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ReUse-Computer– … · auch keine Geschichten – und darum auch keine Geschichte mehr! ... 3...

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1 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie Frank Frank Frank Frank Frank Bec Bec Bec Bec Becker ker ker ker ker, Verena erena erena erena erena Lorenz- orenz- orenz- orenz- orenz-Mey Mey Mey Mey Meyer er er er er, Wolfgang Wolfgang Wolfgang Wolfgang Wolfgang Endler Endler Endler Endler Endler (Hg Hg Hg Hg Hg.) .) .) .) .) ReUse- ReUse- ReUse- ReUse- ReUse-Computer Computer Computer Computer Computer – ein ein ein ein ein Beitrag Beitrag Beitrag Beitrag Beitrag zur zur zur zur zur Entsc Entsc Entsc Entsc Entschleunigung hleunigung hleunigung hleunigung hleunigung der der der der der Ökonomie Ökonomie Ökonomie Ökonomie Ökonomie oder ReUse- ReUse- ReUse- ReUse- ReUse-Computer Computer Computer Computer Computer – eine eine eine eine eine Entsc Entsc Entsc Entsc Entschleunigung hleunigung hleunigung hleunigung hleunigung der der der der der Ökonomie Ökonomie Ökonomie Ökonomie Ökonomie Gefördert von: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMB+F) GSF - Forschungzentrum für Umwelt und Gesundheit ISBN: xxx xxx xxx Herausgeber: Frank Becker, Verena Lorenz-Meyer, Wolfgang Endler TU Berlin, Kooperations- und Beratungsstelle für Umweltfragen - kubus Redaktion: Frank Becker Redaktionelle Mitarbeit: Michael Barsig Layout: Jürgen Respondek Druck: Oekom Verlag, München 6/2005
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1ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

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Gefördert von: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMB+F)GSF - Forschungzentrum für Umwelt und Gesundheit

ISBN: xxx xxx xxx

Herausgeber: Frank Becker, Verena Lorenz-Meyer, Wolfgang EndlerTU Berlin, Kooperations- und Beratungsstelle für Umweltfragen - kubus

Redaktion: Frank BeckerRedaktionelle Mitarbeit: Michael BarsigLayout: Jürgen RespondekDruck: Oekom Verlag, München 6/2005

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2 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

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Stand: 22.5.2005

Inhalt

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3ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

VVVVVorwortorwortorwortorwortorwortFrank Becker

Wie kommen wir dazu, einem Buch solch einen Titel zu geben?Jérôme Bindé spricht von einer Tyrannei der Dringlichkeit1 , die unsauf eine reine Gegenwart reduziert: Nachhaltigkeitsstrategien leidendarunter, dass man meint, eine Botschaft dürfe heute nur noch weni-ge Sekunden lang sein – und um Gottes Willen nichts mit Verzicht zutun haben!Zeitverdichtung bildet heute das Herzstück des „Neuen Kapitalis-mus“. Diese Zeitverdichtung zersetzt mehr und mehr den politischen,sozialen, kulturellen, lebensweltlichen – und letztendlich auch denökonomischen Bereich unseres Lebens.Heutzutage können Dinge in einem einzigen Menschenleben er-scheinen und wieder verschwinden: Meine Großmutter starb 1995 imAlter von 86 Jahren. Sie hatte als kleines Mädchen dem Kaiser zugewunken, den I. Weltkrieg erlebt, die Weimarer Republik kommenund gehen sehen – ihre Mutter vor den Gewehrkugeln der „Spar-takistenaufstände“ in den rettenden Hausflur gezogen. Sie sah dieMachtergreifung der Nazis, erlebte als Mutter zweier Töchter den II.Weltkrieg, die Teilung Berlins verbunden mit der Trennung der Familieund starb schließlich in einem wiedervereinten Berlin.Zeit wird immer flüchtiger, schattenhafter – wie ein Phantom. Je kom-primierter die Zeit – desto schärfer der Wettbewerb. Dabei gibt Zeitdoch der Zukunft erst einen Sinn. Aus der Perspektive andauernderGegenwart macht Zukunft überhaupt keinen Sinn mehr.Die Tyrannei der Dringlichkeit erhebt den Zwang unmittelbaren Er-folgs und die Fähigkeit jederzeitiger Bedürfnisbefriedigung zum ab-soluten Prinzip kollektiven Handelns.Kurzlebigkeit und Rotation im Arbeitsprozess und -leben zersetzendie Loyalität gegenüber unserer Gesellschaft, sowohl die zivilen alsauch die staatsbürgerlichen Bindungen. Der Kampf ums Überlebenund um den schnellen Gewinn überlagert jedes langfristige Denkenund Handeln.„Eingeklemmt zwischen den technischen Schwierigkeiten und die-sem Druck, reagieren ... Ingenieure deshalb mit Unterlaufungs-strategien und zunehmend mit Gleichgültigkeit. Es werden Qualitäts-mängel in Kauf genommen – man sorgt lediglich dafür, dass die Ver-antwortung für die Fehler nicht bei einem selbst hängen bleibt.Die ständigen Umstrukturierungen zerstören zudem die persönlichenBeziehungen in der Ingenieurgemeinde, und die interne Konkurrenznimmt zu. Wenn man unsicher war, ob die gewählte Lösung tragfähigist, fragte man bisher schon mal erfahrene Kollegen aus der anderenAbteilung oder bei der Konkurrenz.“ 2

Dieser beschleunigte Wandel und seine vielfältigen Zersetzungs-formen werden gerne angeführt, um die Zukunft für immer für unvor-hersehbar zu erklären und daraus abzuleiten, dass es nur noch aufeines ankomme: FLEXIBILITÄT. So wird, um mit H. de Jouvenal zu-sprechen, der Langfristigkeit immer häufiger das „just-in-time“ ent-

Zeit-Zeit-Zeit-Zeit-Zeit-verververververdicdicdicdicdichtunghtunghtunghtunghtung

Frank Becker Vorwort

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4 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Zukunfts-Zukunfts-Zukunfts-Zukunfts-Zukunfts-entwürfeentwürfeentwürfeentwürfeentwürfe

gegen gesetzt, obwohl das erstere der einzige Rahmen ist, in demwirkliche und auf Nachhaltigkeit gerichtete Entwicklungsstrategienverfolgt werden können.„Die Ausbildung einer zukunftsgerichteten Nachhaltigkeitsethik setzt[also] eine Infragestellung jener Unternehmensführung voraus, dieFlexibilität zu ihrem absoluten Prinzip erhebt und sich langfristigenPerspektiven verschließt.“ 3

An die Stelle einer Ethik der Dauer (Sustainability) tritt die Ästhetikder Projektsöldnerschaft. In der permanenten Gegenwart entstehenauch keine Geschichten – und darum auch keine Geschichte mehr!Stattdessen erleben wir eine beliebige Abfolge von Szenen, Frag-menten. Guy Montag, der Feuerwehrmann in Ray Bradbury’s „Fah-renheit 451“ 4 , droht an diesen Fragmenten zu zerbrechen und findetam Ende seinen Weg – von der Vergangenheit in die Zukunft.In dem der Augenblick, die Gegenwart, das Kurzfristige solcherma-ßen aufgewertet werden, wird jede Vorstellung von Zukunft, jederSinn eines langfristigen Projektes zerschlagen. Nachhaltigkeit, jaÜberleben und Entwicklung überhaupt setzen die Fähigkeit vorauseine Zukunft entwerfen und formulieren zu können. Die Kompressionder Zeit in der permanenten Gegenwart, wie wir sie aktuell erleben,negiert diese Fähigkeit.Mit dem vorliegenden Buch versuchen die AutorInnen Geschichtenzu erzählen mit dem Ansatz, unsere gemeinsame Zukunft beschreib-barer zu machen. Nur ein Konzept von Nachhaltigkeit, dass in derLage ist, gleichermaßen Bindungs- und Orientierungskraft wie vor-ausschreitendes Handeln und eben Entschleunigung der Zeit zu ver-einen, hat eine ernsthafte Realisierungschance und verbreitet die Au-thentizität, die für einen auf Nachhaltigkeit gerichteten gesellschaftli-chen Wandel notwendig ist.Voraussetzung für einen tragfähigen Zukunftsentwurf ist also dieEröffnung neuer Zeitperspektiven – die Entschleunigung der Ökono-mie ist dafür eine wesentliche Vorbedingung.Aus verschiedenen Perspektiven widmen sich die AutorInnen demGedanken der Entschleunigung ökonomischer Prozesse und derWiedergewinnung von Orientierung und Zukunftsperspektive. Zu-kunft, die über das Entwickeln von Geschichte, aus dem Erzählen vonGeschichten erwächst. Wir meinen, mit dem ReUse-Computer Pro-jekt einen Modellansatz gefunden zu haben, der einen Baustein fürsolche tragfähigen Zukunftsentwürfe liefert. Nachhaltigkeit soll prak-tisch erfahrbar werden. Durch das Projekt wurde der Aufbau regiona-ler Netze für die Wieder- und Weiterverwendung von Computern rea-lisiert – zunächst in Berlin und Hamburg. Damit wird ein Beitrag zurumweltschonenden Verlängerung der Nutzungsdauer von EDV-Tech-nik sowie zur Theorie und Praxis von Netzwerkkooperationen geleistet.___1 Jérôme Bindé, ÜBER DIE VERANTWORTUNG FÜR DIE ZUKUNFT UND DIE

ZUKUNFT DER ZEIT, Le Monde Diplomatique, 15.3.2002.2 W. Neef „System Banane“, taz, 3.7.2004.3 Jérôme Bindé, a.a.O.4 R.Bradbury, Fahrenheit 451, Frankfurt / M., 2002.

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Vorwort Frank Becker

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5ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

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6 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

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Wolfgang Neef

TTTTTherherherherhereeeee isisisisis ananananan alternativealternativealternativealternativealternative!!!!!Zahlreich sind heutzutage die Stimmen der Ökonomen, Politiker,Wirtschaftsvertreter, Journalisten, die sich darüber einig zu seinscheinen, es gäbe zum herrschenden Wirtschaftssystem undseinen Instrumenten „keine Alternative“1 . Man könnte schon fastvon einer Glaubenslehre sprechen. Neo-liberale Dogmen durch-ziehen auch in den Bereichen Ökologie und nachhaltige Ent-wicklung die politische Diskussion. Das Konzept der Nachhaltig-keit wird in der Regel in drei Dimensionen gefasst: Ökologie,Soziales und Ökonomie. Letztere wird umstandslos und in derRegel kritiklos mit der kapitalistisch verfassten Marktwirtschaftgleichgesetzt, deren „Gesetzmäßigkeiten“ gerne mit den Natur-gesetzen verglichen werden und dann als „Leitplanke“ für diebeiden anderen Dimensionen dienen sollen. So wird Wirtschaf-ten vor dem Hintergrund knapper Ressourcen uminterpretiert inein „Geiz ist Geil!!“. Dies führt zu Verkürzungen, wie „die ökono-misch effizienteste Lösung ist auch die beste“. Dass uns dieökologischen Grenzen von der Natur gesetzt sind, wird dabeiverdrängt; das Soziale und Politische hat sich nach neoliberalerLehre ohnehin der „Wirtschaft“ unterzuordnen.Damit wird der herrschende Diskurs zunehmend von der materi-ellen Wirklichkeit in Gestalt der Naturgesetze, der Verfügbarkeitvon Ressourcen und auch von der sozialen Realität abgelöst.Der Sinn des Wirtschaftens reduziert sich auf eine einzige Ziel-setzung: Die Vermehrung von Geld, und zwar für eine Minderheitvon shareholdern, der alle anderen Werte untergeordnet wer-den. Die Realität sei nun mal, so hört man selbst von nachdenk-lichen Zeitgenossen, dass „Geld die Welt regiert“, und dieser„Realität“ müssten sich auch Gutmenschen beugen2 .

__1 Das bekannteste Schlagwort von Margaret Thatcher lautete „There is no Al-

ternative!“ (TINA)!2 Der PhysikerHans-Peter Dürr erzählt gern die Anekdote vom Ökonomen, der

von unbegrenztem Wachstum als Naturgesetz redete. Auf seinen Hinweis, dieRessourcen der Erde und die Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen, seinennun mal aus physikalischen Gründen begrenzt, antwortete der „Wirtschafts-weise“: „Unsinn – ich bezahle die Physiker doppelt so gut, dann werden siees schon richten“.

Welche Ökonomie braucht nachhaltige Technikentwicklung? Wolfgang Neef

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7ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Diese schon von Marx konstatierte Verkehrung von Zweck undMittel (statt W-G-W, von der Ware über Geld zur Ware, geht esinzwischen um G-W-G) treibt inzwischen auch bei traditionelleher sozialdemokratisch orientierten Organisationen und Par-teien die seltsamsten Blüten. Das große Ziel derzeitiger Politik ist,und alles nickt beifällig: „Innovation für Wachstum und Beschäf-tigung“ - unter diesem Motto firmiert z.B. eine Broschüre derFriedrich-Ebert Stiftung anlässlich einer Tagung im Herbst20043 zu den Aufgaben der Wissenschaft. Das hochkarätig be-setzte Podium kam zum Ergebnis, es gebe „kein einfaches Er-folgsrezept, das sich auf die Umwandlung von Geld in Wissendurch Forschung und von Wissen in Geld durch Innovationbeschränken“ könne. Denn, so weiter im Text: Es gehe um „men-tale Dispositionen, die Innovationsprozessen zu- oder abträglichsein können“. Da „Profitabilität“ nicht reiche, um die „Technik-skepsis“ im öffentlichen Diskurs zu beseitigen, müssten „Aspek-te von Humanität, Arbeit und Umwelt in den Vordergrund“ ge-stellt werden. Kapital soll also in Wissen gesteckt werden, umRendite aus Wissen zu holen, und dafür muss die öffentlicheAkzeptanz verbessert werden.Noch eine Blüte drauf setzte die Familienministerin RenateSchmidt zum Thema Familienpolitik: In einer Pressekonferenzim Januar 2005 bezeichnete sie „Familienfreundlichkeit“ als „Stand-ortfaktor der Zukunft“: Kinderfreundlichkeit sei ein „harter“ Wirt-schaftsfaktor, denn – wörtlich: „Die Wirtschaft braucht Fachkräf-te und Konsumenten“4 .In diesem derzeit fast unangefochten herrschenden Diskursspielt der Sinn des Produzierens, der Gegenstand der Arbeit(nicht zufällig wird heute nur noch von „Beschäftigung“ gespro-chen) kaum eine Rolle. Warum Wachstum? Warum „Beschäfti-gung“? Zu welchen nützlichen Zwecken Innovation? Wenn es indiesem Diskurs um „Nachhaltigkeit“ geht, wird auch hier auf denGeldfetisch verkürzt: Nachhaltig ist dann, wenn Unternehmenauch in 20 Jahren noch Profit machen. Bestenfalls wird noch diesoziale Dimension erwähnt, dann aber nachrangig5 .

___3 Berliner Forum Wissenschaft und Innovation: „Innovation für Wachstum und

Beschäftigung“, Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin, 30.9.2004.4 taz, 21.1.05, „Neues Humankapital entdeckt“. Auf meine ungläubige Nachfra-

ge bei der taz, ob diese Äußerung tatsächlich so gefallen sei, wurde sie mirvon der zuständigen Redakteurin bestätigt. Man könnte Zweifel haben, obselbst hartgesottene Mitglieder der CDU als „christlicher“ Partei einen sol-chen Unsinn von sich gegeben hätten.

5 So in dieser Broschüre auch der Bundeskanzler: Man müsste „Nachhaltig-keit“ auf die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik beziehen.

Wolfgang Neef Welche Ökonomie braucht nachhaltige Technikentwicklung?

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8 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Nun arbeiten aber in unseren Universitäten und Betrieben vieleWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Ingenieurinnen undIngenieure, denen die Zukunft unseres Planeten und die Per-spektive unserer Kinder nicht egal sind. Gerade Ingenieure sindtraditionell darauf bedacht, mit ihrer Technik etwas für die Men-schen Nützliches zu bewirken, und haben auch aus ihrer Berufs-geschichte heraus eine gewisse Distanz zu einer Ökonomie, diealles aufs Geldverdienen reduziert. In den letzten 100 Jahrenhaben sie allerdings in der Regel – oft zähneknirschend – dasPrimat von Ökonomie und Politik akzeptiert: „Die Ingenieure sinddie Kamele, auf denen die Kaufleute und Politiker reiten“6 , ist eingängiger Satz in Ingenieurskreisen. Dennoch stehen sie, da siejeden Tag mit den „echten“ Naturgesetzen umzugehen habenund im Betrieb ebenso wie bei den Nutzern ihrer Produkte mitder sozialen Wirklichkeit konfrontiert sind, zwangsläufig auf demBoden der materiellen Realität und sind daher mental auch im-mer wieder gefordert, sich dem Geldfetisch zu entziehen.Mit anderen Worten: Sie müssen die materielle immer wieder mitder ökonomischen Realität zusammenbringen, wenn aus ihrerArbeit etwas werden soll. Im Folgenden will ich deshalb versu-chen, einige Verbindungslinien zwischen ingenieurtechnischerEntwicklungsarbeit, wirtschaftswissenschaftlichen Beiträgen zueiner sozialökologischen und nachhaltigen Unternehmensent-wicklung und pragmatischem Handeln aufzuzeigen, die denBrennpunkt einer notwendig zu entwickelnden politischen Öko-nomie nachhaltiger Entwicklung markieren sollen.

PPPPPraktiscraktiscraktiscraktiscraktischehehehehe BeiträgeBeiträgeBeiträgeBeiträgeBeiträge ––––– hierhierhierhierhier undundundundund heuteheuteheuteheuteheuteDas Projekt „ReUse-Netzwerk“ hat von Anfang an versucht, un-ter den oben angedeuteten eher ungünstigen Rahmenbedin-gungen Technik, regionale Unternehmen und Nutzer in einer in-tensiven Kooperation aufeinander zu beziehen und dabei einekonsequent ökologische Leitidee wissenschaftlich fundiert indie Praxis umzusetzen: Minimieren des Energie- und Ressour-cenverbrauchs durch Wiederverwendung von Computern undihrer Peripherie, Erhöhen der Lebensdauer funktionierenderKomponenten und damit Verringern des anfallenden elektroni-schen Mülls.

___6 In einer Umfrage von Eugen Kogon aus dem Jahr 1971 identifizierten sich rd.

2/3 aller befragten 20.000 Ingenieure mit diesem Satz. Kogon, Eugen: DieStunde der Ingenieure. Düsseldorf 1976.

Welche Ökonomie braucht nachhaltige Technikentwicklung? Wolfgang Neef

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9ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Doch ist ReUse durchaus kein singuläres Ereignis: Junge Ener-gietechniker und Verfahrenstechnikerinnen entwickeln z.B. imRahmen des internationalen „MicroEnergy“-Projektes7 dezen-trale erneuerbare Energieversorgungssysteme für struktur-schwache Regionen: Vor dem Hintergrund des weltweiten Be-darfs an ländlicher Elektrifizierung in strukturschwachen Regio-nen und dem steigenden Ressourcenverbrauch durch die Ener-gieversorgung sind Modelle notwendig, die ohne fossile Ener-gieträger und angepasst an die jeweiligen sozialen Verhältnisseden menschlichen Bedarf an Energie bedienen. Die Nutzung vonSonnenenergie sichert sowohl lokale als auch globaleRessourcenschonung und verbindet dies mit einem verminder-ten CO

2-Ausstoß. Anstelle der ständigen Ausgaben für fossile

Rohstoffe, insbesondere Diesel und Kerosin, erlauben Mikro-finanzierungs-Systeme, die Investitionsbarrieren für solareTechnologie zu überwinden und anschließend sogar Geld zusparen8 .Gemeinsam ist solchen Projekten, dass sie mit der Technikgleichzeitig Ansätze einer „Angepassten Ökonomie“ aufbauen,die gleichermaßen eingebettet ist in die soziale Lebenswelt wiein die natürliche Mitwelt99999 . Handlungsprinzipien sind Sorgen undVorsorgen, Kooperieren, Orientierung am Lebensnotwendigenbeziehungsweise am guten Leben und Langfristigkeit.Die Grundsätze von Projekten wie ReUse oder MicroEnergy wi-derstreben in einigen wesentlichen Aspekten der ökonomischenDominanzideologie:

• Konkurrenz wird durch Kooperation im Netzwerk ergänzt;• Statt immer schnellerem Umschlag bzw. Verschleiß von Gü-

tern wird Weiterverwendung und Langlebigkeit angestrebt;• Statt globalisierte Märkte und Strukturen zu bedienen, sucht

man die regionale Nähe zwischen Produzenten, Dienstleis-tern und Nutzern

___7 Noara Kebir, Daniel Philipp; „MicroEnergy Projekt – Ländliche Elektrifizierung

auf der Basis von erneuerbaren Energien in Kombination mit Mikrofinanzie-rung“, S. 189, Berlin, 2004, Verlag: Peoples Globalisation Edition.

8 Mikrofinanzierung ist ein Instrument der Hilfe zur Selbsthilfe, das Menschendie Chance gibt, ihre Situation aus eigener Kraft zu verbessern. Kredite, diees den Kreditnehmern ermöglichen, produktiv tätig zu sein, werden in relativgeringen Höhen vergeben. Dabei werden keine – ohnehin meist nicht vor-handene – materiellen Sicherheiten verlangt. Eine der erfolgreichsten Mikro-finanzierungs-Institutionen ist die Grameen Bank in Bangladesh. DieGrameen Bank verlässt sich auf die Motivation und den sozialen Druck derKreditnehmer, sich aus ihrem Elend zu befreien. Sie ist Vorbild für vergleich-bare Institute in den USA (z.B. Chicago) und Europa (z.B. IQ-Interprise,Deutschland). Siehe auch: www.microenergy-project.de .

Wolfgang Neef Welche Ökonomie braucht nachhaltige Technikentwicklung?

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10 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

• Im Vordergrund steht der tatsächliche Gebrauchswert stattdes in Geld ausgedrückten Tauschwertes auf einem anony-men Markt.

DieDieDieDieDie FFFFFatatatatatamorganaamorganaamorganaamorganaamorgana derderderderder NeuheitsideologieNeuheitsideologieNeuheitsideologieNeuheitsideologieNeuheitsideologieSpeziell mit dem ReUse-Projekt verbunden ist der Versuch, eini-gen der neoliberalen Glaubenssätze, die das Verhalten der Kon-sumenten prägen und die „Vermarktung“ technischer Güter do-minieren, entgegen zu wirken:

• Die Vorstellung, ein neues, das neueste Produkt sei immerauch das bessere im Vergleich zu älteren Modellen;

• Die Vorstellung, gerade bei technischen Gütern sei Qualitätdurch eine „große Marke“ am besten garantiert;

• Die Vorstellung, ein „Mehr“ an Schnelligkeit, Funktionen undFeatures sei mit mehr Nutzwert für die „Verbraucher“ ver-knüpft.

Besonders bei den Produkten im IT-Bereich sind diese Ideologi-en augenfällig. Bei keiner anderen Technik ist das Paradigma„Fortschritt ist: Immer schneller; immer größer / kleiner; immermehr“, in den Abläufen von technischer Entwicklung, Software-entwicklung und Vermarktung stärker materialisiert. In keineranderen Technologie ist zum anderen die Nähe zum virtuellenCharakter der herrschenden Ökonomie größer: Ohne Computerund Internet wären die Globalisierung der Ökonomie und dieSteuerung von Finanzströmen, Spekulation und das Hin- undHerschieben von Eigentum an Produktionsmitteln in dieserGrößenordnung und Schnelligkeit unmöglich. „Ein besondererNutznießer dieser Entwicklungen ist die Finanzwelt, deren meistspekulative Geldflüsse eine Größenordnung erreicht haben, imVergleich zu der andere große Kapital-Flüsse wie Handel oderDirektinvestitionen winzig erscheinen“10 . Gerade hier wird die Al-lianz zwischen Technik und kapitalistischer Ökonomie11 beson-ders deutlich.Bei genauerer Betrachtung ist die scheinbar übermächtige neo-liberale Lehre aber ein brüchiges Gebäude. Ihre Rezepturen wir-ken nicht bzw. erzeugen immer häufiger das Gegenteil12 .

___9 Adelheitd Biesecker, Arbeit und Ökologie – Thesen, in: D. Scholz u.a. (Hg),

Arbeit in der neuen Zeit, Münster, 2004, S. 46 ff.10 Saskia Sassen in: Becker et al., Konrad Die Politik der Infosphäre – World-

Information.Org ,2003. 272 S., VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesba-den,,,,, 2003, S. 10.

11 Vgl. dazu: Otto Ullrich, Technik und Herrschaft, Frankfurt 1977.12 ausführlich dazu: Albrecht Müller, Die Reformlüge. München 2004.

Welche Ökonomie braucht nachhaltige Technikentwicklung? Wolfgang Neef

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11ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Nicht nur Klimawandel, Müllproblem und Gesundheitsschädi-gungen aller Art, sondern auch die wachsenden sozialen undkulturellen Auflösungstendenzen zeigen, dass rund 250 Jahre„industrielle Revolution“ nicht das gebracht haben, was sichNaturwissenschaftler und Ingenieure als Resultat ihres Wirkensvorgestellt haben: Deckung der Grundbedürfnisse für alle Men-schen, sinnvolle Arbeit, mehr Zeit zum Leben und Genießen undeine friedlichere Welt. Vielmehr würde die Ausbreitung unsererindustrialisierten Produktions- und Lebensweise von heute ei-nem Fünftel der Erdbevölkerung auf die gesamte Menschheit –ingenieurmäßig gerechnet – etwa vier Planeten als Ressourcen-quelle und Müllhalde beanspruchen. Volkswirtschaftlich laufenwir seit Jahren in eine Richtung, die durch die vom Kapitalismusangeheizte ständige Produktivitätssteigerungsspirale unsereGesellschaften in eine Zwickmühle bringt, die bereits 1993 im„Weißbuch“ der EU beschrieben wurde: „Auf der einen Seite istdie Substitution von Arbeit durch Kapital von einer ständigen Zu-nahme des Energie- und Rohstoffverbrauchs begleitet, was ei-nen Raubbau an Umweltressourcen bewirkt. Auf der anderenSeite sind die Unternehmensstrategien dermaßen stark durchdas Motiv, Arbeitskräfte einzusparen, geprägt, dass der Pro-duktivitätsgewinn auf Unternehmensebene durch eine zuneh-mende Kostenbelastung der Allgemeinheit aufgehoben wird. Ei-nes der frappierendsten Beispiele ist die Arbeitslosigkeit“13 .Mittlerweile ist aber auch unzweifelhaft, dass auf der betriebli-chen Ebene das ständig gesteigerte Entwicklungstempo undshareholder-value-inspirierte Steuerungsmechanismen (z.B.„ERP“ - Enterprise Resource Programme) die Entwicklung undHerstellung technologisch anspruchsvoller Produkte eher be-hindern als befördern – eine Verschärfung des klassischenWiderspruchs zwischen Gebrauchswert- und Tauschwert-Ori-entierung. Betrachtet man die zunehmende Durchsetzung des„shareholder-value“ auf Unternehmensebene, entwickelt sichein zunehmendes Missverhältnis zugunsten des Tauschwer-tes14 : Kosten- und Termindruck und die entsprechenden Cont-rolling-Systeme engen professionelle technische Entwicklungs-___13 Jacques Delors (Herausgeber): Weißbuch der EU 1993, Kap. 10: Gedanken

zu einem neuen Entwicklungsmodell. S. 161. Brüssel 1993.14 Der Marx’sche Begriff der „Reellen Subsumtion“ der Arbeit unter die Verwertungs-

interessen des Kapitals wird unerwartet aktuell! „Die Subsumtion ist dann reell,wenn die Errichtung der spezifischen kapitalistischen Produktionsweise zu einemVerhältnis der Über- und Unterordnung im Produktionsprozess führt. Die Produ-zenten verlieren jegliche Autonomie… , diese [wird] durch die Form der Produktiv-kräfte bestimmt.“ Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Hrsg. d. dt. Fassung: W.F.Haug, Bd. 6, S.1120-1122, Argument Verlag, Berlin, 1987.

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12 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

arbeit immer mehr ein, technische Pannen häufen sich (wie z.B.beim Toll-Collect-Projekt, bei Elektronik-Systemen in Automobi-len)15 . Das Ingenieur-Personal sieht sich durch „Buchhaltungs-,Kontroll-, Rechtfertigungszwänge“, sogar durch „Rechtferti-gungs-Wahn, Planwirtschaft“ behindert, durch „schnell entwik-kelte aber schlechte Computersysteme zur Erfassung, Zeitmes-sung, Leistungsmessung, Kontrolle, Planung“ und hat „genugvom Geschwafel über den shareholder-value“16 . Hier scheint diebisher eher weinerliche Beschwerde der Ingenieure über eineübermächtige Ökonomie (im oben bereits zitierten „Kamele“-Satz) in eine etwas selbstbewusstere kontroverse Positionierungumzuschlagen: Alternative Ansätze zur herrschenden Ökonomiekönnten so auch bei den bisher eher passiven technischenFachkräften auf fruchtbaren Boden fallen.

WWWWWissenissenissenissenissen scscscscschaffthaffthaffthaffthafft FFFFFrrrrreiräumeeiräumeeiräumeeiräumeeiräumeMan könnte also sagen, dass die Erfolge des entfesselten kapi-talistischen Wirtschaftens bezüglich der sozialen Verhältnisse,der Nachhaltigkeit und des Gebrauchsnutzens ihrer Ergebnisseumgekehrt proportional zu sein scheinen zu dem „Siegeszug“neoliberalen Gedankenguts in die Köpfe der „Eliten“ in Politikund Wirtschaft. Eine sozial- und naturverträgliche Wissen-schaftskultur ist aufgerufen, die hier skizzierten Widersprücheund Ideologien aufzudecken und mitzuhelfen, Freiräume zu er-öffnen, in denen Projekte wie ReUse-Computer oder Micro-Energy entwickelt und erprobt werden können, die Beiträge undAnsätze einer eigenen – im umfassenden Sinne nachhaltigen,also sozial und ökologisch mit Natur und Gesellschaft verträgli-chen – Ökonomie entwickeln. „Wenn aber Technik aus Wissen-schaft hervorgeht“, schreibt Jürgen Habermas, „dann verlangtdas Einholen dieser Technik in die praktische Lebenswelt, dasZurückholen der technischen Verfügung… in die Kommunikati-on handelnder Menschen erst recht der wissenschaftlichen Re-flexion… In der politischen Dimension, um die es geht, mussvielmehr die theoretische Anleitung zum Handeln aus einem wis-senschaftlich explizierten Weltverständnis folgen“17 .

___15 Vgl. Wolfgang Neef: Das „System Banane“ setzt sich durch, taz vom 5.6.2004.16 Die Zitate stammen aus einer Studie zur „Befindlichkeit in der Chemischen

Industrie“ der Universität Basel (Studie Nr. 59 des Wirtschaftswissenschaftli-chen Zentrums WWZ), Mai 2001, unter den Überschriften „Behinderung pro-fessioneller Arbeit“ und „Entfremdung vom oberen Management“, S. 40 u. 29.

17 Jürgen Habermas: Technik und Wissenschaft als ‚Ideologie’, Frankfurt 1969,S. 113.

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13ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Hier sehe ich die vorrangige Aufgabe einer Institution wie derZentraleinrichtung Kooperation (ZEK) der Technischen Univer-sität Berlin, die im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesell-schaft kooperative Strukturen zur Bearbeitung unserer drängen-den Probleme fördert und durch Weiterbildung Ergebnisse derWissenschaft breiten Gesellschaftsgruppen nach demokrati-schen Prinzipien zugänglich macht.Eckhart Hildebrandt18 hat in der Broschüre „10 Jahre ZEK“ dieseverantwortungsvolle Aufgabe in vier Aspekten konkretisiert undzusammengefasst:1. „Die Sicherung industrieller Arbeitsplätze durch neue, sozial

nützliche und umweltverträgliche Produkte2. Die Unterstützung von Produktinnovationen durch Arbeiter,

Techniker und Ingenieure in den Betrieben, die Stärkung desPrinzips der individuellen Verantwortung für die Folgen dereigenen Arbeit, die Einführung einer Produktmitbestimmung

3. Die Betonung der sozialen Verantwortung der Wissenschaft-ler und der Universitäten für die Befriedigung der Bedürfnis-se der Bevölkerung, insbesondere durch die Entwicklungvon Technologien, die die Fähigkeiten der Menschen nutzenund nicht durch Technik ersetzen

4. Die regionale Vernetzung von Akteuren sozialer Innovation, dieBeeinflussung der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik.“19

WWWWWurzelnurzelnurzelnurzelnurzeln strategiscstrategiscstrategiscstrategiscstrategischerherherherher GegenkonzepteGegenkonzepteGegenkonzepteGegenkonzepteGegenkonzepteE. Hildebrandt hat diese Ideen in die Tradition von strategischenEntwürfen der 70er Jahre gestellt. Ihre Wurzeln reichen aber vielweiter zurück. Schon im 19. Jahrhundert wurde in Abgrenzungzu kapitalistischen und staatsfixierten sozialistischen Konzeptendurch die Internationale Arbeiter-Assoziation, die erste Interna-tionale von 1864, nach menschen- und naturfreundlichen Pro-duktions- und Lebensweisen gesucht. Wurzeln führen auch zuden wirtschaftsdemokratisch orientierten Experimenten im20. Jahrhundert, beispielsweise in den anarcho-syndikalistischgeprägten Regionen der spanischen Republik. Ziel dieser Ver-suche war es, die Wirtschaft – von der Landwirtschaft, von Kinosund Friseurläden über die öffentlichen Verkehrsmittel bis zutechnisch anspruchsvollen Unternehmen der optischen Indust-___18 Eckart Hildebrandt ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und Dr. habil. der politi-

schen Wissenschaften an der Freien Universität Berlin. Am Wissenschafts-zentrum Berlin (WZB) ist er Mitarbeiter der Abteilung „Arbeitsmarktpolitik undBeschäftigung“.

19 Von der Rüstungskonversion zur Nachhaltigkeit, E. HildebrandtIn: ZEK (Hrsg.): 10 Jahre Kooperation und Weiterbildung für Nachhaltigkeit inWissenschaft und Praxis, TU Berlin 2003, S.51.

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rie – als „Kollektivwirtschaft“ mit wirtschaftsdemokratischen Ent-scheidungsstrukturen zu organisieren.20 „All diese Dinge hatten,weil sie von einem Tag auf den anderen improvisiert wurden,etwas Unfertiges an sich. Sie waren mit mancherlei Schön-heitsfehlern behaftet. Ihr Hauptgebrechen aber war, dass sieunvollendet blieben… Der Krieg zerschlug die revolutionärenErrungenschaften, bevor sie ausgereift waren, bevor sie sich imAlltag, der aus Erfolgen und Rückschlägen, tastenden Ver-suchen und neuen Entdeckungen besteht, hatten bewährenkönnen.“21 .Praktisch realisiert finden wir solche Prinzipien in neuerer Zeitam ehesten in der am Konzept der „social usefully economy“orientierten Strukturpolitik des Greater London Council von 1981bis 1986. Hier ging es auch um eine „demokratische“ und direktam Nutzen orientierte Technik-Entwicklung.22 Folgende Elemen-te waren Grundlage dieser Politik23 :

• Beschäftigungswirksame Wirtschaftspolitik durch direkte In-tervention in den privaten Sektor, verbunden mit dem Aus-bau des öffentlichen Sektors

• „Soziale Kostenrechnung“ über den Tellerrand der Betriebs-wirtschaft hinaus

• Sozial und Gebrauchswert-orientierte Technikentwicklung• Förderung sozialer/demokratischer Eigentumsformen und

entsprechende „Planung von unten“.Es ging, kurz gesagt, darum, mit sozial nützlichen und umwelt-gemäßen Produkten gegen Arbeitslosigkeit und De-Industriali-sierung anzugehen.In den Strategien der daraus entwickelten „Lokalen Ökono-mie“24 werden diese Ideen aufgenommen und weiterentwickelt.Wirtschaftswissenschaftlerinnen wie Adelheid Biesecker gehenüber das vorherrschende enge Verständnis von Ökonomie alsautonomer Markt-Ökonomie, deren Handlungsprinzipien „Ei-___20 Dargestellt z.B. in Augustin Souchy: Nacht über Spanien. Frankfurt 1975.21 Pierre Broué und Emile Témime: Revolution und Krieg in Spanien, Frankfurt

1968, S. 207.22 Die Thatcher-Regierung löste, weil sie die Mehrheiten in London nicht bre-

chen konnte, 1986 kurzerhand alle Bezirksregierungen auf und beendete sogewaltsam das Londoner Experiment. Auch die demokratisch-kollektivisti-sche Wirtschaft in der spanischen Republik wurde gewaltsam beendet, zu-nächst durch Eingriffe der stalinistischen Fellow-travelers der Sowjetunion inSpanien, endgültig dann durch den Sieg der Faschisten im Bürgerkrieg.

23 Nach Günter Lorenz: Zur Konzeption einer „Socially Useful Economy“, Dis-sertation, FU Berlin 1995, Deutsche Hochschulschriften 2202.

24 Zusammenfassende Veröffentlichung wichtiger Ansätze im Tagungsband„Lokale Ökonomie für eine innovative Beschäftigungs- und Strukturpolitik inKrisenregionen“, TU Berlin 1994, Edition Berliner Debatte.

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gennutz, Konkurrenz, Wachstum und Kurzfristigkeit“ sind, weithinaus. A. Biesecker plädiert für ein erweitertes Verständnis vonÖkonomie, die eingebettet ist in die soziale Lebenswelt und dienatürliche Mitwelt. Handlungsprinzipien sind hier: „Sorgen/Vor-sorgen, Kooperieren, Orientieren am für das Leben Notwendi-gen bzw. am guten Leben, Langfristigkeit“25 . Auf der operativenEbene fordert Reinhard Pfriem, Professor am Institut für Betriebs-wirtschaftslehre der Universität Oldenburg, statt additiver Einzel-maßnahmen à la Management-Werkzeugkasten eine – auch intechnischer Hinsicht – integrierte ökologische Optimierung vonProdukten und Verfahren. Im engeren Sinne der betriebs-wirtschaftlich-ökonomischen Dimension stellt er Fragen nachden Möglichkeiten einer langfristig ökologisch-ökonomischenErfolgsrechnung, unternehmensorganisatorisch die nach denvernünftigen Ausprägungen von Personal- und Organisations-entwicklung. Ähnliche Ansätze leitet Peter Brödner, in diesemBuch ebenfalls mit einem Aufsatz vertreten, aus 25-jährigen de-taillierten empirischen Analysen der Strategie erfolgreicher Ma-schinenbau-Unternehmen in Deutschland ab: Eine Minderheit(rd. 10%) der langfristig erfolgreichen, wie er es nennt, „HighRoad“-Unternehmen erhöht ihre Produktivität durch ständige In-novationen und Qualitätsverbesserungs-Strategien, verbundenmit hohen Investitionen in Qualifizierung und Pflege des Per-sonals – im Gegensatz zu dominierenden kurzfristigen Kosten-Minimierungs- und Personal-Reduzierungs-Strategien der „LowRoad“-Unternehmen, die mittel- und langfristig deren eigenesÜberleben gefährden26 . Nun wäre ReUse überstrapaziert, wennman das Projekt von Beginn an als ein Ergebnis solcher großangelegten Unterneh- mensstrategien und ökonomischer Kon-zepte bzw. als Projekt der „Lokalen Ökonomie“ einordnen würde.Dazu ist es zu pragmatisch angelegt gewesen. Zunächst ist eslediglich ein Vorhaben, das auf der nahe liegenden Idee fußt, zurSchonung der Umwelt und des Geldbeutels weniger betuchterMitbürger sowie zur wirtschaftlichen Sicherung von Arbeitsplät-zen in einer Reihe kleiner Betriebe einen Gebrauchtmarkt für IT-Geräte wie bei Automobilen einzuführen – und die ist nicht ein-mal neu: Denn „graue“ Computermärkte gibt es schon seit Jah-ren, und man würde, auf diese bezogen, auch zu recht fragen,was dabei die Wissenschaft zu suchen hat.___25 Adelheid Biesecker: Hauptsache Arbeit. Vortrag in Hamburg, Februar 2000,

S. 2 in www.umdenken-boell.de/arbeit/refbies.html .26 Fachvortrag an der TU Dresden, 5.5.2005: Verpassen wir die „High-Road“? –

falsche Unternehmensstrategien und fehlgeleitete Ausbildung.

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DasDasDasDasDas NeueNeueNeueNeueNeue ananananan ReUseReUseReUseReUseReUseNeu an ReUse ist allerdings, und da nähern wir uns im Ergebnisdes Projektes den Ideen einer „naturgemäßen“, sozial-ökologi-schen bzw. nachhaltigen Ökonomie und den oben genannten„High Road“-Strategien, dass sein Ansatz weit über den eines„Marktes“ für gebrauchte Computer hinausgeht. Geschaffenwurde ein regional orientiertes Netzwerk aus Wissenschaft undUnternehmen im Verbund mit den Anwenderinnen und Kunden;dabei verlieren der „Markt“ und die Konkurrenz ihre beherr-schende Rolle, sie werden Teil eines gesellschaftlichen Aus-handlungsprozesses. Und: Der Gedanke nachhaltiger Entwick-lung steht nicht nur als programmatisches Leitbild außen drauf,z.B. auf der ersten Seite der web-Präsentation von ReUse, son-dern ist Gegenstand systematisch und wissenschaftlich fundiertentwickelter, handlungsleitender Kriterien und des praktischenHandeln der ReUse-Partner selbst. In diesen Prozess werdensehr direkt zwei Sphären einbezogen, für die die herrschendeÖkonomie systematisch blind ist: Die natürliche Mitwelt und dieLebenswelt. Angelehnt wieder an Adelheid Biesecker, handelt essich dabei um „Vorsorgendes Wirtschaften“, eine „intersektoralekooperative Verbindung von Produktion und Reproduktion“ als„Kooperation in der Region, bezogen auf ein Bedürfnisfeld“27.Dies beinhaltet auch die direkte Rückkoppelung von Unterneh-men und Verbrauchern – bei ReUse-Computer etwa durch dieZusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale.

Im Resultat also ist das Projekt mehr als nur der Versuch, durchgutes Marketing und geschickte Zertifizierung ein höheres Ni-veau von „Gebrauchtwaren-Markt“ zu etablieren.Es kann so zum einen durch ein erfolgreiches Beispiel weitereProjekte anregen, dabei die technisch-wissenschaftliche Ent-wicklung von „Remanufacturing“-Verfahren in der Produktions-technik nutzen und durch rückgekoppelte praktische Erfah-rungen zu optimieren helfen. Im TU-Sonderforschungsbereich„Demontagefabriken“ (SFB 281), geleitet durch Prof. GüntherSeliger, werden schon seit Jahren die technologischen Grundla-gen für eine entsprechende Kreislaufwirtschaft erforscht. Die Er-weiterung des ökonomischen Horizontes im Sinne von AdelheidBiesecker, in die Sprache der Ingenieure übersetzt, wird in derZielsetzung des Sonderforschungsbereichs so formuliert: „EineErhöhung der Nutzenproduktivität von Ressourcen ist aus politi-schen und Gründen der Ressourcenverfügbarkeit geboten.___27 ebenda.

