptokratischen Appetit der Herrschenden – seien esPrinzen, Parteien oder Parlamente – im Zaum halten.“Gerard Radnitzky (1991b, S. 62)

Es ist eigenartig: Entscheidungen über Gesundheit undKrankheit unseres Körpers (Diagnose und erapie) würdenwir niemals einem Politiker oder irgendwelchen politischenInstitutionen überlassen, sondern immer nur dem Arzt; mög-lichst sogar dem jeweils besten Spezialisten. Die Entscheidun-gen über Gesundheit und Krankheit bzw. Behandlungsweiseunseres nationalen Wirtschaskörpers jedoch überlassen wirbedenkenlos jenen politischen Figuren und Behörden, die –mögen sie ansonsten noch so kenntnisreich und versiert sein– doch in aller Regel vom einen (der Medizin) genauso wenigverstehen wie vom anderen (der Wirtscha). In beiden Fällen,beim menschlichen Körper ebenso wie bei einem gesamtwirt-schalichen Gefüge, sehen wir uns mit einem hochkomplexenOrganismus konfrontiert, dessen „Behandlung“ – soweitüberhaupt erforderlich – die Behutsamkeit der bestgeschultenExperten erfordern würde. Politische Sachkunde ist aber nochlange kein Indiz für ökonomische Meisterscha.Nun ist weniger die Tatsache problematisch, daß wir unserenationale Ökonomie den Politikern anvertrauen statt denNationalökonomen (denn auch unter denen gibt es ebensoviele Pfuscher wie in allen Berufen), sondern vielmehr der

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Umstand, mit welcher Vertrauensseligkeit, ja Gläubigkeit wirdies tun. Zwar gilt auch in der Politik wie überall das angel-sächsische Sprichwort „nobody is perfect“, aber solchesprichwörtliche Gelassenheit können wir uns bei Belangen,die unser Leben so maßgeblich beeinflussen, nur dann lei-sten, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Erstens dürfen wiraus der unendlichen Fülle unserer privaten Entscheidungennur so wenige wie überhaupt möglich auf andere Personenoder Instanzen übertragen – und schon gar nicht auf Zentral-stellen, die für viele oder alle Menschen einheitlich entschei-den. Zweitens muß gewährleistet sein, daß diejenigen Ent-scheidungen, welche wir unabdingbar aus den eigenen Hän-den geben müssen, einer raschen Fehlerkorrektur unterwor-fen sind. Ganz im Sinne des Popper’schen Satzes: „Alles hängtdavon ab, wie schnell wir aus unseren Fehlern lernen kön-nen.“ Diese Bedingungen kann man auch anders formulie-ren: Wenn wir im Interesse unserer eigenen Lebensgestal-tung, unserer eigenen Ziele und unserer persönlichen Frei-heit (und damit auch der Freiheit aller anderen) unsere sozio-ökonomischen Entscheidungen selbst und eigenverantwort-lich treffen wollen, dann brauchen wir eine unermeßlicheFülle von täglich wechselnden und uferlos wachsenden Infor-mationen als Entscheidungshilfen und -orientierungen. Unddiese Informationen kann uns nur der Markt liefern, weil inihn das Wissen und Können und die Entscheidungen allerMenschen unauörlich einfließen, und weil nur seine Sig -nale – die das Wissen, Können und Wollen aller Beteiligtenwiderspiegelnden Preise (besser: relativen Preise) – uns sagenkönnen, was wir tun oder lassen sollen, um unsere Ziele mitAussicht auf Erfolg anzusteuern. Nur der Markt (oder dieMärkte) können uns also dabei helfen, möglichst viele unse-rer Entscheidungen selbst und in eigener Verantwortung tref-fen zu können und möglichst wenig von unserer Freiheit und

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unserem Leben der Verfügungsmacht anderer Menschenoder gar anonymer Behörden auszuliefern. Nicht nur in die-sem Sinne ist der Markt ein perfektes Entmachtungsinstru-ment, denn er entreißt den Herrschenden – sei es in Politikoder Wirtscha – die Bestimmungsgewalt über das Tun undLassen der Menschen und überträgt sie auf seine eigenen an-onymen Mechanismen, auf jene demokratischste aller Entscheidungsmethoden: die tägliche oder gar stündlicheStimmabgabe aller Teilnehmer mit jeder einzelnen ausgege-benen oder zurückbehaltenen Mark. (Umso wichtiger ist des-halb auch, daß diese Signale nicht verfälscht und von politi-schen oder interessensyndikalistischen Instanzen nach ihremGutdünken „gesteuert“ oder „fixiert“ oder in welcher Formauch immer manipuliert werden.) In Kurzfassung lautet alsodie eine Bedingung: der Markt.Der Markt ist es auch, der die zweite Bedingung erfüllt, näm-lich die permanente und rasche Fehlerkorrektur bei unserenEntscheidungen und deren Bestimmungsfaktoren. Indemder Wettbewerb auf allen Märkten unablässig die Preissignale„testet“ und so unsere Handlungen oder Unterlassungen be-lohnt oder bestra, sowie unsere Annahmen in endloser Fol-ge als richtig oder falsch (bzw. als mehr oder weniger günstigfür unsere Ziele) beurteilt, und indem der Wettbewerb stetszur besseren und effektiveren Problemlösungssuche ansta-chelt, sowie das Ineffiziente und weniger Taugliche verwir,ermöglicht er uns, Fehler in unseren Annahmen und Ent-scheidungen schnell feststellen und korrigieren zu können.In Kurzform lautet also die zweite Bedingung: der Wett -bewerb. Markt und Wettbewerb bedingen sich natürlichwechselseitig, ja sind in weiten Definitionsteilen sogar iden-tisch. (Solche prinzipiellen Ausführungen sind eigentlich insofern überflüssig als sie in den großartigen Werken des so -zialphilosophischen und nationalökonomischen Giganten

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unseres Jahrhunderts, Friedrich A. von Hayeks, weit besserund unendlich viel eindrucksvoller dargestellt sind. Aber imRahmen des vorliegenden Kapitels kann man nur schwer derVersuchung widerstehen, solche grundsätzlichen Gedankenwenigstens anzureißen.)12

Je mehr wir nun private Rechte aus der Hand gegeben undder hoheitlichen Verfügung politischer Instanzen überlassenhaben – und das haben wir inzwischen in einem viel zu gro-ßen Umfang getan –, desto wichtiger ist die Forderung ge-worden, daß die Entscheidungen besagter Instanzen eben-falls dem Wettbewerb ausgesetzt werden müssen. Nur dannhaben wir als Bürger, als freie Individuen und Steuerzahlerüberhaupt eine Chance, daß Fehler in Details oder im Gan-zen dieser Konzepte offensichtlich werden (indem konkur-rierende Entwürfe in anderen Ländern oder auf anderen po-litisch-administrativen Ebenen sich als bürgerfreundlicherund zielgerechter herausstellen). Und nur dann können wirhoffen, daß solche Fehler auch korrigiert oder weitergehendeSchäden vermieden werden.Genau das ist mit dem Eingangsmotto dieses Kapitels von Pro-fessor Radnitzky gemeint. Niemand außer dem Markt unddem Wettbewerb (auch dem politischen) kann Leviathan zäh-men. Auch nicht in einer Demokratie, und auch nicht in einemRechtsstaat. Und genau das hat auch Herbert Giersch im Sinn,wenn er sagt: „Es gibt für die Freiheit der Bürger keinen ande-ren Schutz als den Wettbewerb der Regierungen. Das heißt,daß die Menschen dort weggehen, wo es ihnen nicht mehrpaßt.“ Und er fügt gleich hinzu: „Es sollte daher die Vision deseuropäischen Hauses noch einmal überdacht werden im Sinneeiner Harmonisierung durch Wettbewerb, statt einer Harmo-

12 Besonders lesenswert, ja für ein zoon politikon unerläßliche Pflichtlek-türe ist das dreibändige Hayek-Werk »Recht, Gesetzgebung und Freiheit«(s. Hayek 1981).

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nisierung durch Bürokratie“ (Giersch 1991). Bereits 1988 hat-te der große Altmeister der deutschen Nationalökonomie eindringlich daran gemahnt, daß Europa gerade deshalb zurWiege der modernen Zivilisation geworden ist, weil es mehrVielfalt aufgewiesen hat als andere Erdteile und weil seine Obrigkeiten im jahrhundertelangen Wettbewerb um Kapita-lien und Talente gestanden haben. „Im Wettbewerb um dasmobile Kapital“, so Giersch, „müssen die Regierungen sich an-strengen, die Eigentumsrechte zu schützen, schädliche Regle-mentierungen abzubauen, die Steuerlast in Grenzen zu haltenund die Stabilität des Geldwertes zu wahren … Doch [nun]droht diesem Europa … das Gespenst der Harmonisierung“(Giersch 1988).Nicht viel anders äußert sich der bekannte Nationalökonomund Publizist Wolfram Engels: „Wie sich am Markt nur diebesseren Waren und Dienstleistungen behaupten können, soauch in der Politik die besseren Regelungen … Die Politikerfreilich versuchen, sich dem Wettbewerb der Rechtssystemeebenso zu entziehen wie die Unternehmer der Konkurrenzam Markt – allerdings mit dem Unterschied, daß es für Poli-tiker kein Kartellgesetz gibt. Anstatt um die besseren Pro-blemlösungen zu konkurrieren, versuchen sie, das Recht zuharmonisieren. Die Forderung nach einem ›SozialraumEuropa‹ ist ein typischer Ausdruck dieser Haltung … Die Gefahr des Europarechts liegt darin, daß es kaum mehr zuändern ist, wenn es einmal existiert. Europarecht bedeutetEurosklerose“ (Engels 1990).Ähnlich auch Gerhard Prosi: „In dezentralen demokrati-schen Systemen sind viele unterschiedliche politische Kon-zepte möglich, die nicht nur nationale Pluralität, sondernauch internationale Vielfalt erzeugen. Die damit entstehen-den vielfältigen Möglichkeiten der Politikwahl sind jedocheine Bedrohung für die jeweils Regierenden und ein starkes

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Motiv für Wettbewerbsbeschränkungen durch ›Harmonisie-rung‹.“ Und bei dieser Harmonisierung werden dann Fehlerwahrscheinlich, „die wegen des schwerfälligen Einigungspro-zesses kaum korrigierbar sind und ganz Europa lähmen kön-nen. Sie haben viel größeres Gewicht als Fehler kleinerer Ein-heiten, die mit anderen konkurrieren und schon deshalb zurschnellen Fehlerbeseitigung gezwungen sind“ (Prosi  1991,S. 129 f). Die Forderung also, die auf dem Territorium undfür die politischen Instanzen eines jeden einzelnen Landesgilt, nämlich „Dezentralisierung auf die kleinstmögliche Ent-scheidungseinheit statt Zentralisierung auf ein politischesEntscheidungs- und Machtmonopol“ (Subsidiaritäts- undFöderalismus-Prinzip, s. S. 197 ff), sie gilt erst recht auf inter-nationaler Ebene, wo die kleinste Einheit ja die Größe einerganzen Nation annimmt. Es ist kein Zufall, daß alle Despo-tien der Geschichte zentralistisch angelegt waren (auch dieSowjetunion), denn Zentralismus schaltet den Wettbewerbpolitischer Hoheitsträger und die sog. Macht-Gegengewichte(counterbalances of power) definitionsgemäß aus.Man muß sich in diesem Zusammenhang nur mal fragen,warum der an Terror grenzende Daumenschrauben-Katalogder sozialistischen Regierung, die 1981 in Frankreich ans Ru-der kam, alsbald wieder sang- und klanglos beerdigt wurde.Warum wurden die massenha verstaatlichten Großunter-nehmen wieder reprivatisiert, die Spitzel- und Denunzian-ten-Prämien im Steuersystem wieder abgescha, das einge-sperrte Kapital wieder freigelassen, die grotesken Devisen-vorschrien wieder aufgegeben? Aus Einsicht? Weit gefehlt!Wo auf der Welt hätten sozialistische Regierungen jemalsEinsicht gezeigt. Noch nicht einmal nach ihrem jeweiligenBankrott, geschweige denn vorher. Nein, die wahren Gründefür die Kehrtwende sind im Wettbewerb mit den marktwirt-schalich weniger maroden Nachbarn zu suchen. Erst die

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Flucht des in- und ausländischen Kapitals und das Fernblei-ben fremder Investoren, sowie die Schande des Hinkens undLahmens der französischen Wirtscha gegenüber den sport-lichen Ökonomie-Athleten der angrenzenden Länder (vor al-lem Deutschlands) haben die Umkehr eingeleitet.Was aber, so stellt sich gleich die Anschlußfrage, wenn es die-sen Wettbewerb der politischen Konzeptionen in einer poli-tischen Einheitslandscha Europas nicht mehr gibt? Wohinsollen die Menschen fliehen, wenn ihre „Abstimmung mitden Füßen“ überall in die gleichen Amtsstuben führt unddort das gleiche bornierte Grinsen in den Funktionärsgesich-tern antri? Wohin sollte sich nach Einführung einer euro-päische Einheitswährung das Spar- und Investitionskapitalnoch flüchten können, wenn die Bürger Europas eines Tagesneuen inflations- und fiskalterroristischen Hetzjagden ausge-setzt sein werden? Tri doch ihr ECU in jedem vermeintli-chen Schlupfloch von Gibraltar bis Hammerfest nur noch aufseinesgleichen: den Einheits-ECU. Und wer soll den zentrali-stischen Politfürsten Großeuropas noch ihre Fehlentschei-dungen beweisen und demonstrativ vorhalten können, wennalle Elendsphänomene interventionistischer Umverteilungs-bürokratie – wie Inflation, Arbeitslosigkeit, wirtschalicherNiedergang, Konkursrekorde, Depression, Verschuldungs -raserei und Staatsbankrott – in europaweiter Uniformität auf-treten? Wie sollen wir die Qualität legislativer und exekutiverAkte und ihrer Folgen noch als richtig oder falsch, als besseroder schlechter, als mehr oder weniger wirksam einordnenkönnen, wenn die Maßnahmen und Vorschrien überall die gleichen sind? Sozialeuropa, das sozialgepufferte Lande-feld für die Bruchlandung des europäischen Integrations -gedankens, droht zu dem zu werden, was ierry Maulnier(für den Wohlfahrtsstaat) so treffend als „Gulag mit Komfort“bezeichnet hat.

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Noch (!) lassen harte ökonomische Fakten hin und wieder beiden Parteien Ansätze zu ökonomischer Vernun aufscheinen,sowie lichte Momente im Aktionsgebaren der Regierungen. Soauch in der deutschen Politik, wenn der Standort Bundesrepu-blik international deutlich an Attraktivität verliert. Nicht zu-letzt deshalb, weil eine derartige Entwicklung unmittelbareAuswirkungen auf den Steuersäckel hat, wird in solchen Situa-tionen dem Denken in ökonomischen Zusammenhängen aufParteiebene eine Chance gewährt. So mußte beispielsweise derdrastische Rückgang ausländischer Investitionen in Deutsch-land (1990 um achtzig Prozent!) – bei gleichzeitig wachsen-dem Engagement japanischer und US-amerikanischer Inve-storen in unseren Nachbarländern (vor allem in Großbritan-nien und den Niederlanden) – den Blick der Politiker auf dieUrsachen lenken: Hochsteuersätze (Körperschasteuersatzfür thesaurierte Gewinne 50 % gegenüber 35 % in Großbritan-nien und den Niederlanden), exorbitante Lohnkosten (Indu-striearbeitsstunde im Durchschnitt DM  40,– gegenüberDM 25,– in Großbritannien), explodierende Personalzusatz-kosten (über DM  17,– je Arbeitsstunde in Deutschland,DM 7,40 in England). Die Folge war ein merkliches Abklingenin der parteiprogrammatischen Steuer- und Verteilungswut.Noch also sind solche Zahlen Indikatoren für investive Kapi-talströme und signalisieren sichtbare volkswirtschaliche Be-lohnungen für eine maßvollere Politik bzw. gesamtwirtscha-liche Bestrafungen für eine uferlose Sozial- und Fiskalpolitik.Man kann sich leicht ausrechnen, was aus diesen letzten Re-sten ökonomischer Vernun und politischer Disziplinierungwerden wird, wenn die Unterschiede, also die sichtbaren Re-sultate des Wettbewerbs um die besseren politisch-fiskali-schen Konzeptionen, im Sumpf der Einheitsharmonie Sozial-europas untergehen werden.Spätestens an dieser Stelle kommt jenes Gegenargument der

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Harmonisierungszauberer auf den Tisch, welches als Gene-ralabsolution für alle Maastricht-Sünden herhalten muß: dasSubsidiaritätsprinzip. Trotz der „notwendigen“ Harmonisie-rung, so lautet es konkret, sollen nur solche Entscheidungen„oben“, bei zentralen Regierungs- oder Verwaltungsinstan-zen getroffen werden, die „unten“ nicht besser erledigt wer-den können. Oder in umgekehrter Sicht: Alle Problemlösun-gen, welche auf der jeweils untersten oder nächstniedrigenpolitischen Ebene (Länder, Regionen, Kommunen) bessergelöst werden können als von der Zentralregierung oder vonzentralen Verwaltungskörpern, sollen auch bei den unterenEntscheidungsträgern bleiben. Dieses Argument unter-schlägt jedoch, daß auch das Herausfinden, welche Aufgabenund Probleme auf welcher Ebene effektiver lösbar sind als aufeiner anderen, das Ergebnis eines dynamischen Prozesses seinmuß. Die in der Entwicklung eines Gemeinwesens ständigneu und verändert auretenden Schwierigkeiten und Oblie-genheiten tauchen o erst lokal oder sektoral auf, werden amEntstehungsort mal besser und mal schlechter bewältigt, undwerden erst dann der nächsthöheren Instanz zugewiesen,wenn ihre Lösung an finanzielle, administrative, personelleoder kompetenzspezifische Grenzen vor Ort stößt.Auch hier also, bei der unablässig neu zu beantwortendenFrage, wie Subsidiarität aussehen und was sie beinhalten soll,ist der „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ (Hayek), alsevolutorischer Prozeß des „trial and error“ (Versuch und Irr-tum) unabdingbar. „Harmonie“, die vorauseilende planeri-sche Fixierung von Subsidiaritätsebenen, ist hierbei ein Widerspruch in sich selbst. Die Projektierung Sozialeuropas,bei der die Kommissions- und Ratsarchitekten nicht nur zuwissen vorgeben, was harmonisiert werden muß – und inwelcher Form, sondern auch wo und von wem die „harmoni-schen“ Verordnungen in die Tat umgesetzt werden sollen,

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schaltet besagten Wettbewerb von vornherein und system-notwendig aus und läßt das Subsidiaritätsprinzip zum Fei-genblatt für politische Arroganz und Willkür verkommen.Zudem hat sich die Europäische Kommission hinsichtlich ih-res Subsidiaritätsverständnisses selbst entlarvt: In einer Anla-ge zum Tagungsprotokoll des Europäischen Rats in Lissabon(Ende Juni 1992), überschrieben mit „Bericht der Kommis -sion: Europa und die Problematik der Erweiterung“, präzi-siert sie das Subsidiaritäts-Dilemma wie folgt: „Mit jedemBeitritt wird sich die Gefahr der Überlastung und Lähmunginfolge … zunehmender Vielfalt der Probleme vergrößern.Daher muß im Hinblick auf eine Erweiterung der … Grund-satz der Subsidiarität viel rigoroser befolgt werden.“ Im an-schließenden Abschnitt 22 der Anlage erklärt die Kommissi-on dann ausdrücklich, wie sie sich diese „rigorosere Befol-gung“ vorstellt: nämlich u. a. durch eine „klarere Unterschei-dung zwischen Entscheidungsbefugnis und Durchführungs-befugnis, wobei letztere [sic!] häufig dezentralisiert werdenkann“. Das heißt genau besehen, daß die EG-Mandarine sichunter „Subsidiarität“ bestenfalls im einen oder anderen Falleine Dezentralisierung der Durchführung der von ihnen ge-troffenen Entscheidungen vorstellen können, keinesfalls abereine Dezentralisierung der Entscheidung selbst. „Subsidiari-tät“ also als an dezentrale Stellen delegierter Handlanger-dienst für allmächtige Entscheidungszentralisten. Listigerkann man ein solches Zeugnis obszöner Machtarroganz nichtin einem Nebensatz verstecken.Auch die Gewerkschaen haben längst kundgetan, was sieunter dem Lieblingswort der Eurofunktionäre zu verstehengedenken. Ernst Breit, der Präsident des Europäischen Gewerkschasbundes, hat es uns wissen lassen: Man müsseder Versuchung widerstehen, so Breit, aus der Subsidiaritäteinen „Holzknüppel“ zu schnitzen, mit dem die Versuche,

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zu gemeinsamen Regelungen im sozialen Bereich zu kom-men, „niedergemacht“ werden (HB 1991a). Subsidiarität inEuropas harmonischen Sozialgefilden: Fehlanzeige!Bleibt da bei so manchem Euro-Euphoriker noch die Hoff-nung auf das Verfassungsgericht als Wächter über die födera-listische Struktur der Bundesrepublik und über das rechts-staatliche Prinzip der Gewaltenteilung, sowie die Zuversichtin die unveräußerlichen Souveränitätsrechte der nationalenParlamente. Obwohl die diesbezüglichen Erörterungen spä-teren Kapiteln vorbehalten bleiben müssen (Zweites Buch),kann hier schon so viel verraten werden: Auch diese Hoff-nungen trügen.Das mit der Einheitslähmung parlamentarischer Souveräni-tät in Sozialeuropa geht nämlich ganz fix. Es bedarf dazunoch nicht einmal eines umfangreichen Verordnungswerkesder Eurokraten. Die „Eurotarifverträge“, von Norbert Blümals „Meilensteine auf dem Weg zur europäischen Sozial -union“ gefeiert, machen es möglich: Wenn sich EGB (Euro-päischer Gewerkschasbund), CEEP (Verband öffentlicherArbeitgeber und Unternehmen) und UNICE (EuropäischerArbeitgeberverband) künig zusammenraufen, um ein so-ziales Netz zu stricken, mit dem der Ozean europäischer Lei-stungskra leergefischt werden kann, dann braucht der Euro-päische Rat diese Vereinbarungen nur für allgemeinverbind-lich zu erklären – und schon sind die nationalen und interna-tionalen Parlamente als Legislativorgane um eine weitere Di-mension ohnmächtiger.Im übrigen haben die Politfürsten der EG bereits überdeut-lich bezeugt, was sie von der „Souveränität“ ihrer Völker undParlamente halten. „Was kümmert es den Mond, wenn ihnder Hund anbellt!“ – das war europaweit das dünkelhaeMotto, mit dem die Regierungen und ihre Hofschranzen aufdas dänische Referendums-Nein zu Maastricht reagiert ha-

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ben. Obwohl das Maastrichter Vertragswerk unter dem Ver-fallszwang des Art. 236 der Römischen Verträge steht, wo-nach eine Änderung der EG-Gründungsdokumente nurdann möglich ist, wenn sie von allen EG-Mitgliedern ratifi-ziert wird, setzten die Euro-Radschahs ihren Durchmarschfort, als habe es das Votum der Dänen nie gegeben. KanzlerKohl betonte in seiner Regierungserklärung, der europäischeZug dürfe durch das Nein der Dänen nicht angehalten wer-den, sondern müsse weiterfahren. Die Bundesregierung wer-de deshalb den Vertrag von Maastricht ohne Neuverhandlun-gen den parlamentarischen Gremien zur Ratifizierung vor -legen. Und Bundesaußenminister Klaus Kinkel ergänzte seingleichlautendes Statement mit der nicht zu überhörendenDrohung, wenn Dänemark bis Jahresende nicht selber eineLösung gefunden habe, müsse man über „Alternativen“nachdenken. Noch deutlicher wurde Jacques Delors höchst-selbst, indem er Kopenhagen die Streichung aller EG-Agrar-zuschüsse androhte (und das, nicht zu vergessen, einem EG-Partner, der seit Jahrzehnten als Musterknabe der Gemein-scha fungiert). Schlaufuchs Genscher wiederum griff nachdem Dänen-Schock zum beliebtesten Kampfmittel, mit demdie Maastricht-Gegner mundtot gemacht werden sollen: Mansetze die freiheitlich-marktwirtschalich und ordnungslibe-ral argumentierenden, jedoch allesamt zutiefst europäischdenkenden Widersacher der bürokratischen Zwangsunie-rung gleich mit jener Handvoll nationalistischer Unbelehr -barer von Vorgestern, die aus ganz anderen Gründen gegendie Union votieren. Urplötzlich finden sich dann auch jene,die nur Maastricht-Feinde weil Europa-Freunde sind, imgleichen Boot mit den braunen Zombies wieder. Und schnellist dann auch deren angeblich gemeinsame Fahrtrichtungausgemacht, nämlich zurück in die blutigen Gewässer der eu-ropäischen Geschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

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Der Rückfall in nationalen Egoismus, so Genscher, sei das er-ste Stadium des Nationalismus. Und Nationalismus habe dieVölker immer wieder in schreckliche Kriege gegeneinandergestürzt. Geradezu beschwörend warnte er: „Unser Verspre-chen, ein europäisches Deutschland zu schaffen, muß jetzteingelöst werden. Auch mit dem Ja zu den Verträgen vonMaastricht. … Ein Deutschland der europäischen Verweige-rung würde bald sehr allein sein. Es würde kalt werden – eis-kalt um Deutschland. Auch das steht zur Entscheidung, wennwir über das Ja und das Nein zu Maastricht sprechen“ (Gen-scher 1992).Völlig unbeeindruckt von des eigenen Volkes Willen zeigtsich auch der dänische Ministerpräsident selbst. Mit etwasgutem Willen, so ließ Poul Schlüter verlauten, werde es viele„technische Wege“ aus dem Dilemma geben (wobei der Aus-druck „technische Wege“ natürlich für „Kniffe“, „Tricks“ und„Täuschungen“ steht). Ebenso weit davon entfernt, ihre Ent-schlossenheit von des Gedankens Blässe oder des VolkesMurren ankränkeln zu lassen, waren die Staats- und Regie-rungschefs auch auf dem Europa-Gipfel in Lissabon (Juni1992), wo sie sich einstimmig (unter Einschluß Dänemarks!)dazu bekannten, den Vertrag von Maastricht über die Euro-päische Union politisch umzusetzen und „beschleunigt an-zugehen“. Ganz so, als sei das Referendum des dänischen Vol-kes nur ein Gammel Dansk (dänischer Magenbitter) gegeneuropäische Bauchschmerzen gewesen, und nicht der Auf-schrei guter Europäer gegen ein europäisches Haus, das vonplanungswütigen Konstruktivisten am Willen des Volkes vor-bei gebastelt werden soll.Vom Seelenleben der politischen Souveränitäts-Allergikeram meisten freigelegt hat schließlich Heiner Geißler, dessenEmpfehlung zum Überfahren des dänischen Stop-Signalslautete, die europäischen Regierungschefs sollten den „Euro-

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Schrott vergessen“ und Richtung und Ziel beibehalten. Län-der, die nicht mitziehen wollten, könnten ja später wiederhinzustoßen, „wenn sie zur Vernun gekommen sind“. Mankann im Interesse Europas nur hoffen, daß insbesondere diekleineren Mitgliedsländer und EG-Aspiranten (Schweiz!) amdänischen Beispiel rechtzeitig erkennen mögen, wie man inGroßeuropa mit ihnen umzugehen gedenkt.Und der Rechtsstaat? Mehr noch als über das „Demokratie-Defizit“ in der Gemeinscha sollten sich Europas Bürgerüber die Erosion der rechtsstaatlichen Fundamentalprinzi-pien beunruhigt zeigen. Die ebenso einäugige wie multipleAllmacht des „Sozialen“ nämlich, die alles Denken durch-dringt (und vielfach sogar lähmt), verschiebt sich an vielenEcken des sozio-ökonomischen und politischen Spektrumsaus der ohnehin ansteckungsgefährlichen Sozialismus-Nähezusehends in Richtung Deckungsgleichheit. Die den Rechts-staat lebensgefährlich infizierende Fehl-Gleichung „Rechts-staat ist gleich Sozialstaat“ mutiert unaualtsam zur tödli-chen Irrtums-Gleichung „Rechtsstaat ist gleich Sozialismus“.In dem Maße, in dem die „soziale Dimension“ der Rechts-und Wirtschasverfassung eines Gemeinwesens als Annähe-rung an materielle Gleichheitsprinzipien mißverstandenwird, legt sie sich wie ein Mantel über das authentischeRechtsstaatsprinzip der „Gleichheit vor dem Gesetz“, um esschließlich zu ersticken. Dieser Vorgang hat die nationalenVerfassungen sowie Legislative und Jurisdiktion der Staatenlängst ihrer freiheitsbewahrenden Kräe beraubt und schicktsich nun an, den Rechtsstaat auf supranationalem Plateauund mit pseudo-völkerrechtlicher Terminologie zu einer Art„Rechtsordnung des moralischen Totalitarismus“ zu verfor-men.Kurz: Europas Verfassung wird sozialistisch sein, wenn auchin romantisch-verbrämter Form (Sozialcharta / Sozialunion /

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Sozial-Grundgesetz). Und deshalb wird Europa auch keinRechtsstaat mehr sein. Denn sozialistisches „Recht“ ist keinRecht, weil unter seinen Vorzeichen der (soziale) Zweck dieMittel heiligt. Der (sozial-) sozialistische Staatszweck wirddie Menschen – samt ihrer Arbeit, ihrer Einkommen undVermögen – zu Mitteln machen, und damit zu Opfern.

3. Fazit

„Warum haben wir Europäer nicht die Weisheit undVernunft besessen, erst einmal die segensreiche Wir-kung des gemeinsamen Binnenmarktes abzuwarten,der ja erst 1993 voll anläuft? Dann wäre zu beobachtengewesen, wie Europa durch friedliche Geschäfte, durchdie freie Bewegung von Menschen, Gütern und Geldbehutsam zusammenwächst. Auf ganz natürliche Wei-se wäre die EG der politischen Einheit … immer nähergekommen … Schade, daß es die Staatslenker so seltenfertigbringen, eine gute Sache ungestört heranreifen zulassen. Also wird in Maastricht unreifes Obst gegessenund davon werden wir Durchfall bekommen.“Hans Martin Kölle (1991)

„Sozialeuropa“ – so es denn überhaupt ein Gebilde dieses Na-mens geben kann – muß erarbeitet werden (nicht verordnet).Und weil es unendlich teuer sein wird, ein so ehrgeiziges Pro-jekt zu verwirklichen, werden die Völker Europas hart und lan-ge arbeiten müssen, bis sie es sich „leisten“ können. Mit Para-graphen und Verordnungen jedenfalls ist dieses Ziel nicht her-beizuzaubern, es sei denn als flüchtiger Wahn von einer neuenund zusätzlichen Umverteilung von den Fleißigen zu den Fau-len und von den Vernünigen zu den Traumtänzern. Per ordredu mui kann aus der sozialen Ungleichung Europas nur danneine Gleichung werden, wenn man sich auf einen bürokratisch

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diktierten Einheitsnenner gemeinschasweiter Faulheit undVerantwortungslosigkeit einigt.Aus dem europäischen Traum kann so unvermittelt ein Alp-traum werden, der die Menschen und Völker in Mißgunstund Feindscha auseinanderdividiert anstatt sie zu einigen.Wenn schon ein kleines Land wie Belgien zu zerfallen droht,weil der eine Bevölkerungsteil (die Flamen) nicht mehr bereitist, den anderen Teil, das bankrotte Wallonien, zu unterstüt-zen – was wird dann erst mit der Europäischen Gemeinschageschehen, wenn die Tüchtigen und Disziplinierten wahr-nehmen, daß sie den Rückstand ganzer Nationen, ja sogar deren Staatsbankrott über Ausgleichsfonds (und schließlichtotal über die Währungsunion) finanzieren?Im Januar 1992 hat die baden-württembergische Landes -regierung beschlossen, gegen das jetzige System des Länder-finanzausgleichs in Deutschland vor das Bundesverfassungs-gericht zu ziehen. Der Grund: Die Finanzkra des reichstenBundeslandes ist 1991 wegen der Ausgleichsmechanismen(nur in den alten Bundesländern!) von Platz  1 auf Platz  7 gestürzt. Es dürfen Wetten abgeschlossen werden, welcheseuropäische Land eines Tages das erste sein wird, das vor den Europäischen Gerichtshof zieht, um zu beklagen, daß esals einstmals reiches Geberland nunmehr in die Riege der Bettlernationen abgerutscht sei. Der sarkastische Spruch vonOliver Wright zur Brüsseler Unionierungs-Eile könnte danntraurige Wahrheit geworden sein: „Heirate schnell, bereue inRuhe“ (Wright 1992).Nach den Vokabeln des Maastricht-Vertrages droht Europazu einem Finanzausgleichs- Kontinent astronomischer Di-mension zu werden. Es bleibt den Beteiligten auch gar nichtsanderes übrig, wenn sie eine Politische Union anstreben,denn in einer Art Gemeinschasstaat kann es definitions -gemäß keine unterschiedlichen Staatsquoten, Haushaltsdefi-

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zite, Inflationsraten und Zahlungsbilanzsalden geben. Alsomüssen die Angleichungen vermittels riesiger Transfers voll-zogen werden. Die denkbare Alternative, das Modell vom„Europa der zwei Geschwindigkeiten“, wird sich als politischundurchführbar erweisen, weil es mehr als die Häle derMitgliedsländer ausschließen, demoralisieren, kränken undenttäuschen würde – mit schwerwiegenden Folgen für die In-tegration. Also bleiben den Maastricht-Konstrukteuren nurzwei Optionen: Entweder der offene Finanzausgleich, dasheißt die Kohäsion per Umverteilungskasse auf Teufel kommraus, oder – weil Politiker wenig von offenen Karten halten –der versteckte Finanzausgleich via Inflation und Währungs-union. Die wahrscheinlichste und in den Verträgen auch ma-nifeste „Lösung“ ist die beliebte „mixed policy“, das bedeutetim vorliegenden Fall: beides, die offene und die versteckteForm der Tausend-Milliarden-Nivellierung. Das Sozialeuro-pa der Gleichheitsfanatiker wird sich zum Küngel-, Erpres-sungs- und Ausbeutungskontinent mausern, zu einer Umver-teilungs- und Verschiebegemeinscha von welthistorischerSingularität.Nun sind aber die Kandidaten des großen Milliardenspielsschon heute, vor dem Eröffnungs-Gong zur Giga-Show,krank und siech. Krank am Beutel und siech an einerSchwindsucht, die ihren nüchternen Realitätssinn und ihreverantwortliche Haushaltsdisziplin ausgezehrt hat. Infiziertvom sozialsozialistisch-populistischen Wohlfahrts-Virus.Und wenn sich zwölf (oder neunzehn) physisch, psychisch,finanziell und moralisch Verkommene zusammenschließen,dann ist das Ergebnis nicht eine gesunde Familie in einem so-liden Europäischen Haus, sondern eine Rotte von Lumpenge-sindel in einer menschenunwürdigen Verwahranstalt.Es ist schwer begreiflich, warum die politischen Kasten derGemeinscha das so erfolgreiche Modell der EWG, der Euro-

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päischen Wirtschasgemeinscha, nicht unaufgemotzt undohne politisch-soziales Hochglanz-Tuning fortentwickelnwollen. Hat es doch den europäischen Einigungsprozeß –auch in seinen kulturellen, politischen und sozialen Ausprä-gungen – schon viel weiter vorangeführt als wir uns dies vor35 Jahren hätten träumen lassen. Und hat es doch den un-schätzbaren Vorteil, daß es keinen Beteiligungswilligen aus-schließen muß, auch nicht die aurechenden Völker Osteu-ropas. „Economics unite and politics divide“ (Wirtscha ver-bindet und Politik trennt) lautet einer der weisesten Sätze dersozio-ökonomischen Geschichtsinterpretation. Wirtscha,der kooperative Austausch von Gütern und Leistungen unterder Ägide gemeinsamer Spielregeln (Ordnungsrahmen), hateine unschätzbar große Friedensfunktion und eine durchkein politisches Willenskalkül ersetzbare Integrationsdyna-mik. Würde man sich darauf beschränken, den bisherigenFreiheitsradius der EWG, nämlich den für Güter und Kapital,nun im ›Europa ab 1993‹ um die menschliche Dimension zu erweitern – also um die ungehinderte Bewegungsfreiheitfür Menschen und Dienste, so wäre das Ergebnis ein be-schleunigter Integrationsprozeß von ungeahnter Schubkra.Europa und seine Menschen würden organisch zusammen-wachsen und – vermittels unzähliger wettbewerblicher Lern-vorgänge – vor schweren Fehlern bewahrt bleiben. Mit derMaastricht-Formel von der politisch verordneten Stufeninte-gration jedoch droht dieser prozessuale, evolutorische Vor-gang in eine planifikatorische Statik überzugehen, bei der nureines dynamisch ist: ihre Verordnungsflut. Die Integrationunterschiedlicher Volkswirtschaen, schreibt die brillanteNationalökonomin Victoria Curzon-Price, „kann nicht als politischer, diplomatischer und bürokratischer Prozeßdurchgeführt werden. Es kommt lediglich dann zur Integra-tion, wenn sich der Staat und seine Institutionen zurück -

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ziehen und die Aufgaben an den Markt delegieren … Integra-tion von Märkten [und damit auch von Menschen und Völkern; d. Verf.] ist stets das Ergebnis des Handels. Handelaber entsteht nur als das Ergebnis von Differenzen“ (Curzon-Price 1990).Wettbewerb also als organischer Integrationsmotor. Wett -bewerb und „Harmonisierung“ hingegen schließen sich aus,denn wer harmonisieren will, der muß das im Wettbewerbpermanent entstehende Neue, das Innovative und Bessere,auf Harmonie-Tauglichkeit prüfen – und somit abschrecken.Oder er muß das Neue und Bessere unablässig den Zurück-gebliebenen kostenlos oder verbilligt zur Verfügung stellen –und somit den Neuerer seiner Innovationsprämie berauben.Integrations- und Entwicklungsprozesse lassen sich nicht„harmonisieren“, denn Entwicklung und evolutorische Inte-gration leben aus Unterschieden, aus vorauseilenden Neue-rungen und mitläuferischen Nachahmungen, vom Vor-sprung des Besseren und der Eliminierung des Untauglichen.Unter Integration kann man nur wettbewerbliche Koopera -tion (im Rahmen gleicher Spielregeln) verstehen. Jeder ande-ren Definition muß man den richtigen Namen geben, näm-lich „Gleichschaltung“. Gleichschaltung aber ist das Ende allen Wettbewerbs und somit auch das Ende von Evolutionund Integration. Was die politischen Konstrukteure in Wahr-heit unter „Harmonisierung“, „Wettbewerbsgleichheit“ und„Integration“ verstehen, möge der Beobachter dem einträch-tigen Ebenmaß der EG-Agrarpolitik entnehmen, dem gigan-tischsten Verschwendungs- und Ressourcenvernichtungs-Wahnsinn, den die an Aberwitz gewiß nicht arme Wirt-schas- und Finanzgeschichte der Welt jemals gesehen hat.Gewiß, die weltpolitischen Umbrüche der jüngsten Gegen-wart erfordern neue politische Visionen und einen neuen Ge-staltungswillen für die konstitutionelle Zukun der Völker

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Europas. Auch ein völlig neues Verständnis der überkomme-nen Begriffe von Staat, Nation, Gemeinscha, Zusammen -arbeit, Herrscha und Führung. Aber ist das grenzenloseEuropa der Freiheit für Menschen, Güter, Dienste und Kapi-tal nicht schon „realistische Utopie“ und Vision genug?! Las-sen sich auf diesem einzigartigen Fundament nicht die un-scharfen Umrisse einer „Konkreten Utopie Europa“ für diekommende Jahrtausendwende Strich um Strich nachzeich-nen (statt Konturen festzumauern, die aus der Ferne niemanderkennen, sondern nur vortäuschen kann)? Solche „Um -brüche“ in den Köpfen, solche Visionen und perspektivi-schen Konzeptionen lassen sich doch nicht „veranstalten“,nicht als administrative Raster und Polit-Schablonen über gewachsene und werdende Strukturen stülpen, und nicht als Paragraphen-Eiertänze auf atemlos sich jagenden inter -nationalen Gipfeltreffen zelebrieren. Im Gegenteil: Mit derartanmaßenden und den Funktionärsetagen entstammenden„Vor ausantworten“ auf die gestalterischen Zukunsfragender Völker werden Integrationschancen nicht gefördert, son-dern verspielt, wird der Wettbewerb nicht gestärkt, sonderngeschwächt, und wird die Welt nicht friedlicher, sondernfeindseliger und aggressiver. Und mit den gigantomanischenFinanz-Halluzinationen von einem europäischen Sozial- Disneyland in den Köpfen der Euro-Euphoriker gestaltet sichnicht der Wohlstand solidarisch, sondern der Gemein-schasbankrott. Die sozialen Netze Europas werden, wennman sie zu einem riesigen Maschenwerk zusammenknüp,nicht enger, sondern gefräßiger. Und sie werden reißen.

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ZWEITES BUCH: EUROPA UND DIE INSTITUTIONEN

„Die beste Staatsverfassung: Diese nur kann ich dafürerkennen, die jedem erleichtert, gut zu denken, dochnie, daß er so denke, bedarf.“Friedrich Schiller

I. Braucht Europa eine Verfassung?

1. Ist der Nationalstaat ein Auslaufmodell?Die Vorstellung von einer Europäischen Gemeinscha, voneinem »Einigen Europa« ist eine große Idee von welthistori-schem Rang. Sie markiert einen Umbruch in der Mensch-heitsgeschichte, dem wir kaum genügend Aufmerksamkeitschenken können. Obwohl im letzten Jahrzehnt des zweitenJahrtausends neue Nationalstaaten gleich dutzendfach ent-stehen, scheint die Nationalstaatsdoktrin (Einheit von Staatund Nation) sich ihrem Ende zuzuneigen. Und das ist gut so,denn ihre staatsphilosophische Grundlage beruht auf einemIrrtum: Weil die demokratische Bewegung seit der Französi-schen Revolution den dynastisch legitimierten Vielvölker-staat als Gebilde der Fürstenwillkür ablehnte, verband sie denrelativ neuen Gedanken vom Selbstbestimmungsrecht derVölker und von der Volkssouveränität mit einem National-staatsbegriff, der die Homogenität von Staat und Nation un-terstellte. Man muß nicht nur an Basken, Bretonen, Korsen,Schotten, Tiroler, Kroaten und Kurden denken, um zu sehen,daß sich diese vermeintliche Homogenität fast überall als Illusion erwiesen hat. Der Nationalismus war nur die (oschreckliche) Hülle, mit der man dieses Trugbild bedeckenkonnte. Trotz all seiner furchtbaren Entartungen ist der Na-tionalstaat jedoch nicht überflüssig gewesen – und wohl auchheute noch nicht ganz entbehrlich. Allem Anschein nach ist

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der Sprung von der Homogenität der Horde, des Clans oderdes Stammes mit ihren abgesteckten Territorien hin zumWeltbürgertum mit nur noch abstrakten Zugehörigkeits -kriterien zu groß für die menschliche Natur und deshalb ohne lange historische Zeitbrücken nicht überwindbar. Ja,vielleicht ist der Nationalstaat als atavistische Nabelschnur zuunserer vielhunderttausendjährigen Vorzivilisationsge-schichte noch für endlose Zeiträume unverzichtbar, wennauch in deutlich modifizierter Form und – so ist zu hoffen –geöffnet für die evolutorischen Mutationen des Zivilisations-prozesses.Der Nationalstaat ist also gewiß ein Auslaufmodell, wenn-gleich eines, das uns wohl noch erkleckliche Zeit durch dieWeltgeschichte kutschieren muß. Umso dringlicher wird esbleiben, dieses Modell von seinen stinkenden Abgasen zu be-freien und freizuhalten: vom Nationalismus. Die Völker wer-den jedoch auf der Hut sein müssen, damit die allmählicheÜberwindung des Nationalstaates weder den Rückfall inmassenhae Ethno-Reservate noch den Vorwärtssturz in den(kosmopolitisch getarnten) Superstaat nach sich zieht. Vor-erst – und wohl noch lange – werden wir uns wohl mit einerSynthese aus hergebrachtem und neuem Staatlichkeitsver-ständnis, welche sich am Horizont schemenha abzeichnet,zu bescheiden haben: mit einer Kombination aus hinreichendüberschaubaren und sprachlich-kulturell einigermaßen ho-mogenen Hoheitsgebieten einerseits (welche in vielen Fällenmit den bestehenden Nationalstaaten identisch sein können)und großräumigen Ordnungssystemen andererseits. Wobeiunter »Ordnungssystemen« multinational angelegte Koope-rationsgebilde der Freiheit und der Sicherheit zu verstehensind, also beispielsweise marktwirtschalich-rechtsstaatlicheFreizonen wie die Vor-Maastricht-EG, und wertegemein-schalich geprägte Bündnisse nach dem Muster der Nato. In-

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soweit ist Gemeinschas-Europa als Projektion eines konti-nentalen Freiraums für Menschen, Güter, Dienste und Kapi-tal die einzig vernünige und erstrebenswerte Vision der eu-ropäischen Zukun. Jedoch: Weder die Bewahrung der altenund neuen Nationalstaaten noch die Lebensfähigkeit der ge-nannten Ordnungssysteme vertragen sich mit den anmaßen-den Souveränitätsansprüchen des Superstaates. Ganz im Ge-genteil: Beide Elemente eines künigen gesamteuropäischenGemeinwesens verlangen je für sich – und noch mehr in ihrerKombination – nach der Konzeption des Minimalstaates,wenn sie ihre adhäsiven Kräe in die Zukun hinüberrettenwollen. Ein Bundesstaat oder Staatenbund Europa als multi-oder supranationaler Abklatsch des alten omnipotent aure-tenden Nationalstaates wäre kein Auruch zu neuen Ufern,sondern ein Rückfall in die Steinzeit imperialen Reichs- undHerrschasdenkens nach napoleonischem, zaristischemoder gar leninistischem Vorbild. Weder dürfen den Regionenoder den jeweiligen Mitgliedsländern ihre (weitestgehende)Selbstverwaltung (und damit ihre Selbstachtung als voll -wertige Partner) entzogen werden, noch darf der große Ord-nungsrahmen des alles überwölbenden Unionsgebäudes alslenkende Organisation mißverstanden werden. »Europa« als»Ordnungssystem«, das kann nur heißen, daß die gemeinsa-men Regeln des großen Spiels festgelegt werden und derenEinhaltung kontrolliert wird; das Spiel selbst jedoch muß of-fen bleiben. So viele in sich homogene Spielgruppen wiemöglich, aber alle den gleichen Spielregeln verpflichtet, unddas Ganze eingebettet in den großen, freiräumigen Spielsaaleines Europa ohne Grenzen – das kann nur bedeuten: so we-nig Staat wie gerade noch unerläßlich.Das Europa Brüssels und (noch mehr) Maastrichts hingegenist die Konter-Karikatur dieses Wunschbildes, denn es ist –gleich welchen Namen es tragen und welche Verfassung es sich

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geben wird – der alles planende und alles lenkende Super-staat.Wer von einer EG als Übernation und somit von einer all-mählichen Auflösung der europäischen Nationen träumt,möge sich entgegenhalten lassen, daß das »Schlechte« onicht als das Gegenteil des »Guten« auszumachen ist, son-dern als »Zuviel des Guten«. Wer die Reinkarnation des ver-hängnisvollen Gespenstes der europäischen Vergangenheit,den Nationalismus, verhindern will, muß sich auf die guteSubstanz nationaler Identitäten besinnen und darf nicht insradikale Gegenteil verfallen, indem er jegliches National -bewußtsein auslöschen zu müssen glaubt.Nation und Staat sind nicht identisch, aber das Ringen um einesoziokulturelle und politisch-historische Kongruenz dieserbeiden Phänomene hat die Völker Europas unendlich viel Blutgekostet. Fest steht, daß die Verbindung zwischen Staat undNation so eng (geworden) ist, daß mit einem erzwungenen Er-löschen des Nationalen auch die Inhalte des Staatlichen ihrenSinn verlieren würden. Bei allem Zuviel an Staat, das wir heute– immer noch und immer mehr – zu beklagen haben, ist dochvor der Radikalität zu warnen, mit der sich Staatlichkeit in einem Europäischen Bundesstaat auflösen müßte, eben weilihr das Stützkorsett des Nationalen entzogen wäre. Eine Supra-Nationalität in einem europäischen Zentralstaat: das ist eineSchimäre. Es gibt sie nicht. Optimistisch ausgedrückt: nochnicht. Wer sie herbeizwingen will, wird eine bittere Alternativeals Ernte einfahren: Totalitarismus oder Anarchie. „Das Natio-nale“, schreibt der Historiker Walter Bußmann, „ist nicht derhöchste Wert, bleibt aber eine unverlierbare EigentümlichkeitEuropas“ (Bußmann 1987).Die »zweite industrielle Revolution«, nämlich die der welt-umspannenden blitzschnellen und totalen Informations-übertragung, macht nationale Grenzen ökonomisch sinnlos.

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(Im Kern war es auch diese Revolution, welche die sozialisti-schen Planwirtschaen vom lange verheimlichten Bankrottin den öffentlichen Offenbarungseid getrieben hat.) Deshalbist es nur folgerichtig, daß überall auf dem Globus, in Nord-und Südamerika, in Asien und Europa riesige Freihandels -zonen entstehen, welche sich rasch ausbreiten und unter -einander vernetzen. Aber: Die nationalen Grenzen werden indiesem Sinne ökonomisch hinfällig, nicht jedoch – noch nichtund nicht mit gleicher Geschwindigkeit – politisch. Das Fal-len ökonomischer Grenzen kann nur eine Pionierfunktionfür politische Prozesse übernehmen und sollte nicht als Ein-ladung für supranationale Polit-Besatzungsmächte mißver-standen werden.Man braucht den Blick nur ein wenig nach draußen zu richten,um die gefährliche Hybris zu erkennen, die in einer raschenAuflösung politischer Grenzen zwischen Nationalstaatenschlummern würde. Man stelle sich nur vor, die NachbarnUSA und Mexiko würden statt der angestrebten Wirtschas-union, von welcher beide Partner enorm profitieren werden,eine darüber hinausgehende Politische und Währungs-Unionanstreben. Ein kontinentales Selbstmordprogramm der Son-derklasse, das kein seiner fünf Sinne noch mächtiger Politikerder beiden Nationen auch nur zu denken wagte.Der Nationalstaat seligen oder unseligen Angedenkens ist al-so gewiß ein Auslaufmodell, aber der europäische Superstaatvom Reißbrett der Brüsseler Sozialingenieure, der sich dielangen Testreihen seines Prototyps, nämlich des markt -wirtschalichen Kooperations-Modells für eine europäischeFreizone für Menschen, Güter, Dienste und Kapital, ersparenund gleich den Delors’schen Turboflitzer ins Rennen schik-ken will: das ist ein unfallträchtiges Gefährt. Noch das beste,was man von ihm erwarten könnte, wäre, daß es auf halberStrecke liegen bleibt.

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Jacques Delors nannte sein zuküniges Europa einmal ein„kollektives Abenteuer“. Dem ist leider nicht zu wider -sprechen. Der eingeschlagene Weg kann aber auch auf eineUmkehrung des Begriffspaares hinauslaufen: auf einen aben-teuerlichen Kollektivismus.

2. Profi-Modelle für eine Europäische Verfassung

„Es gibt kein »europäisches Volk«, das man einemBundesstaat zugrundelegen könnte … Der Bundes-staat Europa ist kein politisch notwendiges Übel. Er isteine Gefahr für Europa, er zerstört oder schwächt, waser bewahren will. Für Europa taugt nur eine staaten-bundlich-föderative Verfassung mit freiem Markt und… freiem Wettbewerb der Traditionen, Verfassungen,Steuer-, Sozial- und Währungssysteme. Die »Europäi-sierung« der Völker wird dann von selber ihren Wegmachen und genau jenes Ausmaß haben, das denWünschen und Eigenheiten der Völker entspricht.“Gerd Habermann (1991b)

Was soll die Europäische Gemeinscha oder Union denn ei-gentlich werden: ein Staatenbund, ein Bundesstaat, oder wassonst? Niemand kann es uns sagen, obwohl alle davon reden.Am meisten Einigkeit herrscht darüber, daß hier „etwas an-deres“ entstehen soll, eine „neuartige Form zwischenstaat -licher Verbindung“. Wesentlich ist die Erkenntnis, so der Tü-binger Rechtswissenschaler omas Oppermann, „daß sichdie EG in ihrer konzipierten und gewachsenen Eigenart nichtsinnvoll in das klassische Schema der völker- und staatsrecht-lichen Staatenverbindungen (Internationale Organisation,Staatenbund, Bundesstaat usf.) pressen läßt, sondern diesesum eine neue Variante bereichert, nämlich die »Gemein-scha«.“ (Oppermann 1991, S. 294f). So weit so gut. Aber da-

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mit, daß etwas einen neuen Namen bekommt, ist noch nichtdie Frage beantwortet, was es inhaltlich sein oder werden soll.(Bei der Bezeichnung »Gemeinscha« leuchten sogar jeneWarnlampen auf, welche der Philosoph Helmuth Plessnereinmal postiert hat, indem er auf die für jedes Gemeinwesen„lebensbedrohende“ Verwechslung zwischen den Begriffen»Gesellscha« und »Gemeinscha« hingewiesen hat. Le-bensbedrohend deshalb, weil in der Terminologie Plessners»Gesellscha« als rational gegliederte Form der Öffentlich-keit das Individuum auf die Distanziertheit der Rolle, derMaske und des Berufs verweist, »Gemeinscha« hingegenauf den konfliktfreien Gleichklang der Seelen und auf dieharmonische Gebundenheit von Person zu Person.)Angesichts dieser Ungewißheit stellt sich umso drängenderdie Anschlußfrage, wie sinnvoll und wie legitim es wohl seinmag, Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr um Jahr mit ungezählten Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien einRechts- und Staatsgebilde aufzutürmen, von dessen End -gestalt keiner der Beteiligten eine klare Vorstellung hat. Wiekann man es wagen, Stein auf Stein zu einem immer höherenMauerwerk zu fügen ohne zu wissen, wie das Gebäude dennaussehen soll, an dem man ohne Pause drauflosmauert. Woist der Grundriß und wo der Architekt für dieses Haus? Anders gesagt: Wo ist die Verfassung und wo die Verfassung-gebende Versammlung für den Neubau »Europa«? Freilichkönnte der kundige Staatsrechtler an dieser Stelle konternund uns belehren, daß Europa längst eine Verfassung hat. Miteinigem guten (oder bösen) Willen kann man dieser Fest -stellung sogar beipflichten, sofern man sich der Meinung je-ner Rechtsgelehrten anschließt, die dem folgenden Sammel-surium tatsächlich den Namen »Verfassung der Europäi-schen Gemeinscha« geben:Die Verträge von Paris (1951: Europäische Gemeinscha für

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Kohle und Stahl, EGKS) und Rom (1957: EWG und Euratom),geändert durch die Verträge von Brüssel (1965: Fusion derExekutive), von Luxemburg (1970) und Brüssel (1975: Ände-rung des Statuts der Europäischen Investitionsbank, sowieHaushaltsvorschrien) und von 1984 (Änderung bezüglichGrönlands), sowie von Luxemburg und Den Haag (1986: Ein-heitliche Europäische Akte). Diese alle in Verbindung mit: – dem Vertrag vom 22. Januar 1972 (Beitritt von drei neuen

Mitgliedstaaten), sowie der Akte über die entsprechendenBeitrittsbedingungen;

– dem Vertrag über den Beitritt Griechenlands und der Akteüber die Beitrittsbedingungen und die Anpassung der Ver-träge 1979;

– dem Vertrag über den Beitritt Spaniens und Portugals, so-wie der Akte über Beitrittsbedingungen und Anpassungder Verträge 1985;

– (nach eventueller gemeinschasweiter Ratifizierung:) demVertrag von Maastricht 1992 (vgl. Louis 1990).

