Risiko des Transformationsprozesses
Soziologische und psychologische
Faktoren
Ortwin Renn
Universität Stuttgart
Hannover
20. Juni 2013
Eckdaten der Energiewende
Verbesserung der Energieeffizienz um rund 40% bis 2050
Auflaufen der Kernenergienutzung bis 2022
Reduktion des Anteils der fossilen Brennstoiffe von heute rund 80% auf 20% der Endenergieversorgung
Ausbau der erneuerbaren Energiequellen bis zu 80% der 2050 erforderlichen Primärenergie
Ausbau von Netzen (Nord-Süd) Speicher und Infrastruktur (smart grit, Vernetzung, Capacity Management)
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Drei Technikbereiche I
o Produkt- und Alltagstechniko Allokation: Markt
o Akzeptanztest: Kauf
o Konfliktfelder: Haftung oder Qualität
o Arbeitstechniko Allokation: Unternehmen
o Akzeptanztest: Aktive Nutzung
o Konfliktfelder: Rationalisierung, Mitbestimmung, Qualifikation
Drei Technikbereiche II
o Externe Technik (als Nachbar)
o Allokation: Zusammenspiel Wirtschaft und Politik
o Akzeptanztest:o konventionell: Abstimmungen, legale
Genehmigung
o unkonventionell: Proteste, Besetzung u.s.w.
o Konfliktfelder: Legitimität, Grundwerte, Politikversagen, Verteilungsungerechtigkeiten
o Konfliktherde: Kernenergie, Gentechnik, Infrastruktur, Überlandleitungen, Kraftwerke, Großchemie, Abfallentsorgung,
Technikwahrnehmung im
internationalen Vergleich
o Produkt- und Alltagstechniko Keine Akzeptanzprobleme in Deutschland
o Technische Ausstattung sehr hoch
o Konflikte allenfalls bei starken externen Effekten (etwa Verkehr)
o Arbeitstechniko Wenig Akzeptanzprobleme in Deutschland
o Deutsche Betriebe sind nicht die ersten, die einführen, aber bei denen die Nutzung am wenigsten Reibungsverluste mit sich bringt
o Konflikte bei Arbeitsschutz, Mitbestimmung
Technikwahrnehmungen im
internationalen Vergleich IIo Externe Technik (Verbreitung der
Skepsis in Europa)
o Mehr Besorgnis als bei europäischen Nachbarn: Grüne Gentechnik, Reproduktionstechnik (Stammzellen), Chemieanlagen
o Im oberen Durchschnitt: Rote Gentechnik, Kernenergie, Mobilfunkanlagen, Infrastruktur
o Durchschnitt: Abfallanlagen
o Besonders technikfreundlich: (dezentrale) Computeranlagen
Drei dominante
Technikwahrnehmungen heute
Technik eine positive Größe für Wettbewerbsfähigkeit und Mithalten mit der Globalisierung (Innovationspotenzial);
Technik als Ausdruck der Entfremdung von der eigenen Lebenswelt (vor allem die Schnelligkeit und Komplexitätdes Wandels)
Technik als Ursache für die Belastung von Umwelt, Klima und z.T. Gesundheit
Dagegen: Technik als Jobkiller oder als Bedrohung der Privatsphäre sind kaum noch virulent
Was beeinflusst Akzeptanz?
Einsicht in Notwendigkeit des Vorhabens
und positive Akzeptabilität der Folgen
Nutzen für einen selbst und für diejenigen,
die man wertschätzt
Glaube an die Selbstwirksamkeit des
eigenen Handelns
Idenitifikation mit dem Vorhaben
Auslöser der Proteste
Persönliche Belastungen durch Lärm, Schmutz und
Verkehr
Abwehr gegen Veränderungen im eigenen
Lebensumfeld (NIMBY)
Pluralität der Werte, Wissensbestände und
Beurteilungskriterien
Größere Unsicherheit über Entscheidungsfolgen und
komplexe Wirkungszusammenhänge.
Vertrauensverlust in die Problemlösungskapazität der
Politik, in die Gerechtigkeit der Wirtschaft und in die
Unabhängigkeit der Wissenschaft.