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Die Quellen-Senken-Wirtschaft ist in eine Kreislaufwirtschaft zuverwandeln. ... Durch Demontage und Remontage lassen sichfür gebrauchte Produkte neue Nutzungsphasen erschließen unddie Nutzenproduktivität erhöhen“28 .Dieses Konzept wird derzeit für Elektro-Großgeräte, Verbren-nungsmotoren sowie für Mobil-Telefone entwickelt und erprobt.Gerade miniaturisierte Geräte wie Mobiltelefone stellen einenProblembereich dar, der zunehmend in den Blick gerät: „Einhartnäckiges Problem ist … das rapide Veralten der Geräte, seies technisch bedingt oder aufgrund kurzfristiger Designmoden.Allein in den USA landen jährlich 40 bis 50 Millionen Handys imMüll.“29

Das ReUse-Projekt hat wegen der Kompatibilität von Demonta-gekonzepten und Remanufacturing-Verfahren auf der einen Sei-te und Wieder- und Weiterverwendung auf der anderen Seite dieZusammenarbeit mit dem Sonderforschungsbereich gesucht.

EineEineEineEineEine PPPPPolitikolitikolitikolitikolitik nacnacnacnacnachhaltigerhhaltigerhhaltigerhhaltigerhhaltiger NutzungsstrategienNutzungsstrategienNutzungsstrategienNutzungsstrategienNutzungsstrategienWenn die hier in ersten Umrissen skizzierte Strategie weiter ent-wickelt wird und weitere praktische Handlungsbeispiele hervor-bringt, könnte zum zweiten eine an nachhaltiger Entwicklung ori-entierte technische Entwicklung ihren Teil dazu beitragen, alsTreiber für eine vorsorgende Ökonomie, eine darauf bezogeneregionale Entwicklung und entsprechende Unternehmensstra-tegien zu wirken.Im Gegensatz zu bisherigen vergeblichen Versuchen, in z.T. durch„Low Road“-Strategien erst geschaffenen de-industrialisiertenKrisenregionen wie Berlin-Brandenburg durch konventionelle„High-Tech“-Ansiedlung und hektische Investoren-Suche voran-zukommen, kann Re-Manufacturing durch Mikro-Unternehmen30

als Netzwerk aufgebaut werden und sich direkt auf das sozialeBedürfnisfeld in der Region beziehen. Denn auch das ist einKennzeichen von ReUse: Es wird aufgebaut auf vorhandeneStrukturen kleiner und mittlerer Betriebe und ist weniger an-gewiesen auf das große Finanzkapital. Insofern ist das ReUse-Projekt ein Beitrag zur Lokalen Ökonomie und könnte helfen, sieals echte Alternative regionaler Strukturentwicklung zu etablieren.

___28 Internetseite des Sonderforschungsbereiches Demontagetechnik (SFB 281):

http://www.sfb281.de .29 Dan Schiller, Sehr verbunden, Le Monde diplomatique, 11.2.2005, Seite 23.30 Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl lag 2004 in Berlin bei 12 Mitarbeitern.

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Durch politische Entscheidungen für die Förderung nachhaltigerNutzungsstrategien, wie z.B. den vom Bundesministerium für Bil-dung und Forschung (BMB+F) geförderten Cluster „Möglichkeitenund Grenzen Neuer Nutzungsstrategien, Regionale Ansätze“31 ,bieten sich, selbst in der heute von der neoliberalen Ökonomiedominierten Landschaft, Anknüpfungspunkte für eine die Umwelt-und Industriepolitik verknüpfende Praxis nachhaltiger Entwicklung.

Die Wiederverwendung elektronischen „Abfalls“ an Stelle der„Recycling“-Verarbeitung im Schredder bietet in jeder Hinsichtdie bessere Option: Die Verlängerung der Nutzungsdauer um 4-5Jahre erhöht die Primärenergie-Einsparquote, im Gegensatz zumreinen Recycling, um fast das Doppelte – und ist dabei sowohlvon der Produktion als auch der Nutzung her weitaus „sozialer“.

Der Vertrieb ist an marktwirtschaftlichen Strukturen orientiert.Gleichzeitig werden die Rahmenbedingungen beeinflusst: Es wirdzukünftig, für eine weitere Verbreiterung dieses Ansatzes, sowohlum die Einflussnahme auf die weitere Umsetzung der deutschenElektro- und Elektronik-Altgeräte-Verordnung im Rahmen dereuropäischen Richtlinie (WEEE) als auch um die Mitarbeit vonReUse-Computer im Fachausschuss des VDI zur Überarbeitungder VDI-Richtlinie 3243 „Recycling elektrischer und elektroni-scher Geräte“ gehen. In die Weiterentwicklung dieser Richtliniebringt ReUse-Computer die Erfahrungen mit den eigenen Quali-tätsstandards ein.

Ziel der hier exemplarisch dargestellten Praxisbeispiele ist es, dieWertschöpfung und das Arbeitsvermögen der Region gestärkt,ohne ökonomisch und in der betrieblichen Technologie- und Per-sonalpolitik in erfolglose alte Strategien zurückzufallen.

___31 Projektbroschüre: Langes Leben – Nachhaltige Produkte und wie man sie nutzt,

gsf, München, 2003, s.: http://www.nachhaltig.org/Startseiten/index1.html .

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NacNacNacNacNachhaltigehhaltigehhaltigehhaltigehhaltige NutzungNutzungNutzungNutzungNutzung vonvonvonvonvon ComputernComputernComputernComputernComputernChancenChancenChancenChancenChancen undundundundund GrenzenGrenzenGrenzenGrenzenGrenzen regionalerregionalerregionalerregionalerregionaler StrategienStrategienStrategienStrategienStrategien

Esst Computer!

Christine Ax

Die IT- und Computerbranche ist wie kein anderer Wirtschafts-bereich heute Wachstumsbranche und eine ökologische Her-ausforderung. Nicht nur, weil die Herstellung von Hardware miterheblichem Rohstoff- und Energieverbrauch verbunden ist.Auch die Gewinnung der Rohstoffe und der in diesem Her-stellungsprozess eingesetzten Stoffe sowie die extrem aufwen-digen chemo-technischen Produktionsverfahren sind mit einemhohen Einsatz von Ressourcen und Umweltbelastungen verbun-den. Darüber hinaus verbrauchen PCs und andere elektronischeGeräte entlang ihres Lebenszyklus Energie und das – wie Unter-suchungen der TU-Berlin im Rahmen dieses Forschungsvorha-bens belegen – mit steigender Leistungsfähigkeit der Prozesso-ren in steigendem Maße. Nachdem Heimcomputer zu Beginnextrem kostbare Geräte waren, die sich nur wenige leisten konn-ten, wurden PCs und ihr Zubehör inzwischen zu einem Massen-produkt und zu einem echten Verbrauchsgut. Projizieren wir die-se Entwicklung die in den hoch entwickelten und einkommens-starken Ländern der alten Welt ihren Ursprung haben auf dieWelt und in die Zukunft, drängt sich der Verdacht auf, das dieseEntwicklung nicht zukunftsfähig ist.Die vergleichsweise kurze Geschichte des Produktes Computerwar und ist von einer extremen Dynamik geprägt. Als Basis-technologie des ausgehenden 20. Jahrhunderts wurde derComputer in den späten 70er und Anfang der 80er Jahre lang-sam aber sicher zu einem Massengut, dessen Verbreitung in In-dustrie und Haushalten auch zu einem national erwünscnational erwünscnational erwünscnational erwünscnational erwünschtenhtenhtenhtenhtenZielZielZielZielZiel wurde. Der Zugang zu Computern, die mit ihrer Nutzung ver-bundenen Kompetenzen und die Größe der heimischen Märktewurden im internationalen Wettbewerb schnell zu einem„Standorts- und Wettbewerbsfaktor“.Die Wachstumsgeschwindigkeit und Chancen auf diesem Marktführten in den 1980er und -90er Jahren zu einem internationalenPreis- und Innovationswettlauf mit dem Ergebnis, dass1. in kurzer Zeit (seit Anfang der 90er Jahre) kamen immer neue

PC-Generationen auf den Markt, die immer schnellere Pro-zessoren, größere Arbeitsspeicher sowie größere Festplattenenthielten und darüber hinaus mit immer neuen und lei-stungsfähigen Zusatzkomponenten und Schnittstellen aus-

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Chancen und Grenzen regionaler Strategien Christine Ax

gestattet waren, oder – wie bei den Notebooks – immer leich-ter und kleiner wurden, während

2. die Preise für neue PCs und Notebooks zugleich stetig san-ken; PCs wurden zu einem im Vergleich zu anderen Güternimmer preiswerteren Produkt wurden.

Quelle: i.p.f Hamburg

In einem wirtschaftlichen Umfeld, das von steigenden Preisen ge-prägt waren schienen die Preise für Elektronikprodukte bei dra- bei dra- bei dra- bei dra- bei dra-matiscmatiscmatiscmatiscmatisch steigender Lh steigender Lh steigender Lh steigender Lh steigender Leistungsfähigkeit eistungsfähigkeit eistungsfähigkeit eistungsfähigkeit eistungsfähigkeit ins bodenlose zu sinken.Waren z.B. zu Beginn des ReUse-Vorhabens im Jahr 1999/2000Rechner mit einer Prozessorgeschwindigkeit von 133-233 MHz(Pentium I - Rechner) noch begehrte Artikel auf dem ReuUse-Markt in Deutschland, so sind im Jahr 2004 diese Rechner unddie Rechner der Nachfolgegeneration P II nicht mehr zu verkau-fen. Sie werden verschrottet oder gehen ins Ausland.

Alle Fotos: Quelle KulturGut e.V. - Friedrichstadt, © i.p.f Hamburg

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21ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Der Standard-PC, der heute, drei Jahre später als Gebraucht-computer noch verkaufbar ist, hat mindestens 800 MHz und einedeutlich besser Ausstattung. Im gleichen Zeitraum sanken diePreise für einen PC aus der Kategorie „Consumer Electronic“ beibesser Ausstattung mit Software und Zusatzkarten und Funk-tionalitäten (Schnittstellen) von rund 1000 € auf 300 €.Mitte der 90er Jahre entstand in Deutschland ein öffentlicherDiskurs, der sich mit der Frage beschäftigte, ob Deutschland denAnschluss an die global sehr dynamisch verlaufende Ent-wicklung rund um das Thema Computer verloren habe. Es wur-de festgestellt, dass Deutschlands Schulen vergleichsweiseschlecht mit Computern ausgestattet waren und die Bevölke-rung insgesamt bezogen auf das Thema Computer im Vergleichmit anderen Nationen (USA, Japan) weniger kompetent und auf-geschlossen sei. Offensichtlichster Ausdruck dieser Entwick-lung war und ist die Initiative „D21“, in der sich die Konzern-spitzen führender Elektronikunternehmen auf höchster Ebenemit den Spitzen der nationalen Regierung verbündeten umDeutschland in Sachen neue Technologien voran zu bringen.Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch das Erschei-nen einer Massenillustrierte neuen Typs: die Computer-BILD dieihren Teil dazu beitrug, dass das Thema Computer zu einemechten Massenphänomen wurde. Doch nicht nur die Spitzen derGesellschaft und ihre Meinungsführer nahmen sich dieses The-mas an. Die Anschaffung und die Nutzung des Computers inmöglichst allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen wurden zueiner echten Massenbewegung. Von den Schulen bis zu den Al-tersheimen, in Jugendeinrichtungen und selbst im Kanon derSozialhilfe wurde der Computer als Grundbedürfnis und Not-wendigkeit anerkannt.

Christine Ax Chancen und Grenzen regionaler Strategien

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Die sogenannte „digitale Spaltung“ der Gesellschaft in PC-Be-sitzer und solche, die sich keinen PC leisten konnten oder kei-nen haben wollten, wurde zu einem auch in der Öffentlichkeitbreit diskutierten Thema. In diesem Kontext hat sich die Situationin Deutschland innerhalb weniger Jahre dramatisch geändert.Bezogen auf die Zahlen, die heute vorliegen, kann davon ausge-gangen werden, dass Deutschland seinen Nachholbedarf an di-gitaler Versorgung weitgehend kompensiert hat. In Hamburg z.B.steht inzwischen in nahezu allen Haushalten, die überhaupt inFrage kommen, mindestens ein Computer. Die jüngste Ver-brauchsstichprobe der Statistischen Bundes- und Landesämter,die auch die Ausstattung der Haushalte mit langlebigen Ge-brauchsgütern erfasst, belegt, dass in Hamburg in den letztenvier Jahren die Anzahl der Haushalte, die einen Computer besit-zen, von rund 60% auf nahezu 80% gestiegen ist.....Die Haushaltsbefragung die im Rahmen dieses Forschungsvor-habens im Jahr 2003 durchgeführt wurde kommt zum gleichenErgebnis wie das statistische Landesamt und legt den Schlussnahe, dass diejenigen Personen, die heute keinen Computer be-sitzen, sich dieser Technik aus Altersgründen entziehen oderaus anderen Gründen nicht willens sind, sich mit dieser Techno-logie zu befassen.Angesichts des großen Angebotes an sehr preiswerter Hard-ware kann der Zugang zum Computer heute keine Frage desEinkommens mehr sein. Dies ist auch den Hamburger ReUse-Unternehmen zu verdanken.Und selbst das für Schulen gesetzte Ziel einer Angleichung derVerfügbarkeit von Computern für den Unterricht in Deutschlandauf den europäischen Standard wurde, wie eine Untersuchungim Auftrag des BMBF im Januar 2004 belegt, schneller erreichtals erwartet. Was jedoch keineswegs bedeutet, dass jeder Schü-ler in Hamburg heute einen PC zum Lernen zur Verfügung hat.Womit nicht unterstellt sein soll, dass dies ein pädagogisch wün-schenswertes Ziel sei.

DieDieDieDieDie HamburgerHamburgerHamburgerHamburgerHamburger EntwicEntwicEntwicEntwicEntwicklungklungklungklungklungSeit Anfang der 90er Jahre gab es auch in Hamburg erste Initia-tiven, um die fehlenden finanziellen Ressourcen der Schulendurch den Einsatz gebrauchter Computer zu kompensieren. En-gagierte Schulleitungen und Eltern aber auch gemeinnützigeAkteure bemühten sich Schulen mit solchen „Secondhand-Computern“ auszustatten und in die Lage zu versetzen, dieSchülerinnen und Schüler im Schulalltag verstärkt mit IT-Technik

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vertraut zu machen und die Wissensaneignung durch den Ein-satz von Lernsoftware und das Internet zu unterstützen.

Seit Mitte der 90er Jahre begannen erstmals Akteure aus demzweiten Arbeitsmarkt systematisch das Thema Computer mitdem Thema „Qualifizierung“ zu verknüpfen. Sie mobilisierten inHamburg gespendeten Alt-Computer, konzipierten Qualifizie-rungsmaßnahmen im Bereich der Aufarbeitung und Wartung vonComputern und entwickelten Kompetenz in der Wieder- undWeiterverwendung von Hardware. Der Handel mit gebrauchterHardware fand hauptsächlich im Kleinanzeigenteil einschlägigerZeitungen statt. Da die Nachfrage zu diesem Zeitpunkt größerwar als das Angebot und zugleich eine große Zahl von P I undP II Rechner auf dem Markt waren, die in Folge des heiß disku-tierten „Milleniumsproblems“ vorsorglich ausgemustert wurden,bot der Markt für gebrauchte PCs in diesem Zeitraum sehr gün-stige Rahmenbedingungen. Sowohl im Internet als auch im Ein-zelhandel stieg die Zahl der Akteure, die sich mit gebrauchterHardware und ihren Komponenten professionell befassten.Fünf Jahre später, im Jahr 2004 sieht das Bild in Hamburg wiefolgt aus:Die Landesregierung hat über verschiedene Initiative in der Bil-dungspolitik sowie über die Bereitstellung umfangreicher finan-zieller Ressourcen die Schulen in die Lage versetzt, ihre Compu-terausstattung deutlich zu verbessern. Es gibt eine anhaltendePräferenz der Schulen, lieber wenige neue Computer zu kaufenals eine große Zahl älterer Computer. Hintergrund dieser Präfe-renz sind Ängste in bezug auf die technische Leistungsfähigkeitund Zuverlässigkeit von gebrauchten PCs sowie erhöhte Ser-vicekosten, die bei der Nutzung älterer Hardware unterstellt wird.

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Im Rahmen von Modellversuchen oder in einigen wenigen Fällenvon besonders engagierten oder offenen Schulleitungen oderFachlehrern werden andere innovative Lösungen entwickelt, dieauf gebrauchter Hardware basieren und diese Probleme lösen.Diese bleiben jedoch Insellösungen.Die privaten Haushalte sind jetzt zu 80% mit Computern ausge-stattet und damit dürfte die Sättigungsgrenze nahezu erreichtsein, zumal eigene Befragungen belegen, dass das Phänomender „Internetverweigerung“ hauptsächlich mit dem Alter der Be-fragten zu tun hat und sinnvoller Weise nicht davon ausgegan-gen werden sollte, dass die Generation jenseits der 70 bzw. 75Jahre, die in der Regel in ihrem Leben keinen Kontakt mit IT hat-ten, ihre Haltung dieser Technik gegenüber ändern wird.

Bezogen auf den Raum Hamburg waren die letzten fünf Jahrealso unterm Strich von einer besonders dynamischen Entwick-lung geprägt, und es kann davon ausgegangen werden, dassdie Sättigungsgrenze der meisten privaten Haushalte bezogenauf das Thema PCs inzwischen erreicht ist.Dies bedeutet nicht, dass die Nachfrage nach „anderer“ oder„neuerer“ Hardware zum Erliegen gekommen wäre. Zum einenlockt der Neu-PC-Markt mit immer leistungsfähigeren Compu-tern mit immer neuen multimedialen Anreizen. Zweitens ist einseit Jahren anhaltender Trend zum Notebook ebenso festzustel-len wie der Trend zum „Zweit- oder Drittcomputer“, der zumal inFamilien mit Kindern nicht ungewöhnlich ist.Doch der individuelle und gesellschaftliche Nutzen, der mit demdemokratischen Zugang zu möglichst allen IKT-Produkten ver-bunden ist, hat auch direkte und indirekte ökologische Implika-tionen, die national und global eine Dimension haben, die glei-

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chermaßen der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit bedürfen:Bei einer Weltbevölkerung von 7-10 Milliarden Menschen sähein globalem Maßstab eine schlichte Fortschreibung und Übertra-gung der bisherigen Entwicklung und des heutigen Nutzungs-regimes wie folgt aus: Wir hätten es in Zukunft weltweit mit einerMenge von rund 2-3 Milliarden Computern/Notebooks zu tun,die alle vier bis sechst Jahre neu auf den Markt kämen und spä-ter entsorgt würden. Kombiniert mit der großen Zahl der darüberhinaus im Markt befindlichen Elektronikgeräten (Fernsehern,Handy, Monitoren, Druckern, Kopiergeräten, Scannern u.a.m.)wäre der Ressourcenverbrauch und das Handling dieser gigan-tischen Stoffströme in der Tat eine globale Herausforderung er-ster Güte und vermutlich derzeit von niemandem mengenmäßigoder in seiner Umweltbedeutung wirklich abschätzbar.Grundsätzlich sind sich die Regierungen und Experten ange-sichts solcher Szenarien einig, dass eine solche Fortschreibungder Entwicklung der letzten 20 Jahre nicht möglich ist, und, dasswir einen Übergang zu nachhaltigeren Strukturen in diesemBedürfnisfeld brauchen, die mit weniger Ressourcenverbrauchverbunden sind. Wobei die Frage nach dem Faktor, um den wir„ressourcen-effizienter“ werden müssen, zwischen 4 und 10 ge-schätzt wird.Nehmen wir einmal hypothetisch an, dass der Zugang zumInternet und die Nutzung von Rechenkapazitäten dauerhaft einwichtiger Wohlstandsparameter und ein Grundbedürfnis blei-ben, dann sind aus diesem Massen- und Mengendilemma fol-gende Auswege denkbar:Mögliche Varianten sind dabei:1. neue Technikkonzepte und neue Nutzungskonzepte2. Entschleunigung des Innovations- und Preiswettbewerbes3. Senkung des Ressourcenverbrauchs je Serviceeinheit durch

ökologisches Produktdesign4. Konsequente Umsetzung von Kreislaufwirtschaftskonzepten5. Nutzungsdauerverlängerung der Produkte und ihrer Kompo-

nenten

NeueNeueNeueNeueNeue undundundundund rrrrressouressouressouressouressourceneffizienterceneffizienterceneffizienterceneffizienterceneffizientereeeee TTTTTececececechnikkonzeptehnikkonzeptehnikkonzeptehnikkonzeptehnikkonzepteDie Technik- und Produktentwicklung der letzten 20 Jahre warendarauf ausgerichtet den Computer zu einem echten Massenpro-dukt zu machen, der in jedem Haushalt und an allen Orten ver-fügbar ist. Dazu gab und gibt es jedoch andere ressourcen-effizientere Lösung: die Bereitstellung der von den privatenHaushalten gewünschten oder benötigten Anwendungen und

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Dienste auf zentralen Rechnern, auf die die privaten Haushalteoder die Unternehmen einen (gesicherten) Zugang haben. Dieserfordert eine technologische Infrastruktur und Datenübertra-gungskapazitäten, die derzeit vor allem im Zusammenhang mitder Entwicklung des digitalen Fernsehens und anderer zentralerDienste in Arbeit sind.Kurzum: es fragt sich, wie viel und welche Rechenkapazität derprivate Haushalt wirklich vor Ort benötigt und welche Anwen-dungen und Rechenkapazitäten nicht zentralisiert vorgehaltenwerden könnten. Alternative Szenarien dieser Art sind naturge-mäß auch Kosten- und Verteilungsfragen: d.h. die Kosten für dieDatenübertragung im Verhältnis zu den Hardwarekosten sind hierrelevant und alternative Technikkonzepte hätten natürlich auchUmverteilungseffekte auf die gesamte Wertschöpfungskette.Darüber hinaus sind eine ganze Reihe von technologischen Ver-besserungen denkbar, die den Ressourcenverbrauch von Com-putern und Notebooks senken: dies fängt beim Energiever-brauch der Prozessoren an, deren Lebensdauer, den Rohstof-fen- und dem Energieverbrauch, der mit ihrer Herstellung undNutzung verbunden ist und anderen Potenzialen die mit einemökologischen Produktdesign verbunden sind und auf eine Mo-dernisierbarkeit oder Nachnutzungsmöglichkeiten abzielen.Alternativ zum Fernseher bieten sich kleine lichtstarke Projekto-ren in Verbindung mit einem einzigen zentralen Rechner an, aufden alle Bewohner eines Hauses oder eines Stadtteils zugrei-fen, der als digitale Zentrale sämtliche Rechenleistungen vorhält,die die Haushalte benötigen, dazu gehört auch der Zugang zumInternet, Lernprogramme für die Schulen und Kinder, der Down-load von Filmen, das Fernsehen u.a.m.

EntscEntscEntscEntscEntschleunigunghleunigunghleunigunghleunigunghleunigung desdesdesdesdes Innovations-Innovations-Innovations-Innovations-Innovations- undundundundund PPPPPrrrrreiswettbewerbseiswettbewerbseiswettbewerbseiswettbewerbseiswettbewerbsDie meisten technischen Produkte sind früher oder später weit-gehend ausgereift und dann sinkt die Geschwindigkeit mit derneue Generationen von Geräten auf den Markt kommen. DieInnovationssprünge werden immer unspektakulärer. Bei ausge-reiften Produkten (z.B. der Waschmaschine) unterscheiden sichNeugeräte von älteren Modellen nur noch durch geringfügigeZusatznutzen oder Qualitätssprünge. Wann und ob dies auch fürden IT-Bereich der Fall sein wird, ist gegenwärtig allerdings nurschwer abzuschätzen. Der technologische Wandel im Markt für„Consumer Electronics“ ist gegenwärtig immer noch vergleichs-weise groß. Der Sprung vom alten Röhrenmonitor zum Flach-bildschirm, der Sprung vom PC zum Notebook, von P III zum

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Centrino und neue Hardwarekonzepte, die Integration von Com-puter und Fernsehen für multimediale Nutzungen oder dieMiniaturisierung von Geräten lassen noch erheblichen Wandelerwarten. Das gleiche gilt für den Preiswettbewerb, der in denletzten Jahren zu einer dramatischen Entwertung des Geräte-bestandes führte und für sehr schwierige Rahmenbedingungenauf den heimischen Sekundärmärkten führt. Außerdem ist fest-zustellen, dass Handel und Hersteller dazu neigen, vergleichs-weise geringfügige Veränderungen am Produktdesign oder anZusatzfunktionalitäten zum Anlass zu nehmen um immer neueModelle auf den Markt zu bringen.Geht man davon aus, dass wir ein Interesse daran haben, denStandort Deutschland auch als Produktionsstandort zu stärken,dann wäre eine Abkopplung der deutschen oder der europäi-schen Hersteller von diesem Preis- und Innovationswettbewerbriskant, es sei denn, der Entwicklung würde eine andere Rich-tung gegeben. Ein neues, nachhaltigeres Technikleitbild, das imbesten Sinne, die Notwendigkeit eines nachhaltigeren Umgangsmit Ressourcen berücksichtigt, wäre möglicherweise eine Aus-stiegsoption, sofern sie vom Handel und den Konsumenten bzw.dem Weltmarkt eine Wertschätzung erfahren würden. Interessantvor diesem Hintergrund ist auch die Frage, welche Rolle Sekun-darmärkte in diesem Zusammenhang spielen.Im europäischen Raum wurden mit der WEEE und weiteren Nor-men rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen 1, die die Elek-tronikbranche in einen nachhaltigeren Entwicklungspfad lenkensollen. Auf die Bedeutung der WEEE soll daher weiter unten imZusammenhang mit den rechtlichen Rahmenbedingungen nocheinmal eingegangen werden.

DieDieDieDieDie BedeutungBedeutungBedeutungBedeutungBedeutung vonvonvonvonvon SekundärmärktenSekundärmärktenSekundärmärktenSekundärmärktenSekundärmärktenUnter Nachhaltigen Nutzungsstrategien werden in der Regel vorallem Nutzungsintensivierung und Nutzungsdauerverlängerungverstanden. Die regionalen Netze für die Wieder- und Weiterver-wendung setzen darauf Nutzungskaskaden in der Region zu zustärken, also durch Nachnutzungen die eingesetzten Ressour-cen länger und ggf. auch intensiver zu nutzen.

___1 EG-Richtlinien vom 13. Februar 2003 zur Verwertung von Elektro- und Elek-tronik-Altgeräten (WEEE) und über die Beschränkung der Verwendung gefähr-licher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS). Diese wurden als Elek-tro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) in deutsches Recht umgesetzt; die-ses Gesetz ist seit März 2005 in Kraft.

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Auf Hamburg und das Beispiel PCs bezogen könnte man dasZiel auch wie folgt definieren: das Modellvorhaben hatte dasZiel, das Durchschnittsalter der in Hamburg genutzten PCs zuerhöhen und die in der Region aus der Nutzung gehenden Com-puter einer regionalen Nachnutzung zuzuführen.

BegriffsklärungenBegriffsklärungenBegriffsklärungenBegriffsklärungenBegriffsklärungen:::::Wir können grundsätzlich zwischen zwei Kategorien von Güternunterscheiden:1. Güter mit konstanter Leistungsfähigkeit und2. Güter mit abnehmender Leistungsfähigkeit.

GüterGüterGüterGüterGüter mitmitmitmitmit konstkonstkonstkonstkonstanteranteranteranteranter LLLLLeistungsfähigkeiteistungsfähigkeiteistungsfähigkeiteistungsfähigkeiteistungsfähigkeit zeichnen sich durcheine gleichmäßige Leistungsabgabe aus, die so lange erfolgt,bis diese Güter nicht mehr brauchbar sind. Sie werden sofortund vollständig unbrauchbar, z.B. eine Tasse oder ein Schrank.Solche Güter setzen in der Regel keine Instandsetzungsmaß-nahmen voraus. In der DIN 40041 wird eine solche konstanteLeistungsfähigkeit auch „Brauchbarkeitsdauer“ genannt. Sieverlangt „die Angabe einer Zuverlässigkeitskenngröße mit Zah-lenwert und Einheit sowie der zugehörigen Ausfallkriterien,Einflussfaktoren und Betrachtungsdauer“ (vgl. Vornorm DIN 40 041)Güter mit abnehmender Labnehmender Labnehmender Labnehmender Labnehmender Leistungsfähigkeiteistungsfähigkeiteistungsfähigkeiteistungsfähigkeiteistungsfähigkeit sind Güter, die ausTeilen oder Komponenten bestehen, die sich durch sehr unter-schiedliche Nutzungsdauer auszeichnen. Die Nutzungsdauer al-ler reparierbaren Güter und Bauteile oder Gruppen ist in der Pra-xis vor allem aus ökonomiscaus ökonomiscaus ökonomiscaus ökonomiscaus ökonomischenhenhenhenhen und nicht aus technischenGründen begrenzt. Sie wird deshalb Sinnvollerweise auch wirt-wirt-wirt-wirt-wirt-scscscscschaftlichaftlichaftlichaftlichaftliche Nutzungsdauerhe Nutzungsdauerhe Nutzungsdauerhe Nutzungsdauerhe Nutzungsdauer (oder auch wirtschaftliche Lebens-dauer) genannt. Die wirtschaftliche Nutzungsdauer kann deut-lich kürzer sein, als die technische Lebensdauer von Ge-brauchsgütern. Der entscheidende ökonomische Faktor hierbeiist die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Instandhaltungsko-sten. Wobei diese Beurteilung von einer ganzen Reihe vonRandgrößen dominiert wird: Anschaffungskosten, Wiederbe-schaffungswert, Innovationsgeschwindigkeit, Abschreibungs-zeiträume, Arbeitskosten, Verfügbarkeit und Kosten von Ersatz-teilen resp. Aufarbeitung von Teilen, sozial-ökonomische undkulturelle Einflussgrößen.Mit wirtscwirtscwirtscwirtscwirtschaftlichaftlichaftlichaftlichaftlicher Nutzungsdauerher Nutzungsdauerher Nutzungsdauerher Nutzungsdauerher Nutzungsdauer ist der Zeitraum gemeint, inder den Konsumenten das jeweilige Wirtschaftsgut als die ange-messene Alternative zur Erreichung eines angestrebten Nutzenserscheint.

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Die Marktentwicklung zeigt, dass ein Gut während der Nut-zungsdauer in nur einer Hand verbleiben oder aber sukzessivvon mehreren Nutzern gebraucht werden kann, da der Nutzenhinsichtlich individueller Ansprüche subjektiv bewertet wird. DieNachnutzung oder Nutzungskaskaden sind auch in Deutschlandfür sehr viele Produkte die Regel. Infolge unterschiedlicher öko-nomischer Rahmenbedingungen und Nutzen-Einschätzungengibt es viele Sekundärmärkte für gebrauchte Gebrauchsgüter,denen eine erhebliche Bedeutung beizumessen ist, da hier so-wohl Einkommen entsteht, als auch ein Stück „soziale Gerech-tigkeit“.Zugleich gilt: die Verbesserung der Haltbarkeit eines Ge-brauchsgutes intendiert zwar eine Verlängerung der Nutzungs-dauer, bedingt aber nicht notwendigerweise die Zunahme derGebrauchsdauer in einer Hand oder in einer Region!

In der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion und Theorie-bildung hat die Nachnutzung von Gütern und ihre Bedeutung fürdie Märkte bisher kaum eine Rolle gespielt oder wurde aus derSicht der Hersteller diskutiert.....

Prof. Klaus Bellmann, der sich im Rahmen seiner Habilitation(1990) mit dem Langzeitauto beschäftigte 2, kommt diesbezüg-lich zu folgenden Ergebnissen: „Im Rahmen von preistheoreti-schen Untersuchungen ... steht hier allein im Vordergrund wiedurch die VVVVVerhinderungerhinderungerhinderungerhinderungerhinderung von Sekundärmärkten die Gewinn-chancen eines Monopolisten zu erhöhen sind“... (S. 20) undweiter: „In der Absatz- und Preistheorie wird die Haltbarkeit einesGutes als absatzpolitische Variable zur Steigerung des Umsatzesmit dem Ziel der Gewinnverbesserung gesehen...“ (S. 22).

DieDieDieDieDie durdurdurdurdurccccchschschschschschnittlichnittlichnittlichnittlichnittlichehehehehe NutzungsdauerNutzungsdauerNutzungsdauerNutzungsdauerNutzungsdauer eineseineseineseineseines PPPPPrrrrroduktesoduktesoduktesoduktesoduktesamamamamam BeispielBeispielBeispielBeispielBeispiel ComputerComputerComputerComputerComputerUm regionale Ansätze zur Nutzungsdauerverlängerung in ihrerBedeutung für das Thema als Ganzes einordnen zu können,macht es Sinn sich zunächst einmal den „Rahmen“ zu betrach-ten, in dem wir uns mit solchen Strategien bewegen.Ganz gleich um welches Gebrauchsgut es sich handelt 3 , wennes lange genug auf dem Markt ist, d.h. wenn lange genug immer

___2 K. Bellmann - Langlebige Gebrauchsgüter. Ökologische Optimierung der

Nutzungsdauer, Wiesbaden 1990.3 Interessant sind hier auch die Ausnahmen: Antiquitäten z.B. oder Kunst.

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neue Geräte in den Markt strömen, kommt es bezogen auf dieAltersstruktur der Günter in einer Volkswirtschaft zu einer Art„Normalverteilung“„Normalverteilung“„Normalverteilung“„Normalverteilung“„Normalverteilung“, die mehr über die jeweilige Volkswirtschaftund die Rahmenbedingungen, unter denen dort gewirtschaftetwird, aussagt als über das Produkt und seinen technischenRestnutzen.Diese Normalverteilung ist von Gesellschaft zu Gesellschaft ver-schieden und sie ist u.a. abhängig von folgenden Faktoren:1. vom absoluten Marktprabsoluten Marktprabsoluten Marktprabsoluten Marktprabsoluten Marktpreiseiseiseiseis der Produkte, deren Verhältnis

zum verfügbaren Einkommen (Einkommensniveau absolut)und der Einkommensverteilung: das Einkommensniveau undseine Verteilung sind Faktoren, welche die Nachfrage nachProdukten begrenzen oder aber befördern, und diese Ein-flussgröße entscheidet ganz maßgeblich über die Frage, obes Nutzungskaskaden gibt. Ist ein Produkt z.B. im Verhältniszum nationalen Einkommensniveau vergleichsweise teuer,werden sich mehr Nachnutzungen in der Gesellschaft und imMarkt ergeben als bei vergleichsweise billigen Produkten.Haben wir es mit niedrigen Preisen zu tun, wird es im Durch-schnitt schneller zu Ersatzkäufen kommen, und auch techni-sche Innovationen werden den Markt durchdringen. Dass derPreis für Sekundärware auch Einfluss auf die Absatzchancenvon Neuware hat, ist in diesem Zusammenhang ein weitererwichtiger Faktor. Erstens stützen hohe Preise für Sekundär-produkte das noch höhere Niveau der Neupreise, zweitens istes ein Incentive für die Nutzer, ihre gebrauchten Güter zu ver-kaufen und neue zu kaufen.

2. vom rrrrrelativen Marktprelativen Marktprelativen Marktprelativen Marktprelativen Marktpreiseiseiseiseis, d.h. von der subjektiven Wertigkeitdes Produktes bzw. der objektiven Verwertbarkeit (Investiti-onsgüter): sowohl die Frage der subjektiven Wsubjektiven Wsubjektiven Wsubjektiven Wsubjektiven Wertigkeitertigkeitertigkeitertigkeitertigkeit desProduktes als auch die Möglichkeiten einer VVVVVerwertungerwertungerwertungerwertungerwertungspielen eine Rolle: die Wertigkeiten eines bestimmten Guteswerden je nach Kulturkreis unterschiedlich bewertet. Wichtigsind auch die Verwertungsmöglichkeiten, also die Möglich-keit, Produkte zu verkaufen oder mit der Organisation vonSekundarmärken Geld zu verdienen (beim Handel, der In-standhaltung oder der Verwertung in der Produktion). Diesesind je nach sozioökonomischem Kontext verschieden undKonjunkturen unterworfen. Vor allem sinkende Preise sindz.B. von allergrößter Bedeutung für die subjektive Bewertungdes „Bestandes“ und die Preisbildung auf den Folgemärkten.

3. von der VVVVVerfügbarkeiterfügbarkeiterfügbarkeiterfügbarkeiterfügbarkeit: Transaktionskosten der Beschaffungund Nutzung von Neu- oder Gebrauchtgeräten, Infrastruktur,

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Distributionswege, Service: die objektive und die subjektiveVerfügbarkeit spielen eine große Rolle: ist das Produkt nichtin ausreichenden Mengen oder aber nur mit hohen Transak-tionskosten zu beschaffen oder zu nutzen, dann hat diesAuswirkungen auf die Verbreitung und die Nutzung des Pro-duktes. Das gleiche gilt für die Infrastruktur an Distributions-wegen oder aber die Nutzerkompetenz der beteiligten Akteu-re: vom Distributor bis zum Nutzer (Know-how der Nutzungund Wieder- und Weiterverwendung) und den Kosten derNutzung und Nachnutzung (z.B. Servicepreise).

4. von großem Einfluss sind kulturkulturkulturkulturkulturelleelleelleelleelle Faktoren, die die Wertig-keit von Dingen bestimmen: z.B die Frage danach, ob es ineiner Gesellschaft üblich ist, gebrauchte Dinge zu nutzen, obin der Regel gekauft oder geleast wird, ob Informationen überdiese Alternativen und ihre Vertriebswege verfügbar sind, ein-schließlich dem generellen Anwendungs- und Service-know-how.

5. vom LLLLLebenszyklusebenszyklusebenszyklusebenszyklusebenszyklus des Produktes (Innovationszyklen, Inno-vationssprünge, Zusatznutzen): gerade technische Produkteaber auch andere Güter bergen unterschiedlich hohe Inno-vationspotenziale. Je nachdem, in welcher Phase ihres Inno-vationszyklus diese Produkte stehen und welche tatsächli-chen oder vermuteten Innovationssprünge oder Zusatz-nutzen vorhanden sind, hat dies Auswirkungen auf die Be-wertung der Produkte und des Nutzen, den sie stiften.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, ob wir es mit statio-nären Gütern oder mit mobilen Gütern zu tun haben, ob es sichum ein geschlossenes System oder um ein offenes System han-delt. Handelt es sich um ein offenes System, dann kann theore-tisch alles, was vom Markt nicht mehr aufgenommen wird odernicht mehr benötigt wird, in den Export gehen. Gibt es viele Ex-portoptionen, weil das Einkommensgefälle zwischen unmittelbarbenachbarten Volkswirtschaften groß ist, dann wird es bei einemrelativ hohen verfügbaren Einkommen in einer Volkswirtschaft zueinem relativ geringem Durchschnittsalter der Geräte führen, diein der Nutzung sind oder in die Nachnutzung resp. Entsorgunggehen.Auch hier gibt es Einflussgrößen, die greifen:1. Logistikkosten2. Materialkosten (Anreize für die stoffliche Verwertung)3. Rechtliche Rahmenbedingungen: Exportbestimmungen, Ver-

wertungsgebote.

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Aus ökologischer Sicht ist es vermutlich wünschenswert, dassdie letzte Stufe der Wertigkeit erst nach einer möglichst langenund intensiven Nutzung der Produkte oder ihrer Komponentenerfolgt, dass also die technische Lebensdauer ausgenutzt unddie Serviceeinheiten, die das Produkt bereitstellt, von möglichstvielen Menschen genutzt werden. Wobei naturgemäß derRessourcenverbrauch, der mit Transporten verbunden ist, be-rücksichtigt werden muss.Die höchste ökologische und soziale Rendite auf das eingesetz-te Naturkapital wird dann erzielt, wenn1. der Wert Null möglichst spät im Lebenszyklus des Produktes

oder seiner Komponenten erreicht wird und das Objekt übereinen langen Zeitraum möglichst vielen Menschen einen Nut-zen stiftet

2. entlang des Lebenszyklus möglichst lange und viel Wert-schöpfung im Sinne von Arbeit und Einkommen entstehenkann, die gerecht verteilt wird

3. zu dem Nutzen, den das Produkt stiften, möglichst viele Men-schen die dies wünschen, Zugang haben.

Wenn also entlang des Lebenszyklus des Produktes eine mög-lichst große und sozial nachhaltige „Rendite“ bezogen auf daseingesetzte Naturkapital erzielt werden kann.

NatürlicNatürlicNatürlicNatürlicNatürlichehehehehe RenditeRenditeRenditeRenditeRenditeDie Rendite auf das eingesetzte Naturkapital ist eine Funktionvom Durchschnittsalter der Geräte/Komponenten und ihrerNutzungsintensität über den gesamten Lebenszyklus: von derWiege bis zur Wiege.

SozialeSozialeSozialeSozialeSoziale RenditeRenditeRenditeRenditeRendite:::::Als soziale Rendite definieren wir die gerechte Verteilung derWertschöpfung über den gesamten Lebenszyklus des Produk-tes sowie den Zugang zu Gütern, die für eine gesellschaftlicheTeilhabe und Integration von Bedeutung sind.Die Chance zum Produkt Computer Zugang zu haben, hat, wieweiter oben bereits angedeutet, darüber hinaus eine ganze Rei-he weitere Implikationen: der Zugang zum Computer und zumInternet ist heute auch ein globales Gerechtigkeitsthema gewor-den. Der Zugang zum Nutzen dieser Produkte hat auch weiterge-hende Verteilungseffekte.Das gleiche gilt für die ökologischen und sozialen Rahmenbe-dingungen des Anfangs und des Endes des Lebenszyklus: dieRohstoffgewinnung und ihre sozialen und ökologischen Kosten,

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sowie das „End of Life“-Management mit seinen sozialen undökologischen Begleiterscheinungen. Wie wir bereits weiter obengezeigt haben, ist für die Nutzungsdauer eines Gutes nebendem wirtschaftlichen Aspekt vor allem die subjektivesubjektivesubjektivesubjektivesubjektive Wertigkeitentscheidend. Anschaffungs- und Kaufentscheidungen unterlie-gen bei einem technischen Gut wie IT-Hardware in der Regelfolgenden Grundlagen:1. Ökonomische Rationalitäten wie z.B. das Preis-Leistungsver-

hältnis, das sich z.B. als Kosten pro Serviceeinheit operatio-nalisieren ließe. Wobei der Anschaffungspreis nur einen Teilder Kosten abbildet und um weitere Parameter ergänzt wer-den muss, z.B. Beschaffungskosten, Konfigurationskosten,allgemeine Betriebskosten und Modernisierung- und In-standhaltungskosten.

2. Ökonomische Irrationalitäten: z.B. die Logik der öffentlichenHaushalte: wenn es Geld gibt, gib es aus. Du weißt schließlichnie, wann wieder welches da ist und hast keinen Vorteil da-von, es nicht auszugeben, im Gegenteil: Du musst Geld aus-geben, sonst gefährdest Du Deinen eigenen Arbeitsplatz.