Man stelle dieser überwiegend von Exekutivorganen (!) nachArt eines Italienischen Salats komponierten „Verfassung“einmal einige fundamentale Verfassungsprinzipien gegen-über, wie sie von herausragenden Staatsrechtlern formuliertworden sind: „Ursprung und Legitimation der Verfassung[ist] heute aus dem Gedanken der Volkssouveränität abgelei-tet … Das Volk ist die Quelle der verfassunggebenden Ge-walt. Der Begriff der Verfassung umfaßt … die auf Dauer an-gelegten obersten Rechtsnormen, die Bürgerfreiheit und Or-ganisation der staatlichen Institutionen wie auch Leitgedan-ken der staatlichen Zielsetzung als Grundlage der politischenGemeinscha eines Volkes regeln“ (Scheuner 1963, S. 118).„Da … die Willensbildung durch alle keine Gewähr bietet,daß der Freiheit des einzelnen nicht zu nahegetreten wird, jagerade die totale Demokratie sich zur gefährlichsten Feindin

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der individuellen Freiheit entwickeln kann, bedarf es geradehier [in der Verfassung] des Einbaus von Sicherungen für dieFreiheit des Bürgers. Die klassischen Institute, die der Ver -fassungsstaat zu diesem Zweck entwickelt hat, deren Fehlenihm daher den Charakter eines solchen Staates nimmt, sindGrundrechte und Gewaltenteilung.“ „Eine Verfassung muß …unmittelbar für sich sprechen oder, aktueller ausgedrückt, fürsich werben … Es ist die innere Anerkennung, auf die …[Verfassungs-] Normen vorzüglich angewiesen sind, wennsie Beachtung finden wollen. Ihr Inhalt muß daher nicht nuran sich sachlich richtig, sondern auch darauf zugeschnittensein, sich einsichtig zu machen, um dadurch Anerkennungfinden zu können. Vor allem aber muß die Gestalt auf Ein-dringlichkeit Bedacht nehmen: Die Klarheit des Gedankens,die Kürze des Textes, Feierlichkeit und Schwung der Formu-lierung … ist in diesem Zusammenhang zu nennen“ (Krü-ger 1961, S. 73 u. 78).Schon diese wenigen Sätze und eine natürliche Schamhaig-keit sollten ausreichen, dem oben angeführten Vertragskon-glomerat die Bezeichnung »Verfassung« zu verweigern. Diein vierzig Jahren aneinandergebastelten Bruchstücke stellen,je für sich betrachtet, zwar durchaus respektable Einigungs-werke dar; als Grundgesetz eines neuen europäischen Staats-wesens wären sie jedoch – würde man sich tatsächlich mit ih-nen begnügen – der erbärmlichste Verfassungskrüppel, dendie Weltgeschichte jemals gesehen hätte.Wer nun jedoch meint, das formale Gebrechen und der in-haltlich fragmentarische Charakter dieser »Europa-Verfas-sung« sei insofern ohne Belang, als ja immer noch die natio-nalen Verfassungen den Rechtsbestand der europäischen Na-tionen und ihrer Bürger schützten, der wird von der Rechts-wissenscha schnell eines Besseren belehrt. Das primäre Ge-meinschasrecht hat nämlich Vorrang vor dem innerstaat -

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lichen Recht der EG-Partner. Die Quelle des Vorrangs ist derEWG-Vertrag, nicht die Bestimmungen der nationalen Ver-fassungen der Mitgliedstaaten. „Es ist daher nicht möglich“,schreibt der Europarechts-Experte Jean-Victor Louis, „sichauf geschriebene oder ungeschriebene Verfassungsbestim-mungen zu stützen, die die Beziehungen zwischen Völker-recht und innerstaatlichem Recht regeln. Wegen seiner »ur-sprünglichen und arteigenen Natur« verdient das Gemein-schasrecht den Vorrang … [Dieser Vorrang] ist nicht einPrinzip, das vom Verfassungsgeber oder Gesetzgeber zu ver-wirklichen ist. Es ist eine Regel, die vom Richter anzuwendenist … Die Regel gilt somit bedingungslos. Sie hat insofernauch absoluten Charakter, als sie auf jedwede innerstaatlicheVorschri, und sei es eine Verfassungsbestimmung, Anwen-dung findet“ (Louis 1990, S. 154 u. 155).Jedenfalls hätten es sich die Väter des Grundgesetzes derBundesrepublik Deutschland, einer der grandiosestenSchöpfungen der Rechtsgeschichte, gewiß nicht träumen las-sen, daß ihr Werk eines Tages von einem Luxemburger Ge-richtshof nahezu beliebig fragmentarisiert werden könnte.Und das Volk, jene „Quelle der verfassungsgebenden Ge-walt“? Hier schweigt des Sängers Höflichkeit.Fest steht: Wenn Gemeinschas-Europa eine Verfassungbraucht, was noch zu erörtern sein wird, dann muß das beste-hende primär-rechtliche EG-Vertragssammelsurium gründ-lich überarbeitet werden und – soweit erforderlich – Eingangfinden in einen „anständigen“ Grundrechtskatalog. Dannbraucht Europa eine Verfassunggebende Versammlung, zu-sammengesetzt aus den namhaesten Staats- und Verfas-sungsrechtlern der Mitgliedsländer.Und dann braucht Europa viele James Madisons und Alexan-der Hamiltons, welche um die Freiheitsrechte, um Machtbe-grenzung und um die »checks and balances« im Verfassungs-

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text mit allen Fasern ihres Herzens ringen und mit aller Über-zeugungskra ihres geschulten Verstandes kämpfen. Nichtzuletzt muß dann endgültig Schluß sein mit dem anmaßen-den Gemauschel der europäischen Exekutiv-Mandarine hin-ter den verschlossenen Türen von Brüssel und in den abge-schirmten Gipfel-Logen von London bis Lissabon. Es liegttiefe Weisheit in den Worten des großen Karl Popper, wennder Neunzigjährige rät: „Wenn ich [der britische PremierJohn; d. Hrsg.] Major wäre, würde ich sagen: Fangen wirnochmal von vorne an. Die ganze Situation seit der Zeit desRömischen Vertrags ist in unvorhersehbarer Weise ver -ändert, und ich verstehe nicht, warum wir nicht nochmal vonvorn anfangen sollten“ (Popper 1992).Es ist jedenfalls abenteuerlich und verantwortungslos, wenndie Euro-Macher auf eine Politische Union der EG losmar-schieren und gleichzeitig das verfassungsrechtliche Funda-ment ihrer Aktionswut als Privathobby einiger akademischerZirkel betrachten – oder gar als lästiges Hindernis für ihreeitle Profilierungssucht.Seit sich das »Elend an der Maas« abzuzeichnen begann, alsoseit Mitte 1991, ist eine Reihe bekannter Rechts- und Sozial-wissenschaler mit Entwurfsskizzen zu einer EuropäischenVerfassung in die Öffentlichkeit getreten. Freilich ohne daßdies bei den politischen Repräsentanten Maastricht-Europaserkennbaren Eindruck hinterlassen hätte. Die Entwürfe be-wegen sich in einem relativ unscharfen Korridor zwischenden rechtsgeschichtlich klar definierbaren Markierungslinienvon »Bundesstaat« auf der einen und »Staatenbund« auf deranderen Seite. Mal neigen sie mehr zum einen, mal zum an-deren Unierungsmodell, aber allen gemeinsam ist die Anti-position zur bestehenden Delors-Variante, also zum Brüsse-ler Exklusivklüngel-Modell mit selbsterteilter Durchmarsch-befugnis.

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Aus der Fülle der einschlägigen Literatur sollen hier nur eini-ge wenige Vorschläge beispielha angerissen werden. Relativfrüh (früh, gemessen am Maastricht-Datum) hat ProfessorWeidenfeld die Verfassungsdiskussion eröffnet. (WernerWeidenfeld ist Leiter der Forschungsgruppe Europa am Insti-tut für Politikwissenscha der Universität Mainz.) Sein Ent-wurf neigt einem Europäischen Bundesstaat zu und begnügtsich im wesentlichen mit dem Um- und Ausbau der beste-henden Euro-Institutionen zu demokratischeren und ver-stärkt föderativen Gemeinschasorganen. Das inzwischen inMode gekommene (und als Feigenblatt für alle Blößen desMaastricht-Vertrages dienende) Subsidiaritätsprinzip fordertWeidenfeld auch verfassungsmorphologisch ein, indem erdaran gemahnt, daß nur solche Aufgabenbereiche in der Ver-fassung verankert werden dürfen, bei welchen „eine Überfor-derung der einzelnen Mitgliedstaaten offensichtlich ist“. Alleanderen Obliegenheiten und Kompetenzen müssen bei denEinzelstaaten verbleiben. (Wobei sich sofort die Frage auf-drängt, ob sich im Zeitalter etatistischer Allzuständigkeitüberhaupt noch ein Aufgabenfeld finden läßt, auf dem diepolitischen Entscheidungsträger nationaler Couleur nicht„überfordert“ wären.) (s. Weidenfeld 1990 u. 1991.)Wesentlich streitbarer, ja geradezu aufsehenerregend war ei-ne einschlägige Publikation des französischen Nationalöko-nomen und Nobelpreisträgers Maurice Allais im »Le FigaroMagazine“ vom Dezember 1990. Seine kämpferische Parole:„Non à l’Europe de Delors.“ (Inzwischen in veränderter Formauch in Deutsch zu lesen als Aufsatz in den »Schweizer Monatsheen« [s. Allais 1992]). Die ordnungsliberalen unterden Europafreunden (welche mehrheitlich eine politischeUnion ablehnen) mögen sich jedoch durch den Schlacht-ruf nicht täuschen lassen. Allais zieht zwar kräig gegen das derzeit propagierte „technokratische, dirigistische, zentrali-

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stische, unitäre und jakobinische“ Einigungsmuster der Brüs-seler Eurokratie vom Leder, weil es den Europäern nur diehybride Wahl zwischen einem vom stärksten Partner be-herrschten Staatenkartell und einem Superstaat nach demVorbild des traditionellen Nationalstaats lasse, ist aber prin-zipiell entschiedener Protagonist der Politischen UnionEuropas. Geradezu beschwörend mahnt er (im »Le Figaro«-Magazin): „Uns der Errichtung einer echten europäischenGemeinscha zu widersetzen käme einer Verweigerung derPrinzipien unserer eigenen Zivilisation gleich.“ Auch wennman dieser Meinung – soweit sie eine politische Union impli-ziert – nicht zuneigt, muß man doch einräumen, daß den Al-lais’schen Vorschlägen zum Entwurf einer Europäischen Ver-fassung und zur Neu- und Umgestaltung der Gemeinschas-institutionen höchste Aufmerksamkeit gebührt. Zumal dann,wenn die Politische Union wider alle Warnungen nüchternerRatgeber immer rascher vorangetrieben werden sollte. Diewesentlichen Forderungen Allais’ sind: die Einrichtung zwei-er neuer Institutionen, nämlich eines Europäischen Senats,der als Vertreter der Staaten von den nationalen Parlamentenzu wählen wäre, und eines EG-Präsidenten, der vom Euro-päischen Parlament ernannt werden müßte. Ferner das Er -setzen der EG-Kommission durch einen vom EuropäischenParlament zu benennenden Exekutivrat, und schließlich derAustausch des Europäischen Rates gegen einen Föderativrat(in neuer Zusammensetzung und mit neuen Kompetenzen,speziell: Einberufung der Staats- und Regierungschefs, desEuropäischen Präsidenten und Vizepräsidenten, der Euro-päischen Abgeordnetenkammer und des Senats, sowie desExekutivrats). Selbstverständlich müsse der Verfassung eineDeklaration der Rechte und Pflichten der europäischen Bür-ger vorausgehen.Eine noch weit über das Allais-Modell hinausgehende Be-

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deutung kommt dem Verfassungs-Rahmenentwurf derEuropa-Gruppe am Frankfurter Institut zu. Die Mitgliederli-ste der Gruppe umfaßt die crème der deutschen ordolibera-len Nationalökonomie und reicht im Alphabet von B wieBernholz und Besters bis W wie Watrin, Willgerodt, Willmsund Woll. Der Entwurfstext entstammt der Feder des BaslerProfessors Peter Bernholz (s. Bernholz 1990), entspricht aberwohl weitgehend der Auffassung aller Institutsmitglieder.Bernholz plädiert – mehr schweren als leichten Herzens – füreinen Europäischen Bundesstaat, weil ihm die aus den natio-nalstaatlichen Souveränitäten herrührenden Gefahren fürden Bestand eines Staatenbundes als zu groß erscheinen.Gleichzeitig sieht er jedoch die latent vorhandenen und vonder Geschichte (auch Deutschlands und der USA) bestätigtenTücken einer jeden bundesstaatlichen Organisation: die imZeitablauf sich immer stärker ausprägenden Tendenzen zurAusdehnung der Zentralmacht (Kompetenzen des Bundes)zu Lasten der Mitgliedstaaten, der Kommunen und der Bür-ger. Die wesentlichen Elemente einer Europäischen Verfas-sung sind für Bernholz deshalb bestimmte Regelungen, wel-che die Zentralgewalt drastisch begrenzen. Insbesondere (ingekürzter Fassung):

1. Die Menschenrechtskonvention des Europarats wird Teilder Verfassung.

2. a) Die Mitgliedstaaten haben das Recht, aus der Gemein-scha (Bundesstaat) auszutreten. b) Provinzen oder Gemeinden können sich mittels Mehr-heitsentscheidung ihrer Bevölkerung von ihrem bisheri-gen Staat trennen und sich einem anderen Mitgliedstaatanschließen (sofern dessen Bevölkerung mehrheitlich zu-stimmt). c) Regionen mit mindestens zehn Millionen Einwohnernkönnen sich durch Mehrheitsentscheid ihrer Stimm -

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bürger zu selbständigen Mitgliedern der Gemeinschaerklären.

3. Jeder europäische Staat hat das Recht, der EG beizutreten,falls er bestimmte (bei Bernholz näher definierte) Bedin-gungen erfüllt.

4. Gesetzgebung und Regierungsgewalt der EG beschrän-ken sich auf Außenpolitik, Verteidigung, Sicherung derFreiheit der Bewegung von Personen, Gütern, Dienstenund Kapital innerhalb der Gemeinscha, auf marktver-trägliche Maßnahmen gegen Umweltprobleme und aufdie Antikartell- und Antimonopolpolitik.

5. Die Ausgaben der Gemeinscha werden allein durch eineMehrwertsteuer finanziert. Erhöhungen des Steuersatzesbedürfen der einstimmigen Zustimmung des Europäi-schen Rates und Parlamentes, sowie der Mehrheit derStimmen in einem Referendum, falls dieses von wenig-stens einer halben Million Stimmbürgern verlangt wird.

6. Subventionen und Transferzahlungen der Gemeinschaan Unternehmungen, Gewerkschaen und Vereinigun-gen aller Art (politisch, wirtschalich, religiös, wissen-schalich, kulturell etc.) sind ebenso untersagt wie solchean Gemeinden, Provinzen und Mitgliedstaaten. Verbotensind auch nicht-freiwillige Zahlungen von Mitgliedstaa-ten untereinander.

7. Eine Harmonisierung der Steuer- und Sozialversiche-rungssysteme, der Steuersätze und anderer Regulierun-gen der Mitgliedstaaten durch die EG ist untersagt.

8. Die Gemeinscha verfolgt eine Politik des Freihandels,des freien Kapital- und Dienstleistungsverkehrs und dervollen Konvertierbarkeit der Währungen. Alle Vorschrif-ten und Maßnahmen, welche die freie Bewegung von Per-sonen, Gütern, Dienstleistungen und Kapital behindern,sind nichtig.

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9. Jeder Bürger hat das Recht, in jeder Rechnungseinheit, dievereinbart wird, mit jedermann Verträge abzuschließen,Schulden einzugehen und Kredite zu gewähren. Zahlun-gen können in jeder Währung oder Ware erfolgen, welchedie Vertragspartner vereinbaren. Steuern können in jederkonvertierbaren Währung zum Tageskurs bezahlt werden.

10. Banken haben das Recht, Forderungen, Kredite und Geldin jeder von ihnen bestimmten Rechnungseinheit auszu-geben. Die Eigentümer oder Aktionäre von Banken, wel-che Banknoten und / oder Münzen ausgeben, unterliegender unbeschränkten Haung.

11. Jedes Individuum, jede Unternehmung, Vereinigung, Ge-meinde, Provinz, jeder Mitgliedstaat, beide Häuser deseuropäischen Parlaments und die Kommission haben dasRecht, bei jeder Verletzung der Europäischen Verfassungund europäischen Rechts den Europäischen Gerichtshofanzurufen.

12. Sollte eine europäische Zentralbank oder ein Zentral-banksystem geschaffen werden, unterliegt sie (bzw. es)weder Weisungen der Regierungen der Mitgliedstaatennoch solchen der Europäischen Gemeinscha. Ziel ihrerGeldpolitik ist allein die Bewahrung eines stabilen Geld-werts. Die direkte oder indirekte Gewährung von Kredi-ten an den Bundesstaat oder an Mitgliedstaaten durch dieZentralbank ist untersagt.

(Eine Würdigung des Bernholz-Entwurfs – wie auch der an-deren Vorschläge – soll im nächsten Kapitel erfolgen.)Einen hochinteressanten Beitrag zur europäischen Ver -fassungsdiskussion (die jedoch bisher nur in akademischenund nicht in politischen Kreisen stattfindet) hat der bedeu -tende amerikanische Nationalökonom und NobelpreisträgerJames M. Buchanan geliefert (Buchanan 1991). Er sieht daseinigungsbestrebte Europa in einer mit den Vereinigten Staa-

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ten von 1787 vergleichbaren Lage. Folglich könne man so-wohl aus den positiven Implikationen des damaligen konsti-tutionellen Entwurfs als auch aus seinen Fehlern und Ver-säumnissen wichtige Lehren für eine europäische Verfassungziehen. Streifen wir die amerikanische Verfassung kurz unterdiesem Blickwinkel: Die Constitution von 1787 trägt im we-sentlichen die Handschri des genialen New Yorker AnwaltsJames Madison. Sein staatsrechtliches Meisterwerk sollte sichals erfolgreich erweisen hinsichtlich der Zielsetzung, eine of-fene Volkswirtscha für das Gesamtterritorium aller Bundes-staaten zu schaffen. Es war jedoch ein Mißerfolg im Hinblickauf das Bestreben, Ausmaß und Umfang der politischenMacht gegenüber der Bürgerfreiheit wirksam zu begrenzen.Madison verkannte die Gefahr, die in den machtkonzen -trischen Kräen des Bundesstaates schlummert. Er glaubte,es sei im Sinne der Montesquieu’schen Gewaltenteilung hin-reichend, im status nascendi nur Teilsouveränitäten von denEinzelstaaten auf die Zentralregierung zu übertragen. Bucha-nan erklärt diesen Trugschluß lapidar: „Madisons Verständ-nis von Föderalismus schloß … den Gedanken an einen Le-viathan als Bundesstaat aus“ (S. 127).Ein weiteres Mißgeschick: Das Recht zur Sezession, also dieMöglichkeit, den Unionsverbund jederzeit wieder zu verlas-sen, erschien den Vertretern der Einzelstaaten damals als soselbstverständlich, daß sie diese Option nicht schrilich fi-xierten. Man betrachtete das Wiederaustrittsrecht als implizitim Vertrag enthalten (weshalb man den späteren Sezessions-krieg Lincolns gegen die Südstaaten durchaus als Vertrags-bruch interpretieren kann). Der Sezessionskrieg hatte des-halb nicht nur in menschlicher, sondern auch in verfassungs-technischer Hinsicht verhängnisvolle Folgen, denn von nunan galt es als ausgeschlossen, daß sich einzelne oder mehrereEinzelstaaten von der Union hätten lossagen können. Die

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wirksamste Drohgebärde und letzte Waffe gegen den Zentral-staat war stumpf geworden, und somit standen der Macht -expansion der Unionsregierung nur noch jene formalen Vor-schrien entgegen, welche in der Verfassung explizit auf -geführt waren. Welches staatliche Gebilde auch immer da-mals gewollt oder faktisch vorhanden gewesen sein mag, heu-te sind die Vereinigten Staaten jedenfalls keine föderativeUnion mehr, sondern – in den Worten Buchanans – „einfachein sehr großer Nationalstaat“.Die Lektion aus der amerikanischen Erfahrung für das künf-tige Europa ist für Buchanan eindeutig: Der neu entstehen-den zentralen Gewalt müssen erstens definitive Grenzen ih-rer Machtbefugnis gesetzt werden, welche zweitens von eben-so explizit verankerten Kontrollmechanismen und -institu-tionen zu überwachen sind. Weil jedoch – wie das amerika-nische Beispiel zeigt – die formalen Verfassungsvorschriennicht ausreichen, ist ein Drittes noch wichtiger: „Der Grün-dungsvertrag muß eine explizite Anerkennung der Rechteder Bürger in den verschiedenen Staaten enthalten, aus derUnion auszutreten, und zwar aufgrund einer Entscheidungmit einer festgelegten qualifizierten Mehrheit der zuständi-gen Institutionen des ausscheidenden Staates“ (S. 129).Die Vorteile einer Union müssen zwar für alle Bürger so of-fensichtlich sein, daß aller Voraussicht nach eine Sezessionnie opportun werden kann, aber gerade deshalb muß die zen-trale Staatsgewalt verfassungsrechtlich daran gehindert wer-den, jemals Maßnahmen ergreifen zu können, welche einzel-ne Staaten der Gemeinscha oder ihrer Bürger diskriminie-ren würden. Buchanans Methodenvorschlag gegen solcheDiskriminierung und / oder Kompetenzanmaßung ist ebensoeinfach wie effizient: Die Verfassung der Union muß den frei-en Binnenhandel innerhalb des Gemeinschasterritoriumsebenso unverbrüchlich garantieren wie den freien Handel

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mit allen Partnern außerhalb der Unionsgrenzen. (Dahintersteht natürlich die Uralt-Weisheit der klassisch-liberalen Na-tionalökonomie, daß der Wettbewerb die einzig wirksameMethode zur Machtbegrenzung ist.) Notfalls müssen also dieUnionsbürger auf die besseren politischen Konzepte „drau-ßen“ ausweichen können. Als äußerste Präventiv- und Diszi-plinierungs-Drohung gegen eine schwerwiegende Verletzungdieser Spielregeln und Verfassungsgarantien muß jedoch aufjeden Fall die Austrittsmöglichkeit erhalten bleiben.Den m. E. wichtigsten verfassungssystematischen Beitrag zureinschlägigen Diskussion hat der Bonner Nationalökonomund ASU-Referatsleiter Gerd Habermann vorgelegt (s.  Ha-bermann 1992). Da seine Ausführungen jedoch gleichzeitigdie wesentlichen kritischen Positionen gegenüber einer euro-päischen Verfassung markieren, sollen seine analytischenGrundgedanken jeweils bei den nachfolgenden Betrachtun-gen verschiedener Gemeinschas- Institutionen schlaglicht-artig herangezogen werden.

3. Großeuropäische Verfassungs-Romantik

„Wenn es etwas gibt, was uns die politische Geschichteder letzten hundert Jahre gelehrt hat, dann ist es genaudas, daß Verfassungen ein weitgehend untauglichesMittel zur Beschränkung von Machtzuwachs sind. Esgibt keinen Grund anzunehmen, daß diese Lehre beider Heranbildung einer neuen Macht – wie es die Eu-ropäische Union notwendigerweise sein wird – nichtmehr gültig sei.“Angelo M. Petroni (1992; Übers. d. Verf.)

In seiner Rede vor dem Bundestag am 25. September 1992stellte Kanzler Kohl mit Blick auf Europa kategorisch fest:„Eine Wirtschasunion ist nur lebensfähig, wenn sie sich auf

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eine Politische Union stützen kann.“ Auch wenn der Kanzlervielleicht selber daran glaubt, so bleibt diese Aussage doch eine theatralische Floskel ohne jeden Realitätsbezug. Hat sichdie Europäische Wirtschasunion, also die seit 35 Jahren be-stehende EWG, etwa als „nicht lebensfähig“ erwiesen? Oderdie seit Jahrzehnten bewährte Wirtschasunion zwischenden USA und Kanada (ebenfalls ohne Politische und Wäh-rungs-Union)?! Was sollen diese Pauschalverdikte, die jegli-cher Grundlage entbehren und mit denen man das aufmüp-fige Stimmvieh nur einschüchtern und gefügig machen will.„Daß die europäischen Gründerväter … die wirtschalicheund nicht die politische Einheit Europas ins Werk setzten“,schreibt Herbert Lüthy, „lag gerade daran, daß wirtschali-che Strukturen beweglicher und fügsamer sind als politische,weil Wirtscha ein Prozeß, Politik aber ein Gefüge von Insti-tutionen, Satzungen und Ritualen ist“, und daß man nur aufdem wirtschalichen Weg „die Tabus und die heißen Eisender nationalen Souveränität“ umschiffen konnte (Lüthy 1991,S. 18f). An dieser Weisheit hat sich bis heute nichts geändert.Die wirtschaliche Integration hat zwar – ganz wie von denGründervätern erwartet – die menschlich-politische Verzah-nung in der EG Stück um Stück nach sich gezogen, aber beidesollten voneinander unabhängig und somit beweglich blei-ben. Wenn man den ökonomischen Prozeß als dynamischesElement fest an das eher statische Element der politischen In-stitutionen koppelt, so wird diese Verbindung einer perma-nenten Zerreißprobe ausgesetzt, welcher sie auf Dauer nichtstandhalten kann.Der Kohl’sche Satz mag also gut klingen, falsch ist er den-noch. Leider ist diese Art der Einschüchterung des Publi-kums zum Lieblingssport der ansonsten ratlosen Polit-Elitenavanciert. Heiner Geißler verstieg sich gar (in einer Pro- undContra-Sendung des deutschen Fernsehens vom Juli 1992) zu

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der finsteren Behauptung, ohne das Ja zu den Maastricht-Verträgen sei der „Binnenmarkt“13 nicht zu haben, wederzum 1. Januar 1993 noch später. War das nun grandiose Un-kenntnis oder massive Lüge? Es ist jedenfalls schwerlich vor-stellbar, daß der als „Experte“ geladene Parteirepräsentantnicht gewußt haben sollte, daß die sogenannten »Vier Frei-heiten« bereits in den Römischen Verträgen von 1957 veran-kert wurden (Art. 48 bis 73 EWGV). Ebenso undenkbar ist,daß er das »Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes«nicht kannte, welches 1985 von der EG-Kommission (aufWunsch des Europäischen Rates) vorgelegt worden ist. Die indiesem Weißbuch festgelegten 282 Maßnahmen, Verordnun-gen und Richtlinien zur nahezu vollständigen Verwirk -lichung der »Vier Freiheiten« waren zum damaligen Sende-zeitpunkt zu mehr als achtzig Prozent vom Rat verabschiedetund in den EG-Mitgliedstaaten mit einer Streuweite von vier-zig (Italien) bis achtzig Prozent (Dänemark) in nationalesRecht umgesetzt. Die EG-Partner brauchten das Weißbuchalso nur vollständig zu realisieren (was inzwischen weitge-hend geschehen ist), um ihren Bürgern den ersehnten »Bin-nenmarkt« präsentieren zu können – ganz ohne Maastricht!Wir wollen also festhalten, daß es für ein Europa der Freiheitfür Menschen, Dienste, Güter und Kapital einer Verfassungim staatsrechtlichen Sinne des Wortes nicht bedarf. Zumaldie im Dezember 1989 im Europäischen Rat verabschiedete»Gemeinschascharta der Grundrechte« hinreicht, um dienationalen Sozialordnungen einander anzugleichen, und dievorgesehene »Paßunion« auch den rechtlichen Status einesjeden EG-Bürgers zufriedenstellend dokumentieren wird.

13 Der (im Zusammenhang mit der bestehenden EG gebrauchte und)gängige Begriff „Binnenmarkt“ ist eigentlich eine irreführende Wort-schöpfung, weil er einen gemeinsamen Staat mit einheitlichen Außen-grenzen voraussetzt.

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Der Vertrag von Maastricht jedoch hat eindeutig präkonsti-tutionellen Charakter und soll seinem ganzen Inhalt nachebenso eindeutig den Durchbruch zum Europäischen Bun-desstaat bewirken. Die geplante Währungsunion erzwingt diePolitische Union, wenn sie nicht zum Währungs-HarakiriEuropas werden soll. Die Tatsache, daß hinter den verschlos-senen Türen von Maastricht von hierzu nicht legitimiertenreinen Exekutivorganen (Staats- und Regierungschefs) eineEuropa-Verfassung am Willen ihrer Völker vorbei präjudi-ziert worden ist, mag die beschwörende Rhetorik und die biszur unredlichen Windbeutelei reichende Euro-Polemik derbeteiligten Regierungen erklären. Solche und andere Begleit-umstände und Inhalte der Maastricht-Verträge ließen dennauch den Limburger Professor Roos von einem „Staatsstreichin juristischer Verpackung“ reden. Man kann eben nicht un-gestra die nationalen Verfassungen ohne Aurag des Souve-räns (Volk) bis zur Bedeutungslosigkeit aushöhlen und an de-ren Stelle eine fragmentarische Schimäre setzen, die denPrinzipien der Souveränität und der parlamentarischen Re-präsentation der beteiligten Völker Hohn spricht.Der Staats-, Verwaltungs-, Europa- und Völkerrechtler Pro-fessor Daniel ürer hat unzweideutig dargelegt, daß der europäische Einigungsprozeß jetziger Prägung in seinerGrundtendenz den verfassungsrechtlichen Prinzipien vonDemokratie und Föderalismus entgegenläu und daß dasnach der Systemlogik der Gemeinschasorganisationen ge-schaffene Sekundärrecht nur ungenügend legitimiert ist.Noch nicht einmal mehr kontrollierend (geschweige dennsteuernd) können die nationalen Parlamente in diesen gou-vernementalen Rechtssetzungsprozeß eingreifen. ürersdiesbezügliches Fazit: „Es gehört damit zur besonderen Pa-thologie des Integrationsprozesses, daß er in seiner heutigenAusgestaltung Parlamentsrechte und Volksrechte verdrängt

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und Chancen föderativer Mitbestimmung verringert, wie sie innationalen Verfassungen gewährleistet sind. Das verfas-sungsrechtliche Prinzip der Herrscha durch das Volk wirdim »Europe des administrations« in einem gewissen Grad re-lativiert durch eine o technokratisch ausgestaltete … Herr-scha für das Volk“ (ürer 1990).Bereits ein Jahr zuvor hatte der Bonner Staatsrechtler FritzOssenbühl – offensichtlich vergeblich – davor gewarnt, ausBegeisterung für Europa die Gefahren für den Bestand be-währter nationaler Verfassungsstrukturen zu übersehen. „Imeuropäischen Einigungsprozeß“, schrieb Ossenbühl, „solltendie Mitgliedstaaten nicht nur ihre Staatlichkeit bewahren,sondern auch ihre bewährte innere Verfassungsstruktur“(Ossenbühl 1989). Inzwischen ist jedoch die Schwelle, bis zuwelcher die Agierenden solche Warnungen noch hättenwahrnehmen können, längst überschritten. Jetzt müssenfachlicher Rat und verantwortliches Abwägen beim Umgangmit dem kostbarsten Rechtsinstitut der Völker, nämlich ihrernationalen Verfassung, hinter der blanken Durchmarschwutder Gipfel-Euromanen zurücktreten.Auch die Verfassungsromantik, die im Gerede von der „Teil-souveränität“ zum Ausdruck kommt (Dem europäischenZentralstaat soll nur in wenigen, genau definierten Politik -feldern die Oberhoheit über die fortbestehenden nationalenSouveränitätsrechte zugewiesen werden), müßte in einer Po-litischen Union rasch offenbar werden. Nicht nur die Kom-plexität und wechselseitige Vernetztheit moderner Politik-Domänen wird dazu führen, daß alsbald sämtliche Problem-kreise einen europäischen „touch“ bekommen und in denZuständigkeitssog des Suprasouveräns geraten; schon dieEntscheidungs- und Verantwortungsscheu der jeweiligen nationalen Administrationen wird solchen Tendenzen Vor-schub leisten. Nach und nach müssen alle zunächst noch

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beim einzelstaatlichen Teilsouverän verbliebenen Aufgabenvom Strudel der zentralen („Teil-“) Zuständigkeit der EG er-faßt werden und im prinzipiellen Entscheidungsdilemma derGemeinschasinstitutionen landen, welches da lautet: Ent-weder Konsensprinzip – und das ist angesichts weit differie-render nationaler Interessen gleichbedeutend mit faulemKompromiß –, oder Mehrheitsprinzip – und das bedeutet beidivergierenden Meinungen: Diktat eines Interessenkartells.An der tiefen Weisheit des Satzes, daß die Aufgabe, „für ge-sellschaliches Gleichgewicht zu sorgen, soziale Spannungenzu mildern und im Konflikt zwischen Internationalität undRegionalität zu vermitteln, … nur im überschaubaren Raumrechtlicher und sprachlicher Identität erfüllt werden [kann]“(»Zeitschri für das gesamte Kreditwesen«, Nr. 2 / 1992, S. 3),kommen auch die großeuropäischen Märchenonkel nichtvorbei.Es ist nicht zu leugnen, daß die Freunde und Verteidiger derFreiheit – konkreter: die Streiter für Marktwirtscha, Rechts-staat und Offene Gesellscha – gegenüber jeglichem Ver -fassungsansatz für Gemeinschas-Europa skeptisch oder garablehnend bleiben. Da sie gleichzeitig und wohl ausnahmslosAnhänger der Europäischen Idee und eines freien, fried -lichen, offenen und gemeinsamen Europas sind, müssen dieGründe für ihr Widerstreben wohl in Konstruktions- undFunktionsmängeln gesucht werden, welche allen bekanntenVerfassungsgebilden weltweit und generell immanent zu seinscheinen. In der Tat fördert die nähere Betrachtung des Sujetseine Reihe gefährlicher Tendenzen zutage, welche die Funda-mente der Freiheit und des Rechtsstaates zunehmend er-schüttern und unterhöhlen (was im übrigen nicht nur für dieverschiedenen Grundrechtskataloge der zivilisierten Natio-nen gilt, sondern auch für deren gesamtrechtlichen Über-bau). Die wichtigsten:

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1. Eine schleichende Deformation und Fehlinterpretationdes Rechtsbegriffs generell (vgl. Erstes Buch, III. 1.).

2. Eine zunehmende Hinneigung zum Rechtspositivismus.3. Eine wachsende Entartung der demokratischen Spiel -

regeln hin zum unbeschränkten Demokratismus (zu 1. bis3. s. ausführliche Analysen bei: Baader 1991).

4. Die (meist nicht ausdrücklich, aber verfahrensimmanentangelegte) Tendenz zum Zentralismus.

Es bedarf nun keiner besonderen Phantasie, der Befürchtungstattzugeben, daß diese in den einzelstaatlichen Verfassungenund Rechtskomplexen erkennbaren Erscheinungen sich ineiner gesamteuropäischen Verfassung eher kumulativ auf -blähen als wechselseitig neutralisieren würden. Einige wenigeBeispiele:Wenn in einem Volk die tradierten Werte des gerechten Ver-haltens und die überkommenen moralischen Tabu-Regelnfest verankert sind, dann können sich Verfassung und ge-schriebene Rechtskodizes auf wenige Verbote beschränken.Es gilt dann tendenziell eine Verfassung der Freiheit, derenText und Charakter impliziert, daß alles erlaubt ist, was nichtausdrücklich verboten ist. Konnte jedoch solches Rechtsemp-finden in einem Volk nicht heranreifen (oder ist es wiederverlorengegangen), dann muß das gesetzte (positive) Rechtnicht nur wesentlich mehr Verbote normieren, sondern aucheine Unzahl von Geboten und Verhaltensvorschrien. Es giltdann eher eine Verfassung der Unfreiheit, welche die Erwar-tung nahelegen muß, es sei alles verboten, was nicht aus-drücklich erlaubt ist. (Der freiheitliche Denker geht grund-sätzlich davon aus, daß im Rechtsstaat das in Jahrhundertengewachsene Rechtsempfinden der Bürger, also das unge-schriebene Recht, als oberstes Prinzip und als maßgeblicheQuelle des geschriebenen – „positiven“ – Rechts zu gelten hat;s. hierzu bes.: Hayek 1981.)

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Vor diesem Hintergrund muß sich für eine Europäische Ver-fassung ein bedrückendes Dilemma abzeichnen: Will manverschiedenen Völkern mit unterschiedlichen Rechts- und Ver-haltenstraditionen eine gemeinsame Verfassung geben, somuß man sich entweder auf den kleinsten konstitutionellenNenner einigen – mit der Folge, daß weite „rechtsfreie“ Räu-me der Spekulation jener Beteiligten überlassen werden, wel-che die jeweils „weiteste Moral“ haben, oder (die wahrschein-lichere Alternative) man einigt sich auf dem Befehlsniveaudes positivistischsten unter den Partnern – mit der Konse-quenz, daß nunmehr die Verfassung dem Rechtsempfindeneiniger oder vieler der beteiligten Völker zuwiderläu.Nicht viel anders verhält es sich beim Aspekt der „entartetenDemokratie“. Zwar warnt Maurice Allais in seiner Skizze zueinem europäischen Verfassungsentwurf ausdrücklich vordem weitverbreiteten totalitären Demokratieverständnis,welches annimmt, alle Belange einer Gesellscha seien de-mokratisch zu entscheiden und jede dieser Entscheidungensei legitim, wenn sie nur von einer Mehrheit getroffen wor-den sei, indem er schreibt: „Das wahre Fundament der De-mokratie ist nicht die Mehrheitsregel, sondern die Respektie-rung der Individualitäten und der Minderheiten. Deshalbwäre jeder Versuch, eine europäische politische Gemein-scha auf einer Einheitsebene zu organisieren, wo die Mehr-heit das Gesetz ohne Beschränkung scha, grundsätzlichundemokratisch. … In einer wirklich demokratischen Ge-sellscha muß die Macht, welche es auch immer sei, unter sovielen Menschen wie eben möglich aufgeteilt sein.“ (»Le Fi-garo«-Magazin; Übers. d. Verf.). Aber schauen wir uns dochdas politische, „demokratisch“ bemäntelte Allzuständigkeits-Karussell in unseren Wohlfahrtsstaaten an, das seine „sozia-le“ Umverteilungsleier und seine Interventionsrunden im-mer schneller dreht. Und blicken wir doch auf das Omni-

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Kompetenz-Kartell der Eurokaste, die gerade das Mehrheits-prinzip (in Rat und Kommission) für jede beliebige Entschei-dungsvorlage als „demokratischen“ Durchbruch gefeiert hat.Angesichts der Seuche unseres Jahrhunderts: des sich immerhaltloser austobenden Mehrheitswahns, auf eine „Machtver-teilung unter so vielen Menschen und Institutionen wie mög-lich“ in Gemeinschaseuropa zu hoffen, ist mehr als soziolo-gischer Illusionismus: es ist politische Blindheit. Im herauf-ziehenden Europäischen Bundesstaat zeichnet sich ganz an-deres ab: Die derzeit schon ins Unerträgliche hypertrophierteOmnipotenz und Omnipräsenz der nationalen Politik in allen Lebensbereichen der Bürger wird sich zwar auf eine einzelstaatliche und eine gemeinschaliche Ebene zweiteilen,sich aber dadurch nicht halbieren, sondern potenzieren. ImGegenzug zu den Machtübertragungen auf zentrale Legis-la tiven und Exekutiven werden sich die heimischen, vom Hoheitsschwund bedrohten Regierungen und Funktionärs-kasten nämlich alles unter den Regierungs-Nagel reißen, wasbisher noch der Privatsphäre des Bürgers oblag. In Anbe-tracht der völlig neuen Entscheidungsdimensionen der Euro-kratie werden sich die nationalen Provinzlobbys zu quasi-mafiösen Super-Pressuregroups im Schatten der StraßburgerLegislative und der Brüsseler Exekutivpaläste mausern. DieRangel-, Filz- und Mauscheldemokratien der europäischenWohlfahrtsstaaten werden ihre Umverteilungspotentiale zu-sammenwerfen zu einer Euro-Alptraum-Demokratie desschieren Interessenterrors, die ihre scheinparlamentarische„Legitimität“ nur noch aus einer babylonischen Quoten-Ma-thematik bezieht. Die hieraus resultierenden rhetorischenSchlammschlachten und verteilungspolitischen Veitstänzeverweigern sich jeder vorausahnenden Phantasie. Ebenso diein der Folge auf die Mitgliedsländer zurückschlagenden Ressentiments. Da könnten eines Tages die Deutschen schuld

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sein an den hohen Zinsen (wie bereits gehabt) und der „rus-sischen Gefahr“, die Italiener an der Inflation und dem Eier-spaghetti-Mangel in Oberpfullingen, die Franzosen am Nie-dergang des deutschen Handwerks, und die Holländer amDauerstau an der Geislinger Steige. Ist erst einmal das bürger-ferne Straßburg oder das allgegenwärtige Sprachen-BabylonBrüssel zuständig für den Krümmungsgrad der Bananen –und nicht mehr der Herrgott, die Natur, ein bestimmter Im-porteur oder wenigstens die jeweilige Landesregierung, dieman bei der nächsten Wahl davonjagen kann –, dann ist aucheine Ladung ranzigen Olivenöls hinreichender Grund für ei-nen Bürgerkrieg auf den Straßen unserer Großstädte und fürden Rückfall in den Steinzeitnationalismus der europäischenVergangenheit.Schließlich noch eine Skizze zur Zentralismus-Tendenz einerEuropäischen Verfassung: Alle europäischen Staaten sindhochinterventionistisch, das heißt: der Staat und seine Institu-tionen regeln, diktieren, lenken und beeinflussen nahezu alleBereiche des wirtschalichen Geschehens und des privatenLebens der Bürger. Ein unscharfer, aber brauchbarer Grad-messer für das interventionistische Erkrankungsstadium einer Nation ist die sogenannte Staatsquote, also das Verhält-nis des Ausgabenvolumens der Gebietskörperschaen zumBruttosozialprodukt, denn die Staatsausgaben spiegeln dasAusmaß an Kollektiventscheidungen im betreffenden Landwider. „Das Kriterium des Freiheitsgrades einer Gesellscha“,schreibt Gerard Radnitzky, „ist die relative Größe der Domäneder Individualentscheidungen gegenüber der Domäne derKollektiventscheidungen“ (Radnitzky  1991b, S.  67). DieseQuote also liegt in den meisten europäischen Staaten weit überder Fünfzig-Prozent-Marke. Sogar im marktwirtschalichen„Musterland“ Bundesrepublik wird inzwischen jede zweiteMark vom Staat ausgegeben. Der mit den Kollektiventschei-

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dungen weitgehend identische Interventionismus aber bedeu-tet nichts anderes als staatliche Macht. „Macht oder ökonomi-sches Gesetz“, so hat der große Ludwig von Mises schon in derersten Häle unseres Jahrhunderts die unerbittliche Alterna-tive zwischen den Entscheidungsantagonisten Staat undMarkt überschrieben (Mises 1980, S. 671). Und Macht wieder-um hat den fatalen Drang zur Zentralisierung. Machtsteige-rung und Zentralisierung sind nur zwei Seiten der gleichenMedaille, die sich gegenseitig bedingen. Deshalb, weil die Glei-chungen »Interventionismus gleich Macht« und »Machtgleich Zentralisierung« gelten, wird die Politische Unionie-rung der hochinterventionistischen europäischen Teilstaatenmit unabwendbarer Gewißheit im Zentralismus enden, ganzgleich, ob sich die Union eine bundesstaatliche oder eine staatenbundliche Verfassung (oder welch andere auch immer)geben wird. Man erschauert geradezu vor der Weitsicht, die einen anderen Geistesgiganten der deutschen Nationalöko -nomie (neben Mises), Wilhelm Röpke, bereits im Jahr 1958schreiben ließ: „Das Schlimmste ist, daß diese internationaleZentralisation, im Namen »Europas«, der »supranationalenSouveränität«, der »internationalen Harmonisierung« … oderwie die verführerischen Parolen lauten mögen, dem gesundenRest an nationaler Dezentralisation und internationaler Man-nigfaltigkeit den Garaus zu machen droht. Der in der Ferneschimmernde Gipfel ist [der] »internationale Wohlfahrts-staat« …“ (Röpke 1958, S. 328).Es ist mehr als lohnend, noch eine Weile bei diesem großenGelehrten zu verweilen. Nicht weniger als eine intellektuelleOffenbarung – wenn auch eine makabre – sind seine einpräg-samen und mit der ihm eigenen wunderbaren Formulie-rungskunst niedergelegten Warnungen und seine präzisenVorhersagen jener Geschehnisse, in deren Mitte wir uns nunmehr – fünfunddreißig Jahre später – befinden. Röpke

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spricht von der Gefahr der „Ökonomokratie“, der Herrschader Planer, Statistiker und Ökonometriker (heute würde ergewiß die makroökonomisch-eurokeynesianischen Global-steuerungs-Gurus mitbenennen), die ihr Imperium von dernationalen auf die internationale Ebene ausdehnen und da-mit noch unentrinnbarer festigen wollen, sowie von der zen-tralisierenden Macht des Dirigismus mit seinem internatio-nalen Lenkungs-Bürokratismus und seinen Subventionenvon Land zu Land; und er redet von einem heraufziehenden„europäischen Saint-Simonismus“, der bislang in den einzel-nen Ländern noch einigermaßen habe gebannt werden kön-nen, alsbald aber von oben her über das wehrlose Europa aus-gebreitet werde. „Dezentrismus“, betont er in »Jenseits vonAngebot und Nachfrage«, „ist in der Tat ein wesentliches Stückdes europäischen Geistes. Wenn wir daher versuchen wollten,Europa zentralistisch zu organisieren, einer planwirtscha -lichen Bürokratie zu unterwerfen und gleichzeitig zu einemmehr oder weniger geschlossenen Block zu schmieden, so istdas nicht weniger als Verrat an Europa und am europäischenPatrimonium. Es wäre ein um so tückischerer Verrat, als erim Namen Europas und unter schnödem Mißbrauch diesesNamens begangen wird. Wir zerstören dann gerade das, waswir zu verteidigen haben und was uns selber Europa ebensoliebenswert wie der ganzen freien Welt unersetzlich macht“(S.  330). Fast beschwörend gemahnt uns Röpke: „Achtungvor dem Eigenen und Besonderen, vor dem Mannigfaltigen,den kleinen Lebens- und Kulturkreisen und die Ablehnungjeder mechanischen Zentralisierung – das … wären einigeder allgemeinen Richtlinien, deren Respektierung uns erstdazu legitimiert, uns echte Europäer zu nennen, die es mitdem Sinn Europas ernst nehmen“ (S.  331). Dezentrismus,mahnt er an anderer Stelle, dürfe jedoch nicht mit Partikula-rismus und Krähwinkelei verwechselt werden. Im Gegenteil:

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„Der Dezentrist muß … zugleich der überzeugteste Universalistsein, mit dem Blick auf eine Ganzheit, die um so echter ist, jemehr sie Struktur und Gliederung besitzt“ (S. 317f). Und erbenennt auch das tiefste Geheimnis um den Widerpart zwischen zentristischen und dezentristischen Charakteren:„Sein [des Dezentristen] Zentrum ist Gott, und gerade des-halb ist er abgeneigt, menschliche Zentren dafür einzutau-schen …“ (S. 318). Aber der weise Liberale weiß auch um dieVergeblichkeit seines Appells, wenn er gesteht, daß dies alles– „wie die Menschen heute nun einmal gesinnt sind“ – ketze-rische Worte seien, und daß nur noch wenige sie auszuspre-chen wagen, „aus Furcht, als rückständig verschrien zu wer-den“ (S. 332).Genau dieser hier zum Vorschein kommende Realitätssinn(den man auch nüchternen Pessimismus nennen mag) ist esnun, der den oben skizzierten Verfassungsentwürfen zu feh-len scheint. Natürlich zeugt beispielsweise der Allais-Entwurfvon profunder Kenntnis der staatstheoretischen Fundamen-talprinzipien sowie der demokratisch-rechtsstaatlichen Me-chanismen und Institutionen, aber er gibt auch Kunde vonder zwar liebenswerten aber gefährlichen Naivität des gewißmoralisch höchst integren Wissenschalers im Elfenbein-turm. Ihren Ausführungen und Forderungen an eine Euro-päische Verfassung, verehrter Professor Allais, ist uneinge-schränkt und aus ganzem Herzen beizupflichten, aber leiderist solche demokratisch-rechtsstaatliche Idylle in keinemStaatswesen der Welt als reale Gegebenheit anzutreffen. Um-so weniger wird dieser schöne Wunschtraum im Großeuropader Sozialingenieure in Erfüllung gehen. Das ist doch letzt-lich der Grund, weshalb die freiheitsliebenden Denker unterden Euroskeptikern die Politische Union Europas mit größ-ten Vorbehalten betrachten oder ganz ablehnen: nicht weil sie ein rechtsstaatlich-freiheitliches, föderal gegliedertes und

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von wohlverstandener Demokratie (statt von schrankenlo-sem Demokratismus) geprägtes europäisches Gemeinwesenfürchten würden, sondern – ganz im Gegenteil – weil sie umein solches fürchten müssen. Weil sie wissen, daß ein solchesEuropa auf dem Maastricht-Weg nicht erreicht werden kannund eine Fata Morgana bleiben muß; weil sie wissen, daß je-der noch so ehrenhae Appell eines wohlmeinenden Gelehr-ten und jede noch so überzeugende eorie eines großenWissenschalers am eiskalten Machtkalkül der Politprofisabprallen und bei den Feudalkasten der Eurokratie auf taubeFunktionärsohren stoßen muß; weil sie wissen, daß nichtsund niemand außer dem Markt Leviathan zähmen kann unddaß diese ultima ratio (Markt ist gleich Konkurrenz; Konkur-renz ist gleich Machtbegrenzung) auch für den Wettbewerbder politischen Konzeptionen und Institutionen gilt; und weilsie wissen, daß den ohnehin nur noch spärlich vorhandenenResten zwischenstaatlichen Politik-Wettbewerbs in einemkünigen Macht- und Konzept-Monopol Großeuropas dieletzte Stunde geschlagen hätte. Sorry, verehrter Professor,wenn das bitter klingt, aber das Leben ist hart in den Bergen,und es ist noch härter in der eisigen Gletscherlandscha derPolitik. Und vieles spricht dafür, daß es für uns alle bessersein düre, als „spießige Kleineuropäer“ in den Tälern amLeben zu bleiben denn als heroische großeuropäische Gipfel-stürmer abzustürzen und den Heldentod zu sterben.Nicht viel anderes ist zum Rahmenentwurf der Europa-Grup-pe am Frankfurter Institut zu sagen: Wahrlich ein Forderungs-katalog, der das Herz eines jeden Ordnungsliberalen auf demweiten Erdenrund höher schlagen läßt! Allein schon Punkt 10,der auf eine Beseitigung des Banknoten- und Münzenmono-pols des Staates bzw. der Notenbank hinauslaufen und die Ein-führung konkurrierenden Privatgeldes bedeuten würde (einegrandiose Idee, die auf Friedrich A. von Hayek zurückgeht),

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wäre Anlaß genug, sich einen Bundesstaat dieser Verfassungsehnlichst herbeizuwünschen. Welch grandiose Vision einesfreien Europas! Aber leider eben eine Vision. Nichts in derbundesrepublikanischen oder europäischen Wirklichkeitdeutet darauf hin, daß eine solche Verfassung auch nur denHauch einer Realisierungschance hätte. Ebensowenig findetsich in der Alltagswelt unserer EG-Nachbarn ein einziger An-haltspunkt, der zu entsprechender Hoffnung Anlaß gebenkönnte. Alles, was das Bernholz’sche und zweifellos bewun-dernswerte Modell bei den europäischen Partei- und Umver-teilungsfürsten auslösen wird, ist ein mitleidiges Lächeln oderein paar despektierliche Sprüche über „akademische Traum-tänzer im Wolkenkuckucksheim“. Leider, lieber ProfessorBernholz, denn wenn sich das wahrha europäisch gesinntezoon politikon von der sprichwörtlichen Fee etwas wünschendüre, dann wäre es ein Europa genau dieses Zuschnitts, unddann wäre es genau dieser wunderbare Katalog. Aber sie wirdnicht kommen, die gute Fee; weder heute noch morgen. Eherschon eine Reihe fuchsteufelswilder Polit-Emanzen, allesamtbereit, den zentralistischen Stier zu reiten wie weiland dieTochter des Phoenix (Europa) den VerwandlungskünstlerZeus.Daß die Puppenspieler des großen europäischen Marionet-tentheaters sehr wohl um die Gefahr des machtagglomerie-renden Zentralismus in Maastricht-Europa wissen und trotz-dem – oder gerade deshalb – ihre Fäden weiter in die gleicheRichtung ziehen, geht schon aus dem unscheinbarsten For-mulierungsgerangel bei den Gipfelerklärungen hervor. Waskönnte zum Beispiel verräterischer sein als die Tatsache, daßbeim Sondertreffen der europäischen Staats- und Regie-rungschefs in Birmingham (Mitte Oktober 1992) der briti-sche Vorschlag zum Deklarationstext abgelehnt wurde, wel-cher lautete: „Zentralisierung ist nicht der richtige Weg zur

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Einheit.“ Stattdessen einigte man sich auf die Formulierung:„Größere Einheit kann ohne übermäßige (!) Zentralisierungerreicht werden.“ Wer diese Nachtigall nicht singen hört, derist auch mit Böllerschüssen nicht aus dem Euro-Traum zureißen.Noch erhellender als die Worte sind jedoch die Taten derEuro-Akteure. Und kein Verfassungstext wird es vermögen,den neomerkantilistischen Prozeß permanenter Machtpro-duktion zu stoppen, der mit der Lenkungshoheit politischerEntscheidungsträger über die Wirtscha einer Nation ver-bunden ist. Interventionismus ist der lautlose Treibriemenzum totalen Staat. So groß beispielsweise die EG-Worte nachdem Schock über den Moskauer Putsch (gegen Gorba-tschow) an die Adresse der östlichen Nachbarn Polen, ČSFRund Ungarn gewesen waren, so erbärmlich fielen die Tatenaus, als es im Herbst 1991 in die Assoziierungsverhandlungenging. Ausgerechnet in den Bereichen, in denen sich die Ost-Triade überhaupt eine Wettbewerbschance ausrechnenkonnte (Agrar, Textil, Kohle und Stahl), ließ die EG ihrenneuen Eisernen Vorhang herunter. Wie immer und überallim modernen Neomerkantilismus, wo also Wirtscha politi-schen Instanzen unterworfen ist und politischen Interessenzu dienen hat, wiegen vordergründige Wählergunst und eit-les Einflußprofil der Machteliten schwerer als das wahreWohl der Völker, ja sogar schwerer als die politisch-ökonomi-sche Zukun des ganzen Kontinents. Erstmals nach dem Falldes Eisernen Vorhangs bot sich Westeuropa die Chance, diegesamte alte Welt zu einer Zone des Friedens und der Prospe-rität zu entwickeln. „Doch was tut die EG?“, fragte damals derJournalist Stefan Baron, und gab auch gleich die Antwort:„Statt die neue, einmalige, alles andere überragende Heraus-forderung anzunehmen, beschäigt sie sich ungerührt weitermit sich selbst.“ Seine Schlußfolgerung fiel noch deutlicher

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aus: „Mit Ausnahme der letzten 46 Jahre war Europa stets einKontinent der Kriege. Heute besteht die Gefahr, daß es in dieBarbarei zurückfällt. Unsere Politiker aber – das zeigt Maas-tricht – vermögen die Herausforderung dieser Zeit nicht zuerkennen. Der Gipfel an der Maas markiert eine historischeFehlentwicklung, er ist ein dunkles Datum in der europäi-schen Geschichte“ (Baron 1991).Fazit: Die vorbildliche Verfassung der Bundesrepublik konn-te die Entwicklung Deutschlands zu einem hochinterventio-nistischen, neomerkantilistischen, fiskalkleptokratischen,syndikalistischen Umverteilungs- und Gängelstaat, zur Kol-lektiventscheidungs-Maschinerie und zur Raub- und Almo-sen- Demokratie nicht verhindern.Umso weniger wird eine Europäische Verfassung, welche aufdie Interessen von zwölf oder mehr Regierungen Rücksicht zunehmen hätte, einen zentralistischen, dirigistischen, techno-kratischen und „sozial“jakobinischen Superstaat verhindernkönnen – auch wenn er in seiner Geburtsstunde vielleicht alsharmlos erscheinendes Wesen zur Welt kommen mag. Es gibtkeine verfassungstechnische Möglichkeit, Leviathan wirksamund dauerha zu zähmen – außer dem Wettbewerb mit sei-nesgleichen auf offenen Märkten und bei offenen Grenzen.