Verstärker: Risikomuster Schleichende Gefahr
Gefahr nicht sinnlich wahrnehmbar
Angewiesenheit auf Dritte
Lange Latenzzeit zwischen Auslöser und Effekt
Schlüsselvariable: Vertrauen
Wenn ja: Abwägung Nutzen-Risiko
Wenn nein: Absolutes Nullrisiko
Wenn vielleicht: Urteilsbildung nach externen Kriterien
Konfliktthemen bei der Energie
Potenziale der erneuerbaren Energieträger (Volatilität)
Rolle von Staat, Markt und Zivilgesellschaft in der Energieversorgung
Investitionsverhalten: wer zahlt für Infrastrukturausbau und Versorgungssicherheit?
Zentrale versus dezentrale Versorgungsstrukturen (für erneuerbare Energien)
Künftige Rolle der Kernfusion
Sozialverträgliche Preisgestaltung
Akzeptanz
Akzeptanzverhalten: Energie
Mehr als 80% der Deutschen lehnen den weiteren
Einsatz der Kernenergie ab.
Den den Ausstiegsbeschluss befürworteten:
2011: 75%,
2012 78% und
2013 67%
Fossile Kraftwerke werden zunehmend skeptisch
betrachtet, vor allem Opposition von organisierten
Gruppen, aber Kohle lieber als Kernenergie
Akzeptanzverhalten: Energie II
Regenative Energiequellen werden abstrakt sehr
befürwortet, aber zum Teil vor Ort bekämpft
Dank EEG große Nachfrage nach Photovoltaik,
dadurch aber Integrationsprobleme (Umverteilung von
unten nach oben?)
Höhere Akzeptanz bei neuen Betreibermodellen von
Windparks und Solarparks
Größere Proteste bei Infrastrukturmaßnahmen
Alle Effizienzgewinne der Ölkrisenzeit (1970er
Jahre) wurden durch Konsumausweitung
überkompensiert.
Der Rebound-Effekt.
Er wurde schon 1865 von William Stanley
Jevons in „The Coal Question“ beschrieben.
Nutzung von Energie
Der Stromverbrauch der Haushalte und
Kleinverbraucher steigt trotz Verbesserung der
Energieeffizienz elektrischer Geräte und trotz
zahlreicher energiepolitischer Maßnahmen
zum Energiesparen
Haushalte: Zwischen 1990 und 2005:
Effizienzverbesserung: 32% ; Mehr-verbrauch
21%; 2009 rückläufig; ab 2011 wieder
steigend
Ursachen des Rebound Effektes
Ökonomischer Effekt (Verbilligung)
Direkt: Verbrauch wird billiger
Indirekt: Einkommenseffekt
Wissensdefizite (falsche Einschätzung
der Verbrauchsintensitäten)
Imagegewinn (demonstrativer
ökologischer Verbrauch)
Struktur der Verhaltensauslöser
Ability (strukturelle und situativen Bedingungen)
Rechtliche Möglichkeiten des Handelns
Zeitliche oder örtliche Beschränkungen
Verfügbarkeit über Ressourcen, vor allem Geld
Motivation (persönliche Beweggründe)
Einsicht und Wissen
Nutzenerwartung
Identifikation
Interventionsstudien
Intrinsisch
Individuelle Beratung und Wissenstransfer
Contracting Lösungen (keine hohen Anfangsinvestitionen)
Direkte Rückkopplung von Verbrauch und Einsparung
Finanzielle Anreize (Direktzahlungen wirksamer als Steuererleichterung)
Extrinsisch
Ausbruch aus Allmende Dilemma (individuelle Zuordnung von Erfolg, Teil einer wirksamen Bewegung)
Kollektive Ziele und Rückkopplung (Vorbildgemeinden)
Externe Sichtbarkeit von energiesparendem Verhalten
Einflussnahme auf hoch geschätzte Referenzgruppen
Kooperation aller Partner bei investiven Maßnahmen
Bürgerinnen und Bürger durch Transparenz und Offenheit
aktiv einzubinden.
Die Präferenzen und Wünsche
der betroffenen Bevölkerung
frühzeitig zu erfassen und
mit zu berücksichtigen.
Öffentliche Planung so zu gestalten, dass mögliche
Konfliktpunkte konstruktiv, sachgerecht und
zukunftsweisend aufgelöst werden können.
Akzeptanz setzt frühzeitige Bürgerbeteiligung voraus
Beteiligung dient drei Zielen:
Die Lehren aus Stuttgart 21
Was kann (darf) man erwarten?