3. Bei den privaten Haushalten auch ganz stark die Frage nachder eigenen subjektiven Wertigkeit: Was bin ich mir wert?Was bin ich wert? Das Individuum spiegelt sich und seinenWert in den Dingen, mit denen es umgeht und die es umge-ben. Und die Frage nach der Qualität und Bedeutung von Be-ziehungsgeflechten und Freundschaften: Viele Haushalteübernehmen Computer aus der Familie und dem Bekannten-kreis oder finden dort den technischen Support, den sie be-nötigen.

4. Qualifikation und Know-how: die Frage nach der Kompetenzdes Käufers und Nutzers spielt eine große Rolle: wer unsi-cher ist, kauft lieber neu. Wer seinen Bedarf und den angebo-tenen Nutzen nicht wirklich beurteilen kann, ist nicht wirklichin der Lage eine ökonomisch rationale Entscheidung zu tref-fen.

5. Politik und Steuergesetzgebung: Abschreibungszeiten, Steu-ergesetzgebung und die ihnen innewohnenden Auswirkun-gen auf die betriebswirtschaftliche Kostenrechnung, Techni-sche Normen und Richtlinien, Umweltgesetzgebung.

WWWWWiederverwendungiederverwendungiederverwendungiederverwendungiederverwendung ininininin derderderderder RegionRegionRegionRegionRegion::::: ChancenChancenChancenChancenChancen undundundundund diediediediedie GrGrGrGrGrenzenenzenenzenenzenenzenDas Forschungsvorhaben Regionale Netze zur Weiter- und Wie-derverwendung von Computern stellt vor allem auch der Fragedanach, welche Bedeutung, welchen Stellenwert und welche

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Chancen die Regiondie Regiondie Regiondie Regiondie Region als Lebens- und Wirtschaftsraum im Kon-text „nachhaltiger Nutzungsstrategien“ in sich birgt.Am Beispiel Computer lässt sich über den Zeitraum der Untersu-chung feststellen, dass die Weitergabe oder der Verkauf von PCsoder Notebooks zur Nachnutzung innerhalb von Familien oderFreunden und Bekannten etwas Alltägliches ist. Interessanter-weise gilt dies auch für Unternehmen: der Mitarbeiterverkauf istimmer noch eine der weit verbreitetsten Varianten der „Entsor-gung“ von Computern. 40% aller Haushalt mit Computern habenErfahrungen mit gebrauchten Computern oder einen „Ge-brauchten“ in der Nutzung.

Die Marktökonomie – also der Anteil, den Händler an diesemMarkt haben – spielt bisher in diesem Kontext eine nachrangigeRolle. Die Nachnutzung und der Kauf von gebrauchten Compu-tern erfolgt heute noch in der Regel in den kleinen Netzen: Fami-lie, Freunde und Bekannte stehen an erster Stelle, gefolgt vomMitarbeiterverkauf und erst an dritter Stelle lokalen Händler unddas Internet.Die Region könnte theoretisch für die Nachnutzung von Compu-tern unter folgenden Gesichtspunkten eine große Rolle spielen:1. Geringe Transaktionskosten bei Einkauf, Weitergabe und

Tausch (z.B. auch Transportkosten): findet der Tausch, dieWeitergabe oder der Handel in der Region satt, dann sinkendie mit der Weitergabe verbundenen Transaktionskosten.

2. Einschätzung der Risiken, die sich beim Erwerb von Compu-

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tern in bezug auf die Verfügbarkeit und die Kosten von Ser-vice, Reparatur, Wartung und vice versa ergeben: so könntez.B. eine höhere Sicherheit in Bezug auf die Verfügbarkeitvon Servicedienstleistungen aller Art vermutet werden.

3. Soziale Verantwortung durch die Einbettung in soziale Netzeund die Übernahme von sozialer Verantwortung (Unterneh-men/Region): es gibt durchaus eine gewisse Bereitschaft beiUnternehmen etwas für ihre Region zu tun, zumal dann, wennsie sich hiervon noch einen weiteren Nutzen versprechen,wie z.B. gute PR.

4. Win-win-Konstellationen durch Kooperationen und/oder stra-tegische Allianzen (auf Unternehmensebene: Netzwerke): aufder zwischenbetrieblichen Ebene und in den ReUse-Netz-werken ermöglicht die Kooperation eine Vielzahl von Koope-rationsgewinnen.

5. Die Tragfähigkeit und Dichte der informellen Ökonomie: In-tensität von Beziehungsnetz (Familie, Freunde, Bekannte, pri-vate-public-partnership) ist eine wichtige Quelle von „Wohl-stand“: Wer kein Geld für teure Hardware- oder teure Dienst-leistungen hat, kann sich die Nutzung eines PCs nur dannleisten, wenn er günstige Quellen für Hardware hat oderFreunde und Bekannte, die ihm bei technischen Problemenoder bei Softwareproblemen helfen.

HerstellerverantwortungHerstellerverantwortungHerstellerverantwortungHerstellerverantwortungHerstellerverantwortungBisher haben wir vor allem den Markt und die Nutzerseite be-trachtet. Genauso wichtig ist es die Hersteller und andere Playerzu betrachten, die an diesem Spiel beteiligt sind: Produkt-designer, Produzenten und Distributoren. Die Produktentwick-lung und das Produktdesign entscheiden maßgeblich über diespätere Nutzungsphase und deren Dauer. Die erste und wichtig-ste Entscheidung ist, die Entscheidung darüber, für welchePreisklasse und welchen Einsatz das Produkt konzipiert wird.Der Lebenszyklus des Produktes wird in dieser Phase geplantund vorgedacht.Wobei hier der Begriff des Herstellers noch einmal genauer be-trachtet werden muss. Systemführer im Bereich der Elektronic-Consumer-Märkte sind heute in zunehmendem Maße Großver-triebsformen wie z.B. Aldi oder Elektrofachmärkte, die für ihreZielgruppen die Herstellung von Elektronikgeräten zu einem vor-gegebenen Zielpreis beauftragen. Die Hersteller werden in die-sem Spiel in den Consumer-Massenmärkten zum Zulieferer desHandels. Nicht mehr die technische Kernkompetenz oder die

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Marke stehen im Vordergrund sondern nur noch das Preis/Leistungsverhältnis. Dies führt zu einem Strukturwandel, der er-hebliche Konsequenzen für die Zukunft hat.

Dass grundsätzlich die Hersteller von PCs genau wissen wie fürlangfristige Lebenszyklen produziert wird, belegt die Praxis:erstens gibt es genügend Produkte die von Anfang an für eineNutzungsphase von 20-30 Jahren konzipiert werden: Flugzeu-ge, Großcomputer, Investitionsgüter; zweitens wissen die Her-steller diese Produkte auch ganz genau, was dies z.B. für dieErsatzteillagerhaltung bedeutet usw.Auch ein Hersteller wie HP unterscheidet schon beim Produkt-design ob ein billiges Massenprodukt entwickelt werden solloder ein wertiges Profiprodukt, das später in Unternehmen ein-gesetzt werden soll. Auch der after-sales-service und die Er-satzteilpolitik werden dementsprechend konzipiert. Das Produkt-design entscheidet auch über Merkmale wie z.B. Reparatur-freundlichkeit, Servicefreundlichkeit, Recyclebarkeit, Verschleiß-anfälligkeit. Bereits hier wird letztlich entschieden, ob und aufwelchem Niveau Recycling später möglich sein wird:1. Produktrecycling2. Komponentenrecycling3. Stoffliches und oder energetisches Recycling

Wichtig für den Lebenszyklus ist außerdem die Bevorratung vonErsatzteilen und die Organisation des After-sale-service. Wererhält Ersatzteile und zu welchem Preis und wie lange? Genausowichtig ist in diesem Kontext die Frage, wie Innovationszyklengeplant und gemanagt werden. Es ist zu vermuten, dass Innova-tionen auch seltener und/oder in größeren Sprüngen vonstattengehen könnten, wenn hieran ein Interesse bestünde.Gehe der Produktentwickler von Anfang an davon aus, dass eineNachrüstung möglich sein soll, so konzipiert er das Produkt mitaustauschbaren Modulen, denkt über die Kompatibilität vonSchnittstellen nach und bemüht sich um die Berücksichtigungvon technischen Normen. Hier wird auch darüber entschieden,ob Informationen über das technische Detail zugänglich ge-machte werden, ob technische Barrieren eingebaut werden sol-len, die die Reparatur oder das Recycling verhindern sollen: z.B.Featureboxen oder kleine Chips, die das Wiederbefüllen von Pa-tronen verhindern sollen.

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DieDieDieDieDie RolleRolleRolleRolleRolle desdesdesdesdes HandelsHandelsHandelsHandelsHandelsDer Handel und hier vor allem die Großformen des Handels unddie Discounter spielen eine entscheidende Rolle in diesem Sy-stem. Da sie von der Handelsmarge leben, ist es das inhärenteZiel des Handels immer mehr und immer neue Geräte verkaufenzu können. Die Großbetriebformen des Handels gehen nur überden Preis und um dauerhaft existieren zu können, müssen ent-weder die Preise ständig sinken oder es müssen neue oder ver-meintlich neue Geräte in den Markt. Die Dominanz der Großbe-triebsformen des Handels sind sowohl Ergebnis als auch zunicht unerheblichem Teil Ursache dieser Entwicklung.Es gibt natürlich auch hier Unterschiede: erstens gibt es imFachhandel durchaus Akteure, die den Versuch unternehmensich über Qualität und Service am Markt zu positionieren. Undzweitens gibt es auch Handelsstrukturen, die nur oder haupt-sächlich am Service verdienen. Für den PC Markt gilt z.B. dassdie nahezu alle Händler heute sagen, dass sie nur noch am Ser-vice verdienen und nichts mehr an der Hardware. Ursache sinddie sinkenden Handelsmargen und die vielen parallelenVertriebswege die hier entstanden sind, vom Discounter (Aldi,Tchibo, Lidl) über die Tankstellen bis hin zu den unter diesenBedingungen nachvollziehbarer Weise wachsenden „B2C“Märkten: Dell oder HP verkaufen jetzt auch direkt an denEndkunden und das Servicepaket wird zu einer eigenen Ware.

WWWWWasasasasas lehrtlehrtlehrtlehrtlehrt unsunsunsunsuns dasdasdasdasdas BeispielBeispielBeispielBeispielBeispiel ReUseReUseReUseReUseReUse HamburgHamburgHamburgHamburgHamburg?????DieDieDieDieDie BedeutungBedeutungBedeutungBedeutungBedeutung derderderderder RegionRegionRegionRegionRegion undundundundund rrrrregionaleregionaleregionaleregionaleregionaler NetzwerkeNetzwerkeNetzwerkeNetzwerkeNetzwerkeDie Erfahrungen, die mit dem Hamburger Reuse-Netzwerk in derProjektlaufzeit gemacht wurden sind nicht ohne weiteres auf an-dere Regionen oder auf andere Produkte oder Branchen über-tragbar. Dies bezieht sich sowohl auf die besondere Akteurs-konstellation als auch auf die ökonomischen Rahmenbedingun-gen, unter denen der Aufbau des Netzwerkes von 2001 bis 2003stattfand. Der extreme Preis- und Wertverfall den diese Produktein diesem Zeitraum unterworfen waren dürfte ohne Vorbild seinund ist auch nicht ohne weiteres in die Zukunft fortschreibbar.So gesehen könnte sich die in den letzten drei Jahren aufge-wandte Energie in den nächsten Jahren als fruchtbarer erwei-sen, wenn sich die Rahmenbedingungen der Hardware-Verwer-tung verbessern, z.B. durch stabilere Preise im Neuprodukt-bereich, weniger hektische Innovationszyklen und ggf. auchdurch eine gewisse Sättigung der Auslandsmärkte (vor allemOsteuropa).

Christine Ax Chancen und Grenzen regionaler Strategien

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Chancen und Grenzen regionaler Strategien Christine Ax

Die Region, der Raumbezug, erweist sich für die Wieder- undWeiterverwendung von Computern und anderer Hardware alseine wichtige Kategorie. Dies gilt vor allem dort, wo Beziehungenim Vordergrund stehen oder aus sozialen oder auch ethisch-moralischen oder politischen gehandelt wird.Die Haushaltsbefragung in Hamburg belegte z.B., dass fast 40%aller privaten Haushalte Computer in der Nutzung haben, die sievon Freunden, Bekannten oder ihren Arbeitgebern übernommenhaben. Dies korrespondiert mit dem immer noch hohen Stellen-wert, den der Mitarbeiterverkauf für Unternehmen als Entsor-gungsstrategie hat.Auch die große Zahl der Rechner, die von Hamburger Unterneh-men zugunsten der gemeinnützigen ReUse-Unternehmen ge-spendet wurden, ist ein Hinweis darauf, dass soziale Verantwor-tung und die Beziehung zur Region durchaus ihren Stellenwertim Handeln regionaler Wirtschaftsakteure haben.Im gemeinnützigen Bereich und unter den Rahmenbedingungendes zweiten Arbeitsmarktes als Standbein einer sozial Ökono-mie ist die Aufarbeitung und der Verkauf von Gebraucht-PCs eineineineineinErfolgsmodellErfolgsmodellErfolgsmodellErfolgsmodellErfolgsmodell. Sowohl „Nutzmülll e.V.“ als auch „Mok Wat e.V.“sind als Empfänger gespendeter Computer und als Lieferantenvon PCs für Schulen und Vereine gut im Geschäft und ausgelas-tet.Dies setzt jedoch die Gesetze der Ökonomie nicht wirklich außerKraft und kann auch nur in einem sehr eng begrenzten Rahmendie Nutzungsdauer von Computern verlängern. Auch die sozialengagierten Unternehmen unterwerfen sich den Regeln desMarktes: Computer die aus der Nutzung gehen und noch einenMarkt haben, werden dorthin oder an die Akteure verkauft, wosie den höchsten Preis erzielen. Das relative Wohlstandgefälle inEuropa und der Welt sorgt derzeit jedoch noch dafür, dass diesin der Regel nicht Hamburg ist.Unternehmensnetzwerke können die regionale Wiederverwen-dung in diesem primär durch die Ökonomie gesetzten Rahmenbefördern. Durch vertikale und/oder horizontale Kooperationenund durch einen gemeinsamen Marktauftritt, kann die regionaleWiederverwendung erleichtert und Markttransparenz geschaffenwerden. Ökologisch sinnvoll dürfte auch die Unterstützung infor-mellen Nutzungskaskaden „von privat zu privat“ sein.Das Thema „Arbeiten im Netzwerk“ hat sich für die Kleinbetriebe,die das Hamburger Netzwerk bilden, als fruchtbar erwiesen. Eswar möglich auf der Ebene des Informations- und Hardware-austausches stabile Beziehungen aufzubauen. Das zeitliche En-

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gagement, das die Unternehmen jetzt kontinuierlich seit Jahrenaufbringen belegt das Interesse an einem solchen Zusammen-hang, ist jedoch zugleich auch deutlich begrenzt durch das Zeit-budget, das jeder Einzelne zur Verfügung stehen kann.Als eine flankierende Maßnahme erweist sich die Reuse-Strate-gie bezogen auf das Thema Computer als ein sinnvoller Ansatz.Sie wird jedoch auf keinen Fall Herstellern und Politik die Verant-wortung dafür abnehmen können, die Elektronikbranche undihre Produkte auf eine zukunftsfähige Art und Weise umzugestal-ten.Die Entwicklung der letzten Jahre hat die Bedeutung des IT- undElektronikmarktes noch immer weiter anwachsen lassen. DieDigitalisierung unserer Welt ist immer noch in vollem Gange undes ist kein Ende abzusehen. Angesichts dieser Zukunft bleibtuns die Frage, wie dieses Bedürfnisfeld nachhaltig gestaltet wer-den kann, erhalten. Ihre Beantwortung und die Entwicklung vonLösungen ist dringender denn je. Angesichts des schnellenWachstums der internationalen Wirtschaft ist dies offensichtlich.Ob die WEEE in ihrer heutigen Fassung geeignet ist, hier eineechte Konversion in diesem Markt zu bewirken, und bis wannüber die Organisation von Stoffkreisläufen eine erhebliche Stei-gerung der Ressourceneffizienz erzielt werden kann, ist erstaun-lich ungewiss.Es verblüfft die Tatsache, dass Politik und Verbände trotz jahr-zehntelanger Diskussion der Probleme bisher kein mit konkretenZahlen und Daten unterlegtes Konversionsszenario vorgelegthaben, das auf eine Zukunftsfähigkeit dieser Branche und ihrerProdukte und Dienstleistungen hinweist. Eine Roadmap die be-schreibt, wann und in welchen Schritten und mit welchen Mittelnder Bedarf der Konsumenten und Unternehmen in Zukunft umden Faktor „X“ effizienter befriedigt werden kann.So wie die Umsetzungsdiskussion der WEEE derzeit verläuft, istnicht damit zu rechnen, dass die WEEE dazu führen wird, dassdie Hersteller mit Rücksicht auf ihre Produktverantwortung anihrer Produktpolitik etwas ändern werden. Möglicherweise wirdes die Entwicklung der Rohstoffpreise sein, die sich als die letzt-lich entscheidenden ökologischen Leitplanken erweisen. Diesehr dynamische Entwicklung die China nimmt scheint auf die-sen Märkten inzwischen einen deutlichen Preisdruck zu erzeu-gen.Die Steigerung der durchschnittlichen Lebens- und Nutzungs-dauer von Elektronikgeräten und ihren Komponenten kann einBeitrag zur Lösung dieses Problems sein, und sie kann und

Christine Ax Chancen und Grenzen regionaler Strategien

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muss auf verschiedensten Ebenen gelebt und organisiert wer-den. Hier könnte z.B. die Öffentliche Hand als Anwender undNachfrager eine Vorreiterrolle übernehmen, was bis heute leidernicht der Fall ist. Der Beweis, dass dies lohnend sein kann, wur-de zwar an mehreren Orten bereits geführt, ist jedoch immernoch kein hinreichender Anreiz für ein Umdenken. Das Themableibt jedoch auf der Tagesordnung und es bleibt zu hoffen, dassdie große Zahl der erfolgreichen Modellprojekte irgendwann zueinem Meinungsumschwung führt.Umso begrüßenswerter ist also die Tatsache, dass die TU-Berlinals vielleicht wichtigstes praktisches Ergebnis des Vorhabensnun eine echte Anstrengung unternimmt, um die Nutzungsdauerder Hardware in ihrem Bereich zu verlängern, und den Einsatzvon ReUse-Technologien ernsthaft zu prüfen.Nachhaltige Nutzungsstrategien beginnen beim Produktdesign.Sie erfordern Produktentwickler oder Unternehmen, die in länge-ren Lebenszyklen denken, handeln und wirtschaften. Währenddie Hersteller sich Produkt- und Komponentenrecycling für dashochpreisige Segment „Businessbereich“ vorstellen können, sindsolche Überlegungen für den gesamten Konsumerbereich derzeitnicht in Sicht. Einzig der Shredder wird derzeit als rentable Lö-sung des unübersehbaren Mengeproblems betrachtet.Das Vorhaben hat gezeigt, dass gut organisierte Sekundär-märkte ein Stück Nachhaltigkeit darstellen dass in diesemMarktsegment Geld verdient werden kann. Es liefert auch Hin-weise darauf, dass der Markt in einigen Segmenten überregionalsogar so hervorragend funktioniert – dass es schwierig ist, ihnunter den gegebenen ökonomischen Rahmenbedingungen zuregionalisieren. Womit sich die für uns offene Frage stellt, wiedies eigentlich zu bewerten ist und ob und welche staatlichenEingriffe in diesem Markt Sinn machen.Es fehlt heute immer noch aller Orten an echten Konversions-szenarien und -konzepten sowie an einem Technikleitbild, dasden Herausforderungen genügt, die die Zukunft des Wirtschaf-tens an uns stellt. Angesichts der Schnelllebigkeit der Märkteund der Tatsache, dass es zunehmend der Handel ist, der dasHeft des Handelns in der Hand hat, stellt sich vor allem die Fragedanach, welcher Akteur heute überhaupt in der Lage wäre, dieseAufgabe zu Schultern oder wie ein Stakeholderdialog beschaf-fen sein müsste, dem dies gelängen. Zur These, dass Nach-nutzungsstrategien und Sekundärmärkte einen Beitrag hierzuleisten können, liefert das ReUse-Beispiel einen – wie wir mei-nen – wichtigen Diskussionsbeitrag.

Chancen und Grenzen regionaler Strategien Christine Ax

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MarketingMarketingMarketingMarketingMarketing undundundundund ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-GescGescGescGescGeschäfthäfthäfthäfthäftVerena Lorenz-Meyer

Die Computer-Welt war von einem schnellen Werteverfall der ge-rade erst gekauften Technik geprägt. Manche Händler sprachenvon verderblichen Waren, die wie Tomaten schon nach kurzerZeit Schimmel ansetzten und sich nicht mehr zum gleichen Preisoder gar nicht mehr verkaufen ließen. Neue Programme z.B. imOffice-Bereich verbrauchten mehr Rechnerleistung und ver-langsamten den Computer, ohne tatsächlich zusätzliche Funk-tionen zu bieten. Bei manchen Generationen im Bereich derBüro-Software war es nicht möglich, mit einem vor 5 Jahren er-worbenen Programm noch im gleichen Maße mit der Welt zukommunizieren, wie es kurz nach dem Erwerb des Programmsder Fall gewesen war. Außerdem waren Softwarelizenzen für diezum Rechner passenden Programme nicht mehr erhältlich. Hiersetzte ein Zwang zum Austausch der gewohnten Software ein.Mit der neuen Software wurde der Austausch des Computersnötig, damit noch mit der gewohnten Geschwindigkeit gearbeitetwerden konnte. Kaum hatte ein Anwender 1500 bis 2000 € inve-stiert, war das Modell überholt, konnte nicht mehr mithalten undmusste auf den Müll.Hierbei entstand eine Dynamik, bei der die Abfallberge wuchsenund Ressourcen verschwendet wurden. Manch ein Nutzer wardabei unzufrieden über den schnellen Verfall seiner Werte unddie Notwendigkeit des häufigen Umlernens. Der o. g. Trend wur-de durch Werbung und Imagebildung noch verstärkt. Da wurdenMenschen mit gerümpfter Nase gewürdigt, wenn sie beispiels-weise aus der Verwandtschaft ein älteres Gerät geschenkt erhal-ten hatten, und es tatsächlich wagten, auf diesem Gerät zu ar-beiten. Da wurde das „Schneller besser größer“ Image wie einSelbstzweck vermarktet. 80 bis 90 Prozent der Leistung neuerComputer wird seither von den Anwendern nicht ausgeschöpft.

Das ZielDas ZielDas ZielDas ZielDas Ziel:::::NacNacNacNacNachhaltigeshhaltigeshhaltigeshhaltigeshhaltiges BewusstseinBewusstseinBewusstseinBewusstseinBewusstsein ininininin derderderderder EEEEEDDDDDVVVVV-----WWWWWelteltelteltelt durdurdurdurdurccccchhhhh ReUseReUseReUseReUseReUseZiel des ReUse-Projektes war es, in diese Welt eine Wirtschafts-form der Nachhaltigkeit hineinzusetzen und diese sogar prak-tisch umzusetzen. Dies schien ein anspruchsvolles, wenn nichtgar unmögliches Vorhaben. Computer sollten länger genutztund nach Möglichkeit in einen zweiten Nutzungszyklus integriertwerden. Wie lange konnten die Geräte wirklich einer sinnvollenNutzung zugeführt werden? Würde man Händler für diese Auf-

Verena Lorenz-Meyer Marketing von ReUse-Produkten

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Marketing von ReUse-Produkten Verena Lorenz-Meyer

gabe interessieren können? Wie groß wäre das Kundenpotentialund wie müsste man die Kunden gewinnen? Wie könnte derMentalitätswandel eingeleitet werden? Wie groß war die schlei-chende Unzufriedenheit mit den typischen Erneuerungsschrit-ten bei Computern?Das ReUse-Projekt hatte sich außerdem zum Ziel gesetzt, deroben beschriebenen Mentalität ein anderes Bewusstsein undeinen anderen Umgang mit Ressourcen entgegen zu setzen. DieLeistung eines Computers sollte dem tatsächlich benötigtenNutzen angepasst werden. Durch geschickte Software-Kombi-nation sollte die Verlangsamung älterer Rechner, die z.B. auf ei-nem unpassenden Betriebssytem beruhte, vermieden werden.Rechner könnten auf diese Weise länger in Gebrauch bleiben.Der Nutzwert bliebe erhalten und es könnte erheblich bei denKosten gespart werden.Um dem ständigen Ruf nach neuen Computern durch dieSoftwareentwicklung zu entkommen, wurden verstärkt Angebotean Open-Source-Software untersucht. Dies sollte zudem eineKostenersparnis für Firmen im Bereich der Software-Lizenzenermöglichen. Einer Vision dieser Strategie für die Zukunft gingso weit, dass die Hersteller von Open Source Software mögli-cherweise in naher oder ferner Zukunft direkt angepasste Soft-ware entwickeln, die mit geringer Rechnerleistung auskommt.Erste Ansätze in diese Richtung waren bei Abschluss des Pro-jektes bereits in der Umsetzung erkennbar.Eine weitere Aufgabe des Projektes bestand darin, ein Firmen-netzwerk zusammenzuführen, das sich um die Wiedernutzungvon Computern ranken sollte. Von Entsorgern über Händler,Hersteller und Servicefirmen bis zu Bildungsfirmen sollte einbreites Spektrum von Firmen für die Idee des ReUse gewonnenwerden.Dies war der Hintergrund, auf dem das Marketing des ReUse-Netzwerkes aufgebaut werden sollte.

AlleinstellungsmerkmaleAlleinstellungsmerkmaleAlleinstellungsmerkmaleAlleinstellungsmerkmaleAlleinstellungsmerkmale desdesdesdesdes ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-NetzwerksNetzwerksNetzwerksNetzwerksNetzwerksUnter Alleinstellungsmerkmalen versteht man die Eigenschaftendes ReUse-Angebotes, die es in keinem anderen Angebot gibt.Es sind die Vorteile für die jeweilige Zielgruppe, die das ReUse-Angebot auszeichnen und von allen anderen Angeboten abhe-ben. Es sind die Gründe warum Kunden, Händler und potentielleLieferanten von Gebrauchtcomputern genau das Angebot desNetzwerkes und kein anderes nutzen sollten.

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ZielgruppeZielgruppeZielgruppeZielgruppeZielgruppe KundenKundenKundenKundenKundenDas wichtigste Merkmal, mit dem sich das ReUse-Netzwerk vonanderen Computer-Angeboten abhebt, ist der günstige Preis.Dieser wird zudem mit Qualität, einer Garantie und einem gutenService verbunden, so dass sich das Netzwerk in diesem Punktauch vom üblichen Gebrauchthandel unterscheidet.Erfahrungen aus der Praxis belegen sogar eine bessere Qualitätim Vergleich mit Billigrechnern, die in Discountern erworbenwerden können. Diese sind zwar in ihrer nominalen Leistungstärker, weisen jedoch eine geringere Stabilität im Routine-betrieb auf. Im Vergleich zu diesen Computern hebt sich dasAngebot des Netzwerkes zudem durch den damit verbundenenService ab.Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die Umweltverträglichkeitdurch die Vermeidung von Abfällen und die Einsparung vonRessourcen. Auch dieses Merkmal wird von einigen Kunden ge-würdigt.

ZielgruppeZielgruppeZielgruppeZielgruppeZielgruppe derderderderder möglicmöglicmöglicmöglicmöglichenhenhenhenhen TTTTTeilnehmereilnehmereilnehmereilnehmereilnehmer ausausausausaus HandelHandelHandelHandelHandel undundundundund ServiceServiceServiceServiceServiceFür potentielle Netzwerkteilnehmer besteht das Alleinstellungs-merkmal des Netzwerkes darin, dass sie gemeinsam eine größe-re Schlagkraft am Markt zu entwickeln können. Dies äußert sichin der Möglichkeit der gemeinsamen Werbung und gemeinsa-mer Messeauftritte. Ein weiteres Motiv besteht in der Möglichkeit,zusammen Ideen zu entwickeln und Forschungen anzuregen.An dieser Stelle wird die einzelne Firma nicht nur ökologischsondern auch wirtschaftlich zukunftsfähig, und dies gestaltet siedurch die Zusammenarbeit mit anderen Firmen. Die Fairness inder Kooperation wird insbesondere durch interne Regeln undeine neutrale Netzwerkkoordination gewährleistet. Sie ist für diebeteiligten Firmen ein existenziell wichtiges Kriterium, als Vor-aussetzung für ihr Mitwirken.Der Umweltbezug stellt für potentielle Teilnehmer ebenfalls einwichtiges Alleinstellungsmerkmal dar. In der Computer-Welt hat-te es bislang noch kaum eine Möglichkeit des Umwelt-Engage-ments gegeben. Für viele Teilnehmer des Netzwerkes war diesesMerkmal ein Grund für ihr ReUse-Engagement. Ein weiteres wirt-schaftlich relevantes Alleinstellungsmerkmal ist der Herkunfts-rahmen des Projektes. Als Forschungsprojekt wurde es möglich,Berichte in redaktionellen Bereichen von Presse, Funk und Fern-sehen zu veröffentlichen. Dies bewirkte einen Werbeeffekt undeinen Bekanntheitsgrad, der für die einzelne Firma nicht erreich-bar gewesen wäre.

Verena Lorenz-Meyer Marketing von ReUse-Produkten

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Marketing von ReUse-Produkten Verena Lorenz-Meyer

ZielgruppeZielgruppeZielgruppeZielgruppeZielgruppe derderderderder LieferantenLieferantenLieferantenLieferantenLieferanten vonvonvonvonvon GebraucGebraucGebraucGebraucGebrauchtgerätenhtgerätenhtgerätenhtgerätenhtgerätenFür Firmen, die Geräte abgeben wollen, zählt vor allem der rei-bungslose Ablauf und der sinnvolle Wiedereinsatz der Geräte.Ein sehr wichtiges Merkmal des Netzwerkes ist die zuverlässigeDatenlöschung auf den Festplatten der Geräte. Auf diese Weisegarantiert das Netzwerk den Gerätelieferanten einen Schutz ih-rer Daten. Ebenso bedeutungsvoll ist für die Vorbesitzer der PCsdie angemessene Rückvergütung für den Restwert der von Ih-nen abgegebenen Computer.

ZielgruppeZielgruppeZielgruppeZielgruppeZielgruppe derderderderder Software-Software-Software-Software-Software- undundundundund Service-Service-Service-Service-Service- undundundundund BildungsfirmenBildungsfirmenBildungsfirmenBildungsfirmenBildungsfirmenSoftware-Firmen sehen im ReUse-Segment eine neue Marktni-sche, insbesondere wenn sie im Bereich von Linux und OpenSource-Software tätig sind. Die Entwicklung und Anwendungvon Software, die speziell auf weniger leistungsstarken Rech-nern arbeitet, ermöglicht die Bedienung von ReUse-Kunden undvon einem Kundenklientel, das aus eigenen Beständen nochüber ältere Rechner verfügt. Für diesen Bereich eröffnen sichMöglichkeiten des Service und der Anpassung von Software fürden Low-Budget-Bereich. Die Schulung und Beratung vonReUse-Anwendern ist für Bildungsfirmen eine interessantesAufgabengebiet. Wie bei den oben genannten Zielgruppenspielte auch hier wieder der Umweltgedanke und damit verbun-den die Möglichkeit einer anderen Form der Forschung und derWerbung eine wichtige Rolle.

ÖffentlicÖffentlicÖffentlicÖffentlicÖffentlichkeitshkeitshkeitshkeitshkeitsarbeitarbeitarbeitarbeitarbeit undundundundund PPPPPublicublicublicublicublic RelationRelationRelationRelationRelation desdesdesdesdes ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-NetzwerksNetzwerksNetzwerksNetzwerksNetzwerksAnhand der strategischen Überlegungen wurde aus den Allein-stellungsmerkmalen die Grundlage für eine Corporate Identitydes Netzwerks geschaffen. Die Idee einer Corporate Identity be-stand darin, dass die wichtigsten Eigenschaften der Allein-stellungsmerkmale in allen Außendarstellungen durch verbaleund non-verbale Formen vermittelt werden.Ein wichtiges Merkmal des ReUse-Netzwerks ist die Qualität,welche über das übliche Image von Gebrauchtartikeln hinaus-weisen sollte. Diese Qualität musste sich in der Ware, im Serviceund in allen Veröffentlichungen zeigen. Dies sollte bis zum Er-scheinungsbild der Läden reichen. Die Personen, die das Netz-werk repräsentieren, sollten Qualität ebenfalls in ihren Eigen-schaften und Darstellungsformen verkörpern.Weitere Alleinstellungsmerkmale sind die günstigen Preise fürEinsteiger, wirtschaftlich orientierte Firmen und Behörden sowiedie ökologische Orientierung des Netzwerkes. Beide Eigen-

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schaften sollten in allen Veröffentlichungen hervorgehoben wer-den. Für potentielle Teilnehmer des Netzwerkes sollten auch dieRegeln einer fairen Zusammenarbeit in den Veröffentlichungenund in der direkten Ansprache vermittelt werden.Auf dieser Grundlage wurde das Kommunikationskonzept desNetzwerks ausgearbeitet.

NameNameNameNameName undundundundund LLLLLogoogoogoogoogoBei der Gestaltung des Namens des Netzwerkes musste berück-sichtigt werden, dass sich der Name von gängigen häufig miteinem Negativimage belegten Worten im Sinne eines Ge-brauchthandels (Gebrauchtcomputer, Altgeräte etc.), abhebt.ReUse bot sich als eine sehr passende Variante an. Der Begriffist im Gegensatz zu dem deutschen Wort „Wiederverwendung“kurz und leicht handhabbar und lässt sich gut mit anderen Wor-ten kombinieren (ReUse-Computer, ReUse-Netzwerk). Da Reuseim deutschen Sprachgebrauch bisher nur in Fachkreisen be-kannt ist, wird es nicht mit einem Negativimage in Verbindunggebracht, wie beispielsweise „Gebrauchtgerät“.Die Schreibweise Reuse wurde im deutschen Sprachraum häu-fig falsch ausgesprochen, daher wurde die Schreibweise „ReUse“gewählt. Um einen klaren Ausdruck zur inhaltlichen Ausrichtungdes Netzwerks einzuführen, wurde der Begriff „ReUse“ mit demBegriff „Computer“ kombiniert. ReUse wurde auch in anderenBereichen von Firmen verwendet, da es sich um einen beschrei-benden Begriff handelt.Aus diesem Grund wurde bei der Gestaltung des Logos(Wort-Bild-Marke) auf eine weitestgehende gestalterischeAlleinstellung des Symbols geachtet: Die Darstellung imLogo enthält einen Computer, in den das stilisierte Kreis-laufsymbol des ReUse-Kreislaufs eingearbeitet ist.

FaltblätterFaltblätterFaltblätterFaltblätterFaltblätter undundundundund Internet-Internet-Internet-Internet-Internet-PräsenzPräsenzPräsenzPräsenzPräsenzDa insbesondere bei der Gerätebeschaffung Engpässe bestan-den, wurde zunächst Präsentationsmaterial für die Gerätebe-schaffung erstellt. Hier standen der ökologische Vorteil einerWiederverwendung gegenüber der Entsorgung und die individu-ellen Vorteile für die Firmen-Zielgruppe im Vordergrund. Dieswaren die Kostenersparnis bei der Entsorgung, das Räumen vonLagerkapazitäten, und die Möglichkeit, soziale und ökologischeVerantwortung zu zeigen und damit zu werben.Für die Zielgruppe der ReUse-Anwender und der Netzwerk-partner wurden ebenfalls Faltblätter entwickelt. Das Faltblatt für

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Marketing von ReUse-Produkten Verena Lorenz-Meyer

Anwender war prägnant und spritzig in seiner Wortwahl undbildlichen Darstellung und verband mit ReUse-Computern einpositives Image. Der günstige Preis und die gute Qualität sowieder Service wurden herausgestellt. Dabei wurde darauf geach-tet, dass die Beschreibungen trotz des schnellen Wandels beiComputern möglichst über einen längeren Zeitraum ihre Gültig-keit behielten.In dem Faltblatt für Netzwerkpartner wurden die Vorteile derNetzwerk-Zusammenarbeit dargestellt, und es wurde in einergraphischen Darstellung ein Überblick über die Netzwerkstruk-tur gegeben.Alle Materialien waren im Design klassisch und professionell ge-halten, um einen deutlichen Kontrapunkt zum „Kramladen“-Image des Gebrauchthandels zu setzen. Die jeweiligen Inhalteund die graphische Gestaltung der Faltblätter spiegelte sich inder Internet-Präsenz des Netzwerks wider. Neben einer Kurzbe-schreibung des Projektes waren darin die Adressen der Netz-werkfirmen und Informationen zur Geräteannahme und zum Ser-viceangebot enthalten.

DasDasDasDasDas ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-GescGescGescGescGeschäfthäfthäfthäfthäft

GescGescGescGescGeschäftskundenhäftskundenhäftskundenhäftskundenhäftskundenDie größte Gruppe der ReUse-Interessenten sind Geschäfts-kunden, die durch das ReUse-Angebot Geld sparen möchten.Sie benötigen vor allem Büroanwendungen, Internet, E-mail,Datenbankanwendungen und Netzwerkverbindungen. Die der-zeit angebotenen ReUse-Rechner kosten 250 bis 300 € undverfügen über eine Leistung, die genau diese Funktionen bietet.Für vergleichbare Neu-PCs ist – wenn keine Discounter-Gerätegewählt werden sollen – eine Investition von etwa 1000 € erfor-derlich.Vereinzelt interessieren sich Systembetreuer von EDV-Netzenfür 1 bis 3 passende Rechner, um eine Gruppe von 20 Compu-tern zu ergänzen, die vor 2 bis 3 Jahren erworben wurden. Einweiterer Kreis sind Firmengründer, die zunächst noch keine gro-ßen Investitionen tätigen wollen. Auch Behörden interessierensich zunehmend für die Finanzersparnis, die durch Anschaffungvon ReUse-Computern möglich wird.Als Software wird derzeit das Betriebssystem Windows 98 oderWindows 2000 angefragt. Dazu werden Office-Programme ge-kauft und in der Regel Vernetzungen der Rechner vorgenom-

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men. Dabei findet auch Open Office einen zunehmend interes-sierten Kundenkreis, der sich die hohen Lizenzkosten sparenwill. Diese Möglichkeit interessiert besonders Firmengründerund inzwischen auch Behörden.Der Kundenkreis der Geschäftskunden wird durch die wachsen-de Bekanntheit des ReUse-Netzwerks kontinuierlich größer.Hierbei haben sich vor allem die Medienberichte in der Zeit-schrift „c’t“, eine WDR-Fernsehsendung (Planetopia) und dieMesseauftritte bei der „Cebit“ und der „Systems“ als sehr erfolg-reich erwiesen.

ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-PPPPPrivatkundenrivatkundenrivatkundenrivatkundenrivatkunden mitmitmitmitmit ökologiscökologiscökologiscökologiscökologischenhenhenhenhen MotivenMotivenMotivenMotivenMotivenWesentlich kleiner als der Geschäftskundenkreis aber dennochbedeutsam ist die Gruppe der ökologisch orientierten Privatkun-den. Sie suchen den Einkauf bei ReUse-Händlern, weil sie eineVerlängerung der Lebensdauer von Computern als sinnvolleUmweltschutzmaßnahme begreifen. Bei diesem Kreis von Perso-nen ist die Idee des ReUse-Netzwerkes auf eine lang vorhande-ne Unzufriedenheit mit dem schnellen Wertverfall von hochwerti-gen Gebrauchsgütern getroffen. Sie benutzen den ReUse-PCzum Schreiben und für das Internet, z.B. beim Online-Banking,Recherchen etc. Daneben werden Fotos bearbeitet oder Notengeschrieben. Bei diesen Kunden ist das Angebot an Open-Source Software ebenfalls sehr beliebt. Als Betriebssystem ver-wendet man zwar Microsoft-Produkte, für Anwendungen wird je-doch gern auf Open-Source-Software zurückgegriffen. DieHändler des Netzwerkes verfügen inzwischen über ein reichhal-tiges Angebot an freier Anwendungssoftware, welches z.B.• Büroanwendungen (Open Office, incl.

-Textbearbeitung, - Tabellenkalkulation und- Präsentationssoftware)

• Internet-Browser• e-mail Programme• Antiviren-Software• Firewalls• freie PDF-Erzeugung• Fotobearbeitung• Zip-Programme• Programme zum Brennen von CDs und• Notenprogramme

umfasst.

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EEEEEDDDDDVVVVV-----EinsteigerEinsteigerEinsteigerEinsteigerEinsteigerEDV-Einsteiger interessieren sich ebenfalls aufgrund der gerin-gen finanziellen Einstiegshürde für das ReUse-Angebot. Wie dieReUse-Firma „Batman“ herausfand, besteht ein Vorteil für dieseKunden in dem geringeren Risiko bei Fehlern. Viele Einsteigertrauen sich bei teuren Neugeräten nicht zu, einen spielerischenUmgang mit der neuen Technik zu praktizieren. Die Hürde wirddurch den deutlich geringeren Anschaffungspreis herabgesetzt.Auf diese Weise trauen sich Einsteiger mit größerer Lockerheitan die Geräte heran und lernen dadurch schneller.

PPPPPrivatkunden,rivatkunden,rivatkunden,rivatkunden,rivatkunden, diediediediedie sicsicsicsicsichhhhh gegengegengegengegengegen ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-RecRecRecRecRechnerhnerhnerhnerhner entscentscentscentscentscheidenheidenheidenheidenheidenEin spezieller Kreis von Privatkunden, fragt an, wird jedoch nichtzum ReUse Käufer. Diese Kundschaft vergleicht die ReUse-PCsmit den billigen Discounter-Rechnern, die z.B. für 700 € zu be-kommen sind. Hierbei werden die gebrauchten Marken-Gerätemit den Billigst-Varianten der Neugeräte verglichen. Dies ist eineMethode, die bei Geschäftskunden nicht üblich ist, weil dort dieQualität der Markengeräte benötigt wird. Ausfälle durch einequalitativ schlechte Investition würden beim Geschäftskunden-kreis z.B. nach einem Geräteausfall zu hohen Folgekosten füh-ren.Die o. g. Privatkunden sind dagegen weniger auf die stabileLauffähigkeit der Computer angewiesen. Zudem möchten sieRechner mit hoher graphischer und Sound-Leistung erwerben,die z.B. für Spiele geeignet sind. Sie bevorzugen Computer, mitdenen sie DVDs brennen können und die über viele USB-An-schlüsse für Handy, Scanner, Handheld etc. verfügen.