4. Welche Verfassung braucht Europa?

„Das Gegenmodell, das in Paris [auf einer Tagung libe-raler Wirtschaftswissenschaftler] zum deloristischenInterventionsstaat verkündet wurde, lautet: »Zwölffreie Nationen, ein freier Markt.« Ein ganz vorzügli-cher Slogan!“Bruno Bandulet (1990, S. 281)

Weil also nur der Markt und der Wettbewerb in der Lagesind, Leviathan zu zähmen, müssen im Dienste der Freiheit

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und des Wohlstands der Völker alle Mechanismen und Insti-tutionen gestärkt werden, welche das ungestörte Wirken derMarktkräe fördern und bewahren helfen. Man mag einensolchen Ordnungsrahmen der Marktwirtscha und der freienGesellscha „Verfassung“ nennen; fest steht, daß er sichgrundsätzlich von einer Verfassung im staatsrechtlichen Sin-ne unterscheidet. Mein Vorschlag für diese Art eines Euro-päischen Ordnungsrahmens (oder, wenn man so will, einerEuropäischen Verfassung) lautet: Europäische Freizone.Diese Bezeichnung bietet sich als unterscheidende Abgren-zung gegenüber dem Begriff „Freihandelszone“ an. Freihan-delszonen markieren zwar einen wesentlichen Fortschritt inder von Handelsbarrieren gekennzeichneten Wirtschasge-schichte der Völker, sind aber historisch immer Handelsblök-ke mit mehr oder weniger hohen Abwehrmauern gegenüberaußenstehenden Drittstaaten oder anderen Handelsblöckengewesen. Sie unterlaufen somit immer noch den freien Welt-handel. Prinzipiell sollte es nur eine einzige Freihandelszonegeben: die ganze Welt. Als Freizone hingegen könnte man be-zeichnen: Ein völker- oder staatsrechtliches Vertragsgebiet,in welchem nicht nur der Warenaustausch und die Kapital-ströme von jeglicher handelshemmender Beschränkung undDiskriminierung befreit sind, sondern in dem auch alle Be-wohner der Freizone uneingeschränkte Bewegungs- undNiederlassungsfreiheit genießen und ihre Arbeit (Arbeit und/ oder Dienstleistungen) ungehindert anbieten können. Dieseumfassenden Rechte implizieren freilich, daß ihr Geltungs-bereich auf kulturell und entwicklungstechnisch verwandteLänder begrenzt bleiben muß, wenn man chaotische Abläufeund Verwerfungen demographischer, ökonomischer, finan-zieller und politischer Natur verhindern will. Zum Defini -tionsinhalt einer Freizone muß jedoch die Freihandelsgaran-tie gegenüber allen anderen am Welthandel beteiligten Natio-

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nen gehören. Der unbeschränkte Waren- und Kapitalverkehrmuß sozusagen – neben seiner Funktion als Garant kompa-rativer Kostenvorteile (David Ricardo) – als Übungsfeld undals Annäherungsraum für jene Nachbarn dienen, welche derFreizone früher oder später beizutreten wünschen. Die Au-ßengrenzen eines solchen Gebildes wären also viel wenigerstarr und abschreckend als die Grenzen einer politischen Ge-meinscha – und gleichzeitig könnten die beweglichen öko-nomischen Kräe im Inneren der Zone die menschliche undinstitutionelle Integration viel effizienter vorantragen als esdie ungelenken Scharniere der Politik je vermöchten.Wenn der ehemalige Vizepräsident der EG-Kommission,Dr. Karl-Heinz Narjes, meint, die Integration Europas könnenicht auf die Wirtscha beschränkt bleiben, weil die Vorstel-lung von einem „a-politischen Wirtschasstaat“ für hoch -industrialisierte Gemeinschaen eine Absurdität sei (Nar-jes 1990), so ist das zutreffend und doch irreführend zugleich.Der klassisch-liberale Ansatz für Gemeinwesen, ob als Ein-zelnation oder als Staatengemeinscha, war nie der a-politi-sche Wirtschasstaat, sondern das genaue Gegenteil: der po-litische Staat, der sich aus der Wirtscha weitgehend heraus-hält. (Ein solcher Staat gewinnt und bewahrt seine Stärke ge-rade dadurch, daß er sich auf die Gewährleistung innerer undäußerer Sicherheit beschränken und seine Kräe auf dieWahrung des Ordnungsrahmens und auf die Durchführungder sich hieraus ableitenden Kontrollen konzentrieren kann.)Was die wahren Europa-Freunde anstreben, ist nicht der a-politische Wirtschasstaat, sondern die staatsfreie Wirt-scha als Integrationslokomotive in einem Europa der poli-tisch starken (weil handlungsfähig bleibenden) Staaten. Werinmitten der Euro-Hysterie klaren Kopf bewahrt, weiß auch,daß die vollständige Wirtschasunion der EG-Partner vorerstAufgabe genug ist.

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Bevor dieses wirtschaliche Fundament Europas nicht solideund „erdbebensicher“ ausgeführt ist und seine Tragfähigkeitbewiesen hat, sollte man darauf keinen (politischen) europäi-schen Hochbau errichten. Auch jene Ordnungstheoretikerunter den Nationalökonomen, welche dem ehemaligen Bundeswirtschasminister Professor Karl Schiller währendseiner Ägide als „Globalsteuerer“ gar nicht wohlgesonnenwaren, werden deshalb heute dem in langer unguter Erfah-rung gereien Senior beipflichten, wenn er schreibt: „[Es]steht uns allen doch der vorbereitete europäische Binnen-markt zur Verfügung. In den so gewonnenen kommendenJahren könnten wir die differenzierten Formen von Markt-wirtscha und Demokratie, die Europa in seiner Vielfalt her-vorbringt, miteinander konkurrieren lassen. Mit Hilfe desBinnenmarkts können wir den »Wettbewerb der Systeme« …fortsetzen … Die Leerformel von der Politischen Union wirdsich dann mit Substanz anfüllen.“ „Das wahre Wunder an derMaas wäre heute die ehrliche Vertagung des Gegenstandeszur Besinnung auf Gesamteuropa“ (Schiller 1991). Fürwahr,wenn wir die „Leerformel von der Politischen Union“ mit derLu heißer Euro-Emotionen und mit dem Wind hehrer Gip-fel-Deklarationen füllen statt mit der Erfahrungssubstanzökonomischer Langzeit-Kooperation, dann werden wirSturm in Europa ernten. Kein geringerer als Immanuel Kanthat uns gelehrt, daß es der Handelsgeist ist (und nicht der po-litische Gestaltungstrieb), der als Triebkra und Garant einerinternationalen Friedensordnung dienen kann.Selbstverständlich muß es den Bedächtigen unter den An-hängern des Europäischen Traums gestattet bleiben, über denOrdnungsrahmen für eine europaweite freie Marktwirtschahinaus an einer staatenbundlichen Verfassung zu feilen, weilauch politische Prozesse perspektivische Fixierungen am Zu-kunshorizont benötigen, aber der sozio-ökonomischen In-

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tegrationsdynamik evolutorischer Märkte gebührt auch dannPriorität. Ganz so, wie es in den beispielgebenden AnalysenGerd Habermanns sichtbar wird, wenn er einerseits die Ver-fassungen des Deutschen Bundes, der Schweiz vor 1848 (!)und (in Teilaspekten) des Deutschen Reiches von 1871 alsAnregungen für eine europäische Konstitution herausschält,andererseits aber unverschnörkelt erklärt: „Die Träger vonSouveränität in Europa werden die nationalen Völker undRegierungen bleiben, da ein »souveränes« europäisches Volknicht vorhanden ist und sich in historisch überblickbarenZeiten auch nicht bilden wird.“ Man solle sich – so Haber-mann weiter – nicht um die künstliche Entwicklung einereuro-nationalistischen oder euro-kollektivistischen Ideologiebemühen, weil man damit nur das Wertvollste an Europa, dieVerschiedenheiten, zugunsten abstrakter Gemeinsamkeitenzurückdrängen müsse. „Der eigentliche Integrator jenseitsder Institutionen kann nur der Markt und der »Freihandelder Begriffe und Gefühle« (Goethe) sein“ (Habermann 1992).Etwas zugespitzter noch sei hier der Schluß gezogen: Es kann(vorerst) nur einen einzigen tauglichen Verfassungsentwurffür Europa geben, nämlich einen marktwirtschalichen Ord-nungsrahmen für eine europaweite Wirtschasunion. Umge-kehrt formuliert: Es gibt kein geeignetes Verfassungsmodellfür ein freies, friedliches und prosperierendes politisch unier-tes Europa, solange die Einzelstaaten der Gemeinscha (undihre Bürger!) nicht bereit und in der Lage sind, ihre jeweilsureigene ordnungspolitische Verwahrlosung zu revidieren,ihrem verteilungspolitischen Interventionismus und sozial-politischen Illusionismus abzuschwören, ihren industrie-,beschäigungs- und konjunkturpolitischen Dirigismus ab-zuschaffen, und ihren fiskalterroristischen Gigantismus undKleptokratismus aufzugeben. Mit keinem Rechtsgebilde derWelt kann man eine Anzahl von zwölf oder neunzehn Dirnen

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in eine Jungfrauen-Kongregation verwandeln, und schon garnicht, indem man sie in ein gemeinsames Etablissement zu-sammenführt und ihnen eine keusche Satzung an die Haus-tür nagelt.

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II. Demokratie-Defizit und Defizit-Demokratie

„Lebenswichtig ist die Unterscheidung zwischen be-schränkter und unbeschränkter Regierung. Hiermitverglichen, ist die Unterscheidung zwischen gewählterund nicht-gewählter Regierung im Hinblick auf Frei-heit und Prosperität unbedeutend.“Gerard Radnitzky (1991a; Übers. d. Verf.)

1. Besteht in der EG ein »Demokratie-Defizit«?„Demokratie-Defizit“ ist ein euphemistischer Ausdruck fürdas bestehende un- oder gar anti-demokratische Skandalonder Gemeinschas-Institutionen und ihrer Verfahrensweisen.Schauen wir uns die wichtigsten EG-Organe noch einmal an:Das oberste (ständige) Organ der EG, der Ministerrat, setztsich aus je einem Mitglied der Regierungen der Mitgliedslän-der zusammen (je nach zu behandelndem ema meist ausden entsprechenden Fachministern). Die Europäische Kom-mission bildet die Spitze der EG-Verwaltung. Sie setzt sich aus17 Kommissaren zusammen, welche von den Regierungender Mitgliedsstaaten (in gegenseitigem Einvernehmen) ernannt werden. Der Europäische Gerichtshof fungiert alsoberstes Kontrollorgan der EG. Seine Richter und General -anwälte werden von den Regierungen der Mitgliedsländer er-nannt. Als Europäischer Rat läßt sich das zwei- bis dreimaljährlich stattfindende Zusammentreffen der Regierungschefsder Gemeinscha titulieren. Er steht hierarchisch also nochüber dem Ministerrat und ist (sporadisch) das höchste Ent-scheidungsorgan der EG.Wohin man also blickt: Regierung, Regierung, Regierung,Regierung. Eine Exekutiv-Orgie. Wo, fragt sich der besorgteDemokrat und Rechtsstaatler, bleibt die Legislative, also dasParlament als gesetzgebendes, vor allem aber auch als das die

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Exekutive kontrollierende Organ?! Die Antwort ist ebensoungeheuerlich wie besorgniserregend: In der EG besteht dieLegislative eben aus lauter Exekutiven! In einer Informations-broschüre mit dem Titel »Europa transparent« (Brückner /Przyklenk 1991) liest sich das ganz harmlos: „Der Ministerrat… ist das Gremium, in dem die Entscheidungen getroffen,die Gesetze gemacht werden. Da im Ministerrat die Regie-rungen der einzelnen Mitgliedstaaten der EG vertreten sind,wird die Legislative der EG faktisch durch die Exekutive derMitglieder ausgeübt.“ John Locke würde wohl bestürzt insein 17. Jahrhundert zurückfahren, wenn er heute auf diesenText stoßen würde. Und wenn er dann noch Einsicht in denKatalog der „Rechte“ des Europäischen Parlaments nehmenkönnte, so würde er gewiß konstatieren, daß das als „Parla-ment“ bezeichnete Feigenblatt der EG weniger Kompetenzenhat als das Englische Parlament zu Zeiten des Diktators Oli-ver Cromwell.John Locke hatte die Gewaltenteilung (prinzipielle Trennungvon gesetzgebender und gesetzesvollziehender Gewalt) ja ge-rade damit begründet, daß es gefährlich für die Freiheit desStaatsbürgers sei, wenn die Legislative die von ihr erlassenenGesetze auf den konkreten Fall anwenden könnte statt auf sol-che allgemeingültigen Regeln, von denen die an der Gesetz -gebung Beteiligten befürchten müssen, daß sie irgendwann anihnen selbst „exekutiert“ werden könnten. Genau diese der demokratisch-rechtsstaatlichen Gewaltenteilung hohnspre-chende und auf den konkreten Fall ausgerichtete Gesetzge-bung betreibt jedoch der EG-Ministerrat.14 Ein kombiniertes

14 Seine gesetzgeberische Funktion kann der Ministerrat erfüllen durch:Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellung-nahmen. Verordnungen sind das wirksamste Mittel, EG-Recht verbindlichdurchzusetzen. Sie stehen über dem nationalen Recht in allen Mitglieds -ländern. Die Richtlinie setzt Ziele, die von den Mitgliedstaaten – meist mit

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Quasi-Exekutiv / Legislativ-Organ scha sich seine eigenenRechtsgrundlagen praktisch nach Belieben und bleibt – dassetzt dem Brüsseler Neo-Absolutismus die Krone auf – auchnoch bar jeglicher parlamentarischer Kontrolle beim Vollzugder Gesetze (über die Kommission). (Die Kommis sion hat sichbisher nur freiwillig einer gewissen Kontrolle ihrer Kompeten-zen unterworfen.) Auch durch die moderaten Töne hochran-giger Kommentatoren sollte man sich nicht über diese Tragö-die in der abendländischen Rechtsgeschichte hinwegtröstenlassen. So, wenn beispielsweise der Lausanner EuroparechtlerRoland Bieber schreibt: „Das Europäische Parlament ist bishernicht »der Gesetzgeber« der Gemeinscha. Gesetzgebung er-folgt in erster Linie durch den Rat auf Initiative der Kommis-sion … Als Dauerzustand … verstieße diese ungleichgewich-tige Stellung des Europäischen Parlaments gegen die Grund-sätze demokratischer Machtausübung. Jedoch kann sie Recht-fertigung erfahren, wenn sie als Zwischenstufe in einem Pro-zeß institutioneller Differenzierung konzipiert ist, die parallelzur Ausdehnung der materiellen Rechtsetzung der Gemein-scha deren demokratische Fundierung verbreitert“ (Bie-ber 1991). Was immer man unter „Zwischenstufe“, „Prozeß in-stitutioneller Differenzierung“ und „demokratischer Fundie-rung“ verstehen mag, fest steht, daß die Gewaltenteilung imEuropa von Brüssels Gnaden abgescha ist. Doch damit nichtgenug. Die europäische Exekutive (Kommission und – im ge-nannten Sinne – auch der Rat) wird nicht etwa „vom Volk“oder dessen parlamentarischen Vertretern gewählt, sondernvon den nationalen Regierungen ernannt. In einer Art institu-

zeitlichen Vorgaben – in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Ent-scheidungen beziehen sich auf Einzelfälle und betreffen meist nur ein bestimmtes Mitgliedsland, ein bestimmtes Unternehmen oder spezifischeInteressengruppen. Empfehlungen und Stellungnahmen sind hingegenrechtlich nicht zwingend.

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tionalisierter Erbmonarchie wird also die Exekutive aus derExekutive selbst geboren.Natürlich wird von den Euro-Jublern jeglicher Couleur im-mer wieder betont, daß die „eigentliche“ EG-Regierung,nämlich die Kommissare der Europäischen Kommission,zwar von den nationalen Regierungen entsandt werden, an-sonsten aber völlig unabhängig seien. Ebenso lapidar wietreffend hat der Journalist Christian Ramthun hierzu be-merkt: „Will einer von diesen [Kommissaren] zuhause nochetwas werden …, muß er sich für sein Vaterland einsetzen;und das heißt noch immer nicht Europa“ (Ramthun 1991).Außerdem, so kann man mit einigem bösem Willen anfügen,läßt sich die Behauptung, die Kommission sei weder den na-tionalen Regierungen noch den Parlamenten der Mitglieds-länder verpflichtet, auch anders auslegen, nämlich: weder vonden einen noch von den anderen kontrolliert.Schließlich unterliegt sogar die dritte Säule der rechtsstaat -lichen Gewaltenteilung, die europäische Judikative, demBannkreis der Exekutiven, indem die Richter des Europäi-schen Gerichtshofs von den Regierungen der Mitgliedstaatenernannt werden. Die Würdenträger der höchsten Gerichts -instanz Europas sind zwar rechtlich unabhängig, aber das än-dert nichts an der Tatsache, daß die Ernennung von Richtern(ausschließlich) durch Exekutiv-Organe prinzipiell bedenk-lich bleibt.„Im Grunde genommen“, faßt Hans-Dieter Schoen das Spek-takel in einem Satz zusammen, „hat man es hier mit einembürokratisch-diktatorischen Regime zu tun, welches dasrechtsstaatliche Mäntelchen von den Staatssekretären demo-kratischer Mitglieder umgehängt erhält“ (Schoen  1991,Nr.  31-32). Und der Europa-Parlamentarier Rudolf Lusterentrüstet sich: „Es geht nicht an, daß in der EG als überwöl-bender und vorrangiger rechtlicher Einheit weniger Demo-

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kratie herrscht als in ihren Gliedstaaten“ (Luster 1990). Lusterwar es auch, der als einer der ersten Kritiker auf die latenteVerfassungswidrigkeit der EG-Prozeduren hingewiesen hat.Einige Verfassungen von Mitgliedstaaten (auf jeden Fall dasdeutsche Grundgesetz) untersagen die Übertragung von Ho-heitsrechten auf zwischenstaatliche oder supranationale In-stitutionen, wenn deren Grundsätze von Demokratie undGewaltenteilung minderen Standards sind. Was aber wäre einwichtigeres Hoheitsrecht als die Gesetzgebung, und waskönnte vergleichsweise minderen demokratischen Standardssein als der autokratische EG-Syndikalismus. Als markantesBeispiel für den Demokratieverstoß der Euro-Gesetzgebungführt Luster die EG-Agrarpolitik an und tadelt: „Ihre Fehler-haigkeit konnte sich nur hinter den verschlossenen Türendes Ministerrats in jeweiligen wahlabhängigen Do-ut-des-Geschäen entwickeln. In öffentlicher Debatte und Entschei-dung des Parlaments wäre eine solche Gefahr minimiert wor-den.“ Es ist wohl keine Übertreibung, vor diesem Hinter-grund die Feststellung zu treffen, daß die rund achttausendGesetze und weit über tausend Richtlinienbestimmungen,die bisher von der EG ergingen, außerhalb des Rahmens de-mokratischer Spielregeln zustandegekommen sind. (Inzwi-schen hat jedes zweite deutsche Gesetz seinen Ursprung nichtmehr in Bonn, sondern in Brüssel.)Man beachte also: Bei der systematischen, permanenten und(schlußendlich angestrebten) vollständigen Kompetenzver -lagerung von den nationalen, gewählten Parlamenten (Volks-vertretungen!) auf die Gemeinschasinstitutionen Minister-rat und Kommission handelt es sich nicht um den Übergangvon Kompetenzen nationaler Parlamente auf ein internatio-nales Parlament, sondern um die Übertragung der Rechte,Zuständigkeiten, Pflichten und Legitimitäten von kontrollie-rend-legislativen Volksvertretungen auf Regierungsorgane.

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Ein ungeheuerliches Schauspiel der Ent-Demokratisierungeines ganzen Kontinents. Die Nationen Europas haben ihreheutigen demokratischen Verfassungen in einem Jahrhun-dert-Ringen und mit Strömen von Schweiß, Blut und Tränenerworben, aber Tag für Tag werden diese Errungenschaennun mit Federstrichen aus Eurokratentinte in Nichts auf -gelöst oder einem quasi-autokratischen Exekutiv-Molochausgeliefert. Und dennoch: Nichts rührt sich in und vor dendeutschen Pantoffel-Kinos. Stumpfsinn bleibt Trumpf; wennauch mit Unterhaltungswert. Wenn etwas wahr ist an demSpruch, daß jedes Volk die Regierung hat, die ihm gebührt,dann möge in Dreiteufelsnamen über alle, denen nur Ram-bo  I und Rambo  II ans Herz zu rühren scheint, nunRambo III kommen, der Euro-Rambo nach Brüssels Regie.Doch auch unabhängig von allen staats- und verfassungs-rechtlichen Erwägungen kann man sich das Demokratie-Defizit – besser: den Demokratie-Skandal – im Europa derBrüsseler Strategen nicht besser vor Augen führen als am Bei-spiel des Maastricht-Beschlusses zur Währungsunion: Manstelle sich nur vor, eine der deutschen Parteien hätte den Vor-schlag gemacht, die D-Mark abzuschaffen und gegen eineWährung auszutauschen, deren Umtauschverhältnis undKauraentwicklung niemand vorhersagen kann. Die Tu-multe im Parlament, den Aufschrei im Volk, und den Verbal-krieg in den Medien, welche eine derart abstruse Idee erzeugthätte, kann man sich lebha ausmalen. Ganz anders jetzt, dasich die Regierungschefs in Maastricht zusammengesetzt undzwölf nationale Währungen mit einem Federstrich „unwider-ruflich“ zu Grabe getragen haben. Da gab und gibt es zwar daseine oder andere Ach und Weh und ein paar besorgte Seufzer,aber von Demokratie-Defizit, ja von der völligen Abwesenheitjeglicher demokratischer Mindestspielregel kaum ein Wort.Schweigen im Walde. Man ist geneigt, mit Goethe fortzufah-

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ren: „Warte nur, balde …“ Da mag sich zwar Otto Graf Lambs-dorff zurecht wundern: „Wenn das wirklich so ist, daß fünfzigProzent der Deutschen Angst haben [vor der Abschaffung derD-Mark], dann frage ich mich, warum die warnenden Zeige-finger erst gehoben wurden, als die Politiker schon in ihrenFlugzeugen und Limousinen saßen, um nach Maastricht zufahren“ (Lambsdorff 1991); aber so ist das eben und so wird esweitergehen im Europa der Alles-Macher.Bisweilen ist das Argument zu hören, eine aus Vertretern dernationalen Regierungen bestehende Europa-Exekutive sei jaschon deshalb „demokratisch legitimiert“, weil die jeweiligennationalen Regierungen demokratisch legitimiert seien. Die-ser Einwand ist falsch! Ein einfaches Rechenexempel: Neh-men wir an, fünf der zwölf EG-Länder hätten – über entspre-chende Parlamentsmehrheiten – eine konservative oder libe-rale Regierung gewählt; die übrigen sieben eine sozialistische.Dann wäre die EG-Regierung – gemäß dem auch dort gelten-den Mehrheitsprinzip – sozialistisch. Das würde bedeuten:Auch jene fünf Länder, welche jeweils eine konservative und /oder liberale nationale Regierung gewählt hätten, würden„supranational“ sozialistisch administriert werden. (Es ist sicher kein Zufall, daß die demokratische SchwindsuchtEuropas während der EP-Präsidentscha des Sozialisten En-rique Barón Crespo nur selten und nur sehr verhalten beklagtwurde. Der Sozialismus braucht immer ein Gesetzgebungs-und Regierungsmonopol „aus einem Guß“, um seinen Um-verteilungs- und Gleichheitswahn wider alle menschlicheNatur und wider alle ökonomische Vernun durchsetzen zukönnen.)Damit ist jedoch das „Demokratie-Defizit“ in der EG längstnicht vollständig umrissen. Der beschriebene Vorgang, alsodie Übertragung von Hoheitsrechten der nationalen Parla-mente (oder Regierungen) auf nicht-parlamentarische (oder

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nicht-gewählte) EG-Organe, impliziert ein weiteres Faktum,welches zwar als zwangsläufige Selbstverständlichkeit aus denbisherigen Ausführungen folgen mag, aber dennoch geson-derter Erwähnung bedarf: Im Zuge der Kompetenzübertra-gungen verlieren die nationalen Volksvertretungen (und Re-gierungen) immer rascher und umfassender ihre bisherigeFunktion und Entscheidungsmacht. Im gleichen Ausmaßbüßt der Bürger seinen Rang als Souverän des politischenGeschehens in seinem Heimatland ein. Diese Übertragungenerfolgen jedoch nicht etwa durch jeweils nationalen Parla-mentsbeschluß, sondern durch einfaches Kopfnicken deramtierenden Regierung. Mit jedem einzelnen Mandat, dasdie Bundesregierung (oder überhaupt jede nationale Regie-rung) an die EG abgibt, verlieren auch Parlament und Bürgerungefragt und automatisch ein Stück ihrer Souveränität.Gleichzeitig entledigt sich die betreffende nationale Regie-rung eines Teils ihres Auragsvolumens, das ihr Volk undVolksvertreter anvertraut hatten. Noch schlimmer: Gleich-zeitig wird dieses Souveränitätssegment dem demokrati-schen Prozeß überhaupt entzogen. Sarkastisch kommentiertder Journalist Wolfgang Philipp: „Was erst einmal in die Zu-ständigkeit der Brüsseler Bürokratie fällt, ist mit dem Stimm-zettel kaum mehr zu beeinflussen, wozu noch wählen?“ (Phil-ipp 1989). Und nach Maastricht schrieb der »Handelsblatt«-Korrespondent Eberhard Wisdorf: „[Es] kann dem europäi-schen Bürger nicht deutlich genug gesagt werden, daß derSkandal undemokratischer Verfahren in der EG anhält, selbstwenn versucht wurde, dies mit einer sogenannten Unions-bürgerscha zu übertünchen“ (Wisdorf 1991).Auch nach den zaghaen Streicheleinheiten des Maastricht-Vertrages für die Europaparlamentarier können europäischeRechtsakte vom Ministerrat verabschiedet werden, die wedervon den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten noch

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vom Europäischen Parlament beraten und gebilligt wordensind. Diese Rechtsakte können – in Form der Gemeinschas-verordnung – unmittelbar geltendes nationales Recht wer-den. Genau besehen haben die Parlamente der Mitgliedslän-der sogar dort ihre Entscheidungs- und Kontrollhoheit einge-büßt, wo sie ganze Vertragswerke europäischen Primärrechts(wie den Maastricht-Vertrag) „ratifizieren“ dürfen oder müs-sen. Auf die tausend Bausteine solcher Vertragswerke habensie nämlich keinen Einfluß mehr, weil sie nur das Gesamtpa-ket akzeptieren oder ablehnen können. Zunehmend werdendie Repräsentanten der europäischen Völker zu Befehlsemp-fängern der EG. Sie vertreten nicht mehr das Volk, sondernsind, selber entmündigt, Zuschauer bei der Entmündigungihrer Wähler und Mandatsgeber. Der erniedrigende Prozeßist mit dem Begriff „Schleichende Entparlamentarisierung“(Albert Bleckmann) nicht hinreichend desavouiert; besserwäre: Galoppierende Totalisierung der EG-Exekutiven undZwangspensionierung der Nationalparlamente.Es bleibt festzuhalten: Mit der Übertragung von Zuständig-keitsblöcken an die europäische Zentrale werden jeweils gan-ze „Entscheidungs-Kaskaden“ (Philipp 1989) dem demokra-tischen Verfahren entzogen. Im gleichen Takt werden die de-mokratisch legitimierten nationalen Regierungen immerohnmächtiger, die demokratisch nicht-legitimierte BrüsselerZentrale immer mächtiger.

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2. Kann das Demokratie-Defizit behoben werden?

„Schon ist mit der unverantwortlichen Direktwahl desEuropäischen Parlaments der Weg der Konföderationund der Subsidiarität verlassen. Je mehr Kompetenzendieses Parlament im Namen eines phantomhaften »europäischen Volkes« an sich ziehen wird, desto mehrwerden die europäischen Völker das Recht eigener Initiativen einbüßen. Gewinnen können nur jene, diezum wachsenden Troß der »Eurokraten« gehören, dieeuropäischen Politiker und Beamten.“Gerd Habermann (1991b)

Es gilt als weitverbreiteter Gemeinplatz, daß das Demokratie-Defizit der EG nur durch eine Aufwertung des EuropäischenParlaments in Straßburg behoben werden könne. Stolz ver-weisen die Protagonisten der Politischen Union Europas aufden Vertrag von Maastricht, der dem Europa-Parlament einbeschränktes Recht zur Gesetzesinitiative und ein erweitertesMitentscheidungsrecht gegenüber Kommission und Rat ein-geräumt habe. Hierzu ist zunächst anzumerken, daß ein „be-schränktes“ Initiativrecht einer echten Volksvertretung un-würdig ist. Außerdem wird die hochtrabend auf den Namen»Co-Decision« getaue Erweiterung der Parlamentsbefug-nisse in den Euro-Etagen bezeichnenderweise nicht »Mitent-scheidung« oder »Mitbestimmung« genannt, sondern »Pro-cedere nach Artikel 189 b und c«. Tatsächlich handelt es sichhierbei um ein kompliziertes und langwieriges Verfahren,welches den parlamentarischen Mit-Entscheidungsprozeß ineinen lächerlichen Eiertanz zwischen Kommission, Parla-ment, Rat und Vermittlungsausschuß verwandelt. Zudem istnatürlich einzuwenden, daß ein wahrha demokratischesParlament allein über Gesetze entscheidet. Sind Gesetze ver-abschiedet, so hat die Regierung sie durchzusetzen und die

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Volksvertreter haben im Verein mit der Justiz die ordnungs-gemäße Durchführung zu überwachen. Ein Parlament, dasnur mitentscheidet, ist ein demokratischer Zwitter, besser:das Feigenblatt einer Quasi-Diktatur.Doch derlei pseudodemokratischer Mummenschanz ist nichtdes Pudels Kern in der Demokratiedefizit-Frage. Den eigent-lichen Knackpunkt hat am treffendsten Gerd Habermann her -ausgeschält (s. a. obiges Motto), wenn er schreibt: „Real sindnur die europäischen Nationen [nicht das »europäische Volk«,das es nicht gibt]. Darum ist die Direktwahl des EuropäischenParlaments im Grunde eine Absurdität, und jede Erweiterungder Vollmachten dieses Parlaments ist eine Fehlentwicklungweg vom Föderalismus und hin zum Einheitsstaat“ (Haber-mann 1991a). Weil also ein »europäisches Volk« nicht exi-stiert, sondern nur europäische Völker, kann es auch keinewahrha demokratisch legitimierte europäische »Volksver-tretung« geben. Das vielsprachige Straßburg ist viel zu weitvon den Bürgern in Kopenhagen, Athen, Lissabon oder Paler-mo entfernt – nicht nur im geographischen Sinne. Zur demo-kratischen Legitimation einer Regierung gehört auch das„Festmachen“ von Politik an Personen, zuvorderst an der Fi-gur des Präsidenten (oder Kanzlers). Mit dem zunehmendenVerfall traditioneller Autoritäten in Familie, Kirche, Schuleund Berufsumfeld geht erst recht (als massenpsychologischerErsatz) der Starkult einher, oder das, was Raymond Aron die„Personalisierung politischer Macht“ nennt. Wie, so muß mansich vor diesem Hintergrund fragen, sollen sich deutsche Bür-ger mit der Person und Politik eines griechischen Europa-Präsidenten identifizieren können – oder Spanier und Iren miteinem deutschen Regierungschef für das Vereinte Europa?!Hinzu kommt, daß schon die Zusammensetzung der Straß-burger Versammlung jeglicher demokratischer Mindestan-forderung Hohn spricht. Derzeit vertritt jeder der 81 deut-

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schen Europa-Abgeordneten rund 980.000 seiner Landsleute,einer der 81 französischen jedoch nur 701.000 – und jeder dersechs Luxemburger Repräsentanten gar nur 67.000 Bürger sei-nes Heimatlandes. Eine wählerverhöhnende Asymmetrie,welche den Sprachenskandal in den EG-Institutionen noch inden Schatten stellt. (Deutsch unter „ferner liefen“, obwohl diequalifizierte Sprachenmehrheit der vertretenen EG-Bürgerbeim deutschen Idiom liegt.) Gleiches oder Ähnliches gilt fürdie meisten der übrigen Gemeinschasinstitutionen. Auch imMinisterrat beispielsweise entspricht die politische Repräsen-tanz Deutschlands weder dem Bevölkerungspotential nochdem wirtschalichen Gewicht des Landes und wiegt die Stim-me Luxemburgs genauso schwer wie die deutsche. Auch wennsich für derlei Zahlen arithmetik nicht nur negative Argumen-te finden lassen, so stimmt doch bedenklich, daß es spätestensnach dem Beitritt weiterer Kleinstaaten zur Dominanz derZwerge über die Riesen kommen kann.Auf jeden Fall bleibt festzuhalten, daß das »Demokratie-De-fizit« Europas durch die vielbeschworene »Stärkung des Eu-ropäischen Parlaments« nicht behoben werden kann. DasGegenteil ist zutreffend: Je mehr Mit- oder Allein-Entschei-dungsrechte der Straßburger Versammlung übertragen undzugebilligt werden, desto bürgerferner und legitimations-fremder werden die pseudodemokratischen Abläufe und de-sto gebrechlicher und kraloser werden Geist und Prinzipiender Demokratie auf dem alten Kontinent.

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3. Das eigentliche Demokratie-Defizit in Europa

„Nicht jede Alleinherrschaft darf ohne weiteres König-tum heißen, sondern nur die, welche von den Unter -tanen als solches anerkannt wird und die das Regimentmit Einsicht, nicht mit Gewalt und Terror führt. …Ebenso auch nicht als Demokratie ein Staat, in dem eine beliebige Masse Herr ist, zu tun, was ihr beliebt.Wo man jedoch nach Vätersitte die Götter fürchtet, Vater und Mutter ehrt, vor einem Älteren Respekt hat, den Gesetzen gehorcht, wenn sich in einer solchenStaatsordnung durchsetzt, was der Mehrheit richtigscheint, dort ist die Bezeichnung Demokratie am Platze.“Polybios, ca. 200-120 vor Christus, in: Die Römische Staatsverfassung

Die Freiheit ist ein äußerst zerbrechliches, fast flüchtiges Er-eignis. Obwohl man deshalb bezüglich der Gefährdung derFreiheit nicht wachsam genug sein kann, bräuchte man ange-sichts der Aushöhlung der demokratischen Prinzipien beimBau des europäischen Hauses nicht gleich in Panik zu gera-ten, wenn die Demokratie in Deutschland (und bei unserenEG-Nachbarn) auf wirklich soliden Fundamenten stünde.Leider ist das nicht der Fall. Wer den bundesdeutschen (oderanderwärtigen) Politzirkus mit Demokratie verwechselt, hatsich mit dieser Regierungsform noch nicht hinreichend be-schäigt und sieht nicht, in welchem Ausmaß die Parteienden Souverän, nämlich den Bürger, bereits entmachtet undentmündigt haben. Das falsche Demokratieverständnis, wel-ches die europäischen Nationen wie eine tödliche Seucheheimsucht, hat dazu geführt, daß alle sogenannten „demo-kratischen Rechtsstaaten“ unseres Kontinents sich zu poten-tiellen und bis zu einem gewissen Grad bereits faktischen Ty-

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ranneien entwickelt haben. Tyranneien einer Allzuständig-keits- und Umverteilungs-Nomenklatura, welche den frei-heitssichernden Bereich der Privatentscheidungen der Bür-ger unablässig zugunsten politischer Kollektiventscheidun-gen einschränkt und zurückdrängt. In beispielloser Perver -sion des Mehrheitsprinzips werden nach und nach alle Le-bensbereiche „demokratisiert“ und somit den Mechanismenund Institutionen politischer Willensbildung übereignet undunterworfen. Diese „totalitär-plebiszitär-populistische Ty-rannis“, wie Erik von Kuehnelt-Leddihn den schrankenlosenDemokratismus nennt, hat nichts mehr gemein mit jenemfreiheitlichen Führungspostulat, das der große Gelehrte als„minimales Regieren von der höchsten Qualität anstelle einesmaximalen Regierens durch qualitätslosen Amateurismus“umschreibt (Kuehnelt-Leddihn 1990).Bei aller „Politikverdrossenheit“ entgeht doch dem Durch-schnittsbürger (als Wähler, Konsument und Steuerzahler) derwahre Kern der Misere, nämlich der Austausch freiheitlich-rechtsstaatlicher und ordnungspolitischer Substanz des Ge-sellschaskörpers gegen inhaltslosen demokratischen Me-thoden-Formalismus. Die Methode zur Installation (und zumWechsel) von Regierungen, welche – einmal gewählt – aufdas unbedingt erforderliche Maß hoheitlicher Administrati-on beschränkt bleiben sollten, wird dazu mißbraucht, alle so-zio-ökonomischen Belange der Bürger in den Bannkreis derPolitik und somit in Funktionärshand zu ziehen. Als nun-mehr alle Lebensbereiche des Staatsbürgers beherrschendesProzedere hat sich das Verfahren unversehens zum Inhalt unddamit zu einer totalitären Ideologie gemausert. Der Durch-setzung beliebiger politischer Zwecke ist nun keinerleiSchranke mehr gesetzt, wenn nur die („demokratische“) Me-thode als Alibi gewahrt bleibt. Entscheidend ist jetzt lediglichnoch die wirksame Bündelung der Interessen. Um den totali-

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tären Charakter des Vorgangs zu verschleiern, muß nur nochder Begriff des »Kollektiven« durch den karitativ aufgelade-nen Synonym-Terminus des »Sozialen« ersetzt werden, undLeviathans Herrscha ist sakrosankt und unwiderruflich. Im»Sozialstaat« ist Politik weitgehend identisch mit Vertei-lungspolitik. Verteilungspolitik wiederum ist nichts anderesals das gesellschaliche Spiegelbild der Machtverhältnisse or-ganisierter Interessen (zu Lasten der Nicht-Organisiertenoder Nicht-Organisierbaren – und das sind die Konsumentenund Steuerzahler). In diesem Entartungsstadium eines Ge-meinwesens kann auch „das Gesetz“ den Einzelnen nichtmehr vor den Raub-, Erpressungs- und Bestechungs-Paktender politisch-syndikalistischen Funktionärskasten schützen,sondern dient – entgegengesetzt – dem unheilvollen Spiel so-gar als Treibriemen. Mit den Worten des Finanzwissenscha-lers Guy Kirsch: „Daß dieser Verteilungskampf über die undin den Institutionen des einerseits zur Verteilungsagenturund andererseits zum Beuteobjekt der organisierten Inter -essen gewordenen Staates ausgefochten wird, ändert nichtsan der Tatsache, daß hier das Gesetz des Stärkeren gilt. Wodas Gesetz im Dienste der Mächtigen steht, verhindert dieMacht des Gesetzes nicht, wohl aber verschleiert sie, daß dasGesetz der Macht gilt“ (Kirsch 1991).(Es ist hier nicht der Ort, das ema »Wahre und falsche De-mokratie« zu vertiefen, zumal es in der einschlägigen Fach -literatur ausführliche Behandlung erfahren hat [s. u. a.: Rad-nitzky 1991a, Bandulet 1990, u. Baader 1991]; es sei lediglichangemerkt, daß die am wenigsten verfälschbare demokra -tische Form gesellschalicher Kooperation in einer weitge-hend politikfreien Marktwirtscha gegeben ist, denn dort hatjede vom Bürger ausgegebene oder zurückbehaltene Markden Charakter eines Stimmzettels, mit welchem der Einzelnein eigener Verantwortung und Entscheidungshoheit für das

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votieren kann, was er wünscht oder bevorzugt, und gegendas, was er ablehnt oder geringer schätzt.)Das also ist das eigentliche Demokratie-Defizit der euro -päischen Nationen. Und wenn für das Große Europa, für einePolitische Union, nicht ein „Besser“, sondern ein „Mehr“ ansolcher demokratisch getarnter Fäulnissubstanz gefordertund versprochen wird, dann rückt die Gemeinscha mit je-dem einzelnen „demokratischen Fortschritt“ näher an denAbgrund aus Willkür und Knechtscha, von dem sich die europäischen Völker so hoffnungsvoll zu entfernen glauben.Aus dem Abendland kann so rascher ein Nachtland werdenals seine ach so aufgeklärten Bewohner das für möglich halten. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß in der ge-planten Super- oder Supra-Nation Europa die OrganisiertenInteressen nicht schwächer, sondern noch mächtiger werden;ferner, daß gleichgeartete nationale Verbände und Syndikate,welche bislang auf internationaler Ebene Rivalen waren, sichkünig europaübergreifend „verständigen“ und formierenwerden. Fallen dem Verbraucher derzeit im Wettbewerb kon-kurrierender nationaler Interessen wenigstens die preis-dämpfenden Abfallprodukte des internationalen Lobby-Kampfes (in Form des innereuropäischen Wettbewerbs) zu,so wird die vereinigte Front der Syndikatsfürsten künignicht mehr gegeneinander, sondern in trauter Gemeinsam-keit nur noch gegen einen Feind marschieren: den Konsu-menten und Steuerzahler. In gleicher Weise müßte sich in Eu-roland die Konkurrenz länderspezifischer politischer Instan-zen um das europäische Human- und Finanzkapital verflüch-tigen und den vereinheitlichten Direktiven kontinentaler Po-litzentralen Platz geben. Alles verbrämt natürlich mit wahrenOrgien aus „demokratischen“ Wahlveranstaltungen. DieWohlfahrtsstaaten der EG haben der wahren Demokratielängst die Schwindsucht beschert, aber der internationale

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Wohlfahrtsstaat wird sie endgültig zu Grabe tragen. UferloseStaatsverschuldung und maßlose Haushaltsdefizite sind dieverräterischen Schleifspuren dieses Leichenzuges. Mehr alsüber das falschverstandene Demokratie-Defizit der anvisier-ten Union sollten sich die Bürger Europas um ihre nationalenDefizit-Demokratien sorgen, welche sie mit vereinten Kräf-ten und mit einheitlicher Währung in die Konkursbilanz zueinem europaweiten Staatsbankrott einzubringen trachten.

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III. Ist der Föderalismus in Europa noch zu retten?

„Staatsmacht einerseits und Wirtschafts- und Sozial-macht andererseits sind fortgesetzt gewachsen undmehr und mehr miteinander verbunden. Die Gegenge-wichte gegen diese Zusammenballung und Verdoppe-lung der Macht – Föderalismus, Gemeindeautonomie,Familie, Marktwirtschaft, Eigentum, Privatinitiative,wohlerworbene Rechte, die »corps intermédiaires« –sind in dieser Zeit und durch denselben Vorgang im-mer leichter geworden.“Wilhelm Röpke (1958, S. 192 f)

1. Wie föderalistisch ist Deutschland?Deutschland ist ein Bundesstaat. Es stellt sich deshalb dieFrage, ob die bundesrepublikanische Verfassung als Musterfür eine Europäische Verfassung dienen kann. Die Antwortist natürlich „nein“, denn Europa ist nicht Deutschland mitder sprachlichen Homogenität und der engen kulturellenVerwandtscha seiner Bundesländer. Doch unabhängig da-von läßt uns schon die Beobachtung der historischen Ent-wicklung des Föderalismus in der Bundesrepublik die Frageverneinen. Auch unser föderalistisch konzipiertes Grundge-setz hat nämlich nicht verhindern können, daß sich Deutsch-land in seiner kurzen Nachkriegsgeschichte in ein weitge-hend zentralistisches Staatswesen verwandelt hat.„Grundsätzlich gilt zwar die prinzipielle Allzuständigkeit derLänder“, schreibt Gerd Habermann, „tatsächlich hat jedochin den letzten Jahrzehnten – speziell über konkurrierendeGesetzgebung – eine umfassende politische Enteignung derLandeskompetenz stattgefunden. … Das angeblich aus demGleichheitsgrundsatz resultierende Postulat der »Gleichwer-tigkeit der Lebensverhältnisse« hat zu einer wahren Orgie der

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politischen Entrechtung der Bundesländer geführt. Nicht nurdas Steuerrecht ist praktisch Bundesrecht, selbst im Beamten-und Besoldungsrecht herrscht bundesweite Einheitlichkeit.Das tarifpolitische Kartell für die »politischen Betriebe« allerEbenen des Öffentlichen Dienstes ist wohl das Gegenteil des-sen, was einen föderalen Bundesstaat und eine echte kommu-nale Selbstverwaltung kennzeichnen sollte.“ Hinzu kämen –so Habermann – der horizontale Finanzausgleich, gleichlau-tende Verwaltungsvorschrien, Hunderte von Koordinie-rungsgremien und administrative Verflechtungen, sowie dieKonzeption von »Gemeinschasaufgaben«, welche allesamtfür Uniformierung sorgen und dem Konkurrenz-Föderalis-mus das Lebenslicht ausblasen (Habermann 1992).Trotz allem ist Deutschland noch immer wesentlich föderalergegliedert als die meisten seiner EG-Partner. Man vergleichenur die Trostlosigkeit der französischen Provinz (und denwachsenden zentralistischen Moloch Paris) mit der kulturel-len und industriellen Vielfalt der deutschen Länder und Ge-meinden. Lothar Späths „Musterländle“ ist eben noch immer– wenn auch rapide abnehmend – Ausdruck und Ergebnis ei-ner (ehemals ausgeprägteren) politisch-ökonomischen Kon-kurrenz auf Landesebene. Doch genau diesen letzten Restengebietshoheitlicher Eigenverantwortung und Entscheidungs-kompetenz geht es nun mit Großeuropa an den Kragen. ImKonzert der Einheitsstaaten Europas wird auch das föderali-stische Deutschland wie ein Einheitsstaat behandelt. Die per-manente Übertragung von Hoheitsrechten auf die EG voll-zieht sich (nach Art. 24, Abs. 1 GG) durch einfaches Bundes-gesetz ohne Zustimmung der Ländervertretung (Bundesrat).Damit wird jedoch seitens des Bundes auch selbstherrlichüber Kompetenzen verfügt, welche nach der grundgesetz -lichen Ordnung ausschließlich der Zuständigkeit der Ländervorbehalten waren. Es geht hier – wie der Verfassungsrechtler

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Professor Fritz Ossenbühl es formuliert hat – um nicht weni-ger als um die „Lebensfrage des deutschen Föderalismus“, in-dem der „verfassungsfeste Kompetenzbereich“ der Länderverfügbar und deren Verteidigungsposition nahezu aus-sichtslos geworden sei (Ossenbühl 1989a). Längst erstreckensich Brüsseler Regelungen und Direktiven auf ureigene Län-derzuständigkeiten wie Medienrecht, Kultur und Bildung,Verkehr und Abgaben. Die Länder verlieren nicht nur ihre le-gislativen Kompetenzen, sondern auch ihre angestammtenpolitischen Gestaltungsbefugnisse. Der Vorgang ist umso be-fremdlicher als er der deutschen Verfassung eindeutig zuwi-derläu. In Art. 79 („Änderung des Grundgesetzes“) Absatz 3heißt es unmißverständlich: „Eine Änderung dieses Grund-gesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder,die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzge-bung … berührt werden, ist unzulässig.“ Deutschland aber istmit diesem föderalistischen Rigorismus allein im EG-Kon-zert, und entsprechend schwach ist der Widerstand seinerLänderparlamente und -regierungen gegen die sukzessiveAushöhlung des innerdeutschen Föderalismus. Was sich seitJahren an Kompetenzverlagerung von unten nach oben ab-spielt, ist schleichender Verfassungsbruch. Für das Ergebnisdes makabren Treibens hat Josef Schüßlburner den treffen-den Namen gefunden: „Brüssel, Straßburg und Luxemburgmachen aus den deutschen Landtagen zunehmend Institutio-nen einer Spieldemokratie …“ (Schüßlburner 1992). Es stehtschon heute fest, wer der Verlierer des Spiels sein wird: derdeutsche Föderalismus, beziehungsweise das, was noch vonihm übrig geblieben ist.

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2. Europa der Regionen: Beteiligungsföderalismus statt Kompetenzföderalismus

„… nicht nur unter dem Aspekt der Würde, auch unterdem des Überlebens ist Dezentralisierung geboten,denn eine dezentral organisierte Gesellschaft ist weni-ger störanfällig als eine zentralistische. Das schließt dienötigen weltweiten Regelungen nicht aus.“Peter Kern (1984)

Die Besorgnis über den anhaltenden lautlosen Kompetenz-verlust der Länder und Regionen innerhalb der europäischenNationen führte im Herbst 1989 (auf bayrische Initiative) zurGründung der Konferenz »Europa der Regionen«. Die Ver-treter der rund fünfzig Teilnehmergebiete schlugen einendreistufigen Auau des künigen europäischen Bundesstaa-tes vor: Einen Föderalismus der unteren Ebene für Regionenund intranationale Gliedstaaten, sowie einen Föderalismusder oberen Ebene für die Bundesstaaten selbst. Darüber erstsolle die Unionsebene folgen. Im Oktober 1991 folgte alsdeutsche Initiative die Forderung aller 16 Bundesländer, dasVereinte Europa nach bundesdeutschem Vorbild föderali-stisch aufzubauen, insbesondere einen sogenannten Regio-nalausschuß mit starken Rechten zu installieren. Diese Be-mühungen mündeten schließlich im Dezember 1991 in derVerankerung einer neuen EG-Institution namens »Ausschußder Regionen« im Maastrichter Vertrag. (Als Zukunsvisionschwebt den deutschen Vertretern die Entwicklung des Re-gionalausschusses zu einer entscheidungsberechtigten Regio-nalkammer vor.)Diese und nachfolgende Vorstöße haben sich inzwischenzum Schlagwort »Europa der Regionen« verdichtet. Nicht al-len EG-Mitgliedern kommt die Bezeichnung freudig von denLippen. Im Gegensatz zu Deutschland könnten die zentrali-

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stischen Staaten der Gemeinscha – vor allem Frankreich –zwar relativ unbelastet in das Experiment eines föderal ge-stalteten Europa (Nationen-Föderalismus) eintreten, aber beieinigen gewinnt das ema eine ganz anders gelagerte undgefürchtete Brisanz. So schwelen zum Beispiel in Spanien seitlangem die Auseinandersetzungen unter den Regionen umdie Frage, ob sich Spanien nach deutschem Muster oder nachamerikanischem Vorbild in einen Bundesstaat wandeln soll.Nicht auszuschließen ist sogar ein Zerfall des spanischenZentralstaats in autonome Provinzen nach dem Vorreiter-Modell Kataloniens, Galiziens und des Baskenlandes. (Ne-benbei bemerkt sollte es der EG mit Blick auf ihre Kohäsions-und Strukturfonds zu denken geben, daß der Auflösungspro-zeß auf der iberischen Halbinsel nicht zuletzt wegen desübertriebenen Finanzausgleichs zwischen armen und reichenProvinzen an Schärfe gewinnt. Ein Gutteil der katalanischenAufmüpfigkeit rührt daher, daß diese reichste spanische Re-gion die Früchte ihres Gewerbefleißes mit den armen Vetternteilen muß.) Jedenfalls hat die Föderalismus-ProblematikEuropas für Deutschland eine ganz andere Dimension als fürdie übrigen EG-Partner. Trotz der beschriebenen Zentralisie-rungseskapaden möchten die Bundesbürger den innerstaat -lichen Wettbewerb der politischen (länderspezifischen) Kon-zeptionen nicht missen. Sogar seine traurigen Reste habensich noch als stabilisierendes Element des demokratischenBürgerbewußtseins und als Gerüst für countervailing powers(Balancegewichte gegen Machtballung) bewährt. Wird nunder Europäische Bundesstaat als Nationen-Föderalismusüber den vorhandenen Zweifach-Föderalismus (Länder /Kommunen) Deutschlands gestülpt, so eröffnet sich eine dü-stere Alternative: Entweder die bestehende Föderal-Substanzwird zugunsten des Nationen-Föderalismus des Europäi-schen Bundesstaates „trockengelegt“ – mit verderblichen Fol-

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gen für die junge deutsche Demokratie, oder es kommt zu Überkoppelungen, zu einem sich dreifach überlagerndenFöderalismus-Ungetüm – mit der Folge, daß die zentralstaat-liche Autorität atomisiert und in einem lähmenden Kompe-tenzen-Labyrinth handlungsunfähig wird. Überspitzt formu-liert haben die Deutschen in der Politischen Union Europasfür ihr eigenes Land nur die Wahl zwischen Einheitsstaat undAnarchie.Auch die Ansätze und Bestrebungen nach einer institutiona-lisierten Mitsprache der europäischen Regionen auf demBrüsseler Parkett können über diese Gefahr nicht hinwegtäu-schen. In den Worten von Fritz Ossenbühl besteht eben „zwi-schen Regionalismus und »deutschem Föderalismus« … einhimmelweiter Unterschied“ (Ossenbühl  1989b). Auch derVorschlag des bayerischen Staatsministers für Bundes- undEuropaangelegenheiten, Dr. omas Goppel, den deutschenBundesrat (als Ländervertretung) verstärkt und verfassungs-rechtlich institutionalisiert in die EG-Entscheidungsgremienund -mechanismen einzubinden, wird zur Rettung des bun-desrepublikanischen Föderalismus nichts Substantielles bei-tragen können. Jedenfalls nicht dauerha, denn die Interes-sen der parteilastig agierenden Bundesratsvertreter einerseitsund die Ambitionen der eher ethnisch-sprachlich ausgerich-teten Regionenvertreter anderer europäischer Länder ande-rerseits werden sich als inkompatibel erweisen. Außerdemkönnen solche Ambitionen ein geradezu paradoxes Ergebniszeitigen: Je mehr die Länderstimmen auf europäischer Ebenean Gewicht gewinnen, desto inhaltsloser werden die Rechtedes Bonner Parlaments und desto schwindsüchtiger die Souveränität der Bundesregierung. Das unvorhergeseheneEnde dieser Entwicklung könnte sein, daß die Deutschen aus ihrem europäischen Traum erwachen und feststellen, daß sie kein Bundesstaat mehr sind, sondern ein deutscher

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Staatenbund. Ein Staatenbund, der sich auf dem Weg zu einem supranationalen Bundesstaat befindet: welch ein Aber-witz! Welch eine Konfusion staatsrechtlicher Konstruktions-elemente. „Die Rede von einem Europa der Regionen“,schreibt der Soziologe Ralf Dahrendorf, „klingt sicherlich attraktiv. Warum sollte sich Internationalismus nicht mitdem Sinn für die Zugehörigkeit zu kleineren Einheiten ver-binden lassen? Als politisches Projekt indes kann das allerWahrscheinlichkeit nach nicht funktionieren. Es ist schlichtunmöglich, sich gleichzeitig auf größere und kleinere Räumedes politischen Handelns zu konzentrieren … Es steht da-her zu befürchten, daß Emotionen die Vernun aus dem Felde schlagen und der Regionalismus siegt. Ein Europa derRegionen ist in Wirklichkeit ein Rezept der Zersetzung undAuflösung“ (Dahrendorf 1992).Ein noch schwerwiegenderes Manko des Konzepts vom»Europa der Regionen « findet in den einschlägigen Dis -kussionen überhaupt keine Erwähnung, obwohl ProfessorOssenbühl schon 1989 darauf hingewiesen hat, daß hier ein„grundlegender Gestaltwandel des Föderalismus“ stattfindet,nämlich der Austausch des Kompetenzföderalismus gegen einen (im Widerspruch zum Grundgesetz stehenden) Be -teiligungsföderalismus. Was ist darunter zu verstehen? Die segensreiche Einrichtung föderalistisch gegliederter Verwal-tungs- und Entscheidungsorgane wird in der EG zum Wider-sinn: In vielen Bereichen, in denen Länder und Kommunenbisher eigenständig entschieden und vor Ort gehandelt haben(Ver- und Entsorgung, Verkehr, Wohnungswesen, Umwelt-,Gesundheits- und Verbraucherschutz), wird künig vonBrüssel aus hineinregiert, und diesen zentralen Dirigismusnennt man dann „föderalistisch“, nur weil Regionalvertreterin der Brüsseler Zentrale bei der Formulierung der Erlassemitreden und mitbestimmen dürfen. Es werden also bislang

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dezentrale Verwaltungs- und Entscheidungsorgane zentra -lisiert und lediglich die Zusammensetzung der Zentralinstitu-tionen „föderal“ gestaltet. Eine beispiellose Perversion des fö-deralistischen Prinzips. Dezentrale föderalistische Strukturenwerden ersetzt durch ein zentral verankertes, aber föderali-stisch zusammengesetztes Gremium. »Föderalismus«, richtigverstanden, kann doch nicht heißen, als kleineres politisch-verwaltungstechnisches Gebilde (Region / Kommune) in einem zentralistischen Verwaltungsorgan stimmberechtigtund vertreten zu sein, sondern darf nur bedeuten, vor Ort ineigener Zuständigkeit und Verantwortung möglichst vieleAufgaben wahrnehmen und erledigen zu können! Aber dasist noch nicht das Ende der Tragödie. Was die verfassungs-rechtlich nicht-föderal verankerten Regionen unserer EG-Nachbarn angeht, so fällt auf, daß seltsamerweise auch Staats-und Politikwissenscha versäumen, auf eine andere Unge-reimtheit aufmerksam zu machen. Darauf nämlich, daß einesupranationale Instanz, die sich aus Vertretern von Gebietenoder Ethnien zusammensetzt, welche innerregional kein ge-wähltes Parlament und keine eigene Verfassung besitzen (wasfür die meisten europäischen Regionen gilt), einen korporati-vistischen Charakter aufweist.Man muß es klar sehen und ebenso klar aussprechen: DasProblem, innernationalen Föderalismus und Nationen-Föderalismus auf europäischer Ebene miteinander in Ein-klang bringen zu wollen, ist ebensowenig lösbar wie die Qua-dratur des Kreises. Einerseits markiert jede Einschränkungder föderalistischen Regierungs- und VerwaltungsstrukturDeutschlands einen unerträglichen Verlust an erlerntem und erlebtem Demokratieverständnis, an Machtkontrolleund Freiheitsbalance. Andererseits wäre ein Aufpropfen desinnerdeutschen Föderalismus auf ein föderales Europa einentscheidungslähmendes Verwaltungsmonstrum – und zu-

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dem für die meisten Partnernationen ein unbekanntes, kon-struiertes Artefakt. Jeder Musiker oder Dirigent wird es unserklären können: Wenn man mit einem kleinen Chor höch-stens vierstimmig singen kann, dann eben mit einem großenChor nicht zwölf- oder zwanzig-, sondern ebenfalls nur vier-stimmig. Die Vorstellung, daß das zentralistische Frankreichbei einem solchen Gesang das Tenor-Solo schmettert, wäh-rend Deutschland sechzehnstimmig dazu brummt, mag Mu-sikliebhaber erheitern, aber eine politisch fixierbare Partiturist das nicht. Wer wollte – unter diesem Aspekt und ohne sei-ne föderalistische Überzeugung aufzugeben – nicht GünterStefan Cossmann recht geben, wenn dieser sich entrüstet:„Die nationalen Egoismen sind schon hinderlich genug aufdem Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa. Muß jetztunbedingt auch noch eine eigenständige »Regionalkammer«zur Interessenvertretung von mehr als 160 europäischen Gebietskörperschaen institutionalisiert werden – um dieohnehin schon komplizierten Entscheidungsabläufe zwi-schen Europaparlament, Ministerrat und EG-Kommissionnoch verwirrender zu machen?“ (Cossmann 1991).Mein eigenes Fazit: Wenn man auf das eine nicht verzichtenwill und das andere nicht realisierbar ist, dann gibt es nur eineintelligente Lösung: sein lassen! Wilhelm Busch: „Das Gute –dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man läßt.“Ein weiterer Aspekt, an anderer Stelle bereits angeschnitten,taucht hier, bei der Föderalismus-Debatte, wieder auf: In einer Studie des Ordinarius für Philosophie und politischeeorie an der Universität Zürich, Hermann Lübbe, zu »Na-tionalismus und Regionalismus in der politischen Transfor-mation Europas« wird die Frage gestellt, wie mit dem europa-politischen Gemeinplatz, die EG werde hochföderal sein odergar nicht erst zustande kommen, das Faktum verträglich sei,daß just die beiden größten föderal organisierten Vielvölker-

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staaten Europas zerfallen: die Sowjetunion und Jugoslawien.Lübbes Antwort lautet, es sei nicht mehr zur Evidenz zu brin-gen, wieso sehr heterogene und an ihrer Staatsfähigkeit nichtzweifelnde Nationen unter dem Dach eines (noch so födera-len) Superstaates vereint bleiben sollten. Und auch wenn die-se Völker von der Notwendigkeit zu Kooperation und Inte-gration überzeugt seien, so bezweifelten sie doch, daß es hier-zu der Einrichtungen eines Staates bedürfe (Lübbe 1990).Nun, genau diese Argumente meine ich (vielleicht in Abwei-chung von Lübbe) auch an die politische EG richten zu kön-nen; wobei hier nur das Perfektum durch ein Futurum zu er-setzen wäre: Während sich jene (Russen, Ukrainer, Balten,Kroaten etc.) die Frage stellen, warum sie politisch vereintbleiben sollten, müssen und werden sich die Europäer dies-seits von Ural und Kaukasus fragen, warum sie sich politischneu vereinigen sollen – und warum es zu den unbezweifeltenKooperations- und Integrationserfordernissen der EG staat-licher Einrichtungen bedürfe (wo doch freie Märkte undgleichgestimmte freie Ordnungsrahmen genügen). Europa,wie es jetzt besteht, als ein Europa der Nationen, aber ver-stärkt eingebunden in einen großen gemeinsamen Markt, dasist doch Föderalismus in Reinkultur! Eine Auflösung dieserStruktur zugunsten eines »größeren Ganzen« kann trotz allerverfassungsrechtlichen Regional-Basteleien nicht zu mehrFöderalismus führen, sondern nur zu weniger (oder zu einem„föderalistisch“ getarnten Chaos). Es sollte den Europhori-kern zu denken geben, daß die OECD (in ihrem Jahresbericht1990) angesichts der astronomischen Budgetdefizite der USAdie Empfehlung aussprach, eine Gesundungschance sei vorallem in der „Rückbesinnung auf den Föderalismus“ zu se-hen, weil die Wähler das Ausgabeverhalten der einzelnenGliedstaaten besser kontrollieren könnten als das gespenstigeFinanzgebaren des übermächtigen Leviathan in Washington.