Fokus auf „echte“ Konflikte statt auf Scheinkonflikte
Verständigungsmöglichkeiten auch bei Mischung von Wissen, Interessen, Präferenzen und Bewertungen
Ermöglichung von Respekt und Verständnis für die Positionen der anderen
Potenzial für die kreative Erkundung neuer Optionen und Handlungsvorschläge
Möglichkeit von Konsens oder Kompromiss
Verbesserung der Akzeptanz von kollektiv bindenden Entscheidungen (höhere Verfahrens-Legitimation)
Möglichkeit eines langfristig wachsenden Systemvertrauens
Spielregeln
Neutrale Moderation
Freiwilligkeit der Teilnahme
Ergebnisoffenheit des
Verfahrens
Alle Informationen liegen
„auf dem Tisch“
Selbstbestimmtheit der
Verhandlungen der Parteien
Zeitlicher Rahmen festgelegt , aber nicht zu eng
Ziel: Optionen zu finden oder neu zusammenzustellen,
die von allen Beteiligten akzeptiert werden können
Nachgewiesene Erfolgskriterien
Bereitschaft und geeignete Rahmenbedingungen für gegenseitige Lernprozesse
Klares Mandat und ausreichendes, aber gleichzeitig begrenztes Zeitbudget
Offene Dialogführung
Transparenz der Beteiligungsverfahren gegenüber Außenstehenden
Potentiale für neue win-win oder normativ überlegene Lösungen
Anschlussfähigkeit an legale Entscheidungsprozesse
Rückkopplung der Entscheidungen an alle Beteiligte
Schlussfolgerungen I
Eine generelle Technikfeindlichkeit gibt es weder in Deutschland noch anderswo
In der Konsumtechnik sind die Deutschen besonders technikfreundlich, in der Arbeitstechnik eher technikfreundlich und bei den externen Techniken selektiv skeptisch. Das trifft vor allem Großprojekte
Die Bevölkerung sieht heute externe und arbeitsbezogene Technik als Mittel zur Bewältigung der Globalisierung, als Bedrohung der eigenen Lebenswelt und als mögliche Belastung für Umwelt und Gesundheit
Schlussfolgerungen II
Fukushima hat zu einem weiteren und wahrscheinlich stabilen Akzeptanzentzug der Kernenergie geführt. Mittelfristig wird auch der Anteil der Kohlenutzung aus Klimaschutzgründen drastisch reduziert werden
Effekte von energiesparenden Investitionen werden zum großen Teil durch Mehrverbrauch kompensiert
Transformation zu erneuerbarer Energie wird scheitern, wenn Energienachfrageverhalten und Akzeptanzbereitschaft nicht frühzeitig und kompetent erforscht und politisch angegangen werden
Bürgerbeteiligung ist kein Ersatz für die repräsentative
Demokratie sondern eine Bereicherung
Es ist notwendig, geeignete Verfahren nach Maßgabe
des Problemzuschnitts, der Kontextbedingungen und
des Mandats maßzuschneidern
Die eingesetzten Formate müssen an den
Bedürfnissen und Vorerfahrungen der Beteiligten
ausgerichtet werden
Erfolgsfaktoren sind: Commitment der Organisatoren,
ausreichende Ressourcen, professionelle Betreuung,
Anschlussfähigkeit und „guter“ Willen von allen Seiten
Schlussfolgerungen III
Zentrale Fragen der Beteiligung
Einbezug (Inclusion)
Wer: org. Gruppen, betroffene Personen, Beteiligte
Was: Optionen, Modifikationen, Teilaspekte
Ebene: kommunal, regional, national, international
Kontext: Raum, Zeit, Mandat, Verbindlichkeit
Schließung (Closure)
Was zählt: faktische Grundlagen
Was wiegt: Wettbewerb der Argumente
Wie wird entschieden: Abstimmung, Konsens,
Mehrheits- und Minderheitsvoten
Formate der Beteiligung
(Partizipationsleiter)
Konsensuskonferenz, World Cafe,
Bürgergipfel, Zukunftswerkstatt, Delphi
Bürgertelefon, Ombudsperson, Web2.0
Runde Tische, Mediation, Schlichtung
Bürgerprojekte, Selbstverwaltung
Einweg-Kommunikation
Präferenzen der Bürger,
Zweiweg-Kommunikation
ist möglich,
Entscheidung bleibt bei
den BehördenAnhörung, Planspiele, Interviews,
Fokusgruppen, Umfragen
Bürgerforen, Planungszellen,
Online-Partizipation
Gemeinsame
Entscheidungen,
Bürger sind
(Mit-)Entscheidungs-
träger oder Träger der
Projekte
Flyer, Artikel, webbasierte Infos,
Ausstellungen, Medienarbeit