Marketing von ReUse-Produkten Verena Lorenz-Meyer

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TTTTTececececechnischnischnischnischnischehehehehe VVVVVerarbeitungerarbeitungerarbeitungerarbeitungerarbeitung derderderderder GeräteGeräteGeräteGeräteGeräte

Wolfgang Bünsow

Durch das professionelle Aufbereiten von gebrauchter PC-Hard-ware, Monitoren, Notebooks, Servern, Druckern etc. wird den sobehandelten Geräten ein wirtschaftlicher Mehrwert hinzugefügt,der ohne diese Leistungen für den Endverbraucher nicht dar-stellbar wäre. Dadurch, dass Markengeräte eingehend geprüftund getestet, sowie von innen und außen gereinigt werden, kanndem Kunden ein Produkt angeboten werden, das er mit ruhigemGewissen anstelle eines neuen Gerätes in seinem Betrieb ein-setzen kann. Auch Fragen der Garantie von bis zu 12 Monatensind hierbei keine Hürde.

Folgende Arbeitsschritte sind in diesem Prozess unabdingbar:• Erfassung der Geräte anhand ihrer Seriennummer• Reinigen der Geräte von Schmutz und Aufklebern• Funktionstest• Bei Computern die Beseitigung aller auf eventuellen Festplat-

ten vorhandenen Daten mit einem System, das die Wiederher-stellung der Daten unmöglich macht

• Reparatur bzw. Austausch von defekten Teilen• Dokumentieren der erfolgten Arbeitsschritte sowie der Ar-

beitsergebnisse• Freigabe der Geräte zum Verkauf• Zerlegung defekter Geräte in verwertbare Fraktionen• Berichtlegung an eventuelle Spenderkunden.

Am Ende dieser Kette stehen dann Produkte, die für alle typi-schen Officeanwendungen geeignet sind und teure IT-Investitio-nen in Geräte, deren Features im normalen Geschäftsbetrieb niegefragt werden, überflüssig werden lassen.Hier entsteht für den Verbraucher nicht nur ein finanzieller Vor-teil, sondern durch die weitere Nutzung dieser qualitativ hoch-wertigen Geräte auch eine bemerkenswerte Entlastung der Um-welt durch die Schonung der natürlichen Ressourcen. Alles inallem eine Win-Win Situation für alle Beteiligten.

Wolfgang Bünsow Technische Verarbeitung der Geräte

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ReUse-Rollout Thomas Nittka, Verena Lorenz-Meyer

ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-RolloutRolloutRolloutRolloutRollout

Thomas Nittka, Verena Lorenz-Meyer

Das ReUse-Netzwerk bietet Firmen die Komplettdienstleistungeines ReUse-Rollouts an. D.h., Firmenkunden können von derPlanung einer EDV-Erneuerung bis zur Umsetzung alle Schrittevon Anbietern des Netzwerkes durchführen lassen. FolgendeKompetenzen kann das Netzwerk für diese Erfordernisse anbie-ten:• Consulting• Netzwerk- bzw. EDV Planung• EDV Schulungen• Hard- und Softwarevertrieb• Netzwerkadministration für Windows und Linux• Einkaufsgemeinschaft für gebrauchte IT-Technik• Aufbereitung der gebrauchten Hardware nach ReUse-Stan-

dard (z.B. Datenlöschung nach NATO-Standard)• Hardwareverschrottung.

Während beim klassischen Rollout-Konzept alle Hard- und Soft-ware verschrottet und durch neue ersetzt wird, sieht das ReUse-Konzept vor, zunächst zu inventarisieren und gezielt den Bedarfzu ermitteln. Das Rollout wird im Rahmen der ReUse-Philosophiedurchgeführt. Dies bedeutet, dass die Hardware den tatsächli-chen Anforderungen angepasst wird und daher nicht alle Com-puter ausgetauscht werden müssen. Die Möglichkeit der Ver-wendung von Open Source-Software wird einbezogen unddurch einen Ringtausch werden vorhandene Rechner an neuengeeigneten Standorten eingesetzt. Nur an Stellen, wo eine hohePC-Leistung erforderlich ist, werden neue Computer ange-schafft. Wenn alte Rechner ausgemustert werden, nimmt dasReUse-Netzwerk diese entgegen. Sie werden aufgearbeitet undeiner erneuten Nutzung durch Dritte zugeführt. Das Unterneh-men, in dem das Rollout durchgeführt wird, zahlt nur für Hard-ware, die wirklich verschrottet werden muss. Auf diese Weisekönnen auch mittelständische Unternehmen ohne IT-Abteilungeinen professionellen Hard- und Software Austausch vorneh-men.

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51ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

BeispielfirmaBeispielfirmaBeispielfirmaBeispielfirmaBeispielfirmaFirma ABC GmbH wurde 1995 gegründet,• ist auf 40 Personen gewachsen•Hard- und Software wurde kontinuierlich für jeden zusätzli-

chen Mitarbeiter neu gekauft (daher besteht eine heterogeneStruktur der PC-Systeme)

•Nutzung diverser BetriebssystemeHardware: Computer Pentium I bis Pentium IV, ein Server, einigeDrucker, für Chef und Sekretärin 1 ISDN Internetanschluss,LaptopsDie folgende Tabelle zeigt die Aufgaben eines klassischenRollouts im Vergleich zum ReUse-Rollout. Dabei werden Ein-sparpotentiale sichtbar. Insbesondere die Hardware-Beschaf-fung und –Entsorgung und die Lizenzkosten ermöglichenKostenreduktionen durch ReUse-Hardware, erhalt von Compu-tern und Open-Source-Software. Auch bei der Schulung kannGeld gespart werden.

Tab. 1: Vergleich klassisches Rollout und ReUse-RolloutReUseReUseReUseReUseReUse KlassiscKlassiscKlassiscKlassiscKlassischerherherherher Spar-Spar-Spar-Spar-Spar-

AufgabenAufgabenAufgabenAufgabenAufgabenRolloutRolloutRolloutRolloutRollout RolloutRolloutRolloutRolloutRollout PPPPPotentialotentialotentialotentialotential

Projektleitung X XBestandserfassung X XArbeitsplatzanforderung X

ReUse-HardwareArbeitsplatzanforderung X X

Neue HardwareBedarfsplanungBedarfsplanungBedarfsplanungBedarfsplanungBedarfsplanung ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-HarHarHarHarHardwardwardwardwardwareeeee XXXXX XXXXXBedarfsplanung Neue Hardware X XStrategische Planung X XPilotversuch X XBeschaffungsmanagement X XRollout Reuse-Hardware XRollout Neuer Hardware X XDatenmigration X XDatenmigrationDatenmigrationDatenmigrationDatenmigrationDatenmigration OpensourOpensourOpensourOpensourOpensource-ce-ce-ce-ce-SoftwarSoftwarSoftwarSoftwarSoftwareeeee XXXXX XXXXXKKKKKundenharundenharundenharundenharundenhardwardwardwardwardwareeeee ininininin dendendendenden XXXXX XXXXX

ReUse–KReUse–KReUse–KReUse–KReUse–Krrrrreislaufeislaufeislaufeislaufeislauf bringenbringenbringenbringenbringenUmweltgerUmweltgerUmweltgerUmweltgerUmweltgerececececechtehtehtehtehte EntsorgungEntsorgungEntsorgungEntsorgungEntsorgung XXXXX XXXXX XXXXXEndabnahme X XPPPPPostostostostost RolloutRolloutRolloutRolloutRollout ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-HarHarHarHarHardwardwardwardwardwareeeee XXXXX XXXXXPost Rollout Neuer Hardware X XScScScScSchulungenhulungenhulungenhulungenhulungen fürfürfürfürfür ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-PPPPPrrrrrodukteodukteodukteodukteodukte XXXXX XXXXXSchulungen für Neue Produkte X X

Thomas Nittka, Verena Lorenz-Meyer ReUse-Rollout

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52 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Die untenstehende Tabelle zeigt das mögliche Einsparpotentialbei der Hardware-Beschaffung sowie die Kosten der Beratung.

Tab. 2: Größenordnung des finanziellen Einsparpotentials

KKKKKostenostenostenostenostenReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-PPPPPrrrrrodukte odukte odukte odukte odukte SparpotentialSparpotentialSparpotentialSparpotentialSparpotential undundundundund KKKKKostenostenostenostenosten

durdurdurdurdurccccchhhhh ReUseReUseReUseReUseReUseDirekt PC 50 % ErsparnisDirekt Server > 50 % ErsparnisDirekt Software Lizenzen > 80 % Ersparnis

(z.B. Opensoure und SuSE-Linux)Indirekt Unternehmensberatung, 30 % Kosten

Umstrukturierung auf mehrere Jahre verteilt

Ein Gesamtüberblick über die Beispielfirma verdeutlicht, dassinsgesamt Kosten in Höhe von 26% gegenüber dem klassischenRollout gespart werden können.

Tab. 3: Finanzielles Einsparpotential durch ReUse-RolloutRolloutRolloutRolloutRolloutRollout mitmitmitmitmit NeugerätenNeugerätenNeugerätenNeugerätenNeugeräten ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-RolloutRolloutRolloutRolloutRolloutAlle Geräte werden ersetzt Die meisten Geräte sind

durch Pentium IV Pentium IIIVorh. alte Produkte Stück Zusätzliche ReUse Produkte

Invest. in € Invest. in €Pentium I 10 10.000,- 10 PC’s PIII 3.500,-Pentium II 5 5.000,- Terminalserver 1.000,-Pentium III 10 10.000,- BleibtPentium IV 1 Bleibt BleibtLaptop PII 3 4.500,- 3 Laptop’s PIII 2.200,-Laptop PIII 3 4.500,- BleibtServer 2 8.000,- 2 zusätzl. Server 2.000,-Software MS, PC 32 5.000,- Software SuSE Linux, PC 900,-Software MS, Server 2 4.000,- Software Linux, Server 2.000,-Dienstleistungen 40.000,- 40.000,-Zwischensumme 91.000,- 51.600,-

ErsparnisErsparnisErsparnisErsparnisErsparnis::::: 43,30%43,30%43,30%43,30%43,30%Unternehmensberatung 0,- 15.000,-Summe: 91.000,- Summe: 66.600,-

Ges.-Ges.-Ges.-Ges.-Ges.-ErsparnisErsparnisErsparnisErsparnisErsparnis::::: 26,80%26,80%26,80%26,80%26,80%

ReUse-Rollout Thomas Nittka, Verena Lorenz-Meyer

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53ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

DieDieDieDieDie scscscscschönstenhönstenhönstenhönstenhönsten vierviervierviervier WWWWWococococochenhenhenhenhen mitmitmitmitmit meinemmeinemmeinemmeinemmeinem EEEEEDDDDDVVVVV-Administrator-Administrator-Administrator-Administrator-Administrator

Verena Lorenz-Meyer

Ich hatte ein kleines aber lästiges Computer-Problem. MeinInternet-Browser arbeitete nicht richtig mit dem e-mail-Pro-gramm zusammen. Wenn ich eine e-mail geschickt bekam, inder eine Internet-Adresse verzeichnet war, konnte ich diesenicht einfach anklicken und damit meinen Internet Browser öff-nen. Umgekehrt öffnete sich auch mein e-mail-Programm nicht,wenn ich auf einer Internet-Seite eine e-mail-Adresse anklickte.Ich machte mich auf den Weg zu meinem EDV-Administrator.Dieser schaute sich das Problem an und empfahl mir, sofort dase-mail Programm auszutauschen. Es sei völlig veraltet. Er hättedie neueste Version zur Verfügung und würde es mir selbstver-ständlich installieren. Ich willigte ahnungslos ein.Nachdem das neue Programm installiert war, hatte sich meineFestplatte (mein PC war schon 4 Jahre alt) fast völlig gefüllt.Durch die Presse ging eine Meldung, dass ein Virus weltweit inUmlauf sei, der besonders auf dieses e-mail-Programm speziali-siert sei. Mein vorheriges e-mail-Programm war von diesemSpezialvirus nicht angreifbar gewesen. Ich nahm diese Meldungund wendete mich erneut an unseren System-Administrator. Erempfahl mir das neueste Anti-Viren-Programm. Erneut entschiedich mich für die Befolgung des Ratschlages von meinem Fach-mann.Allerdings wurde der Rechner bereits deutlich langsamer als derVirenkiller seine Arbeit im Hintergrund des Arbeitsspeichers auf-nahm. Weiterhin traten häufiger Systemabstürze auf. Der Rech-ner blieb bei dieser oder jener Handlung hängen. Der daraufhinbefragte Administrator meinte nur, das müsse an meinem totalveralteten Betriebssystem liegen. Es wäre schon 7 Jahre alt undweit überholt. Mit dem neuesten Virenkiller oder meinem neuene-mail-Programm sei es zwar theoretisch kompatibel, aber prak-tisch würden immer wieder Probleme auftreten. Er schlug vor,mir ein neueres Betriebssystem zu installieren. Trotz meiner in-zwischen dunklen Vorahnung willigte ich ein.Nachdem das Betriebssystem installiert war, arbeitete meinDrucker nicht mehr (er war zu alt für das Betriebssystem) undmein Rechner war so langsam geworden, dass ich zunächstfrühstücken ging, um die Zeit zwischen dem Öffnen der Textver-arbeitung und dem Beginn meiner Arbeit zu überbrücken. Alsich inzwischen wütend bei meinem Administrator in der Türstand, erklärte dieser mir, dass ich dringend einen neuen Rech-

Verena Lorenz-Meyer Die schönsten 4 Wochen mit meinem EDV-Berater

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ner benötigen würde. Für nur 1000 € könnte ich ganz billig ei-nen erwerben.Er brachte mir am nächsten Tag den neuen Rechner. Dieserfunktionierte zunächst nicht richtig, weil einige von mir dringendbenötigte Programme nicht installiert waren. Das darauf befindli-che Betriebssystem kannte ich überhaupt nicht. Ich musste einezweiwöchige Schulung für 500 € besuchen und meine Arbeitam Abschlussbericht eines Projektes aussetzen, damit ich dieBedienung des Betriebssystems lernen konnte.Ich stellte zudem fest, dass bei der Bedienung des e-mail-Pro-gramm und des Internet-Browsers ein Fehler auftrat, der immerwieder zum Systemabsturz führte. Mein Administrator sagte, dassei eine Kinderkrankheit des neuen Systems. Beim nächstenUpdate in 1 bis 2 Jahren würde der Fehler bestimmt behobenwerden. Ich war komplett bedient. Hatte mein alter Rechner dochbis zu dem ersten Ratschlag meines Administrators immer gutfunktioniert und alles getan, was ich benötigte. Ich konnte auf dieZusammenarbeit von e-mail und Browser in dem alten Systemauch gerne verzichten!Ich erklärte meinem Systemadministrator, dass er den neuenRechner meiner Kollegin hinstellen könnte, wenn er mir nur mei-nen ersten Rechner wieder in der ursprünglichen Konfigurationausstatten würde. Er verstand mich zwar nicht, erklärte sich je-doch bereit, meinen alten Rechner wieder in der ursprünglichenFassung einzurichten. Ich fragte einen Freund, ob dieser mir hel-fen könne, das e-mail-Programm und den Browser aufeinandereinzurichten. Dieser fand heraus, dass das Problem überauseinfach zu lösen gewesen wäre. Er konnte dies im Menüpunkt„Einstellungen“ unter der Option. „Programm als Standardbrow-ser einstellen“ bzw. „Dieses e-mail-Programm als Standard set-zen“ so einstellen, dass mein Problem nunmehr nach vier ver-zweifelten Wochen durch einen einfachen Handgriff zu erledigengewesen war.Ich war froh, dass meine Kollegin eine Vorliebe für neue Compu-ter hatte und die 1000 € daher nicht völlig umsonst ausgegebenwaren. Vier Wochen Arbeit, die Unterbrechung meiner Schreib-arbeiten und 500 € für die Schulung waren allerdings hinausge-worfen worden, um eine wertvolle Erfahrung zu sammeln, die ichallerdings nicht wiederholen wollte. Zukünftig würde ich den Vor-schlägen meines Administrators nicht mehr ohne weiteres zustim-men, wenn er Probleme durch die Installation von neuern Pro-grammen lösen wollte. Ich würde von ihm verlangen, dass er dasProblem mit den bestehenden Programmen zu lösen versucht!

Die schönsten 4 Wochen mit meinem EDV-Berater Verena Lorenz-Meyer

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55ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

OpenOpenOpenOpenOpen SourSourSourSourSource-ce-ce-ce-ce-BetriebssystemeBetriebssystemeBetriebssystemeBetriebssystemeBetriebssystemeVerena Lorenz-Meyer

Der Umgang mit gängigen Betriebssystemen und Programmenhat einige Großanwender wie z.B. Behörden vor kostspieligeProbleme gestellt. Nach wenigen Jahren der Anwendung wurdevon dem Anbieter der Support für das alte Betriebssystem ein-gestellt. Hinzugekommene PCs konnten mit den alten Betriebs-systemen nicht mehr betrieben werden, da die nötigen Treiberfür neue Gerätekomponenten fehlten. Eine einheitliche Gestal-tung der EDV-Welt in den Behörden verlangte die umfassendeAnschaffung neuer Computer und neuer Lizenzen. Für jedenAnwendungs-Arbeitsplatz musste eine eigene neue Lizenz er-worben werden. Die hohen Kosten ließen einige Stadtverwaltun-gen darüber nachdenken, ob sie möglicherweise mit Linux andieser Stelle günstiger arbeiten könnten. In einem Aufsehenerregenden Verfahren (der bisherige Software-Anbieter prozes-sierte gegen die Entscheidung) entschied sich schließlich dieStadt München für den Ausstieg aus der gewohnten Software-Welt und sattelte komplett auf Linux als Betriebssystem für ihreVerwaltung um.Linux bietet den Vorteil, dass mit einer Lizenz alle Arbeitsplätzeausgerüstet werden können, denn diese Software darf von demKunden auf alle seine PC-Plätze kopiert werden. Das finanzielleEinsparpotential war für die Stadtverwaltung enorm. Das Bei-spiel war kein Einzellfall. Auch die Stadt Schwäbisch Hall undeinige Behörden, wie z.B. das Bundeskartellamt hatten bereitsumgesattelt. Bei einigen Polizeiverwaltungen wird ebenfalls übereinen solchen Schritt nachgedacht.Wenn eine größere Institution oder Firma umsteigt, ist die Frageder Kommunikation mit anderen PC-Systemen weniger relevant,da im internen Datenaustausch bereits ein einheitliches Systemvorliegt. Nur im externen Kontakt müssen dann Konvertierungenfür die Dateien verwendet werden.

Bei der Frage, warum sich nicht noch mehr Behörden für Linuxentscheiden, muss berücksichtigt werden, dass viele System-verwalter, Anwender und Entscheider wenig oder keine Routineim Umgang mit Linux besitzen. Bei diesem Personenkreis be-steht immer noch eine gewisse Scheu, sich auf ein völlig neuesFeld einzulassen.

Verena Lorenz-Meyer Linux und Microsoft-Betriebssysteme

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Linux und Microsoft-Betriebssysteme Verena Lorenz-Meyer

ReUseReUseReUseReUseReUse undundundundund LLLLLinuxinuxinuxinuxinuxWas haben diese Entscheidungen mit dem ReUse-Projekt zutun?In vielen Fällen verlangt der Einsatz von neuen Betriebssyste-men die Anschaffung neuer Hardware. Die Verwendung vonLinux bietet dagegen die Möglichkeit, die Leistungsressourcendes Computers besser auszuschöpfen.Die Firma Tricom GmbH aus dem ReUse-Projektteam führte da-her in einer Abteilung der Technischen Universität Berlin eineTestreihe mit Linux-Rechnern und der Anwendung von OpenOffice durch. Es zeigte sich, dass die Bedienung überwiegendleicht verstanden wurde. Lediglich wenige kleinere Schritte er-forderten die Hilfe des ReUse-Teams. So war es bei Linux erfor-derlich, die Diskettenlaufwerke zu „mounten“, bevor sie benutztwerden konnten. Auch die Konvertierung einiger vorher benutz-ter Microsoft-Dateien bereitete Probleme. Eine Testreihe mit derKonvertierung zeigte, dass es insbesondere bei unsauber for-matierten Dateien zu Veränderungen in den Formatierungenkommen kann.Als Ergebnis kann zusammengefasst werden, dass ein Einstiegin das Linux-Betriebssystem am einfachsten ist, wenn es sichum einen Neuanfang handelt, wie etwa bei einer Firmen-gründung oder bei dem generellen Computereinstieg. Auf dieseWeise sind Konvertierungen nur bei dem Austausch von e-mailsmit der Außenwelt erforderlich. Wenn dagegen eigene Dateibe-stände umgewandelt werden müssen, ist der Umstieg ebenfallsmöglich und lohnenswert. Es stehen inzwischen zur Vereinfa-chung des Übergangs automatische Konvertierungs-Tools zurVerfügung.Linux läuft im Allgemeinen stabil und ist gut gegen Angriffe ausdem Internet und gegen Viren geschützt. Ferner lassen sich eini-ge Administrations-Arbeiten beim Server-Betrieb automatisieren(z.B. die Einrichtung neuer Rechnerplätze). Es bietet für ReUse-Anwender zudem die Möglichkeit, eine Version für geringeRechnerleistung einzusetzen. Ein Beispiel ist die im ReUse-Pro-jekt entwickelte Lösung des Terminal-Servers. Hierbei wird diegesamte Rechnerleistung mehrerer Anwender auf den Serververlagert. Einzelne Nutzer können sehr alte Computer verwen-den, die selbst keine wesentliche Rechnerleistung mehr benöti-gen. Dies bietet vor allem im Bereich der EDV-Schulung Vorteile.Administratoren und Lehrer haben dabei die Möglichkeit, sichvor Eingriffen der Schulungsteilnehmer in das System zu schüt-zen und damit wertvolle Administrations-Zeit einzusparen. Fer-

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57ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

ner sparen sie Investitionskosten bei den Schulungsplätzen undLizenzkosten bei der Software.

DerDerDerDerDer ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-KKKKKundeundeundeundeunde entscentscentscentscentscheidetheidetheidetheidetheidetGrundsätzliche entscheidet der ReUse-Kunde, welches Be-triebssystem und welche Anwendungsprogramme er verwendenmöchte. Daher sind die ReUse-Händler in der Lage, verschiede-ne Software-Varianten anzubieten und durch ihren Service zuunterstützen. Bisher entschieden sich Kunden überwiegend nurdann für Linux, wenn sie damit Server betreiben wollten. FürEinzelrechner wurden in der Regel Microsoft-Betriebssystemegewünscht.

AnAnAnAnAn ReUseReUseReUseReUseReUse orientierteorientierteorientierteorientierteorientierte BetriebssystemeBetriebssystemeBetriebssystemeBetriebssystemeBetriebssystemeBei dem Einsatz von Microsoft-Betriebssystemen muss berück-sichtigt werden, dass das Alter der Hardware und das Alter desBetriebssystems in etwa übereinstimmen sollte. Diese grobeFaustregel sollte nicht vernachlässigt werden, sonst kann durchdie Wahl eines unpassenden Betriebssystems jeder brauchbareRechner in die Knie gezwungen werden. Dies würde beispiels-weise geschehen, wenn ein Betriebssystem aus dem Jahr 2002auf einem Computer mit einem 400 bis 800 MHz-Prozessor in-stalliert würde. Für derartige Hardware eignen sich z.B. Windows98 oder Windows 2000. ReUse-Händler beraten ihre Kunden indiesen oder ähnlichen Fragen.

Verena Lorenz-Meyer Linux und Microsoft-Betriebssysteme

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58 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

DarumDarumDarumDarumDarum WWWWWiederverwendungiederverwendungiederverwendungiederverwendungiederverwendung!!!!!MacMacMacMacMachththththt diediediediedie WiederverwendungWiederverwendungWiederverwendungWiederverwendungWiederverwendung eineneineneineneineneinen SinnSinnSinnSinnSinn

oderoderoderoderoder sprecsprecsprecsprecsprechenhenhenhenhen alleallealleallealle vonvonvonvonvon einereinereinereinereiner blendendenblendendenblendendenblendendenblendenden Farbe?Farbe?Farbe?Farbe?Farbe?Ergebnisse aus den ReUse-Arbeitsgruppen

Stefan Ebelt

DasDasDasDasDas PPPPPrrrrrojektojektojektojektojekt ananananan derderderderder UniversitUniversitUniversitUniversitUniversitätätätätätDas Projekt „ReUse-Computer“ wurde vom Bundesministeriumfür Bildung und Forschung finanziert und als Kooperations- undForschungsprojekt an der Technischen Universität Berlin durch-geführt. Dieses Projekt sollte neben anderen Fragen auch dieMöglichkeiten der Wieder- und Weiterverwendung von gebrau-chter IT-Technik aufzeigen. Aus den gefundenen Antworten istder Schluss zu ziehen, dass es nicht nur ökonomisch sehr vielSinn macht, gebrauchte IT-Technik wieder einzusetzen. WennGeräte länger genutzt werden, kann dies auch einen entschei-denden Beitrag zum Umweltschutz leisten. So verbraucht dieHerstellung eines PCs eine Energie, die dem Spritverbrauch ei-ner Autofahrt von Berlin nach München vergleichbar ist. Durchdas Recycling eines PCs unter Rückgewinnung der Metalle undder thermischen Nutzung der Kunststoffe werden lediglich 13Prozent der für die Herstellung aufgewendeten Energie zurück-gewonnen. Die restlichen 87 Prozent des „energetischen Ruck-sacks“ gehen unwiederbringlich verloren, sobald der PC ent-sorgt wird.1

Zudem zeigt sich: Die Rohstoffe in komplexen Elektronikgerätensind nur ein Problem. Der immense Energieverbrauch für die ex-trem aufwendige Elektronikfertigung ist der wesentlich größereökologische Ballast, der sich durch Materialrecycling nicht redu-zieren lässt. Nur die Wiederverwendung einzelner Komponentenoder ganzer Rechner macht die Herstellung neuer Produkteüberflüssig.2

Sicherlich werden viele Waren und Dienstleistungen angeboten,die teilweise mit großem Werbeaufwand als besonders umwelt-freundlich angepriesen werden. Doch der kluge Kunde musshier Spreu vom Weizen trennen und es gibt viel Spreu in derErnte. Was zur Beurteilung der Waren bzw. Werbeaussagen fehlt,sind Informationen über die Waren, über die Herstellungsverfah-ren und neuerdings auch über den Herstellungsort. Oftmals ent-stehen merkwürdige Situationen: Eine absolut billige Ware wur-de - möglicherweise umweltschonend - hergestellt, aber die chi-nesischen Hersteller müssen die Waren noch nach Europa,Amerika und in die ganze Welt transportieren, um sie dort zu

Darum Wiederverwendung! Stefan Ebelt

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59ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

verkaufen. Durch den weiten Transport und die meist vor-industrielle Produktion haben die Käufer dieser Waren das Pro-blem mit einem geringen Kaufpreis gleich beim Produzenten ge-lassen: Die in jeder Hinsicht verschmutzte Umwelt.Das folgende Bild zeigt am Beispiel der Computertechnik, in wel-chen katastrophalen Ausmaßen in dörflichen Gegenden in Asieneine nicht nach europäischen Maßstäben stattfindende urzeitli-che Produktion aussieht!

Elektronik-Fledderer in Guiyu, China Foto: Basel Action Network

Hier wird ohne Schutz für Mensch und Umwelt der importierteMüll der Industrieländer zerlegt, verbrannt und mit Säure geätzt.Das ist die andere Seite des Konsums der Generation „Geiz-ist-geil“. Dabei ist dieser „Geiz“ von allen Alternativen, eine Ware zukonsumieren, immer die teuerste wenn die billigste Ware gekauftwird. Das wusste übrigens schon unsere Großvater-Generation!Nehmen wir an, „Geiz ist geil“ und wir kaufen einen Billigcompu-ter. Dieses Gerät wird bei normaler Beanspruchung wegen tech-nischer Mängel nur wenige Monate halten.Haben wir damit wirklich ein „Schnäppchen“ gemacht? NEIN! Esmuss nach dem Ausfall des Gerätes ein weiterer Computer an-geschafft werden – diesmal hoffentlich ein gutes und haltbaresGerät; Und der Käufer hat wieder was gelernt. Es gibt anderelohnende Alternativen: Die Wiederverwendung!

Stefan Ebelt Darum Wiederverwendung!

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60 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

DieDieDieDieDie WWWWWiederverwendbariederverwendbariederverwendbariederverwendbariederverwendbarenenenenenViele große Unternehmen tauschen ihre IT-Technik alle zwei bisdrei Jahre aus. Für diese Strategie gibt es unterschiedlicheGründe. Beispielsweise werden viele Geräte nur noch geleast.Leasingnehmer und -geber schließen Verträge, bei denen ver-einbart wird, die Hardware nach 24 bis 36 Monaten abzulösen.Der Leasinggeber vermarktet die zurückgenommenen Geräteund bietet sie den Gebrauchtgeräte-Großhändlern an. Ein weite-rer Grund für die schnelle Ablösung ist, dass die Unternehmens-leitungen wegen der starken Beanspruchung der Geräte odereinzelner Komponenten einen Hardwareaustausch vorzeitigdurchführen lassen, da man befürchtet, dass ein Ausfall höhereKosten verursachen würde, als eine Neubeschaffung.Das bedeutet jedoch nicht, dass diese zwei bis vier Jahre altenGeräte in der heutigen Zeit technisch veraltet sind. Die Rechen-leistung der Geräte ist derart hoch, dass übliche Büroaufgabenohne Abstriche an Komfort und Leistungsfähigkeit erledigt wer-den können. Geräte, die jetzt wiederverwendet werden können,gibt es mit einer Ausstattung ab 1 Gigahertz-CPU (Pentium IIIoder höher, AMD Athlon und folgende), 256 MB Arbeitsspeicherund einer mindestens 20 Gigabyte fassenden Festplatte. Derarti-ge Geräte sind auf dem Gebrauchtgerätemarkt in großen Stück-zahlen und meistens in gleichartigen Chargen vorhanden. Mankann unterteilen in einen Gebrauchtgerätemarkt, bei dem dieGeräte aus Firmen bzw. Leasingunternehmen stammen, und ei-nen Gebrauchtgerätemarkt, der weitgehend zwischen Privatleu-ten stattfindet (zum Beispiel über Zeitungen wie die „ZweiteHand“, Auktionsplattformen wie ebay, Trödelmärkte u.ä.). Imletztgenannten Fall handelt es sich bei den Computern meist umEinzelstücke.Die Preise für derartige gebrauchte Systeme liegen heute, jenach Ausstattung, zwischen 150 und 350 € und konkurrierenmit aktuellen TOP-Angeboten für Neugeräte. Die Neugeräte wer-den in den Marktsegmenten „Billig- PC“ und „hochwertige Qua-litätsware“ (Industrieware) angeboten. Bei den Billig-PCs wer-den die preisgünstigsten, technisch aktuellsten Komponentenverbaut. Die Qualität der Komponenten ist als minderwertig(Klasse B oder C) einzustufen. Häufig werden die PC-Kompo-nenten auch unter dem Logo oder dem Namen renommierterFirmen in Lizenz produziert. Ein Support der Lizenzgeber ist aberausgeschlossen und bei Garantiefällen ist nur der Verkäuferhaftbar. Im Segment „hochwertige Qualitätsware“ werden tech-nisch langlebige, hochwertige PCs produziert, die einen Einsatz

Darum Wiederverwendung! Stefan Ebelt

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61ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

unter Dauerlast über viele Jahre ohne Fehler überstehen. DiePreise der Billig-PCs nähern sich teilweise der Preisregion fürgute wiederverwendbare Hardware. Bei einem Preisvergleichfällt auf, dass der Preisvorteil eines aufgearbeiteten Gebraucht-PCs gegenüber einem neuen Qualitäts-PC mit Industriestandardimmer noch bis zu 70% des Neupreises betragen kann. In einemBeratungsgespräch ist kein wirklich wichtiger Grund zu finden,einen Billig-PC gegenüber einem wiederverwendbaren Quali-täts-PC zu empfehlen.

QualitQualitQualitQualitQualitätsstätsstätsstätsstätsstandarandarandarandarandardsdsdsdsds undundundundund ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ComputerComputerComputerComputerComputer PPPPPrüfsiegelrüfsiegelrüfsiegelrüfsiegelrüfsiegelDie potentiellen Käufer von gebrauchten Geräten sind beson-ders bedachtsam, wenn es darum geht, eine „schon gebrauchteSache“ zu kaufen und weiter zu nutzen. Unterschwellig tauchtimmer die Frage auf, ob etwas Gebrauchtes so gut sein kannoder die Bedürfnisse so befriedigen kann, wie eine neue Ware.Die Antwort lautet hier eindeutig: JA! Das setzt voraus, zu jedemZeitpunkt das Vertrauen des Käufers zu gewinnen und zu behal-ten. Um dieses Vertrauen aufzubauen, hat ReUse-ComputerQualitätsstandards entwickelt, die jedem Händler vorschreiben,wie gebrauchte IT-Technik aufzuarbeiten ist.Ein nachvollziehbares und abzuleitendes Arbeitsergebnis ausdem Projekt ist die Erkenntnis, dass gebrauchte Geräte zu prü-fen sind, wenn sie wieder verkauft werden sollen. Normalerweiseprüft ein seriöser Händler die gebrauchten IT-Geräte. Mit Hilfevon Prüfsoftware ist festzustellen, ob alle Komponenten vorhan-den sind und ob sie funktionieren. Die Qualität der Prüfung be-ziehungsweise der Prüfsoftware und der Zustand der Geräte vordem Verkauf entscheiden, ob und mit welchem Preis die ge-brauchten Geräte wieder verkauft und einer weiteren Nutzungzugeführt werden können.Der Vorgang des „refurbishing“ beginnt folgendermaßen: Zu-nächst sind die Geräte zu reinigen. Danach wird per Sichtkon-trolle geprüft, ob alle Komponenten vorhanden sind. Vorhande-ne Datenträger wie zum Beispiel Festplatten sind unwiederbring-lich zu löschen. Anschließend wird die Prüfsoftware gestartet,die möglichst alle Komponenten testet. Selbstverständlich sinddiese Tätigkeiten zu dokumentieren, um dem Käufer den Nach-weis zu führen. Prüfprotokolle können von der Prüfsoftwareselbst als weiterzuverarbeitende Datei oder als Ausdruck er-zeugt werden, der bei Bedarf manuell mit Unterschrift des Tech-nikers vervollständigt wird. Sind alle Tests erfolgreich bestandenund entsprechen dem ReUse-Computer Qualitätsstandard, darf

Stefan Ebelt Darum Wiederverwendung!

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62 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

das ReUse-Computer Prüfsiegel – eine Art TÜV-Plakette – aufden „ReUse-Computer“ aufgeklebt werden. Dabei handelt essich um einen zerstörenden Aufkleber, der sich nicht mehr ablö-sen lässt – eine Vorsichtsmaßnahme gegen mögliche Manipula-tionen.Detaillierte Informationen finden sich im Internet unter:http://www.reuse-computer.org .

Als Ausgangspunkt der Arbeitsgruppe Qualitätsstandards desReUse-Computer Projektes ist viel Zeit in die Erarbeitung einesformularmäßigen Prüfprotokolls geflossen – dem Gerätepass –welcher alle Komponenten eines Rechners aufführt und proto-kolliert. Der Gerätepass ist von jedem Techniker auszufüllen, dereinen Rechner aufbereitet und zur Wiederverwendung vorberei-tet und wenn keine Prüfsoftware oder andere Tools verwendetwerden, die alle Informationen zur Ausstattung des Rechners er-mitteln. Während des Ausfüllens sind die einzelnen Komponen-ten auf Defekte zu kontrollieren und gegebenenfalls auszutau-schen. Wird der Rechner um- oder aufgerüstet, sind die Verän-derungen sofort einzutragen. Nachdem der Rechner gesäubertund getestet wurde, hat der Techniker die Angaben mit seiner

Darum Wiederverwendung! Stefan Ebelt

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63ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Unterschrift bzw. Kürzel zu dokumentieren. Gleichfalls hat er dasKästchen ‘Test OK’ zu markieren, um in Summe zu bestätigen,das der Rechner dem technischen Stand entspricht. Der Geräte-pass ist dem Kunden auszuhändigen.

Die Arbeitsgruppe hat sich mehrere Prüftools angesehen undgetestet. Dabei haben billige Tools, Share- oder Freeware mei-stens nur 30% bis 70% der Rechnerausstattung gefunden undsind somit nicht geeignet, alle Informationen aus dem Geräte-pass automatisch einzusammeln. Aber alle Tools hatten durch-aus ihre Spezialitäten bei einzelnen Funktionen, die in den übri-gen Tools nicht oder nur sehr einfach vorkamen; Für die stan-dardmäßige und häufige Informationsbeschaffung aus Compu-tern scheiden sie für ReUse-Computer deshalb aus.Als geeignetstes Tool blieb eine Software von einem Anbieter,der mit seinem Programm eigentlich die Elektronik und Kompo-nenten von Computern prüft und lediglich als Nebenprodukteine Liste oder Datei erzeugt, wie der Computer ausgestattet ist.Für den Qualitätsstandard von ReUse-Computer wird nicht vor-geschrieben, welche Software zu verwenden ist, um Informatio-nen aus einem Computer zu erfahren, sondern nur, das die obenim Gerätepass abgebildeten Informationen zuverlässig ermitteltwerden müssen.Als weitergehende Überlegung hat sich der ReUse-ComputerVerein dazu entschlossen, eine Datenbank mit den Gerätedatenanzulegen. Jedes Gerät, welches ein ReUse-Computer Prüfsie-gel erhält, ist mit seinen Ausstattungsdaten in der globalenDatenbank zu erfassen. Diese Datenbank ist allen Händlern ingeschützten Bereichen zugängig, jedoch können die Daten nurabgerufen werden, wenn die auf dem Prüfsiegel vergebene Iden-tifikationsnummer mit einer zusätzlichen Sicherheitsangabe ein-gegeben wird. Auch der Käufer eines Gerätes hat lesenden Zu-griff auf die Daten seines Computers in der Datenbank. Somit isteine vollkommene Transparenz der wiederverwendeten Gerätegeschaffen, ganz so, wie diverse große Computerunternehmenebenfalls eine Gerätedatenbank angelegt haben, indem derServicetechniker die Ausstattung nachschlagen kann.ReUse-Computer hat nicht nur für Computer Qualitätsstandardsaufgestellt; Ebenso wichtig sind Angaben auch für externe Gerä-te wie Monitor, Drucker etc. Eine Checkliste wird im Folgendengezeigt. Alle ReUse-Mitglieder halten sich an diese definiertenKriterien.

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ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-PPPPPrüfsiegelrüfsiegelrüfsiegelrüfsiegelrüfsiegelDie Erfüllung der ReUse-Kriterien berechti-gen zur Verwendung des ReUse-Prüfsiegels– Jedes Gerät, das dieses Label trägt, ent-spricht den ReUse-Kriterien.

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ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ComputerComputerComputerComputerComputer undundundundund diediediediedie VDVDVDVDVDIIIII-----RicRicRicRicRichtliniehtliniehtliniehtliniehtlinie 23432343234323432343Mit den von ReUse-Computer erarbeiteten Qualitätsstandardsund dem weiter unten gezeigten Ablaufplan zur Herstellung vonwiederverwendbarer Computerhardware ist ReUse-Computer einweites Stück auf dem Weg zur VDI-Richtlinie 2343 (Recyclingelektr(on)ischer Geräte) Blatt 5 gegangen. Auf dem von ReUse-Computer am 31.03.2004 durchgeführten Symposium hat derObmann des VDI Herr Dr.-Ing. Ralf Brüning einen Vortrag gehal-ten, wurde auf ReUse-Computer aufmerksam und hat herzlichzur Mitarbeit an der Überarbeitung der Richtlinie besonders desBlattes 5 eingeladen.Der VDI (Verein Deutscher Ingenieure) erarbeitet Regeln für denaktuellen Stand der Technik und bietet somit für alle Gebiete derTechnik national wie international ein umfassendes Regelwerk.Der VDI arbeitet eng mit dem DIN (Deutsches Institut für Nor-mung e.V.) zusammen, das bemüht ist, ein einheitliches Deut-sches Normenwerk zu erstellen. Dem Unternehmen und jedemInteressierten können auf diese Weise Informationen über denStand der Technik geboten und deren sachgerechte Anwen-dung empfohlen werden. Die einzelnen VDI-Richtlinien werdenvon Fachgruppen erarbeitet, die aus ehrenamtlich tätigen undsachkundigen Personen zusammengesetzt sind und aus allenBereichen des Lebens kommen. Eine Richtlinie kann zur ge-naueren Beschreibung in mehrere Blätter gegliedert werden, dieeinzelne Themen detailliert ausführen. Nach der Erarbeitung ei-ner VDI-Richtlinie werden sie nach Abstimmung mit allen inter-essierten Kreisen veröffentlicht. Ziele von VDI-Richtlinien kön-nen sein:• Richtungsweisende Arbeitsunterlagen und Entscheidungs-

hilfen• Beschreiben des Standes der Technik laufender und zukünf-

tiger Entwicklungen• Behandeln technisch-wissenschaftlicher und technisch-wirt-

schaftlicher Fragen• Aufstellen von Beurteilungs- und Bewertungskriterien• Fördern von Erfahrungsaustausch und Technologietransfer• Impulsgeber für technische Entwicklungen und Ordnungs-

prinzipien• Einordnen in den Rahmen der nationalen, übergeordneten,

insbesondere harmonisierten europäischen und internatio-nalen Regelsetzung.3

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Die VDI-Richtlinie 2343 wird erstellt von der VDI-Koordinie-rungsstelle Umwelttechnik (VDI-KUT), FB 6 (Wirtschaften inKreisläufen und Stoffstrommanagement), Ausschuss 2 – Recyc-ling, Richtlinienausschuss VDI 2343 (Recycling elektr(on)ischerGeräte). Bisher war diese Richtlinie in vier so genannte Blättereingeteilt:11111..... GrundlagenGrundlagenGrundlagenGrundlagenGrundlagen Übersicht, Begriffe, Definitionen, Bewertungen2.2.2.2.2. ExterneExterneExterneExterneExterne undundundundund interneinterneinterneinterneinterne LLLLLogistikogistikogistikogistikogistik Extern: Hol- und Bringsys-

teme; Intern: Warenannahme, Zwischenlagerung, Lagerungund Informationsfluss

3.3.3.3.3. DemontDemontDemontDemontDemontageageageageage undundundundund AufberAufberAufberAufberAufbereitungeitungeitungeitungeitung manuelle, mechanisierte undautomatisierte Demontage; Aufbereitung durch Zerkleine-rungstechniken, Klassier-, Sortier- und Trennverfahren; Me-tallrückgewinnung

4.4.4.4.4. VVVVVermarktungermarktungermarktungermarktungermarktung Recht, technische Kriterien und ökonomischeKriterien (Strategien und Märkte)

Diese Einteilung hat sich bei der Überarbeitung der Richtlinie(Beschluss vom 21.10.2003) geändert. Die neue Gliederung siehtnun wie folgt aus:11111..... GrundlagenGrundlagenGrundlagenGrundlagenGrundlagen Übersicht, Begriffe, Definitionen, Bewertungen2.2.2.2.2. Externe und interne LExterne und interne LExterne und interne LExterne und interne LExterne und interne Logistikogistikogistikogistikogistik Extern: Hol- und Bringsys-

teme; Intern: Warenannahme, Zwischenlagerung, Lagerungund Informationsfluss

3.3.3.3.3. BehandlungBehandlungBehandlungBehandlungBehandlung Demontage und Aufbereitung4.4.4.4.4. VVVVVerwertungerwertungerwertungerwertungerwertung Betrachtung von Materialfraktionen oder verfah-

rensbezogene Betrachtungsweise5.5.5.5.5. ReUseReUseReUseReUseReUse Klärung von Rechtsfragen und normativen Vorgaben

wie nationale Umsetzung der WEEE, technische und ökono-mische Aspekte des ReUse sowie Chancen auf den Absatz-märkten

ReUse-Computer hat sich seit der Überarbeitung der Richtlinieselbst am Blatt 5 ‚ReUse elektrischer und elektronischer Geräte’in unterschiedlicher Personenbesetzung beteiligt. Als Zuarbeitstellt ReUse-Computer einen Ablaufplan zur Verfügung, der dieVorgänge bei der Annahme, Prüfung, Auf- und Umrüstung vonComputern sowie deren Wiederverwendung darstellt.