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Für das politisch unierte Großeuropa zeichnet sich jedenfallsdie Gefahr ab, daß ein übernationaler europäischer Zentralis-mus – auch wenn er „beteiligungsföderalistisch“ verbrämt ist– nicht nur den Wettbewerb der Nationen (die „Konkurrenzder politischen Konzeptionen“) einengt, sondern auch denföderalistischen Wettbewerb innerhalb der einzelnen Ge-meinschasstaaten (also auf Länder-, Provinz- und Gemein-deebene) überdeckt, vermindert und erodieren läßt. DerEuro-Sklerose der Hauptorgane wird die Sklerose der Endge-fäße des Gemeinschaskörpers folgen. Bis zur Leichenstarreunseres Kontinents.

3. Subsidiarität: Die große Heuchelei

„Wenn das Unvermögen, welches subsidiär beseitigtwerden soll, nicht spezifiziert ist, wenn der Prozeß, indem es festzustellen ist, nicht feststeht und wenn offenbleibt, wer gegenüber wem welche Art von Unvermö-gen nachweisen muß und wer abschließend darüberurteilt, so bleibt das [Subsidiaritäts-] Prinzip eine Leer-formel.“Robert Nef (1992)

Obwohl der Subsidiaritätsbegriff bereits gestrei wurde (Er-stes Buch, III. 2. g.), soll er hier nochmals kurz aufgegriffenwerden, weil sein Inhalt in weiten Teilen mit dem deckungs-gleich ist, was mit wohlverstandenem Föderalismus gemeintist.Das der katholischen Soziallehre entstammende Subsidiari-tätsprinzip besagt – auf die EG übertragen –, daß nur solcheProbleme und Aufgaben auf Gemeinschasniveau gelöstoder geregelt werden sollen, welche auf einzelstaatlicher odergar regionaler (und kommunaler) Ebene nicht sinnvolleroder effizienter erledigt werden können. Nun kann sich der

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freiheitlich denkende Ordnungstheoretiker nur sehr wenigeAufgaben vorstellen, welche nach dem Effizienz-Kriteriumauf eine Euro-Zentrale verlagert werden müßten. Noch nichteinmal die »Gemeinsame Verteidigung«, die als beliebtes Ar-gument für „Subsidiarität von ganz oben“ herhalten muß. Dieeinzigartige Bewährung der Nato hat uns gelehrt, daß sichauch die souveränen Vielen in einer Verteidigungsgemein-scha einordnen können, welche zwar unter einem Ober -befehlshaber steht, jedoch weder eines gemeinsamen Heeresnoch einer supranationalen zentralistischen Obrigkeit be-darf. Außerdem gibt es nur sehr wenige Probleme, welche inverschiedenen Ländern und Regionen derart übereinstim-menden Inhalts wären, daß man sie besser einheitlichen Lö-sungen zuführen sollte. Wenn Subsidiarität den Bastlern despolitischen Großeuropas wirklich ein redliches Anliegen imbehaupteten Sinne wäre, daß nämlich die Zuständigkeit derMitgliedstaaten die generelle Regel und die Kompetenz derZentrale die Ausnahme bleiben müsse, dann würden sie dieohnehin bis zur Unkenntlichkeit ausgedünnten föderalisti-schen Strukturen Gemeinschaseuropas wenigstens so belas-sen, wie sie jetzt noch vorzufinden sind. Ja, sie müßten sogarden gegenwärtigen Zustand kopflastiger Kompetenzanhäu-fung in den Regierungszentralen der Gemeinschasstaatenanprangern und zugunsten unterer Gebietskörperschaen zubeheben suchen. Gerade in den Problembereichen, bei denendie politische Kaste ihren Bürgern einreden will, daß sie nurnoch „gesamteuropäisch“ lösbar seien, ist höchste Wachsam-keit und Skepsis angebracht. Meist verhält es sich genau um-gekehrt: sie wären nur unterhalb der gegenwärtigen Zustän-digkeitsebene sinnvoll und effizient zu bewältigen. Als Bei-spiel sei hier die Asyl- und Einwanderungsproblematik ange-führt. Niemand hat den wahren Kern der Misere besser undeindringlicher herausgeschält als der Hohenheimer Sozial-

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wissenschaler und Soziologe Franz Kromka, wenn erschreibt: „Um dem Einwanderungsproblem die zu erwarten-de soziale Sprengkra zu nehmen, ist alles zu tun, damit ne-ben einer realistischen, kontrollierten Immigrationspolitikdie Gemeinden zumindest hinsichtlich der ausländischenZuwanderer wieder über das Kooptationsrecht, zumindestein beschränktes, verfügen … Diejenigen, die im schlechtenwie im guten sehr direkt die Folgen der Zuwanderung zu tra-gen haben, müssen selbst – auf demokratischer Weise – dar -über befinden, ob es Zuzug überhaupt geben soll und – imFalle der Bejahung – wer zuziehen darf. Erfolgt die Zuwande-rung mit Zustimmung der Gemeindebürger, ist mit jenemVertrauensverhältnis und Verantwortungsgefühl zu rechnen,das die Assimilation der Fremden wesentlich erleichtert. DieSchweiz ist immer noch das beste Beispiel dafür, daß heimat-liche Verbundenheit, dezentrale Entscheidungsfindung undWeltoffenheit sich wechselseitig verstärken. Durch kein staat-liches Gesetz kann jenes Klima der Toleranz geschaffen wer-den, das der Immigrant für eine menschenwürdige Existenzbenötigt“ (Kromka  1992b, S.  240f). Und gerade eine „vonoben“ angeordnete Aufnahme von echten und – vor allem –von Scheinasylanten sei es, so Kromka weiter, welche zwangs-läufig zu Fremdenfeindlichkeit führe, und auf europäischerEbene zu jenem „Europäismus“ (Wilhelm Röpke), der dieÜberheblichkeit, Unduldsamkeit und Feindseligkeit des Na-tionalismus auf eine geographisch höhere Stufe übertrage.Doch die Euro-Subsidiaristen erzählen uns das krasse Ge-genteil. Entscheidungsunwilligkeit und Handlungsunfähig-keit, die nicht zuletzt Folge zentralistischer Kompetenzanma-ßung sind, sollen hinter dem Dauergeschwätz von der „euro-päischen Lösung“ verborgen werden. Und umso dringlicherwird die Euro-Union als Rettungsinsel für politische Verant-wortungsflucht beschworen. Als ob die Immigrationsproble-

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matik Deutschlands mit seinen Grenzen zu den Völkern Ost-europas vergleichbar wäre mit jener der Franzosen, Englän-der, Spanier und Portugiesen, die mit ganz anders gelagertenBeziehungen zu ihren ehemaligen Kolonialgebieten zu lebenhaben. Subsidiarität, richtig verstanden, darf nicht statischeFestlegung von Zuständigkeitshierarchien bedeuten, sondernmuß Vertrauen auf einen dynamischen Prozeß der Alltagser-probung unterer, dezentraler Entscheidungskörperschaenbeinhalten. Erst wenn sich in längeren Testphasen des prakti-schen politischen Lebens herausstellt, daß eine bürgernaheVerwaltungseinheit nicht mehr in der Lage ist, bestimmteAufgaben effizient zu bewältigen, darf die entsprechendeKompetenz an die nächsthöhere Administration übertragenwerden. In den seltensten Fällen kann man im voraus wissen,welche Abstufungen sich hierbei sinnvollerweise ergebenwerden. Doch derlei lebendige und evolutorische Prozessenach dem Verfahren des »trial and error« (Versuch und Irr-tum) sind den Brüsseler Planstrategen maßlos zuwider. Imgroßen Euro-Puzzle muß alles „seine Ordnung haben“. Auchdie Subsidiarität. Das Bestreben nach konkreter Fixierungvon Subsidiaritätsebenen für alles und jedes gibt nur beredteKunde von den wahren Ambitionen, die sich hinter der Euro-Phraseologie verbergen: Letztlich geht es bei der Aueilungvon Kompetenzen zwischen EG und Mitgliedstaaten um dasFestzurren politischer Machtansprüche. Alle anderen, vonden politischen Unionsfetischisten vorgeschobenen Motivesind verbale Beschwichtigungs-Akrobatik für ein zuneh-mend beunruhigtes Publikum. Die immer skurrilere Blütentreibende Alibi-Spiegelfechterei der EG-Funktionäre mitdem Subsidiaritätsbegriff kommentierte der Brüsseler Korre-spondent des »Handelsblatts«, Eberhard Wisdorf, denn auchtrefflich mit der Überschri: „Die große Heuchelei geht wei-ter“ (Wisdorf 1992).

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Schlußendlich handelt es sich beim Föderalismus- und beimSubsidiaritätsbegriff gleichermaßen um Kategorien des Wett-bewerbsprinzips, und dieses ist – das sei auch an dieser Stellemit Penetranz angefügt – am besten in europaweit freienMärkten aufgehoben. In einer am Konstruktionstableau derSozialingenieure entworfenen politischen Union Europas mitihrer zentralistischen Sogwirkung für Macht- und Kompe-tenzanmaßung haben beide keine dauerhae Überlebens-chance.

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IV. Ist die Lenkungssucht der Euro-Bürokratie vermeidbar?

„Die europäischen Behörden beschäftigen inzwischen25.000 Beamte und Angestellte. Ihre Interessen an Ein-kommens- und Einflußmaximierung decken sich mitder »Idee Europa«. Der Hochmut dieser »supranatio-nalen« Gruppe offenbart sich in jeder Verlautbarung.Sie sehen schon jetzt auf die europäischen Völker alsderen zukünftige Herren und Souveräne herab: aus derBrüsseler Vogelperspektive der Heimatlosen. … Es gilt,Europa vor den Eurokraten zu retten.“Gerd Habermann (1991b)

1. Vom (Un)Wesen der BürokratieEinige Gesetzmäßigkeiten und Fundamentalprinzipien derBürokratie gelten zeitlos und unabhängig von der Größe oderAufgabenstellung des Apparates.Sie lauten:– Vielfalt raubt den Überblick. Also muß sie beseitigt und

durch eine überschaubare Hierarchie hochdotierter In-kompetenz ersetzt werden.

– Verantwortung scha Prestige, macht aber auch Angst.Also muß sie so umdefiniert werden, daß jeder sich ihrerrühmen kann, aber keiner sie wirklich trägt.

– Privilegien, Sicherheit und Aufstiegschancen erzeugenLoyalität. Also darf diesbezüglich nicht gekleckert, son-dern muß geklotzt werden.

– Als „Verbesserung“ gilt nicht das, was den Bürgern dient,sondern das, was die Arbeit erleichtert. Also hat sich dieVerwaltung nicht an der Welt zu orientieren, sondern dieWelt hat sich nach der Verwaltung zu richten.

Zu allem weiteren: Schlag nach bei Cyril Northcote Parkin-

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son (Parkinsons Gesetz und andere Untersuchungen über dieVerwaltung, 1957).Selbstverständlich gelten diese Gesetzmäßigkeiten auch fürdie Euro-Bürokratie. Nach den einfachen Regeln der Addi tionsogar erst recht. Da sich jede einzelne Nation der EuropäischenGemeinscha im Verlauf des 20. Jahrhunderts dem Zustand»Fiskal-sozialistischer Dirigismus, etatistischer Interventio-nismus und populistischer Syndikalismus« so weit genäherthat, daß man nirgendwo mehr reinen Gewissens von einemFreiheitlichen Rechtsstaat reden kann, ist es umso illusori-scher, anzunehmen, daß eine politische Union aus derart de-generierten Gebilden etwas anderes ergeben könnte als einenins Unermeßliche gesteigerten Befehls- und Umverteilungs-Bürokratismus und eine massentotalitäre Funktionärs-Bon-zokratie. Stellt man die vorbenannte deutsche Entwicklung inden historischen Kontext, so erkennt man, daß sich die Len-kungsbürokratie jeweils an säkularen Katastrophen (Welt-krieg I und II) und sogenannten „Jahrhundert-Aufgaben“ ingewaltigen Schüben nach oben gehangelt hat. Nach einer kur-zen, von den Besatzungsmächten zwangsverordneten Atem-pause (Auflösung aller politischen und korporativen Vereini-gungen) diente im reicher werdenden Deutschland der Wohl-fahrtsstaat als Reckstange für neue akrobatische Klimmzügeund Höhenflüge des Staatsinterventionismus in Wirtschaund Gesellscha. Als sich schließlich die verschuldungsindu-zierte finanzielle Kapitulation und der politische Bankrott desGlückseligkeitsstaates am Horizont abzeichneten, kam diedeutsche Wiedervereinigung als säkulares Ereignis geraderecht, um den Rachen des bürokratischen Ungeheuers erneutklaerweit zu öffnen – mit der Folge einer beispiellosen ord-nungspolitischen Verwahrlosung in deutschen Landen alt undneu. Und nun, da der bundesrepublikanische Leviathan andem sperrigen Brocken zu ersticken droht, hat er sein nächstes

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Opfer schon ins Auge gefaßt: Europa bietet ihre blankenSchenkel für neue Freßorgien auf endlosen Funktionärs -banketten bereitwillig an. Die Bürger werden hinter den Soli-darpakt- und Gemeinschasopfer-Parolen längst nicht mehrgewahr, was sich hier mit Riesenschritten hin zu einer „neuenQualität der Ordnungspolitik“ – sprich: zu deren Demontage– abspielt. Und selbst bei vielen jener Auguren aus Wissen-scha und Publizistik, die sich bislang des Rufs nüchternerHellsichtigkeit erfreuen konnten, tri neuerdings der Hölder-lin-Vers: „Aber zuweilen liebt auch klares Auge den Schatten,und versuchet zu Lust, eh es die Not ist, den Schlaf.“ Wobei es zu beachten gilt, daß die politischen Enkel Erhards längstnicht zu den kläglichsten auf diesem Traumfeld zählen. Derdeutsche Begriff »Ordnungspolitik« ist weder in die Sprachenunserer Nachbarn übersetzbar noch wird seine Philosophiedort verstanden. Doch das ändert nichts an der traurigen Tat-sache, daß auch im Geburtsland des Ordoliberalismus dessendisziplinierende Kra längst erlahmt ist. Deutschland hat lan-ge von der reichen Substanz der Erhard’schen Mitgi gelebt.Nun ist sie verbraucht, und weit und breit ist kein vergleich -barer Erblasser in Sicht, auch kein Mini-Erhardchen, wederfür unser Land noch für Europa. Dafür aber viele Delors. Ar-mes Europa! Zum Auruch in eine neue marktwirtschaliche EG wollenuns heute die gleichen Funktionäre anleiten, die um die Jah-reswende 1990 / 91 die staatlichen Preisfixierungen der Ex-DDR als Bankrottursache des sozialistischen Systems ange-prangert haben und im gleichen Atemzug die Pharma-Indu-strie verpflichten wollten, ihre Medikamentenpreise in denNeuen Bundesländern um 55 % zu senken. Planwirtscha -liche Preisfixierung und staatliche Kalkulationsdiktatur alsStartsignal für den „Auruch in die Marktwirtscha“. Welchmakabres Possenspiel in historischer Stunde.

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So ist es auch nicht verwunderlich, daß die stärkste Schub-kra an Regulierungsenergie auf EG-Ebene nicht von derEuro-Bürokratie selbst, sondern von den nationalen Mit-gliedsregierungen und Interessenverbänden stammt. Was dasSchadenspotential allerdings nicht mindert, sondern sogarnoch erheblich vergrößert, denn die Maastricht-Formeln er-setzen nicht etwa „nur“ die Rechenkünste der einzelstaatli-chen Gesellschasingenieure durch eine gesamteuropäischeInterventionsarithmetik, sondern erweitern die nationalenLenkungsarsenale um bisher noch fehlende Marterbestecke(was noch näher auszuführen sein wird). Wo die EG nichtselbst „harmonisiert“, hat sie gegen eigenhändige Eingriffeder Mitgliedstaaten in deren eigenen Wirtschaskörpernichts einzuwenden, weder gegen die Verstaatlichung ganzerWirtschaszweige und den Ausbau staatlicher Monopolbe-triebe, noch gegen Einschränkungen von Eigentumsrechtenund individueller Vertragsfreiheit; weder gegen die amtlicheFestlegung von Mindestlöhnen noch gegen Preis-, Miet-,Zins- und Lohnkontrollen etc. Wehe aber jenen Belangen, indenen die EG sich selbst als Regulator berufen fühlt. Getreuder bürokratischen Grundüberzeugung, daß nur haltenkann, was per „Nägel mit Köpfen“ befestigt ist, wird der Gro-ße Markt als „Gesamtkunstwerk“ (Jörg Baumberger) geschaf-fen und „organisiert“. Der St. Galler Volkswirtschasprofes-sor Jörg Baumberger hat es unübertrefflich formuliert: „Hin-reichender Wettbewerb – das suggeriert der EWG-Vertrag[neue Fassung Maastricht] sowie die fieberhae Regulie-rungs-, Verwaltungs- und Justizaktivität zum Schutz des un-verzerrten Binnenmarktwettbewerbs – stellen sich nichtspontan ein, sondern bedürfen permanenter, hoheitlicherFehlerkorrektur durch eine mit ausgedehnten Überwa-chungs-, Fahndungs-, Eingriffs- und Straefugnissen ausge-stattete Marktpolizei. Außer durch die Mitgliedstaaten – de-

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ren Markt- und Wettbewerbsverzerrungen durch Harmoni-sierung zu unterbinden sind – sieht die EG Markt und Wett-bewerb vor allem von einer Seite bedroht: durch unterneh-menspolitische Maßnahmen privater Firmen (Preissetzungs-und Distributionspraktiken), durch Unternehmensver-schwörungen (Kartelle und konzertiertes Verhalten) unddurch Marktmacht und Fusionen. Die EG behandelt denWettbewerb als ein durch Staat und Gemeinscha streng zuorganisierendes und zu überwachendes Phänomen. Diespontanen Verstöße der privaten Firmen werden permanentund flächendeckend aufs genaueste überwacht, und »Verzer-rungen« werden nicht bloß verboten, sondern regelmäßigauch mit Bußen in Höhe vieler Millionen ECU geahndet.Eindeutig nicht bedroht sieht die EG jedoch den Markt undden Wettbewerb durch die EG selbst. Entsprechend diesem»Bedrohungsbild« enthält die EG-Gesetzgebung weder Si-cherungen noch Warnungen gegen EG-weiten Interventio-nismus“ (Baumberger 1992, S. 920 f).Bürokratie, so kann man resümieren, zeichnet sich nationalwie international vor allem durch eines aus: durch ein voll-ständiges Miß- und Unverständnis von Inhalt und Be -deutung des Begriffes »Ordnungspolitik«. Es war dies mit einGrund dafür, daß Friedrich A. von Hayek die unglücklicheWahl des Terminus (Ordnungspolitik) wegen seiner imDeutschen so naheliegenden Verwechslung mit dem Wort»Organisation« immer wieder beklagt hat. Auch wenn man»Bürokratie« und »Interessen-Organisation« nicht gleich -setzen kann (obwohl beide wechselseitige Ziehväter sind), so erinnert doch die Gefahr für ein freiheitliches Gemein -wesen, die aus der eurokratischen Totalignoranz ordnungs-politischer Grundprinzipien herrührt, an eine Metapher vonMancur Olson: „Eine Gesellscha, in der es viele Organi -sationen zum Zwecke kollektiven Handelns gibt, ist wie ein

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Porzellanladen voller Freistilringer, die sich um das Porzellanbalgen und viel mehr zerschlagen als sie heil wegtragen“ (Ol-son 1991, S. 398).Es wird sich jedenfalls noch als tragischer Fehler für die eu-ropäische Idee und für die Europäer erweisen, daß man dasW aus der EWG herausoperiert und in die politischen Händeder nationalen und internationalen Funktionäre gelegt hat.Der Euro-Körper ist dadurch nicht gesünder, sondern ein po-litischer Krüppel geworden. Das ganze Spektakel gemahnt aneinen alten Fastnachtsspruch (der Stadt Singen a. H.), der dalautete: „Wenn man einer Wurst die Zipfel abschneidet, wirdsie nicht endlos, sondern kürzer.“Im Zuge der Europäischen Einigung ist viel von „Entbüro-kratisierung“ und „Deregulierung“ die Rede. Niemand wirdbezweifeln, daß solche Bemühungen mehr als dringlich wä-ren. Doch leider hat man hierbei den Bock zum Gärtner ge-macht, indem die Bürokratie selbst mit ihrer eigenen Abma-gerungskur beauragt wurde. So kann man auch dieses e-ma nicht mehr ernstha behandeln, sondern nur noch dereurofolkloristischen Glosse übergeben. Karl-Heinz Feuerleinhat den deprimierenden Vorgang köstlich persifliert:

„Entbürokratisierung nach Plan:

BürokratieEntbürokratisierungEntbürokratisierungsprogrammEntbürokratisierungsprogrammkommissionEntbürokratisierungsprogrammkommissionsverwaltungEntbürokratisierungsprogrammkommissionsverwaltungs-

beamterEntbürokratisierungsprogrammkommissionsverwaltungs-

beamtenversorgung

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Entbürokratisierungsprogrammkommissionsverwaltungs-beamtenversorgungsgesetz

Entbürokratisierungsprogrammkommissionsverwaltungs-beamtenversorgungsgesetzesflut

Entbürokratisierungsprogrammkommissionsverwaltungs-beamtenversorgungsgesetzesflut-verwaltungsapparat

Entbürokratisierungsprogrammkommissionsverwaltungs-beamtenversorgungsgesetzesflutverwaltungsapparats -entbürokratisierung.“

(Feuerlein 1991.)

2. Das Tor zum Euro-Interventionismus: Industriepolitik

„Der isolierte preispolitische Eingriff in das Getriebeder Marktwirtschaft verfehlt den Zweck, den seine Ur-heber durch ihn erreichen wollen; er ist – im Sinne sei-ner Urheber – nicht zur zwecklos, sondern zweckwid-rig, weil er das ›Übel‹, das durch ihn bekämpft werdensoll, noch steigert.“Ludwig von Mises, 1940 (Mises 1980, S. 673).

Der mit dem Maastricht-Text neu in den EWG-Vertrag auf-genommene Artikel  130 (unter dem Titel XIII) trägt dieharmlose Überschri „Industrie“. Er ist ein Dokumentscheinbar rührender Fürsorge. Gemeinscha und Mitglied-staaten, heißt es dort, sorgen dafür, daß die notwendigen Vor-aussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie derGemeinscha gewährleistet sind. Zu diesem Zweck soll ihreTätigkeit zielen auf: Erleichterung der Anpassung der Indu-strie an die strukturellen Veränderungen; Förderung eines fürInitiative, Weiterentwicklung und Zusammenarbeit günsti-gen Umfelds; Förderung einer besseren Nutzung des indu-striellen Potentials der Politik in den Bereichen Innovation,Forschung und technologische Entwicklung.

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Brüssel und die Regierungen der Mitgliedstaaten der EG tre-ten also in trauter Gemeinsamkeit an zum Gewerk der »Indu-striepolitik«. Was es bedeutet, wenn Behörden und politischeInstanzen das Wörtchen »Politik« als Handlungsmandat aneinen wirtschalichen oder sozio-ökonomischen Begriff an-hängen, läßt sich leicht an den entsprechenden Vorläufer-Termini vergegenwärtigen, mit denen die Deutschen und Eu-ropäer bisher schon auf nationaler oder gemeinschalicherEbene beglückt worden sind: Agrarpolitik, Kohlepolitik,Energiepolitik, Wohnungsbaupolitik, Bildungspolitik, Hoch-schulpolitik, Familienpolitik, Asylpolitik etc. etc. Und nuneben auch Industriepolitik. Wem die Verbalakrobatik und diesemantischen Schattenspiele der politischen Akteure aus lan-gem Anschauungsunterricht nicht fremd sind, weiß unmit-telbar, was von Bürokratie und Administration aus solchenscheinbar unschuldigen Bezeichnungen an Argumenten,Rechtfertigungen und Maßnahmenbegründungen „heraus-geholt“ werden kann. Mit einigem Geschick – und daranmangelt es keinem Angehörigen der Politischen Klasse – läßtsich aus der Sorge-, Schutz-, Förder- und Erleichterungs-Be-rufung die gesamte wohlbekannte Horror-Litanei staatlicherSubventions-, Protektions- und Interventionsfindigkeit her-leiten. Unschwer ist auch schon heute die mächtige Phalanxjener „Betroffenen“ zu ermitteln, welche künig die indu-striepolitisch ermächtigten Förderer, Ermunterer und Siche-rer zur hehren Pflichterfüllung rufen werden, nämlich soziemlich alle Beteiligten am großeuropäischen Ökonomie-Spiel: die industriell weniger entwickelten Mitgliedsländer(zur „Erleichterung“ der Anpassung ihrer Industrien an dieunionsbedingten „strukturellen Veränderungen“) ebenso wiedie fortgeschrittenen, deren Zukunsbranchen zur techno -logisch-innovativen Weltmeisterscha gefördert werden sol-len; die Verbandssprecher „japangefährdeter“ Produktionen

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ebenso wie die Funktionäre innereuropäisch zurückfallenderUnternehmen. Ganz zu schweigen von den Gewerkschas -kadern, für die „Industriepolitik“ schon immer gleichbedeu-tend war mit Volksbeglückung und mit Vorstellungen vonStaatseingriffen jenseits des ökonomischen Vernunhori-zonts und jenseits der faktischen Finanzierbarkeitsgrenzen.Artikel 130 EWG-Vertrag neuer (Maastricht-)Fassung läßt inprinzipieller Hinsicht nur zwei Auslegungsmöglichkeiten zu:Für Optimisten das, was der Tübinger Rechtsgelehrte Wern-hard Möschel die „Gesundbeter-Interpretation“ nennt (beiwelcher den zuständigen Behörden aber trotz optimistisch-ster Enthaltsamkeitsannahmen noch ein „beträchtlicherHandlungsspielraum“ bleibt), und für Pessimisten das, was ermit „Kassandra-Interpretation“ bezeichnet. Wobei so gut wiealle Argumente für letztere sprechen. Trotz der durchgehendakademischen Diktion kommt Möschel doch zu dem herz-ha formulierten Schluß: „Die wirtschaliche Freiheit deseinzelnen, die ein Recht auf Chance und Scheitern ist, wirdeinmal mehr für ein Linsengericht hergeschenkt“ (Mö-schel 1992).Die Verteidiger des industriepolitischen Mandats in Formdes Art. 130 halten natürlich kräig dagegen. Es handele sichhierbei – so ihre Argumentation – um eine „neue Qualität“staatlicher Maßnahmen, denn nicht mehr die alten, zumSterben verurteilten Industriesparten sollen erhalten, son-dern die neuen, zukunsträchtigen müßten gefördert wer-den. Dankenswerterweise hat der bereits erwähnte St. GallerNationalökonom Jörg Baumberger – neben vielen anderenScheinargumenten – auch dieses Tarnvokabular entschleiert,indem er kontert: „Während früher Industriepolitik und in-dustriepolitisch orientierte Handelspolitik meist der Protek-tion bedrohter »Problemindustrien« dienten, präsentiert sichdie neue Industrie- und Handelspolitik insofern als modern-

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dynamisch, als sie sich nicht der altersschwachen, sondernder sogenannten Schlüssel- oder Spitzentechnologien an-nimmt. Der Schein trügt indessen; denn die von den indu-striepolitischen Sachverständigen als Schlüsselindustrien be-zeichneten Branchen sind – in Europa – durchaus auch Pro-blemindustrien. In letzter Analyse ist deshalb die neue Indu-striepolitik eine logische Fortsetzung der alten. AktivistischeIndustrie- und Wettbewerbspolitik sind einander in einemPunkte sehr ähnlich. Sie stellen gewaltige, ja irreale Ansprü-che an die Information der Behörde. In beiden Bereichentraut die EG ihren Organen eine geradezu hellseherischeWeisheit zu. In beiden Gebieten besteht eine implizite Ver-mutung zugunsten der Weisheit von Behörden und gegen dieSpontaneität der Märkte. Die Märkte sind beweispflichtig fürihre eigene Effizienz; es gibt kein »in dubio pro libertate« …“(Baumberger 1992, S. 922).Doch niemand wird auf solche Stimmen hören in den Riegender Durchmarschpolitiker. Weder in Brüssel noch in Paris (woder Art. 130 von Édith Cresson entworfen wurde). Und auchnicht in Bonn, wo man am Beispiel der deutsch-deutschenUnion demonstriert hat, daß man welthistorische Entschei-dungen von astronomischer Finanzdimension zu treffen be-reit ist ohne einen einzigen Nationalökonomen zu Rate zu zie-hen; und wo sich ein Wirtschasminister zur gleichen Zeitrühmen konnte, nicht den Ehrgeiz zu haben, ein neuer Erhardzu werden. Da kommt wohl das Buch des ehemaligen Wirt-schasministers Bangemann (»Mut zum Dialog – Wege zu einer europäischen Industriepolitik«) eher zupaß, in welchemder Autor einen „vernünigen Mittelweg“ zwischen den„ideologischen Extremen“ der „Verherrlichung des Marktes“einerseits und dem staatlichen Autoritätsglauben andererseitspropagiert, weil die Menschen nicht bereit seien, sich vorbe-haltlos dem „Urteil der anonymen Marktkräe“ zu unterwer-

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fen (Bangemann 1992). Was zukunsträchtig und erhaltens-wert ist, sollen also künig anstelle des Marktes Bürokratenund politische Zirkel entscheiden, oder irgendwelche „For-schungsspezialisten“ und Futurologie-Gurus. In Wirklichkeitkann man aber – wie im Sport – die Sieger von heute und vonmorgen nur durch eine einzige Methode ermitteln: durch denWettbewerb. Wenn es überhaupt so etwas wie „Industriepoli-tik“ geben düre, dann nur als Bemühung um freie Bahn fürdie unternehmerischen Rennpferde und um die Beseitigungvon Hürden für die innovativen Sprinter in allen Berufen undBranchen innerhalb Europas und überall auf der Welt. Dannaber sollte man gleich den richtigen Begriff für die Veranstal-tung wählen, nämlich Ordnungspolitik.Aber die europäischen Industriepolitiker (auch in den Unter-nehmensetagen) träumen von anderen Konstruktionen. IhreGralsburg heißt »MITI«, das japanische Ministerium für Han-del und Industrie, dem wundersamerweise die japanischenExporterfolge zugeschrieben werden. Ein europäischer MITI-Abklatsch ist demzufolge ihr Wunschbild. Zu Recht hat Her-bert Giersch dieser irrigen Vorstellung entgegengehalten, daßdie Erfolge Nippons in erster Linie das Verdienst der japani-schen Unternehmen seien. „Es zählen die Managementprakti-ken, die Produktionsmethoden und die Marketingleistungen“,schreibt Giersch, „denn japanische Unternehmen sind erfolg-reich auch dann, wenn sie in den USA, Großbritannien oderDeutschland produzieren“ (Giersch  1992b). Und auch in den Industrieverbänden wächst neuerdings die Einsicht, dieder Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Internationa-len Handelskammer in Köln, Dr. Henning von Boehmer, aufden Punkt gebracht hat: „Nicht Japans Industriepolitik, son-dern eigene Fehler brachten Europa den Rückstand“ (Boeh-mer 1992).Die industriepolitischen Gefahren, die der Marktwirtscha

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in Europa drohen, sind hinsichtlich ihres Ursprungs jedochkeineswegs auf Brüssel beschränkt. Die schnellsten Brüter fürderartige volkswirtschaliche Perversionen finden sich inden nationalen Parteiapparaten und Gewerkschasetagender Mitgliedsländer. In der Bundesrepublik haben beispiels-weise die Wirtschaspolitiker der SPD-BundestagsfraktionMitte 1991 – mit Blick auf die Neuen Bundesländer ebensowie auf den EG-Binnenmarkt – die „Erweiterung der wirt-schaspolitischen Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgeset-zes von 1967“ gefordert. Diese Alchimistenformel aus der na-tionalökonomischen Steinzeit, welche die Quadratur desKreises (mit den vier Ecken: Preisstabilität, Hoher Beschäi-gungsstand, Außenpolitisches Gleichgewicht und StetigesWachstum) zwar gesetzlich festschreiben aber natürlich nie-mals lösen konnte, soll also zum magischen Neuneck erwei-tert werden. Zu den vier genannten Zielen sollen hinzutreten:Erhaltung und Verbesserung der nationalen Lebensgrundla-gen, Erleichterung des wirtschalichen Strukturwandels, Ab-bau des regionalen Wirtschasgefälles, Gleichmäßige Ein-kommens- und Vermögensverteilung und Vorsorgender Ver-braucherschutz. Fehlen also nur noch die Vergebung allerSünden und die Ewige Glückseligkeit. Und die drei Erzengelin Amt und Würde als Kanzler, als Finanz- und als Wirt-schasminister. Auch die heiligste Einfalt kann aber die irdi-sche Erfahrung nicht verdrängen, daß eine von der Industriebestimmte Politik ebenso von Übel ist wie eine von der Poli-tik bestimmte Industrie. Beides ist zerstörerisch für die poli-tische und ökonomische Effizienz einer Nation oder einerNationengemeinscha; für Wohlstand, Rechtsstaat und Frei-heit gleichermaßen.

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3. Die Festung Europa

„Die ökonomische Überlegenheit der USA wurde mitihrer Größe erklärt. Derselbe Gedanke stand bei derGründung der Europäischen WirtschaftsgemeinschaftPate. Die Realität zeigt indes ein anderes Bild: DieZwergstaaten sind wirtschaftlich erfolgreicher als ihregroßen Konkurrenten: Monaco, Liechtenstein, Hong-kong, Singapur, Schweiz, Luxemburg. Seit Gründungder EWG ist die europäische Wirtschaft nicht nur lang-samer gewachsen als in der Dekade davor, sondern auchlangsamer als der Durchschnitt der OECD-Länder.Die europäische Kultur ist die erfolgreichste der Welt -geschichte – nicht obwohl, sondern weil Europa in soviele kleine Länder zerstückelt war, die untereinanderim Wettbewerb standen. Dort, wo der Wettbewerb derStaaten ausblieb – in den großen alten Kulturen vonChina und Indien – sklerotisierte sich die Gesellschaft.“Wolfram Engels (1989)

Im Vertrag von Maastricht lebt mit Art. 115 (zu Titel VII) einprotektionistischer Uralt-Hut des EWG-Vertrags fort, jetzt so-gar in verschärer Form. Mit seinen Ermächtigungsbestim-mungen für handelspolitisch „notwendige Schutzmaßnah-men“ bei „wirtschalichen Schwierigkeiten“ liefert er dieGrundlage für Handelsbeschränkungen und nahezu beliebigeInterventionen sowohl im Inneren der Gemeinscha als auch– und vor allem – an den Außengrenzen der EG, also für pro-tektionistische und diskriminierende Abwehrmaßnahmengegenüber Nicht-EG-Staaten. In Kombination mit Art. 130,Titel XIII (Industriepolitik) steht somit ein Instrumentariumbereit, welches die Bedürfnisse der Brüsseler Sozialingenieurehinreichend zu befriedigen scheint. Das keynesianische Groß-europa der sozialökonomischen Makro-Klempner ante por-

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tas. An Übung sollte es den Herren nicht mangeln, denn schonheute – und noch immer – unterliegen siebzig Prozent desDrittlandhandels der EG mehr oder weniger weitreichendenReglementierungen, und für zugangsbeschränkte Güter kenntdie Gemeinscha mehr als einhundert verschiedene Ver -fahren. Hinzu kommt, daß über die Häle aller weltweit be-kannten Selbstbeschränkungsabkommen im Import / Export-Sektor auf die EG-Länder entfallen. Wolfram Engels nennt das schäbige Verhalten „Lindenstraßen-Patriotismus gegenDallas-Xenophobie“. Und da Frankreich bei diesem allen klas-sischen Freihandelslehren entgegenstehenden Neomerkanti-lismus die führende Rolle spielt, hat er auch für die entspre-chende Einstellung unserer Nachbarn den richtigen Namen:„Maginot-Denken“ (Engels 1991).Daß der Brüsseler Arroganzia kein Mittel zu vulgär ist, umden europrotektionistischen Zirkus um seichte Lustbarkeitenzu bereichern, zeigt die Bananen-Clownerie vom Frühjahr1992, als die EG-Kommission einen zwanzigprozentigenSchutzzoll auf Mittelamerika-Bananen anregte, um die EG-erzeugten Krummfrüchte aus Madeira, den Kanarischen In-seln und einigen assoziierten Überseegebieten vor Konkur-renz zu bewahren. Kam es hierbei wegen der drohendenPreiserhöhungen für der Deutschen liebste Südfrucht nochzu entrüsteten Verbraucherreaktionen, so regt sich über an-dere, weit schlimmere Entgleisungen der EG niemand mehrauf. Ja, eine Narretei wie der Quotenzaun gegen japanischeAutomobile (Europäische Jahreskontingente von nur noch1,3 Mio. Importwagen aus Japan, sowie 1,2 Mio. „Trans-plants“, also Japan-Autos, die in EG-Zweigwerken gebautwerden) wird hierzulande sogar als „Sieg der deutschenWertarbeit“ gefeiert, obwohl gerade dem deutschen Steuer-zahler und Verbraucher hieraus der größte Schaden er-wächst. Wie jeder protektionistische Schuß, so wird nämlich

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auch der anti-japanische nach hinten losgehen: Da die cleve-ren Manager der aufgehenden Sonne schnell reagieren, fah-ren Toyota, Nissan, Honda und Kollegen die Kleinwagen-stückzahlen zurück und bauen den Export von wesentlichteureren Luxuskarossen mächtig aus. Ergebnis: Nippon redu-ziert quotengerecht die Autozahl und steigert gleichzeitig denUmsatz; die italienischen und französischen Kleinwagenbau-er atmen auf und erhöhen ihre Preise, während Mercedesund BMW das Fürchten lernen und belämmert ihre Bilanzenbetrachten. Wie bei jedem staatlich verordneten „Schutz“(Mieterschutz, Bauernschutz, Arbeitnehmerschutz, Patien-tenschutz etc.) ist das Ende vom Lied immer das gleiche: dervermeintlich Geschützte ist der Gelackmeierte. Von denüberbordenden Kosten des Apparats zur Kontrolle solcherÖkonomie-Albernheiten ganz zu schweigen.Vor diesem Erfahrungshintergrund kann nur infantilerEuro-Illusionismus zu der Annahme verführen, ein politischuniertes Europa werde sich weniger gegen den Weltmarktoder fremde Handelsblöcke abschotten als eine auf Freihan-del und freie Personen- und Kapitalbewegung konzentrierteEWG (wo eine fehlerhae nationale Politik wenigstens nocham weniger dümmlichen Nachbarn gemessen werden kann).Dagegen spricht schon die faktische Dominanz der Außen-minister im wichtigsten EG-Organ, dem Ministerrat. Da esinnerhalb Europas kein „Ausland“ mehr geben soll, und daim Rat fast ausnahmslos ökonomische Fragen behandelt undentschieden werden, kann das Übergewicht an außen -politisch geschulten Diplomaten in diesem Gremium nur einSymptom für das künige Gemeinschasschicksal als „Fe-stung Europa“ sein. Noch eindeutiger sprechen allerdings diepolitisch-sozialen und ökonomischen Gegebenheiten in densogenannten „Fortgeschrittenen Sozialstaaten“ der EG für ei-ne solche Entwicklung: Mit jeder Mark (oder jedem ECU),

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um welche(n) die blindwütige Lohnraserei der Gewerkschaf-ten hierzulande oder bei unseren Nachbarn die Produktions-kosten nach oben treibt, mit jeder Tarifrunde und jeder Pro-zentpunktsteigerung bei den Lohnnebenkosten (in Deutsch-land heute schon hundert Prozent der Effektivlöhne) und mitjeder Minute Arbeitszeitverkürzung im harmonisierten Frei-zeit-Europa wächst die politische Unmöglichkeit, die EG nachaußen offen zu halten. Je höher „Sozialeuropa“ seinen Ko-sten- und Einkommensstandard emporstemmt, desto ra-scher würde die vom Weltmarkt hereinbrechende Flut an bil-ligen Industrie- und Agrarprodukten den partei- und syndi-katsverfilzten europäischen Wohlfahrtspopanz wie ein Kar-tenhaus zusammenbrechen lassen.Hinzu kommt die innereuropäische Kleinhusterei, die sichüberdeutlich im Scheitern der GATT-Runde (im November1992) offenbart hat. Wegen ein paar Tausend Bauernstimmenließen die französischen Neomerkantilisten nach sieben Ver-handlungsjahren ein Vertragswerk platzen, das über das öko-nomische Schicksal von 350 Millionen Europäern entschei-det. (Das endgültige Scheitern der GATT-Verhandlungenund die sich hieraus entwickelnden Handelskriege würdenmit Sicherheit zu drastischen Wohlstandseinbußen für diewestlichen Industrienationen führen und könnten darüberhinaus eine weltweite Depression, ja sogar eine Weltwirt-schaskrise furchtbaren Ausmaßes auslösen.)Doch nicht nur in der großen Politik, auch bei scheinbarenNebensächlichkeiten zeigt sich der wahre europäische Geistder Euro-Strategen. Allzu leicht geht der arglose Bürger denfrommen Sprüchen aus Brüssel auf den Leim, obwohl hinterden meisten „edlen“ Europa-Initiativen nur knallharte natio-nale Interessenpolitik steckt. So wenn sich beispielsweise diegriechische EG-Kommissarin Vasso Papandreou für ein eu-ropaweites Verbot der Tabakwerbung stark macht. Es düre

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der militanten Dame (und Raucherin) wohl weniger um dieGesundheit der Europäer gehen als vielmehr um den Schutzder südeuropäischen Tabakmonopole vor der deutlich at-traktiveren west- und nordeuropäischen Konkurrenz. Wennaber schon der nationale Interessenegoismus innerhalb derGemeinscha bei jedem noch so läppischen Anlaß populisti-sche Veitstänze aufführt, so muß man sich ernstha die Fragestellen, wie erst ein großeuropäischer Block mit seinen Nicht-Mitgliedern „draußen vor der Tür“ umgehen wird.Ob „drinnen“ oder „draußen“: „Das EG-Recht“, belehrt unsJörg Baumberger, „enthält keine Garantien der Wirtschas-freiheiten. Eine umfassende Vertragsfreiheit und Eigentums-freiheit, die man der EG entgegenhalten könnte, oderSchranken für die EG-Interventionsaktivität sucht man inden EG-Dokumenten umsonst.“ Und: „Der Gestaltungsakti-vismus der EG ist ebenso vielfältig wie jener eines konventio-nellen modernen Nationalstaates. Namentlich will die EG dieeuropäischen Wirtschasarmeen … in den – notabene vonder EG erklärten – Wirtschaskrieg gegen Amerika undAsien führen … [Es] muß dem Betrachter zu denken geben…, daß die EG-Aktivität praktisch keine thematischen Gren-zen kennt“ (Baumberger 1992, S. 918 u. 924f).Auch Josef Schüßlburner, einer der scharfzüngigsten GegnerEinheits-Europas, sieht die Gefahr, daß die (höchst begrü-ßenswerte) wirtschaliche Liberalisierung der Gemeinschavon der Eurokratie für ihre machtpolitischen Zwecke instru-mentalisiert wird. „Die Liberalisierungsverpflichtung“, pro-gnostiziert er, „wird zum Vehikel der Eurokratie werden, umerst nationalstaatliche Kompetenzen an sich zu ziehen unddann auf europäischer Ebene, insbesondere im Verhältnis zu Drittstaaten, rigorosen Zentralismus nach französischenPlanifikationsvorstellungen zu verwirklichen.“ (Schüßlbur-ner 1992, S. 26)

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Wie die meisten freiheitlich denkenden Ökonomen und So-zialphilosophen (s. o. Radnitzky, Prosi, Giersch, Engels, Ha-bermann etc.) mißt auch Schüßlburner der Konkurrenz poli-tischer und wirtschaspolitischer Konzeptionen zwischenden Ländern und Nationen eine herausragende Bedeutungbei. Konkurrenzlosigkeit politischer Programmatik, so kannman seine Einwürfe auf einen Nenner bringen, zerstörtschlußendlich auch den wirtschalichen Wettbewerb – unddamit die Marktwirtscha als Garanten allgemeinen Wohl-stands und staatsbürgerlicher Freiheit. In Großräumen ist dieVersuchung zur Autarkie, die ja gerade von nicht-ökonomi-schen Faktoren bestimmt wird, viel zu groß. Und diese Autar-kiebestrebungen sind naturgemäß mit tiefen wirtschasregu-lierenden Staatseingriffen verbunden. „Dagegen sind in ei-nem System nicht-autarker Klein- und Mittelstaaten die Staa-ten zum internationalen Handelstausch sozusagen verurteilt,wobei als koordinierendes Element nur der Marktmechanis-mus in Betracht kommt“ (S. 26).Wegen des außergewöhnlichen, ja dominierenden Gewichts,das diesem Aspekt – dem Wettbewerb der politischen Konzep-tionen – in der Europa-Diskussion zukommt (bzw. zukom-men sollte), sei die sechsfache, unverzichtbare Segenswir-kung des Prinzips hier nochmals übersichtlich zusammenge-stellt:1. Förderung der evolutorischen Innovationskräe und

Lernprozesse (Wettbewerb ist ein „Entdeckungsverfah-ren“).

2. Beschränkung politischer Macht durch das Vorhanden-sein von Ausweichregionen (Drohender Verlust von Hu-man- und Finanzkapital im „Sünderland“).

3. Besseres Erkennen politischer Entscheidungsfehler (undFehlentscheidungen) durch faktische Vergleichsmöglich-keiten mit anderen Nationen oder Gebietskörperschaen.

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4. Raschere Fehlerkorrektur wegen des sonst drohenden Zu-rückfallens hinter den erfolgreicheren Nachbarn.

5. Geringeres Schadenspotential bei fehlerhaer Politikdurch Begrenzung der Auswirkungen auf kleinere Räume(Nation / Region).

6. Signal- und Nachahmungswirkung erfolgreicher Politik-Experimente auf andere politische Gemeinwesen.

Man braucht die diametrale Umkehrung dieser unschätzba-ren evolutorischen Vorzüge in ihr krasses Gegenteil nicht ex-pressis verbis aufzuführen, um erkennen zu können, welcheLähmung, Machtballung und Sklerose, welcher Vielfalts-, Er-fahrungs- und Freiheitsverlust, und welch immenses Scha-denspotential auf ein „harmonisiertes“ und zentral organi-siertes politisches Einheits-Europa zukommen müßte.Gleichwenig Phantasie ist gefragt, um sich ausmalen zu kön-nen, wie scharf ein auf diese Weise verarmendes und poli-tisch verharzendes Großgebilde seine Demarkationslinienziehen und wie hoch es seine protektionistischen Außenmau-ern auürmen würde. Eine politische Europa-Union ist impli-zit schon eine „Festung Europa“. Es bedarf zu ihrer Errich-tung keiner besonderen Maurerkünste mehr.Die allgemeine Krux der ehrgeizigen EG-Ambitionen begeg-net uns also auch hier, beim eurokratischen Festungsdenken,wieder: Wer den Blick auf die Sterne richtet, verliert die un-abdingbar zur Orientierung dienenden Nahziele aus den Augen. Nicht zuletzt die naheliegenden Dringlichkeiten imOsten. Ein völlig freier Handel des Westens und der MitteEuropas mit dem Osten des europäischen Kontinents istüberlebensnotwendig, nicht nur für die Völker im Auruch,sondern auch für uns selbst. Und die eorie der komparati-ven Kostenvorteile lehrt uns zweifelsfrei seit zweihundertJahren (Ricardo), daß der Freihandel – auch zwischen Staatenund Regionen unterschiedlichen Entwicklungs- und Res-

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sourcenstandards – wechselseitig von Nutzen ist und allseitigvon Wohlstandsmehrung begleitet wird. Doch freilich: wernur noch in den Zementblock-Kategorien einer Politischen,Sozial- und Währungsunion denkt, der kann den friedens-und wohlstandsstienden freien Handel unter den Völkernnur noch als Krämerseelenbeschäigung europapolitischerKleingeister einschätzen. Es ist dies Ausdruck einer ehr-geizigen Euro-Arroganz, deren Sturz umso tiefer sein wird, jemehr sie sich zu astralen Höhen versteigt. Die „FestungEuropa“: sie ist eine Ruine, schon bevor ihre Mauern errichtetsind.

4. Ein Abgesang

„So demütigend es für unseren Stolz sein mag, wirmüssen anerkennen, daß der Fortschritt und selbst dieErhaltung unserer Zivilisation von der größtmöglichenGelegenheit für den Eintritt von Zufälligkeiten ab-hängt.“Friedrich A. von Hayek (1971, S. 38 f)

Das größte Hindernis und die größte Gefahr für das große,einige Europa sind nicht die erheblichen Unterschiede in Kul-tur, Mentalität, Sprache, Wertestrukturen, industriellem Ent-wicklungsstand und sonstigen sozio-ökonomischen Gege-benheiten der verschiedenen europäischen Völker und Na-tionen, sondern die Einheitlichkeit des ökonomokratischenOrganisationswillens der Politiker, Bürokraten und Interes-sen-Syndikate aller Länder des Kontinents. Schon heute be-herrschen diese Kräe fast alle Institutionen, welche sie be-nötigen, um ihre Pläne um jeden Preis durchsetzen zu kön-nen. Werden sie eines nicht allzu fernen Tages auch die Wäh-rung in der Hand haben, gibt es für den Niedergang Europaskeine Barriere mehr.

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DRITTES BUCH: EUROPA UND DAS GELD

I. Was erwartet den Steuerbürger in Euroland?

„Man kann sich in der Tat kein furchtbareres Attentatauf die Gesamtsumme des Glücks vorstellen als die»Gleichheit der Startbedingungen«, denn nach der ari-stokratischen Art, in der nun einmal die höheren Ga-ben des Geistes und Charakters auf wenige verteiltsind, wird nur eine Minderheit davon profitieren, dieMehrheit aber um so unglücklicher sein.“Wilhelm Röpke (1958, S. 317)

1. Europäische Unternehmensbesteuerung: „Harmonie“ als Gleichschaltung des UngleichenEs bedarf kaum besonderer Erwähnung, daß die Harmoni-sierungswut der EG vor den nationalen Steuersystemen undSteuersätzen nicht haltmacht. Egalité ist schließlich die ober-ste aller Brüsseler Maximen. Wunsch und Wirklichkeit (bes-ser: Absicht und Ergebnis) werden jedoch auch auf diesemGemeinschasfeld weit auseinanderklaffen. Soweit die An-gleichung der Unternehmensbesteuerung in Europa über-haupt einen Sinn haben soll – was zu bezweifeln ist –, müssennatürlich auch die steuerlichen Gewinnermittlungsvorschrif-ten annähernd gleich sein. Der EG-Ausschuß zur Reform derUnternehmensbesteuerung (sog. Ruding-Komitee) hat dies-bezüglich eine Harmonisierung vorgeschlagen, welche sichim wesentlichen nach den deutschen Ermittlungsvorschrif-ten richtet. Mit konkreten Ausarbeitungen ist – wie könnte esanders sein – ein weiteres Unter-Komitee aus steuertechni-schen Experten beauragt. Die Ergebnisse müssen abgewar-tet werden. Bisher läßt sich lediglich absehen, daß der deut-sche Maßgeblichkeitsgrundsatz der Handelsbilanz für die

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Steuerbilanz aufgeweicht werden wird. Die Frage, wie Unter-nehmen, steuerberatende Berufe, Steuerverwaltungen undSteuergerichte europaweit mit solchen Umwälzungen fertigwerden sollen, läßt sich sicherlich auch in weiteren Unter-Unter-Komitees nicht beantworten.Es ist hier nicht der Ort, das gesamte Spektrum der künigeneuropäischen Unternehmensbesteuerung (Körperscha -steuer, Quellensteuern, Abschreibungen, Organschaen, Ver-lustbehandlung, Bewertungsfragen etc.) darzustellen, zumaldie hierauf spezialisierte Fachliteratur schon jetzt zur Flut an-geschwollen ist. Es sei deshalb nur kurz und an einem einzigenBeispiel (den Körperschasteuersätzen) angerissen, welchegrundsätzlichen Auswirkungen die europäische Reform derUnternehmensbesteuerung nach sich ziehen wird. Die Emp-fehlungen des Ruding-Komitees – vorgelegt im März 1992(vgl. Rädler 1992) – zur Harmonisierung der Körperscha-steuersätze lauten in Kurzform: In der Phase I (ab Ende 1994)Einführung eines Mindeststeuersatzes von 30 % in allen Län-dern der Gemeinscha. Ab der Phase II (zeitgleich mit der2. Stufe der WWU, also 1996) Einführung eines Höchstsatzesvon 40 %. Innerhalb der Marge von 30 bis 40 Prozent könnendie Mitgliedstaaten frei entscheiden, ob sie ausgeschüttete undeinbehaltene Gewinne unterschiedlich besteuern wollen.Die prinzipiellen Auswirkungen auf deutsche Unternehmen:Da nur eine Steuer auf den Gewinn der Gesellschaen erhobenwerden soll, müßte die Gewerbesteuer abgescha und in dieKörperschasteuer eingerechnet werden. Die Aueilung des(entfallenen und ersetzten) Gewerbesteuerauommens aufBund, Länder und Gemeinden müßte neu geregelt werden.Für Personengesellschaen würde dies die Einführung einerBetriebssteuer bedeuten (denn die Senkung der Einkommen-steuer auf 40 % ist illusorisch). Wahrscheinlich wird man Per-sonenunternehmen nahelegen, sich wie Kapitalgesellschaen

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besteuern zu lassen, was für die betroffenen Gesellschaensteuertechnisch eine völlig neue Weltordnung bedeuten wür-de. Nach französischem Vorbild soll die Körperschasteuer andie Haungsbeschränkung angeknüp werden. Damit wür-den auch Kommanditisten und Stille Beteiligungen körper-schasteuerpflichtig werden – wiederum mit unabsehbarenfiskalischen Weiterungen für die Betroffenen.Dieser Kürzest-Ausschnitt aus dem Reformwerk mag genü-gen, um aufzuzeigen, mit welchem bilanz- und steuerrechtli-chen Aufwand die europäischen (und speziell die deutschen)Unternehmen auf Jahre hinaus konfrontiert sein werden.Als noch fataler wird sich ein anderer Aspekt der Zwangshar-monie erweisen: Steuern und Sozialabgaben sind in den euro-päischen Ländern (auch bei gleichen oder ähnlichen Steuer-sätzen) so unterschiedlich strukturiert und verquickt, daß einaussagefähiger Vergleich nahezu unmöglich ist. So rühren bei-spielsweise in Spanien 25 % des Gesamtsteuerauommens auseinkommens- und gewinnabhängigen Steuern, in Dänemarkaber stolze 55 %. Der Anteil der Sozialabgaben am Gesamtauf-kommen – woran die Unternehmen wiederum unterschied-lich beteiligt sind – kla noch weiter auseinander: 40 % in Spa-nien, 5 % in Dänemark. Addieren lassen sich diese Positionen(Steuern und Sozialabgaben) jedoch nicht, denn bei einfacherAddition würde sich für Dänemark eine geringere Gesamt -belastung ergeben als für Spanien. In Wirklichkeit liegt die Gesamtbelastung des spanischen Bürgers (Steuern und Sozi-alabgaben) jedoch bei 33 % und die des dänischen bei 52 %.Entsprechend differieren – strukturell – die Unternehmens-beiträge. Auch eine Annäherung der Mehrwertsteuersätzewürde an solchen Divergenzen nichts ändern, denn selbst glei-che Sätze in allen europäischen Staaten hätten in den Einzel-nationen ganz unterschiedliche Gewichte: In ärmeren Län-dern (mit geringem Auommen aus Einkommens- und Ge-

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winnsteuern) trägt die Mehrwertsteuer – bei jetzt schon ähn-lichen Sätzen – bis zu 40 % zum Gesamtauommen bei (Grie-chenland, Portugal, Irland), in anderen weniger als 20 %. Aucheine „Totalharmonisierung“ aller Steuer- und Abgabensätzealler europäischen Nationen würde Europa der ersehnten Be-lastungskonvergenz kaum näher bringen, denn was würdebeispielsweise der deutsche progressive Einkommensteuerta-rif dem Fiskus in Griechenland oder Portugal nützen, in Län-dern also, in denen kaum ein Bürger und nur wenige Unter-nehmen auch nur in die Eingangsstufe der deutschen Progres-sion fallen würden. Ein bestimmter Steuer- oder Abgabensatzin einem EG-Land ist eben auch dann nicht „gleich“ dem Satzin einem Nachbarland, wenn er in der Höhe völlig identischist; weder für den einzelnen Steuerbürger noch für die Unter-nehmen der Vergleichsstaaten.Was also den europäischen Firmen als „säkulare Reform“ desSteuerrechts und als „Harmonisierung der Start- und Stand-ortbedingungen im Binnenmarktwettbewerb“ verkau wird,stellt sich bei genauerer Betrachtung – wie so o bei materiel-len Egalitätsambitionen – als Gleichschaltung des Ungleichenheraus, und damit als „furchtbares Attentat auf die Gesamt-summe des Glücks“ der Menschen (s. das obige Röpke-Motto).