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Nach Test, Daten-löschung und Reini-gung wird die Hard-ware erfasst und in-nerhalb des Betrie-bes weiter verarbei-tet, aufbereitet oder(je nach Erfordernis)auch aufgerüstet.

Prüfbericht undSeriennummergehören zurReUse-Hardware.Die technischenDaten werden ineiner bundeswei-ten Datenbankfür den Supportbereitgehalten.

Kernstück der ReUse-Quali-tätssicherung ist die Verbin-dung professioneller Testver-fahren mit der Erfahrung undSorgfalt der EDV-Händler.Bereits nach dem Warenein-gang wird die Hardware aufHerz und Nieren geprüft – dasspart im innerbetrieblichenProzess Zeit und Kosten !

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RicRicRicRicRichtightightightightig InvestierInvestierInvestierInvestierInvestierenenenenen ––––– Neu,Neu,Neu,Neu,Neu, LLLLLeasingeasingeasingeasingeasing oderoderoderoderoder WWWWWiederverwendeniederverwendeniederverwendeniederverwendeniederverwenden ?????Zur kostengünstigen Modernisierung der IT-Technik erarbeiteteeine Arbeitsgruppe von ReUse-Computer Lösungen, die vonzwei Seiten an das Problem herangehen: Softwareseitig in Rich-tung Open Source und hardwareseitig durch die Wiederverwen-dung von Qualitätsgeräten. Was veranlasst ein Unternehmenoder eine Verwaltung im öffentlichen Dienst, neue Wege bei derIT-Ausstattung zu gehen? Eine Antwort liegt im Argument derKostenersparnis. Das Geld für Neu- und Ersatzinvestitionen istsehr knapp geworden. Deshalb müssen die knappen Ressour-cen möglichst optimal verwendet werden.Das Beratungskonzept, das die Arbeitsgruppe von ReUse-Com-puter entwickelt hat, beginnt mit einem Vorgespräch, das die Po-tentiale in Unternehmen und Behörden ergründet. Neben einerBestandsaufnahme der EDV werden bei der Analyse auch Pro-bleme in der Betriebsorganisation und -struktur sowie Störfakto-ren ermittelt. Diese Erkenntnisse werden bei der IT-Technik be-rücksichtigt, die möglichst einheitlich und kontinuierlich in dergesamten Behörde beziehungsweise im gesamten Unterneh-men eingeführt, konsolidiert und für einen langfristig optimalenEinsatz ausgerichtet wird.Eine Analyse der vorhandenen IT-Technik, die in öffentlichenVerwaltungen oder klein und mittelständischen Betrieben zumEinsatz kommt, zeigt Erstaunliches: In vielen Fällen arbeitennoch Generationen von alten Rechnern der Klasse 486er bisPentium II in nennenswerter Stückzahl. Auf diesen Rechnernlaufen unangetastete DOS- oder Windows 3.11-Programme, dieklaglos ihre Arbeit tun. Daraus ergeben sich mindestens zweiwachsende Probleme: Diese Geräte können kaum mehr wieder-verwendet werden, da es für derart alte Geräte nur noch Einzel-lösungen gibt, beispielsweise zum Einsatz als Printserver, alsRouter oder als Firewall. In der Folge müssen diese Geräte als‚Schrott’ entsorgt werden oder kommen bestenfalls als Er-satzteilspender in Frage. Ein weiteres, schwerwiegenderesProblem stellt die fehlende Wettbewerbsfähigkeit dar: Mit alterRechentechnik, die nicht mehr über die benötigten Komponen-ten oder Leistungsstärken verfügt, kann kein Unternehmen undkeine öffentliche Verwaltung moderne Arbeit leisten.In diesen Fällen empfiehlt sich eine sofortige Ersatzbeschaffung.Bei klein- und mittelständischen Unternehmen lohnt es sichdurchzurechnen, was es kostet, gute gebrauchte IT-Technik ein-zusetzen. Diese Technik ist dann mindestens so lange lauffähigwie die Laufzeit eines neuen Leasingvertrags.

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Für öffentliche Verwaltungen und Einrichtungen kommt eigent-lich nur ein Wiederverwenden in Frage, da die oben beschriebe-nen gebrauchten Qualitätsgeräte noch weitere drei bis fünf Jah-re Lebenserwartung haben. Darüber hinaus ist zu erwarten,dass sich die finanzielle Situation der öffentlichen Kassen in dennächsten Jahren nicht dramatisch verbessern wird. Die knappenBudgets werden Neugeräteanschaffungen nur in besonderenFällen erlauben, beispielsweise wenn dem Bürger moderne Lei-stungen wie das eGovernment angeboten werden sollen. Aberselbst in diesen Fällen reichen die gebrauchten wiederverwend-baren Rechner aus.

ErneuernErneuernErneuernErneuernErneuern ––––– aberaberaberaberaber wie ?wie ?wie ?wie ?wie ?Die wirtschaftliche Lage vieler kleiner Betriebe, mittelständischerUnternehmen und der öffentlichen Verwaltung verhindert um-fangreiche Investitionen in die Informationstechnik, obwohl die-se notwendig wären. Stattdessen behilft man sich oft mit kurz-und mittelfristigen Alternativen. Dabei werden Provisorien ge-schaffen, die sich erfahrungsgemäß oftmals zu einem Dauerzu-stand entwickeln. Für einen Unternehmens- und EDV-Berater istes ein Fest, derart undurchsichtige Installationen und Zuständeneu zu Konzeptionieren und dem Auftraggeber die Veränderun-gen und Kosteneinsparungen zu demonstrieren.Das Potential der Kosteneinsparungen lässt sich mit einer um-gekehrten Pyramide gut verdeutlichen. Am wenigsten Aufwandund Kosten verursacht es, HarHarHarHarHardwardwardwardwardwareveränderungeneveränderungeneveränderungeneveränderungeneveränderungen durchzu-führen und z.B. neue Computer anzuschaffen. Der Nutzen durchdie neue Hardware wird von ‚nicht merkbar’ bis ‚ich kann vielschneller arbeiten’ gehen. Sicherlich wird Arbeitszeit gespart,die monetär in die Kostenrechnung einfließt, wenn die Arbeit amComputer oder anderer IT-Technik schneller vonstatten geht.Doch der Aufwand- und Ertragsfaktor dürfte klein sein und aufdrei Jahre gerechnet auch nicht relevant auf Firmenentschei-dungen Auswirkungen haben. Nur wenn gute gebrauchte Mar-kentechnik gekauft wird, lassen sich Kostenspareffekte rechtdeutlich nachweisen. Als Beispiel soll angeführt werden, dassein mittelständisches Unternehmen eine Abteilung mit siebenArbeitsplatzcomputern neu ausstattet und an das vorhandeneNetzwerk anschließt. Die Kosten sind mit ca. 7.000 € bei Neu-geräten – mit ca. 3.000 € bei Gebrauchtgeräten – für Kauf undInstallation im Rahmen. Die übrigen Kosteneinsparungen lassensich kaum abschätzen.

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Anders sieht das bei SoftwarSoftwarSoftwarSoftwarSoftwareveränderungeneveränderungeneveränderungeneveränderungeneveränderungen aus – egal obKleinbetriebe, Unternehmen oder öffentliche Verwaltung. Um indiesem Bereich Veränderungen vorzunehmen, müssen tiefer ge-hende Überlegungen angestellt werden: derart, welche Softwaregibt es überhaupt, was kostet die neue Software, sind Updatesder vorhandenen Software verfügbar oder können alle software-technischen Bedürfnisse auch mit lizenzkostenfreier Softwarebefriedigt werden? Ziel einer Änderung der Softwarelandschaftist Kosten zu sparen oder neue Funktionalität zu erlangen. Wennbeides gleichzeitig erreicht werden kann, hat man das Optimumaus dieser Konstellation erreicht. Beispiel: Eine Abteilung eineröffentlichen Verwaltung möchte alle 55 Arbeitsplätze auf kosten-freie professionelle Software umstellen. Linux ist dann das Zau-berwort – mit Recht! Ein zuvor angefertigtes Softwarekonzeptbeschreibt, welche alte Software auf welchem Arbeitsplatz in-stalliert ist und ob sie erneuert oder abgelöst werden soll. DasKonzept beschäftigt sich mit den genannten Fragen, entwirft Al-ternativlösungen und beschreibt, wie diese praktisch umgesetztwerden können.Wenn mehr als Hard- und Software verändert werden soll, er-reicht man im Schaubild die nächste Ebene der Pyramide, dieEEEEEDDDDDVVVVV-----BeratungBeratungBeratungBeratungBeratung. Reicht es nicht aus oder ist mehr gewollt, alsnur Software auszutauschen, dann sollte die gesamte IT-Technikuntersucht und neu konzipiert werden. Dabei wird das EDV-Kon-zept meist unterteilt in Grob- und Feinkonzept, in welchem fest-gehalten wird, wie die Ist-Situation aussieht und welchen Zielzu-stand man erreichen will (Soll-Zustand). Daran ausgerichtet wirddie Software ausgesucht und der Einsatz geplant. Im Zusam-menhang mit der Software wird die Hardware verglichen und diegeeignetsten Geräte empfohlen. Beispiel: Für ein mittelständi-sches Unternehmen soll die komplette IT-Technik samt der Ser-

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ver umgerüstet werden, neue Sicherungsmedien eingebaut, dasNetzwerk verbessert, neue und alte Arbeitsplätze eingerichtetund eine neue interne Kommunikation über Intranet installiertwerden. Derartig umfangreiche Arbeiten können ein Kosten-volumen von über 5 bis 6-stelligen Eurobeträgen annehmen undmüssen genau durch einen Zeitplan definiert sein. Die Umstel-lungen dürfen das Tagesgeschäft der Mitarbeiter im Unterneh-men so wenig wie möglich beeinflussen.Hat sich die Geschäftsleitung zu einer EDV-Beratung durchge-rungen, bleibt es meistens nicht nur bei der beschriebenen EDV-Umstellung. Fast immer begleitet eine UnternehmensberatungUnternehmensberatungUnternehmensberatungUnternehmensberatungUnternehmensberatungdie Veränderungen, bzw. eine Unternehmensberatung ist derAuslöser für die umfangreichen Arbeiten an der Unternehmens-IT. In die EDV-Beratung fließen die Erkenntnisse der Unterneh-mensberatung ein, da in dem Gesamtkonzept nicht nur IT-Tech-nik eine Rolle spielt, sondern auch die Änderung von Arbeitswei-sen, das Umorganisieren der Arbeitsplätze, die Erweiterung derUnternehmenstätigkeit, Umstellung oder Änderung von Produk-tions- oder Dienstleistungsabläufen und die Einarbeitung vonlangfristigen Unternehmensstrategien.

DieDieDieDieDie BescBescBescBescBeschaffungssituationhaffungssituationhaffungssituationhaffungssituationhaffungssituation beibeibeibeibei öffentlicöffentlicöffentlicöffentlicöffentlichenhenhenhenhen VVVVVerwaltungenerwaltungenerwaltungenerwaltungenerwaltungenEin großes Hindernis für den Einsatz von wiederverwendbarerIT-Technik in der öffentlichen Verwaltung stellen die Gepflogen-heiten bei Ausschreibungen dar. Diese beinhalten häufig techni-sche Einzelheiten und kleinste Details, die eine Angebotsab-gabe mit wiederverwendbarer IT-Technik praktisch ausschlie-ßen. Beispielsweise kann kein konkurrenzfähiges Angebot fürgebrauchte IT-Technik abgegeben werden, wenn eine Aus-schreibung die Vorgabe enthält, dass der Rechner mit demneuesten Motherboard XY4711 ausgerüstet sein muss, das vorzwei Monaten auf den Markt gekommen ist. Das würde einekomplette Demontage der Gebrauchtgeräte, den Austausch derRechnerplatine und die Montage der geforderten Rechner-platine bedeuten. Die Kosten für diese Umrüstung würden dasAngebot vollkommen überteuern, mit der Folge, dass der Bewer-ber aus dem Kreis der Anbieter ausscheiden würde.Weitere behindernde Gründe sind lange Garantiefristen von5 Jahren, die auch nach neuem Gewährleistungsrecht weit überdas Ausmaß des Normalen hinausgeht. Ursache dafür ist diekameralistische Buchhaltung der öffentlichen Körperschaften,bei der zwar ein (auch größeres) Budget für IT-Technik einge-plant ist, aber nicht oder nicht in ausreichendem Umfang für die

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Wartung und Pflege. Mit dem Anspruch, eine langjährige Garan-tie mit dem Kauf von Neuware zu erwerben, werden die Kostenvermengt und eine genaue Abgrenzung zum Gerätepreis un-möglich. Auch gebrauchte Markenware hat eine lange Lebens-erwartung, z.T. ist die Garantie noch nicht einmal abgelaufen.Sollte tatsächlich ein Computer ausfallen, könnte ein Ersatzgerätaus einer 4%igen Überlieferung ausgetauscht werden, ohne an-dere Modelle in die Arbeitsumgebung einzuführen.Wenn eine Verwaltung hunderte oder gar tausende von Compu-tern benötigt, müssen die Computer natürlich administriert wer-den. Die Administratoren erleichtern sich ihre Arbeit dadurch, je-weils immer große Stückzahlen gleichartiger Computer zu kau-fen, da die Installationen generalisiert werden können und nichtauf verschiedene Computertypen angepasst werden müssen.Scheinbar orientieren sich Administratoren aber nicht an dem,was benötigt wird sondern an der neuesten Technik, die auf demMarkt beim Stammlieferanten zu haben ist. Alternativen von Lie-feranten, die gebrauchte Markencomputer ebenfalls in großenStückzahlen liefern können, werden bisher nur sehr seltenwahrgenommen.Die Ausschreibungspraxis muss deshalb derart umgestaltetwerden, dass die beabsichtigte Nutzung beziehungsweise die zuinstallierende Software angegeben wird. Technische Details dür-fen nicht dazu führen, dass Anbieter mit wiederverwendbarer IT-Technik, die diese Leistungsanforderungen erfüllt, benachteiligtwerden. Die Einführung von PC-Leistungsklassen zur Abschät-zung der Leistungsstärke würden der Wiederverwendung dieTüren öffnen. Der Effekt wäre, dass die Ausgaben für Neu-beschaffungen durch den geringeren Preis bei gebrauchter IT-Technik sinken würden und somit Geld für andere beziehungs-weise weitere Neubeschaffungen zur Verfügung stehen würde.Neben diesen Gründen gibt es noch weitere, wie die Angst, ge-brauchte Geräte müssten öfters repariert werden oder der Liefe-rant der gebrauchten Geräte existiert nicht lange oder derBeschaffungsvorgang ist sehr beschwerlich und viele entschei-dende Stimmen beschließen, wer den Auftrag erhält. Aber eslohnt sich in jedem Falle, neue Wege zu gehen – und Geld ge-spart wird dabei auch ordentlich!

OpenOpenOpenOpenOpen SourSourSourSourSourcecececece undundundundund MigrationMigrationMigrationMigrationMigrationUm langfristig Investitionskosten zu sparen und mit zwangswei-se kleineren Budgets auszukommen, bietet sich für Kleinbetrie-be, Unternehmen und öffentliche Verwaltung eine Migration (ein

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Wechsel) auf lizenzkostenfreie Software an. Diese sogenannteOpen Source Software (OSS) besitzt den Vorteil, dass viele Ent-wickler weltweit daran arbeiten und auf diese Weise eine pro-prietäre Entwicklung vermieden wird. In Deutschland und Euro-pa ist die Distribution des Linux-Betriebssystems von Novell-SuSE (z.Zt. Version 9.3) weit verbreitet. Gegenüber dem Be-triebssystem Microsoft Windows kostet eine vergleichbareLinux-Version annähernd ein Viertel des Preises, wobei in einerLinux-Distribution gleichfalls Bürosoftware und andere, sonstzusätzlich zu erwerbende Software enthalten ist. Diese Ausstat-tung ermöglicht weitere Kosteneinsparungen. Nach dem letztenKenntnisstand (Juli 2004) und nach Rücksprache mit der SuSELinux AG dürfen Unternehmen mit einer einzelnen SuSE Profes-sional-Lizenz das Betriebssystem Linux auf allen Computern imUnternehmen installieren, ohne dass weitere Kosten anfallen.Von besonderem Vorteil ist der Einsatz der kostenlosen Software„Open Office“. Diese enthält unter anderem Textverarbeitungund Tabellenkalkulation und ist auf allen Betriebssystemen wieWindows, Linux oder SUNSolaris lauffähig. Dadurch kann die-ses Officepaket geschlossen in ganzen Abteilungen eingesetztwerden, ungeachtet einer heterogenen Betriebssystemstruktur,die dort unter Umständen anzutreffenden ist. Eine auf die Abtei-lung bezogene, schrittweise Migration kann so leichter umge-setzt werden.Eine Migration kann in verschiedenen Varianten durchgeführtwerden: Unter einer ablösenden Migration wird der Wechsel desHerstellers beziehungsweise der Produktlinie verstanden, zumBeispiel der Wechsel von Windows-Anwendungen und -Dien-sten sowie windowsbasierten Systemumgebungen hin zu OSS(Open Source Software) oder COLS-Plattformen (CommercialLinux Software). Beispiele hierfür sind der Wechsel vonWindows NT hin zu Linux, von MS-Office hin zu Open Office, vonMSSQL-Server hin zu MySQL oder Oracle.Unter einer fortführenden Migration ist die Fortführung der Pro-duktlinie, der Wechsel zu einer anderen / höheren Version desgleichen Produktes zu verstehen. Beispiele hierfür sind die Mi-gration von Windows NT zu Windows XP, von MS-Office 97 zuMS-Office 2003 oder von SuSE Linux 7.0 zu SuSE Linux 9.3.5

Die Wahl des Migrationsweges, also eine schnelle oder einesanfte Migration, wird durch mehrere Faktoren bestimmt. Ent-scheidend hierbei ist, ob es technisch möglich ist, heterogeneSystemumgebungen weitgehend problemlos aufzubauen undzu betreiben. Unter Umständen haben Unternehmen und Behör-

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den nur so die Chance, bei einer sanften Migration einzelneKomponenten aus ihrer IT-Landschaft durch Open Source Soft-ware oder kommerzielle Software für Linux zu ersetzen.Schnelle Migration bedeutet eine vollständig ablösende Migrati-on in einem Stück. Dies macht unter Einhaltung der Wirtschaft-lichkeitsprinzipien vor allem dann Sinn, wenn IT-Infrastrukturenund -Systeme bereits eine hohe Unix-/Linux-Durchdringungaufweisen oder wenn in den Unternehmen und Behörden eingrößerer Modernisierungsbedarf vorliegt.In der Regel sind sanfte Migrationen der sinnvollere Weg. Diesewerden in bis zu drei Stufen durchgeführt und setzen sich ausTeil- und / oder punktuellen Migrationen zusammen. Sanfte Mi-grationen eröffnen die Möglichkeit, fehlendes Know-how beineuen Techniken langsam aufzubauen und die Administratorenund die Benutzer allmählich an die neuen Techniken und Umge-bungen heranzuführen.5

Unabhängig vom gewählten Migrationsweg gilt es, die kritischenErfolgsfaktoren zu beachten, wenn eine Migration erfolgreich zuEnde geführt werden soll. Hierzu zählen die notwendigen Vorbe-reitungen, die Maßnahmen zur Informationsverbreitung, dieSchaffung von Nutzerakzeptanz, die notwendigen Schulungen,die Aufgaben der Führungsebene oder die Projektorganisationganz allgemein.Wir sehen, dass eine Migration einen rein softwaretechnischenBezug hat. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass mit derSoftwareumstellung gleichfalls die Hardware ausgetauscht wird.Ein Hardwareaustausch ohne Veränderung (Migration/Update)der darauf laufenden Software macht aus leicht ersichtlichenGründen keinen Sinn: Werden Computer ausgetauscht, mussauch die Software neu installiert werden.Wenn es auch für fast jeden Bedarf und jede Anforderung ad-äquate Lösungen gibt, so ist ein Wechsel von alt Bekanntem hinzu Neuem in den meisten Fällen mit Schwierigkeiten und häufigmit subjektiven Eindrücken verbunden. Grundsätzlich gilt fürbeide Migrationswege, dass auf die Systemplaner und Admini-stratoren viel Neues zukommt. Dies gilt auch für die Benutzer,wobei die Änderungen für diese in der Regel weniger auffallendsind.5

IntegrationIntegrationIntegrationIntegrationIntegration vonvonvonvonvon FFFFFacacacacachverfahrhverfahrhverfahrhverfahrhverfahrenenenenenIm Falle von Behörden müssen im Zuge einer Migration zusätzli-che Anforderungen für die laufenden Fachverfahren beachtetwerden. Um zu gewährleisten, dass eine Abteilung die speziellen

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Fachverfahren, die zur Zeit meistens unter Windows laufen, ord-nungsgemäß weiternutzen kann, gibt es die Möglichkeit, einzel-ne Windows-Clients in das Linux-Netz zu integrieren oder einespezielle Simulationssoftware einzusetzen. Wenn an bestimmtenArbeitsplätzen ausschließlich windowsbasierte Fachanwen-dungen eingesetzt werden, können diese Arbeitsplätze alsWindows-Clients über einen Sambaserver (Bestandteil derSuSE-Linux Distribution) in das Linux-Netzwerk eingebundenwerden. Samba läuft auf einem Linux-System und erlaubt dabeiWindows, Dateien und Drucker auf dem Linux-Host zu benutzen.Desgleichen können Linux-Benutzer auf Ressourcen zugreifen,die durch Windows-Systeme freigegeben wurden.Eine brauchbare Alternative zu Terminalservern (Citrix, u.a.) isteine Emulationssoftware. Unter diesem Begriff sollen die Pro-gramme wie Wine, coLinux, VirutalPC, VMware und dergleichengesammelt werden. Speziell VMware erringt immer mehr Auf-merksamkeit, wenn es darum geht, Windows- und Linuxweltenmiteinander zu verbinden. Dabei emuliert VMware nichtWindows oder Linux, sondern bildet unter dem jeweiligen ande-ren System einen kompletten Rechner softwaretechnisch nach.Das funktioniert so gut, das Anwendungen nur unwesentlichlangsamer laufen, als wenn sie auf einem originalen Betriebssy-stem installiert wären.Auf einem Linuxrechner können unter Verwendung von VMwaredie Betriebssysteme Windows 98 bis Windows XP installiert wer-den. Diese verhalten sich dann so, als wären sie originär aufeinem Rechner installiert. Die jeweiligen Fachanwendungenmerken von dem ‚vorgetäuschten Windows’ nichts und könnenganz normal ablaufen. Bei VMware gibt es jedoch auch die an-dere Richtung: Auf einem Windowsrechner wird VMware instal-liert und mit dessen Hilfe kann Linux installiert werden.Für beide Lösungsansätze gibt es Vorteile: Der eine Ansatz soll-te angewendet werden, wenn begonnen wird, von Windows wegzu Linux zu migrieren. Dabei erhält man die Windowssystemum-gebung solange, wie Fachverfahren noch unter Windows undnicht direkt unter Linux laufen können und erkauft sich das mitDoppellizenzen für Windows, VMware und (in geringem Maße)Linux. Beim anderen Lösungsansatz benötigt man nur noch so-viel Windowslizenzen, wie sie wirklich gerade für Fachverfahrennotwendig sind und wendet diese Lösung meist am Ende einerMigration solange an, bis keine oder nur noch sehr wenige An-wendungen Windows benötigen.Auch unter Linux wird daran gearbeitet, Fachanwendungen zu

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programmieren beziehungsweise zu portieren; Die ersten Fach-anwendungen unter Linux sind fertiggestellt. Die Initiative „LinuxKommunale“ hat für diverse Verwaltungsbereiche schon Fach-anwendungen unter Linux zum Laufen gebracht. Verfügbar sindzum Beispiel Fachanwendungen für Anlagenbuchhaltung undVermögenserfassung, Backup-Software, Finanzbuchhaltung,Formularwesen, Gewerbesteuer, Reportingsystem, Steuern undAbgaben. Weitere werden folgen.6

Ungeachtet der Bemühungen der Softwareentwickler, ihre Pro-gramme von Windows nach Linux zu portieren oder neu zu ent-wickeln, sollte die Möglichkeit des Intranets nicht aus den Augenverloren werden. Was ist ein Intranet? Der Begriff Intranet sorgtimmer wieder für Verwirrung. Häufig ist nicht so recht klar, wodenn nun der eigentliche Unterschied zwischen dem Internetund einem Intranet besteht. Im Grunde ist ein Intranet nichts an-deres als ein Netzwerk (LAN oder WAN), in dem die Technik desInternets zum Datentransfer und der Datenanzeige bzw. -eingabeangewendet wird. In einer Systemumgebung, die mit verschiede-nen Rechnertypen und Betriebssystemen ausgestattet ist, stelltdiese Internetfunktionalität eine plattformübergreifende Basiszur Verfügung. Ein Intranet ermöglicht es also, allen angeschlos-senen Arbeitsstationen alle Informationen unabhängig von derjeweiligen Rechnerarchitektur anzubieten (Dateneingabe undAnzeige wie bei einer Internetseite). Das funktioniert deshalb sogut, weil ein beliebiger Browser lediglich das weit verbreitetehtml-Dateiformat anzeigen muss und dieses Format keinen pro-pritären Charakter hat. Gleichzeitig können Informationen auchsehr einfach der Öffentlichkeit im Rahmen einer Anbindung desIntranets an das Internet angeboten werden, da die Basis beibeiden identisch ist!Bisher wurden Verfahren und Möglichkeiten beschrieben, beidenen die Leistungsfähigkeit von ReUse-Computern vollkom-men ausreicht. Diese Aussage erstreckt sich auch auf die Ver-fahren der digitalen Sicherheit und ähnlicher Anwendungen, diein Zukunft verwendet werden. Geräte wie „Card Reader“ oderFingerabdruckscanner belasten nicht die Arbeitsgeschwindig-keit von ReUse-Computern.Da für eGovernment Daten in elektronischer Form via Internet(Intranet) zu erfassen oder für die elektronische Verarbeitung(Elster-Finanzämter) aufzubereiten sind, müssen diese Datenumfangreich gesichert werden, zum Beispiel mittels digitaler Si-gnaturen. Es muss Software eingesetzt werden, die zu entwik-keln oder anzupassen ist und auch unter scharfen Sicherheits-

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aspekten zuverlässig funktioniert. Bisherige Fachverfahren sinddaraufhin zu prüfen, ob oder durch welche Software die Inter-netfähigkeit hergestellt werden kann. Dafür ist nach Muster-lösungen bei Bund und Ländern zu recherchieren oder es sindLösungen zu begutachten, die entweder nicht vollständig odermehr als die geforderten Aufgaben abdecken.

DerDerDerDerDer ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ComputerComputerComputerComputerComputer RolloutRolloutRolloutRolloutRolloutEin klassischer Rollout wird heutzutage von fast jedem Com-puterhersteller durchgeführt. Ein Rollout ist ein Austausch vonalter zu neuer Hard- und Software, somit also die Stufe 4 und 3der oben erklärten Nutzen-Aufwand-Pyramide. Neue IT-Lösun-gen schnell, zuverlässig und möglichst störungsfrei in den Ta-gesablauf des Unternehmens oder einer Behörde zu integrieren,setzt voraus, dass die damit verbunden Rollout- Prozesse quali-fiziert geplant und umgesetzt werden.Eine Arbeitsgruppe von ReUse-Computer hat eine neue Metho-de entwickelt, mit der man umfassende Rollouts erfolgreich um-setzen kann. Die Qualität des Konzeptes und die Umsetzung ba-sieren darauf, dass die Berater die Prozessabläufe im Unterneh-men genau kennen, über das Know-how und die Kompetenzenverfügen, um neue IT-Lösungen optimal in gewachsene IT-Um-gebungen zu integrieren und die ausgebaute IT-Technik entwe-der einer Wiederverwendung oder der Entsorgung zuzuführen.Die Unternehmen beziehungsweise öffentlichen Verwaltungenerhalten durch die professionelle und vollständig kontrollierteUmstellung Freiräume, um sich auf Ihre tägliche Arbeit zu kon-zentrieren. Im Folgenden wird das ReUse-Computer Rollout-Konzept dargestellt.Bei einem klassischen Rollout wird die gesamte Hard- und Soft-ware gegen Neuware ausgetauscht und die ausgebaute IT-Tech-nik üblicherweise verschrottet. Diesen Unsinn wollte die Arbeits-gruppe bei ReUse-Computer beenden. Deshalb wurde in vielenDiskussionen ein überarbeitetes und neuartiges Konzept zurDurchführung eines Rollouts erarbeitet.Neuartig an dem Konzept ist die „Vor- und Nacharbeit“. Die vor-handene Hardware wird von kompetenten Mitarbeitern begut-achtet und bewertet. Die Begutachtung ergibt, welche Geräteausgetauscht werden müssen, welche Geräte noch verwendet,aber an anderen Arbeitsplätzen aufgestellt werden sollen, undwelche Geräte unverändert bleiben. Das gleicht einer Inventurder IT-Technik, bei der festgehalten wird, welche Geräte an wel-chem Arbeitsplatz stehen. Aus diesen Informationen (Ist-Zu-

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stand) wird die Inventarisierung erstellt. Danach wird ein Instal-lationsplan (Soll-Zustand) erstellt, der angibt, an welchem Ar-beitsplatz welcher Computer wann zu installieren ist. Dabei ist zuberücksichtigen, dass der Tagesbetrieb der Mitarbeiter so wenigwie möglich beeinflusst werden darf. Aus Ist- und Soll-Zustandwird der Bedarf an neuer oder gebrauchter IT-Technik ermittelt.Gleichfalls ergibt sich damit die IT-Technik, die nicht mehr imBetrieb eingesetzt wird. Diese Geräte werden noch einmal vonkompetenten Mitarbeitern untersucht und festgestellt, ob eineWiederverwendung möglich ist oder die Geräte wirklich ver-schrottet werden müssen. Bei Projektbeginn wird die Hardwarenach dem Installationsplan angeschafft, ausgetauscht und ab-geholt. Die Geräte, die an anderen Arbeitsplätzen verwendetwerden sollen, werden nach Aufarbeitung und/oder erforderli-cher Aufrüstung umgestellt. Nicht mehr benötigte, aber nochverwendbare Hardware wird der Wieder- und Weiterverwendungzugeführt. Das Projekt wird mit einer Endabnahme abgeschlos-sen. Die Besonderheit dieser Vorgehensweise besteht in der op-timierten Bedarfsplanung. Somit wird jeder Rollout individuell aufden Kunden zugeschnitten und auch klein- und mittelständischeUnternehmen ohne IT-Abteilung können einen professionellenHard- und Software-Austausch vornehmen. ReUse-Computerbietet alle Dienstleistungen aus einer Hand.

DerDerDerDerDer ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-RolloutRolloutRolloutRolloutRollout ininininin einzelneneinzelneneinzelneneinzelneneinzelnen ScScScScSchrittenhrittenhrittenhrittenhritten1. ReUse-Projektmanagement: Ein auf Rollout spezialisiertes

Unternehmen bei ReUse-Computer leitet das Projekt, kenntalle Mitglieder und deren Kompetenzen

2. Bestands- und Leistungsklassenerfassung: Inventarisierungvon Hard- und Software

3. Bedarfserfassung: Es werden Arbeitsplatzbeschreibungenund -profile erstellt. Individuell wird festgelegt und entschie-den, welche Hard- und Software am einzelnen Arbeitsplatz alsReUse- oder Neugerät eingesetzt wird

4. Strategische Planung: In einem Projektablaufplan werdenMeilensteine formuliert

5. Beschaffungsmanagement: Lieferpläne für Hard- und Soft-ware werden zusammengestellt

6. Rollout, Migration und Entsorgung:• Hardwaretausch einzelner Arbeitsplätze untereinander• Rollout der ReUse-Hardware und der neuen Hard-/Software• Datenmigration gegebenenfalls auf Open Source Software• Rücknahme der nicht mehr verwendbaren Hardware

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7. Endabnahme: Übergabe der Rollout-Dokumentation8. Post-Rollout: Nachgelagerte Dienstleister übernehmen bei

Problemen nach dem Rollout die individuelle Arbeitsplatz-betreuung und Wartung der gesamten Hardware.

Beispiel: Ein mittelständisches Unternehmen hat 32 Arbeitsplät-ze, wobei 26 Desktops und 6 Notebooks zusammengezählt sindund mit allen Prozessoren (Pentium I bis IV) ausgestattet sind.Zusätzlich existieren zwei Server, zwei werden neu angeschafft.Betriebssysteme sind von Microsoft Windows 95 bis Windows XP(Home & Professionell) sowie Serverversionen vorhanden. AlsBürosoftware ist ebenfalls auf jedem Rechner Microsoft Office inverschiedensten Versionen installiert.Bei einem klassischen Rollout würden die meisten Rechner (20Desktops und 3 Notebooks) durch neue ersetzt und die Soft-ware mit neuen Lizenzen von Microsoft auf den neuesten Standgebracht. Das kostet das Unternehmen inklusive 10.000 € anDienstleistungen ca. 55.000 €. Führt man ein ReUse-Rolloutdurch, werden die Rechner an die jeweiligen Arbeitsaufgabenangepasst. Lediglich die Hälfte der Rechner bzw. Notebookswerden durch ReUse Rechner ersetzt. Die Softwarelizenzen derClientrechner können erhalten bleiben, jedoch migriert das Un-ternehmen alle Arbeitsstationen auf Linux und OpenOffice.Die Daten sind in einer professionellen Datenbank gespeichert,die auch unter Linux läuft. Die Kosten des ReUse-Rollouts betra-gen hier, ebenfalls mit 10.000 € Dienstleistungen, ca. 25.000 €,ein Unterschied von 30.000 €.Bei konsequentem Einsatz eines ReUse-Rollouts kann ein Spar-potential von über 40% der PC-Investitionskosten erreicht wer-den. Noch gravierender sind die Sparmöglichkeiten, wenn Ser-vertechnik gebraucht gekauft wird. Hier liegen die Preisvorteilebei vergleichbar ähnlicher IT-Technik häufig weit über 50%. Diegrößten Sparpotentiale liegen jedoch in der Software bei über80%, wenn konsequent auf das lizenzkostenfreie Linux migriertwird. Wie vorangegangen geschrieben, sind Linux-Betriebssy-steme fast kostenlos zu haben, da Open Source Software frei fürjeden zugänglich ist (GNU - General Public License).Aber Linux-Serversysteme sind nicht mehr lizenzkostenfrei,sondern die jeweiligen Hersteller haben den frei verfügbarenCode erweitert, verbessert oder wegen der Sicherheit gehärtet.Diese Arbeiten am Serversystem lassen sich die Softwarehers-teller bezahlen, sodass Linux-Serversysteme einen 3 bis 4-stel-ligen Eurobetrag kosten; Relativ unbedeutend, wenn andereServersysteme zum Vergleich herangezogen werden!

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Durch eine anschließende Unternehmensberatung ergeben sichmeistens Umstrukturierungen und Optimierungen von Arbeits-abläufen. Synergieeffekte kommen dann mittel- und langfristigzusätzlich zum Tragen. Diese Einsparungen verteilen sich hier-bei auf die nächsten Jahre und können insgesamt bis zu 30 Pro-zent der Betriebskosten betragen.

Besonders zu erwähnen ist der Nebeneffekt, dass sich viele Re-Use–Produkte im ersten Jahr steuerlich voll abschreiben lassen.

GebraucGebraucGebraucGebraucGebrauchtehtehtehtehte AutosAutosAutosAutosAutos ----- oderoderoderoderoder getragenegetragenegetragenegetragenegetragene ScScScScSchuhehuhehuhehuhehuhe ?????Sie kaufen gern ein gebrauchtes Auto? Weil Sie für einen gutenMarkenwagen viel Geld sparen wollen? Klar! Jeder weiß, dassder Wertverfall eines ganz neuen Wagens der Mercedesklasseca. ein Viertel beträgt, sobald er das erste Mal vom Verkäufer aufdie Strasse rollt. Ist ein Wertverfall von einem Viertel gerecht-fertigt, wenn der Wagen ein Jahr alt ist? NEIN! Denn von derFunktionalität und Qualität des Fahrzeugs hängt es nicht ab,dass der Wiederverkaufswert derart gesunken ist. Vielmehr gibtes alle 12 bis 15 Monate ein neues Modell, welches die Preiseder älteren Modelle verfallen lässt. Eigentlich müsste der Wert imersten Jahr steigen! Warum? Der Motor ist gerade eingefahrenund die Garantie läuft noch mindestens zwei Jahre!Wieso beschreibe ich Ihnen das? Vergleichen Sie die Autoindu-strie mit der Computerindustrie! Beide stellen sehr hochwertigeund teure Produkte her. Beide geben lange Garantiezeiten aufihre Produkte. Und bei beiden verhält sich die Preisentwicklungund der Wertverfall gleich! Warum haben Sie dann noch Hem-mungen, einen gebrauchten Markencomputer zu kaufen?Es ist ja nicht so, dass Sie ein gebrauchtes paar alter Schuhe biszum Zerschleißen auftragen sollen. Im Gegenteil: Die verfügba-ren Computer leisten alles das, was Sie sonst von einem neuen

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Computer verlangen würden. Mit keiner Software können Sieschneller arbeiten, ob der neueste Computer nun 4 GHz Takt-frequenz hat oder nur 1 GHz, da Sie selbst für die Dateneingabeals das langsamste „Medium“ die Geschwindigkeit bestimmen.Und ob Sie für eine Excelgrafik nun 0,5 Sekunden oder 0,8 Se-kunden warten, bis sie durchgerechnet ist, bringt keinen Vorteil.Im Gegenteil: Viele neue Geräte enthalten neu entwickelte Chipsund Komponenten. Diese funktionieren zwar miteinander, aberwer hat getestet, wie schnell die Zusammenarbeit mit diesenChips wirklich funktionieren kann? Steckt da noch Sicherheits-reserve drin? Sind überhaupt die Parameter auf die einzelnenBausteine abgestimmt und kann dadurch die Arbeitsgeschwin-digkeit wesentlich erhöht werden? Nach unseren Beobachtun-gen werden die Komponenten (Chips und eingebaute Geräte)nicht aufeinander abgestimmt. Schließlich ist es ja egal, wie dieKomponenten miteinander funktionieren, da die Grundge-schwindigkeit des Computers mit 4 GHz ja sowieso schnell ge-nug ist. Bei älteren Markencomputern und bei Modellen, dienicht wie neue Schuhmodelle jedes halbe Jahr neu erscheinen,kann man eine abgestimmte Elektronik bemerken. Neben unse-ren Computertests laufen auch Benchmarktests, die mit be-stimmten alten Modellen sehr viel schneller durchgeführt wer-den als mit neuen und schnellen Computern.Das sollte Sie nachdenklich stimmen. Warum lassen Sie sichzwingen, den wirtschaftlich nicht notwendigen Technikwettlaufmitzumachen? Entscheiden Sie sich frei für einen Computer derStärke und Geschwindigkeit, wie Sie sie benötigen; Wenn Sieviel Zahlen zu berechnen haben und Konstruktionszeichnungendurchrechnen, dann kaufen Sie berechtigt einen schnellenComputer, aber wenn Sie daheim Fotos und Videofilme bearbei-ten möchten, hilft Ihnen ein schneller Computer nicht viel weiter.Für diese Aufgaben brauchen Sie nämlich eine schnelle Grafik-karte und andere schnelle Komponenten. Warum? Die Arbeit, dieeine CPU früher allein durchgeführt hat, teilen sich die verschie-denen Spezialchips, die die Aufträge eigenständig und ohneCPU-beteiligung durchführen. Eine Grafik z.B. wird nicht mehrvon der CPU auf dem Bildschirm aufgebaut, sondern von demGrafikchip auf Ihrer Grafikkarte! Oder warum, dachten Sie, wer-den die Grafikchips auf der Grafikkarte sonst so gekühlt wie dieCPU selbst? Und haben die Geschwindigkeit von noch nicht lan-ge veralteten Rechnern? Sogar der eigene Speicher der Grafik-karten ist größer als beim eigenen Rechner! Beachten Sie dieseFeinheiten bei Ihrem nächsten Kauf eines gebrauchten Compu-

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ters; Diese können nämlich mit den neuesten Grafikkarten undKomponenten nachgerüstet werden!

QuintessenzQuintessenzQuintessenzQuintessenzQuintessenz ––––– ReUseReUseReUseReUseReUse ComputerComputerComputerComputerComputer scscscscschonenhonenhonenhonenhonen UmweltUmweltUmweltUmweltUmwelt undundundundund KKKKKasseasseasseasseasseDie Anschaffung von ReUse-PCs bietet neben der Gewissheit,einen konstruktiven und vorbildlichen Beitrag zur Ressourcen-schonung zu leisten, bei gleichzeitiger Nutzung von freier Soft-ware einen Kostenvorteil von bis zu 80 Prozent gegenüber einervergleichbaren Neuanschaffung. Nach Einschätzungen von Ex-perten der TU Berlin sind ReUse Computer angesichts knapperKassen sowohl für die Privatwirtschaft, für den öffentlichenDienst als auch für den privaten Kunden interessant. Allein fürdas eigene Haus, die Technische Universität Berlin, haben dieExperten bei 6.000 Mitarbeitern und rund 4.800 Computerar-beitsplätzen ein Einsparpotential von bis zu sieben Millionen €errechnet.7 Die Technische Universität Berlin hat eine Ziel-vereinbarung mit dem ReUse-Computer Verein geschlossen. DieUniversität will bis Ende 2007 rund 600.000 Euro einsparen, in-dem zuerst geprüft wird, ob gebrauchte Computer für den vorge-sehenen Zweck gekauft werden können.8 Die preisgünstigenReUse-Computer erbringen neben dem messbaren ökologi-schen Nutzen und den erkennbaren ökonomischen Vorteilenauch einen sozialen Aspekt. ReUse-Computer leisten einen Bei-trag gegen die digitale Spaltung der Gesellschaft, da nun Perso-nen und Einrichtungen, die sich sonst keinen Computer kaufenkönnten, die Möglichkeit erhalten, sich mit preisgünstigen Gerä-ten auszustatten.Die Farbe blendet zwar nicht, aber sie ist nicht immer gleich zusehen!LLLLLiteraturiteraturiteraturiteraturiteratur1 Becker, Frank: Das zweite Leben des Computers, In: Abfallwirtschaftlicher

Informationsdienst, Online-Ausgabe vom 16. Oktober 2004, http://www.abfallinfodienst.de/showartikel.asp?ID=738 .

2 Schischke, Karsten: Unternehmensnetzwerke als Grundlage für lebensfähi-ge Nachhaltigkeitsstrategien, Berlin 2004.

3 VDI, Richtlinie 1000, Richtlinienarbeit - Grundsätze und Anleitungen, März 1999.4 Dr. Gründel, EDV- und IT-Service, Albert-Hößler-Str. 10, D-10365 Berlin,

http://www.gruendel-edv.de, Vorstandsmitglied ReUse-Computer.5 Siehe Migrationsleitfaden, Leitfaden für die Migration der Basisoftware-

komponenten auf Server- und Arbeitsplatz-Systemen, Version 1.0 – Juli2003, Schriftenreihe der KBSt, ISSN 0179-7263, Band 57, Juli 2003.

6 Siehe Goebel, Hartmut; Hierlmeier, Eva: Linux drängt ins Rathaus. In: Com-puter Reseller News (CRN) 48.

7 Wabbels, Matthias; Nittka, Thomas: DEMO – Demokratische Gemeinde. DieMonatszeitschrift für Kommunalpolitik, Fachorgan der SozialdemokratischenGemeinschaft für Kommunalpolitik (Bundes-SGK), DEMO 11/2003.

8 Pressestelle der TU Berlin, TU-Intern 10, S. 14, 2004.

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Frank Becker Nachhaltigkeit in Zeiten neoliberaler Globalisierung

NacNacNacNacNachhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeit ininininin ZeitenZeitenZeitenZeitenZeiten neoliberalerneoliberalerneoliberalerneoliberalerneoliberaler GlobalisierungGlobalisierungGlobalisierungGlobalisierungGlobalisierung

Frank Becker

Frage nicht was Dein Land für Dich tut,

frage was Du für Dein Land tun kannst.

J. F. Kennedy

VVVVVomomomomom WWWWWertertertertert gemeinsgemeinsgemeinsgemeinsgemeinsamerameramerameramer DefinitionenDefinitionenDefinitionenDefinitionenDefinitionenDer vorliegende Beitrag ist eine Reflexion über praktische An-wendungsmöglichkeiten von Netzwerken für Nachhaltigkeit imZusammenhang mit regionaler Ökonomie. Inhaltlich knüpfe ichdabei an meine Ausführungen im Artikel ReUse-Computer Netz-werk für Nachhaltigkeit in diesem Buch an und gehe den Wegvon meinem Modell der Netzwerke für Nachhaltigkeit zu den Be-zügen zwischen diesem Modell und regionaler Ökonomie alsrelevantem Umfeld.Die Netzwerken immanente Fähigkeit, Integrationsleistung zu er-zeugen und mein Verständnis von Nachhaltigkeit1 als einemAushandlungsprozess, als dialogischer Fähigkeit zur Integrationunterschiedlicher, widerstrebender Ziele möchte ich zum Aus-gangspunkt für die folgenden Fragen machen: Welche Potentia-le für regionale Wirtschaftentwicklung und die Förderung gesell-schaftlicher Kohäsion2 wohnen einem Modell von Unterneh-mensnetzwerken für nachhaltige Entwicklung inne? Wie verhältsich dieses Modell von Netzwerken für Nachhaltigkeit in bezugauf eine funktional differenzierte Gesellschaft? Welche „Unver-träglichkeiten“ zwischen herrschender Ökonomie als relevanterUmwelt und Netzwerken für Nachhaltigkeit sind zu erwarten bzw.welche Anforderungen an eine Ökonomie nachhaltiger Technik-entwicklung können aus dieser Reflexion heraus formuliert wer-den? Liegen hier vielleicht größere Barrieren für nachhaltigeNutzungsstrategien als in dem individuellen Verhalten der Kon-sumentinnen und Konsumenten?Aber warum ist dieser Weg mit solchen sperrigen Begriffen ge-pflastert? Diese Begriffe haben doch auch im Projektverlauf kei-ne Rolle gespielt. Für mich sind diese Termini Werkzeuge zumaufdecken, analysieren und wieder zusammenfügen. Sie sind –mehr oder weniger – geeignet für die Betrachtung vergangener,gegenwärtiger und auch künftiger Entwicklungsprozesse.___1 Nachhaltigkeit: Der Begriff „sustainable development“ wird im Deutschen

meist mit „nachhaltiger Entwicklung“ übersetzt (siehe Glossar).2 Kohäsion: [lat. cohaerere, cohaesum: zusammenhängen] Hier gemeint als

die Summe aller Kräfte, die eine Gruppe zusammenhalten.

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Nachhaltigkeit in Zeiten neoliberaler Globalisierung Frank Becker

Als gelernter Handwerker weiß ich um die Notwendigkeit, fürspezielle Aufgaben auch die angemessenen Werkzeuge zu ver-wenden.Welche schädlichen Wirkungen unsachgemäße Begriffs(werk-zeug)verwendung haben kann, möchte ich an zwei für mein The-ma zentralen Begriffen darstellen:Der Begriff Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren eine inflatio-näre Verwendung erfahren. Es ist chic geworden, den BegriffNachhaltigkeit in den eigenen Reden und Texten zu verwenden– und dabei immer neue Bedeutungen zu erfinden. Dies hat dieinhaltliche Bestimmung dieses Begriffs bis zur Unkenntlichkeitverstümmelt. Meist wird damit nur noch eine gewisse zeitlicheDauerhaftigkeit gemeint.Ähnlich erging es dem Begriff Netzwerk. Da wimmelt es nur sovon horizontalen Netzwerken, Netzwerk-Schwärmen, dynami-schen Maschenwerken, fokalen Netzwerken und polyzentri-schen Konstellationen. Manche Menschen arbeiten offenbar anNetzwerken, so wie ich seinerzeit als Student die Motor-Getrie-be-Einheit meines Austin Maxi gewechselt habe: ohne Hand-buch, ohne englisches Werkzeug und vor allen Dingen – ohneKenntnis der Spezifika britischer Automobile!Begriffe – gut definiert – können mit Werkzeugen verglichen wer-den, mit Spitzzangen, Abziehern oder Drehmomentschlüsseln.Gerade bei einem solch populären Thema wie Netzwerke fürNachhaltigkeit hilft es meiner Meinung nach, wenn wir wechsel-seitig voneinander wissen, was genau wir mit den Begriffs-werkzeugen meinen, die wir verwenden. Vielleicht hilft mein Bei-trag, manches was bisher fest saß oder aber unverbunden war,in Gang zu bringen oder auch zusammenhängender zu sehen,Ereignisse und die dahinter stehenden oder darunter liegendenStrukturen erkennbarer werden zu lassen? Wenn es mir gelän-ge, mit diesem Beitrag der Leserin oder dem Leser etwas „inBewegung“ zu bringen, Eingebung und Intuition zu befördern,würde mich das freuen.

IntegrationIntegrationIntegrationIntegrationIntegration alsalsalsalsals StrategieStrategieStrategieStrategieStrategie derderderderder KKKKKomplexitomplexitomplexitomplexitomplexitätsrätsrätsrätsrätsreduktioneduktioneduktioneduktioneduktionIm Bezug zu einer fortschreitenden funktionalen Differenzierungder Gesellschaft stellt sich die Frage, wie wir zu Ergebnissenkommen, die die gemeinsamen Anliegen der Mitglieder unsererGesellschaft und deren jeweilige kulturelle Eigenheiten ange-messen berücksichtigen. Zu fragen ist ferner, welche Kriterienwir diesen Entscheidungen zu Grunde legen.

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85ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Für mich liegt die Basis für ein gesellschaftliches Verständnisvon Nachhaltigkeit in der etymologischen Bedeutung, derSprachwurzel des begrifflichen Dreiklangs:

• IntegerIntegerIntegerIntegerInteger (der Ursprung des lateinischen integer liegt im grie-chischen entagros = „unberührt“, „unversehrt“, „ganz“) wirdheute verstanden als unbescholten, (moralisch) einwandfrei,unbestechlich;

• IntegritIntegritIntegritIntegritIntegritätätätätät steht für Unversehrtheit, Makellosigkeit und Unver-letzlichkeit;

• IntegrationIntegrationIntegrationIntegrationIntegration meint die Herstellung eines Ganzen, alle As-pekte der Ganzheitsbildung berücksichtigenden Prozess.

In diesem Sinne verstehe ich Nachhaltigkeit als ein Integrations-modell.

Integer IntegritInteger IntegritInteger IntegritInteger IntegritInteger Integritätätätätät

IntegrationIntegrationIntegrationIntegrationIntegration

Ein solches Integrationsmodell zielt nicht auf einen moralischenAppell, vielmehr hat es eine besondere Relevanz für Koope-rations- und Kommunikationsbeziehungen komplexer sozialerSysteme. Dahinter steht ein sehr aktuelles Problem für sozialeNetzwerke, denn sinnbildende Gesellscsinnbildende Gesellscsinnbildende Gesellscsinnbildende Gesellscsinnbildende Gesellschaftsprhaftsprhaftsprhaftsprhaftsprozesseozesseozesseozesseozesse „… sindan profilierte Teilsysteme [von Gesellschaften, F.B.] delegiert unddort funktional spezifiziert ...“3 Dies ist als Ergebnis einer evolu-tionären Gesellschaftsentwicklung zu verstehen, deren Verlaufes ermöglichte, die gesteigerte Komplexität in der Gesellschaftzu verarbeiten.

Frank Becker Nachhaltigkeit in Zeiten neoliberaler Globalisierung

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Nachhaltigkeit in Zeiten neoliberaler Globalisierung Frank Becker

Folgt man dem Luhmann’schen Ansatz funktionaler Differenzie-rung der Gesellschaft und versucht ihn auf regionale Kontextezu übertragen, so können Regionen anhand der folgenden sie-ben „Logiken“ abgebildet werden4 .Logik und Sprache dieser gesellschaftlichen Sphären sowie de-ren zugrunde liegende Deutungssysteme folgen in wesentlichenBereichen eigenen Gesetzen5 . Bezogen auf das hier besproche-ne ReUse-Computer Projekt sind das z.B.:InnovationInnovationInnovationInnovationInnovation ///// WWWWWissenscissenscissenscissenscissenschafthafthafthafthaft: : : : : Innovative Potentiale und wissen-schaftliche Kompetenz sowie entwickelte Forschungs- und Ent-wicklungsbereiche beeinflussen diesen Sektor. Es ist häufig voneiner „Wissenschaftssprache“ die Rede. Eine wesentliche Kate-gorie um individuelle Bedeutung zu messen, eine „Verrech-nungseinheit“, ist wissenschaftliche Reputation (die Stellung inder Wissenschaftslandschaft wird z.B. durch die Anzahl der Pu-blikationen oder die Zahl der Vorträge begründet).KKKKKapitapitapitapitapitalalalalal: : : : : In diesem Bereich spielen Wettbewerbsfähigkeit, Er-schließung neuer Märkte, Wertschöpfung und Maßnahmen zurSteigerung der Produktivität eine beeinflussende Rolle. Eine„Managementsprache“, die durchsetzt ist von zahlreichen Angli-zismen, ist hier typisch. Die Bedeutungsmessung erfolgt an Handder „Verrechnungseinheit“ Gewinn. Metaphorisch herrscht das„Gesetz des Marktes“.PPPPPolitikolitikolitikolitikolitik: : : : : Dieser Bereich wird durch politische AkteurInnen undleistungsfähige Politikkonzepte, u.a. in den Bereichen Arbeits-markt- und Strukturpolitik, maßgeblich gekennzeichnet. Auchhier finden sich sprachliche Differenzierungen; die wesentliche„Verrechnungseinheit“ ist die Optimierung der Wiederwahlchan-cen.Besonders diese Differenzierung in funktionale Teilbereiche hataber paradoxerweise Weise im Laufe der Entwicklung geradeauch zu einem Verlust an Sinnbildungskraft geführt. Der Sinngesellschaftlicher Kohäsion geht schleichend verloren.

___3 N. Luhmann, Moderne Systemtheorien als Form gesamtgesellschaftlicher

Analyse, in: J. Habermas / N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozi-altechnologie, Frankfurt / M., 1971, S. 7-24.

4 In einer neo-liberalen Konstellation sind die übrigen Logiken über die Logikder Ökonomie aufeinander bezogen.

5 Zum Thema funktionale Differenzierung und relevante Logiken einer Akteurs-konstellation siehe auch: F. Becker, „ReUse-Computer - Kultur der Nutzen-optimierung“, TRANS Nr. 15, 2004,http://www.inst.at/trans/15Nr/03_2/becker15.htm .

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Heute fehlt es damit eher an gesellschaftlicher Integrationsleis-Integrationsleis-Integrationsleis-Integrationsleis-Integrationsleis-tung tung tung tung tung denn an Differenzierungsleistung! Nachhaltige Entwicklungverstehe ich als ein Konzept der Sinnbildung über gesellschaft-liches Handeln. Es ist damit mehr als die schonende Bewirt-schaftung der uns zur Verfügung stehenden Ressourcen. Viel-mehr ist es ein Konzept der Verständigung über Sinn und Un-sinn unserer gesellschaftlichen Entwicklung.Nachhaltigkeit kann als eine – Vergangenheit und Zukunft um-spannende – Perspektive verstanden werden, die es ermöglicht,die Bezüglichkeiten der unterschiedlichen gesellschaftlichenTeilprozesse in einer dialogischen Weise auszuhandeln.Integrität ist in diesem Zusammenhang ein praktischer Lebens-begriff. Dorothee Sölle gab ihm Leitbildcharakter mit der Formu-lierung: „Ich bin, was ich tue!“ In dieser Übereinstimmung vonSein und Handeln liegt das authentische Potenzial von Netzwer-ken für Nachhaltigkeit. Aber Frau Sölle nimmt auch den Druckzurück, den ein solcher Anspruch auszuüben vermag, wenn sieschreibt, dass eine „Situation, in der wir nicht ganz sind, was wirtun, nur mit einem Teil unserer Selbst küssen, trinken, arbeiten“6 ,die allernormalste sei. Eine solche integere Perspektive könnenz.B. Unternehmensnetzwerke für Nachhaltigkeit eröffnen.

Damit ist die Frage gestellt, welchen Beitrag solche Netzwerkefür Nachhaltigkeit zur regionalen Wirtschaftsentwicklung leistenkönnen? Radikale Konkurrenzstrategien verbunden mit einemrasanten Preisverfall kennzeichnen nicht nur den Computer-Markt. Auch in anderen Bereichen, z.B. im Fahrradhandel, sindsolche Entwicklungen deutlich erkennbar. Große Handelskettenzerstören das regionale Know-how und damit Wertschöpfungund Beschäftigung. Regionalpolitisch bieten Unternehmens-netzwerke für Nachhaltigkeit die Chance der BestandsförderungKleiner und Mittlerer Unternehmen (KMU), während Konzerneund Handelsketten immer weniger Verantwortung für den Ortund die Menschen übernehmen, die sie beschäftigen und denensie ihre Produkte verkaufen. Die ökonomische Globalisierungerfolgt nach der Ideologie des Neoliberalismus7 auf Kosten so-zialer, ökologischer, politischer und letztlich auch ökonomischerPositionen.

___6 D. Sölle, Mystik und Widerstand, Hamburg, 1997, Seite 44 ff.7 Der Begriff NeoliberalismusNeoliberalismusNeoliberalismusNeoliberalismusNeoliberalismus ist in den letzten fünf Jahrzehnten als Bezeich-

nung für eine neue ökonomisch-politische Ideologie eingeführt worden (sie-he Glossar).

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„Der Klimawandel verursacht [z.B.] schon heute volkswirtschaft-liche Milliardenschäden. Allein für Deutschland sei durch einenKlimawandel dieses Ausmaßes von Schäden durch Naturkata-strophen in Höhe von 137 Milliarden Euro bis 2050 auszugehen.Neben menschlichen Tragödien führen solche Entwicklungenregelmäßig zu gravierenden Schäden der betroffenen Volkswirt-schaft.“8

Nützlich wäre eine Politik, die zukunftsfähige, nachhaltige Ent-wicklung mit gezielten und auf regionale Bedingungen abge-stimmten Maßnahmen verbindet. Dies bedeutet auf der anderenSeite, darauf zu verzichten, der Ansiedlungsförderung für Groß-konzerne einen solchen Stellenwert beizumessen, wie dies heu-te üblich ist. Die Priorität läge vielmehr auf dem Fördern desUnternehmensbestandes, und zwar indem wir Ziele setzen(CO

2-Minderung, Wieder- und Weiterverwendung, regenerative

Ressourcen Bewirtschaftung) und Subventionen gewähren,wenn diese Ziele nachweislich erreicht oder zumindest glaub-haft angestrebt werden.Die Zersetzung regionalen Arbeitsvermögens und dezentralerUnternehmensstrukturen hat in zweierlei Hinsicht schädlicheAuswirkungen.! Die Regionen verlieren Beschäftigung und Know-how und

daher regionale Wertschöpfung. Sie verlieren ihr Profil; re-gionale Identitäten und Standortfaktoren werden eingeeb-net, Ort und Region verlieren ihre Relevanz. Eine Analogie istder erodierte Boden, auf dem auch in Jahrzehnten keineLandwirtschaft mehr möglich sein wird – das wüste Land.

! Die Beschäftigten verlieren Vertrauen und Bindung zu denUnternehmen. Auf Grund der flexiblen Arbeitsweise erodiertauch das Vertrauen und der Kontakt untereinander. IhreLebensperspektive wird durch Unsicherheit gekennzeich-net; Entwicklungsprozesse lassen sich nicht mehr erzählen,betrachten oder prognostizieren. Existenzielle Not wird zurrealen Alternative.

„Inzwischen geht diese Orientierung am shareholder value inden Betrieben so weit, dass vor lauter Kosten- und Zeitdruckund aufgrund der Personalausdünnung professionelle Inge-nieurarbeit immer schwieriger wird – Rückrufaktionen in der Au-toindustrie, Fehlfunktionen bei Handys, die Toll-Collect-Blamagezeigen es deutlich.“9

___8 Zwei Billionen Dollar Schäden bis 2050, taz, 17.2.2005.9 Wolfgang Neef, „Räder, neu erfunden“, Freitag 06, 11.02.2005.

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Diese Entwicklung verselbständigt sich; auch das kleine Com-puterfachunternehmen und der Fahrradladen an der Ecke müs-sen sich dieser Vereinzelung und vermeintlichen Flexibilisierungstellen. Dieser Prozess gleicht dabei mehr dem armseligenHinterherspringen eines „Hase und Igel“ Spiels denn einermarktorientierten Geschäftsentwicklung.

SystemiscSystemiscSystemiscSystemiscSystemischehehehehe SteuerungSteuerungSteuerungSteuerungSteuerung vonvonvonvonvon NetzwerkenNetzwerkenNetzwerkenNetzwerkenNetzwerken fürfürfürfürfür NacNacNacNacNachhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeitFür die Entwicklung solcher Netzwerkstrukturen regional veran-kerter Klein- und Kleinstunternehmen ist ein Arbeitsansatz un-verzichtbar, der systemische Perspektiven der System-Umwelt-Relation10 in einem mehrstufigen Verfahren berücksichtigt. Dieeigene Entwicklung ist Evolutionsanlass für meine relevanteUmwelt. Und es muss ein Mindestmaß an Akzeptanz des Sy-stems vorhanden sein, dass es sich hier um die relevante Um-welt handelt.11 Umgekehrt muss diese „relevante Umwelt“ aberauch der Meinung sein, dass eben dieses System für sie zurrelevanten Umwelt zählt, dass Handlungen in diesem Zusam-menhang Relevanz haben. Damit ist aus meiner Sicht, mit Blickauf Netzwerke für Nachhaltigkeit, integeres Verhalten zwingend.Ich bin dabei und kann nur für mich entscheiden, und in dem ichdas tue und auch nichts anderes vorgebe, also integer handele,fundiere ich Integrität!12

Grundsätzlich erscheint es mir wichtig darauf hinzuweisen, dassman sich in der Entwicklung eines Netzwerkes immer nur für dieeigene, von einem selbst als sinnvolle angesehene und ange-strebte Entwicklung entscheiden kann " im Kontext der diesbe-züglichen relevanten Umwelt " dem Netzwerk.Ich entscheide für mich, reflexiv13 und reflektiere darüber, in ei-ner allparteilicallparteilicallparteilicallparteilicallparteilichenhenhenhenhen14 Haltung.• Welche meiner Entscheidungen nutzt dem Netzwerk in wel-

chem Umfang?• Welche meiner Entscheidungen nutzt den einzelnen Netz-

werkelementen am meisten?• Worin liegt mein Erfolg im Nutzen der Anderen begründet?

___10 Grundlegend für SystemiscSystemiscSystemiscSystemiscSystemisches Denkenhes Denkenhes Denkenhes Denkenhes Denken ist es, die Beziehungen der Syste-

me und der Teile zueinander zu beleuchten (siehe Glossar).11 GLU – Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt / M, 1997, S.195 ff.12 „Die Ganzheit des Menschen erkennen ...[gelingt, F.B.]... erst dann, wenn …

[man, F.B.]… nicht unberührter Betrachter bleibt“. Martin Buber: Das Problemdes Menschen, Heidelberg, 1961. 13 ReflexionReflexionReflexionReflexionReflexion (siehe Glossar).

14 AllparteilicAllparteilicAllparteilicAllparteilicAllparteilichkeithkeithkeithkeithkeit zeigt sich im Sinne von: Ich bin für mich Partei, aber ichsehe auch die Interessen der anderen Parteien. Es geht um die wertschät-zende Würdigung der Interessen aller Beteiligten.

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90 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Daraus kann jedoch auch ein Kontingenzproblem15 im Sinne ei-ner „never ending story“ folgen. Da ich nicht weiß, wie das Netz-werk auf meine Entscheidung bzw. Entwicklung reagieren wird,gerate ich in Zweifel darüber ob meine Entscheidungsrichtungjetzt „die richtige“ ist. Der Weg von der Reflexion zur Handlungwird durch immer neue Reflexionen verbaut. Die – notwendige –kontingenzbegrenzende Funktion liegt in meinem regionalenModell von Netzwerken für Nachhaltigkeit in den ökonomischenEigeninteressen der beteiligten Klein- und Kleinstunternehmen,dem Wunsch nach unternehmerischem Erfolg. Ein Unterneh-men, das aufhört nach ökonomischen Grundsätzen zu handeln,hört auf zu existieren, geht in Konkurs. Das sehe ich als ein Ele-ment rekursiver Steuerung: Die Arbeit in einem Netzwerk stärktdie Entwicklungsfähigkeit von KMU. Diese Arbeit wird selektiert,begrenzt nach Kriterien ökonomischen Handelns – beide Ein-flussgrößen bedingen sich wechselseitig.Umberto Maturana gibt einer solchen reflexiven Haltung eineethische Dimension, wenn er beschreibt, dass Ethik eine Reflexi-on über Ziele, Kriterien (Werte, Normen und Regeln) und dendazugehörigen Handlungen mit den anderen Menschen dar-stellt. Ethik setzt die Anwesenheit der anderen Person voraus.Maturana grenzt dies von Moral ab, die er als Aufrechterhaltungvon Normen „für sich“ interpretiert. Die Einbeziehung des ande-ren Menschen ist dabei nicht notwendig, sie wird durch die Au-torität ersetzt.16 Man könnte Maturanas Ansatz auch den Ethi-schen Imperativ17 nennen. Im Sinne der Unterstützung vonReflexionsfähigkeit führt dieser Imperativ direkt zu einer Per-spektive verantwortbarer Entwicklung. Es geht – um mit Heinzvon Foerster zu sprechen – um das „Zusammenzaubern“18 vonverschiedenen Netzwerkaspekten, von verschiedenen System-logiken.Im ReUse Projekt ging es ja gerade nicht um Netzwerke, die sichnur aus Akteuren eines einzelnen Logikbereiches (Ökonomie,Klein- und Kleinstunternehmen) zusammensetzten. Wir hattenes mit einem mehrstufigen und mehrdimensionalen Zielkanon zutun.___15 KKKKKontingenzontingenzontingenzontingenzontingenz: : : : : Begriff aus der Systemtheorie (siehe Glossar).16 U. Maturana, „Act always as to increase the number of choices“, „Organizing

Organizations“, Internationaler Heinz von Foerster-Kongress, Wien, 10.-12.November 2003.

17 „Handle stets so, dass die Zahl Deiner Wahlmöglichkeiten steigt.“ Heinz vonFoerster.

18 „Über Bewusstsein, Gedächtnis, Sprache, Magie und andere unbegreiflicheAlltäglichkeiten“, Vortrag, Frankfurt / M., Juni 1994.

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91ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Zu den Aspekten der Entwicklung von Kooperationsstrukturenkam die Entwicklung nachhaltiger Nutzungsstrategien von Kon-sumgütern hinzu. Auch die Frage nach der Verantwortung derKonsumenten und der Unternehmer war ein zentraler Punkt desProjektdesigns. Ökonomisches Handeln war also sinngeleitetenBegrenzungen unterworfen, die anderen Teilbereichen der Ge-sellschaft entstammen. An dieser Stelle werden wesentliche Un-terschiede dieses Ansatzes zu herrschenden neoliberalen Kon-zepten deutlich, denn in „der Handy- und Computerindustriewerden, unter Einsatz enormer geistiger Ressourcen der großenIngenieur-Abteilungen, in immer kürzer werdenden Zyklen neueGeräte auf den Markt geworfen, die mit reinen Spiel-Funktionenversehen werden. Dafür muss inzwischen beispielsweise in Tai-wan die Wasserversorgung der Reisfelder eingeschränkt wer-den, weil der Wasserbedarf der dort ansässigen IT-Fabriken ra-pide wächst.“19

Die Frage nach dem Handling der Ausgangsprodukte (ge-brauchte EDV-Technik) dieses Wertschöpfungsnetzwerks warebenfalls Gegenstand intensiver Untersuchungen. Auch der ver-antwortungsvolle Umgang mit den gebrauchten Rechnern undPeripheriegeräten stellt eine Begrenzung des ökonomisch mög-lichen Verhaltens dar. Damit wurde ein transdisziplinärer Projekt-ansatz20 notwendig, der weiter beachtet werden muss, wenn derim Februar 2004 gegründete Verein ReUse-Computer nach Aus-laufen der Förderung die weitere Entwicklung des ProjektesReUse-Computer bestimmen wird.

AuthentizitAuthentizitAuthentizitAuthentizitAuthentizitätätätätät ininininin derderderderder PPPPPrrrrrojektentwicojektentwicojektentwicojektentwicojektentwicklungklungklungklungklungTransdisziplinäre Projektarbeit ist im Rahmen des Aufbaus einersozialen Kooperationsstruktur, die als Unternehmensnetzwerkweiter arbeiten soll, keine Einbahnstrasse. Vielmehr schöpft sieaus seiner Wechselbeziehung zwischen allen Beteiligten, als einNachhaltigkeitsdialog von Menschen für Menschen.Integrität, Aufrichtigkeit und Überzeugungskraft beinhalten dem-nach, dass man sich selbst zu einem Teil des Veränderungs-prozesses (in diesem Fall der Forschung, Entwicklung und An-wendung) macht. Auch hierin findet sich wieder der Verweis aufdie oben bezeichnete Bedeutung der Integrität des Handelns inkomplexen Kontexten.

___ 19 Wolfgang Neef, „Räder, neu erfunden“, Freitag 06, 11.02.2005.20 TTTTTransdisziplinaritransdisziplinaritransdisziplinaritransdisziplinaritransdisziplinaritätätätätät (siehe Glossar).

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92 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Fragt man nach reproduzierbaren Kompetenzen, die eine solchentwicklungsarbeit unterstützen und fördern, so ist das meinerMeinung nach in erster Linie die Fähigkeit zu kultureller Überset-zungsarbeit. Der Erfolg solcher Netzwerkentwicklung lässt sichdabei in drei Ebenen erfragen:11111..... AufbaufähigkeitAufbaufähigkeitAufbaufähigkeitAufbaufähigkeitAufbaufähigkeit ///// PPPPPrrrrroduzieroduzieroduzieroduzieroduzierenenenenen

Netzwerkaktivitäten erreichen das angestrebte Ziel = Zieler-reichung

2.2.2.2.2. NetzwerkrNetzwerkrNetzwerkrNetzwerkrNetzwerkreparaturfähigkeiteparaturfähigkeiteparaturfähigkeiteparaturfähigkeiteparaturfähigkeit ///// Re-Re-Re-Re-Re-PPPPPrrrrroduzieroduzieroduzieroduzieroduzierenenenenenNetzwerkaktivitäten erreichen das angestrebte Ziel und diebeteiligten Akteure haben für sich selbst gelernt, die ange-wendeten Strategien auf andere Projekte21 zu übertragen =Zielerreichung plus reflexives Lernen

3.3.3.3.3. NetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicklungsfähigkeitklungsfähigkeitklungsfähigkeitklungsfähigkeitklungsfähigkeit ///// ÜbertragenÜbertragenÜbertragenÜbertragenÜbertragenNetzwerkaktivitäten erreichen das angestrebte Ziel und diebeteiligten Akteure haben für sich selbst gelernt, die ange-wendeten Strategien auf andere Projekte zu übertragen undein definierbares Umfeld ist in der Lage, die Prozesse undSchritte auf andere Themen zu übertragen (Mainstreaming)= Zielerreichung plus reflexives Lernen und Eröffnung vonLernchancen für Dritte.

Die Netzwerkentwicklung für Nachhaltigkeit beinhaltet also, dassman sich selbst zum Subjekt des Wandlungsprozesses macht.Was will / kann ich an meinem eigenen Verhalten ändern – alsIntervention in das Netzwerk, als anwendungsorientierte For-schungsarbeit?

NützlicNützlicNützlicNützlicNützlichkeithkeithkeithkeithkeitEine systemtheoretische Einordnung des Begriffs Nützlichkeit istin zweierlei Hinsicht noch nicht ausreichend geleistet worden:Zum einen bezogen auf Nützlichkeit im Sinne von Wirkungs-fähigkeit. Diese Nützlichkeit kennt nur „Wirkung“ oder „Nicht-Wirkung“, nicht richtig oder falsch. Dies sind im Kontext der Ent-wicklung von Netzwerken für Nachhaltigkeit keine Kategorien,sondern Wertungen! Das hat erhebliche Auswirkungen auf dieUmsetzung von Projekten dieser Kategorie: Die Ergebnisse desProjektes können nicht an den eingangs festgelegten Maßstä-ben gemessen werden. Eine Evaluation muss den Blick auf dievon den Akteuren selbst formulierten Ziele und Kriterien richten.

___21 Dies bezieht die Lernfähigkeit der Akteure in dem auf zubauenden Netzwerk

ein.

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93ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

In einem zweiten Sinne spielt der Begriff Nützlichkeit eine we-sentliche Rolle für das ReUse-Computer Netzwerk: im Sinne vonsozial und ökologisch verträglich. Wir fragen nach den Bedar-fen; ReUse-Computer leistet Beiträge zu einer nutzerorientiertenTechnikentwicklung. Wir leisten Beiträge zur Sicherung des ar-beitsintensiven Aufarbeitungs-, Beratungs- und Service Know-how in der Region. ReUse-Computer fördert die Orientierung aufeine Ökonomie der Nutzenvermittlung: Wir haben die Idee, zu-künftig keine Computer mehr zu verkaufen, sondern vielmehrComputernutzung zu vermarkten.Sinnhaftigkeit und Wirkungsfähigkeit sind Dimensionen des Be-griffs Nützlichkeit. Dies gilt es zu beachten, wenn im Zusammen-hang mit Nachhaltigkeit von einer Ökonomie der Nutzenoptimie-rung gesprochen wird.

RahmenbedingungenRahmenbedingungenRahmenbedingungenRahmenbedingungenRahmenbedingungen einereinereinereinereiner ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-StrategieStrategieStrategieStrategieStrategieUm die Wirksamkeit eines solchen systemischen Ansatzes vonNetzwerken für Nachhaltigkeit bewerten zu können, muss je-doch auch hier die entsprechende System-Umwelt-Relation be-trachtet werden. Verschiedene nationale und internationale Ent-wicklungen, insbesondere die Ausbreitung neoliberaler Politik-konzepte, lassen die Wirksamkeit des Ansatzes nachhaltigerEntwicklung eher unwahrscheinlich erscheinen.

NacNacNacNacNachhaltigkeit,hhaltigkeit,hhaltigkeit,hhaltigkeit,hhaltigkeit, ReicReicReicReicReichtumhtumhtumhtumhtum undundundundund AlltAlltAlltAlltAlltagshandelnagshandelnagshandelnagshandelnagshandelnRund „250 Jahre ‘industrielle Revolution’ [haben] nicht das ge-bracht ..., was sich Naturwissenschaftler und Ingenieure als Re-sultat ihres Wirkens vorgestellt haben: Deckung der Grundbe-dürfnisse für alle Menschen, sinnvolle Arbeit, mehr Zeit zum Le-ben und Genießen und eine friedlichere Welt.“22 Im Gegenteil, imLaufe von zwei oder drei Generationen gelang es nach demII. Weltkrieg, einen Reichtum aufzuhäufen, der dazu beitrug demglobalen Umweltverbrauch seine tödliche Beschleunigung zuverleihen. Heute wird dieser Reichtum – über Erbschaften undSubventionierung der Kinder und Enkel – umverteilt. Ersparnis-se werden zumindest teilweise zu Lebensunterhalt und von mul-tinationalen Konzernen aufgesogen – oder in krisenhaften Ent-wicklungen (z.B. der New-Economy Blase) vernichtet!Der 2. Armutsbericht der Deutschen Bundesregierung vom März2005 zeigt, wie sich die daraus resultierende Schere zwischenarm und reich immer weiter öffnet.

___22 Wolfgang Neef, „Räder, neu erfunden“, Freitag 06, 11.02.2005.

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ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

Inwieweit sich vor diesem Hintergrund Nachhaltigkeit in den letz-ten Jahren in das Alltagshandeln der Menschen integriert hat, istdurchaus fraglich23 . Höre ich den Menschen (genauer gesagtMännern) zu, wie sie über DINGE (Autos, Computer oder Ga-rtenwerkzeuge) reden, dann spüre ich bei ihnen eine große Rat-losigkeit etwas sinnvolles zu den heute tatsächlich aktuellenProblemen (Klimakatastrophe, Armut, Krieg) sagen zu können.Ein Leitbild, das der Wagenburg, bestimmt derzeit nationale wieinternationale Entwicklungen. Abschottung und Immunisierungsind gängige politische Konzepte. Wie soll da Nachhaltigkeitzum Durchbruch verholfen werden? Das Leitbild der Nutzen-stiftung wird in Nischen und Vorzeigeprojekten marginalisiertund oft genug als Worthülse politischer Alltagsreden miss-braucht!Solche Leitbilder können auch gesellschaftliche Standardsze-narios genannt werden, die drei wesentlichsten sind für mich:

• „W„W„W„W„Wagenburg“agenburg“agenburg“agenburg“agenburg“ Diese auf Sicherung und Wahrung der eige-nen beschränkten Ressourcen ausgerichtete Vorgehenswei-se setzt auf Abschottung bzw. geringst mögliche Kontakte.

• „Mangelverwaltung“„Mangelverwaltung“„Mangelverwaltung“„Mangelverwaltung“„Mangelverwaltung“ Diese Strategie setzt darauf, die be-grenzten Arbeitsplätze, Einkommen, Finanzmittel etc. mög-lichst „gerecht“ unter den Menschen aufzuteilen. Das Mottolautet dabei „Geteiltes Leid ist halbes Leid“.

• „Nutzenstiftung“„Nutzenstiftung“„Nutzenstiftung“„Nutzenstiftung“„Nutzenstiftung“ Im Rahmen dieses Leitbildes wird nachWegen gesucht, wie aus den begrenzten Ausgangsvoraus-setzungen Entwicklungen hervorgebracht werden können,die dem ausgewogenen Wohlergehen der Menschen ver-pflichtet sind. Hier wird nicht auf den größtmöglichen Ertraggesetzt, sondern auf eine Entwicklung, die Zukunft, optimaleLebensbedingungen und Wohlergehen aller Beteiligten imAuge hat.

Dies sind die gesellschaftlichen Standardszenarien. Vor demHintergrund der Wirkungen neoliberaler Politikmuster möchteich ein weiteres Szenario einfügen.

• „Gier„Gier„Gier„Gier„Gier undundundundund Neid“Neid“Neid“Neid“Neid“ In diesem Leitbild geht es darum, anderenMenschen „etwas abzujagen“, den eigenen Vorteil ohne Ge-genleistung zu erlangen. „Der Neid auf den anderen ist inden Führungszirkeln der Wirtschaft nicht weniger vertretenals auf Schulhöfen oder Spielplätzen24 .“

___23 Den Automotor laufen lassen bei Autos mit Katalysator. Der Problemdruck ist

vermeintlich weg – an „die Technik“ weg delegiert.24 Frankfurter Rundschau online, 12.03.2005.

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95ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Unternehmerisches Beispiel ist der geplante Personalabbaubei der Deutschen Bank, damit die geplante Eigenkapital-rendite von 25% erreicht werden kann25 . Der Chefvolkswirtder Deutschen Bank bezeichnete in diesem Zusammenhangdie Deutschen als „Heulsusen“26 . Niederlagen und Miss-erfolge werden individualisiert, gelten als selbstverschuldetoder der „natürlichen“ Disposition zu zurechnen. Arbeitlosesind selbst Schuld, dass sie keine Arbeit haben. Beispiels-weise erwartet der Bundespräsident von den Menschen inOstdeutschland sich damit abzufinden, dass es nun einmalungleiche Lebensbedingungen in Deutschland gibt. 27 DieDinge sind eben so, wie sie sind – und das war schon immerso. Daran wird sich auch nie etwas ändern. „Die Botschaftlautet: Gier“, fasst der St. Gallener Wirtschaftsethiker UlrichThielemann zusammen28 und GEIZ ist GEIL oder BILLIG willICH sind die passenden Parolen dieser Kampagne.

Man kann gesellschaftliche Handlungsprozesse definieren alsdie Herstellung von Sinnbeziehungen zwischen Handlungen,„die Komplexität reduzieren durch Stabilisierung“29

Gesellschaftliche Kohäsion, Zusammenhalt, als Handlungs- undGestaltungsfeld ist von der neokonservativen Politik schlicht auf-gegeben worden. Neoliberale Politik erklärt sich für gesellschaft-lichen Zusammenhalt nicht zuständig. Wie soll da Nachhaltigkeitwachsen? Neben der parteiübergreifenden Verbreitung neoli-beraler Ideologie ist die Zersplitterung sinnbildendersinnbildendersinnbildendersinnbildendersinnbildender Gesell-Gesell-Gesell-Gesell-Gesell-scscscscschaftsprhaftsprhaftsprhaftsprhaftsprozesseozesseozesseozesseozesse auf profilierte Teilsysteme ursächlich für ge-sellschaftliche Erosionsprozesse30 . Es fehlt heute an gesell-schaftlicher IntegrationsleistungIntegrationsleistungIntegrationsleistungIntegrationsleistungIntegrationsleistung! „Die wichtigsten … Redukti-onsleistungen, die dem Verhalten in der Gesellschaft Struktur ge-ben, werden heute nicht mehr als … ethisches Gebot … institu-tionalisiert.“31 Diese, von Luhmann hier angesprochene „Reduk-tionsleistung“ ist eigentlich sinnstiftende Integrationsleistung!

___25 ARD-Tagesschau, 4.2.2005.26 Norbert Walter in: ARD-Tagesschau, 8.2.2005.27 Horst Köhler in einem Focus-Interview am 11.9.2004.28 ARD-Tagesschau, 4.2.2005.29 N. Luhmann, Moderne Systemtheorien als Form gesamtgesellschaftlicher

Analyse, in: J. Habermas / N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder So-zialtechnologie, Frankfurt / M., 1971, S.15.

30 ebenda, S.16.31 ebenda, S.17.

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96 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

Komplexe Gesellschaften müssen zur Aufrechterhaltung funk-tionaler Differenzierung schärfer zwischen gesellschaftlicherRolle und der sie ausfüllenden Person trennen als dies in vor-industriellen Gesellschaften notwendig war. Ihre Struktur- undVerhaltenserwartungen werden mehr durch definierte Rollenzu-weisungen sichergestellt, als durch die sie ausfüllende Perso-nen gewährleistet32 .Diese Trennung zwischen gesellschaftlicher Rolle und ausfüllen-der Person entspricht zwar einer auf Effektivitätssteigerung ge-richteten Gesellschaftsentwicklung, widerspricht aber dem, vonder Brundtland-Kommission entwickelten, integrierten Politik-konzept des sustainable development33 . Und es steht einerintegeren und integrierten Sicht auf die Handlungen von Men-schen in IHRER Gesellschaft diametral entgegen: „Ich bin, wasich tue!“ (Dorothee Sölle) wird zur zufälligen Ausnahme, die ei-nem „Ich tue ja nur, was von mir erwartet wird!“ gegenüber steht.Auch dadurch verlieren Menschen Halt und Orientierung, so wieWolfgang Endler es in seinem Gedicht „Sein Name sei B.Liebig“beschrieben hat:

Ob Tattoo oder Piercing,ob Ohr ab oder Ohr-Ring

– jede Art von Monturschriller Bart, top - Frisurist erlaubt, wenn’s gefälltirgendwem auf der Welt

...Generell un-informiert?Individuell uni-formiert?Mach‘ nur, was du willst!Hauptsache du erfüllst

die gewünschte Paß-Formder DIN-ISO - Norm.

Komplexitätsreduktion – durchaus als Element gesellschaftli-cher Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse – und SINN-bildung – verstanden als Stärkung gesellschaftlicher Kohäsiondurch Integrationsleistung – sind die systemischen Elemente ei-nes Konzeptes von (Unternehmens-) Netzwerken für Nachhal-tigkeit. Nachhaltigkeit verstehe ich als eine Option, gesellschaft-licher Entwicklung neue Dynamik und Produktivität zu verleihen.

___32 ebenda, S.23.33 siehe unter „Nachhaltigkeit“ im Glossar.

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97ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Dieser Prozess lässt sich in ganz unterschiedlichen Schwer-punktsetzungen (Produkt- und Dienstleistungsbereiche) regio-nalpolitisch für eine gebrauchswertorientierte politische Ökono-mie nutzen. Die Frage ist allerdings, ob diese, dem Konzept vonnachhaltiger Entwicklung zu Grunde liegenden Zielsetzungen,heute noch auf einer politischen Agenda stehen?

DieDieDieDieDie DoppelheitDoppelheitDoppelheitDoppelheitDoppelheit derderderderder PPPPPolitikolitikolitikolitikolitikininininin einemeinemeinemeinemeinem ModellModellModellModellModell funktionalerfunktionalerfunktionalerfunktionalerfunktionaler DifferDifferDifferDifferDifferenzierungenzierungenzierungenzierungenzierungPolitik ist in einem Modell netzwerkbasierter Entwicklungs-perspektiven einer funktional differenzierten Gesellschaft einedoppelte Kategorie:34

• einerseits ist PPPPPolitik olitik olitik olitik olitik ein L L L L Logikberogikberogikberogikberogikbereiceiceiceiceichhhhh unter mehreren imStrukturmodell der funktional differenzierten Gesellschaft,mit der „Verrechnungseinheit“ Optimierung der Wiederwahl-chancen.