2. Das gemeinsame Mehrwertsteuerverfahren:Karrieresprungbrett in den Knast

„Die Fesseln der gequälten Menschheit sind aus Kanz-leipapier.“Franz Kafka

Als EG-Kommissarin Christiane Scrivener im Juni 1991 demDeutschen Bundestag die Konzeption des neuen Mehrwert-steuerverfahrens (gültig ab 1.  Januar 1993) in Europa vor-stellte, sprach sie von „Erleichterungen“ beim grenzüber-

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schreitenden Warenverkehr, von „wegfallenden Papieren“und von „Vereinfachungen“ aller Art. Waren die charmantenFunktionärsworte nun Wunschbild oder waren sie gar Täu-schung? Tatsache ist, daß sich der steuerspezifische Verwal-tungsaufwand der im- und exportierenden Unternehmenverdoppeln, vielleicht sogar verdreifachen wird. (Mit entspre-chenden Auswirkungen auf die Warenpreise natürlich.) Daam 1. Januar 1993 die Grenzkontrollen für Reisende weitge-hend entfielen, schienen auch die (Mehrwert-) Steuergrenzengefallen zu sein. In Wirklichkeit wurden diese Steuergrenzennicht abgescha, sondern nur in die Unternehmen verlegt;weshalb Hans Mundorf den bürokratischen Kraakt treffendals „Vortäuschung eines Gemeinsamen Binnenmarktes“ be-zeichnete (Mundorf 1991b).Während bis zum Jahresende 1992 für die Mehrwertsteuer imgrenzüberschreitenden Warenverkehr das sogenannte Ur-sprungslandprinzip galt (Belastung der Waren und Dienstemit der Mehrwertsteuer des exportierenden Landes), hat derExporteur ab Januar 1993 Exportgüter netto zu liefern und derjeweilige Importeur die in seinem Land gültige Mehrwertsteu-er aufzuschlagen (Bestimmungslandprinzip). Die Nettorech-nung des Exporteurs setzt jedoch voraus, daß sein Abnehmerim EG-Importland a) Unternehmereigenscha hat, b) der(neuen) Erwerbssteuerpflicht unterliegt, c) die Waren tatsäch-lich erhalten hat und d) diese Waren auch wirklich betriebli-chen Verwendungen zuführt. Für alle diese Voraussetzungenoder Bedingungen ist der Lieferant (Exporteur) beweispflich-tig. Trotz einiger Verfahrenserleichterungen (Steuernummer-Identifizierung, Auskunshilfe der Banken u. ä.) bürdet dieProzedur den Lieferunternehmen das Tätigkeitsspektrum ei-ner internationalen Zoll- und Steuerfahndungsbehörde aufund ist ohne Inkaufnahme eines strafrechtlichen Risikos über-haupt nicht durchführbar. Eine Fülle von Ausnahmebestim-

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mungen – z. B. für Ausfuhren an Privatpersonen, an Kleinun-ternehmen, nicht-vorsteuerberechtigte Abnehmer und Öf-fentliche Hände – reichern das System zusätzlich mit krimina-listischen Fallstricken vielfältiger Art an. Zumal im steuerhar-monischen Europa künig auch die Straarkeit von Steuer-hinterziehung »grenzenlos« sein wird. Der deutsche Referen-tenentwurf für ein »Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz« vomFrühjahr 1992 sah jedenfalls vor, daß die Tatbestände vonSteuerhinterziehung und leichtfertiger Steuerverkürzung gemäß deutscher Abgabenordnung auszudehnen seien aufvorsätzliche und grob fahrlässige Verletzungen von umsatz-steuerlichen Regeln, die in der Gemeinscha auch außerhalbDeutschlands gelten. Und der Entwurf des § 370 Abgabenord-nung lautete unmißverständlich: „In Deutschland ist der Steuerpflichtige wegen Steuerhinterziehung oder fahrlässigerSteuerverkürzung auch zu bestrafen, wenn sich die Tat aufUmsatzsteuern … bezieht, die von einem anderen Mitglied-staat der Europäischen Gemeinscha verwaltet werden“(HB 1992 b). Erst wenn man sich vor Augen führt, wie vielfäl-tig die Leistungen eines exportierenden Unternehmens seinkönnen (Lieferung nicht nur von Fertigwaren, sondern auchvon Materialteilen zur alleinigen oder mithelfenden Montagedes Exporteurs vor Ort, Gegenleistungsverrechnungen, Fi-nanzierungshilfen, Stellung von Einweisungspersonal seitensdes Lieferanten etc.), wird deutlich, daß sich im mehrwert-steuerharmonischen Binnenmarkt nunmehr jeder verant-wortliche Betriebsleiter einer Firma mit Exportaktivitäten aufdem Karrieresprung in den Euro-Knast befindet. Es ist deshalbnicht verwunderlich, daß gegen Ende des Jahres 1992 die Ent-setzensschreie aus den Unternehmen bis nach Brüssel drangenund daß die EG-Kommission noch kurz vor Inkratreten desneuen Mehrwertsteuer-Monstrums fieberha an einer „Flick-und Reparatur-Richtlinie“ arbeitete, um das zum Jahreswech-

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sel 1992 / 93 absehbare Buchungschaos in der Exportindustrievielleicht noch in letzter Minute abwenden zu können.Fest steht jedenfalls, daß sich die von Kommissarin Scrivenerverkündeten „Vereinfachungen“ und „Erleichterungen“ desEG-Binnenhandels in praxi komplizierter und aufwendigergestalten als der Handel mit Drittländern. Ein bürokratisches„Meisterwerk“. Konsequenterweise hätte man den im- undexportierenden Unternehmen Europas bereits 1991 emp -fehlen sollen, ihren Laden für mindestens ein Jahr dicht zumachen, um die EG-Richtlinienwälzer über die mehrwert-steuerlichen Übergangsregelungen gründlich studieren zukönnen. Die betroffenen Manager hätten dann Muße gehabt,sich literarische Kostbarkeiten wie den Artikel 28e Absatz 1der Übergangsregelung (um nur einen einzigen zu nennen)zu Gemüte zu führen, der da lautet: „Die Besteuerungs-grundlage für den innergemeinschalichen Erwerb von Ge-genständen setzt sich aus denselben Faktoren zusammen wiejene, die dazu dienen, die Besteuerungsgrundlage für die Lie-ferung derselben Gegenstände im Inland gemäß Artikel 11Teil A zu bestimmen. Insbesondere wird die Besteuerungs-grundlage für den innergemeinschalichen Erwerb von Ge-genständen im Sinne des Artikels 28a Absatz 6 gemäß Arti-kel 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe b) bestimmt.“ Der sich ganzder Lektüre hingebende Unternehmer hätte dann gewiß auchnicht übersehen können, daß ihm die Mitgliedstaaten – überden Rahmen des Artikels 28f Absatz 2 Buchstaben a) bis d)hinaus – in Artikel 28f, Absatz 3 Buchstabe b) Abzug oder Er-stattung der Mehrwertsteuer gewähren, soweit die Gegen-stände und Dienstleistungen „für Zwecke seiner nach Art. 14Absatz 1 Buchstabe i, Art. 15, Art. 16 Absatz 1, Teile B, C, Dund E und Absatz 2 sowie Artikel 28c Teil A befreiten Umsät-ze“ verwendet werden.Bleibt für humoristisch weniger begabte Zeitgenossen noch

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anzumerken, daß es sich bei dem zitierten Richtlinienauszugnicht um eine Satire, sondern um den Originaltext handelt.Der involvierte Unternehmer fragt sich ebenso fassungsloswie der interessierte Beobachter: Warum das komplizierte, jageradezu chaotische Bestimmungslandprinzip? Einige Natio-nalökonomen, unter ihnen besonders Professor ChristianWatrin, hatten doch schon während der Für- und Wider-Debatte zur Einführung des (Übergangs-) Systems klar dar-gelegt, daß der gemeinsame Binnenmarkt weder harmoni-sierter Umsatzsteuersätze bedarf noch des prekären Bestim-mungslandprinzips, wenn sich nur jedes Land auf einen ein-zigen Steuersatz beschränkt (wohlgemerkt nicht auf einen ge-meinsamen und einheitlichen Satz, sondern durchaus aufverschiedene Steuersätze, die jedoch national nicht noch ein-mal nach Produktgruppen differenziert sein dürfen). Die in-ternationalen Unterschiede der Mehrwertsteuersätze würdenin diesem Fall lediglich in die Bestimmungsgründe derWechselkurse eingehen. (Wobei sich dann allerdings die poli-tische Euro-Katze wieder in den Schwanz beißen würde, dennin einer Währungsunion mit Einheitswährung oder auch nurmit fixen Wechselkursen kann natürlich nichts mehr „in dieWechselkurse eingehen“.)Die Antwort auf die Eingangsfrage ist ernüchternd, wennauch nicht verwunderlich: Wie bei so manch anderer (euro-papolitisch bemäntelten) Steuer-„Reform“, die den Euro-Bür-gern noch blühen wird (s. nächstes Kapitel), so stehen auchbei der – angeblich bis 1996 befristeten – Mehrwertsteuer-Übergangsregelung nicht integrationstechnische oder öko-nomisch-rationale Motive im Vordergrund, sondern eindeu-tig fiskalische. Die vereinigten Euro-Kleptokraten aller euro-päischen Nationen wollen eben den Fünfer und das Weggli,sprich: die steuertechnische „Harmonie“ und die jeweilshöchstmöglichen Erträge aus den national bis zur jeweiligen

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Schmerzgrenze hochgedrehten Mehrwertsteuer-Quetschen.Das Ideal der politischen Hochbau-Architekten Europas istauch fiskalpolitisch eindeutig auszumachen: es ist der Turmzu Babylon.

3. Ein »Europa der Steuerbürger« oder »Kleptokratie ohne Grenzen«?

“Death and taxes may always be with us, but death at le-ast doesn’t get any worse.”Los Angeles Times Syndicate

Mit dem Ende der ersten von insgesamt drei Stufen der Wirt-schas- und Währungsunion soll in der Gemeinscha derKapitalverkehr programmgemäß vollständig liberalisiertsein. Was heißt „völlige Liberalisierung des Kapitalverkehrs“für die Bürger der europäischen Staaten? Es bedeutet, daß sieihre nationalen Geld-, Konten- und Finanzanlagenbeständenicht nur im Inland in jede beliebige europäische Währungtauschen oder in jedes andere Land verbringen können, son-dern auch, daß sie in jedem europäischen Land ihre Anlagenin jeder beliebigen europäischen Währung halten können.Ein Franzose kann dann beispielsweise nicht nur in Frank-reich ein D-Mark- oder Peseten-Konto unterhalten (oder einen Kredit in Holländischen Gulden aufnehmen), sonderner kann auch in Deutschland ein Gulden-Konto oder in Ita-lien ein Pfund-Konto einrichten. Es versteht sich von selbst,daß der Gedanke an diese grenzenlose Freiheit des Geld- undKapitalverkehrs den Finanzministern Europas den kaltenSchweiß auf die Stirn treibt. Die Einführung der Quellen -steuer auf Zins- und Kapitalerträge in der Bundesrepublik1989 war eine Folge solchen Angstschweißes und der ersteVersuch zum Anschluß Deutschlands an ein europaweitesSystem der Quellenbesteuerung.

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Daß dieser Versuch wegen massenha einsetzender Kapital-flucht alsbald wieder zurückgenommen und inzwischendurch eine freibetragsversüßte Zinsabschlagsteuer ersetztwurde, möge niemanden zu der Annahme verleiten, es werdenoch lange dauern bis in Europa die lückenlose Erfassung al-ler Zinserträge verwirklicht sein wird. Das wäre auch – soscheint es auf den ersten Blick – nicht mehr als recht und bil-lig. Doch könnte man dieser Meinung nur dann zustimmen,wenn nicht jeglicher Zinsbesteuerung vier prinzipielle undschwerwiegende Einwände entgegenstünden:1. ist der Zins auf Spar- und Vorsorgeanlagen aus national-

ökonomischer Sicht kein echter Ertrag (zumindest nichtin voller Höhe der Kapitalmarktzinsen), sondern eine ArtLeidprämie oder Schadenersatz für zeitweiligen Konsum-verzicht;

2. handelt es sich (im Normalfall) bei verzinslichen Anlagenum bereits versteuertes Geld – und somit bei Zinssteuernum eine quasi unendlich andauernde Mehrfachbesteue-rung;

3. (und gewichtiger) werden Zinserträge brutto und nichtnetto besteuert, das heißt: der laufende Inflationsverlustvon Geld- und Geldkapitalanlagen wird nicht berücksich-tigt; und

4. (und hauptsächlich) ist die Zinsbesteuerung in keinemLand der Welt endgültig auf einen unverbrüchlichenHöchstsatz fixiert, sondern unterliegt im historischenZeitverlauf der unbegrenzten Willkür der Fiskalbehörden.

Besonders Punkt 3. zeitigt die Konsequenz, daß mit der Zins-besteuerung in nahezu allen Ländern der Erde nicht (defini-tionsgemäß) Erträge besteuert, sondern (ganz oder teilweise)Substanz verzehrt und enteignet wird. Und das nicht einmal,sondern Jahr um Jahr, ohne Ende.Gegen den zweifachen staatlichen Raub an den Sparvermö-

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gen der Bürger (Inflation und übermäßige Zinsbesteuerung)gibt es nur eine einzige halbwegs wirksame Notbremse: dieMöglichkeit der Kapitalflucht in Steueroasen oder Niedrig-steuer-Länder und / oder in Länder (und Währungen) mitniedriger Inflation. Wobei, um es zu wiederholen, die Beto-nung nicht auf der Kapitalflucht liegt, sondern auf der Mög-lichkeit hierzu. Die tatsächliche Abwanderung von Spar- undAnlagegeldern in die sogenannten Steueroasen wird in ihrerGrößenordnung meist maßlos überschätzt, denn zum einenkönnen namhae Beträge nicht einfach vor den Augen derheimischen Finanzämter „verschwinden“, und zum anderenkönnen solche einmal untergetauchten Anlagen kaum mehrzur Lebenshaltung oder für irgendwelche sichtbaren Vermö-gensgegenstände (Immobilien, Firmen etc.) aktiviert werden.Von den Schwierigkeiten des »handlings« und der Vertrau-lichkeitswahrung über den Tod hinaus ganz zu schweigen.Null- oder Niedrigsteueroasen erfüllen ihre unendlich wich -tige Schutzfunktion gegen die fiskalische und inflatorische(schleichende) Enteignungswillkür der Staaten gegenüber ihren Bürgern viel weniger durch faktisch genutzte Geldver-lagerung als vielmehr durch ihre pure Existenz als potentielleFluchtdomizile. Auch jene – weit überwiegende – Mehrheitder Europäer, die niemals daran denkt, jemals eine einzigeMark oder Pesete oder Lira etc. der Besteuerung ihres heimi-schen Finanzamts zu entziehen, sollte deshalb ein existen -tielles Interesse am Fortbestehen von Steueroasen, Niedrig-steuer- und Niedriginflations-Ländern haben. Es gibt keinenanderen Schutz vor einem jederzeit möglichen staatlichenFiskalterror unbegrenzten Ausmaßes – bis hin zur Totalent-eignung der Bürger, zum Staatsbankrott und zur Währungs-reform mit Gesamtverlust aller Anlagevermögen und Versor-gungsansprüche. Wer das für ein übertriebenes Szenario hält,hat sich nicht in genügender Breite und Tiefe mit der Geld-,

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Steuer- und Währungsgeschichte Europas – auch unseresaufgeklärten, modernen und demokratischen Jahrhunderts –befaßt.Entsprechend überlebenswichtig für Freiheit und Wohlstandauf unserem Kontinent ist deshalb die Fortexistenz verschie-dener nationaler (und – wie in der Schweiz – auch kantonalerund kommunaler) Steuerhoheiten, sowie unterschiedlicherpolitisch-fiskalischer Konzeptionen (und Währungen –s. Kapitel III). Mit der europäischen Steuervereinheitlichungist diese – ohnehin nur als ultima ratio wirksame – Konkur-renz zum Sterben verurteilt. „Steuerharmonie“ in Europakann für die Steuersätze der Zukun nur eines bedeuten: up,up and away. Selbst bei der Steuerart, die am leichtesten vonallen zu vereinheitlichen ist, nämlich der Mehrwertsteuer,möge sich niemand der Illusion hingeben, die Angleichun-gen würden auf dem Niveau der unteren Sätze (z. B. des deut-schen) stattfinden. Wer mag daran glauben, das bankrotteItalien sei in der Lage, seinen Mehrwertsteuertarif von 21Prozent – mit erhöhten Sätzen bis 38 Prozent – auf deutschenStandard „herunterzuharmonisieren“.Die Spuren der zentralistischen Fiskalsozialisten in Delors-Europa weisen in eine ganz andere Richtung. Noch bevor dieSilvesterglocken das neue Jahrtausend einläuten, werdenauch die Deutschen mit einem „Harmoniesatz“ von zwanzigProzent leben. Wetten, daß  …?! Einen ersten Lehrgang in Sachen Steuer- und Abgaben-Konzertanz haben die egalitäts-seligen Eurofunktionäre mit dem Entwurf der EG-Kommis-sion zur Mineralölsteuer-Harmonisierung im Frühjahr 1991veranstaltet: Neben nationalen Mindestsätzen wurden deut-lich höhere „Zielsätze“ festgelegt. In den heiligen Stand derhöchsten Euro-Harmonie kann also nur eintreten, wer „diebestehende Bandbreite stufenweise auffüllt“. Ein anderes Pa-radebeispiel lieferte der Kommissionsvorschlag für eine eu-

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ropäische Krafahrzeugsteuer für Lastzüge. Der von der EG-Kommission vorgefundene Tatbestand war in der Tat kurios:Während ein deutscher Spediteur für einen Vierzigtonner sagenhae 10.500  DM an Kfz-Steuer zu entrichten hatte, berappte sein französischer Kollege läppische 118 Mark. Esbestand also offensichtlich der vielbeschworene „Handlungs-bedarf “. Doch anders als beim zulässigen Krümmungsgradvon Gurken, wo sie der kleinstmöglichen Lösung zuneigen,lieben die Brüsseler Fiskalathleten bei Geldraubzügen (wieauch bei der WWU als Ganzem) die maximale Reichweite,nämlich den Dreisprung:Sprung 1: Festlegen eines Mindeststeuersatzes mit offenenGrenzen nach oben; Sprung 2: Allmähliches Auffüllen desSpielraums; Sprung 3: Festschreiben der gemeinsamen (ober-sten) Ziellinie als harmonische Vollendung der konzertiertenHüpfübung. So auch im Lastwagenfall: Ein einheitlicherMindestsatz an Kfz-Steuer für Vierzigtonner – so die Kom-mission – sei unerläßlich; nach oben sollen jedoch die natio-nalen Belastungsgrenzen – zunächst – offen bleiben. Bis zumJahr 2000 aber müsse insoweit europäische Harmonie herr-schen als dann die Mindeststeuer europaweit bei 22.574 DMzu liegen habe. Die Kapitäne der Landstraße und ihre Spedi-tionsbosse werden wenig Mühe haben, den Brüsseler Segenaufzulisten: Zusammen mit der erwähnten Mineralölsteuerwird dann die Abgabenlast für einen LKW mit vierzig Ton-nen Gesamtgewicht bei 45.000 DM jährlich liegen. Zur Lustder Tomaten, die dereinst mit solchen rollenden Finanzäm-tern über Europas Autobahnen reisen werden, und zumFrommen der Verbraucherpreise im neuen Jahrtausend. Beisolchen Beispielen handelt es sich aber nur um fernes Wetter-leuchten und um die allerersten Regentropfen jenes (Steuer-)Gewitters, welches auf das politische Kohäsions-, Sozial- undEinheitswährungs-Europa hereinbrechen und die EG-Bürger

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buchstäblich im Regen stehen lassen wird. Es genügt die Be-obachtung einer einzigen makroökonomischen Kennziffer,um Richtung und Geschwindigkeit der heranziehenden Un-wetter ermitteln oder doch wenigstens erahnen zu können.Nach den Zahlen des Bundes der Steuerzahler (der wohl einzigen objektiven und ernsthaen Interessenvertretung derdeutschen Steuerbürger) war die Abgabenbelastung desDurchschnittsverdieners in den Alten Bundesländern, die1960 noch bei 27,4 % gelegen hatte, 1990 (im Jahr der „gro-ßen Steuerentlastung“) auf 40,1 % seines Einkommens ange-schwollen und wird bis 1995 mindestens die schwindelndeHöhe von 45 % erklimmen. (s. Volker Stern 1992). Was solcheam Durchschnittsverdiener orientierten Zahlen für den soge-nannten „Besserverdienenden“ bedeuten werden, wenn diedeutsche Staatsverschuldung erst so richtig das Laufen ge-lernt hat, könnte nur in einem Gruselkabinett vorgeführtwerden. Fest steht, daß das steuerharmonische Europa auchein Europa des gläsernen Bürgers und eine FahndungsunionOrwell’scher Dimension sein wird. Was der EG-Einwohnervon der künigen „Zusammenarbeit“ der Steuerverwal-tungsbehörden aller europäischen Länder erwarten darf, hatder ehemalige Leiter der Abteilung Finanzen und Steuern desDeutschen Industrie- und Handelstags, Dr. Hans Flick (an-läßlich der Legislativberatung des entsprechenden Verord-nungsentwurfs) so formuliert: „Die Grundsätze der Verhält-nismäßigkeit, der Zumutbarkeit und der Gegenseitigkeitwerden mit keinem Wort erwähnt. … Am Europa der Fi-nanzämter wird fleißig gearbeitet, das Europa der Steuerbür-ger aber bleibt ein Phantom“ (Flick 1990). Und was die all-mächtige Steuerbehörde Großeuropas mit ihrem „Entwurfeiner Verordnung zur Amtshilfe auf dem Gebiet der indirek-ten Besteuerung“ vorbereitet hat, sei an einem Satz aus derStellungnahme der Confédération Fiscale Européenne (Eu-

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ropäische Dachorganisation der steuerberatenden Berufe)demonstriert: In der Verordnung, steht dort zu lesen, werde„nicht einmal ein Minimum an vertraulicher Behandlung derInformationen über bestimmte Steuerzahler“ garantiert.Aber auch ohne die Verordnungsschübe aus Brüssel bereitensich Jäger und Treiber in den nationalen Finanzverwaltungenauf das Große Halali im Superrevier namens Euro-Union vor.Bedauerlicherweise fehlt den meisten EG-Bürgern die Phan-tasie für jenen Ideenreichtum, den Regierungen und Finanz-ministerien der europäischen Nationen auf dem Weg in dengemeinsamen finanziellen Offenbarungseid noch entwickelnwerden. Ein (vorläufig noch nationales) Einstiegsbeispiel: ImMärz 1992 beschloß das italienische Schatzministerium, eineDatenbank für sämtliche Konten italienischer Staatsbürgermit einem Bestand ab zwanzig Millionen Lire (umgerechnetca. 27.000 Mark) einzurichten. Die Datenbank speichert alleAngaben über Spar- und Laufende Konten bei sämtlichenGeschäsbanken und Sparkassen, bei Postkasse, Vermögens-verwaltungs- und Fondsgesellschaen.Daß (noch!) das Schatzamt und nicht die Steuerbehörde dieComputerdaten verwaltet, ist nur dem Einwand des Schatz-ministeriums zu verdanken, anderenfalls werde der italieni-sche Finanzmarkt „auswandern“. Wieviel wird dieses Argu-ment noch zählen, wenn es in der Einheitswährungs-EG undin der gemeinsamen Steuer- und Fahndungsunion keinFleckchen europäischer Erde mehr geben wird, in das ein na-tionaler Finanzmarkt oder auch nur Großmutters Sparbuch„auswandern“ könnte. Wenn nach dem Wegfall der Schlag-bäume und Personenkontrollen an den innereuropäischenGrenzen das Euro-Paradies für das Organisierte Verbrechenerst meilenweit offen steht, werden die großeuropäischen Fis-kalsozialisten mit den (dann leider berechtigten) Drohvoka-beln „Mafia“, „Drogenbosse“, „Geldwäsche“ und „Internatio-

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nale Verbrecherbanden“ alle notwendigen Werkzeuge in derHand haben, um den anständigen und harmlosen „Rest“ vonneunundneunzig Prozent der Bevölkerung des Alten Konti-nents mit einem dichten Netz unentrinnbarer Schnüffelbüro-kratie überziehen und im Namen eines „sicheren“ und „ge-rechten“ Europa einem gespenstigen Steuer- und Abgaben-terror aussetzen zu können. Was den einzelstaatlichen Raub-und Verschwendungsspezialisten, also den nationalen Regie-rungen und Finanzministerien, bislang nicht, noch nicht,oder noch nicht ganz gelungen ist: gemeinsam und unter derFahne der politischen Union Europas werden sie es schaffen.

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II. Die europäische Währungsunion und ihre voraussichtlichen Folgen

„›Deutschland wird zahlen‹, sagte man in den 20er Jah-ren. Heute zahlt es: Maastricht, das ist der VersaillerVertrag ohne Krieg.“»Le Figaro« vom 18. September 1992

1. Eine kurze VorgeschichteDie Europäische Währungsunion ist ein Delors-Plan, an demder agile Sozialist seit seinem Amtsantritt als Präsident derEG-Kommission (1985) unermüdlich arbeitet.1987 wurde auf Anregung des deutschen Altkanzlers HelmutSchmidt und des französischen Altpräsidenten Valéry Gis-card d’Estaing eine »Vereinigung für die Europäische Wäh-rungsunion« gegründet, der sich drei Jahre später (1990) bereits zweihundert Unternehmen angeschlossen hatten,darunter Volkswagen und Daimler-Benz, die Deutsche Bank,Dresdner und Commerzbank.Beim EG-Gipfeltreffen vom Juni 1988 in Hannover setztendie Staats- und Regierungschefs einen Ausschuß ein, der un-ter der Leitung Delors und unter Mitwirkung der europäi-schen Zentralbankpräsidenten weitere Schritte in RichtungEuropäische Wirtschas- und Währungsunion prüfen undvorbereiten sollte.Im April 1989 war der Stufenplan zur Wirtschas- und Wäh-rungsunion (sog. »Delors-Bericht« oder »Bericht des Delors-Ausschusses«) fertiggestellt.Beim Gipfeltreffen in Straßburg vom Dezember 1989 be-schlossen die Staats- und Regierungschefs der EG (gegen dieStimme Großbritanniens), noch vor Ende des Jahres 1990 eine Regierungskonferenz einzusetzen, welche die für denDelors’schen Stufenplan erforderlichen Änderungen der EG-

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Verträge vorzubereiten habe. Der konkrete Aurag hierzuwurde auf dem Römischen Gipfel im Dezember 1990 erteilt,jedoch wurden nicht eine, sondern zwei Regierungskonfe-renzen ins Leben gerufen. Eine sollte sich mit der Errichtungder Wirtschas- und Währungsunion, die andere mit der Po-litischen Union befassen. Die Grundlage des Aurags war diesog. »Einheitliche Europäische Akte« vom 28. Februar 1986,in der erstmals nicht mehr nur von der Weiterentwicklungder EG die Rede gewesen war, sondern ausdrücklich von de-ren Umwandlung in eine Politische Union. Unter der Ratsprä-sidentscha Luxemburgs (erstes Halbjahr 1991) und der Nie-derlande (zweites Halbjahr) entstanden die entsprechendenVertragsentwürfe, die alsdann auf dem Gipfel in Maastrichtam 9. und 10. Dezember 1991 verhandelt, beschlossen undunterschrieben wurden.Nachdem die erste Stufe zur Wirtschas- und Währungsuni-on (WWU), überschrieben als »Verstärkung der wirtschali-chen und monetären Koordinierung des bestehenden institu-tionellen Rahmens der EG«, bereits am 1. Juli 1990 begonnenhatte (zufällig zeitgleich mit der deutschen Währungsunion),sahen die Beschlüsse von Maastricht die Vollendung derWWU in zwei weiteren Stufenschritten vor: Eintritt in diezweite Stufe am 1. Januar 1994 mit Gründung eines Europäi-schen Währungsinstituts (EWI), dessen Aufgaben vorwie-gend in der Vorbereitung der dritten Stufe (Endstufe) derWWU bestehen. Innerhalb von Stufe Zwei haben die EG-Länder bis Ende 1996 Zeit, fünf Bedingungen (Konvergenz-kriterien) zum Eintritt in die Endstufe zu erfüllen:– Jahresinflation nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über

dem Preisanstieg der drei stabilsten Mitgliedsländer;– Haushaltsdefizit (jährliches Nettodefizit der öffentlichen

Haushalte) höchstens 3 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts;

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– Kumulierte Staatsverschuldung nicht mehr als 60 Prozentdes BIP;

– Unterschied bei den langfristigen Zinsen von nicht mehrals zwei Prozentpunkte über dem Durchschnitt der dreipreisstabilsten Länder der EG (für die Dauer eines Jahres);und

– Notierung der jeweiligen nationalen Währungen inner-halb der vorgeschriebenen EWS-Bandbreiten (also vor al-lem ohne Abwertung) für die Dauer von zwei Jahren (vorder Endstufe).

Bis Ende 1996 entscheidet der Rat der EG-Staats- und Regie-rungschefs mit qualifizierter Mehrheit (unter Berücksichti-gung von Berichten der EG-Kommission und des EWI), obdie Voraussetzungen für eine einheitliche Währung bei derMehrheit der Mitgliedstaaten vorliegen (genauer: ob er denEintritt in die dritte Stufe unter Wertung der Konvergenz -kriterien für zweckmäßig hält) und legt – positivenfalls – denZeitpunkt für den Eintritt in die Endstufe fest. Wird ein sol-ches Datum nicht bis Ende 1996 (oder spätestens 1998, we-nigstens für eine Minderheit der EG-Länder) beschlossen, sobeginnt die dritte Stufe automatisch am 1. Januar 1999. (DasWörtchen „automatisch“ und die Formulierung „Entschei-dung des Rats der EG-Staats- und Regierungschefs“ ist hier-bei viel gewichtiger als es auf den ersten Blick scheinen mag.Das genaue Studium des Art.  9 des Unionsvertrages führtnämlich zu dem Schluß, daß die EG – zu einem Zeitpunktnach dem 31.  Dezember 1996 – die Bundesrepublik wirdzwingen können, an der Währungsunion auch dann teilzu-nehmen, wenn Parlament und Bundesregierung dagegenstimmen sollten.)Die Endstufe beginnt mit der Errichtung einer EuropäischenZentralbank und eines Europäischen Zentralbanksystems.Zum gleichen Zeitpunkt wird der Wert der Europäischen

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Währungseinheit (ECU =  European Currency Unit) unwi-derruflich festgelegt, das heißt: die Umrechnungskurse dernationalen Währungen untereinander (fixe Wechselkurse)und zur ECU werden endgültig festgeschrieben. Die (oderder) neue ECU (nicht zu verwechseln mit dem bestehendenKorb-ECU) wird alsdann eine gewisse Zeit parallel zu dennationalen Währungen umlaufen, soll sich jedoch möglichstrasch als einheitliche, also als einzig gültige Europawährungetablieren.Schon bei dieser kurzen Vorgeschichte der WWU fällt eineungewöhnliche Hektik auf: Im Dezember 1991 beschlossen,wollte man die Maastricht-Verträge bis zum Dezember 1992– also nur ein Jahr später – von allen Mitgliedstaaten (Parla-menten) ratifiziert wissen. Während der Ministerrat für dieVerabschiedung einer EG-Richtlinie über den Geräuschpegelvon Rasenmähern siebzig Monate gebraucht hatte, sollten dieEssentialien für eine Währungsunion in weniger als einemFünel der Zeit über alle Hürden gepeitscht werden.Zur Vorgeschichte der Einheitswährungsbeschlüsse gehörenauch zwei (genau genommen drei) britische Gegenpläne,wenngleich sie sowohl von den nationalen Regierungen deranderen Mitgliedsländer als auch von den Euro-Funktionä-ren jeweils innerhalb kürzester Zeit vom Tisch gefegt wur-den: Als im Jahr 1989 der britische Schatzkanzler Nigel Law-son seinen Brüsseler Kollegen den Vorschlag zu einem euro-päischen Währungswettbewerb unterbreitete (die bestehen-den nationalen Währungen der EG – inklusive des ECU –sollten in allen Ländern der Gemeinscha als gesetzlichesZahlungsmittel zugelassen werden, zumindest bei schrilichfixierten Rechtsgeschäen), stieß er sofort auf Zustimmungbei jenen Männern des öffentlichen Lebens, bei denen – einehöchst seltene Konjunktion – Prominenz und ökonomischeFachkompetenz in enger Verbindung stehen. Besonders beim

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damaligen Vizepräsidenten der Deutschen Bundesbank, Helmut Schlesinger, beim Präsidenten der nordrhein-west -fälischen Landeszentralbank, Hans Wertz, beim britischenNationalökonomen Geoffrey E. Wood und bei dessen deut-schem Kollegen Herbert Giersch. Schlesinger auf einer Zen-tralbankrat-Sitzung Ende August 1989 (sinngemäß): Laßt die Währungen der Mitgliedsländer in einem europäischenFinanzraum mit völlig liberalisiertem Kapitalverkehr und anpassungsfähigen Wechselkursen am Markt um die Gunstder Anleger konkurrieren. Das führt aus sich heraus schon zumehr Stabilität und ist dem Fernziel einer Währungsuniondienlicher als institutionalisierte Anpassungsregeln und bürokratische Koordinierungsapparate. Leider sind solcheund ähnliche Stimmen unter dem Getöse der politischenDampfwalzen aus Brüssel und Bonn alsbald verstummt.Im Juni 1990 machte John Major, damals noch britischerSchatzkanzler und Nachfolger von Nigel Lawson, einen neu-en Vorstoß und stellte den Plan eines „Hard ECU“ vor. Dieserneue, harte ECU sollte nicht mehr (wie sein derzeit noch be-stehender Vorgänger) eine synthetische Währungskorb-Re-cheneinheit sein, sondern eine selbständige Währung, gleich-berechtigt den anderen (nationalen) Valuten der EG. Ein neuzu gründender European Monetary Fund (EMF) sollte denWechselkursmechanismus im EWS steuern, das Kursmana-gement gegenüber Drittlandwährungen übernehmen undden neuen europäischen „Hard ECU“ überwachen. Als „Här-tungsmechanismen“ waren hauptsächlich zwei Direktivenvorgesehen:1. Der EMF hätte das Angebot an ECU nur in dem Maße er-höhen dürfen, in dem er seinen eigenen Bestand an nationa-len Währungen aufstockt. 2. Notenbanken von Ländern mitinflationärer Politik hätten verpflichtet werden müssen, ihreschwache Währung beim Fund gegen harte Valuten zurück-

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zukaufen. Wie schon die erste britische Konzeption, so setztealso auch die zweite nicht auf die Beseitigung der Währungs-konkurrenz, sondern auf deren Stärkung, sowie auf einenmarktwirtschalichen Prozeß der Annäherung unter denGeldeinheiten Europas. Eine evolutionäre Lösung also undeine Absage an den monetären Zentralismus und Monopolis-mus aus Brüssel. Doch mehr als ein verlegenes Schulterzuk-ken konnte dieser Vorstoß bei den Euro-Ingenieuren nichtbewirken.In einer Art Verzweiflungstat legte Major, inzwischen Pre-mierminister und atcher-Nachfolger geworden, Ende 1990einen zweiten, verbesserten Plan für einen „harten ECU“ vor.Das Konzept im Detail: Der neue ECU wird im Europa derZwölf als dreizehnte Währung eingeführt. Der eigens zugründende Europäische Währungsfonds kau nationaleWährungen gegen Herausgabe von ECU auf, bläht also dieumlaufende Geldmenge nicht auf, sondern verändert nur de-ren Zusammensetzung. Von der Europäischen Zentralbankwie vom EMF dürfen ECU nur ausgegeben werden, wenn dieim Tausch hingegebenen nationalen Währungen in gleicherHöhe dort stillgelegt werden. Beginnt eine nationale Wäh-rung ein vorgegebenes Inflationslimit zu überschreiten, soverkau der Fonds diese schwache Valuta gegen ECU aus den(beim EMF zu haltenden) ECU-Reserven des betreffendenLandes. Der Fonds verstärkt also den Abwertungsdruck aufdie Sünder-Währung und erzwingt damit deren Rückkehrauf den Pfad der stabilitätspolitischen Tugend. Jede nationaleWährung im EWS – so eine weitere Bedingung – kann gegen-über dem ECU nicht auf-, sondern nur abgewertet werden.Damit wird das Geld Nr. 13 zum Stabilitätsanker – ähnlichdem Gold im verflossenen Goldwährungssystem.Kaum war der neue Major-Plan veröffentlicht, da jubelte Pro-fessor Wilhelm Hankel in einem Zeitungskommentar: „Eu ro -

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pa besinnt sich mit dem britischen Vorschlag auf seine aller-besten Tugenden: Es schwört Zentralismen, Dirigismen unddeterministischen Stufenplänen ab, es setzt stattdessen auf Regionalismus, Marktwirtscha und ein offenes … System“ –um freilich resignierend mit dem Satz zu schließen: „Abermöglicherweise überzeugt man eher den jetzigen Papst inRom vom Segen der Pille als die Bundesbank in Frankfurt vonden Vorzügen eines Konzepts, das nicht das ihrige war“ (Han-kel 1991a). Diese skeptische Eitelkeits-Vermutung stellte sichalsbald als zu kurz gegriffen heraus, denn es waren nicht dieBundesbanker, an denen der Major-Entwurf scheiterte, son-dern die politischen Stufen-Euphoriker in Brüssel, Paris undBonn.Als evolutorisch angelegter Prozeß wäre das Hard-ECU-Konzept natürlich dem stupiden Plan einer unwiderruflichenWechselkursfixierung mit anschließender Einheits-Währungstabilitäts- und ordnungspolitisch haushoch überlegen gewe-sen. Und genau das ist der wahre Grund, weshalb er in denHerzen und Köpfen der Politiker keine Chance hatte, dennein wirklich eisenhartes Geld – ob gestern, heute oder mor-gen eingeführt – wäre für die meisten Regierungen, Parteienund Funktionärscliquen Europas dem sofortigen und voll-ständigen politischen Selbstmord gleichzusetzen.

2. Was ist ein »Stiller Staatsstreich«?

„Soll des Menschen Wort sich fügen nach den Taten,die man schaut, so erscheint als leeres Trügen EurerWorte Schmeichellaut.“Estrella in: „Das Leben ein Traum“ von Pedro Calderón de la Barca (1600-1681)

Angesichts einer Stimmungslage in bundesdeutschen Lan-den, welche gewöhnlich – und in völliger Verkennung der

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wahren Gründe – als „Europamüdigkeit“ bezeichnet wird,begann die Bundesregierung im Januar 1992 mit einer breitangelegten Anzeigenkampagne zugunsten des Maastricht-Vertrages. Ursprünglich war für die unionseuphorische Hal-leluja-Aulärung ein Budget von fünfeinhalb Millionen DMvorgesehen. Nach dem Nein der Dänen zum „Wunder vonder Maas“ wurden im Nachtragshaushalt 1992 dann Halsüber Kopf nochmals siebzehn Millionen DM für die Europa-Werbung nachgelegt. Neben einer Fülle von Faltblättern undBroschüren schaltete das Presse- und Informationsamt derBundesregierung in allen wichtigen Zeitungen der Republikganzseitige Anzeigen für die Europäische Währungsunionund für den „Meilenstein“ Maastricht, sowie gegen die euro-kleingläubige D-Mark-Zittrigkeit der Bundesbürger. Die Ju-bel-, Lull- und Haia-Gesänge („Mehr Freiheit für alle“, „Sta-biles Geld für ganz Europa“, „Milliarden für den Auau“,„Kosten sinken – Preise fallen“ etc.) wurden gekrönt von einem Dauer-Kalauer des Europäischen Verbraucherschutz-verbandes. Originaltext in einer der genannten Anzeigen,unter der Überschri „Euro-Währung scha Abhilfe“: „Mit50.000 belgischen Francs schickte er [der Verband] einen Te-ster auf eine Reise durch die zwölf EG-Länder. Der tauschteimmer sein ganzes Geld, ohne sonst etwas davon auszugeben,an jeder Grenze in die gültige Währung. Am Ende hatten Ge-bühren und Kursverluste die Summe halbiert. Gäbe es schondie gemeinsame Euro-Währung, hätte er das ganze schöneGeld für Einkäufe verwenden können.“ Wie er sich wohl ge-fühlt haben mag, jener Tester? Sicher war ihm bewußt, daßauf dem ganzen Kontinent kein einziger tauschwütiger Valu-ten-Idiot und Euro-Flitzer zu finden wäre, der solchen Un-sinn mit seinem eigenen Geld nachahmen würde.Weniger folkloristisch, aber nicht weniger symptomatisch fürdas realitätsenthobene Selbstverständnis der politischen

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Klasse, gestaltete sich ein anderer Vorgang auf dem Weg zurEinheitswährung: Am 11. Juni 1992 veröffentlichten sechzignamhae Wirtschaswissenschaler, darunter die crème desdeutschen Ordo-Liberalismus, ein Manifest gegen die Maas-tricht-Beschlüsse zur Währungsunion mit der Überschri:„Die EG-Währungsunion führt zur Zerreißprobe“ (FAZ vom11. Juni 1992). In ungewöhnlicher Deutlichkeit zeigte das Elf-esen-Papier auf, daß die EWU unabdingbar eine dauerhaf-te, über mehrere Jahre hinweg nachgewiesene Angleichungder Wirtschasstrukturen der Mitgliedsländer als Vorbedin-gung erfordere, daß die Maastrichter Konvergenzkriterien zuweich seien, und daß die entsprechenden Beschlüsse eine Ge-fahr für den europäischen Einigungsprozeß bedeuteten. (Derabschließende Punkt  11: „Die Beschlüsse von Maastricht,nicht die Kritik an ihnen, gefährden ein konfliktarmes Zu-sammenwachsen in Europa.“) Doch auch in diesem Sechzig-zu-Eins-Kampf Geist gegen Politik hatte der Geist keineChance. Finanzminister Waigel wies die Kritik der versam-melten nationalökonomischen Lehrstühle der Bundesrepu-blik weit von sich. Schließlich seien die teilnehmenden Län-der „auf Stabilitätspolitik festgelegt“ und die EG habe bei Sta-bilitätsverfehlungen (man wird schreckensbleich) sogarSanktionsmöglichkeiten „bis hin zu Geldbußen“. Es darf ge-stritten werden, was bei dieser Replik im Vordergrund stand:ökonomische Ignoranz, politische Arroganz, oder schlichtder übliche Partei- und Karriere-Opportunismus. Fest stehtjedenfalls, daß der unbeirrte Parforceritt der Partei- und Eu-rofunktionäre in die Einheitswährung nicht nur gegen denMehrheitswillen des Volkes stattfindet, sondern auch gegendie Mehrheitsmeinung der ökonomischen Wissenscha.Noch bedenklicher stimmt die Nonchalance, mit der sich diepolitische Kaste in Deutschland über die verfassungsrechtli-chen Bedenken im Zusammenhang mit der Währungsunion

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hinwegsetzt. Unglücklicherweise ist die Materie zu kompli-ziert, um das zwielichtige Spiel, das derzeit mit dem deut-schen Grundgesetz getrieben wird, für eine hinreichendeZahl von Bürgern auffällig werden zu lassen. Der verfas-sungsrechtliche Eiertanz um die grundgesetzliche Entmündi-gung der Deutschen findet denn auch fast unbemerkt von derÖffentlichkeit statt, und nur wenige fachlich qualifizierte Ju-risten melden sich mit verständlichen Formulierungen zuWort. Als einer der ersten wagte es der Präsident der Landes-zentralbank in Bayern, Lothar Müller, seine warnende Stim-me zu erheben: „Deutschland“, schrieb er in der BayrischenStaatszeitung, „kann verfassungsmäßig die Währungshoheitals staatliche Aufgabe nicht lediglich einer Staatengemein-scha überantworten, wie sie die Europäische Wirtschasge-meinscha heute noch darstellt.“ Und: „In seiner Gesamtheitgesehen zeigt der Vertrag [von Maastricht], daß es sich beider Union nicht mehr um eine zwischenstaatliche Einrich-tung handelt, denn die EG-Mitgliedsländer begeben sich mitder Zustimmung zu dem Vertragswerk in eine umfassenderechtliche Bindung über die gesamten Bereiche der Außen-politik, der Wirtschas-, Haushalts- und Geldpolitik hinweg.Art. 24 Abs. 1 GG, der eine Übertragung von Hoheitsrechtenauf zwischenstaatliche Einrichtungen ohne Verfassungsände-rungen zuläßt, trägt hier nicht mehr … Damit ist das Grund-gesetz mit zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages undder Stimmen des Bundesrats zu ändern. Damit scheinen abernoch nicht alle Schwierigkeiten ausgeräumt zu sein. Es ist zufragen, ob nicht schon diese Verfassungsänderung an derSperre des Art. 79 Abs. 3 GG scheitert, denn der Verzicht aufdie Währungshoheit zugunsten der Europäischen Gemein-scha bedeutet gleichzeitig ein wesentliches Kennzeichen derStaatsgewalt aufzugeben. Schon dies düre meines Erachtensohne Volksentscheid kaum möglich sein“ (L. Müller 1992a).

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Doch der bajuwarische Zentralbankpräsident hatte nicht mitder Findigkeit der Euro-Rechtsbastler gerechnet. Im Zugeder mit der deutschen Einheit und der Europa-Perspektivennotwendig gewordenen Verfassungsänderungen gestaltetedie von Bundestag und Bundesrat eingesetzte Verfassungs-kommission den Art. 23 GG grundlegend neu. Eine der we-sentlichen Neuerungen betri Absatz 1, Satz 3 des Artikels.Professor Rupert Scholz, der ehemalige Bundesjustizmini-ster, erläutert uns den „Fortschritt“ wie folgt:„Bisher setzte er [die vorhergehende Entwurfsfassung desArt. 23; d. Verf.] eine verfassungsändernde Mehrheit in Bun-destag und Bundesrat für Verträge zur Begründung der Eu-ropäischen Union voraus und für entsprechende Vertragsän-derungen, die das Grundgesetz inhaltlich ändern. Hier wirdder Passus »vergleichbare Regelungen« eingefügt. Damit wer-den die sogenannten Evolutivklauseln im Maastrichter Ver-trag erfaßt, die der EG ein gegebenenfalls unkalkulierbar weit-gehendes Maß an Einflußmöglichkeiten auch auf unsere verfas-sungsrechtliche Ordnung eröffnen“ (Scholz  1992; Herv. d.Verf.). In der neuen Fassung soll also der Art. 23 GG unteranderem die gemäßigte supranationale Option des Art.  24Absatz 1 so weit „stärken“, daß die Bundesregierung (mit Zu-stimmung des Bundesrats) Hoheitsrechte – weitgehend ohnegesonderte Verfassungsänderungs-Prozedur – nicht nur auf„zwischenstaatliche Einrichtungen“ (Art. 24 Absatz 1), son-dern auch auf die EG als überstaatliche (oder was auch im-mer) Institution übertragen kann. Hinsichtlich der Eile, dieder Gesetzgeber beim „Europa-Artikel“ des Grundgesetzesan den Tag legte, bekundete der Bochumer Lehrstuhlinhaberfür Öffentliches Recht, Professor Peter J. Tettinger, zu Rechtseine Verwunderung: „Wenn man … daran denkt, welcheSorgfalt in freiheitlichen Demokratien üblicherweise selbstkleinen Verfassungsänderungen gilt, so erscheint es doch in

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höchstem Maße überraschend, ja befremdlich, wie hier fürein Staatswesen ganz zentrale, alle Bürger unmittelbar betref-fende, fundamentale Änderungen geradezu »durchge-peitscht« werden, und dies nur wegen sog. integrationspoliti-scher Zwänge. Dies ist der Sache, um die es geht, nicht ange-messen!“ Außerdem, so Tettinger weiter, harrten trotz derNeufassung des Art. 23 GG noch viele Fragen der überzeu-genden Antwort. Insbesondere 1. wie es sich mit der Absiche-rung rechtsstaatlicher Grundsätze verhalte, wenn zwar dieWährungsstabilität im Maastricht-Vertrag ausdrücklich apo-strophiert werde, die ebendort niedergelegten Verfahren je-doch kaum Gewähr dafür böten, daß das hehre Ziel auchkonsequent verfolgt und faktisch erreicht werde; 2. wie es mitder Sicherung demokratischer Grundrechte bestellt sei, wennim Jahr 1992 Bundestag und Bundesrat unwiderruflich undohne jede weitere Kontrollmöglichkeit darüber befindenmüßten, daß die D-Mark 1997 oder 1999 ihren Platz an denECU abtrete. (Handelt es sich hierbei nicht um ein geradedem neuen „Europa-Artikel“ zuwiderlaufendes „Blanko -testat“?); 3. wie es um die Konsistenz verfassungsändernderGesetzgebung stehe, wenn es sich einerseits und angeblichbei der Europäischen Union nach Maastricht-Fassung nichtum einen Staat im völker- und staatsrechtlichen Sinne hande-le (sondern um eine Staatenverbindung), andererseits abermit der D-Mark auf ein essentielles Element staatlicher Sou-veränität verzichtet werde (Tettinger 1992).Was, so lautete unsere Eingangsfrage, ist ein „Stiller Staats-streich“? Die Antwort: Wenn eine (deutsche) Regierung ihreBürger mit euphorischen Schlagworten und unbeweisbarenVersprechungen über die Gefahren einer fundamentalen Än-derung ihrer staatlichen Existenz und Souveränität hinweg-täuscht; wenn diese Regierung sich ferner in einer so existen-tiellen Entscheidung wie die zur Aufgabe der D-Mark über

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den offensichtlichen Mehrheitswillen ihres Souveräns (Volk)hinwegsetzt; wenn sie obendrein in dieser Frage den Rat-schlag und die Warnungen der maßgeblichen Köpfe des Wis-senschaskörpers ihres Landes mißachtet und sogar schwer-wiegende verfassungsrechtliche Bedenken maßgeblicherRechtsexperten beiseiteschiebt oder unbeachtet läßt: das istein „Stiller Staatsstreich“!