• andererseits ist PPPPPolitikolitikolitikolitikolitik das VVVVVerhandlungs-erhandlungs-erhandlungs-erhandlungs-erhandlungs- undundundundund EntscEntscEntscEntscEntschei-hei-hei-hei-hei-dungssystemdungssystemdungssystemdungssystemdungssystem gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse undin diesem Sinne den anderen gesellschaftlichen Logikenübergeordnet. Das erfordert Fähigkeiten des kulturellenÜbersetzens, der Allparteilichkeit und der konfliktfähigenEntscheidungsfindung. Aufgabe der Politik in diesem Sinneist die Herstellung gesellschaftlicher Kohäsion.

Die daraus erwachsenden Widersprüche müssen jedoch nichtgelöst werden! Man kann sie auch aushalten, im gesellschaftli-chen Dialog ausbalancieren. Man könnte sich auch entschei-den, nicht (auf-) lösen, sondern (ent-) scheiden: so meine ichetwas – und so nicht!Dieses ZusZusZusZusZusammendenkenammendenkenammendenkenammendenkenammendenken (als dialogische IntegrationsleistungIntegrationsleistungIntegrationsleistungIntegrationsleistungIntegrationsleistung)ist die Herausforderung, die überfällige gesellschaftliche Innovati-on, die durch nachhaltige Entwicklung gefördert werden kann.Eine wirkungsvolle Nachhaltigkeitspolitik setzt geteilte Entschei-dungsmacht voraus:

• ökonomische Entscheidungsmacht unterliegt sinngeleitetenBegrenzungen, die anderen Teilbereichen der Gesellschaft(Logiken) entstammen.

• Betroffene zu Beteiligten machen, d.h. EntscEntscEntscEntscEntscheidungsfähig-heidungsfähig-heidungsfähig-heidungsfähig-heidungsfähig-keitkeitkeitkeitkeit zulassen. Dies setzt die Bereitschaft voraus, Entschei-dungsmacht abzugeben. Ohne solche Entscheidungsmachtsind z.B. Lokale Agenda 21-Prozesse relativ wirkungslos.___

34 N. Luhmann, in: Moderne Systemtheorien als Form gesamtgesellschaftlicherAnalyse, S.7; Luhmann bezeichnet dort in Anlehnung an Aristoteles Gesell-schaft als das umfassende Sozialsystem, das aber gleichzeitig auch als ei-nes unter anderen begriffen werden kann!

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98 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

• Nachhaltigkeit bedeutet unter anderem RücRücRücRücRückholbarkeitkholbarkeitkholbarkeitkholbarkeitkholbarkeit(d.h. Umkehrbarkeit) von Entscheidungs- und Entwicklungs-prozessen.

• In dieser „Rückholbarkeit“ wird die ethische VVVVVerantwortungerantwortungerantwortungerantwortungerantwortungder freien individuellen Handlung sichtbar. Ich entscheidedie Richtung – aber damit übernehme ich auch die Verant-wortung für die Rückholbarkeit!

Wie lassen sich nun diese Eckpunkte im Kontext eines Modellsregionaler Politik darstellen? Die Aufgabe von Expertenkommis-sionen besteht z.B. nicht darin, einer Meinung zu sein und DIEeine „richtige“ Lösung für ein Problem zu finden. Ihre Aufgabebesteht vielmehr darin, entscheidungsfähige und -reife Vor-schläge an die Politik zu unterbreiten – und zwar zwei bis dreiAlternativen. Politik betreiben hat etwas mit „Entscheidungenohne Verantwortungsscheu und Entscheidungsangst treffen“ zutun!Transdisziplinarität wird in diesen Zusammenhang als Modellgesellschaftlicher Entwicklungs- und Entscheidungsprozesseverstanden. Die Voraussetzung für tragfähige Entscheidungenbesteht ja eben darin, Kontexte zu schaffen, Personen und Posi-tionen zusammen zu bringen, die vordergründig unvermittelt er-scheinen.

NacNacNacNacNachhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeit ininininin ZeitenZeitenZeitenZeitenZeiten neoliberalerneoliberalerneoliberalerneoliberalerneoliberaler GlobalisierungGlobalisierungGlobalisierungGlobalisierungGlobalisierungÖkonomien nachhaltiger Technikentwicklung orientieren sicham Nutzwert der zu erstellenden Produkte und Dienstleistungenund an den vor Ort vorhandenen (Unternehmens-) Strukturen.Die Orientierung liegt – im Gegensatz zu konventioneller Wirt-schaftförderung – auf dem Bestand an Arbeitsvermögen undWertschöpfungspotenzial; in diesen sind entscheidende Res-sourcen für Innovationsprozesse zu finden. Großunternehmentreffen hingegen Standortentscheidungen entlang anderer Krite-riensysteme. Wie viel hat wohl der „Standortwettbewerb“ um dieAnsiedlung der BMW und PORSCHE Werke bundesweit geko-stet? Welche Zukunftsperspektiven haben solche Entscheidun-gen, wenn man weiß, dass ein neues Automobilwerk heute nachdrei Jahren betriebswirtschaftlich abgeschrieben ist? Das dieskein ausschließliches Problem „alter“ Industrien ist, zeigt dergescheiterte Versuch Nordrhein-Westfalens sich als Medien-standort zu entwickeln: Der 1993 als Widerpart zu MTV gestarte-te Musiksender VIVA, das Vorzeigeprodukt der NRW-Standort-förderung, wurde vom Konkurrenten MTV aufgekauft und droht

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nun nach Berlin abzuwandern. Dorthin, wo die Musikmesse Pop-komm bereits abgewandert ist35 .In einem globalen politisch-ökonomischen Maßstab stellen sichStandortentscheidungen noch ganz anders dar36 . Hierzu nur einBeispiel: Noch im Sommer 2002 bezeichnete die Konzernleitungvon General Motors die neue Produktionsstätte der Opel AG inRüsselsheim „als das ‘modernste Werk der Welt in der Geburts-stadt Adam Opels’. Die ‘Leanfield’ genannte Anlage war … mitder Produktion eines Nachfolgemodells des ‘Vectra’ mit 550 Mit-arbeitern … in Betrieb genommen worden. Zusammen … warenin das Werk rund 1,5 Milliarden Mark investiert worden.“37 Und„Klaus Franz, der heutige Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats… erinnert ... gern daran, dass ‘Leanfield’ erst auf Druck der Be-legschaft eingeführt wurde.“38 Doch bereits einige Jahre zuvor,1997 hatte die polnische Regierung 48 Kampfflugzeuge vom TypF 16 beim Rüstungskonzern Lockheed-Martin bestellt. 2003wurde dieser Kauf vertraglich fixiert. Die polnische Regierungzahlt den Kaufpreis von insgesamt 3,7 Mrd. US-Dollar mit fi-nanzieller Unterstützung der US-Regierung. „Im Gegenzug ver-spricht Lockheed-Martin ein lukratives Koppelgeschäft. Durchvertraglich zugesicherte Investitionen sollen 6 Mrd. US-Dollarzurück nach Polen fließen.“39 Im Rahmen dieser Vereinbarungrealisiert General Motors (GM) einen Teil (Berichte sprechen von800 Mio. US-Dollar) dieses Koppelgeschäftes. Im polnischenGliwice werden zukünftig nicht mehr nur der Opel-ASTRA son-dern auch Teile der Opel-ZAFIRA-Produktion angesiedelt sein.Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde auch von Kommunal-,Landes- und Bundespolitikern „Leanfield“ in Rüsselsheim alsein gelungenes Beispiel für zukunftsorientierte Wirtschaftsförde-rung am Standort Deutschland gepriesen. Über Beispiele imLand Brandenburg, wie die „Chip-Fabrik“ in Frankfurt/Oder bzw.„Cargo-Lifter“ in Brand, soll hier gleich der Mantel des Schwei-gens gebreitet werden. Eine derartige Standortpolitik, die sichüberwiegend an der (gescheiterten) Ansiedlung von Großunter-nehmen und multinationalen Konzerne orientiert, erinnert an denVersuch, in einem Sieb Wasser zu holen! Kein „Leanfield“schützt vor einem Gliwice.___35 Der Glamour sagt tschöchen, taz, 16.2.2005, Seite 6, SEBASTIAN SEDLMAYR.36 Einen Insiderbericht über die Aktivitäten globaler Ökonomie lieferte unlängst

John Perkins mit seinem Buch Bekenntnisse eines Wirtschaftsattentäters,Riemann Verlag, 2005.

37 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.10.2004, S.3.38 Freitag 52, 17.12.2004.39 ARD Magazin MONITOR vom 22.07.2004.

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ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

Solche Aktivitäten sind keineswegs nur das Ergebnis geheimerAbsprachen zwischen (amerikanischer) Politik und Großkapital.Siemens Nixdorf, Duales System Deutschland (DSD) undTelenorma sind Beispiele für die „Restrukturierungsleistungen“eines neuen Investorentyps. Kostensenkung, Entlassungen,Mehrarbeit bei gleichem oder geringerem Lohn, vermehrter Ein-satz von Leiharbeitern sind die bevorzugten Methoden um die„Verwertungsleistung“ dieser „Raider“ (Plünderer) genanntenFinanzinvestoren zu optimieren40 .Eine Gegenstrategie zu einem solchen neo-liberalen und globalagierenden Kapitalismus liegt, so Ulrich Beck, in einer sozialenBewegung, „die auf der Figur des politischen Konsumentenberuht.“41 Kaufentscheidungen zu einer Abstimmung über Unter-nehmens- und Konzernpolitik zu machen, hat sich in den letztenJahren schon mehrfach als wirkungsvoll erwiesen.Die ReUse-Strategie zu einer „Nicht-(Neu)-Kauf“ Entscheidungweiter zu entwickeln, sie zu einer Strategie für den Kauf bei re-gionalen Microunternehmen auszubauen, wendet diese Kon-sumentenperspektive zu einer Strategie regionaler Wirtschafts-entwicklung, die globale Zusammenhänge nicht „frontal“ an-geht, sondern diese – auf der Basis von sustainable develop-ment – versucht zu umgehen.Beck meint, dass die Entwicklung des modernen Kapitalismuseine Erweiterung der klassischen Macht- und Herrschafts-strategien, wie sie von Max Weber beschrieben werden, dar-stellt: Zum Zwangsmittel multinationaler Unternehmen wird zu-nehmend die Nicht-Investition – nicht „der drohende Einmarsch,sondern der drohende Nicht-Einmarsch der Investoren oder ihrdrohender Ausmarsch“42 ist es, der die Machtausweitung inter-national agierender Konzerne ermöglicht.In Zeiten der allgegenwärtigen „Wagenburg“-Szenarien mit ih-ren Abschottungstrategien, z.B. gegen Flüchtlinge, sind multina-tionale Konzerne aber auch die einzigen, die immer und überallZugang verlangen können – und ihn in der Regel auch erhalten.Eine Ökonomie nachhaltiger Technikentwicklung setzt das Prin-zip der Wechselseitigkeit wieder auf die Tagesordnung und for-dert Dialoge, Aushandlungsprozesse heraus!

__40 Die Plünderer kommen, Freitag 06, 11.2.2005, Werner Rügemer.41 U. Beck, „Vorwärts durch Verzicht“, Süddeutsche Zeitung, 20.10.2004.42 ebenda.

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Eine ReUse-Strategie setzt einer solchen, oben am Beispiel desOpel-Standortes Rüsselsheim beschriebenen Entwicklung dasKonzept des Ortes (der Region) und der Verantwortung (sozial,ökologisch und ökonomisch) entgegen. Die Eingebundenheitvon ReUse-Computer in die ökonomischen, sozialen und politi-schen Rahmenbedingungen der Region bringt strukturelle Di-mensionen zum Ausdruck, die in der Fachdiskussion Sozial-kapital43 genannt werden.Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesrepublik bietetdazu hervorragende Anknüpfungsmöglichkeiten. Die „Überset-zung“ der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie in die jeweiligeUnternehmenspolitik wäre ein Beispiel für die o.g. „kulturelleÜbersetzungsleistung“ und Voraussetzung für jede Form vonFörderung z.B. Unternehmenssubvention.

Schon Mahatma Gandhi’s Konzept des swadeshi44 (wirtschaftli-che Eigenständigkeit des Landes) setzte darauf, Produkte undDienstleistungen zu nutzen, die im Kontext regionaler Ökonomieerzeugt bzw. aufgearbeitet wurden. Aus Gandhis Strategie derdörflichen Produktion heraus lässt sich also mit Hilfe von (Unter-nehmens-) Netzwerken für Nachhaltigkeit die regionale „Her-stellerperspektive“ wieder zurückgewinnen.45

„Auch ganz unromantische Ingenieure konzipieren inzwischenden Umstieg von der Arbeits- auf Ressourcen-Produktivität, for-schen am ‘Remanufacturing’ von PCs, Handys oder Waschma-schinen, um die Lebensdauer dieser Produkte auf das Doppelteoder Dreifache zu verlängern. Projekte wie das Netzwerk ‘Re-Use-Computer’ setzen erfolgreich auf Kooperation statt Konkur-renz, auf Langlebigkeit statt Wegwerfmentalität, auf regionalestatt globalisierte Kreisläufe und auf Orientierung am wirklichenGebrauchswert. Junge Energie- und Verfahrenstechniker ent-wickeln dezentrale erneuerbare Energieversorgungssysteme fürMenschen in Entwicklungsländern, die heute noch Kerosin ver-brennen oder Bleibatterien nutzen. Sie werden finanziert überMikro-Kredite, die unabhängig vom großen Finanzkapital verge-ben werden. All diesen Projekten ist gemeinsam, dass sie mit derTechnik gleichzeitig eine Ökonomie aufbauen, die eingebettet istin die soziale Lebenswelt und die natürliche Mitwelt.“46

___43 SozialkapitSozialkapitSozialkapitSozialkapitSozialkapitalalalalal (siehe Glossar S.xyS.xyS.xyS.xyS.xy in Kin Kin Kin Kin Kap.Nacap.Nacap.Nacap.Nacap.Nachhaltigkeit/hhaltigkeit/hhaltigkeit/hhaltigkeit/hhaltigkeit/FFFFFrankrankrankrankrank).44 siehe Glossar „dörfliche Produktion“.45 M. K. Gandhi, Village Industries, Dörfliche Produktion, Eigenverlag Dancing

Shiva, Wien, 2002.46 Wolfgang Neef, „Räder, neu erfunden“, Freitag 06, 11.02.2005.

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ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

WWWWWiririririr entscentscentscentscentscheidenheidenheidenheidenheiden überüberüberüberüber diediediediedie RicRicRicRicRichtunghtunghtunghtunghtungWenn ich nun zum Schluss meiner Überlegungen komme, dannmöchte ich die eingangs von mir angesprochene Sperrigkeitmeiner Ausführungen wieder aufgreifen. Interessantes Modell,aber theoretisch abgehoben, mag der eine oder die andere vonIhnen nun denken. Daher scheint mir ein Verweis auf ein Bei-spiel absolut pragmatischer Politik sinnvoll und notwendig. Derintegrierende und auf Nutzenstiftung gerichtete Wert, der aus ei-ner pragmatisch konstruktiven Arbeit mit (wenn auch unvollstän-digen) Modellen funktional differenzierter Gesellschaft gezogenwerden kann ist z.B. sehr plastisch an den Präsidentschaftenvon Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy und Lyndon B. Johnsennachvollziehbar.Franklin D. Roosevelt, der 32. Präsident der Vereinigten Staatenvertrat in seiner Politik einige Grundüberzeugungen, die ausmeiner Sicht mit dem hier dargelegten Modell übereinstimmen.Roosevelts Verständnis von Gesellschaft47 fasste er in dem Be-griff der community of interest, der Interessensgemeinschaft zu-sammen. In seiner Vorstellung waren alle Mitglieder der Gesell-schaft wechselseitig voneinander abhängig (interdependent).Die Politik war als Sachwalter der community of interest verpflich-tet. Bestandteil dieses Politikmodells war bereits damals schonauch die Sicherung der Umwelt als Lebensgrundlage der Men-schen und als den Menschen anvertraute, zu bewahrendeSchöpfung. Aus diesem Verständnis von Gesellschaft als Inter-essensgemeinschaft folgte für ihn eine Politik der „Diagonale“, inder alle Gruppen ebenso berücksichtigt wie einbezogen werdensollten. Freiheit und Wohlfahrt aller Amerikaner waren in diesemPolitikmodell Ausgangs- und Endpunkt des Regierungssystems.Konzeptionell sah er die Aufgabe der Politik in der Erarbeitungeiner ökonomischen Menschenrechtserklärung, die allen Bür-gerinnen und Bürgern das Recht auf Eigentum und ein anstän-diges Leben ohne Furcht und Hunger garantiert. Kern seinesPolitikverständnisses war der Dialog mit dem Volk, den er in sei-nen „Kaminplaudereien“ umsetzte. In Roosevelts Grundüber-zeugung war die amerikanische Volkswirtschaft ein nahtlosesGewebe wechselseitiger Abhängigkeiten. Das ist nun wahrlichnichts anderes als die Vernetzungsbeziehungen funktionalerTeilbereiche, die in ihrem Zusammenwirken gesellschaftlicheReproduktion sichern.

___47 Zu den folgenden Ausführungen siehe z.B. D. Junker, Franklin D. Roosevelt:

Macht und Vision, Göttingen, Zürich, Frankfurt / M., 1979, S. 66-82.

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Ich finde, dies ist ein ebenso einfach verständliches wie differen-ziertes Modell, das sich wohltuend unterscheidet von der heuti-gen neoliberalen Schlichtheit im Denken und Handeln, das aufvielen Gebieten – leider auch in der Nachhaltigkeitspolitik – allzuhäufig anzutreffen ist.Wenn wir über Nachhaltigkeit in einer Weise nachdenken, wie esder Brundtland-Bericht nahe legt, dann führt uns dies meinesErachtens unweigerlich zu einem Verständnis von Nachhaltig-keit als einem ethischen Prinzip im Sinne Maturanas. Der reflexi-ve Dialog mit meinem Gegenüber ist in einem solchen Modellder Motor für die Entwicklung gesellschaftlichen Wohlergehens.Eine solche, den eigenen Nutzen im Erfolg des anderen im Blickbehaltende integere Haltung zielt auf die gemeinsame (Wieder-)Entwicklung ethischer Normen, Regeln und Verabredungen undweniger auf – beispielsweise – die Einsparung von Kilowattstun-den.Dieses, auf gemeinsame Entwicklungsfähigkeit von Partnern inNetzwerken für Nachhaltigkeit gerichtete Verständnis erfordertallerdings mehr als die Übertragung von Unternehmensfunk-tionen auf überbetriebliche Kooperationen und das Einsetzenstandardisierter Spielregeln; mehr als die Übertragung vonAnleitungen aus Handbüchern.Die Entfaltung regionalwirtschaftlicher Potentiale setzt ein sich„Auseinandersetzen“ über Ziele und deren Erfolgskriterien undein sich „Zusammensetzen“ zur Realisierung dieser Zukunfts-entwürfe voraus. Wenn es gelänge, eine solche Ökonomie nach-haltiger Technikentwicklung, wie ich sie hier versucht habe zuskizzieren, pragmatisch umzusetzen, dann wäre ein Schritt ge-tan, der Martin Buber‘s Beschreibung “... die Individuation warnur die Voraussetzung für die Entfaltung des dialogischen Le-bens”48 , auf gesellschaftlicher Ebene und mit Blick auf funktio-nale Differenzierung neue Bedeutung verleiht.

___48 M. Buber, „Hoffnung für diese Stunde“, Ansprache beim Abschluss seiner

amerikanischen Vorlesungen, New York, 1952, in: Reden, die die Welt beweg-ten, Stuttgart, 91988, S.484.

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GlossGlossGlossGlossGlossararararar

DörflicDörflicDörflicDörflicDörflichehehehehe PPPPPrrrrroduktionoduktionoduktionoduktionoduktion„Ich hege keinen Zweifel daran, dass wir den nationalen Wohlstandheben, indem wir den Kleinstbetrieben helfen. Ich zweifle auch nicht,dass wahres Swadeshi darin besteht, die Heimarbeit zu bestärken undwiederzubeleben. Nur das allein kann den benachteiligten Millionenhelfen. Sie könnten ihre Kreativität und ihren Einfallsreichtum umset-zen, zahllose arbeitslose Jugendliche würden eine Beschäftigung fin-den. All die Energie, die jetzt verloren geht, würde genützt werden. ....Die Idee hinter dem Aufbau einer Dorfproduktion ist die Selbstversor-gung mit den Dingen des täglichen Bedarfs bzw. die Überlegung, wieman eventuell nicht so gut abgedeckte Bedürfnisse mit ein wenig Auf-wand und Organisation auf profitable Weise von den Dorfbewohnernbereitstellen lassen könnte. Schätzt man den Gewinn ab, sollte man andie Dörfler denken, nicht an sich selbst. ... Die Dinge werden besserwerden, wenn wir uns für den Erzeuger interessieren und uns darinengagieren, die Sachen besser zu machen.“aus: Mohandas Karamchand Gandhi, VVVVVillageillageillageillageillage Industries,Industries,Industries,Industries,Industries, Dörfliche Produktion,Eigenverlag Dancing Shiva, Wien, 2002, Seite 7.KKKKKontingenzontingenzontingenzontingenzontingenzBegriff der Systemtheorie zur Bezeichnung der Offenheit einer Situati-on für den Handelnden. Werte, Normen, Institutionen und Regeln wir-ken kontingenzbeschränkend. In komplexen Situationen müssen Ent-scheidungen getroffen werden, die auf unvollständigen Informationenberuhen. In einer solchen Entscheidungssituation kann nicht von vorn-herein von einer richtigen oder falschen Entscheidung gesprochenwerden.LLLLLernendeernendeernendeernendeernende NetzwerkeNetzwerkeNetzwerkeNetzwerkeNetzwerkeLernprozesse sind Erzählprozesse, sind narrative Prozesse. Netzwerkeals soziale Systeme lernen und entwickeln sich über den retrospekti-ven Vergleich ihrer Entwicklungsprozesse mit den ursprünglich ange-strebten Zielen. Die Geschichte eines Netzwerkes erzählen könnensetzt voraus, dass dies lange genug existiert um retrospektiv wahrge-nommen zu werden.NacNacNacNacNachhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeitDer Begriff „sustainable development“ wird im Deutschen meist mit„nachhaltiger Entwicklung“ übersetzt. Weitere Übersetzungen, die inder Literatur verwendet werden, sind u.a.

••••• dauerhaft umweltgerechte Entwicklung••••• ökologisch-dauerhafte Entwicklung••••• nachhaltig zukunftsverträgliche Entwicklung••••• zukunftsfähigezukunftsfähigezukunftsfähigezukunftsfähigezukunftsfähige EntwicEntwicEntwicEntwicEntwicklungklungklungklungklung.

1983 beauftragte die UNO die Weltkommission für Umwelt und Ent-wicklung (WCED = World Commission on Environment andDevelopment) mit der Erstellung eines Perspektivberichts zu langfristigtragfähiger, umweltschonender Entwicklung im Weltmaßstab. Vorsit-

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zende wurde die damalige Ministerpräsidentin von Norwegen, GroHarlem Brundtland. Die Kommission veröffentlichte 1987 ihren Bericht„Unsere gemeinsame Zukunft“. Dieser Bericht ist so bedeutend, weilhier erstmals das Leitbild einer „nachhaltigen Entwicklung“ entwickeltwurde. Die Kommission versteht darunter eine Entwicklung, „die denBedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglich-keiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnissezu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“ Zwei Schlüsselbegriffesind dabei wichtig:

••••• der Begriff Bedürfnisse, insbesondere die Grundbedürfnisse derÄrmsten der Welt sollen Priorität haben

••••• der Gedanke von Beschränkungen, die der Stand der Technologieund der sozialen Organisation auf die Fähigkeit der Umwelt aus-übt, gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse zu befriedigen.

Das vorgestellte Konzept einer nachhaltigen Entwicklung bildete dieGrundlage einer integrativen globalen Politikstrategie. So wurden bis-her getrennt betrachtete Problembereiche wie u.a. Umweltverschmut-zung, globale Hochrüstung, Schuldenkrise, Bevölkerungsentwicklungund Wüstenausbreitung in einem Wirkungsgeflecht gesehen, dasdurch einzelne Maßnahmen nicht würde bearbeitet werden können.Weiter stellt die Kommission fest, dass die Weltwirtschaft zwar die Be-dürfnisse und legitimen Wünsche der Menschen befriedigen müsse.Das Weltwirtschaftswachstum dürfe aber die ökologischen Grenzender Erde nicht sprengen. Auch müssten die Menschen viele ihrer Tätig-keiten und Lebensweisen ändern, wenn die Welt nicht vor unannehm-bare menschliche Leiden und Umweltschäden gestellt werden solle.nach: Lexikon der Nachhaltigkeit, Aachener Stiftung Kathy Beith, 05.01.2005,http://www.nachhaltigkeit.aachener-stiftung.de/2000/Definitionen.htm .NarrativeNarrativeNarrativeNarrativeNarrative PPPPPrrrrrozesseozesseozesseozesseozesse sind Erzählprozesse, Lernprozesse. Soziale Sys-teme, wie z.B. Netzwerke, lernen und entwickeln sich über den retro-spektiven Vergleich ihrer realen Entwicklungsprozesse mit den ur-sprünglich angestrebten Zielen. Dieser erzählerische Prozess reprä-sentiert die Voraussetzung für (individuelle wie systemische) Entwick-lungsfähigkeit: Zirkularität.NeoliberalismusNeoliberalismusNeoliberalismusNeoliberalismusNeoliberalismusBezeichnung für eine ökonomisch-politische Ideologie. Neoliberalis-mus bestreitet staatliche Regelungskompetenzen und -fähigkeiten zurBearbeitung sozialer, ökologischer und politischer Aspekte der Gesell-schaft. Neoliberalismus erklärt z.B. Wirtschaftskrisen als Resultat poli-tischer Eingriffe. Mit einer eher politischen Konnotation wird vonNeokonservatismus gesprochen. Im Unterschied zum traditionellen Li-beralismus definiert Neoliberalismus Freiheiten von der ökonomischenLogik her, Freiheit ist die Freiheit ökonomischer Aktivität und dehnt die-se auf die gesamte Gesellschaft aus.PhilosophiscPhilosophiscPhilosophiscPhilosophiscPhilosophischehehehehe AnthrAnthrAnthrAnthrAnthropologieopologieopologieopologieopologie„Hier, wo es um die Ganzheit geht, kann der Forscher sich nicht …damit begnügen, den Menschen wie irgendeinen anderen Teil der Na-

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tur zu betrachten und davon abzusehen, dass er, der Forscher, selberMensch ist und sein Menschsein … in einer Weise erfährt, wie er schlecht-hin keinen Teil der Natur zu erfahren imstande ist ...“(S.19)... „Die Ganz-heit des Menschen erkennen kann er erst dann, wenn er seine Subjek-tivität nicht draußen lässt und nicht unberührter Betrachter bleibt. Son-dern er muss in den Akt der Selbstbesinnung ... ganz eingehen, um dermenschlichen Ganzheit inne werden zu können. Mit anderen Worten:er muss diesen Akt des Hineingehens in jene einzigartige Dimensionals Lebensakt vollziehen, ... er muss sich also alledem aussetzen, waseinem widerfahren kann, wenn man wirklich lebt.“Aus: Martin Buber: Das Problem des Menschen, Heidelberg, 1961, S. 20.ReflexionReflexionReflexionReflexionReflexionDie Fähigkeit von Menschen und sozialen Systemen, sich selbst zuthematisieren und sich selbst als geeignete Umwelt (attraktiver Part-ner) anderer Menschen bzw. sozialer Systeme zu denken, wird durchden Begriff Reflexion beschrieben. Reflexion setzt eine Vorstellung, eininneres Modell oder eine innere Landkarte voraus, die als Bezugs-rahmen für die eigenen Handlungen des jeweiligen Systems geeignetsind. Reflexion ist eine mögliche Form der Selbststeuerung in komple-xen SituationenSystemSystemSystemSystemSystemSchon in der Antike kannte man das Wort systema, abgeleitet aus demzusammengesetzten griechischen Begriff synhistamein (syn: zusam-men; histamein: stehen). Es ging also um das Zusammengestellte,Zusammengeordnete. Im Sinne von komplexen Systemen bezeichnet„System“ einen ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen, deren Be-ziehungen untereinander intensiver und produktiver sind als ihre Be-ziehungen zu anderen Elementen. Diese Besonderheit der Beziehun-gen begründet eine Systemgrenze, die das System und die Umweltdes Systems trennt. Die Besonderheit psychischer und sozialer Syste-me liegt darin, dass ihre Grenzen nicht (allein) physikalisch-räumlichbestimmt sind, sondern symbolisch-sinnhaft. Zirkulär könnte man for-mulieren, dass der Sinn sozialer Systeme in der Begrenzung von Sinnbesteht.Beispiel: Ein Stahlwerk stellt in diesem Sinne ein soziales System dar,z.B. mit den Elementen Gießerei, Schmiede, Ringwalzwerk, Mechani-sche Werkstatt und einem Elektrostahlwerk, den Abteilungen Finan-zen, Personalwirtschaft, Einkauf, Vertrieb usw. sowie ihren jeweiligenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Geschäftsführung, der zweitenFührungsebene und dem Betriebsrat. Jedes dieser Elemente kann so-wohl als Teilsystem eines übergreifenden Systems (Stahlwerk), alsauch als übergeordnetes System für wiederum seine Teilsysteme be-trachtet werden. Entsprechend verändert sich das, was als relevanteUmwelt in Betracht kommt.SystemiscSystemiscSystemiscSystemiscSystemischesheshesheshes DenkenDenkenDenkenDenkenDenkenSystemisches Denken hat seinen Ursprung in Wissenschaften wie derPsychologie, Biologie und der Soziologie. Im Bereich der Organisa-

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tionsentwicklung hat es z.B. mit dem Buch „Die fünfte Disziplin“ vonPeter Senge an Bedeutung gewonnen.Grundlegend für Systemisches Denken ist es, neben der Unterschei-dung der Umwelt in Teile von Ganzen und Ganze (Systeme) aus Teilen,die Beziehungen der Systeme und der Teile zueinander zu beleuchten.Das Verhalten von Systemen wird aufgrund von Wechselwirkungenbestimmt, die vernetzte Kreisläufe bilden. Das Denken in einfachen Ur-sache-Wirkungs-Zusammenhängen wird durch das Denken in Kreis-läufen ersetzt.TTTTTransdisziplinaritransdisziplinaritransdisziplinaritransdisziplinaritransdisziplinaritätätätätät basiert auf interdisziplinärer, d.h. fachübergreifen-der arbeitsteiliger Forschungskooperation zur Bearbeitung gemeinsa-mer Problemstellungen mit Hilfe fachfremder Anregungen (Ideen, Kon-zepte, Methoden) und Unterstützungsleistungen. Transdisziplinaritätliegt vor, wenn die Definition der lebensweltlichen Problemstellungnicht allein aus dem Wissenschaftssystem heraus, sondern unter Be-rücksichtigung anderer gesellschaftlicher Logiken erfolgt sowie gesell-schaftliche Akteure als Teilnehmer im Forschungsprozess, bei der Er-gebnisbewertung und -umsetzung beteiligt sind.(nach „Umweltpsychologie in der inter-/ transdisziplinären Umweltforschung“ -Einführung von Dirk Scheffler in: Umweltpsychologie, 7.Jg., Heft 2, 2003.)UmweltUmweltUmweltUmweltUmweltRelevante Umwelt bezeichnet das, was nicht zu einem bestimmten Sy-stem (z.B. einem Stahlwerk in der Sanierungsphase) gehört, aber fürdieses System von Bedeutung ist. Zur Umwelt des Systems Stahlwerkzählen/zählten z.B. die Treuhandanstalt, die Holding, der Aufsichtsrat,die Gewerkschaft und last but not least der „Markt“ und die darin agie-renden Konkurrenten des Stahlwerks aber auch die Region in der dasStahlwerk liegt und die Kommunalpolitik der Stadt. Die einzelnen „Ele-mente“ des Stahlwerks (siehe System) agierten/agieren jeweils nun ineiner Art und Weise, die – aus ihrer Sicht – dem Ziel der Erhaltung desUnternehmens und damit indirekt dem Selbsterhalt dienlich sein soll-ten. Allerdings aus unterschiedlichen Perspektiven/Logiken: Die Be-triebsräte (und die Gewerkschaft) aus ihrer (Teil-) Logik heraus, die(ostdeutschen „Stahlwerker“) Führungskräfte und die (West) Ge-schäftsführung wiederum aus einer ihnen eigenen (Teil-)Logik.Welche Umwelt in einem Netzwerkprojekt von Bedeutung ist, hängtvom Einzelfall ab (Projektrahmen). Deshalb ist es wesentlich für einebestimmte (Entwicklungs-) Aufgabe, die Systemreferenz zu bestim-men, d. h., deutlich zu machen (in erster Linie sich selbst als Projekt-leiter / Netzwerkentwickler), welche Systemebene gerade gemeint ist(bezogen auf das o.g. Beispiel: Ebene Geschäftsführung – Betriebsrat,Ebene Management, Ebene Bereichsleiter – Facharbeiter usw.) und inbezug auf welche Umwelten die Aufgabe thematisiert wird.

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DieDieDieDieDie permanentepermanentepermanentepermanentepermanente KKKKKriseriseriseriserise desdesdesdesdes Computer-Computer-Computer-Computer-Computer-GebraucGebraucGebraucGebraucGebrauchshshshshsPeter Brödner

„We know why projects fail, we know how to prevent their failure –

so why do they still fail?“

Cobb’s paradox1

Eine wesentliche Erkenntnis des ReUse-Computer Projektes ist,dass sich bei Programmen für Textverarbeitung, Tabellenkalku-lation etc. in den letzten Jahren keine wesentlichen Verbesse-rungen ergeben haben. Die Erstellung eines Briefes dauert heu-te noch so lange wie vor zehn Jahren. Manche Anwender sindsogar der Auffassung, dass sich die Erstellung eines Word-Do-kuments oder einer Excel-Tabelle mit dem neuesten Microsoft-Office-Tool eher verlängert hat. Die Gebrauchstauglichkeit derProgramme und deren Stabilität in der Anwendung stellt für An-wenderinnen und Anwender immer wieder eine psychische Be-lastung dar. Dies ist zum einen ein wesentliches Argument fürdie Wieder- und Weiterverwendung von PCs und Laptops: neue-ste Hardware beschleunigt keineswegs die Erstellung von Tex-ten und Tabellen. Zum anderen sind Probleme der Handhabbar-keit nicht auf PCs und Bürosoftware beschränkt. Vielmehr lassensich hinsichtlich Einsatz und Gebrauch von Computern in derArbeitswelt allgemein Probleme erkennen, die offensichtlich sy-stematische Ursachen haben. Ihnen will dieser Beitrag auf dieSpur kommen.

EinführungEinführungEinführungEinführungEinführung::::: DieDieDieDieDie KluftKluftKluftKluftKluft zwisczwisczwisczwisczwischenhenhenhenhen WWWWWunscunscunscunscunschhhhh undundundundund WWWWWirklicirklicirklicirklicirklichkeithkeithkeithkeithkeitVon Beginn an standen Computer und Arbeitswelt in einem pro-blematischen und krisenreichen Verhältnis zueinander. LangeZeit beherrschten die Bilder des Computers als universellemprogrammierbaren Automaten und die damit möglich er-scheinende Automatisierung von Kopfarbeit die Vorstellungenkünftiger Arbeitswelten. Entsprechend galt der Computer jahre-lang als „Jobkiller“ in allen Bereichen mit relativ einfachen, wie-derholbaren und daher leicht algorithmisch beschreibbaren gei-stigen oder genauer: symbolverarbeitenden Tätigkeiten. AmEnde Stand die Vision von der wissensbasierten und computer-integrierten Produktion, der menschenleeren und doch flexibelreaktionsfähigen Fabrik.___1 Royal Academy of Engineering (ed.), 2004: The Challenges of Complex IT Projects.

The report from a working group of the Royal Academy of Engineering and the BritishComputer Society, London: The Royal Academy of Engineering, S. 10.

Die permanente Krise des Computergebrauchs Peter Brödner

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Tatsächlich ist wenig davon eingetreten. Unzählige empirischeBefunde der achtziger und frühen neunziger Jahre belegen2 ,dass die landläufige Automatisierungsperspektive als ein gran-dioses Missverständnis ins Reich der Mythen und Illusionen ge-hört. Die automatische Fabrik ist weiter entfernt denn je, statt-dessen stehen die arbeitsorientierte, gebrauchstaugliche Ge-staltung und der effektive Gebrauch von Computern als Arbeits-mittel und Medium der Kooperation im Zentrum des Geschehensund dessen Betrachtung. Auch sind Beschäftigungseinbrücheinfolge des Computereinsatzes per saldo nicht nachzuweisen.Im Gegenteil: Das so genannte Produktivitätsparadoxon derInformationstechnik, das Ausbleiben von Produktivitätsschübentrotz massiver IT-Investitionen, ist eine hierzulande zwar kaumbeachtete, aber sich gleichwohl hartnäckig haltende Erschei-nung. Sie wird ferner begleitet durch die Permanenz der nunschon fast vierzig Jahre währenden Softwarekrise. So bestim-men statt menschenleerer Fabriken eher wenig zweckmäßig ge-staltete und zudem oft unproduktiv genutzte Computersystemedie Wirklichkeit der Arbeitswelt: „The lack of usability of softwareand poor design of programs is the secret shame of the industry“3 .Trotz aller Bemühungen um systematisches Vorgehen bei Ent-wicklung und Implementierung der Software von IT-Systemenund um ingenieurmäßige Methoden zur Sicherung ihrer Qualitäterweisen sich komplexe, in Arbeits- und Wertschöpfungs-prozessen eingesetzte IT-Systeme weiterhin als chronisch defi-zitär. Zahlreiche Untersuchungen über Gestaltung, Einsatz undGebrauch informationstechnischer Systeme belegen immer wie-der einen höchst problematischen und oftmals unproduktivenUmgang mit Computersystemen in Organisationen. Statt alsRessourcen das Arbeitshandeln zu erleichtern, stehen sie alsHindernis im Weg. Und immer wieder verweisen genauere Ana-lysen auf die gleichen Gründe: Mangelhaftes Projektmanage-ment, unzureichende Beteiligung, mangelnde Gebrauchstaug-lichkeit und vernachlässigte Aneignung mit der Folge überhöh-ter Kosten und beschränkter Produktivität4 .___2 vgl. zusammenfassend Landauer, T. K., 1995: The Trouble with Computers.

Usefulness, Usability, and Productivity, Cambridge (MA): MIT Press sowieBrödner, P., 1997: Der überlistete Odysseus. Über das zerrüttete Verhältnis vonMenschen und Maschinen, Berlin: edition sigma.

3 Kapor, M., 1991: A Software Design Manifesto, in: Winograd, T. (ed.): BringingDesign to Software, Reading (MA): Addison-Wesley, S. 3.

4 vgl. zusammenfassend Fußnote 2 sowie Royal Academy of Engineering (ed.),2004: The Challenges of Complex IT Projects. The report from a working groupof the Royal Academy of Engineering and the British Computer Society, Lon-don: The Royal Academy of Engineering.

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Das hartnäckige Fortbestehen der Defizite muss offensichtlichsystematische Gründe haben, denen nachzugehen sich dieserBeitrag zur Aufgabe gestellt hat. Dabei zeigt sich, dass der Ver-weis auf die chronischen Defizite der Entwicklungsprozesse vonSoftware und die ausschließliche Konzentration auf Methodendes Softwareengineering wesentlich zu kurz greifen, weil sie dieärgerliche, aber nicht hintergehbare Tatsache der sozialen Ein-bettung von Software, die in Arbeits- und Wertschöpfungs-prozessen genutzt werden soll, weitgehend ausblenden. Ge-brauchstauglichkeit und Adäquatheit von Computersystemenlassen sich eben nur aus der Gebrauchsperspektive und nichtohne die Benutzerinnen und Benutzer beurteilen.Im Rahmen des ReUse-Projektes wird dieser Tatsache durcheine intensive Beratung der Kunden Rechnung getragen. DieKlärung der geplanten Anwendung und das Nutzerverhalten derKundinnen und Kunden stehen am Anfang eines Verkaufsge-sprächs. „Zu den Kunden zählen Studenten, ältere Menschen,denen es wichtig ist, auch nach dem Kauf einen kompetentenAnsprechpartner zu haben und kleine und mittelständische Un-ternehmen, für die ökonomische Gründe ausschlaggebend sind,aber auch Menschen, die sich dem ‘höher, weiter, schneller’ ver-weigern: Kunden, die die soziale und ökologische Qualität derReUse Produkte zu schätzen wissen. Alle Zielgruppen erhaltenBeratung und Hilfe bei der Einrichtung und dem Gebrauch derComputer – bis hin zur Betreung von IT-Netzwerken.“5

In diesem Zusammenhang sind für den Beitrag durchgängigzwei Unterscheidungen von Bedeutung: Zum einen ist zu unter-scheiden zwischen Computersystemen, die Naturprozesse mo-dellieren und zu deren (weitgehend automatischen) Steuerungeingesetzt werden (so genannte „embedded systems“, z.B.Maschinensteuerungen, Steuerungen technischer Prozesse,Motormanagement, Steuerung von Haushaltsgeräten, Kamerasetc.), und solchen, die zur effizienteren Gestaltung von Arbeits-und Wertschöpfungsprozessen entwickelt und darin als Arbeits-mittel eingesetzt werden. Zum anderen ist mit Blick auf die Qua-lität der Software zu unterscheiden zwischen der Korrektheit dereingesetzten Programme und der Adäquatheit der ermitteltenAnforderungen. Während die Korrektheit die Übereinstimmungder Programme mit der funktionalen Spezifikation im Auge hat

___5 Becker, F., 2003: Der Neue Alte PC von ReUse-Computer, arbeitsmarkt UM-

WELTSCHUTZ und NATURWISSENSCHAFTEN Nr. 26, S.6.

Die permanente Krise des Computergebrauchs Peter Brödner

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und sich weitgehend auf formale Methoden abstützen kann,nimmt die Adäquatheit die Tauglichkeit der ermittelten Anforde-rungen für den Einsatz und Gebrauch der Systeme, letztlich alsoderen Gebrauchstauglichkeit in den Blick, die sich tatsächlichnur im Verwendungskontext und Gebrauch beurteilen lassen.