3. Glanz und Elend des EWS

„Was zuviel ist, kann nicht gut sein.“ Aristoteles

Als ein gewichtiges Argument für die Europäische Wäh-rungsunion gilt die Aussage, das Europäische Währungs -system (EWS) sei bereits eine Art Quasi-WU oder zumindesteine Vorstufe hierzu, welche sich bestens bewährt habe. Es istdeshalb notwendig, Geschichte und Wirkungen des EWSkurz zu beleuchten.Das 1979 in Kra getretene EWS ist ein System relativ fixerWechselkurse; „relativ“ deshalb, weil das Paritätengitter derbeteiligten Währungen innerhalb bestimmter Bandbreitenschwanken darf und weil sporadische Auf- oder Abwertun-gen einzelner Währungen gegenüber einer, mehreren oderallen anderen erlaubt sind. Die wichtigsten Gründe für dieEinführung des Systems waren zum einen das Bestreben, diepolitische Integration der EG voranzutreiben, zum anderender Glaube der Wirtschaspolitiker, die ölpreisinduzierteWachstumsschwäche der Siebziger Jahre sei durch flexibleWechselkurse verstärkt worden; und zum dritten die Hoff-nung der europäischen Währungsexperten, angesichts desdamaligen massiven Dollarzerfalls wenigstens innerhalb derEG eine Zone größerer Kursstabilität etablieren zu können.Die Frage, ob und in welchem Ausmaß sich diese Hoffnungen

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erfüllt haben oder enttäuscht wurden, würde einer umfang-reichen Erörterung bedürfen und hat sich auch in einer un-übersehbaren Fülle von Fachpublikationen niedergeschla-gen. Hier sei lediglich vermerkt, daß es vom März 1979 (In-kratreten des EWS) bis zum Frühjahr 1983 zu sieben Wech-selkursanpassungen kam, in deren Verlauf die D-Mark ge-genüber den anderen EWS-Währungen um insgesamt 27Prozent (im gewogenen Durchschnitt) aufgewertet wurde. Inder zweiten Vierjahresphase bis Anfang 1987 folgten vierweitere Realignments mit einer DM-Aufwertung von insge-samt acht Prozent. In der Folge (ab Januar 1987) wurdendann die EWS-Leitkurse für mehr als fünf Jahre nicht mehrverändert, bis schließlich die schweren Turbulenzen vomSpätjahr 1992 der künstlich gewahrten Stille ein Ende setztenund das System in seinen Grundfesten erschütterten. Nach-dem die Devisenmärkte trotz aufeinanderfolgender Abwer-tungen von Lira und Peseta nicht zur Ruhe kamen, blieb deritalienischen (und gleichzeitig auch der britischen) Regie-rung gar keine andere Wahl als ihre Währungen aus dem Ver-bund ausscheiden und frei floaten zu lassen. Dem Sturm anden Devisenmärkten waren Interventionen der europäischenZentralbanken in Höhe von rund zweihundert Milliarden D-Mark vorausgegangen. Eine ebenso astronomische wie sinn-los gegen die Marktkräe eingesetzte Summe. Den kundigenBeobachter konnte allenfalls der Zeitpunkt des losbrechen-den Sturms überraschen, nicht jedoch die Tatsache des wäh-rungstechnischen Erdbebens selbst. So lag denn auch einigeGenugtuung im Kommentar der »Neuen Zürcher Zeitung«auf das September-Debakel, als sie am 22. September 1992 re-sümierte: „In der verflossenen Woche haben sich die Finanz-märkte voll mit den europäischen Regierungen angelegt – undsie haben gewonnen. Es war die Woche, in der ökonomischerRealismus über politisches Wunschdenken triumphierte.“

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Vor dem historischen Hintergrund der jeweils in dramati-scher Weise gescheiterten und zusammengebrochenen Fest-kurs-Systeme von Bretton Woods und Louvre-Akkord ist esin der Tat unbegreiflich, wie die Regierungen der EWS-Ver-bund-Nationen sich zu der Absicht versteigen konnten, fürLänder mit unterschiedlicher Konjunktur- und Produktivi-tätsentwicklung, mit differierenden Inflations- und Lohnstei-gerungsraten ein festgezurrtes Paritätengitter über Jahre hin-weg „durchhalten“ zu wollen. Es waren wohl hauptsächlichzwei Gründe (über die ursprünglichen EWS-Motive hinaus),welche die politischen Entscheidungsträger zum gemein -samen Trutzbündnis gegen die Devisenmarktkräe verlockthaben: Zum einen konnten die Regierungen der weniger sta-bilitätsbewußten Nationen mit dem Argument „Bewahrungder Verankerung an die D-Mark“ ihren Wählern gegenübereine härtere (weniger ausgabenfreudige) Gangart einlegen,und zum anderen hatten vor allem die Schwachwährungs-Kandidaten geho, den Kurs ihrer innerlich schwindsüchti-gen Valuten unverändert in die anvisierte Europäische Wäh-rungsunion hinüberretten und einbringen zu können. Denunbezweifelbar vorteiligen Folgen solchen Eifers, nämlichder Verringerung der Inflationsraten bei den meisten EG-Partnern, stehen auf der Passivseite der EWS-Bilanz immen-se Kosten und Schäden gegenüber, welche die stabilitätspoli-tischen Gewinne weit übersteigen. Zumal im geld- und wäh-rungstheoretischen Gemenge der EG o Ursache und Wir-kung verwechselt und dem EWS Verdienste zugeschriebenwerden, welche anderen Gegebenheiten (z. B. den drastischgesunkenen Öl- und Rohstoffpreisen der Achtziger Jahre) ge-bühren. Genau besehen war die fast sechsjährige „Stabilität“im EWS nur ein trügerischer Schein. Die D-Mark hätte indieser Zeit um mindestens sieben Prozent aufgewertet wer-den müssen (im Durchschnitt gegen die übrigen Währungen;

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gegenüber einzelnen Währungen jedoch um bis zu zwanzigProzent). Das unbewegliche Verharren der Mark war also inWirklichkeit identisch mit einer realen Abwertung in Höheder unterbliebenen Aufwertungsmarge. Die Folgen hieraus:Erhebliche Wettbewerbsvorteile für die deutschen Expor-teure und zusätzliche Handelsbilanzüberschüsse (in der Zeitbis zur deutschen Wiedervereinigung). Realwirtschalichheißt das Verknappung des inländischen Warenangebots re-lativ zu einer erhöhten Liquidität. Konkret: Inflationsaurieb(und als Gegenmaßnahme: Zinsaurieb). In letzter Konse-quenz sind es eben immer die in- oder ausländischen Ver-braucher, Anleger, Steuerzahler und Zinsschuldner, welchedie Zeche aus real- und geldwirtschalichen Verwerfungenim Gefolge administrativ gegängelter Wechselkurse bezah-len. Die stabileren Währungen – allen voran die D-Mark –haben also für die Scheinstabilität im EWS einen hohen Preisbezahlt. Abgesehen von der Tatsache, daß das System nurdank der elf Realignments (bis 1987) überhaupt noch am Le-ben war, bedeutet die fast sechsjährige politisch verordneteRuhe noch lange nicht Bewegungslosigkeit oder Harmonieder ökonomischen Kräe in den verbundenen Volkswirt-schaen. Im Gegenteil: sogar Undenkbares wird unter sol-chen Zwangsverhältnissen möglich. So sind beispielsweise indiesem Zeitraum die Kapitalströme entgegen allen Gesetzender Ökonomie – umgekehrt zum real-wirtschalichen Gefäl-le – „den Berg hinaufgeflossen“ (Paul Kellenbenz). Solangenämlich die Kapitalanleger das Risiko von Wechselkursände-rungen vernachlässigen können, richten sich die Kapitalströ-me allein an den Nominalzinsen aus, und diese sind eben instärker inflationierenden Ländern meist höher als in stabile-ren. Die Kapitalströme stützen somit die Schwachwährungenund schädigen die solideren Valuten, weil sie die Abwertun-gen der ersteren und die eigentlich fälligen Aufwertungen der

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letzteren verhindern. Eine der wenigen sichtbaren (nebenunendlich vielen unsichtbaren) Folgen solchen ökonomi-schen Widersinns war die krasse Unterbewertung der Reise-Mark in der vergangenen Dekade. Verdutzt stand der bun-desdeutsche Tourist an jenen europäischen Gestaden, dieihm doch als so viel „ärmer“ (und deshalb billiger) als seinHeimatland in Erinnerung waren, und wunderte sich, für ei-ne Handvoll Spaghetti oder eine gegrillte Schrumpfsardinemehr bezahlen zu müssen als für sein heimisches Pracht-schnitzel. „Die Methode, um diesen Mechanismus auf denKopf zu stellen“, schrieb Paul Kellenbenz bereits zwei Jahrevor dem EWS-Crash (wobei die bessere Formulierung gewe-sen wäre: vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen), „und da-für zu sorgen, daß das gute Geld wieder die ihm zustehendenChancen im internationalen Schönheitswettbewerb erhält,besteht schlicht und einfach darin, die Wechselkurse freizu-geben.“ Der Aufstieg der D-Mark nach dem Ende des Fix-kurssystems von Bretton Woods (trotz niedrigerer Nominal-zinsen) sei der beste Beweis dafür, daß dann Stabilitätspolitikdurch Aufwertung belohnt und Schluderei bei den Nachbarndurch Abwertung bestra werde. (Kellenbenz 1990). So wa-ren denn auch die Ereignisse an der EWS-Front vom Herbst1992 nichts anderes als die von den Marktkräen erzwunge-ne Erinnerung an solch einfaches ökonomisches Einmaleins.Wobei es die Politiker waren, deren Gedächtnis aufgefrischtwerden mußte, denn in Europa entscheiden nicht die Noten-banken über Realignments, sondern die Regierungen. Undselbst wenn sich diese zu Auf- oder Abwertungen entschlie-ßen, sind die Anpassungen nicht das Ergebnis nüchternerökonomischer Analyse, sondern politischen Kuhhandels,weil jeweils alle Regierungen (nach EWS-Satzung) zustim-men müssen. Entsprechend lächerlich ist bspw. die erste Lira-Abwertung vom 14.  September 1992 (von insgesamt 7 %)

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ausgefallen, und entsprechend radikal haben die Märkte an-schließend darauf reagiert.Mit umgekehrten Vorzeichen (im Vergleich zu Deutschland)hatte die dem EWS-Debakel vorangegangene Zwangspauseder Wechselkurse in den Schwachwährungsländern zu enor-men volkswirtschalichen Schäden geführt. Am Beispiel Ita-liens demonstriert: Die künstliche EWS-Bindung der Lira andie stärkeren Valuten – vor allem an die Mark – hatte seit Jah-ren die notwendigen Abwertungen verhindert, mit welchendie markanten Inflationsdifferenzen zwischen Lira einerseitsund D-Mark, Gulden, Franc etc. andererseits hätten ausgegli-chen werden müssen. Als Folge hatte Italiens Exportindustrie– bei zwei bis drei Punkten Wettbewerbsverlust jährlich – denlangsamen Erstickungstod zu erleiden, was die ausge-bombten italienischen Staatsfinanzen (über Handelsbilanz-defizite) zusätzlich belastete. Weil im EWS nicht sein konnte,was nicht sein dure, wurde dem Bankrott der öffentlichenFinanzen auch noch der Ruin der Unternehmensbilanzenbeigesellt. Hinzu kam, daß die im Schatten der Ankerwäh-rung segelnden Länder über lange Zeiträume unter demDruck viel zu hoher Realzinsen standen, was ihre konjunktu-relle und außenhandelspolitische Situation noch weiter er-schwerte. Die Gefahr, daß ein solcherart aneinandergekette-ter Geleitzug nach einem konjunktur-, zins- oder haushalts-politischen Bremsmanöver auch nur eines einzigen Teilneh-mers aus den Schienen springen mußte, war für den kundi-gen Beobachter seit langem eine mathematische Gewißheit.Doch die Warnungen der Ordnungstheoretiker, daß die ge-samtwirtschalichen Kosten jeglicher Marktinterventionstets höher seien als der jeweils (nur vermeintlich oder kurz-fristig) erzielte Nutzen, und daß diese nationalökonomischeBinsenweisheit auch für das synthetische EWS-System Gül-tigkeit habe, ist bei den keynesianischen Makro-Klempnern

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der europäischen Politik schon immer auf taube Ohren ge-stoßen (woran sich auch künig leider nichts ändern wird).(Nebenbei bemerkt, hatten auch die Realignments in derAchtjahresperiode vor 1987 nur die schlimmsten Ungleich-gewichte zwischen den EWS-Valuten behoben, keinesfallsaber die elementaren Disparitäten der beteiligten Währun-gen. In der Zeit von 1979 bis 1991 war das Preisniveau derübrigen Teilnehmerstaaten um gut 56 % stärker gestiegen alsdasjenige der Bundesrepublik. Das Institut der deutschenWirtscha [IW] hatte diesen Umstand treffend als „ge-räuschlose DM-Abwertung“ bezeichnet.)Entsprechend groß war der Schaden, als der Geleitzug imSeptember 1992 tatsächlich entgleiste. Allein die Brems -manöver der Notenbanken haben astronomische Milliarden-beträge verschlungen. Die Kreditgewährungen der Deut-schen Bundesbank an die vom EWS-Debakel betroffenenPartnerstaaten erreichten innerhalb weniger Tage die Höhevon 92 Milliarden D-Mark – also (zum Vergleich) das Einein-halbfache des gesamten Haushaltsdefizits des Bundes im Jahr1991, und die italienischen Devisenreserven, die vor Aus-bruch der ersten Lira-Krise im Juni 1991 noch umgerechnet148  Milliarden D-Mark betragen hatten, schrumpen imVerlauf des Abwehrkampfes gegen die unvermeidliche Ab-wertung auf unter 40 Milliarden D-Mark. Eine sinnlose Ver-schwendung von Volksvermögen und ein absehbares Infla -tions- oder Deflationspotential (je nach gewährendem oderempfangendem Land). (Die Bundesbank hat zwar der mitdem Ankauf von Schwachwährungen verbundenen Geld-mengenaulähung mit Abschöpfungstechniken entgegen -gewirkt, aber es bleibt trotzdem ein zweistelliger Milliarden-betrag an Inflationspotential aus der illusionären Spiegelfech-terei gegen die Realitäten des Marktes.)Aus der reichhaltigen Unheilspalette des EWS sei hier nur

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noch eine der weiteren Fehlfarben angeführt: Die heimlicheBeschränkung der Notenbankautonomie. Schon die bloßeTatsache fixer oder quasi-fixer Wechselkurse führt bei denverantwortlichen Zentralbanklenkern zu Handlungs- undUnterlassungszwängen, die den real- und geldwirtscha -lichen Erfordernissen ihrer nationalen Volkswirtschaen zuwiderlaufen. Ebenso den Publikumserwartungen bezüg-lich einer am ökonomischen Sachverstand orientierten Ent-scheidungsfreiheit der Notenbank. So war auch die vielge-rühmte Autonomie der Deutschen Bundesbank spätestensseit 1987 (seit dem „Stabilitäts“-Postulat im EWS) wesentlichein geschränkt. Jahr um Jahr mußten die Frankfurter Wäh-rungshüter die jeweiligen Geldmengenziele aus dem Ruderlaufen lassen, weil der ohnehin vorhandene Aufwertungs-druck auf die Mark bei disziplinierter Geldmengenpolitik so unbändig geworden wäre, daß die politisch verordnete„Ruhe an der EWS-Front“ nicht hätte gewahrt werden kön-nen. Dieser „Druck“ war (und ist, solange das EWS besteht)nichts anderes als eine schleichende Gewöhnung an die Dro-ge »Infla tion« und eine höchst bedenkliche Fragmentarisie-rung der echten stabilitätspolitischen Aufgabe der Noten-bank, nämlich der Geldwertstabilität (und nicht der Wechsel-kursstabilität).Den allzu blauäugigen unter den geldpolitisch Verantwort -lichen, welche gerne und o die „relativ geringe“ Inflationie-rung der Deutschen Mark rühmen, sollte man hierzu in Er-innerung rufen, daß man in Deutschland vor dem Hinter-grund jahrzehntelang anhaltender Produktivitätssteigerun-gen sogar dann von „Inflation“ hätte sprechen müssen, wenndie Preise nicht gestiegen, sondern „stabil“ geblieben wären.Mit nationalökonomischer Gewissenhaigkeit besehen,herrschte also in der produktivitätsstarken Bundesrepubliktrotz sogenannter „mäßiger“ Preissteigerungen jahrelang

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Hochinflation. Umso nachteiliger mußte sich die graduelle,EWS-induzierte Knebelung der Bundesbank bei ihrer Geld-mengenpolitik auswirken. Außerdem können die geldpoliti-schen Instrumente der nationalen Zentralbanken (und spä-terhin der EZB) bei quasi-fixen Wechselkursen schon auf-grund des beschriebenen Anlegerverhaltens stumpf werden(und erst recht bei endgültig fixierten Paritäten wie in derVorstufe zur Einheitswährung geplant). Bei deutlichen Zins-unterschieden in verschiedenen Ländern kann sich die Geld-nachfrage als hochvolatil erweisen und der Notenbankkon-trolle fast vollständig entgleiten. Der Einwand, solcher Ge-fahr sei mit einem europaweit gleichen Zinsniveau oder we-nigstens mit angenäherten Zinssätzen in den EG-Ländern zubegegnen, ist unhaltbar. Bei nach wie vor von Land zu Landdivergierender Fiskalpolitik und unterschiedlicher Konjunk-turentwicklung sind dauerha gleiche oder konvergierendeMarktzinsen undenkbar – und auch administrativ ohneschwere Schäden für einzelne Volkswirtschaen nicht her-beizuzwingen. Auf freien Märkten führt eine künstlicheGleichschaltung oder „Verstetigung“ nomineller Größen un-weigerlich zu realwirtschalichen Verzerrungen, welche füreine gewisse Zeit versteckt ablaufen, um schließlich – wennsie unerträglich geworden sind – in dramatische Eruptionenoder Zusammenbrüche zu münden.Immer wieder wird argumentiert, das EWS habe bewiesen,daß ein enger Wechselkursverbund dauerha möglich sei,wenn sich nur wenigstens eine der wichtigen Währungen als stabil erweise („Stabilitätsanker“ Deutsche Mark). Diejüngsten Ereignisse haben jedoch gezeigt, wie schnell einemit einander vertäute Flotte bei auommenden Winden auseinanderreißen und wie rasch ein Anker seine Funktionverlieren kann. Und das trotz der bitteren Solidaritätspillen,welche die Beteiligten zuvor über Jahre hinweg hatten schluk-

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ken müssen. Trotz drohender Rezessionsgefahren konntenviele EWS-Partner ihre Zinsen nicht senken, weil die euro-päischen Kapitalströme sonst zur D-Mark geflossen wärenund die engen EWS-Bandbreiten gesprengt hätten. Ein solches System setzt also voraus, daß alle Mitglieder dauer-ha bereit sind, politisch-ökonomische Unwägbarkeitenoder sogar Fehler und historische Schicksalsschläge beim einen oder anderen Teilnehmerland „mitauszubaden“. Dasmag einige Male funktionieren; auf Dauer ist eine solche Erwartung aber illusorisch. Eher ist mit dem Gegenteil zurechnen.Beim Auseinanderbrechen des EWS in der Woche vor demfranzösischen Maastricht-Referendum konnte man beobach-ten, wie sich die lange aufgestaute Bitterkeit einiger EG-Part-ner in verbalen Schlammschlachten Lu verschae und so-gar in Wut und wilde Diffamierungen ausartete. Die Regie-rungen der Schwachwährungsländer prügelten unisono aufdie Bundesbank, obwohl jeder Beteiligte wußte, daß sie kei-nerlei Schuld an den mittlerweile weit vom Paritätengitter ab-gedrieten inneren Werten von Pfund, Lira und Peseta traf –es sei denn, man bezeichnet eine relativ konsequente Stabili-tätspolitik als schuldha. Nur um politisch vor der eigenenWählerscha das Gesicht zu wahren, wurden Deutschlandund die Bundesbank von den betroffenen Regierungen alsÜbeltäter und Prügelknabe vorgeführt. Ohnehin waren ja et-liche der Geldwert-Fußkranken den vorherigen beschwerli-chen Weg nur in der Hoffnung mitgegangen, ihre ausgehöhl-ten Valuten in die Einheitswährung hinüberretten zu kön-nen. Man muß sich ernstha fragen, wer – wenn das Ziel derSchmerzen eines Tages erreicht sein sollte – dann noch unbe-queme Lasten tragen wollte; für wen, für was und warum?Die Währungsunion könnte allenfalls als Erlösung von denstabilitätspolitischen Qualen empfunden werden, und als Ge-

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burtstagsfeier, bei der man den aufgeblähten EWS-Ballonendlich platzen lassen kann. Auf daß sich sein stinkendes In-flations-Gas über die ganze EG ausbreite.Das EWS also als Probelauf und als Vorstufe zur Währungs-union, als Beweis europäischer Kooperationsfähigkeit inWährungsangelegenheiten, und als Muster für die segensrei-chen Wirkungen festgebundener Valuten mit anschließen-dem Einheitsgeld – wie all die schönen Metaphern lauten?Wie kann man auf eine künige europaweit einheitliche Frie-de-Freude-Eierkuchen-Zentralbankpolitik (im Rahmen derWU) setzen, wenn schon bei relativ geringen, vom Markt er-zwungenen Bereinigungen offensichtlicher Disparitäten derpolitische Wirtshauskrieg ausbricht?! Wie kann man erwar-ten, daß sich ein künstliches Gebilde, das so viel mehr Scha-den als Nutzen gestiet hat, plötzlich zum Segen wendet, nurweil man seine verhängnisvollen Wirkmechanismen in einerEuropäischen Währungsunion perfektioniert – das heißtnoch unheilschwangerer gestaltet hat?!

4. Fixe und flexible Wechselkurse

„It is the adjustment and not the liquidity problem thatis of paramount importance. “Gottfried Haberler (1985, S. 217)„Das System flexibler Wechselkurse vermeidet … poli-tisch alles, was Unfrieden unter den Völkern stiftenkönnte.“Johannes Welcker (1992)

Obwohl die Wechselkursproblematik vorstehend (EWS-Ka-pitel) kurz gestrei wurde, empfiehlt sich eine gesonderteund ausführlichere Behandlung. Der Grund: Das ema»Wechselkurs« ist mit Sicht auf die Europäische Währungs-union von doppeltem Interesse. Zum einen, weil die dritte

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Stufe der EWU gemäß Art. 109 l des Maastricht-Vertragesmit einer unbestimmten Periode unwiderruflich fixer Wech-selkurse zwischen den Teilnehmerstaaten beginnen soll, undzum anderen (was noch bedeutsamer ist), weil das Institutder Wechselkurse mit Einführung der Europäischen Wäh-rungseinheit definitionsgemäß ganz entfallen wird. Es stellensich in diesem Zusammenhang drei Fragen: 1. Sind dauerhafeste Paritäten überhaupt sinnvoll und wünschenswert?2. Wie wirken „richtige“, das heißt flexible oder wenigstenssprungflexible Wechselkurse in einer kooperierenden Staa-tengemeinscha mit freiem Handels- und Kapitalverkehr,und – hieraus sich ableitend: 3. Was sind die Folgen und Aus-wirkungen vollständig entfallender Wechselkursmechanis-men in einer Währungsunion?In ordnungspolitischer Betrachtung sind fixe Wechselkursenichts anderes als behördlich verordnete Preise – mit dengleichen negativen Folgen wie sie auch bei Preisfixierungenauf den Gütermärkten aureten, nämlich Angebotsverknap-pung, Nachfrageüberhang, Verzerrung der Produktions-strukturen, Fehllenkung von Ressourcen, Hortung, SchwarzeMärkte etc., ja sogar mit noch schlimmeren Konsequenzen,weil Devisen-Festpreise nicht nur national (wie einzelstaatli-che Güterpreis-Fixierungen), sondern auch international zuVerwerfungen der Produktions-, Handels- und Kapitalstruk-turen führen. Fixe Wechselkurse entsprechen dem statischenDenken von Behörden, und in einer evolutorischen, dynami-schen Welt bedeutet Statik Effizienzverlust und Ressourcen-Verschwendung unabsehbaren Ausmaßes. Wo ständigerWandel und unauörliche Anpassung überlebensnotwendigwären, erzeugt Statik stattdessen Lähmung und Stillstand,mündend in Niedergang und Zusammenbruch. Obwohl dieMenschen administratives Fehlverhalten statischer Natur Tagfür Tag teuer bezahlen müssen – nicht nur mit Geld, sondern

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auch mit Verlusten an Lebensqualität und Freiheit –, kann dieEntladung der angestauten Anpassungskräe lange auf sichwarten lassen. Irgendwann aber erfolgt sie umso drastischerund unerbittlicher. Das Beispiel des ehemaligen Ostblockssollte uns gelehrt haben, wohin verordnete Statik in einerevolutorischen Welt führt.Der Wirtschashistoriker mag entgegnen, daß die Bundes -republik doch in den Fünfziger und Sechziger Jahren mitdem relativ konstanten Wechselkurs der D-Mark zu Dollar,Lira und Gulden recht gut gelebt habe. Diese „Ruhe“ an derDevisenfront ist jedoch nur ein scheinbarer Vorteil gewesen.Der zurückgestaute Aufwertungsdruck der Mark hatte derdeutschen Exportwirtscha nur künstliche Vorteile ver-scha, für welche ihr am Ende der Sechziger und zu Beginnder Siebziger Jahre die dicke Rechnung präsentiert wurde:Von 1968 bis 1972 wertete sich die D-Mark gegenüber Dollar,Pfund, Franc und Lira um 17 bis 27 Prozent auf, und 1973folgte ein weiterer Erdrutsch des Dollars von 3,20 auf2,65 DM. Der artifizielle Wettbewerbsvorteil war innerhalbkurzer Zeit dahin, endete in einer Welle von Verlusten, Plei-ten und Stillegungen, und bescherte der deutschen Exportin-dustrie ein Jahrzehnt schmerzlicher struktureller Anpassun-gen. In den anschließenden zwei Dekaden mit flexiblen bzw.wenigstens sprungflexiblen Wechselkursen konnte sich dieD-Mark gegenüber den meisten anderen Währungen dra-stisch aufwerten, in einigen Fällen um mehrere hundert Pro-zent. Nicht auszudenken, welche Verfälschungen (mit umsoschrecklicheren Folgen) eingetreten wären, wenn man dieDevisen-Austauschrelationen dauerha eingefroren hätte.Zur Veranschaulichung auch nur einer der Wirkungen festerWechselkurse ein – zugegebenermaßen grob vereinfachtes –Beispiel: Im Land  A bleiben Preise und Löhne innerhalb einer Modellperiode unverändert, im Land B steigen Lohn-

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einkommen und Güterpreise um einhundert Prozent (Infla-tion). Mit dem nominell verdoppelten Lohn kann sich derArbeiter des Landes B also nur die gleiche inländische Güter-menge kaufen wie zuvor. Da er nun jedoch – bei fixem Wech-selkurs der A- zur B-Währung – gegen sein nominell ver -doppeltes Lohneinkommen auch den doppelten Betrag an A-Währung eintauschen kann (und die Preise in Land A, inA-Währung ausgezeichnet, gleichgeblieben sind), erhält erbei Einkäufen in A-Land jetzt die doppelte Warenmenge imVergleich zur Ausgangssituation, sowie (unter der Modellan-nahme vorher gleicher Preisniveaus) im Vergleich zu seinenheimatlichen Einkaufsstätten. Umgekehrt ergeht es dem Ar-beiter des Landes A, der nun für seinen nominell gleichge-bliebenen A-Lohn nur noch die Häle an Gütern des Lan-des B kaufen kann. Ähnliches widerfährt den Im- und Expor-teuren der beiden Modell-Länder. Es muß also in der Folgeund bei freiem Waren- und Devisenverkehr zu massivenGeldzuflüssen bei gleichzeitigen Warenabflüssen im Land Akommen, das heißt zu Inflation. B exportiert seine Inflationnach A, und A exportiert seine Stabilität nach B.Solange jedoch beide Länder ihre eigene Währung, eigeneDevisenreserven (welche sie verlieren können) und nationaleHandels- und Zahlungsbilanzen haben, wird ein unsinnigesExperiment dieser Art (fixe Wechselkurse) früher oder späterdurch Devisenzwangswirtscha und / oder Auf- und Abwer-tungen sein Ende finden. Der Spuk ist spätestens dann zu En-de, wenn die Devisenreserven eines der Partner aufgezehrtund die Zahlungsbilanzungleichgewichte nicht mehr finan-zierbar sind. Mit den Worten des großen NationalökonomenGottfried Haberler: „[U]nter heutigen Bedingungen [hat] je-des System fester oder halbfester Wechselkurse zwangsläufigeinen inflationären Wesenszug. Das folgt aus der Tatsache,daß heutzutage kein Land bereit ist, eine Deflation hinzuneh-

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men. Das Ergebnis ist, daß bei festen Paritäten ein Zahlungs-bilanzungleichgewicht nur durch Inflation in den Über-schußländern – oder durch Devisenkontrollen – beseitigtwerden kann. Kontrollen stören jedoch nicht nur den Welt-handel und sind als solche unerwünscht, sie sind in Wirklich-keit nichts anderes als eine partielle, versteckte und kostspie-lige Methode zur Änderung von Wechselkursen.“ (Haber-ler 1975, S. 189).Der Maastricht-Plan, die Endstufe der Europäischen Wäh-rungsunion mit einem solchen Narren-System einzuleiten,zeugt von der prinzipiellen Unbelehrbarkeit der politischenAkteure und wir ein bezeichnendes Licht auf das Ausmaßihres illusionären Wunschdenkens. Schon an dieser Stelleempfiehlt sich außerdem der Hinweis, daß die gravierendenUnterschiede zwischen den EG-Ländern natürlich auch dannnoch bestehen werden, wenn die Fixkurs-Etappe mit Einfüh-rung der Einheitswährung ihren krönenden Abschluß findenwird. Das bedeutet, daß die beschriebenen unheilvollen Me-chanismen weiterlaufen, nun aber nicht mehr offenkundigwerden. Auf dem Gebiet einer Währungsunion gibt es keineländerspezifischen Zahlungsbilanzen und keine nationalenWährungsreserven mehr, welche als Indikatoren für krasseUngleichgewichte und Fehlentwicklungen der beschriebenenArt innerhalb der Unionsgrenzen dienen könnten. Entwederdie Misere verteilt sich nun (mehr oder weniger gleichmäßig)auf alle Schultern oder – was auf das gleiche hinausläu (je-doch mit besonders krassen Schädigungen der bislang solide-ren Partner) – die innergemeinschalichen Verwerfungenwerden mit dem Mantel einer exorbitanten Inflation zuge-deckt und so dem analytischen Blick des Beobachters entzo-gen. Für alle haushalts-, lohn- und fiskalpolitischen Sündenin einem oder mehreren der EG-Länder werden die Partner-länder künig mitbezahlen müssen, auf Heller und Pfennig.

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Was bei fixen Wechselkursen wenigstens nur gemildert undnur für absehbare Zeiträume gilt (nämlich bis zum Zusam-menbruch des Systems), das tri bei einer Währungsunionerst recht zu, und zwar mit ganzer Wucht und um ein Viel -faches potenziert: Eine Währungsgemeinscha ist auch eineLastengemeinscha.Noch klarer (besser: noch schreckenerregender) wird dasBild von der großen ECU-Vision, wenn man einen Blick aufFunktion und Wirkung „richtiger“, das heißt flexibler (oderwenigstens sprungflexibler) Wechselkurse wir.15 In einemSystem frei schwankender Wechselkurse wird jede Vernach-lässigung des Ziels der Geldwertstabilität in einem Landdurch ein Abgleiten seiner Währung relativ zu den Valutensoliderer Länder angezeigt. Die Kursentwicklung „bestra“also geld-, haushalts- oder fiskal- und wirtschaspolitischesFehlverhalten nationaler Regierungen und Währungs -behörden (oder deren Wähler) durch vermehrten Güter- undKapitalabfluß und durch sinkende Importkra – also durcherzwungenen Konsumverzicht. Andererseits werden diszipli-niertere Nationen vor importierter Inflation geschützt, wennsie den Prozeß des Zahlungsbilanzausgleichs dem Wechsel-kursmechanismus überlassen. Bildha gesprochen kann manfrei schwankende Devisenkurse zwischen zwei oder mehre-ren Ländern vergleichen mit Schleusen oder Stoßdämpfern,

15 Freilich haben die flexiblen (oder wenigstens sprungflexiblen) Wech-selkurse einen Teil ihrer Scharnierfunktion zwischen Ländern unter-schiedlicher Stabilität verloren, seit die Papierwährungen der Beliebigkeitstaatlicher Geldvermehrung anheimgefallen sind. Losgelöst von den ver-gleichsweise viel niedrigeren Warenströmen, treibt der um den Globus fe-gende Geld-Orkan die Kurse einzelner Währungen mal auf die höchstenGipfel, mal in die tiefsten Abgründe. Aber mit Beelzebub – sprich: Fixie-rung oder Beseitigung der Wechselkurse – läßt sich der selbstgeschaffeneTeufel nicht austreiben, und mit „verordneter Windstille“ kann man dieUnwetter nicht fernhalten.

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welche die Wirkungen des zwischen ihnen bestehenden Pro-duktivitäts-, Inflations-, Verschuldungs-, etc.-Gefälles abfe-dern, tendenziell ausgleichen und teilweise sogar gegenläufigzurückpuffern. Auch der Vergleich mit dem Schaltgetriebeeines Automobils bietet sich an, weil sich mit seiner Hilfe ver-schiedene Geschwindigkeiten ohne Schädigung des Motorsmiteinander verbinden lassen. Die Wechselkurse wären alsodie sogenannte „Übersetzung“ dieses Getriebes, vermittelsderer man das Fahrzeug bei gleichem Gaspedaldruck be-schleunigen oder abbremsen kann, ohne den Motor zu über-drehen oder abzuwürgen. Wobei mit „verschiedenen Geschwindigkeiten“ natürlich unterschiedliche Währungs -gebiete, also Länder mit divergierendem Wachstums- undEntwicklungstempo gemeint sind.Welche Metapher man auch immer bevorzugen mag, mit Sichtauf die Europäische Währungsunion gilt die Warnung desKölner Nationalökonomen (und seinerzeit Vorsitzenden desWissenschalichen Beirats beim Bundesminister für Wirt-scha) Christian Watrin: „Ohne die Stoßdämpfer der Wech-selkurse werden solche Schocks [wie die Integration von Ge-bieten mit großen Wohlstandsunterschieden] über Preis- undLohnsenkungen in der ärmeren Region, über Abwanderun-gen von Arbeitskräen oder durch Kapitalwanderungen auf-gefangen“ (Watrin 1990). Ebenso der Alarmruf des ehemali-gen Mitglieds des Bundesbankdirektoriums Professor Leon-hard Gleske: „Eine Konsequenz der Währungsunion wäre,daß die heutigen Zahlungsbilanz- und Wechselkursproblemezu Problemen interregionaler Ungleichgewichte würden.Wenn man diesen Problemen nicht mehr mit Wechselkurs -änderungen begegnen kann, müßte dies durch einen entspre-chenden Ressourcen- bzw. Finanztransfer zwischen starkenund schwachen Regionen geschehen“ (Gleske 1989).Es kann nicht o genug wiederholt werden, daß die europäi-

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schen Staaten und Regionen von Nord nach Süd (von Däne-mark bis Griechenland) und von Ost nach West (vonDeutschland bis Portugal) gravierende Unterschiede in densozio-ökonomischen Daten aufweisen – als da sind: Arbeits-moral und Produktivität, Volkswirtschalicher Kapitalstockund Sparquote, Vermögensbestände und Einkommens -höhen, Beschäigungsstruktur und Ausbildungsstand, Preis-niveaus und Zinsen, Verschuldungsgrad und Steuerbela-stung, Altersstruktur und Konsumgewohnheiten der Bevöl-kerung etc. etc. Wenn ein so unterschiedlich strukturierterRaum innerhalb relativ kurzer Zeit politisch und monetär zueiner Einheit verschmolzen wird, dann kann – bei entfallen-den Wechselkursbarrieren – der hierbei entstehende Anpas-sungsdruck nur über die volkswirtschalichen Parameter»Preise, Löhne und Einkommen, Beschäigung und Zinsen«ausgeglichen werden. Ein derartiger „Ausgleich“ ist jedochpolitisch und ökonomisch hochbrisant und von geradezuzerstörerischer Wucht. Die EG-Länder als ein bisher in glei-cher Richtung laufender Pulk ökonomischer Athleten, diesich im friedlichen Wettbewerb nur in Vorauseilende undNachzügler teilten, kehren sich nun gegeneinander und se-hen sich unvermittelt in einen ausbeuterischen Kampf ver-wickelt, der nur noch Gewinner und Verlierer, Sieger und Geschlagene kennt. Wie in einem zuvor mit Stauwehren(Wechselkursen) gebändigten Flußsystem öffnen sich nun alle Schleusen, und das Produktivitätsgefälle bewirkt einenraschen Abfluß von Arbeitskräen aus rückständigen Regio-nen – und eine entsprechende Überschwemmung der hoch-produktiven Länder. Bisher schwach bewässerte Gebiete fal-len gänzlich trocken, gut versorgte werden überflutet.Hier wie dort sehen sich die Menschen plötzlich mit existen-tiellen Überlebensrisiken konfrontiert, und den Regierungenbleibt keine andere Wahl, als die zerstörte Landscha mit

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dem Schlamm der Inflation zu bedecken. Alles, was sich beioffenen und freien Märkten (jedoch mit einem System vonWechselkurs-„Stauwehren“) sinnvoll und allmählich hättevollziehen und angleichen können, erfolgt nun sturzflutartig– mit entsprechenden Verwüstungen und Schäden. Undnicht zuletzt ist es die großartige und kostbare Idee vom frei-en, geeinten und friedlichen Europa, die unter den Fluten be-graben wird.

5. „Vorbild“ deutsche Währungsunion?

„Die neuen Bundesländer absorbieren den Sparüber-schuß der Bürger in den alten Bundesländern, ein Pro-zeß, der in Ordnung wäre, wenn er sich marktwirt-schaftlich abspielte und nicht fiskalisch, wenn er derInvestitionsfinanzierung diente und nicht der Rück-wanderung in ostdeutsche Konsumausgaben. Manspricht immer nur von der im Osten Deutschlandsdrohenden Deindustrialisierung, nicht aber von derüber Staatsschulden und Einkommenssubventionenbetriebenen Dekapitalisierung der alten Bundesrepu-blik. Just dieser Prozeß droht erst recht in einem monetärvereinigten Europa.“(Hankel 1991b; Herv. d. Verf.)

Die deutsch-deutsche Währungsunion wird sich noch – hin-sichtlich Geschwindigkeit und Form ihres Ablaufs – als eineder tragischsten und unheilvollsten Fehlentscheidungen derdeutschen Finanzgeschichte erweisen. (Wohlgemerkt dieWährungsunion, nicht die politische Vereinigung der Deut-schen, die ein beglückendes historisches Ereignis war, fürdessen rasche Vollendung sich Kanzler Kohl zu Recht dieLorbeeren anstecken darf.) Das Ausmaß des Substanz -verzehrs in den alten Bundesländern, das zur Finanzierung

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des Totalbankrotts der Ex-DDR noch erforderlich sein wird,übersteigt bei weitem das, was die Bürger sich derzeit an Be-lastungen ausmalen – und um noch unendlich viel mehr das,was ihnen von den politisch Verantwortlichen vorgegaukeltwurde (und nach wie vor eingeredet wird). Der Vorgang ist inWirklichkeit ein Finanzdesaster unvorstellbaren Ausmaßes,das Deutschland seinen in 45 Jahren erarbeiteten Platz unterden führenden Industrienationen der Welt kosten wird – unddie nächsten Generationen ein Gutteil ihres von Eltern undGroßeltern erarbeiteten Erbes. Es muß hier aus Gründen derthematischen Begrenzung dahingestellt bleiben, ob es für dieTerminierung und den Umtauschkurs der Ost / West-DM-Union eine Alternative gegeben hätte, ohne daß die Men-schen aus den Neuen Bundesländern – wie es heißt – „zur D-Mark gekommen wären“. (Es gab sie sehr wohl, doch nie-mand wollte sie hören.) Fest steht, daß zumindest die astro-nomische Summe von fünundert Milliarden Mark (= Fünf-hunderttausend Millionen) sogenannter Altschulden, welcheuns zusätzlich zu den laufenden Vielhundertmilliarden-Transfers noch ins Haus steht, weitgehend hätte vermiedenwerden können, wenn die Verantwortlichen nicht den unbe-greiflichen Fehler begangen hätten, sozialistisch-staatsdirigi-stische Schulden mit „echten“ kapitalistischen Schuldengleichzusetzen und mit einer Fehlkalkulation von zweitau-send Milliarden (!!!) Mark in die Einheit zu tappen. Am prä-gnantesten hat Stephan Lorz die gespenstige Ignoranz der re-gierungsamtlichen Billionenverschwender bloßgelegt: „Inder DDR-Planwirtscha“, so Lorz, „war der Staat Gläubigerund Schuldner zugleich. Als Eigentümer der Staatsbetriebenahm er Kredite [Kreditnehmer], die er als Eigentümer derStaatsbank [Kreditgeber] gewährte. Es hätte also genügt,Schulden und Forderungen bei der Staatsbank gegeneinan-der aufzurechnen. Nur fünfunddreißig Prozent der Kredite

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wurden in der Bankbilanz durch Sparguthaben der Bevölke-rung gedeckt. Die Sparer hätten mit geringem Aufwand ent-schädigt werden können. Doch die Bundesregierung verwarfdiese Schuldenstreichung. Heute schlagen die ungedecktenAltschulden der DDR-Zentralverwaltungswirtscha voll zuBuche, und die Bundesrepublik befindet sich in der Schuld-nerposition … Die in der DDR von Staats wegen zugeteilten»Planverbindlichkeiten« sind jetzt echte D-Mark-Schuldengeworden“ (Lorz  1992). (Es sind, das sei hier angemerkt,nicht zuletzt die – eigentlich wertlos gewesenen – Milliarden-Vermögen der politischen Verbrecher-Cliquen der Ex-DDR,die der bundesdeutsche Steuerzahler auf diese Weise in harteund sauer erarbeitete D-Mark umgetauscht hat.)Doch was hat die innerdeutsche Währungsunion mit der eu-ropäischen zu tun? Leider sehr viel mehr als die ECU-Ver-fechter zugeben wollen. Stereotyp weisen die WU-Euphori-ker jede Parallelitäts-Andeutung mit dem entrüsteten Ein-wand zurück, man könne die deutsche Währungsunion„überhaupt nicht“ mit der europäischen vergleichen, weilman keinen der EG-Staaten mit der „total bankrotten DDR“in einen Topf werfen dürfe. Richtig. Und doch falsch. Dennwas innerhalb der EG im Vergleich zur ehemaligen DDR anabsolutem Armuts- und Produktivitätsgefälle fehlt, das machtdie relativ um ein Zigfaches größere Fläche und Bevölke-rungszahl der europäischen Mangelregionen spielend wett.Außerdem bestehen vielfache Parallelen in der abenteuerli-chen Ignoranz, mit welcher die politischen Milliarden-Jon-gleure die Konditionen und Bausteine der Euro-Umtausch-und Vereinigungsaktion angehen. Doch davon später. Zu-nächst sei festgehalten, daß es an frühzeitigen und eindring-lichen Ermahnungen vergleichender Natur nicht gemangelthat, weder von seiten der Wissenscha noch aus dem Mundberufener Repräsentanten der politischen Zun. So war die

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vehemente Kritik Karl Otto Pöhls (damals noch Bundes-bankpräsident) an der deutschen Währungsunion immer zugleich auch als Warnung vor übereilten Schritten in der Europäischen Währungsunion zu verstehen. Vor dem Wirt-schas- und Währungsausschuß des Europaparlaments bezeichnete er (im März 1991) das Ergebnis der deutschenVariante als „Katastrophe“ und als „abschreckendes Beispieleiner Währungsunion ohne wirtschaliche Voraussetzun-gen“. Deutlicher kann wohl ein Hochoffizieller in solcher P -osition nicht werden. Schon ein Jahr zuvor hatte ProfessorHelmut Hesse, Präsident der Landeszentralbank in Nieder-sachsen, in einer Referats-Broschüre (»Zweifache Währungs-union: Probleme und Aussichten«) geunkt, die Bonner Alleingänge bei der deutschen Währungsunion – gegen dendringenden Rat der Bundesbank – seien ein böses Omen fürden noch schwierigeren Prozeß der Europäischen Wäh-rungsunion. Im gleichen Jahr (1991) ließ Ex-Wirtschas-und Finanzminister Prof. Karl Schiller nicht nur mit demWissen des gelernten Nationalökonomen und der Erfahrungaus einer langen politischen Lauahn, sondern auch mit derWeisheit von achtzig Lebensjahren verlauten: „Es stehen ge-waltige Transferzahlungen von den reicheren in die ärmerenLänder ins Haus … Der Phantasie sind hier keine Grenzengesetzt. Wir haben unsere eigenen häuslichen Erfahrungen…: Die deutsche Währungsunion war von Anfang an mit einem gewaltigen Finanztransfer von West nach Ost verbun-den“ (Schiller 1991).Ähnliche oder gleichlautende Analogie-Hinweise aus akade-mischer und journalistischer Feder sind kaum noch zu zäh-len. Als pars pro toto sei hier der brillante Herbert Kremp an-geführt, der den pervertierten Stufenplan zur EuropäischenEinigung (zuerst die Währungsunion und später – vielleicht– die politische Union) mit der verhängnisvollen Stufen-Ver-

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kehrung bei der deutschen Wiedervereinigung verglich:„Diese Konstruktionsmanier“, schrieb er in der »Welt«, „istnicht unbekannt. Sie entspricht ziemlich genau dem deut-schen Einigungsprozeß auf dem Stand des 1. Juli 1990: Diemonetäre Einheit wurde in Gang gesetzt, bevor die politischeEinheit vollendet werden konnte. Im deutschen Fall sprachenfür das Vorziehen der Währungseinheit zwingende Gründe.Im Fall Europa gibt es diese nicht.“ „Die umgekehrte Reihen-folge läßt die zentrale Geldmenge zu einer Transferpumpe,einem Entwertungsinstrument mit dynamischer Inflations-folge entarten“ (Kremp 1991b). Doch keiner der politischen„Macher“ hat sich bislang von solchen Kautelen beeinflussenlassen. Typisch für den Hochmut der Euro-Barone, der sie dieRatschläge der besten Köpfe ihrer Nation sogar bei Entschei-dungen von welthistorischer Dimension in den Wind schla-gen läßt, war jener Konsens, auf den sie sich bei einem Kollo-quium im Pariser Wirtschas- und Finanzministerium (Juni1990) geeinigt hatten: Man dürfe – so die einhellige Meinung– die Experten nicht allzu lange über die Europäische Wäh-rungsunion beraten lassen, da sonst die Liste der Problemeimmer länger werde. Vielleicht muß man sogar in Erwägungziehen, daß sich in solchen Zirkeln eine makabre Spekulationeingenistet haben könnte: Die Deutschen – so könnte die gedankliche Assoziation aussehen – haben ja per eigenerWährungsunion gezeigt, wie man mit ein paar Millionen anzusätzlichen Arbeitslosen fertig wird. Bei der gesamteuropäi-schen Version mag es dann eben einige zig Millionen interna-tionale Kurzarbeiter geben, die seltsamerweise nicht „kurz“,sondern gar nicht arbeiten; und aus dem deutschen Modellder Beschäigungsgesellschaen, wo sich unzählige Men-schen damit beschäigen, wie man ohne Beschäigung be-schäigt sein kann, läßt sich vielleicht sogar ein europäischerExportschlager machen. Wenn man dann noch bedenkt, wie

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viele Euro-Betriebsräte in solchen Beschäigungsgesellschaf-ten gebraucht werden, und daß in den Beschäigungs-Groß-konzernen (um eine Forderung der SPD-Politikerin AnkeFuchs für Deutschland  Ost aufzugreifen) noch kräig mit -bestimmt werden muß, dann kann am Horizont der Einheits-währung gar das Gespenst des Arbeitskräemangels aufstei-gen, wenn auch nur in wirren Funktionärsköpfen.Natürlich sind deutsche und europäische Währungsunionhinsichtlich ihrer historischen, menschlichen, ideologischenund ethnisch-kulturellen Inhalte nicht vergleichbar, aber sehrwohl bezüglich ihrer technisch-ökonomischen Implikatio-nen. Das Produktivitätsgefälle zwischen Portugal und Däne-mark (das sich grob im Lohngefälle widerspiegelt) liegt je-denfalls mit eins zu sieben (1991) ziemlich nah bei jenem, daszum Zeitpunkt der Vereinigung zwischen DDR und Bundes-republik vorzufinden war. Wie beim deutschen „Vorbild“, sofordert das europäische Einheitsgeld bei entfallenden Wech-selkursgrenzen zwingend die politische und die sogenannteSozialunion, also den nahezu vollständigen Ausgleich desReichtums- (oder Armuts-) Gefälles innerhalb des Unionsge-bietes. Und zwar mit dreifacher Zwangsläufigkeit: 1.  ergibtsich das aus einer politisch-moralischen Verpflichtung derEntscheidungsträger, ihre großmäuligen Versprechungeneinzulösen; 2. entspricht dies den Erwartungen der bisher be-nachteiligten Länder und ihrer Bürger, was zu einem entspre-chend massiven Druck auf alle beteiligten Regierungen führt,und 3. bleibt den reicheren Mitgliedsnationen gar nichts an-deres übrig, wenn sie bei offenen Grenzen nicht mit chaoti-schen Masseneinwanderungen aus den schwächeren Gebie-ten konfrontiert werden wollen. Mit den Worten von Bun-desbankpräsident Helmut Schlesinger (auf einer Veranstal-tung in Rotterdam vom November 1991): Eine dauerhaeWährungsunion setzt den Willen voraus, gravierende wirt-

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schaliche Konsequenzen – ähnlich wie nach der deutsch-deutschen D-Mark-Union – „sozialpolitisch abzufedern“.Außerdem – so muß man ergänzen – wirkt einheitlichesGeld, wenn es in bisher devisenhoheitlich getrennte Gebieteeingeführt wird, wie kommunizierende Röhren. Wenn maneine volle Wanne vermittels einer Röhre mit einer leerenWanne verbindet, dann wird eben ganz rasch die bisher vollehalbleer und die bisher leere halbvoll. Das ist gleichermaßenphysikalisches wie volkswirtschaliches Einmaleins. Es fehltlediglich noch die Phantasie sich vorzustellen, welche Di-mensionen ein derartiger Vorgang bei einer „Gesamtfüll-menge“ von 370 Millionen Menschen annehmen kann.Zumindest sollte am deutschen Beispiel deutlich gewordensein, was der Zusammenbruch ganzer (produktivitätsschwa-cher) Landstriche und Ökonomiezweige an gesellschaspoli-tischem Sprengstoff birgt. Auch heute, mehr als drei Jahrenach der Wiedervereinigung, kann noch niemand beurteilen,ob die Alte Bundesrepublik diesen beispiellosen Aderlaß po-litisch und ökonomisch auf längere Sicht überleben wird.Umso sicherer aber ist, daß die europäische Einigungsidee ei-ne Währungsunion nach Maastricht-Manier nicht überlebenkann. Für die verbissene Entschlossenheit (vor allem) derdeutschen Akteure, ihr Volk – trotz der brandaktuellen Er-fahrungen mit der D-Mark-Union – einem staatsrechtlich ir-reversiblen Automatismus für eine europäische Währungs-union auszuliefern, gibt es nur noch eine Bezeichnung: DieWahnsinnstat politischer Hasardeure, denen das Schicksalihrer Nation zum eitlen Spielzeug geraten ist.

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6. Die Inflationsmaschine

„Die Lust am Untergang der Deutschen Mark läßtnicht nur deutsche Europaromantiker unberührt, son-dern beflügelt auch deutsche Inflationisten.“Hans Willgerodt (1989)

Nach dem Gipfel in Maastricht (9. und 10. Dezember 1991)ließ Finanzminister eo Waigel verlauten, mit der Wäh-rungsunion werde in Europa eine Stabilitätsgemeinscha„von noch nie gekanntem Ausmaß“ geschaffen. Diese euphe-mistische Aussage ist nicht nur inhaltlich falsch (was nochmit weiteren Analysen zu erhärten sein wird), sondern auchhistorisch unzutreffend. Eine Stabilitätsgemeinscha „nochnie gekannten Ausmaßes“ hat es in Europa nämlich unter derHerrscha der Goldwährung im 19.  Jahrhundert gegeben.Und bei der Einmaligkeit dieser geldgeschichtlichen Sonder-situation wird es wohl bleiben.Zur gleichen Zeit (Dezember 1991) erschienen in den gro-ßen, überregionalen Tageszeitungen unter der Überschri„Stabile Währung, stabile Zukun“ halbseitige Anzeigen mitfettgedruckten Schlagzeilen wie: „Wir Deutschen haben eineder härtesten und stabilsten Währungen der Welt“, „So starkwie die Mark wird auch im vereinten Europa die gemeinsameWährung bleiben“, „Was unsere Währung so stark gemachthat, sichert nun unsere Zukun in Europa“ und „Durch dieEinführung der Europa-Währung verlieren die Spargut -haben nichts an ihrem Wert“.Was dem geldgeschichtlich Kundigen als erstes auffällt, ist die(seit Jahrzehnten gepflegte) Manie der regierungsamtlichenund medialen Meinungsmacher, von der D-Mark stets als„harter“ und „stabiler“ Währung zu reden. In Wirklichkeitweist das bundesrepublikanische Enteignungs- und Wert -vernichtungs-Geldzeichen kaum noch zehn Prozent seiner ur-

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sprünglichen Kaura (von 1949) auf – und das bei einer zwi-schenzeitlich eingetretenen Produktivitätssteigerung derdeutschen Wirtscha von mehreren hundert Prozent. DieMark kann also ein bescheidenes Lob allenfalls im Vergleichmit den noch schwindsüchtigeren Papierfetzen in ihrer Nach-barscha ernten. Von der Mark als harter und stabiler Wäh-rung zu reden, entspricht der makabren Idee, einem Todkran-ken auf einem Friedhof zu erklären, er sei der ge sündeste Bür-ger dieser Gemarkung. Sogar dann, wenn das deutsche Preis-niveau seit Einführung der D-Mark konstant geblieben wäre,düre man nicht von gutem und stabilem Geld sprechen.„Vom Standpunkt der eorie“, können wir bei Wolfram Engels lesen, „ist … nicht ein Geld optimal, in dem gemessendas Preisniveau konstant ist, sondern eines, in dem das Preis -niveau mit zunehmender Produktivität sinkt“ (Engels 1990b).Minister Waigels Versprechen darf uns also noch nicht einmaldann beruhigen, wenn er – was höchst unwahrscheinlich ist –recht behalten sollte. Doch leider sind die realistischen Aus-sichten des Euro-Geldes wesentlich trüber.In Artikel 105 des Maastricht-Vertrages ist dem Preisstabili-tätsziel eine zaghae Streicheleinheit gewidmet, indem derimperativen Formulierung: „das Europäische System derZentralbanken [unterstützt] die allgemeine Wirtschaspoli-tik in der Gemeinscha“ – der Vorbehalt vorangeht: „soweitdies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität mög-lich ist“. Das klingt gut. Aber wie wird die Realität aussehen?Beschlußorgane der künigen Europäischen Zentralbank(EZB) werden der »Rat der EZB« und das Direktorium sein.Der Rat der EZB setzt sich zusammen aus den Mitgliederndes Direktoriums und den Gouverneuren der nationalenZentralbanken. Das heißt: Mit Ausnahme der kleinen Un-wägbarkeit im Abstimmungsmodus, die sich aus der Zusam-mensetzung des Direktoriums ergibt, haben alle an der Wäh-

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rungsunion beteiligten europäischen Nationen ein Stimm-recht von gleichem Gewicht. Ob groß oder klein, bevölke-rungsreich oder -arm, ob ökonomischer Riese oder Zwerg,traditionell stabilitätsgeneigt oder schludrig: bei jeder Ent-scheidung des Gremiums hat jedes Land (in der Person seinesnationalen Zentralbankgouverneurs) die gleiche Stimme.Man muß sich nur die Geldwert-Wüste Europas (seit demZweiten Weltkrieg) einmal ansehen, um zu wissen, was dieseStimmengleichheit bedeuten wird. Auch wenn einige der besonders wilden Schulden- und Inflationstreiber in dennächsten Jahren stabilitätspolitisch in die Rolle der LiebenMausi schlüpfen werden, um die Aufnahmeprüfung in denWährungsclub bestehen und ihre Bankrottbilanzen in die ge-meinsame Clubkasse einbringen zu können, so möge sichdoch niemand der Illusion hingeben, daß die in der Wolle gefärbten Rabauken einer vierzigjährigen Geldzerstörungs-randale nach bestandener Aufnahmeprüfung die Rolle desMusterschülers weiterspielen werden. Es hieße, auf eine un-ablässige Abfolge von Wundern zu hoffen, würde man an-nehmen, der Stabilitätswille der künigen EZB entsprächeauch nur annähernd dem bisherigen der Deutschen Bundes-bank. Es ist zwar offensichtlich, daß sich in jüngster Zeit auchdie notorischen ordnungspolitischen Großsünder unter deneuropäischen Regierungen einem gewissen marktwirtscha-lichen und budgetpolitischen Disziplinierungszwang unter-werfen, um die „Eintrittskarte“ für 1996 / 99 nicht zu verfeh-len, doch sollte man die Alibi-Funktion nicht übersehen, wel-che die WU hierbei spielt. Der Terminzwang zur Erfüllungder im Maastricht-Vertrag festgelegten Konvergenzkriteriendient vielfach als Begründungsargument für solche Deregu-lierungen und harte fiskalpolitische Maßnahmen, die inWahrheit dem Diktat der leeren Staatsschatullen zuzuschrei-ben sind. Die Politik der Schmerzen und der enger geschnall-

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ten Gürtel entspringt überwiegend nicht ordnungspolitischerEinsicht, sondern den Zwängen eines allseits drohendenBankrotts der öffentlichen Kassen.Die Elogen auf die unverbrüchliche (und zumindest der D-Mark ebenbürtige) Stabilität des künigen Euro-Geldes stüt-zen sich im wesentlichen auf drei im Maastricht-Vertrag ver-ankerte institutionelle Vorkehrungen: 1. auf die sogenannten„Konvergenzbedingungen“ zum Eintritt in die WU, 2. auf diesprichwörtliche „Unabhängigkeit“ der künigen Europäi-schen Zentralbank (sowie auf das Verbot von Kreditgewäh-rungen der EZB an nationale Regierungen), und 3.  auf dieKontrollpflichten und Sanktionsbefugnisse von EG-Organen(vor allem von Rat und Kommission) hinsichtlich „übermä-ßiger“ Defizite einzelner WU-Mitgliedsländer.

Zu den Konvergenzkriterien:Der Vertrag bestimmt, daß nur solche EG-Länder in die drit-te WU-Stufe eintreten dürfen, die wirtschalich und finan-ziell ein hohes Maß an Konvergenz aufweisen. Gemessenwird diese Annäherung an fünf Kriterien:1. Der jeweilige Aspirant muß im letzten Jahr vor der Ent-

scheidung über seinen WU-Beitritt eine Inflationsratenachweisen können, welche um höchstens 1,5 Prozent-punkte über derjenigen in den (höchstens drei) Mitglied-staaten liegt, die den niedrigsten Preisanstieg zu verzeich-nen haben.

2. Der Rat der EG-Finanzminister muß feststellen, daß dasHaushaltsdefizit (Kreditfinanzierte jährliche Neuver-schuldung) des beitrittswilligen Landes drei Prozent sei-nes Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigt.

3. Die öffentliche Verschuldung des jeweiligen Landes (auf-gelaufene Staatsschuld) darf nicht höher sein als sechzigProzent seines Bruttoinlandsprodukts.

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4. Die Währung des aufnahmesuchenden Mitglieds muß in-nerhalb der letzten zwei Jahre vor seinem Eintritt in dieEndstufe der WU die festgelegten Wechselkurs-Bandbrei-ten im EWS ohne Abwertung eingehalten haben.

5. Der effektive Marktzins langlaufender Staatsanleihen darfin den Beitrittsländern höchstens zwei Prozentpunkte hö-her liegen als der entsprechende Zins in den drei Ländernmit der niedrigsten Zinsrate.

Es ließen sich nun diverse Zahlenspielereien anstellen, mitderen Hilfe man belegen könnte, daß diese scheinbar stren-gen Bedingungen eine „Startinflation“ von zehn und mehrProzent zulassen würden. Doch das wären Spekulationen.Bedeutsamer sind die prinzipiellen Ungereimtheiten derKonzeption. Studiert man die entsprechenden Passagen desMaastricht- Vertrages und seiner Begleitprotokolle sorgfältig,so stellt man fest, daß die dort mit Akribie fixierten Konver-genzkriterien keineswegs als conditiones sine quibus nonzum Beitritt in den Währungsclub gelten. Sie stellen vielmehrnur Ausgangs- und Orientierungspunkte für spezifische Be-richte dar, die zu gegebener Zeit von der Europäischen Kom-mission, vom Europäischen Währungsinstitut (EWI = Vor-läufer der EZB) und von den EG-Finanzministern zu erstel-len sind. Der Europäische Rat soll alsdann aufgrund dieserBerichte bis zum 31.  Dezember 1996 (mit qualifizierterMehrheit) darüber entscheiden, ob eine Mehrheit der Mit-gliedstaaten die Voraussetzungen für die WU erfüllt odernicht. Der Rat ist bei seiner Entscheidung jedoch nicht an denInhalt oder die Ergebnisse der Berichte gebunden. Abgesehendavon, daß er „besondere Umstände berücksichtigen“ und(nach Art. 109g) „Ausnahmeregelungen treffen“ kann, stehtes dem Rat frei, den Übergang zur dritten Stufe der Wäh-rungsunion zu beschließen – ganz egal, was die ehrwürdigenBerichte aussagen. Sollte der Rat aber (möglicherweise wie-

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derum unabhängig von den Berichtsinhalten) zur Überzeu-gung gelangen, daß die Mehrheit der Beitrittswilligen nochnicht „reif “ für die WU sei, und ist der Zeitpunkt für den Be-ginn der dritten Stufe bis Ende 1997 nicht definitiv festgelegt,so startet diese Endstufe automatisch und auf jeden Fall am1. Januar 1999. Auch dann steht es dem Rat frei – Berichte hinoder her –, mit qualifizierter Mehrheit zu beschließen, welcheLänder in die Europäische Währungsunion aufgenommenwerden. (Eine Mehrheit der Beitrittswilligen oder -fähigen istdann nicht mehr erforderlich.) Genau besehen, sind die viel-gerühmten „strengen“ Konvergenzkriterien (als angeblicheAufnahmebedingungen) also Augenwischerei, substanzloseBeruhigungspillen fürs gläubig staunende Publikum. Place-bos für Einfaltspinsel.

Zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank:Analog zu den einschränkenden Ausführungen zur „stabi-len“ D-Mark (siehe oben) sei auch bezüglich der Notenbank-autonomie vorweg angemerkt, daß der im Konzert der EG-Zentralbanken singuläre Autonomiestatus der DeutschenBundesbank keineswegs ein Garant für jene „konsequenteStabilitätspolitik“ gewesen ist, die man ihr seit Jahrzehntenandichtet. Relativ zu den staatsgegängelten Marionetten-Vet-tern in der europäischen Nachbarscha mag das Prädikat»unabhängig« seine Berechtigung haben, keinesfalls jedochgilt es absolut; weder für die zurückliegenden vier Dezenniennoch für die jüngste Zeit. „Viel Worte, wenig handfeste Taten“war deshalb auch die treffende Überschri über eine Publika-tion aus der Feder der Nationalökonomen Bernhard Herzund Joachim Starbatty, in welcher sie nachweisen, daß dasmerkliche Hochschnellen der Preise seit dem Jahreswechsel1988 / 89 (also lange vor dem geldmengenspezifischen Alibi-Ereignis der deutschen Wiedervereinigung) geldpolitisch

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vorprogrammiert gewesen ist (Herz 1989). Wie sollte es auchanders sein können bei Geld, das keinerlei Sachwertankermehr besitzt. Die Notenbank steht vor der unlösbaren Aufga-be, etwas „autonom“ beeinflussen zu müssen, von dem sie garnicht weiß, was es ist. Professor Wolfram Engels: „Heutzutagewissen wir weder, was eigentlich die Geldmenge ist, noch wieman sie steuern soll, noch welche Wirkungen es hätte, wennman sie steuern könnte. Das jährlich verkündete Geldmen-genziel der Deutschen Bundesbank ist nicht viel mehr als einPropagandainstrument zu dem Zweck, Vertrauen im Publi-kum zu schaffen und die Gewerkschaen von überhöhtenLohnforderungen abzuhalten.“ Und deshalb wettert Engelsin Richtung EZB und Einheitswährung: „Die Jahrhundert-chance für ein wirklich gutes Geld, für eine Modernisierungdes Trödelladens unserer Notenbankverfassungen, wird nochnicht einmal wahrgenommen. Der EMU [European Moneta-ry Unit] steckt seinen Kopf in den Sand“ (Engels 1990 a).So viel also prinzipiell zur Notenbank-Autonomie. Nun zurFrage, ob und wie die hochlöbliche Unabhängigkeit der Eu-ropäischen Zentralbank überhaupt gesichert werden kann(auch wenn diese Unabhängigkeit, wie gesagt, zwar not-wendige aber nicht hinreichende Bedingung für eine stabileWährung ist). Als die Deutsche Bundesbank im Oktober1989 den Diskont- und Lombardsatz um je einen Punkt er-höhte, stellte ihr Präsident (Pöhl) öffentlich die Frage: „Washätte eine Europäische Notenbank jetzt getan?“ In den Jahren1990, 91 und 92 hätte er die gleiche Frage wieder und wiederstellen können. Die Antwort konnte Karl Otto Pöhl natürlichnicht offenlassen, denn sie war in seiner Frage bereits implizitenthalten: Eine Europäische Zentralbank hätte den genann-ten Beschluß (und auch die nachfolgenden) weder fassenwollen noch fassen können, denn in jeder das Bundesbank-Handeln auslösenden Situation standen in diesen Jahren die

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geld-, zins- und konjunkturpolitischen Interessen der ande-ren EG-Partner den innerdeutschen Erfordernissen diame-tral entgegen.An anderer Stelle (Vortrag in Paris im Januar 1990) warntePöhl: „In einer Konföderation wie der EG [besteht] immerdie Tendenz …, sich an Durchschnitten und Kompromissenzu orientieren, was aber der schlechteste Kompaß für dieGeldpolitik ist.“ So zutreffend dieser Satz war, so irreführendwar die Anschlußbemerkung: „Nur eine unabhängige Insti-tution“, so Pöhl, „ist auch in der Lage, den in der Praxis immerwiederkehrenden Wünschen der Politiker zu widerstehen,der Geldpolitik Ziele vorzugeben, die mit dem Stabilitätszielhäufig unvereinbar sind, etwa die Stabilisierung von Wechsel-kursen oder Förderung von Wachstum und Beschäigungoder Ausgleich regionaler Ungleichgewichte.“ Nein, verehr-ter Herr Pöhl, auch eine unabhängige Zentralbank ist hierzunicht in der Lage. Konnte sich schon die Bundesbank mit ih-rem (im EG-Vergleich) höchsten Unabhängigkeitsgrad denWünschen der Politik nur halbwegs widersetzen, so ist eine –noch so autonome – Europäische Zentralbank, die fähig wäre, sich erfolgreich dem politischen Druck von zwölf (odermehr) Regierungen entgegenzustemmen, erst recht einPhantasiegebilde. Frommes Wunschdenken. Ohnehin sinddie Waffen der Zentralbanken im Sozialstaat ausgesprochenstumpf geworden. Gegen die politischen Offensivarmeen, dieunter den Fahnen einer neuhedonistischen Beschäigungs-und Konjunkturpolitik, sowie einer wohlfahrtsstaatlichenFiskal-, Sozial-, Struktur- und Ausgleichspolitik aufmar-schieren, nehmen sich die geldpolitischen Waffen der Zen-tralbanken wie Zahnstocher aus. Das tragische Spielchen istdoch immer das gleiche: Zuerst die Verschuldungsorgien deröffentlichen Kassen. Dann die wahnwitzigen Forderungender Gewerkschaen. Darauin ein Emporschnellen der In-

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flationsraten und Zinsen, welche noch höhere Ausgaben undForderungen zur Folge haben. Und mitten drin eine Zentral-bank, die – zunächst – mutig dagegenhält. Doch wennschließlich die Rezession um die Ecke schielt und die Arbeits-losenziffern nach oben schnellen, dann kommt die politischeDresche auf die Notenbanker, die – welch Wunder – an allemÜbel schuld sein sollen. Und dann werden sie weich und zitt-rig, die wackeren Streiter von Frankfurt – und öffnen dieSchleusen. Eine andere Verhaltensweise ist auch gar nichtdenkbar, denn wenn die Zentralbank dem volkswirtscha -lichen Aberwitz der Gewerkschaen, die Lohnsteigerungenjahrzehntelang der Produktivitätsentwicklung vorauseilen zulassen (bzw. den Folgen solch zerstörerischen Gebarens)wirklich entgegentreten wollte, so müßte sie geld- und zins-politisch eine schwere Depression nach der anderen auslösen.Auf europäische Dimensionen projiziert, wird sich der politi-sche Vielfachdruck derart potenzieren, daß es für die Waffender Europäischen Zentralbank – auch wenn sie autonom undstabilitätsverpflichtet sein wird – nur noch eine zutreffendeBezeichnung geben kann: Knallerbsen. Eine EZB, die sich(stabilitätsorientiert) auf ein europaweit einheitliches Geld-mengenziel festlegen und somit – trotz der nach wie vor weitdivergierenden nationalen und regionalen Wirtschasent-wicklungen – auf direkte Zins- und Konjunkturpolitik ver-zichten müßte, existiert nur in Wolkenkuckucksheim.Einen Vorgeschmack davon, was von der vielbesungenen Un-abhängigkeit der künigen Europäischen Zentralbank übrigbleiben wird, konnte man sich bei den EWS-TurbulenzenMitte September 1992 holen: Die (ach so autonome) Bundes-bank wurde durch massiven politischen Druck gezwungen,ihre wenige Wochen alte Maxime (die Leitzinsen wegen deranhaltenden Inflationsgefahr nicht mehr senken zu wollen)über den Haufen zu werfen. Der europaweite Jubel über den

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Genickbruch des „Monsters von Frankfurt“ hat alle Akteureentlarvt, die seit Maastricht die EZB-Autonomie als unver-brüchlichen Schwur preisen. Ehrlich bei diesem peinlichenSchauspiel war nur einer – wenn auch aus zwielichtigenGründen (bevorstehendes Referendum) –, nämlich FrançoisMitterrand, der verlauten ließ: „Sie [die EZB] wird nicht Her-rin ihrer Entschlüsse sein … Sie wird den Aurag haben, diewirtschaspolitischen Entschlüsse des Ministerrats auszu-führen.“ (Ähnlich aufschlußreich war bereits die Entschlie-ßung des Europaparlaments zur WWU vom 16. Mai 1990 –auf der Basis eines Berichts des Belgiers Fernand Herman –:In dem der Entschließung zugrunde liegenden Antrag hießes zum Europäischen Zentralbanksystem, es müsse autonom[sic!] über die Durchführung der vom Rat festgesetzten undvom Parlament gebilligten Ziele der Wirtschaspolitik be-schließen und gleichzeitig die Preisstabilität garantieren, so-wie die Ziele der vom Rat und vom Europaparlament festgeleg-ten allgemeinen Wirtschaspolitik unterstützen. Weiterhinmüsse das System „in völliger Autonomie“ eine gemeinsameWährungspolitik verfolgen, die auf Preisstabilität ausgerich-tet sei und auf Kriterien, welche die ausgewogene wirtscha -liche und soziale Entwicklung der EG anstreben. Eine besserePersiflage, ja Verhöhnung des Begriffs »Autonomie« läßt sichwohl kaum noch finden.)Doch unabhängig von den verbalen Eiertänzen und trügeri-schen Worthülsen der Maastricht-Gaukelei sollte der nüch-terne Beobachter erkennen, daß die EZB gar nicht stabilitäts-politisch agieren kann; auch dann nicht, wenn die Mehrheitihrer Entscheidungsträger dies möchte. Die verschiedeneneuropäischen Länder reagieren sehr unterschiedlich auf Än-derungen weltwirtschalicher oder außergemeinschalicherDaten. Ein exportintensives Land reagiert beispielsweiseganz anders auf einen steigenden oder fallenden Dollar als

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ein importlastiges oder ein Land mit unbedeutendem Au-ßenhandel; eine dicht besiedelte und hochindustrialisierteNation anders auf einen Ölpreisanstieg als eine dünn besie-delte und schwach industrialisierte usw. In einem einheit -lichen Währungsraum kann aber die Geldpolitik nicht mehrauf die differenzierten (oder gar divergierenden) Bedürfnisseder solcherart unterschiedlich betroffenen Regionen aus -gerichtet werden. Kurz: Die zentralisierte Geldpolitik einerEinheitswährung kann nicht regionalisiert werden; sie mußuniform sein. Eine einheitliche Geldpolitik für regional odernational unterschiedliche oder gar gegensätzliche ökonomi-sche Erfordernisse ist jedoch schädlicher als gar keine Geld-politik. Somit verlieren die geldpolitischen Instrumente derkünigen Europäischen Zentralbank – auch bei ernsthaemStabilitätswillen der Verantwortlichen – ihren Sinn und ihreWirkung. Die EZB ist paralysiert, das heißt gelähmt. IhrerStabilitätspolitik sind die Zähne gezogen. Sie ist ein Papier -tiger. (Ähnlich ergeht es der Finanzpolitik in einem Raumohne Mobilitätsgrenzen, womit die zweite Säule einer mög -lichen Geldwertstütze zusammenbricht.) Man stelle sich nurvor, wie lange sich in einem Einheitswährungsgebiet regionaloder national unterschiedliche Zinssätze halten könnten:Nicht länger als einige Stunden; dann würden regelrechte Ar-bitrage-Stürme für den Ausgleich sorgen.Doch an dieser Stelle sind die Überlegungen noch nicht zuEnde. Jetzt beginnt erst das, was man mit dem »Weg in die In-flation« überschreiben kann, denn wenn sich die Notenban-ker schon auf eine uniforme Politik für alle Mitgliedsländereinigen müssen, dann ist absehbar, daß die jeweils leichtferti-geren den Sieg davontragen werden. Die Mehrzahl der euro-päischen Nationen ist nun mal wenig geldwertsensibel, undentsprechend bedenkenlos werden ihre Vertreter im Zentral-bankrat agieren. „Selbst wenn die Notenbankgouverneure …

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äußerste nationale Keuschheit walten lassen“, schreibt Profes-sor Rudolf Richter, „– vom Druck der öffentlichen Meinungdaheim sind sie nicht unabhängig … Letzten Endes ist dasZusammenspiel zwischen Notenbank und Regierung, Parla-ment, Gewerkschaen, Arbeitgeberverbänden und so weiterfür die Geldwertentwicklung entscheidend … Die Zentral-bank kann im Papierstandard die Kaura des Geldes aufDauer nicht besser machen, als sie die Geldbenutzer habenwollen“ (Richter 1991).Das ist nichts anderes als die Umschreibung der alten natio-nalökonomischen Weisheit, daß jedes Volk letztlich nicht nurdie Regierung, sondern auch das Geld hat, welche(s) es ver-dient. Und das „Volk“ in einer Europäischen Währungsunionsetzt sich eben überwiegend aus Völkern zusammen, denendie Geldwertsensibilität der in zwei Hyperinflationen undWährungsreformen gebrannten Deutschen fremd ist. „Stabi-litätspräferenz“, definiert Rudolf Scheid, „heißt … die Bereit-scha, Verzicht zu leisten und Opfer für eine stabile Währungzu bringen. Diese Bereitscha ist unter den EG-Ländern sehrunterschiedlich entwickelt … und deshalb kann das Stabili-tätsmaß einer EG-gemeinsamen Währung sich nicht aus derStabilitätspräferenz der Deutschen ergeben, sondern nur ausder aller EG-Länder im Durchschnitt. Es wird deshalb bei ei-ner gemeinsamen Währung zu mehr Inflation kommen“(Scheid 1989).Dieses Faktum ist bei nahezu einhundert Prozent aller deut-schen Ökonomen unbestritten (s. hierzu bes. Vaubel 1992 a /b). Nur auf die schamanenha wiederholten Beschwörungs-formeln von der »Stabilität garantierenden EZB-Autono-mie«, wie sie seit Maastricht aus allen politischen Statementstönen, scheint das keinen Einfluß zu haben. Für diesenscheinbar unbegreiflichen Umstand hat der treffliche Hans D.Barbier von der FAZ die wohl beste Erklärung gefunden,

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wenn er sinniert: „Eine Geld-, Zins- und Währungspolitik,die zum Gegenstand internationaler Beratungen wird, wirdimmer dazu neigen, die absolute Priorität des Geldwertes ausden Augen zu verlieren … Für manches Mitgliedsland ist da-mit wohl schon der ganze Sinn der Währungsunion erreicht“(Barbier 1991).Aus der Nähe betrachtet hat das schöne Trugbild von derEZB-Autonomie jedoch noch andere häßliche Stellen. Hierzunur wenige Sätze: Die formale Unabhängigkeit der Europäi-schen Zentralbank kann sowohl durch eine expansive Haus-haltspolitik der Mitgliedsländer als auch durch die (Außen-)Wechselkurspolitik der Euro-Institutionen (vor allem vonRat und Kommission) nahezu vollständig unterlaufen wer-den. Wie schnell sogar eine nationale Geldpolitik mit ihremLatein am Ende ist, wenn die öffentlichen Budgets über-schwappen, kann derzeit an den Solidarpakt-Bemühungender Bundespolitik eindrucksvoll demonstriert werden. Undwie sich das im Maastricht-Vertrag verankerte Letztentschei-dungsrecht der Politik bei der Gestaltung des ECU-Außen-kurses auf die EZB-„Autonomie“ auswirken muß, kann ambesten an einem Beispiel verdeutlicht werden: Angenommen,die künige Europäische Zentralbank zeigte sich – getreu ihrem Stabilitätsaurag – nicht bereit, ein exzessives Staats-defizit der EG vermittels der Notenpresse zu finanzieren.Flugs könnten dann die Euro-Politiker das Argument ausdem Ärmel zaubern, der Dollar sei „zu billig“, weshalbEuropa unter einer „Importschwemme“ zu leiden habe. Alsosetzt man seinen Kurs um 20 Punkte nach oben. Liegt derneue Wechselkurs nun (wunschgemäß) über dem von Ange-bot und Nachfrage bestimmten Marktkurs, so ist er nur zuhalten, wenn die EZB ihn pflichtgemäß „stützt“, das heißtwenn sie Dollars gegen Zentralbankgeld auau. Das wie-derum ist nichts anderes als Geldschöpfung und Inflations -

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finanzierung des Staatsdefizits. Anders gesagt: Die Noten-bank wäre gezwungen, ihre angestrebte straffe Geldpolitikselbst zu unterlaufen – nach dem Motto: vorne zu, hinten auf.(Vgl. Rieker 1991.)Zur strikten Unabhängigkeit einer Europäischen Zentral-bank müßte also unabdingbar auch das alleinige Entschei-dungsrecht über den Außenkurs des ECU und dessen Ände-rung gehören (wenn man ihn schon nicht frei floaten lassenwill). Dieses Recht steht jedoch gemäß Art.  109 des Maas-tricht-Vertrages – trotz der üblichen und auch dort veranker-ten Stabilitäts-Beschwörungsformeln – dem Rat (auf Emp-fehlung der Kommission und nach „Anhörung“ der EZB), al-so der Politik zu. Das geldpolitische Instrumentarium derNotenbank (auch der „autonomen“) ist stumpf. Solange dieinnere Preisstabilität nicht ausdrücklich erklärten und insti-tutionell gesicherten Vorrang vor der äußeren Wechselkurs-politik hat, kann die (von Wundergläubigen unterstellte)Geldwertkeuschheit der EZB von der Politik jederzeit ausge-hebelt werden. Solche Quasi-Autonomie erinnert an das Ver-halten eines Vaters mehrerer Töchter, der durch strengesHausreglement die Jungfernscha seiner Maiden bewahrenwill, gleichzeitig aber jedem potentiellen Freier einen Haus-schlüssel aushändigt. Die vielbesungene Autonomie der Eu-ropäischen Zentralbank: sie existiert nicht – jedenfalls nichtin den Maastricht-Hieroglyphen. Und wo sie doch existierensollte, da wird sie nichts nützen. Im Gegenteil: Die Köpfe, diesie der lernäischen Hydra namens »Euro-Inflation« abschla-gen soll, werden mit jedem Hieb doppelt nachwachsen.Zu den Kontroll- und Sanktionsbefugnissen der EG-Organe:Art. 104 b des Vertrages von Maastricht sieht vor, daß die Ge-meinscha weder für Verbindlichkeiten der nationalen Zen-tralregierungen noch für solche ihrer regionalen oder lokalenGebietskörperschaen haen soll. Das ist – wie so vieles im

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Vertrag – natürlich Augenwischerei. Über eine Einheitswäh-rung fließen alle Schulden europaweit in eine einzige Bilanz:in eben jene neuen Geldscheine. Sie, die Einheitswährungs-Geldscheine werden „haen“. Und zwar unbeschränkt. Undsomit alle Bürger und Sparer Europas; die sparsamen und lei-stungsstarken am meisten, die Verschwender und Faulpelzeam wenigsten.Doch das, die Zerrüttung des neuen Geldes durch staatlich-öffentliche Schuldentreiberei und Defizitwirtscha, sollArt.  104  c verhindern, dessen erster Satz lautet: „Die Mit-gliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite.“ Inden Abschnitten  2 bis  14 folgen dann die diesbezüglichenKontroll- und Sanktionsmechanismen der EG-Institutionen.Eine monströse Maschinerie aus Prüf- und Überwachungs-aufgaben verschachtelter Instanzen soll die Sündenböckeausfindig machen und ihnen entgegentreten. Je nach Ge-mütslage des Lesers regen besagte Passagen entweder zumLachen oder zum Weinen an, vielleicht auch zu beidem. Dasoll die Kommission – wenn „unmäßige“ Defizite die schöneStabilität des neuen ECU zu erschüttern drohen – einen Tat-bestandsbericht erarbeiten, der natürlich auch alle „sonstigenFaktoren“ berücksichtigen muß. Sofern sie „den Eindruck gewinnt“, daß tatsächlich, auch unter Beachtung der „mittel-fristigen“ Wirtschas- und Haushaltslage, ein „exzessives“Haushaltsdefizit eines Mitgliedslandes vorliegt, so wird derBericht dem Rat vorgelegt. Dieser entscheidet alsdann „mitqualifizierter Mehrheit“ und „auf Empfehlung der Kommis-sion“, sowie „unter Berücksichtigung der Erklärungen des be-troffenen Mitgliedslandes“, sowie „nach Prüfung der Gesamt-situation“ über die Frage, „ob tatsächlich ein übermäßigesDefizit vorliegt“. Sollte der Rat zur Überzeugung gelangen(mit qualifizierter Mehrheit natürlich), daß dem so ist, sorichtet er „Empfehlungen“ an den jeweiligen Sünder, „dieser

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Lage innerhalb einer bestimmten Frist abzuhelfen“. Werdendiese Empfehlungen nicht befolgt, dann können sie – manwird schreckensbleich – sogar „veröffentlicht“ werden. Nutztauch das nichts, so kann das betreffende Mitgliedsland „ab-gemahnt“ werden. Zeigt der Exzeßdefizitler auch dann nochkeine tätige Reue, wird der Rat ernstha böse und kann „mitzwei Dritteln der gewogenen Stimmen“ Furchtbares beschlie-ßen. Nämlich: – daß der Übeltäter vor der Emission weitererSchuldtitel „zusätzliche Angaben veröffentlicht“; – daß dieEuropäische Investitionsbank ihre Darlehenspolitik bezüg-lich dieses Landes „überprü“; und schlimmstenfalls, – daßder uneinsichtige Mitgliedstaat eine unverzinsliche Einlage„in angemessener Höhe“ hinterlegen oder gar eine Geldbußezahlen muß.Der beste Kommentar zu dieser lächerlichen Narrenpossestammt aus der Feder von Hans Mundorf: „Damit sind nunalle Patronen aus der Trommel des Schreckschußrevolversverschossen. Wirkung können sie keine haben; es gibt inWirklichkeit nach diesem Vertrag keine Sicherheit vor Mit-gliedsländern, die ihre finanzpolitischen Interessen höhereinschätzen als das Interesse einer Europäischen Zentralbankan der Geldwertstabilität“ (Mundorf 1991c).Die effektiven und schmerzhaen Sanktionen, die der Marktfür schwerwiegende Verstöße gegen die Haushaltsdisziplinbereithält, nämlich Zinsdifferenzen und Abwertungen, ver-schwinden also in einer Währungsunion vollständig. An ihreStelle tritt der theatralische Mummenschanz des politischenBubenstücks von der Maas. Und von den Nebenhaushalten,deren somnambule Erotik die politischen Tausendmilliar-den-Verschwender neuerdings wiederentdeckt haben, redetder Artikel  104 schon gar nicht. Die bundesdeutsche Ver-schiebe-Akrobatik im Gefolge der deutsch-deutschen Wäh-rungsunion düre für so manchen unserer Nachbarn noch

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als Lehrstück dienlich sein. „Was wir können“, so brachte OttoGraf Lambsdorff den Zusammenhang zwischen Nebenhaus-halten und EWU einmal auf den Punkt, „das können andereauch, vielleicht noch besser als wir.“ Und das, so muß mananfügen, gilt nicht nur für die Budget-Verschiebebahnhöfe,sondern auch für die „Uminterpretation“ bei der Verwen-dung öffentlicher Mittel. Was das Verbot „exzessiver“ Haus-haltsdefizite und die Beschränkung der Staatsneuverschul-dung auf „investive Verwendungen“ gemäß Art.  115 desdeutschen Grundgesetzes angeht, so demonstriert die „soli-de“ Bundesrepublik seit Jahren, wie beweglich und einfalls-reich die öffentlichen Kassenwarte sind, wenn es gilt, die De-finitionsgrenzen zwischen Konsumtion und Investition zuverwischen. Für das Kollektivverbrechen „Inflation“ gibt eseben leider keinen Strafrechtsparagraphen, keinen Staatsan-walt und keinen Richter. Die Opfer aber, die Sparer, verlieren– allein in Deutschland – mit jedem einzelnen Inflationspro-zentchen ein Sparvermögen in Höhe von dreißig MilliardenMark (das sind dreißigtausend Millionen). Jährlich. Von denunabsehbaren Folgekosten ganz zu schweigen.Wem die Lektion aus der deutschen Währungsunion nichtgenügt, der darf getrost auf die europäische warten. Sie wirdihn lehren, welche Dimensionen ein multinationales Lehr-stück annehmen kann. Vielleicht erträgt sich eine Inflationvon eintausendzweihundertfünfzig Prozent – wie die italieni-sche in der Zeit von 1960 bis 1990 – auch leichter, wenn siedereinst „nur“ im ECU abläu und nicht mehr in der altmo-dischen D-Mark.Noch ein Wort zum Verbot der Kreditgewährung der EZB annationale Regierungen (zur Defizitfinanzierung) oder an EG-Organe, welches ebenfalls zu den Maastrichter „Stabilitäts-Pfeilern“ gehört: Die Staaten mit hochentwickeltem Geldwe-sen – und das sind alle europäischen Nationen – finanzieren

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ihre Defizite längst nicht mehr durch plumpe Gelddruckereiin den Notenbankkellern, sondern durch die Emission vonStaatsanleihen am Geld- und Kapitalmarkt. Die – meist defi-zitäre – Haushaltspolitik der Nationalstaaten kann also völligunabhängig vom blauäugigen Kreditgewährungsverbot derEZB munter weitergehen. Die supranationale Geldpolitikwird mit großer Wahrscheinlichkeit sogar das günstige Klima(Offenmarkt-Operationen) für den Wettlauf der europäi-schen Schulden-Weltmeister schaffen. „Ist es vorstellbar“,fragt der französische Währungsexperte Paul Fabra, „daß einLand seine Haushaltspolitik selbständig entscheidet, und esdann der Währungsunion überläßt, sich um eine angemes -sene Geldpolitik zu kümmern und schließlich für die Folgenaufzukommen?“ (Fabra  1992). Nach dem Studium desBlendwerks von der Maas gibt es darauf nur eine möglicheAntwort: Selbstverständlich ja. Maastricht macht’s möglich.Als abschließende Erbauung noch eine „super-europäische“Perspektive: Längst liegen Vorschläge auf dem Tisch (z. B. sei-tens der Pariser Assoziation für die Europäische Währungs-union, einer Initiative von rund 250 europäischen Groß -unternehmen), den polnischen Zloty, die tschechische Kroneund den ungarischen Forint an den ECU „anzubinden“. DerAufweichung des ECU soll mit „Interventionsverpflichtun-gen“, mit stand-by-Krediten und dem ganzen Budenzaubermoderner Währungsklempnerei entgegengewirkt werden. Esbedarf keiner prophetischen Gabe, schon jetzt vorauszu -ahnen, daß die Euro-Finanzjongleure den künigen Unions-ECU zum größten Gasballon aulasen werden, den dieWährungsgeschichte je gesehen hat. Entsprechend laut undübelriechend wird der Knall sein, wenn der Ballon eines fin-steren Tages platzen wird.

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7. Droht mit Einführung der Einheitswährung eine Währungsreform?

„Die Herstellung einer »europäischen Währungs -union« zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre für unsDeutsche in der Tat schneidende Währungsver-schlechterung, mit weitreichenden sozialen und sozial-psychologischen Folgen. Kein Politiker, der geschwo-ren hat, »Schaden vom deutschen Volk abzuwenden«,darf sich auf so etwas einlassen.“Pankraz (1991)

Viele Menschen – vor allem in Deutschland – befürchten,daß mit der Einführung der europäischen Einheitswährungeine Währungsreform einhergehen wird. Diese Erwartung istnicht realistisch, und doch zutreffend. Natürlich wird keineder europäischen Regierungen einen offenen Währungs-schnitt wagen. Stattdessen wird es mit großer Wahrschein-lichkeit zu mehreren (verschiedenen) „stillen“ Währungs-schnitten kommen; jedenfalls zu Umstellungswirkungen undNachfolge-Effekten des Euro-Geldes, welche den Konse-quenzen einer „echten“ Währungsreform gleich- oder nahe-kommen. Es sei an dieser Stelle nochmals daran erinnert, daßdie Regierungen und Zentralbanken der am EWS beteiligtenLänder fünf Jahre lang (von 1987 bis 1992) die fundamenta-len Ungleichgewichte zwischen den EG-Währungen absicht-lich ignoriert und jegliches Realignment vermieden haben.(Erst die EWS-Turbulenzen ab Mitte September 1991, alsodie Märkte, haben realistischere Wechselkurse gegen denWillen der politischen Akteure erzwungen.) Ein wesentlichesMotiv dieser Abstinenz war der Wille der EWS-Mitglieder,mit unveränderten Devisenrelationen in die Zielgerade zurEuropäischen Währungsunion einzulaufen, oder zumindestbis zur vorletzten Stufe zu gelangen, in der die Paritäten un-

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widerruflich fixiert werden sollen. Man stelle sich vor, derStichtag  X zur definitiven Kursfixierung oder gar zur Ein -führung der Einheitswährung wäre der 1. Juli 1992 gewesen,und die europäischen Währungen wären mit dem damals be-stehenden Paritätengitter in den Einheits-ECU überführtworden. Die Deutschen hätten in diesem Fall – beim Um-tausch DM gegen neue ECU – einen Kauraverlust von biszu dreißig Prozent gegenüber Lira, Peseta, Pfund und Escudounwiderruflich festschreiben und definitiv „realisieren“ müssen, Wie, so stellt sich die zugehörige Modellfrage, de -finiert man eine Währungsreform anders als durch die Tat -sache, daß das bisherige Geld gegenüber dem neu ausge -gebenen um einen bestimmten Prozentsatz wertloser wird?!Alles spricht dafür, daß sich das EWS in absehbarer Zeit wie-der neu fügen wird und daß die europäischen Regierungenmit allen Mitteln versuchen werden, das dann festgelegte Pa-ritätengitter unverändert in die WU hinüberzuretten. Undnichts spricht dafür, daß die alsdann bis zum wirklichenStichtag X auretenden Ungleichgewichte zwischen den in-volvierten Valuten geringer sein werden als in der betrachte-ten Fünahresperiode. Diese „stille“ oder versteckte Art vonWährungsschnitt ist mit großer Wahrscheinlichkeit vorpro-grammiert.Der Vorgang sei nochmals an einem Beispiel demonstriert:Angenommen, während einer Übergangsphase zur WU vonfünf Jahren (mit endgültig fixierten oder politisch „durch -gehaltenen“ Wechselkursen) eile die italienische Inflation derdeutschen um insgesamt zwanzig Prozent voraus. Solangeverschiedene nationale Währungen existieren, kann sich derdeutsche Bürger dem auretenden Kauragefälle ent -ziehen, indem er a)  die (teurer gewordenen) italienischenGüter nicht mehr konsumiert (importiert) und b) indem erden geplanten Italien-Urlaub zugunsten des schönen Wester-

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waldes streicht. Werden am Tag  X jedoch die nationalenWährungen in die Europäische Währungseinheit (EuropeanCurrency Unit = ECU) getauscht – und zwar entsprechendden Rela tionen, in denen sie vorher zum alten EWS-ECU fixiert waren –, so wird (in unserem Beispiel) die relativeÜberbewertung der Lira zur D-Mark in Höhe von rundzwanzig Prozent schlagartig monetarisiert, das heißt von densolideren Währungen bezahlt. Statistisch ausgedrückt: Beigegebenem Volumen an (neuen) ECU erhalten die einen (imBeispiel die Deutschen) genau die ECU-Summe zu wenig,welche die anderen (Italiener) zu viel bekommen. An dieserTatsache ändert sich auch dann nichts, wenn die Mark – nacheinem Vorschlag des Instituts für Weltwirtscha in Kiel – imVerhältnis eins zu eins in den neuen ECU getauscht werdensollte – und somit die neuen deutschen ECU-Warenpreisenominell gleich den vorhergehenden D-Mark-Preisen blei-ben würden.Gegen diese Vermutung einer versteckten Währungsreformwird von den WU-Apologeten in der Regel angeführt, derVertrag von Maastricht sage nichts über die endgültigen Umtauschkurse der nationalen Valuten in den neuen ECUaus. Aber gerade das ist einer der Schwachpunkte, die denWU-Skeptikern zu schaffen machen. Der Vertrag bestimmtnämlich, daß die politischen Euro-Exekutivorgane (der Rat,auf Vorschlag der Kommission und „nach Anhörung“ desEWI) über die endgültigen Umtauschkurse zu befinden haben. Wie man eine solche Vorgehensweise nennen sollte,ist bei Hans Mundorf nachzulesen: „[E]s gibt keine vertrag -liche Garantie, daß diese endgültige europäische Währungnun auch eine »Marktwährung« sein wird: Die Politiker haben die Wahl der freien Kursbestimmung beim Tausch dernationalen in die europäische Währung. Der Vertrag vonMaastricht räumt offensichtlich diese Willkür ein“ (Mun -

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dorf 1992b; Herv. d. Verf.). „Willkür“ ist also der richtige Be-griff für dieses anmaßende Lotteriespiel mit dem wichtigstenökonomischen Instrument im menschlichen Leben, demGeld.Erneut kontern die WU-Anwälte, es sei doch möglich, ja so-gar wahrscheinlich, daß es – entgegen allen Festkursschwü-ren – vor der endgültigen Festlegung der Konversionskursezu einer regelrechten Abwertungswelle vieler EWS-Valutenkomme. Das Abwertungsverbot innerhalb der Zweijahres-frist vor der dritten WU-Stufe (gemäß Maastricht-Vertrag)schließe ja Realignments nicht aus, denn die Formulierungim Vertrag laute: Keine Abwertung „auf eigenen Wunsch“, sodaß also gemeinsame Realignmentbeschlüsse möglich blie-ben. Dieser Einwand ist jedoch nicht substantieller, sondernallenfalls zynischer Natur. Hier deutet sich nämlich eine wei-tere inhaltliche Variante für eine versteckte Währungsreforman, bei der sich nur die Adressaten der Schädigung, nicht aberCharakter und Umfang des politischen Tausend-Milliarden-Betrugs ändern. Während bei Realignments innerhalb einesWechselkursverbundes der Inlandswert der jeweils auf- oderabgewerteten Währung unverändert bleibt (mit Ausnahmevon späteren Sekundärwirkungen bei „falsch“ fixierten Kur-sen), passiert nun – bei Abwertungen vor Eintritt in die End-stufe der WU – etwas ganz anderes: Auch die inländischeKaura der betroffenen Währung ändert sich, denn alleForderungen und Verbindlichkeiten im Abwertungsland lau-ten kurze Zeit später (bei Konversion in den ECU) auf ECU-Nominalbeträge, die um die Abwertungsdifferenz niedrigersind als zuvor. Da es sich bei Gläubigern und Schuldnern umverschiedene Personen handelt, tritt sowohl eine Teilenteig-nung der Gläubiger als auch eine Teilenteignung der Schuld-ner ein. Die Gläubiger haben jetzt niedrigere (ECU-)Forde-rungen als kurz zuvor, und die Schuldner sehen sich küni-

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gen Zinszahlungen (in ECU) gegenüber, die sie vorher viel-leicht in einer rasch inflationierenden Lira leicht auringenkonnten, nun aber mit dem neuen (aus ihrer Sicht „aufgewer-teten“) ECU zu bezahlen nicht mehr in der Lage sind.Es wäre politische Naivität, anzunehmen, daß sich die euro-päischen Regierungen diese einmalige Gelegenheit entgehenließen, ihre ins Unermeßliche gewachsenen Staatsschulden„leichter“ zu machen. Für einige Staaten, wie z. B. Belgien, Ir-land und Italien – mit Staatsschulden von 132, 113 und103 Prozent des Bruttosozialprodukts (1991), düre die Eu-ropäische Währungsunion sogar die letzte und einzige Chan-ce sein, sich am absehbaren Staatsbankrott vorbeimogeln zukönnen. Andere Kadetten, wie Griechenland (und sogar dieNiederlande mit 83 % Schuldenanteil am BSP), sind ihnendicht auf den Fersen. 1991 war jeder Italiener, Babys undGreise eingeschlossen, mit einer Staatsschuld von 23 Milliar-den Lire (umgerechnet rund 31.000 DM) belastet; eine fünf-köpfige Familie also mit 155.000  DM. Es gehört nicht vielPhantasie und finanzgeschichtliche Kenntnis dazu, sich aus-zurechnen, daß die italienische Regierung (aber nicht nursie!) die WU-Gelegenheit zu einem doppelten Befreiungs-schlag nutzen wird: zum einen – via Abwertung – für einenSchlag nach innen (s.o.: Gläubiger- und Schuldner-Teilent-eignung) und zum anderen für einen Coup nach außen – ver-mittels Verlagerung der Staatsschuld auf alle europäischenSchultern (s.o.: Inflationsmaschine). Die Bürger der wenigerdesolaten EG-Länder sollten sich ernstha fragen, ob sie die„Stalinistischen Denkstrukturen“ (Schatzminister GuidoCarli) und die quasi-sozialistische Staatswirtscha Italienstatsächlich auf dem ECU-Schleichweg mitfinanzieren wollen.Die Dachholdings Iri, Eni und Efim des italienischen Staatesumfassen nahezu eintausend konsolidierte Beteiligungsun-ternehmen mit rund sechshunderttausend Beschäigten.

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Hinzu kommen das Salz- und Tabakmonopol, die ineffizien-ten Banken (zu achtzig Prozent in Staatshand) und natürlichdie üblichen Beamtenmoloche Bahn, Post und Telekommu-nikation. Schwarze Verlustlöcher von astronomischer Di-mension, die – analog zu ihren kosmischen Namensvettern –nur darauf warten, alle freie (Finanz-) Materie an sich zu rei-ßen und zu verschlingen. Dazu eine Quizfrage: Wie vielehalb-, dreiviertel- und ganz sozialistische Bankrottstaatenkann die Mark – Wiedervereinigungskosten da capo – nochsanieren, bis sie selbst vor dem Konkursrichter der Geldge-schichte steht, zum dritten Mal in diesem Jahrhundert? Undzum Geleit: „Es gibt kein feineres und sichereres Mittel, dieGrundlagen der Gesellscha umzustürzen, als die Vernich-tung der Währung. Dieser Vorgang stellt alle geheimen Kräeder wirtschalichen Gesetze in den Dienst der Zerstörung“(Lord Keynes).Doch sollten diese Ausführungen nicht zu dem Mißverständ-nis verleiten, nur die Finanzhasardeure unter den europäi-schen Nationen seien versucht, die WU für finstere Manipu-lationen zu nutzen. Auch den weniger maroden Aspiranteneröffnet sie einen Königsweg aus so manch brisantem Fi-nanzdilemma. Was die parteienübergreifende Verve angeht,mit der die Bundesbürger in die WU getrieben werden, so isteine Sentenz des couragiert formulierenden Staats- und Völ-kerrechtlers Josef Schüßlburner höchst beachtenswert: „Fürdas leichtfertige Verhalten bei der [deutschen] Staatsver-schuldung“, so Schüßlburner in einem »Criticón«-Beitrag,„muß man fast schon wieder Verständnis haben: Wenn dieDeutschen schon im Zusammenhang mit einer europäischenWährung italienische Staatsschulden mitübernehmen müs-sen, warum sollen dann die Italiener nicht auch den »Panger-manismus« mitfinanzieren? … Aus Deutschen und anderenmüssen nicht unbedingt einem höheren Menschheitsideal

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entsprechende europäische Konsumenten werden, sondernes ist durchaus möglich, daß sie sich als Solidargemeinschader Staatsbankrotteure das gemeinsame wirtschaliche Grabschaufeln“ (Schüßlburner 1992, S. 28).Es gibt noch eine Reihe weiterer Aspekte, mit denen man denTerminus »Währungsreform« argumentativ untermauernkann. So bspw. die mit der WU anstehende Vergemeinschaf-tung des Gold- und Devisenschatzes der Deutschen Bundes-bank. Nicht zuletzt auch die (bereits behandelten) WU-Wir-kungen nach dem Konversionstag X. Denn bei anstehendenTransferzahlungen der reicheren an die ärmeren EG-Ländervon 260 Milliarden Dollar (= rund 400 Milliarden DM) jähr-lich (Schätzung des britischen Ökonomen Allan Walters)muß die Frage erlaubt sein, ob sich ein einmaliger Stichtags-Währungsschnitt denn so sehr von einem zeitlich gestreckten(aber von vornherein feststehenden) Kauraentzug unter-scheidet.Analog zur „Legalisierten Konkursverschleppung“ – wieWilhelm Hankel den Treuhandaurag zur Sanierung der ma-roden Ostbetriebe genannt hat (Hankel 1990) – drängt sichjedenfalls auch für die Europäische Währungsunion (mitBlick auf den Verschuldungsgrad vieler EG-Länder) der Ter-minus „Legalisierte Staatsbankrottverschleppung“ auf. Undfür die aufgezeigten Konversionsimplikationen der Begriff„Verschleppte oder Schleichende Währungsreform“. Die Zu-sicherung im Maastricht-Vertrag, daß es für die Staatsschul-den einzelner WU-Mitglieder keine solidarische oder ge-meinschuldnerische Haung geben soll, entspricht in ihrerIrrationalität der Behauptung eines Unternehmers, er könnebei Bedarf seine Buchhaltungsabteilung zu Konkurs gehenlassen, ohne daß dieses Ereignis seine Firma oder seine Bi-lanz berühre. Solches und ähnlich albernes Beschwichti-gungsgerede der Eurokraten erinnert an den Scherz des EG-

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Budgetdirektors Jean-Paul Mingasson, der Übergang von derD-Mark zum ECU sei nichts anderes, als wenn man der Markeine Pappnase aufsetze.Der wachsenden Zahl von Sparern und Geldvermögensbesit-zern, die den politischen Showmastern des WU-SpektakelsGehör schenken und glauben, es werde ihnen mit der Euro-päischen Währungsunion kein „Opfer“ abverlangt, kann manin der Tat keinen besseren Kommentar liefern als: Pappnase!

8. Warum also eine Europäische Währungsunion?

„Damit [mit der Eurowährung] gelangte das wichtigsteökonomische Machtmittel, von dem Wohl und Wehevon über 340 Millionen Menschen in der EG abhän-gen, in die Hände einiger technischer Spezialisten, Be-amten oder Politiker.“ „[E]in Machtmißbrauch die-ses Monopols [ist] nicht nur wahrscheinlich, sondernsicher …! Es gehört die ganze politische Kindlichkeitder Deutschen dazu, anzunehmen, man könne Behör-den mit einer solchen Machtstellung schaffen, ohne siejakobinischen Souveränitätsansprüchen und demDruck zentraler politischer Vertretungskörperschaftenauszusetzen.“Gerd Habermann (1991b)

Eine Zusammenschau der Ergebnisse aller vorstehenden Abhandlungen und Analysen legt den (zutreffenden) Schlußnahe, daß sich mit der Europäischen Währungsunion nachMaastricht-Muster eine der größten Geldkatastrophen an-bahnt, die Europa jemals gesehen hat. Umso drängenderstellt sich die Frage, warum die europäischen Regierungenund die Euro-Funktionärscliquen diese WU mit geradezueschatologischem Pathos und fanatischer Verbissenheit an-steuern. Und das gegen den Rat fast aller Fachleute aus Wis-

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senscha und Publizistik, sowie (zumindest in Deutschland)gegen den mehrheitlichen Willen der Bürger.16

Auch – und gerade – bei den besten Köpfen der deutschenUniversitäten und Redaktionsstuben hat sich das anfänglicheErstaunen über diesen Umstand inzwischen zur Fassungslo-sigkeit gesteigert. Auf der Suche nach der Lösung des Rätselssind die meisten Autoren auf unterschiedliche Begründun-gen und Motive gestoßen, die sich jedoch letztendlich alle aufeinen Nenner bringen lassen: auf den Generalnenner »Machtund Geld«. „In Maastricht“, schreibt Dr. Bandulet in seinembrillanten »Maastricht-Dossier«, „ging es eben nicht um ho-he europäische Ideale, sondern um die Verteilung von Geldund Macht“ (Bandulet 1992c, S. 22). Ähnlich Wolfram Engelsin seinem »Wirtschaswoche«-Kommentar: „Legen wir …all die hehren Sprüche vom gemeinsamen Haus Europa, vonEinheit und Vielfalt europäischer Kultur, von Freundschaund Gemeinscha beiseite: Es geht ums Geld“ (Engels 1992).Noch direkter hatte sich Irlands Premierminister Albert Rey-nolds vor dem irischen Referendum am 18. Juni 1992 ausge-drückt: „Für jedes Pfund, das wir in die Gemeinschaskasseeinzahlen, erhalten wir sechs zurück.“Doch diese unmittelbare Verknüpfung der WU mit den Moti-ven »Macht und Geld« ist noch nicht aufschlußreich genug.Ergiebiger für die Erkenntnis der Hintergründe der politi-schen Mono-Money-Manie sind die Um- und Schleichwegezu besagtem Ziel; konkret: die sich vom Hauptmotiv ableiten-den Sekundärabsichten der politischen WU-Kommandeure.Erhellend war diesbezüglich schon der triumphierende Unter-16 Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach vom August1991 hatte ergeben, daß 55% der Deutschen gegen den Ersatz der D-Markdurch eine einheitliche Euro-Währung sind. Nur 18% votierten dafür. 27%hatten keine Meinung oder signalisierten Gleichgültigkeit. Eine Emnid-Umfrage vom November 1992 ergab sogar eine Zweidrittel-Mehrheit ge-gen die geplante Euro-Währung.

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ton, mit dem der französische Alt-Präsident Giscard d’Estaingim heimischen Fernsehen (Juni 1992) verlauten ließ, mit derErrichtung einer EG-Zentralbank sei endlich die monetäreVorherrscha der Deutschen gebrochen. Was das nach fran-zösischem Verständnis heißen soll, hatte knapp zwei Jahre zu-vor bereits der damalige Notenbank-Vize Philippe Lagayettebekundet. Sein Vorschlag: Das Europäische Zentralbanksy-stem müsse „wechselkurs-, wachstums- und beschäigungs-politisch“ von einem „makro-ökonomischen Entscheidungs-organ auf höchster Ebene“ in die Pflicht genommen werden.Also Planification à la française rediviva; diesmal als Super-Planification mit europäischem Turbolader. Mit bewunderns-wertem Mut hat Paul Fabra, der bereits erwähnte »Le Monde«-Leitartikler, diese geheimen Sehnsüchte der politischen Kasteseines Landes bloßgelegt. Nicht ohne Grund, so Fabra in sei-nem Hausblatt, habe der Gouverneur der französischen Zen-tralbank (Jacques de Larosière) den ursprünglichen VorschlagKarl Otto Pöhls blockiert, das EZBS außerhalb der Verträgevon Rom zu etablieren und es dadurch dem Einfluß Brüsselszu entziehen. Die wahre Absicht hinter der offiziellen Erklä-rung von der „Aueilung der geldpolitischen Souveränität“unter den Teilnehmerstaaten sei, daß der Gouverneur derBanque de France im zukünigen Europäischen Zentralbank-rat als Vertreter der Interessen Frankreichs aureten und da-bei, je nach den Umständen, unterschiedliche Allianzen knüp-fen könne. Während man so tue, als ob die Geldwertstabilitätnach Maastricht-Definition am deutschen »Anker« hinge, seidas wahre Ziel des Vorhabens, die Rolle der Mark zu schwä-chen. „Der Bundesbank ihre Bewegungsfreiheit zu nehmen“,so Fabra, „das war vom Anfang bis zum Ende der Regierungs-konferenz über die Währungsunion das zwangha verfolgteZiel der französischen Unterhändler, und zweifellos auch derItaliener und einiger anderer“ (Fabra 1992).

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Für die Realisten unter den Beobachtern der politischen Szenewar das freilich keine Neuigkeit. Martin Kölle vom »Rheini-schen Merkur« hatte schon 1991 gewarnt: „Mit Frankreich ander Spitze will eine breite Front von meist südlichen Staatender Politik den Zugang zur europäischen Notenpresse ver-schaffen … Nachdem sie ihre eigenen Volkswirtschaen aus-gelaugt haben, sehen sie eine Chance, das inflationäre Spiel imeuropäischen Rahmen weiterzuspielen“ (Kölle 1991). Und diestets unerschrocken und mit herzerfrischender Aufrichtigkeitformulierende Brüssel-Korrespondentin der gleichen Zei-tung, Petra Münster, schrieb (im Zusammenhang mit demfranzösischen GATT-Widerstand): „Die »Grande Nation«setzt viel lieber auf Macht als auf internationale Spielregelnund Märkte. Als Instrument dieser Macht hat sie den grenzen-losen EG-Binnenmarkt auserkoren … Wenn die EG dannauch noch eine gemeinsame Währung bekommt, ist die wirt-schaliche Supermacht perfekt … Das Streben nach Größe istgeradezu eine Obsession unserer Nachbarn auf der anderenSeite des Rheins.“ Und: „Frankreichs Politiker sind noch im-mer überzeugte Merkantilisten. Im Außenhandel gilt nicht dieWettbewerbskra der einzelnen Anbieter, sondern das Faust-recht der nationalen Interessen, das notfalls mit massivenStaatseingriffen gesichert werden muß“ (Münster 1992). KlareWorte in einem Land (Deutschland) voller politischer Ro-mantiker, die politischen Realismus verachten und mit mora-lischer Unterbelichtung verwechseln – und deshalb auch nachdreihundert Jahren noch nicht wahrhaben wollen, daß dieführende Klasse Frankreichs etatistisch-zentralistisch, hierar-chisch-dirigistisch und technokratisch-mechanistisch denkt.Und das nicht nur im Elyséepalast, sondern bis hinein in dieProvinzrathäuser und die Vorstandsetagen der Unternehmen.Das macht zwar unsere gallischen Nachbarn nicht weniger lie-benswert, aber es macht auch einen Fuchs wie Mitterand nicht

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weniger gefährlich für einen arglosen Brummbären namensHelmut Kohl, der dem listigen Freund François in Maastrichtauch prompt in die Falle tappte.Grund No. 1 für das „Opfern“ der D-Mark ist also das franzö-sische Großmachtverständnis, dem die ökonomische Potenzder Bundesrepublik und das Stachelhalsband der D-Mark inder Hand der Bundesbank schon immer ein Pfahl im Fleischgewesen ist. Angesichts des wirtschalichen und prestige -psychologischen (gleich politischen) Potentials, das sich nachdem Fall des Eisernen Vorhangs für die Deutschen nunmehröstlich ihrer Grenzen eröffnet, gerät die Führung der GrandeNation jetzt erst recht in Panik. Und als Mitterand seineLandsleute vor dem Maastricht-Referendum mit beschwö-render Eindringlichkeit belehrte, ein Nein bei der Abstim-mung komme dem Ende von 45 Jahren französischer Außen-politik gleich, da meinte er damit, daß die Währungsuniondie letzte und wirksamste Chance sei, den deutschen Indu-strie-Bullen endlich kastrieren und dem Stier der Europa dasBrandzeichen Frankreichs einbrennen zu können. Doch zurKastration gehören bekanntlich zwei: einer, der schneidet,und einer, der das Abzuschneidende hinhält. Und flugs ge-langt man zum zweiten Grund des Unbegreiflichen: Diedeutschen Stallwächter sind geradezu begierig darauf, ihrenStaatsbullen zur Schneidebank zu führen und zum Ochsenmachen zu lassen. Denn sie fürchten sich vor dem eigenenHaustier. Nur so ist zu verstehen, daß Richard von Weizsäk-ker (in einem FAZ-Artikel vom 13. April 1992) die Unerläß-lichkeit einer politischen Union (bei vorgezogener Wirt-schas- und Währungsunion) mit der gefährlichen Mittella-ge Deutschlands auf dem europäischen Kontinent begründe-te, welche zu zwei Weltkriegen geführt habe. Und nur so wirdauch der Satz des Vorsitzenden des Maastricht-Sonderaus-schusses, Günter Verheugen, vor dem Deutschen Bundestag

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(zum Maastricht-Ratifizierungsgesetz) begreiflich: „Ein star-kes, geeintes Deutschland kann leicht – die Geschichte lehrtes – eine Gefahr für sich selbst und für andere werden.“ Es istnichts anderes als das Mißtrauen gegenüber dem eigenenVolk und seiner demokratischen Reife, die hier zutage tritt.Der vierzig Jahre lang praktizierte Trick der Linken, die rot-braunen Zwillingsbrüder Internationalsozialismus und Na-tionalsozialismus mit Hilfe des Faschismus-Begriffs zu ideo-logischen Antipoden zu stilisieren (statt zu Machtrivalen),hat wahrhaig gründlich gewirkt. Dieses Täuschungsmanö-ver hat auch nach 45 Jahren friedlicher demokratischer Ent-wicklung der Bundesrepublik bei ihren politischen und intel-lektuellen Führungseliten nur Selbstzweifel und Eigenhaßhinterlassen. Die Auflösung der politischen, kulturellen, hi-storischen und währungshoheitlichen Identität der Deut-schen aus Furcht vor der eigenen Staatlichkeit und Souverä-nität: welch ein Motiv für die Begründung einer Staatenge-meinscha; welch erbärmliches Schauspiel vor den Augender europäischen Nachbarn, die dafür nur Verachtung undSchadenfreude empfinden. Gemeinscha und friedliche,aber entschlossene Solidarität – die Nato hat es in 40 Jahrenbewiesen – erfordert das selbstbewußte und verantwortungs-bereite Miteinander aufrechter Freunde, und nicht die Selbst-einlieferung in eine korporative Verwahranstalt für Unmün-dige.Ein weiteres Motiv für das Opfer der D-Mark (und später derpolitischen Souveränität) ist nicht weniger degoutant. Im im-mer unregierbarer werdenden Wohlfahrts- und Verschul-dungsstaat und in Anbetracht jener politischen Ratlosigkeit,die stets mit leeren Kassen einherzugehen pflegt, trägt es denNamen »Flucht aus der Verantwortung«. Die gleiche politi-sche Kaste, die jahrzehntelang ihre Macht und ihren Statusnur mit Milliarden-Geschenken an ihre Wohlfahrtszöglinge

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und mit Billionen-Wechseln auf die kommenden Generatio-nen mehren konnte, steht nun vor der bitteren und gar nichtmehr so profilierungsträchtigen Aufgabe, ihre aufmüpfigeund zunehmend mit Randale drohende Volksheim-Klientelvon der bislang üppig verteilten Sozialdroge zu entwöhnenund mit den Zwängen nüchterner Ökonomie vertraut zu ma-chen. Was wäre da verlockender als die Gelegenheit, sich beijeder unpopulären Maßnahme hinter Brüssel verstecken zukönnen. Viele der frommen Spar-Sprüche aus Bonn, die sichmit rhetorischen EG-Zwängen dekorieren, sind in Wahrheitnur dichterische Juwelen der Ratlosigkeit. Wie lyrisch werdensie erst nach der WU daherkommen. Daß damit freilich nurSprengstoff unter den Fundamenten der Gemeinscha ange-sammelt wird, der sich eines Tages in gewaltigen Erschütte-rungen des Europäischen Hauses entladen muß, wollen dieVerantwortungsflüchtlinge nicht wahrhaben.Der Druck hinein in die Einheitswährung und hin zur Brüs-seler Übernation kommt jedoch nicht nur aus den Partei-und Regierungsriegen. Es sollte bei der Suche nach den un-terschwelligen Gründen der Unierungs-Manie nicht verges-sen werden, daß die Deutschen (nicht minder als alle anderenEuropäer) zu einer »rent-seeking society« geworden sind,welche eher bereit ist, ihre nationale Identität aufzugeben alsauf erworbene Sozial-Besitzstände zu verzichten. Es ist dasVerdienst des Trierer Wissenschastheoretikers Gerard Rad-nitzky, in ungezählten Schrien (gegen den Euro-Zentralis-mus und gegen den schleichenden europäischen Sozialis-mus) auf den hieraus resultierenden Sog zum Staaten-Kartellhingewiesen zu haben. In seinem neuesten (Herausgeber-)Werk »Government: Servant or Master?« schreibt er: „Allenach leistungsfreien Einkommen begehrenden Interessen-gruppen begrüßen die Zentralisierung, weil sie die Trans -aktionskosten dieses Begehrens senkt. Die EG hat ja bereits

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bewiesen, daß sie in der Versorgung solcher ›rent-seeking‹-Interessengruppen mit Privilegien hocheffizient ist. Heraus-ragende Beispiele sind die Gemeinsame Agrarpolitik (welchevor allem französische Bauern begünstigt) und das Kohle-und Stahl-Kartell.“ (Radnitzky 1993, S. XLIII; Übers. d. Verf.)In der gleichen Publikation beweist Professor Radnitzky, daßdiese Zentralisierungsmechanismen den Machtinteressen al-ler Funktionärsebenen entgegenkommt, von der Euro-Büro-kratie über das Straßburger Parlament und die nationalenRegierungen bis hinunter zu den subalternen Provinz- undRegionalbehörden. Und in der Tat ist hier das vierte und letz-te (aber vielleicht entscheidende) Motiv für den bedenken -losen Sturz in die WU zu suchen und zu finden: in der mit derEinheitswährung verbundenen Chance der politischen Klas-se, sich unbeschränkte Macht und totale Herrscha zu si-chern. Wer konkurrenzlos über das Geld eines ganzen Konti-nents verfügt, der verfügt auch ebenso konkurrenzlos überdessen Menschenmassen. Und wer den Wettbewerb derWährungen ausschalten kann, deren Kurs- und Kauraent-wicklungen nichts anderes sind als Qualifizierungs- oderDisqualifizierungs-Signale für die jeweilige Politik, der hatauch den Wettbewerb der politischen Konzeptionen ausge-schaltet. Und somit den Leistungsdruck auf die eigene Füh-rungsqualität. Damit sind dann die letzten und entscheiden-den Barrieren gegen die grenzenlose Herrscha der Maß-und Skrupellosen, der Unfähigen und Utopisten gefallen.Deshalb hat Wilhelm Hankel (schon bei der Betrachtung eines einzigen Details der WU, nämlich der im Maastricht-Vertrag verankerten Möglichkeit zur Einführung von Kapi-talverkehrskontrollen) durchaus den richtigen Ton ange-schlagen, wenn er schreibt: „Eine Währungsverfassung, dieKapitalverkehrskontrollen zuläßt, spielt mit dem Feuer: Sieverhindert mit der Kapital- die Menschenflucht und erweckt

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unsägliche Erinnerungen an NS-Reich und DDR“ (Han-kel 1992). Man kann nicht deutlich genug werden, wenn esdarum geht, die unheilschwangere Brisanz zu enthüllen, diehinter harmlos klingenden Passagen wie bspw. der desArt. 73 f (EG-Vertrag) steckt, wo der Ministerrat autorisiertwird, „im Falle einer Gefahrenlage“ das Grundrecht auf Wäh-rungskonvertierbarkeit zu suspendieren. In Klardeutschheißt das nämlich, daß der EG-Ministerrat bei jeder Entwick-lung, die er – aus welchen Gründen auch immer – für „ge-fährlich“ hält, den Kapitalexport aus dem ECU-Raum verbie-ten kann.17 Dann sitzen sie gegebenenfalls in der Falle, diestolzen ECU-Untertanen: in einer sich wie ein Schraubstockschließenden Quetsche aus Inflation und schrankenloser fis-kalischer Enteignung, mit der ihre Freiheitsrechte und ihreMenschenwürde auf die gerade geltende EG-Norm zusam-mengepreßt werden können.Auch auf die Gefahr der Wiederholung hin sei hier nochmalsdaran erinnert, daß in der Vergangenheit – trotz Bundes-bankautonomie – die jeweiligen Regierungen für inflationäreAusreißer zur Verantwortung gezogen wurden. Und das zuRecht. Die Regierenden mußten bei allzu rapidem Geldwert-zerfall jeweils um ihr politisches Mandat fürchten. Die EGaber wird noch lange keine wirklich demokratisch gewählteRegierung haben, die man bei galoppierender ECU-Schwindsucht davonjagen könnte. Sehr wohl aber eine Zen-tralbank, die am politischen Gängelband über das Einheits-geld verfügt, ohne daß irgendeine nationale oder internatio-17 Derzeit (2017) Artikel 59: „Falls Kapitalbewegungen nach oder ausdritten Ländern unter außergewöhnlichen Umständen das Funktionierender Wirtschafts- und Währungsunion schwerwiegend stören oder zu stö-ren drohen, kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag derKommission und nach Anhörung der EZB gegenüber dritten LändernSchutzmaßnahmen mit einer Geltungsdauer von höchstens sechs Mona-ten treffen, wenn diese unbedingt erforderlich sind.“ Anm. d. Hg.

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nale Regierung für noch so gravierende Inflationseskapadenverantwortlich gemacht werden könnte. Kein europäischerPolitiker und keine nationale Exekutive wird mehr um Mandat und Pfründe zu fürchten haben, wenn der ECU inden Sumpf galoppiert. Stets wird man auf „Schuldige“ wie die EZB oder sonstige Euro-Institutionen verweisen, welchedem Wählervotum entzogen sind. Eine Traumkonstellationfür potentielle politische Geldwertverbrecher aller Nationen.„Statt durch Währungskonkurrenz“, schreibt der SaarbrückerVolkswirtschasprofessor Rudolf Richter, „wird sie [die deut-sche Mark] … im Wege eines Kartells per Federstrich besei-tigt. Politischer Wettbewerb, ein wirksames Sicherungs -instrument gegen öffentliche Willkür, ist nicht gefragt. Dieeuropäische Bürokratie in Brüssel wird vielmehr noch weitergestärkt. Der Dirigismus der Kommission kann sich, unge-hemmt durch eine europäische Verfassung, noch fester alsbisher einnisten. Die damit verbundenen politischen Gefah-ren sind offensichtlich“ (Richter 1991).Hinzu kommt, um auch das zu wiederholen, daß mit demÜbergang zur Einheitswährung die nationalen Zahlungs -bilanzen als disziplinierendes Element für die jeweilige Finanzpolitik in den verschiedenen EG-Ländern entfallen.Für die europäischen Polit- und Fiskalcliquen kann das – freinach Wilhelm Busch – nur heißen: Ist die Bilanz erst ausran-giert, lebt sich’s gänzlich ungeniert. Man stelle dem, was Her-bert Giersch einmal den „Wechsel von einer guten zu einereher fragwürdigen Währung“ und „ein Wagnis ohne Bei-spiel“ genannt hat (Giersch 1989), doch nur einmal das infan-tile Lulle-Märchen von Bundesfinanzminister eo Waigelgegenüber, der Ende 1991 vorgeschlagen hatte, die künigenEinheits-ECU-Noten sollten auf der Rückseite die jeweiligennationalen Gegenwerte ausweisen. Da man die „Empfindun-gen“ der Bürger berücksichtigen müsse, könne man damit

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sicherstellen, daß die D-Mark „nicht völlig untergehe“. FürGeldscheinsammler – das sei eingeräumt – mag dieser Vor-schlag faszinierend sein, denn wo in der Weltgeschichte hättees jemals eine Hunderter-Note (100 ECU) gegeben, derenRückseite ein Nominal von vielleicht 217 Mark und 89 Pfen-nige ausgewiesen hätte?! Für den nüchternen Ökonomenhingegen ist diese Minister- Idee nur Beleg für fahrlässigeIgnoranz.Eine wiederholte Erörterung dessen, was dem künigenECU-Steuerzahler blühen mag, düre sich erübrigen. Weil esjedoch unter den genannten Generalnenner »Macht undGeld« fällt, sei nochmals darauf hingewiesen, daß es in derFinanzgeschichte Europas und der Welt (auch in der des 20.Jahrhunderts und der jüngsten Zeit) stets nur eine einzigeHemmschwelle gegeben hat, welche die regierungs- und mi-nisterialamtliche Kleptokratie daran hindern konnte, ihreSteuersklaven vollständig auszuplündern: die drohende Mög-lichkeit zur Steuer- und Kapitalflucht. Dem europäischenEinheitswährungs-Bürger wird auch diese letzte Notbremsenicht mehr zur Verfügung stehen. Im günstigsten Fall (näm-lich dann, wenn der EG-Ministerrat keine „Gefahrenlage“ er-kennen sollte) wird ihm noch die Wahl zwischen dem maro-den Dollar und dem wertlosen Holz-Rubel bleiben; eineWahl, die in Wirklichkeit keine Alternative mehr ist. Nichtsund niemand mehr wird dann dem Macht- und Macherwahnder europäischen Globalsteuerer entgegentreten. Endlichwerden die schaufelfreudigen „öffentlichen Hände“ der Bil-lionenverheizer die keynesianische Makro-Lokomotive sorichtig unter Dampf setzen können. Wozu sie natürlich„Kohle“ brauchen. Unendlich viel Kohle. Und welch ein Festfür die vereinigte Rotte der europäischen Fiskalmarder: dieHühnerschar der Steuerzahler des ganzen Kontinents, einge-sperrt in einen ECU-Käfig, aus dem es kein Entrinnen mehr

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gibt. Blutrauschtraum für passionierte Nacht- und Nebel- Jäger.Wilhelm Röpke, der große deutsche Nationalökonom der er-sten Häle unseres Jahrhunderts, hat im Zusammenhang mitseinen Warnungen vor dem Zentrismus einmal auf denWunschtraum Kaiser Caligulas hingewiesen, das RömischeVolk möge nur einen einzigen Kopf haben, damit er, Caligula,ihn auf einen Hieb abschlagen könne (s. Röpke 1958, S. 319).In den Augen der Polit-Kaiser dieser Welt kommen 350 Mil-lionen europäische Köpfe, die allesamt an der einzigen Ver-sorgungsader einer Einheitswährung hängen, diesem Despo-tentraum sehr nahe. Jedenfalls bedarf es nur einer singulärenGi-Injektion in dieser Ader, um alle 350 Millionen Köpfe zubenebeln, zu narkotisieren oder hinzurichten. Und ein einzi-ger Hieb genügt, um sie alle ausbluten zu lassen.

9. Geschichte, Märchen und neudeutsche Legende

„Wir aber sind immer so verdammt diskutierfreudig,und wir vergessen, daß der Weg, der zu großen Verbre-chen führt, aus kleinen Kompromissen gemacht ist.“Wladimir Bukowski (1991, S. 171)

In ihrem brandneuen Buch »Eine gemeinsame Währung fürEuropa. Zwölf Lehren aus der Geschichte« hat die Währungs-wissenschalerin eresia eurl akribisch belegt, daß alle su-pranationalen Währungsunionen in der neueren GeschichteEuropas Mißerfolge gewesen sind. So bspw. die österreichisch-deutsche Münzunion von 1857 bis 1867, die lateinische Münz-konvention von 1865 bis 1927 und die Skandinavische Mün-zunion von 1872 bis 1931. (Die jeweils nationalen Geldverei-nigungen hingegen – Schweiz, Italien, Deutschland im19. Jahrhundert – waren allesamt erfolgreich.) Bei den supra-nationalen Münzunionen haben in jedem Einzelfall die Kräe

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des Greshamschen Gesetzes (Schlechtes Geld verdrängt gutesGeld) unerbittlich zugeschlagen, weil es jeweils an einem star-ken Zentralstaat gemangelt hat, der mit einheitlicher Wechsel-kurs-, Geld-, Fiskal- und Zinspolitik die Integrationsverwer-fungen und -schäden hätte auffangen können (eurl 1991).(Was also sollten sich Europas Bürger wünschen: Eine zerrüt-tete und letztlich scheiternde Eurowährung – oder einenmächtigen gesamteuropäischen Zentralstaat, der vielleicht dasSchlimmste für das Einheitsgeld verhindern könnte? Wie beider zweifelhaen „Wahl“ zwischen Hängen und Erschießensollte die Antwort – auch vor dem historischen Hintergrund –lauten: weder noch.)Es ist nicht ohne intellektuellen Reiz, dieser historischen Rea-lität ein neuzeitliches Märchen, eine Art Polit-Science Fictiongegenüberzustellen. Das Märchen hat folgenden Wortlaut:„Eine Gefahr für die Stabilität unserer Währung wird entge-gen aller Skepsis und entgegen aller Kritik vom Stufenplanzur Währungsunion nicht ausgehen. Wir bringen unsereWährung in eine Gemeinscha ein, in der Stabilität ebensogesichert ist wie in Deutschland. Dabei wird unsere D-Marknicht geopfert. Sie bleibt als Garant unseres wirtschalichenErfolgs und unseres Wohlstands das Symbol deutscher Stabi-litätspolitik … Der gemeinsame Wirtschas- und Währungs-raum wird eine Stabilitätsgemeinscha sein … In bezug aufdie Unabhängigkeit des Systems in der Endstufe wird es kei-nen Unterschied zur heutigen Bundesbank geben … Es wirdin keinem Mitgliedsland eine Möglichkeit zur Finanzierungder Staatshaushalte durch die Notenbank geben … Das Pri-mat der Geldwertstabilität wird auch nicht durch die äußereWährungspolitik gegenüber Drittländern in Frage gestellt …Mit dem neuen EWG-Vertrag wird die deutsche Stabilitäts-politik nach Europa exportiert. Unsere stabilen Währungs-verhältnisse werden auf alle Mitgliedstaaten übertragen … Es

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sind eindeutige quantitative Meßlatten für stabilitätsgerechteHaushaltspolitik und solide Staatsfinanzen vereinbart. Auchnach Eintritt in die Endstufe wird die Wahrung dieser Stabi-litätsvorgaben durch einen wirksamen Sanktionskatalog ge-währleistet. Bei Verletzung der Haushaltsdisziplin sind ab -gestue Strafen – bis zur Verhängung von Geldbußen – vor-gesehen. Damit sind völkerrechtlich bindende Regeln verein-bart, die ein Aushöhlen der auf Preisstabilität ausgerichtetenGeldpolitik der Europäischen Zentralbank wirksam verhin-dern.“Dieses Märchen wird wohl als eine der schwerwiegendstenFehleinschätzungen eines Amts- und Verantwortungsträgersund als Musterbeispiel politischer Naiv-Romantik in dieWirtschas- und Finanzgeschichte der Menschheit eingehen.Es handelt sich hierbei um die Ausführungen von Bundes -finanzminister eo Waigel (in einem Interview mit dem»Handelsblatt« vom 9.  Dezember 1991). Der ans Zirzensi-sche grenzende Euphemismus wird nur noch übertroffen vondes Ministers später geäußertem Jubelsatz: „Wir beginnenmit der Wirtschas- und Währungsunion das größte Stabili-tätsprogramm, das es jemals in Europa gegeben hat“ (s. Nah-rendorf  1992). Dem fassungslosen Chronisten fällt hierzunur noch der Satz des Heiligen Augustinus ein: „Du Gott hastes so eingerichtet, daß sich selbst zur Strafe wird jeder unge-ordnete Geist.“Mag besagtes Märchen noch dem Urteil der Historie überlas-sen bleiben; Geschichtslegenden hingegen sollten rechtzeitigentlarvt werden, bevor deren Erfinder sich gemächlich in ihren Schutz begeben können. Gerade noch tolerierbar magjene Legende der jüngsten deutschen Finanzgeschichte sein,der Professor Kurt H. Biedenkopf bei einem Interview vomOktober 1991 Ausdruck verliehen hat. Man habe, so Bieden-kopf, erst im Nachhinein erkennen können, wie groß die

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Klu zwischen neuen und alten Bundesländern gewesen sei.Kein Mensch habe die Probleme der Vereinigung voraussa-gen können. Auch die „crème de la crème der Ökonomen“habe sich ebenso verschätzt wie die Politiker. Diese Ansichtentspricht nicht der historischen Wahrheit. Richtig ist viel-mehr, daß während der monatelangen Vorbereitungsphasezur deutschen Vereinigung nur die Regenbogen- und Bild-schirm-Prominenz in Hunderten von Interviews, Talkshowsund Popanz-Spektakeln nach ihrer diesbezüglichen Meinunggefragt wurde. Ebenso ein unüberschaubares Heer von Schü-lern, Hausfrauen, Künstlern, Betriebsräten und „Werktäti-gen“. Aber kein einziger Ökonom. Weder einer aus der„crème de la crème“, noch einer aus dem biederen akademi-schen Kaffeesatz der Nationalökonomie.Und der einsame Rufer in der Wüste, der es wagte, von sichaus das Maul aufzumachen, nämlich der damalige Bundes-bankpräsident Pöhl, wurde umgehend von der Politik in denSenkel gestellt. Die Wahrheit also ist, daß die überwiegendeZahl der Nationalökonomen (zumindest der Ordo- und Ord-nungsliberalen unter ihnen) sehr wohl hätte darlegen kön-nen, daß die finanziellen Probleme der Vereinigung in demMoment eine gigantische Dimension annehmen werden, indem man sich zu einer Währungsunion entschließt. Wenn, jawenn man sie gefragt hätte. Aber sie wurden nicht gefragt,weil ihre vereinzelt anklingenden Warnrufe nicht zum politi-schen Durchmarschbefehl paßten. Man kann sich lebhaausmalen, mit welchem Hohn und Spott die Polit- und Me-dienkaste hierzulande den Nationalökonomen von Weltrang(und langjährigen Direktor des Statistischen Bundesamtes inÖsterreich), Erich Streissler, überschüttet hätte, wenn er denfolgenden Satz nicht in der Wiener »Wochenpresse«, sondernin einer bundesdeutschen Gazette geschrieben hätte: „Geradeauch im Interesse der Deutschen braucht man nicht mit un-

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gemischter Freude einer Vereinigung Ostdeutschlands mitder Bundesrepublik entgegensehen: Hier wird das große Ar-menhaus Europas gebaut.“Besagte, von Biedenkopf kolportierte Legende ist natürlichkeine Erfindung, die man ihm selbst zuschreiben müßte. Erhat nur ausgesprochen, was zwischenzeitlich längst Gemein-gut geworden war. Sie mag als frommes Märchen noch hin-genommen werden, weil die politischen Ereignisse sich da-mals überstürzten und der akademischen Diskussion tat-sächlich zu wenig Bedenkzeit blieb. Entschieden vorzubeu-gen ist jedoch jener Legende, deren Umrisse sich jetzt schonahnungsweise am Horizont der künigen Einheitswährungs-Epoche abzeichnen: Ganz ähnlich der deutschen Währungs-union – so könnte sie lauten – habe niemand die Problemdi-mension der Euro-Währung voraussagen können, auch nichtdie „crème de la crème“ der Nationalökonomie. Dieser po-tentiellen Geschichtslüge muß man jetzt schon vorbeugen.Keinem der Akteure des Maastricht-Dramas darf die Gele-genheit geboten werden, sich eines Tages mit derartigen Ar-gumenten die Selbstabsolution zu erteilen und sich aus derVerantwortung zu schleichen. Denn noch niemals in der Ge-schichte der Bundesrepublik (vielleicht sogar in der gesamtenMenschheitsgeschichte) hat es einen vergleichbaren Massen-protest gegeben, wie er – in den zwölf Monaten des Nach-Maastricht-Jahres 1992 – die Repräsentanten der ökonomi-schen Wissenscha und der politischen Publizistik in Warn-und Ablehnungsschrien vereinigt hat. Es ist das Verdienstder Autoren Johannes Welcker (Professor für Volkswirt-schaslehre an der Universität des Saarlandes) und CarstenNerge, in ihrem kritischen Anti-Maastricht-Buch »Die Maas-trichter Verträge – zum Scheitern verurteilt?« sowohl die Er-klärung von sechzig Wissenschalern vom 11.  Juni 1992(„Die EG-Währungsunion führt zur Zerreißprobe“) als auch

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die Erklärung von neun Wissenschalern vom 26. Juni 1992(„Dieser Vertrag von Maastricht sollte nicht ratifiziert wer-den.“) festgehalten und damit für alle Zeit dokumentiert zuhaben. In gleicher dokumentarischer Absicht wird der vorlie-genden Publikation ein Anhang nachgestellt: („Eine kleineBlütenlese aus Anti-Maastricht-Zitaten“). Keiner der poli-tisch Verantwortlichen soll sich jemals darauf berufen kön-nen, nicht rechtzeitig gewarnt worden zu sein oder nichts vonden Gefahren gewußt zu haben, die vom Maastrichter Brand-stier-Papier für die Völker Europas und für die EuropäischeIdee ausgehen. Sie alle handeln wider besseres Wissen; zu-mindest wider ihre Verpflichtung, sich das notwendige Wis-sen anzueignen. „Wir sind nicht nur verantwortlich für das,was wir tun“, ist bei Molière nachzulesen, „sondern auch fürdas, was wir nicht tun.“Man mag diese Art der Dokumentation und der Darstellungfür pathetisch und übertrieben halten. Es ist jedoch zu be-zweifeln, ob man bei der Warnung vor der dritten großenGeldzerstörung, welche die Deutschen in diesem Jahrhun-dert heimsuchen wird, überhaupt in irgendeiner Form über-treiben kann.Zwar nehmen sich die wissenschalichen und publizisti-schen Einzelkämpfer, die gegen die vereinigte WU-Phalanxaus Parteien, Gewerkschaen, Medien und Interessenver-bänden antreten, vergleichsweise aus wie der metaphorischeKnabe, der mit seinem Schäufelchen den Ozean leerschöpfenwollte, aber die Gesetze der Kybernetik lehren, daß auchsolch scheinbar nutzloses Unterfangen nicht ohne Wirkungbleiben muß. Es lohnt sich jedenfalls, für die EuropäischeIdee zu kämpfen – und deshalb auch gegen die Mechanismenund utopischen Ideale, die zur Zerstörung dieser Idee führenmüssen.

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„So wie die Dinge beschaffen sind, ist sehr oft der Miß-stand dem Besserungsversuch vorzuziehen; in jedemFall aber ist das vorhandene Gute dem nicht vorhande-nen Besseren vorzuziehen.“Montesquieu

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III. Ein Teufelskreis aus Geld und Politik

Zwischen einer Währungs- und einer politischen Union beste-hen unvermeidbare und in vieler Hinsicht auch fatale logischeVerknüpfungen. So erfordert eine Währungsunion, wie mehr-fach ausgeführt, unabdingbar eine zentrale Geld-, Finanz-,Zins- und (Außen-)Wechselkurspolitik. Bloße Koordinationnationaler Politiken reicht hierzu nicht aus. Das bedeutet: Werdie Europäische Währungsunion will, muß auch den europäi-schen Zentralstaat wollen. Alles andere ist taktisches Larifariund Ausdruck einer staats- und währungstheoretischen Pu-bertät. Die Europäische Währungsunion ist also im Kern einepolitische Entscheidung, keine ökonomische. Die Wirtschabraucht keine Einheitswährung. Auch nicht für grenzenloseinternationale Kooperation. Zur Beschleunigung der politi-schen Union aber ausgerechnet das empfindlichste ökonomi-sche Medium, das Geld, als Treibriemen einzusetzen, ist einekurzsichtige Entscheidung, die sich als verhängnisvoll fürEuropa und seine Bürger erweisen wird. Für eine politischeUnion sind die Völker nicht reif. Noch nicht, und vielleichtnoch lange nicht. Zum leichtfertigen Spiel mit dem Geld unddem Geldwert gesellt sich also bei einer Währungsunion nachMaastricht-Muster der zwanghae Teufelskreis eines politi-schen Abenteuers, an dessen Ende die Menschen des AltenKontinents vor den Trümmern ihres jahrzehntelangen fried-lichen und freundschalichen Zusammenwachsens stehenwerden. Nach den Katastrophen des nationalen Sozialismusim Westen und des internationalen Sozialismus im Osten, sitztEuropa erneut einer – diesmal supranationalen – sozialisti-schen Utopie auf: dem Euro-Egalitarismus, der sogar auf dieZahlungsmittel ausgedehnt werden soll.Das Argument, die Einheitswährung sei als politische Klam-mer für die Europäische Gemeinscha notwendig, kann sich

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leicht ins Gegenteil verkehren: Sie kann – und wird – zumSprengsatz für Europa werden. „Es ist nicht auszuschließen“,warnt Dr. Hansjörg Häfele (MdB von 1965 bis 1990 und Par-lamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministeriumvon 1982 bis 1989), „daß, je näher das Jahr 1999 rückt und jemehr die Deutschen das Ende der D-Mark fürchten, das vor-handene Unbehagen zur Entrüstung wird, auch mit der Ge-fahr von Kapitalflucht. Das Gegenteil eines zusammenwach-senden Europas wäre erreicht.“ (Häfele 1992). Die wichtigsteund entscheidende Klammer für die europäischen Völker istdie Freiheit von Menschen, Gütern und Kapital, denn dieseFaktor-Mobilität verstärkt den Zwang, die verschiedenen in-stitutionellen und rechtlich-administrativen nationalen Ge-gebenheiten einander allmählich und organisch anzunähern.Worauf es also beim Zusammenwachsen Europas entschei-dend ankommt, ist nicht die währungs-, sozial- und außen-politische, sondern die ordnungspolitische Integration der EG-Länder. Und Fundamentalprinzip aller freiheitlichen Ord-nungspolitik ist der Wettbewerb. Und Wettbewerb heißt hier-bei nicht nur Konkurrenz der Güter- und Leistungsanbieter,sondern auch Konkurrenz der Währungen (Stabilitätswett-bewerb) und der politischen Konzeptionen. Die gemeinsameWährung ist deshalb keine Klammer, welche die Europäermiteinander verbindet, sondern ein Würgeeisen, mit dem ih-re ökonomische und demokratisch-rechtsstaatliche Freiheiterdrosselt und erstickt wird.Es ist schwer auszumachen, was für die Europäer die größereKatastrophe wäre: eine Währungsunion mit gleichzeitigerbzw. schnell nachfolgender politischer Union, oder ein Ein-heitsgeld ohne europäischen Superstaat. Das gemeinsameGeld in einem „Staatsgebiet“, das von den Völkern nicht alsdas ihrige empfunden wird, müßte sich zu einem Symbol desNeids, der Ausbeutung und der habgierigen Aggressivität

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entwickeln. Das gemeinsame Geld in einem Kreis fortbeste-hender Nationalstaaten wiederum wäre einem Schaf im Lö-wenrudel vergleichbar. Es würde zerrissen werden.

Wir wollen zusammenfassen:1. Eine Europäische Währungsunion setzt unabdingbar eine

Wirtschas- und eine politische Union voraus.2. Eine Europäische Wirtschasunion setzt eine politische

Union nicht voraus. Ebensowenig eine Währungsunion.3. Die politische Union Europas ist ein langfristig erstrebens-

wertes Ziel. Sie kann sich sinnvoll, effizient, dauerha undals Vorgang, mit dem sich die europäischen Völker identi-fizieren, nur als allmählicher evolutorischer Prozeß vollzie-hen, nicht als verordneter Entwurf vom zentralistischenReißbrett.

4. Die Wirtschasunion dient diesem langfristigen Ziel derPolitischen Union optimal und organisch, weil der freieWettbewerb aller Produktionsfaktoren ein offener Koor-dinations-, Kooperations-, Integrations- und Friedens-prozeß ist.

5. Weil die Politische Union nur das Ergebnis des wettbewerb-lichen Integrationsprozesses sein kann – und somit nichtvorgezogen werden darf, ist die Politische Union als Entwurfpolitischer und bürokratischer Instanzen abzulehnen.

6. Weil die Währungsunion eine (gleichzeitige oder syn-chrone) Politische Union bedingt, ist auch die Währungs-union so lange abzulehnen, als sich die Politische Unionnicht als Ergebnis des evolutorischen Zusammenwach-sens der Europäer eingestellt hat.

Aus 1. bis 6. ist zu folgern:Die Wirtschasunion Europas ist sofort zu vollenden. Allesandere ist abzulehnen, weil es sich jeweils als Zwischen- oder

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Endstation eines Prozesses ergeben muß. Wirtschasunionbedeutet hierbei: Freiheit der Produktionsfaktoren als ge-meinsamer wettbewerblicher Ordnungsrahmen aller Länderder Gemeinscha – bei fortbestehenden (d. h. der offenenwettbewerblichen Veränderung zugänglich bleibenden) na-tionalen und regionalen Unterschieden in allen sozio-ökono-mischen Gegebenheiten der europäischen Völker und Natio-nen. Einheitliche Wettbewerbsbedingungen in einer Wirt-schasunion kann nur heißen: ein gemeinsamer Ordnungs-rahmen. Dagegen sind einheitliche Wettbewerbskomponen-ten nicht Voraussetzung des Wettbewerbs, sondern Bedin-gungen zu seiner Zerstörung.Europa muß ein Konzert der Freien sein, das sich aus vielenLiedern zusammensetzt. Es darf nicht zum Einheitschor derGegängelten werden. Bei allem, was lebt und sich entwickelt,ist Evolution ein Synonym für Leben, Konstruktion ein Syn-onym für Tod. Europa ist Vielgestaltigkeit und Ganzheit. Wirsollten das eine (die Vielgestaltigkeit) nicht dem anderen (derGanzheit) opfern, sondern sehen, daß die Mannigfaltigkeitein wichtiges Wesensmerkmal dieser Ganzheit ist. Das Euro-päische Haus darf kein Massenzelt werden, wo alle nach demEinheitstakt einer Blaskapelle schunkeln, sondern muß einwohnliches Gebäude mit Zimmern der Begegnung und derPrivatsphäre bleiben. Ein gemeinsamer Ordnungsrahmen füreinen grenzenlosen Markt, einig im friedlichen Wettbewerballer Faktoren – inklusive der Währungen: nur das kann dieLösung für das große Europa des kommenden Jahrtausendssein. Auf daß zusammenwachse, was zusammengehört, undgetrennt bleibe, was nicht zueinander paßt.

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ANHANG: EINE KLEINE BLÜTENLESE AUS ANTI-MAASTRICHT-ZITATEN

Bruno Bandulet: „Die Idee der europäischen Gemeinschaist nicht identisch mit ihrer bürokratischen Realisierung, be-ziehungsweise Pervertierung durch die EG-Kommission.Nicht das europäische Ziel kann strittig sein, sondern die bis-her nicht diskutierte Frage, wie viele Freiheitsrechte, wievielnationale Vielfalt und wieviel Souveränität auf dem Altar derKommission in Brüssel geopfert werden sollen.“ „Wer sichder schleichenden Sozialisierung widersetzt, setzt sich demOdium aus, kein guter Europäer zu sein“ (1990, S. 276 f).„Maastricht war eben kein idealistischer Auruch zu neueneuropäischen Ufern, sondern ein kalt kalkuliertes Manövergegen die monetäre Vorherrscha der Deutschen Bundes-bank und gegen die Existenz einer eigenständigen deutschenWährung. Kein ernstzunehmender Währungsexperte hatdies je anders gesehen.“ „Das Schlimme ist, daß der Vertragden Pilz der Spaltung nach Europa trägt. Nachdem in Maas-tricht schon die Osteuropäer draußen vor der Tür blieben,droht nun auch noch die Zweiteilung des Europas der Zwölf.Es wird sich herausstellen, daß Kohl und Mitterand mit die-sem unausgewogenen, unreifen Vertrag Europa geschadethaben und den Kontinent vielleicht sogar in eine schwereKrise stürzen“ (1992 c). Hans D. Barbier: „Die Chiffre ›Maastricht‹ steht eher für dasEnde der Wirtschaspolitik von Ludwig Erhard und KarlSchiller.“ „Die europäische Geldpolitik – zunächst der natio-nalen Notenbanken, später dann der Europäischen Zentral-bank – wird zum Gegenstand eines politischen Verhand-lungsprozesses in mehr oder weniger formalisierten Gre-mien. Wer die kühne Prognose wagt, dabei bleibe die Stabili-

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tätsdisziplin unversehrt, der kennt nicht die Mechanismenund Zwänge von Vereinbarungen auf internationaler Ebene“(1991). Stefan Baron: „Der Gipfel an der Maas markiert eine histori-sche Fehlentwicklung, er ist ein dunkles Datum in der euro-päischen Geschichte“ (1991).„Der Vertrag von Maastricht droht …, Deutschland schwere-re Lasten aufzubürden als die uns im Versailler Vertrag nachdem Ersten Weltkrieg verordneten Reparationszahlungen.Nur: Versailles war ein Diktat, Maastricht hat die deutscheRegierung freiwillig abgeschlossen“ (1992).Manfred Brunner: „Der frühere EG-Kommissar Ralf Dah-rendorf hat Recht, wenn er Maastricht einen Spaltungsver-trag nennt.“ „Die geplante einheitliche europäische Wäh-rung zielt … auf ein deutsches Sonderopfer, die Vergemein-schaung der Deutschen Mark. Ein unsinniges Opfer, das mitdem Verlust der europäischen Ankerwährung dem gesamtenKontinent schaden wird“ (1992).Nicholas Colchester (stellv. Chefredakteur des »Econo-mist«): „Ein Europa, das auf vielen Säulen ruht, ist der richti-ge Weg für die 750 Millionen Menschen zwischen dem Uralund dem Atlantik. Also ist es auch richtig, daß die monolithi-sche Vision zusammenbricht, wonach alles, was mit europäi-scher Zusammenarbeit zu tun hat, in einer einheitlichen EGuntergebracht werden soll“ (1992). Victoria Curzon-Price: „Wir sind Zeuge eines erstaunlichenComebacks der veralteten, diskreditierten, langweiligen Phi-losophie des Verteilungswohlfahrtsstaats, der nun in europäi-schen Kleidern auritt … Das Problem ist, daß diese Bewe-gung von der weitverbreiteten Popularität der europäischenIdee profitiert. Jeder, der es wagt, dagegen Einwände zu erhe-ben, wird sofort als Anti-Europäer eingestu“ (1990). Wolfram Engels: „Das Streben nach einer einheitlichen Euro-

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pawährung wird aus der Motivation unserer Partnerländer ge-speist, sich der lästigen [Währungs-]Konkurrenz zu entzie-hen. Die Konkurrenz der Währungen hat sich über die Maßenbewährt. Mit der Abschaffung dieses Systems werden wir wohlauch von der Geldwertstabilität Abschied nehmen müssen“(1990 b). „Sprechen wir … offen aus, was der Bundesbank-Präsident[bezüglich der europäischen Währungsunion] befürchtenmag: Erstens wird Deutschland erhebliche Summen zur Spei-sung der europäischen Regionalfonds – und zwar auf unab-sehbare Zeit – auringen müssen. Zweitens wird der Gold-und Devisenschatz der Bundesbank vergemeinschaet. Drit-tens wird die solide Politik der Bundesbank durch eine infla-torische abgelöst. Und viertens wird der Brüsseler Dirigismusüberhandnehmen“ (1991b). Paul Fabra (»Le Monde«-Leitartikler u. Währungsexperte):„Unter dem Einfluß Jacques Delors’ ist Stabilität von einemabsoluten zu einem relativen Begriff geworden“ (1992). Peter Gauweiler: Das „Esperantogeld“ (ECU) ist eine„Schnapsidee“ (HB 1992 c). Manfred Gburek: „Währung und damit Geld ist eben dochmehr als das Resultat fintenreicher Vordenker wie EG-Kom-missions-Präsident Jacques Delors, der die EMU [EuropeanMonetary Union] … als erster durchzusetzen versuchte.“ „Imeuropäischen Einigungsprozeß sind erst einmal Herstellerund Verbraucher, Händler und Finanziers am Zug. Politikerstören da nur. Das einzige Betätigungsfeld, auf dem sie sich bis-her nach Belieben austoben konnten, war der EG-Agrarmarkt– mit katastrophalen Folgen für alle Beteiligten“ (1991). Herbert Giersch: „In einer offenen Gesellscha, in der dieAnleger Alternativen haben, ist ein Wechsel von einer gutenzu einer eher fragwürdigen Währung ein Wagnis ohne Bei-spiel“ (1989).

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„Europas politische Idee kann nicht die organisatorische Ein-heit sein, nicht ein Gebilde, das zentralistisch von oben gesteu-ert wird … Auf eine Gesellscha übertragen, weist das Ein-heits- und Gleichheitspostulat den Weg zu einem zentralisti-schen Umverteilungsstaat.“ „Für Deutschland mochte dieIdee der Einheit im Jahre 1990 noch zeitgemäß sein, soweit sieeinen politisch tragbaren Nachholbedarf der Geschichte zumAusdruck brachte. Für das Europa der nächsten Jahrzehntetaugt dieser Gedanke, der dem französischen Zentralismusund Konstruktivismus entgegenkommen mag, nicht; ja er istdem Charakter Europas direkt entgegengesetzt“ (1992 c). Peter Gillies: „Wenn es einen Währungs-, aber keinen wirt-schalichen Gleichklang gibt, entsteht ein riesiger Kapitalbe-darf und Sozialtransfer, eine krisenhae Zuspitzung bei Pro-duktion und Beschäigung …; die harten Währungen ris-kierten ihre Härte, ohne daß die weichen hart würden“(1991).Gerd Habermann: „Man weist auf die ökonomischen Vortei-le dieser Währungsunion hin: eine Senkung der ›Transakti-onskosten‹ um angeblich 26–38 Milliarden DM: Welch poli-tikferner und zudem ökonomisch schlecht bedachter Ökono-mismus, der übersieht, daß ein Machtmißbrauch dieses Mo-nopols nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher ist! Es ge-hört die ganze politische Kindlichkeit der Deutschen dazu,anzunehmen, man könne Behörden mit einer solchenMachtstellung schaffen, ohne sie jakobinischen Souveräni-tätsansprüchen und dem Druck zentraler politischer Vertre-tungskörperschaen auszusetzen“ (1991b).Hansjörg Häfele: „Das Vertrauen in die Geldwertstabilitätkann nicht politisch beschlossen werden, es muß mühsammit überzeugenden Taten und Unterlassungen aufgebautwerden. Deshalb dürfen wir uns auch in Europa nicht in ei-nen Rausch hineinsteigern, als sei demnächst durch ein paar

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politische Beschlüsse die europäische Währung mit Geld-wertstabilität herzustellen“ (1992). Wilhelm Hankel: „Monetäre Konflikte setzen sich schnell inreale und soziale um. Die EG würde mit der Währungsunionihren inneren Frieden gefährden, ihre bislang so beispielhae›Kohäsion‹“ (1991b).„Eine einheitliche Währungspolitik oder gar Währung fürganz Westeuropa: das wäre der eingebaute Sozialkonflikt, umnicht zu sagen der monetäre Bürgerkrieg in der EG, die si-cherste Methode, sie zu sprengen, statt zur Politischen Unionzu verdichten … Mit der Preisgabe von Bundesbank und D-Mark-Autonomie steht mehr auf dem Spiel als nur dieWährung. Ohne die D-Mark wankt die verläßlichste Säuleder politischen Stabilität in diesem unserem Lande: das Ver-trauen der Bürger in die Verläßlichkeit der Entwicklung, inLeistung, Aufstieg, Zukun … Die politische Abschaffung ei-ner ökonomisch hochbewährten Währung ist und bleibt un-vermittelbar. So weit geht keine Liebe zu Europa – aber darfsie auch nicht gehen, denn ein destabilisiertes Deutschlandmacht jede Hoffnung auf ein stabiles Europa zunichte“(1992 b).Walter Hirt: „Das lasche Haushaltsgebaren in den meistenLändern, die breite Diskrepanz zwischen Anspruch undWirklichkeit im Denken vieler Politiker, sowie die vielen, vie-len Zwänge in längst überforderten Volkswirtschaen ma-chen eine vernünige Währungsintegration in Europa un-möglich, es sei denn man nehme Friktionen in Kauf, die imvoraus den schnellen Untergang der Einheitswährung besie-geln“ (1991).„Die Maastrichter Verpflichtung für eine Währungsunionnoch im Laufe dieses Jahrhunderts ist bloß das letzte Glied ineiner langen Kette politisch verbrämter Zwängereien, bar je-der ökonomischen Vernun“ (1992).

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Hans Martin Kölle: „1948 machten die Deutschen einen gu-ten Tausch [Währungsreform]: wertlose Reichsmark gegenharte D-Mark. Hingegen geben sie 1999 die D-Mark ab underhalten dafür ein Eurogeld, das alsbald an Wert verlierenwird“ (1992 c).„Die Währungsunion steckt voller Gefahren für Deutschlandund Europa. Obendrein ist sie unnötig, denn weder für dasGedeihen des Binnenmarktes ab 1993 noch für die weitereWirtschasintegration der EG braucht man eine einheitlicheWährung, so o dies auch behauptet wird.“ „Schlimm fürdie Deutschen. Noch schlimmer für Europa: Der Maastricht-Vertrag wird die weitere Integration nicht fördern, sondernsich als Sprengsatz erweisen“ (1992 d).Rolf-Dieter Krause: „Der [Maastricht-] Vertrag ist nicht aus-gewogen, in sich widersprüchlich, lückenha, unsolidarisch,riskant, teuer, vollmundig, verfrüht, inkonsequent, zentrali-stisch, undemokratisch, unfair, unnötig und gefährlich“(1992).Herbert Kremp: „Irgendwann, wahrscheinlich bald, wird dieRegierung gefragt werden, was um Himmels willen sie dazugebracht hat, die Deutsche Mark, in eine Geschenktüte einge-packt, der notorischen Unsolidität mehrheitlicher europäi-scher Wirtschasmentalität zu überstellen“ (1991b).Allan H. Meltzer: „Das Bretton-Woods-System wurde durchdie inflationäre Politik der USA zerstört. Nichts im Bretton-Woods-Abkommen vermochte diese negative Entwicklungaufzuhalten … Das Bretton-Woods-System verließ sich aufdie Stabilität der amerikanischen Politik, statt die Einhaltungvon geldpolitischen Richtlinien zu fordern. Ein halbes Jahr-hundert später wiederholen die Architekten der EuropäischenWährungsunion denselben Fehler, indem sie für die Zukunauf die Stabilität der Politik Deutschlands (oder der Direkto-ren des europäischen Zentralbanksystems) bauen, statt sich

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um eine flexible – aber klare – Regel zur Verhinderung küni-ger inflationärer oder deflationärer Entwicklungen zu bemü-hen“ (1991).omas Molnar (sinngemäß): Die Träume von Brüssel undStraßburg sind in Wirklichkeit Alpträume von Robotern(1991).Lothar Müller (Präsident der LZB in Bayern): „Eine einheit-liche Währung verführt dazu, die wirtschalichen Problememit Hilfe anderer lösen zu wollen, um die Lebensverhältnisseanzugleichen. Sparen ist eben eine feine Sache, wenn es ande-re übernehmen“ (1992 b).Hans Mundorf: „Es gibt ein sonntägliches und ein alltäglichesEuropa. Sonntags werden Verträge unterschrieben, voll deseuropäischen Geistes; dann sind alle Menschen Brüder. All-tags aber werden diese Verträge praktiziert, dann stellt sich dieFrage, ob Brüder überhaupt Menschen sind“ (1992 b). Friedrich-Naumann-Stiung: „Nur in einem Europa desWettbewerbs zwischen den verschiedenen Bürgergesellschaf-ten können die Bürger frei sein. Deshalb lehnen wir dasEuropa der Harmonisierung ab. Deshalb gibt es in unseremEuropa keine europäische Regierung, keine europäische Bü-rokratie und kein europäisches Parlament.“ (Aus dem Mani-fest »Bürger zur Freiheit« der Friedrich-Naumann-Stiungvom November 1992.)Tyll Necker (Präsident des BDI): „Nicht nur Produkte undDienstleistungen, sondern auch politische Ideen und wirt-schaliche Rahmenbedingungen müssen auf den Prüfstandder Erfahrung im Wettbewerb“ (1990).Wilhelm Nölling (Präsident der LZB Hamburg): „Eine ›miß-glückte, frühgeburtliche‹ monetäre Union könnte die Bun-desrepublik teuer zu stehen kommen.“ „Wenn man … be-denkt, daß sich in einer Währung, zumal einer so erfolg -reichen wie der deutschen, viel natürliche nationale Substanz,

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also ein besonders wertvolles Aktivum, angesammelt hat, istder Vorgang von Maastricht besonders bei Anlegung demo-kratischer Kriterien schwer zu begreifen“ (1992). Gerhard Prosi: „Weil niemand weiß, wie im einzelnen die op-timale Ordnung Europas in der Zukun aussehen könnte …weil niemand weiß, welche Probleme entstehen werden undwelche Lösungen wie gefunden werden können, weil nie-mand wissen kann, was die Zukun Europas konkret im ein-zelnen birgt, und weil alle wollen, daß Europa in Freiheitwächst, müssen die Dezentralisierung der Entscheidungen,regionale Autonomie und die Freiheit des Wettbewerbs er-halten werden. EUROPA VERDIENT DIE CHANCE,DURCH DIE VIELEN NEUEN CHANCEN EINES INNO-VATIVEN WETTBEWERBS EINE OPTIMALE ORD-NUNG ZU FINDEN … Gerade weil für die Wirtschas- undGesellschasordnungen keine Laborversuche möglich sind,… brauchen wir für den »Entdeckungsprozeß der IntegrationEuropas« den Wettbewerb [auch der politischen Konzepte]als Entdeckungs- und Lernverfahren mit möglichst weitge-hender regionaler und nationaler Autonomie … anstatt ihnunter der Überschri »Harmonisierung« selbst zu beschrän-ken“ (1991, S. 234 f).Gerard Radnitzky: „Der Wettbewerb zwischen den Staatenwäre ein viel wirksameres Mittel gegen die Einschränkungvon Freiheits- und Bürgerrechten als sämtliche verfassungs-mäßigen Vorkehrungen. Vermutlich das einzige effektiveMittel“ (S.  262). „In einem nach 1992 von Brüssel ex ante»harmonisierten « Europa (mit Delors’ ›Sozialcharta‹ würdeder Wettbewerb der Staaten um Menschen und Kapital mehrund mehr eingeschränkt und der Schutz vor staatlicher Un-terdrückung und Reglementierung würde mehr und mehrverschwinden“ (1991c, S. 264).„Es ist zu hoffen, daß die Europäische Gemeinscha erken-

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nen wird, daß die Integration verschiedener Ökonomiennicht als ein politischer und bürokratischer Prozeß bewerk-stelligt werden kann, sondern nur als das Ergebnis des Rück-zugs des Staates und seiner Vertreter entstehen kann, d. h.durch Übertragung des Integrationsaurags auf die Märkte.“(1992 b; Übers. d. Verf.).„Der Maastricht-Vertrag droht mit artifizieller »Harmonisie-rung« den Wettbewerb der Staaten, der Währungen, derStandorte usf. zu beseitigen. Er droht, den Egalitarismus …auch in der Praxis auf Europa auszudehnen, in der Absicht,das »Wohlstandsgefälle« zwischen Ländern und Regionen zunivellieren. Deutschland als erster Zahlmeister der EG wird,wenn der Maastricht-Vertrag Wirklichkeit wird, rasch seinenWohlstand verlieren sowie auch viele der kleinen Freiheitendes Alltags, die dem Bürger noch verblieben sind“ (1993).Rudolf Richter: „Statt durch Währungskonkurrenz wird sie[die Deutsche Mark] … im Wege eines Kartells per Feder-strich beseitigt. Politischer Wettbewerb, ein wirksames Siche-rungsinstrument gegen öffentliche Willkür ist nicht gefragt.Die europäische Bürokratie in Brüssel wird vielmehr nochweiter gestärkt. Der Dirigismus der Kommission kann sich… noch fester als bisher einnisten“ (1991).Heinrich Rieker: „Solange sich die Europäer nicht in denwichtigsten wirtschas- und währungspolitischen Grundsät-zen halbwegs einig sind, ist es sinnlos, an eine Integration derWährungspolitik und der Währungen zu denken. Solange sie… immer noch so unterschiedliche Vorstellungen über denStellenwert von Geldmenge, Preis- und Zinsniveau oderWechselkurse haben …, wirkt eine gemeinsame Europawäh-rung so, als wolle man armdicke Risse im Mauerwerk mit derTapete überkleistern“ (1991).Günter Rohrmoser: „Niemand darf auch nur im Traum dar-an denken, daß die übrigen europäischen Staaten im gemein-

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samen Binnenmarkt bereit sein könnten, Regelungen zuübernehmen, von denen sich die Politiker in der Bundesre-publik durchaus vorstellen könnten, daß sie für uns erstre-benswert sind“ (1990b).„Wenn wir beobachten konnten, wie die zentralistischen, bü-rokratischen und supranationalen Systeme des Ostens zu-sammengebrochen sind: Kann es dann richtig sein, Europanach genau diesen Methoden zu planen und zu organisie-ren?“ (Prof. Rohrmoser im Rahmen eines Vortrags vor denWirtschasjunioren in Karlsruhe im Juni 1992.)Wolf Schäfer: „Maastricht ist ein Vertrag, der den innereuro-päischen Wettbewerb auf den Märkten für politische und bü-rokratische Dienstleistungen durch Kartellabsprachen undMonopolbildung einschränkt beziehungsweise beseitigt:Nicht Wettbewerb der nationalen Währungen, sondern Ein-heitswährung in Europa; nicht Wettbewerb der Zentralban-ken um die niedrigste Inflationsrate, sondern Absprache undpolitisches Aushandeln der europäischen Inflationsrate in einer Monopolzentralbank; nicht Wettbewerb der Regionen,der Steuer- und Sozialsysteme, sondern eurozentral verab -redeter Niveauausgleich durch Transferzahlungen (Sozial-,Struktur-, Kohäsionsfonds); nicht Wettbewerb mit denMärkten und Standorten außerhalb der EG, sondern Ab-schottung und Industriepolitik gegenüber Drittländern. DiePhilosophie von Maastricht ist ein konstruktivistischer Ra-tionalismus, der Wettbewerb und Vielfalt weitgehend durchAbsprache und Einheitlichkeit ersetzen will. Der zentrale De-fekt von Maastricht besteht deshalb in der fehlenden Bereit-scha der Politiker und Regierungen, sich selbst gleicherma-ßen einem verschären internationalen Wettbewerb auszu-setzen, wie dies für die Unternehmen im BinnenmarktEuropa der Fall ist“ (1992).Rudolf Scheid: „Tatsächlich erfordert der gemeinsame Bin-

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nenmarkt keine einheitliche Währung, sondern richtigeWechselkurse. Unter einer am Stabilitätsziel orientiertenKonkurrenz der Währungen würde er bessere Fortschrittemachen als unter dem Regime einer Währungsunion.“ „EineEG-gemeinsame Währungspolitik kann eben nur so viel Sta-bilität garantieren, wie die durchschnittliche Stabilitätspräfe-renz der EG-Länder im Konflikt mit anderen Präferenzenund Zielen zuläßt“ (1989). Karl Schiller: „Der Druck auf die Europäische Zentralbankin Richtung auf eine weiche Geldpolitik wird sicher kom-men.“ „Alles das, woran Ludwig Erhard und die Nachfolgerin seinem Geiste gearbeitet haben, das wäre dann … reif fürdie Wirtschasgeschichte“ (Karl Schiller im »Spiegel« Nr. 50 /1991).Hans-Dieter Schoen: „Die Herstellung einer Währungs -union unter Einschluß von Ländern mit kaum vorstellbar ho-her Staatsverschuldung wie Italien, Griechenland, Portugalund Spanien läu auf europäischen Selbstmord hinaus“(1990).Josef Schüßlburner: „Die deutsche Katerstimmung, die die-sem Europarausch folgen wird, läßt jetzt schon Schlimmeserahnen“ (1992). Joachim Starbatty: „Die Europäische Integration darf man… nicht mit einem Fahrrad vergleichen, das stürzt, wenn essich nicht mehr vorwärts bewegt. Ein Fahrrad, das man nichtabstellen kann, taugt nicht“ (1992). Margaret atcher: „Zu der Zeit, in der die Welt in großeReiche unterteilt war – das China der Sung-Dynastie, das Os-manische Reich, das Mogulreich –, entwickelte sich inEuropa der Kleinstaat … Während die erwähnten Großreicheall ihren Völkern ein einheitliches System aufzwangen, war esdie Verschiedenartigkeit dieser Kleinstaaten, die Europasgroße künstlerische und intellektuelle Renaissance ebenso

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hervorbrachte wie die industrielle Revolution und die Frei-heitsliebe … Dieser Geist der Verschiedenartigkeit, der Liebezur Freiheit und Gerechtigkeit, der Vielfalt eher als der Mo-notonie, der aktiven Auseinandersetzung eher als der passi-ven Zustimmung, spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte… Lassen Sie uns also unsere Vielfalt bewahren. Sie ist es, diedem Leben seine Farbe, seine Originalität und Bedeutunggibt. Lassen Sie uns eine Gemeinscha auauen, derenGrundlage nicht aus neuen bürokratischen Systemen be-steht.“ (M. atcher in einer Rede, gekürzt wiedergegeben in:»Vertrauliche Mitteilungen« vom 27. November 1990.) Roland Vaubel: „Wenn es richtig ist, daß eine stabile Wäh-rung wichtiger als eine gemeinsame Währung ist, so ist vondem Maastrichter Vertragsentwurf abzuraten“ (1992 a).Christian Watrin: „Der Wunsch auf schnelle Einführung einer Europäischen Währungsunion entspricht der vergeb -lichen Hoffnung, den unvermeidlich schmerzhaen Prozeßder Marktintegration zu vermeiden. Es steht zu befürchten,daß die Kosten des Unternehmens für alle hoch werden“(1990).„Der in den Maastrichter Beschlüssen angelegte Parforceritt,der in der Absicht gipfelt, 1999, koste es, was es wolle, dieWährungsgemeinscha einzuführen, ist der falsche Weg. Ergefährdet selbst die langfristigen Pläne derjenigen, die dieEinheit Westeuropas über die Vielfalt Gesamteuropas stellen“(1992).Erich Weede: „Niemand in Europa hat vor Jahrhunderten dieZähmung der Herrscha als Voraussetzung für die Entste-hung der Marktwirtscha geplant – am allerwenigsten diedamals herrschenden Klassen. Das ergab sich aus den [beiProf. Weede besprochenen, im Staaten-Wettbewerb begrün-deten, d. Verf.] Glücksfällen. Heute plant niemand in verant-wortlicher Position die schrittweise Abschaffung des Wett -

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bewerbs und des Marktes und die Repolitisierung der Wirt-scha. Aber wir gehen Schritt für Schritt den Weg zumschleichenden Sozialismus, ohne zu bedenken, daß damitauch die Zähmung der Herrscha selbst gefährdet werdenkönnte“ (1991, S. 41).Hans Willgerodt: „Die Lust am Untergang der DeutschenMark läßt nicht nur deutsche Europaromantiker unberührt,sondern beflügelt auch deutsche Inflationisten“ (1989).Zeitschri für das gesamte Kreditwesen: „Wenn in aller WeltDämme brechen und die Bundesrepublik im Wagnis eineserweiterten Währungsraums stabilitäts- und finanzpolitischerst neuen Halt finden muß, ist es geboten, die geldpolitischeSouveränität dort zu belassen, wo sie ist: bei den National-staaten“ (Ausg. 2 / 1992, S. 3).Achim Zink (Prof. Zink war bis 1990 Präsident der Gemein-scha zum Schutz der deutschen Sparer): „Was Kanzler Kohlin Maastricht mit der Zustimmung zur Ablösung der D-Markdurch eine europäische Währungseinheit (ECU) auf dem Al-tar einer keineswegs gesicherten Europäischen Union geop-fert hat, wird die Deutschen teuer zu stehen kommen … Nie-mand sollte die Bedeutung dieser Entscheidung herunter-spielen – sie ist von größter Tragweite und betri jeden Bür-ger; sie stellt in Frage, was in 44 Jahren harter und erfolgrei-cher Arbeit geschaffen worden ist“ (1992).

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Welcker, Johannes 1992a (u. Carsten Nerge): Die Maas-trichter Verträge – zum Scheitern verurteilt? Verlag Mo-derne Industrie, Landsberg / Lech.

Welcker, Johannes 1992b: Art. „Stützungskäufe der Bundes-bank kosten den deutschen Steuerzahler viel Geld“. In:Handelsblatt v. 27. November 1992.

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Wisdorf, Eberhard 1991: Art. „Zumindest ein Einstieg“. In:Handelsblatt vom 12. Dezember 1991.

Wolffsohn, Michael 1991: Art. „Zerrissenheit als Erbe“. In:Rheinischer Merkur vom 22. März 1991.

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Roland Baaders Vermächtnis: EIN BREVIER DER FREIHEIT

DAS ENDE DES PAPIERGELD-ZEITALTERS

Er war ein Meister der klaren Worte, aus denen er elegante Sätze mit intellektueller Brillanz zu formen verstand: Roland Baader – Privatgelehrter, Erfolgsautor und ehemaliger Unter-nehmer – kämpfte mit seinen Publikationen jahrzehntelang gegen die Feinde der Frei-heit und die Irrlehren der Mainstream-Ökonomie. Er war überzeugt, dass 99 Prozent der Bevölkerung wenig oder gar nichts von Ökonomie verstünden. Das macht es den Ideologen und den Falschmünzern in den Regierungen und Notenbanken sowie ihren Claqueuren in vielen Medien sehr einfach. Roland Baader war entschlossen, dem mit der Macht seiner Worte entgegenzuwirken.

Baader, ein ehemaliger Schüler Friedrich August von Hayeks und überzeugter Verfechter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, starb im Jahr 2012. Mit dem Buch DAS ENDE DES PAPIERGELD-ZEITALTERS – EIN BREVIER DER FREIHEIT erschien nun sein Vermächtnis.

Herausgeber Rahim Taghizadegan hat die Aufgabe übernommen, die Essenz des Werkes von Roland Baader in verdichtete und leicht zugängliche Form zu fassen. Taghizadegan ist überzeugt: Der Kern von Freiheit und Verantwortung besteht darin, dass es keine Mehr-heiten braucht, um etwas anders zu machen. «Die wirklich bedeutenden Veränderungen gehen oft von der kleinsten Minderheit aus – dem Einzelnen.»

Die mit spitzer Feder formulierten Statements und Erkenntnisse Baaders sind von zeit-loser Gültigkeit. Viele wurden schon vor einer Reihe von Jahren geschrieben – und sind heute aktueller denn je.

Dieses Buch immunisiert gegen die von Politikern und Mainstream-Ökonomen genährte Illusion, mit wertlosem, staatlichem Zwangs-Papiergeld und sozialistischer Umverteilung ließen sich echter Wohlstand und eine gerechtere Gesellschaft schaffen.

Es erwartet Sie eine inspirierende Lek-türe. Erhältlich in Ihrer Buchhandlung oder unter www.verlag-jm.ch. Auch als E-Book erhältlich.

Roland Baader

Das Ende des Papiergeld-Zeitalters – Ein Brevier

der Freiheit

Herausgeber: Rahim Taghizadegan

240 Seiten, Leinen, gebunden

EUR 22.00 / CHF 24.50

ISBN: 978-3-906085-08-1

Verlag Johannes MüllerNeuengasse 38

Postfach 2764

CH-3001 Bern

[email protected]

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