Der Beitrag konzentriert sich auf den Einsatz und effizientenGebrauch von Computern als Ressource in Arbeits- und Wert-schöpfungsprozessen. Dabei ist neben der Frage der Überein-stimmung von Programmfunktionen und Anforderungen (Kor-rektheit, die bei der Steuerung von Naturprozessen und Maschi-nen im Vordergrund steht und dort auch weitgehend gelöst ist)vor allem auch die Adäquatheit der ermittelten Anforderungenvon großer Bedeutung. Inwieweit Computersysteme in Arbeits-und Wertschöpfungsprozessen als effektive Ressource genutztwerden können, hängt nicht nur von der Korrektheit ihrer Pro-gramme, sondern vor allem auch von der Ermittlung angemes-sener Anforderungen ab. Und diese Angemessenheit lässt sichnicht im Vorhinein und absolut, sondern nur situativ und relatio-nal, in Bezug auf die jeweils anstehenden Arbeitsaufgaben so-wie auf die konkreten Bedingungen der Ressourcenverwendungbeurteilen. Ein verantwortungsbewusster Umgang mit Compu-tersystemen muss diesen bislang zu wenig beachteten Aspek-ten der sozialen Einbettung von IT-Systemen Rechnung tragen.Dieser Perspektive entsprechend werden im folgenden Ab-schnitt zunächst relevante empirische Belege über den chro-nisch defizitären und weithin unproduktiven Umgang mit IT-Sys-temen in Organisationen und dessen Gründe zusammengetra-gen. Im dritten Abschnitt geht es darum, theoretische Einsichtenzu gewinnen, aufgrund derer die Defizite begrifflich analysiertund besser verstanden werden können. Im vierten Abschnittwerden dann auf Basis dieser Einsichten wirksame Maßnahmenzur angemesseneren Gestaltung und effizienteren Nutzung vonIT-Systemen als Ressource in Arbeits- und Wertschöpfungs-prozessen aufgezeigt. Den Abschluss bildet ein Rückbezug aufdie Grundlagen des ReUse-Netzwerks mit Blick auf Anwenderin-nen und Anwendern als Kunden und Nutzer von ReUse-Compu-tern. In den folgenden Befunden wird die langjährige PC-Nutze-rin oder der Anwender von Computern im privaten wie berufli-chen Bereich wohl unschwer Parallelen zu eigenen Erfahrungenoder solchen aus dem persönlichen Umfeld erkennen können.

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EmpiriscEmpiriscEmpiriscEmpiriscEmpirischehehehehe BefundeBefundeBefundeBefundeBefunde::::: DieDieDieDieDie PPPPPermanenzermanenzermanenzermanenzermanenz derderderderder SoftwarSoftwarSoftwarSoftwarSoftwarekriseekriseekriseekriseekriseJe weiter verbreitet IT-Systeme in der Arbeitswelt sind, je tiefersie in organisatorische Strukturen und Abläufe eindringen, jemehr sie als digitales Medium genutzt und je enger sie dadurchin bestimmte Arbeits- und Wertschöpfungsprozesse verwobensind, desto deutlicher treten die Herausforderungen ihrer Ge-staltung, Einführung und Nutzung zu Tage. Nur zu häufig geratendie durch den Systemeinsatz bedingte Stringenz und Formali-sierung organisatorischer Abläufe in Widerspruch zu den An-forderungen an die Flexibilität situationsgerechten Handelns,nicht selten erweisen sich Systemfunktionen und deren Hand-habung als den wirklichen, situationsgebundenen Handlungs-anforderungen nicht angemessen und nur zu oft wirken sie eherals Hindernis denn als Ressource im Arbeitsprozess.

Seit nunmehr bald vierzig Jahren, seit auf der berühmten NATO-Tagung im Jahre 1968 erstmalig die „Softwarekrise“ ausgerufenwurde6 , wird diese in ständiger Wiederkehr beklagt, ohne dasssich – jedenfalls beim Einsatz von IT-Systemen in Arbeits- undWertschöpfungsprozessen – grundsätzlich Besserung abzu-zeichnen beginnt. Zwar gelang es unstreitig, dank großer metho-discher Anstrengungen des Software Engineering die Qualitätvon Software hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit den funk-tionalen Anforderungen sowie hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeitund Wartbarkeit zu verbessern. Korrektheit der Programme undZuverlässigkeit der Funktionen sagen – so notwendig sie sind –aber noch nichts über die Angemessenheit der ermittelten An-forderungen und deren Wechselwirkungen mit den Arbeits-strukturen und -abläufen aus, in denen sie verwendet werden.Und eben hier, im unzureichenden Verständnis der Dialektik re-flektierter Formalisierung von Praxis in Computerartefakten undderen Interpretation und Aneignung für den Gebrauch in einereben dadurch veränderten Praxis, liegen die Dinge offensichtlichim Argen. Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Ursachen derpermanenten Krise nicht technischer Natur sind und verbesser-te Softwaretechnik daher allein auch nicht das angemesseneHeilmittel sein kann. Dazu werden im folgenden zunächst ge-wichtige empirische Befunde resümiert.Zunächst einmal ist zu beobachten, dass sich bei den Informa-tik-Anwendungen Fälle von Software-Havarien oder gar vongänzlich gescheiterten Projekten auffällig häufen. Zwar treten___6 Naur. P.; Randell, B. (eds.), 1968: Softwrae Engineering. Report on a confe-

rence sponsored by the NATO Science Committee, Brussels: NATO.

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auch in klassischen Bereichen der Technik gelegentlich schwe-re Designfehler oder misslungene Projekte in Erscheinung, dochbei weitem nicht mit der Regelmäßigkeit und Häufigkeit wie beiSoftwaresystemen. Zugespitzt gesagt: Bei Softwaresystemensind der misslungene Entwurf oder die Anwendungshavarieschon fast die Regel, in klassischen Bereichen der Technik eherdie Ausnahme.Mit Software-Havarie ist dabei gemeint, dass Konzeption undAnwendung informationstechnischer Systeme zwar meist nichtzur Gänze scheitern (was noch häufig genug vorkommt, indesnur selten zugegeben wird), aber doch mit bedauerlicher Re-gelmäßigkeit die angesetzten Kosten- und Zeitbudgets um einVielfaches überschreiten und zugleich hinter den erwartetenRationalisierungseffekten deutlich zurückbleiben. Nachstehen-de Beispiele mögen das schlaglichtartig erhellen; dabei wird inden veröffentlichten Berichten nur die Spitze des Eisbergssichtbar, denn die meisten Fehlschläge werden vertuscht odergesundgebetet:

• Die Entwicklung des integrierten Buchungssystems Confirmfür Flüge, Hotels und Mietwagen von American Airlines (AA),Hilton, Marriot und Budget: Das auf dem Reservierungs-system SABRE von AA aufbauende Vorhaben wurde 1992nach 3 Jahren Entwicklungszeit, dem Verlust von 125 Mio.US-Dollar und ohne verwendbare Ergebnisse abgebrochen.Es hatte eine Flut von Schadensersatzprozessen zur Folge7

• Als Großhavarie erwies sich auch das europäische Reise-vertriebssystem Amadeus, getragen von Lufthansa, AirFrance, Iberia und SAS: Der Gesamtaufwand sollte 300 Mio.DM betragen, das System Mitte 1989 starten. Tatsächlichwurde der Betrieb erst Anfang 1992 mit zunächst einge-schränkter Funktionalität und mit dem über zehnfachen Auf-wand von 3,1 Mrd. DM bis Erreichen der vollen Leistung auf-genommen8 .

• Die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA hat bei dem überzehn Jahre währenden Versuch, ihr veraltetes Flugsiche-rungssystem zu ersetzen, 2 von 4 geplanten Hauptkompo-nenten mit 144 Mio. US-Dollar Verlust ganz aufgeben und fürdie übrigen Komponenten eine Überschreitung des Zeit-plans um über 5 Jahre und des Kostenrahmens um über1 Mrd. US-Dollar in Kauf nehmen müssen9 .___

7 Oz, E., 1994: When Professional Standards are Lax. The CONFIRM Failure andits Lessons, CACM 37, No.10, S. 29-36. 8 Der Spiegel 20/1991, S. 141f.

9 Gibbs, W. W., 1994: Software: chronisch mangelhaft, Spektrum der Wissen-schaft, Dezember 1994, S. 56-63.

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• Die vollständig gescheiterte Einführung eines ERP-Stan-dardsystems beim amerikanischen Pharma-GroßhändlerFoxMeyer mit anschließendem Konkurs, der in einem Kla-geversuch dem Systemhersteller zur Last gelegt wurde10 .Allgemein zeigt sich, dass Ausfälle von ERP-Standard-systemen in US-Firmen laut einer Untersuchung von Merit(eine Initiative großer US-Firmen zur Steigerung der IT-Effizi-enz) im Jahr durchschnittlich über 5 Mio. US-DOLLAR Ko-sten pro Unternehmen verursachen; die Systeme fallen proWoche im Durchschnitt 2,8 h aus mit Kosten von 36.000 US-Dollar pro Stunde11 .

• Das computerunterstützte Fahndungssystem Inpol-Neu ver-ursachte wegen „nicht professionell durchgeführtem“ Pro-jektmanagement statt der geplanten 40 Mio. bislang 280Mio. DM Entwicklungskosten und droht ganz zu scheitern12 .

• Das einheitliche Software-System Fiscus für die computer-unterstützte Vorgangsbearbeitung in Finanzämtern bleibtnach jahrelangen Entwicklungs- und Implementierungsbe-mühungen mit über 250 Programmierern vorerst eine Soft-ware-Ruine. Statt geplanter 330 Mio. hat das Projekt schon1,4 Mrd. DM verschlungen; Rechnungshöfe bemängeln „un-zureichendes Projektmanagement, mangelhafte Planungs-unterlagen, unausgereifte Technologie“13 .

• Am 14.09.1993 raste ein Lufthansa Airbus A320 in Warschaunach der Landung in einen Wall und ging in Flammen auf,weil die Piloten die Schubumkehr nicht betätigen konnten.Mangelhaft spezifizierte Software verlangte für deren Freiga-be, dass auf dem Fahrwerk ein Mindestdruck lastete und dieRäder sich mit einer Mindestumdrehungszahl drehten.Scherwinde und Aquaplaning bei der Landung verhindertendas Eintreten dieser vermeintlichen Sicherheitsbedingungenfür 9 Sekunden, während derer der Jet nicht gebremst wer-den konnte14 .

___10 Enterprise Resources Management als integriertes bestriebswirtschaftliches

Standardsystem, das alle Funktionen der Auftragsabwicklung, Kosten-rechnung und Personalwirtschaft umfasst; vgl. Scott, E.J.; Vessey, I., 2002:Managing Risks in Enterprise Systems Implementations, CACM 45 April, S.74-81.

11 Computer Zeitung vom 27.08.1998.12 Der Spiegel 43/2001, S. 17.13 Der Spiegel 26/2001. S. 62.14 Neumann, P. G., 1995: Computer-Related Risks, Reading (MA): Addison-Wesley.

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• Am 07.02.2001 wurde ein Iberia Airbus A320 bei der Lan-dung in Bilbao schwer beschädigt, weil die Piloten durch dieBordsoftware am Durchstarten gehindert wurden. HeftigeTurbulenzen während eines Gewitters ließen das Flugzeug in60 m Höhe plötzlich stark sinken. Um der Gefahr desAufprallens zu entkommen, wollten die Piloten durchstarten.Doch der „Toga“-Befehl („Take-off/go-around“) wird von derinadäquat spezifizierten digitalen Flugsteuerung verhindert15 .

PPPPPrrrrrojektmanagementojektmanagementojektmanagementojektmanagementojektmanagement::::: UnterscUnterscUnterscUnterscUnterschätztehätztehätztehätztehätzte KKKKKomplexitomplexitomplexitomplexitomplexitätätätätät derderderderder AufgabeAufgabeAufgabeAufgabeAufgabeGewiss sind dies nur Einzelfälle. Doch statt sie als solche abzu-tun, ist es angebracht, den Blick auf die – trotz aller fallspe-zifischen Unterschiede – gemeinsamen, immer wieder gleichenHintergründe der Havarien zu richten, die in mangelhaftemProjektmanagement wurzeln:

• Unterschätzung der Komplexität der Aufgabe und des erfor-derlichen Aufwands;

• unzureichende Abstimmung zwischen Entwicklern und Nut-zern des Systems;

• Leugnen des Umstands, dass sich ermittelte Anforderungenoft als inadäquat erweisen und mangelhafte Berücksichti-gung von unvermeidlichen Änderungen der Anforderungen;

• unzureichende Dokumentation und mangelhafte Transpa-renz des Projektfortschritts und der Planabweichungen;

• Versäumnisse im Projektcontrolling und in der regelmäßigenEvaluation des Projektfortschritts sowie Verschleppung vonEntscheidungen über Projektfortschritt und Plananpassun-gen.

Ähnliche Resultate ergeben sich auch aus umfassenderen Un-tersuchungen von Softwareprojekten. So werden bereits Endeder achtziger Jahre in einer Untersuchung von 17 großen Soft-waresystemen zu geringes Wissen über den Anwendungsbe-reich, veränderliche und widersprüchliche Anforderungen undVerständigungsschwierigkeiten zwischen Entwicklern und Nut-zern als Hauptursachen der Krisenerscheinungen bei Entwick-lung und Einsatz von IT-Systemen ausgemacht16 .Wenige Jahre später berichtet etwa Tom DeMarco aufgrund jah-relanger Analyse von rund 500 IT-Projekten, dass jedes sechste

___15 Der Spiegel 27/2001, S. 197.16 Curtis, B.; Krasner, H.; Iscoe, N., 1988: A Field Study of the Software Design

Process for Large Systems, CACM 31, S. 1268-1287.

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ohne nutzbares Resultat abgebrochen wird und überlebendeProjekte den Zeit- und Kostenrahmen um oft 100%, gelegentlichsogar um 200% überziehen. Auf hundert Programmzeilen kom-men dann noch durchschnittlich drei Fehler17 . Zu ähnlichen Er-kenntnissen gelangt auch eine deutsche empirische Untersu-chung von 46 Software-Entwicklungsprojekten, derzufolge nurin einem Viertel der Projekte das sequentielle Phasenschemavon Anforderungsanalyse, Systementwurf, Implementation undTest, das dem Vorgehen zugrunde liegt, auch eingehalten wird,in zwei von fünf Fällen dagegen Überlappungen der Phasen undin jedem achten Projekt durch Rücksprünge („EchternacherSpringprozession“) sogar beträchtliche Änderungen eingetretensind mit der Folge erheblicher Budgetüberschreitungen18 .Und erst jüngst hat eine hochrangige Expertengruppe der briti-schen Royal Academy of Engineering erneut festgestellt, dassalarmierende Zahlen von IT-Projekten „fail to deliver key benefitson time and to target cost and specification. ... This can be as-cribed to general absence of collective professionalism in the ITindustry, as well as inadequacies in the education and training ofcustomer and supplier staff at all levels“19 . Zudem werden er-hebliche Mängel im Projekt- und Risikomanagement beklagt.

EnttEnttEnttEnttEnttäuscäuscäuscäuscäuschtehtehtehtehte ErwartungenErwartungenErwartungenErwartungenErwartungen:::::DasDasDasDasDas PPPPPrrrrroduktivitoduktivitoduktivitoduktivitoduktivitätsparadoxonätsparadoxonätsparadoxonätsparadoxonätsparadoxon derderderderder InformationstecInformationstecInformationstecInformationstecInformationstechnikhnikhnikhnikhnikDiese Beobachtungen schlagen sich auf gesamtwirtschaftlicherEbene im so genannten Produktivitätsparadoxon der Informa-tionstechnik nieder, demzufolge sich trotz jahrzehntelanger bei-spielloser Investitionen in Informationstechnik keine merklichenzusätzlichen Produktivitätsverbesserungen verzeichnen lassen.Bis heute herrschen trotz häufig gegenteiliger Erfahrungen hochgespannte Erwartungen an die Möglichkeiten der Neugestaltungvon Arbeits- und Wertschöpfungsprozessen und der Steigerungder Produktivität vor. Nur ist davon empirisch wenig nachzuwei-sen. So haben sich etwa in den drei Dekaden von 1960 bis 1990die realen IT-Investitionen in den USA nach anfänglich fast kon-stantem Verlauf bis 1975 auf niedrigem Niveau (ca. 20 Mrd. US-Dollar pro Jahr.) bis zum Jahre 1990 auf 220 Mrd. US-Dollarmehr als verzehnfacht. Im selben Zeitraum stieg die Produktivität___17 VDI-Nachrichten Nr. 46/1990, S. 34.18 Weltz, F.; Ortmann, R. G., 1992: Das Softwareprojekt. Projektmanagement in

der Praxis, Frankfurt/M: Campus.19 Royal Academy of Engineering (ed.), 2004: The Challenges of Complex IT Pro-

jects. The report from a working group of the Royal Academy of Engineeringand the British Computer Society, London: The Royal Academy of Engineering.

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in den produzierenden Sektoren mit relativ niedrigen gleich blei-benden jährlichen Zuwächsen, während in den Dienstleistungs-sektoren die Produktivität seit 1972 stagnierte20 .Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, obgleich in den USAseit 1991 die IT-Investitionen sogar die Investitionen in Produkti-onstechnik übersteigen. Zwar ist in der zweiten Hälfte der 90erJahre ein deutlicher Produktivitätssprung von jahresdurch-schnittlich 1,0% in den Jahren 1987-95 auf jahresdurchschnitt-lich 2,5% in den Jahren 1995-2000 zu verzeichnen. Wie jedochdie jüngste Produktivitätsanalyse in den USA aufzeigt, ist diesesaußergewöhnliche Produktivitätswachstum ausschließlich aufbesondere Entwicklungen in den sechs Branchen Groß- undEinzelhandel, Wertpapierhandel, Elektronik, Maschinen (einschl.Computer) und Telekommunikationsdienste zurückzuführen, dievor allem auf Restrukturierungen der Wertschöpfung zurückge-hen und nur zu geringen Teilen mit erhöhten IT-Investitionenzusammenhängen21 .Statt weiterhin die gesamtwirtschaftlichen Effekte des Com-putereinsatzes zu untersuchen, wobei zurecht beträchtlicheMessprobleme geltend gemacht und viele, sich wechselseitigmöglicherweise kompensierende Einflüsse wirksam werden,lohnt sich der genauere Blick auf die Mikroebene der Unterneh-men, der Bemerkenswertes sichtbar macht. Aus solchen einzel-wirtschaftlichen Analysen wird zunehmend deutlich22 , dass

• IT-Systeme dann die Leistungsfähigkeit von Unternehmen zusteigern vermögen, wenn deren Einführung mit Dezentrali-sierung, objektorientierter Reorganisation und Investition inHumankapital verbunden wird,

• Unternehmen mit dezentralisierten Organisationsstrukturenhöhere Produktivität in der Nutzung von IT-Systemen errei-chen als solche, die nur in IT investieren,

• so genannte „intangible assets“, z.B. kollektive Handlungs-kompetenz, den realisierten Nutzen von IT-Systemen starkbeeinflussen und

• der Aufwand für organisatorische Erneuerung und Qualifi-zierung um ein Vielfaches höher ist als die Ausgaben fürHard- und Software (etwa bei Einführung von ERP-Syste-men um den Faktor 4).___

20 Brynjolfsson, E. (1993): The Productivity Paradox of Information Technology,CACM 36, No. 12, S. 67-77.

21 McKinsey Global Institute (2001): Productivity in the United States,http://www.mckinsey.com/ knowledge/mgi/reports/productivity.asp .

22 Brynjolfsson, E.; Hitt, L. M., 2000: Beyond Computation: Information Techno-logy, Organizational Transformation and Business Performance, Journal ofEconomic Perspectives 14 (4), S. 23-48.

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Zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere Analysendes Einsatzes von IT-Systemen auf Unternehmensebene23 .In unserer eigenen Forschung über den Einsatz integrierter Pro-duktionsplanungs- und -steuerungssysteme (PPS- bzw. ERP-Systeme) in produzierenden Unternehmen zeigt sich, dass nachwie vor sieben von zehn Unternehmen einer technikzentriertenPerspektive auf den IT-Systemeinsatz folgen – mit außerordent-lich schädlichen Folgen für ihre wirtschaftliche Leistung: Imple-mentierungsprojekte überziehen regelmäßig die Zeit- und Kos-tenbudgets um ein Vielfaches, und trotz hoher Kosten verbes-sern sich wettbewerbsentscheidende Leistungsparameter wieDurchlaufzeiten, Bestände oder Produktivität kaum. Der Imple-mentierungsprozess konzentriert sich ganz überwiegend auf dieeinmalige Bestimmung der Systemanforderungen und -konfigu-ration zu Beginn, während Fragen der Nutzung und kollektivenAneignung der Systeme kaum in Betracht gezogen werden. Inder Folge bleiben viele Funktionen ungenutzt, notwendiges Wis-sen über Geschäftsprozesse wie über Bedingungen und Folgenkollektiven Handelns im Organisationszusammenhang ist unterden verschiedenen Akteuren unzureichend vermittelt und über-flüssige, zudem fehlerhafte Datenhalden werden angesammelt.Nur eine kleine Minderheit von Unternehmen setzt dagegen mitgroßem wirtschaftlichen Erfolg an organisatorischen Verände-rungen an, indem sie Wertschöpfungsprozesse konsequent aufden Kundennutzen ausrichten und objektorientiert restrukturie-ren, eine dementsprechend angepasste Konzeption und Nut-zung der gleichen IT-Systeme als Arbeitsmittel und Medium derKooperation entwickeln sowie zur Bewältigung der Veränderun-gen und zur Aneignung der Systeme im gemeinsamen Hand-lungsfeld kollektive Lernprozesse organisieren. Nur wenn dieArbeitsweise, mithin die Regeln gemeinsamen Handelns, im Ge-brauch der Systeme angemessen verändert werden, lassen sichderen Nutzenpotentiale aktivieren24 .Diese Befunde verweisen auf des Pudels Kern: Auf der Ebenedes unternehmerischen Umgangs mit IT-Systemen trennt sich

___23 so etwa Davenport, T. H. (1998): Putting the Enterprise into the Enterprise Sy-

stem, Harvard Business Review July-August, S. 121-131; Farrell, D. (2003):The Rea l New Economy, Harvard Business Review October, S. 105-112oder Orlikowski, W. J. (2000): Using Technology and Constituting Structures:A Practice Lens for Studying Technology in Organizations, OrganizationScience 11 (4), S. 404-428.

24 Maucher, I. (2001): Komplexitätsbewältigung durch Entwicklung und Gestaltungvon Organisation, München: Hampp sowie Maucher, I. (Hg.) (1998): Wandel derLeitbilder zur Entwicklung und Nutzung von PPS-Systemen, München: Hampp.

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Einbettung in und Aneignung durch die jeweilige Organisationentscheidet sich, ob im Gebrauch ökonomischer Nutzen aus of-fensichtlich die Spreu vom Weizen. Bei deren Gestaltung, Ein-führung und Nutzung, mithin bei der Art und Weise ihrer sozialenden Systemen gezogen und letztlich höhere Produktivität er-reicht werden kann oder nicht. Mithin muss das Wechselspielder Modellierung organisationaler Praxis als im System imple-mentierte „operationale Form“25 und der Aneignung dieser Formfür den praktischen Gebrauch in der eben dadurch verändertenOrganisation in den Blick genommen werden.Dies ist ein Zusammenhang, der eindeutig mit den Erfahrungenaus dem ReUse-Projekt und der Praxis der ReUse-Unternehmenkorrespondiert: Je mehr auf die tatsächlichen Bedürfnisse einerAnwenderin oder eines Anwenders eingegangen wird, destobesser lässt sich die ReUse-Technik in die alltäglichen Arbeits-prozesse und Nutzungsstrategien implementieren. Kurz gesagt:je stärker die Gebrauchswertperspektive eingenommen wird, de-sto besser sind die Anwendungsergebnisse von ReUse-Technik.

TTTTTheorheorheorheorheoretiscetiscetiscetiscetischerherherherher ZugangZugangZugangZugangZugang:::::ComputerComputerComputerComputerComputer alsalsalsalsals semiotiscsemiotiscsemiotiscsemiotiscsemiotischehehehehe MascMascMascMascMaschinenhinenhinenhinenhinenDen Schlüssel zum theoretischen Verständnis der Dynamik dersozialen Einbettung von IT-Systemen in Organisationen liefertein angemessener Zeichenbegriff, der sich auf den Pragmatis-mus amerikanischer Provenienz, namentlich auf C.S. Peirce26

und auf ein entsprechendes Verständnis vom Umgang mit Din-gen bei G.H. Mead27 abstützt. Computer sind semiotische Ma-schinen, technische Artefakte zur Verarbeitung von Zeichen28 .Bildung und Gebrauch von Zeichen sind Ergebnis von Kopfar-beit, von bewusster Reflexion unserer Interaktion mit der Weltund als solche gesellschaftlicher Natur. Zeichenbildung und -gebrauch werden ermöglicht durch unser aktives Handeln in derWelt als stets absichtsvolle und zweckgerichtete Tätigkeit. Unserintentionales Verhältnis zur Welt erlaubt es uns, erlebten Dingenoder Vorgängen Bedeutung zuzuweisen, Begriffe zu bilden und___25 Floyd, C., 2002: Developing and Embedding Autooperational Form, in: Dittrich,

Y.; Floyd, C.; Klischewski, R. (Eds.), 2002: Social Thinking – SoftwarePractice, Cambridge (MA): MIT Press, S. 5-28.

26 Peirce, C. S., 1983: Phänomen und Logik der Zeichen, Frankfurt/M: Suhrkamp.27 Mead, G. H., 1987: Wissenschaft und Lebenswelt, in: Gesammelte Aufsätze,

hg. von Hans Joas, Bd. 2, Frankfurt/M: Suhrkamp 1987, S. 14-87; vgl. auchMill, U., 1998: Technik und Zeichen. Über semiotische Aktivität im technischenKotext, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

28 Semiotk ist die Lehre von den Zeichen; vgl. Brödner, P. (2003): Computer alssemiotische Maschinen, In: Rödiger, K.-H. (Hg.): Algorithmik – Kunst – Semiotik.Hommage für Frieder Nake, Heidelberg: Synchron, S. 195-210.

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unser Tätigsein selbst zu reflektieren. Indem wir mit anderen ineiner – intersubjektiv geteilten – Welt handeln, „machen“ wir dieDinge und uns selbst. Mithin ist Bedeutung nicht eine objektiveoder Vorgängen Bedeutung zuzuweisen, Begriffe zu bilden undEigenschaft der Dinge, sondern wird ihnen im und durch dasHandeln zugeschrieben. So weisen wir mit der Bildung von Zei-chen und intersubjektiv geteilten Interpretationsschemata in denProzessen unserer sozialen Interaktion Dingen oder VorgängenBedeutung zu. Dies tun wir ohne Unterlass: Ohne dass wir Dingeoder Vorgänge als Zeichen abbilden, haben sie für uns keineBedeutung, können wir kognitiv nicht mit ihnen umgehen, ver-mögen wir nicht zu denken. Semiotisierung ist mithin notwendi-ge Bedingung dafür, in der Welt bewusst und sinnvoll handeln zukönnen (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Grundschema kollektiven Handelns.

Zeichen sind dabei Gegenstände oder Vorgänge, die einem In-terpreten für andere Gegenstände oder Vorgänge stehen, ge-nauer: Ein Zeichen ist eine Relation zwischen drei Dingen:(1) dem materiellen Zeichenträger (ein als Zeichen gedeuteterGegenstand oder Vorgang, Repräsentamen R),(2) dem bezeichneten Gegenstand oder Vorgang (Objekt O) und(3) der Bedeutung, die ein Interpret dem Paar (R,O) zuschreibt(Begriff, Interpretant I).Ein Zeichen ist also die 3-stellige Relation ((R –> O) <– I). DieserZeichenbegriff ist in sich rekursiv: die Interpretation ist selbst einZeichen, das weiterer Interpretation zugänglich ist29 .

_______________29 Peirce, C. S., 1983: Phänomen und Logik der Zeichen, Frankfurt/M: Suhrkamp.

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DerDerDerDerDer DoppelcDoppelcDoppelcDoppelcDoppelcharakterharakterharakterharakterharakter vonSoftwarvonSoftwarvonSoftwarvonSoftwarvonSoftwareeeeeIn Anlehnung an diesen Peirceschen Zeichenbegriff hat FriederNake nun kürzlich unter dem Begriff des algorithmischen Zei-chens eine besondere Klasse von Zeichen eingeführt, worin ge-wohnte Zeichen für die Verarbeitung durch Computer um denAspekt der Signalverarbeitung erweitert werden30 . GenauereAnalyse zeigt nämlich, dass der Umgang mit Computern auf zweigekoppelten Zeichenprozessen beruht, von denen der eine frei-lich auf die syntaktische Ebene der Signalverarbeitung reduziertist. In der Interaktion mit dem Computersystem werden von denBenutzern Zeichen eingegeben, die in ihrem jeweiligen Hand-lungskontext Bedeutung tragen. Im System selbst werden diesevon außen lesbaren und sinnvoll interpretierbaren Zeichen aufbloße Signale als deren materielle Träger reduziert, die mittelsProgramm nach vollständig festgelegten Vorschriften verarbeitetwerden. Das mithin vollständig determinierte Resultat diesesSignalverarbeitungsprozesses kann dann, sobald es an derSystemoberfläche erscheint, erneut als Zeichen interpretiertwerden31 .

Abb. 2: Algorithmisches Zeichen und semiotische Maschine.

Gekoppelt sind die beiden Zeichenprozesse, der außerhalb desArtefakts Computer durch das Handeln der Benutzer, durch de-ren Intentionen und sinngebenden Interpretationen bewerkstel-ligte „vollständige“ Zeichenprozess und der im Innern des Com-putersystems ablaufende, auf determinierte Signalverarbeitung30 Nake, F. (2001): Das algorithmische Zeichen, in: Bauknecht, W.; Brauer, W.; Mück,

T. (Hg.): Informatik 2001. Tagungsband der GI/OCG Jahrestagung, S. 736-742.31 Nake, F.; Grabowski, S. (2001): Human-Computer Interaction Viewed as Pseudo-

Communication, Knowledge-Based Systems 14, S. 441-447

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reduzierte Zeichenprozess, über das beiden gemeinsame Re-präsentamen R, das auf der Benutzungsoberfläche zu sehen ist.Im intern verarbeiteten Signal tritt anstelle der Interpretationdurch Benutzer die Determination durch die per Programmvorgeschriebenen Operationen; sie fällt mit dem bezeichnetenObjekt O zusammen (hierin zeigt sich enge begriffliche Ver-wandtschaft mit der „autooperationalen Form“ bei Floyd32 ). Me-taphorisch gesprochen: Das Signal weiß nicht, wofür es stehtund wovon es handelt. Nake nennt diese Determination auchden kausalen Interpretanten, im Unterschied zum intentionalenInterpretanten des „vollständigen“ Zeichenprozesses im sozia-len Raum. Weil computerintern der kausale Interpretant per Al-gorithmus maschinell bestimmt ist, wird das Zeichen auf ein Si-gnal reduziert, worin I und O zusammenfallen (Abb. 2).Dementsprechend offenbart sich die semiotische Natur destechnischen Artefakts Computer auch im Doppelcharakter vonSoftware: Einerseits ist sie durch Menschen (wenn auch viel-leicht schwierig) lesbarer Text, andererseits maschinell ausführ-barer Operationscode, mithin eine Maschine. Darin unterschei-det sie sich von vollständigen Beschreibungen herkömmlicherMaschinen (etwa Zeichnungen und Stücklisten), die sich nichtselbst unmittelbar als Maschine realisieren können.So bilden Computer als semiotische Maschinen eine eigeneKlasse von Maschinen, die sich von der Klasse der bekanntenmechanischen und elektrischen Maschinen oder chemischenund biologischen Prozesse sehr prinzipiell unterscheiden.Gemeinsam ist beiden Klassen technischer Artefakte zunächstihre enge Verwandtschaft zur Sprache, indem sie wohl-bestimmte Funktionen verkörpern, die im Gebrauch durch Men-schen in deren Handlungskontext aktiviert und interpretiert wer-den. Sie werden mittels der funktionalen „Sprache“ der Artefaktein Gang gesetzt und benutzt. Dabei sind die Wirkungen durchdie Eingaben und die dadurch ausgelösten Funktionen determi-niert. Um sinnvolle Eingaben machen und die eingetretenen Wir-kungen interpretieren zu können, müssen Handlungen mithin inder funktionalen Sprache der Artefakte ausgedrückt werden.Dies gilt zunächst für alle technischen Artefakte, vom Faustkeilbis zum Computer.

___32 Floyd, C., 2002: Developing and Embedding Autooperational Form, in: Dittrich,

Y.; Floyd, C.; Klischewski, R. (Eds.), 2002: Social Thinking – Software Prac-tice, Cambridge (MA): MIT Press, S. 5-28.

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DieDieDieDieDie BesonderheitBesonderheitBesonderheitBesonderheitBesonderheit semiotiscsemiotiscsemiotiscsemiotiscsemiotischerherherherher MascMascMascMascMaschinenhinenhinenhinenhinenDie fundamentalen Unterschiede zwischen beiden Maschinen-klassen liegen indes in deren Wirkbereichen, Funktionsweisenund Zwecken. Der Wirkbereich von Arbeits- und Kraftmaschinenwie auch artifiziellen chemischen und biologischen Prozessenerstreckt sich auf die Natur und greift in Prozesse der Energie-und Stoffumwandlung ein, während der Wirkbereich semio-tischer Maschinen ganz im Raum der sozialen Interaktion liegtund auf die Verarbeitung von Signalen oder Daten innerhalb vonZeichenprozessen zielt. Mit semiotischen Maschinen wird folg-lich der soziale Raum der Zeichenprozesse nirgends verlassenund sie erschließen auch keine außerhalb liegenden Ressourcen.Dementsprechend beruht die Funktionsweise von Maschinenund Prozessen der Energie- und Stoffumwandlung auf natürli-chen Effekten als Ergebnis von Naturerkenntnis und ihr Zweckist die Nutzung der Naturkräfte. Die Funktionsweise semiotischerMaschinen beruht dagegen auf expliziten Handlungsvorschrif-ten, gewonnen durch Modellierung und Formalisierung vonZeichenprozessen als Ergebnis von Kopfarbeit, und sie dient derOrganisation und Koordination kollektiven Handelns. Infolge-dessen ist die interpretatorische Flexibilität technischen Han-delns bei den Maschinen und Prozessen der Energie- und Stoff-umwandlung gebunden an und beschränkt durch Naturbedin-gungen, während sie bei semiotischen Maschinen auf Gewohn-heiten und Vereinbarungen beruht, die sich ändern können undzudem in Wechselwirkung mit den im Programm festgelegtenHandlungsvorschriften stehen. Gestaltung und Gebrauch se-miotischer Maschinen werden nicht durch Naturgesetze be-schränkt, stattdessen ermöglichen sie, alles Berechenbare zuformalisieren. Das verführt leicht zu überzogenen Machbarkeits-illusionen, denen, wie sich sogleich zeigen wird, Eigenheiten so-zialer Systeme entgegenstehen.In dieser semiotischen Perspektive auf IT-Systeme33 lässt sichein nahtloser Anschluss an neuere Sozialtheorien zur Erklärungder Funktionsweise von Organisationen gewinnen, so insbeson-dere etwa an die Strukturationstheorie von Giddens34 .___33 Dabei ist wohl reflektiert, dass weitaus die meisten Computer als so genannte

„eingebettete Systeme“ fungieren, die der automatischen Steuerung und Rege-lung von Maschinen oder Naturprozessen dienen. Auf der Grundlage formalersymbolischer Modelle der zugrunde liegenden Naturprozesse programmiert,gehören auch sie zur Klasse der semiotischen Maschinen, bleiben hier aberaußer Betracht, weil sie in die Naturprozesse „eingebettet“ sind und nicht alsOrganisationsmittel genutzt werden.

34 Giddens, A., 1988: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie derStrukturierung, Frankfurt/M: Campus.

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Mit deren Verständnis sozialer Struktur als Einheit von Regelnund Ressourcen erlaubt sie, die Doppelnatur von Organisatio-nen als funktional zweckmäßig gestalteten Aufgaben und Ver-fahren einerseits und als eingespielter sozialer Praxis anderer-seits zu verstehen. Auf dieser Basis lassen sich zudem sowohldie Beharrung als auch die Veränderungsdynamik von Organi-sationen verstehen. Schließlich gelingt es in dieser Perspektive,neben der Konstitution von Sinn und Macht insbesondere auchdas Zusammenspiel von Computersystemen als handlungsun-terstützenden technischen Artefakten mit Organisationen alssozialen Systemen zielorientierten kollektiven Handelns aus ein-heitlicher Gesamtsicht zu betrachten. Diese integrale Sicht er-laubt es mithin, Gestaltung und Gebrauch informationstechni-scher Systeme in ihrer sozialen Einbettung in organisationaleZusammenhänge angemessen zu analysieren und einer effekti-ven wie effizienten medialen Nutzung zugänglich zu machen. InAnbetracht des eingangs belegten, weithin unproduktiven Um-gangs mit diesen Systemen erscheint dies umso notwendiger,als IT-Systeme Organisationen jedweder Art immer stärkerdurchdringen.Diesem theoretischen Ansatz zufolge entstehen und reproduzie-ren sich Organisationen als soziale Systeme durch das fortge-setzte, sinnvoll aufeinander bezogene, koordinierte Handelnihrer Mitglieder, das auf deren jeweils vorgefundenen oder un-terstellten Handlungserwartungen und -routinen beruht. Unterbestimmten Bedingungen erzeugen die Akteure im Prozess die-ses kontinuierlichen Handlungsflusses über Erfahrungen undAspekte ihres Handelns durch Reflexion und Begriffsbildung ex-plizites Wissen, das dann in bestimmten Formen – etwa in Ge-stalt von sprachlichen Zeichen, Organisationsformen oder infor-mationstechnischen Systemen – zum Ausdruck gebracht odervergegenständlicht werden kann.Nach dem Meadschen Verständnis des sozialen Umgangs mitDingen kommt es zu gedanklicher Reflexion von Handlungenund ihren Bedingungen erst, wenn sich im Fluss des HandelnsHindernisse auftun oder Überraschungen ergeben. SolcheHandlungsprobleme (behinderte Handlungen) führen dazu,dass die für fraglos gehaltenen Dinge den Charakter des „Ob-jektiven“ verlieren (vgl. auch „break-down“ und „reflection-in-action“ bei Schon; (siehe Abb. 1). Das Objektive ist nicht dasnatürlich Gegebene, sondern das gemeinsam für fraglos gege-ben Gehaltene. Widerstände lösen einen Reflexions- und Such-prozess aus mit dem Ziel, das „verschwundene Objekt“ wieder

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herzustellen und so Handlungsfähigkeit zurück zu erlangen.Diese Desorientierung in Handlungskrisen bezieht sich abernicht nur auf das Objekt, sondern begreift auch das handelndeSubjekt mit ein. Im Moment der Unsicherheit ist mithin nicht nurdie Außenwelt, sondern auch die eigene Urteilsfähigkeit in Fragegestellt; der Handelnde zeigt sich unfähig, eine „Unterscheidungzwischen Subjekt und Prädikat“ zu treffen: „Ich möchte aus-drücklich darauf hinweisen, daß wir, solange wir kein Prädikathaben, ebensowenig ein Subjekt haben“35 .Ihrerseits werden diese so entstandenen (zum Teil vergegen-ständlichten) Ausdrucksformen als Ressourcen für weiteresHandeln genutzt und eröffnen, insoweit sie neu interpretiert wer-den, auch neue Handlungsmöglichkeiten. Zugleich bilden sichim praktischen Handeln stets auch Regeln für den Umgang mitdiesen Formen heraus (die formativer Kontext oder auchOrganisationskultur genannt werden). Erst diese kollektiv ge-teilten (aber zumeist unbewussten) Regeln ermöglichen es denAkteuren, eingetretene Situationen oder Sachverhalte, vorgefun-dene Instrumente, Daten oder Anweisungen sachgerecht undangemessen zu interpretieren und im organisationalen Kontextflüssig zu handeln. So kommt es, dass sowohl die sprachlichen,organisatorischen und technischen Ausdrucksformen zusam-men mit den Regeln, sie zu verwenden, also die im kollektivenHandeln gewachsenen Einstellungen, Werte, Denkweisen, Deu-tungs- und Handlungsmuster, künftiges Handeln zugleich ermög-lichen und auch beschränken („Dualität sozialer Struktur“).Regeln und Ressourcen der sozialen Struktur werden mithin vonden Akteuren selbst durch deren fortlaufende Interaktion hervor-gebracht (und auch verändert). Sie konstruieren die Realität ih-rer Organisation, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken,nicht unter selbst gewählten, sondern unter unmittelbar vorge-fundenen und überlieferten Umständen. Darin finden sich dieAkteure als Gefangene der Mittel wieder, die sie benutzt haben,um ihre Zusammenarbeit zu regeln. Indem sie durch ihre beson-deren Wahrnehmungs- und Denkmuster Sinn konstituieren,durch Verhaltensnormen Handlungen sanktionieren, durch for-male Arbeitsorganisation administrative Ressourcen bestimmenoder auch beim Einsatz von technischen Artefakten die Eigen-schaften von und den Umgang mit Arbeitsmitteln festlegen, je-des Mal bringen sie in diesen sozialen Praktiken ihres kollektiven

___35 Mead, G. H., 1903: Die Definition des Psychischen, in: Gesammelte Aufsätze,

hg. von Hans Joas, Bd. 1, Frankfurt / M: Suhrkamp 1987, S. 139f.

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Handelns Regeln hervor, die Ressourcen im Handeln zu nutzenerlauben und zugleich künftige Handlungs- und Verhandlungs-spielräume abstecken. Was sich die Akteure in ihrem jeweiligensozialen System vorstellen können und über welche Handlungs-möglichkeiten sie verfügen, ist also weitgehend gebunden anund strukturiert durch ihre im Handeln geschaffenen Ausdrucks-formen und durch ihre gewohnte Art und Weise, damit umzuge-hen. Mit anderen Worten: Sie sind gebunden durch die im Han-deln (veränderlich) reproduzierte Einheit von modus operandi(Wirkungsweise) und opus operatus (Wirkung, Gewordenes). Jebesser diese Formen zum Handlungskontext passen und je an-gemessener sie (möglicherweise auch neu) interpretiert werden,desto wirkungsvoller kann sich ihre Praxis entfalten (vgl. Abb. 3).IT-Systeme sind entsprechend ihrer semiotischen Natur Produktder Reflexion und Formalisierung der durch die Organisationstrukturierten sozialen Interaktion, als Vergegenständlichungvon Begriffen und explizitem Wissen über die soziale Praxis derOrganisation. Umgekehrt werden sie wieder gebraucht als Mittelfür kollektives Handeln im Organisationszusammenhang. Als„geronnene Erfahrung“ verkörpern sie ein Stück sozialer Praxisund als Arbeitsmittel und Medium stellen sie Handlungsan-forderungen an ihren Gebrauch.

Abb. 3: Wechselseitige Konstitution von Handeln und sozialer Struktur (in Anlehnung an Giddens36 und Ortmann37 ).

___36 Giddens, A., 1988: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie

der Strukturierung, Frankfurt/M: Campus.37 Ortmann, G.; 1995: Formen der Produktion. Organisation und Rekursivität, Op-

laden: Westdeutscher Verlag.

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Mithin gehen Computer als semiotische, in Zeichenprozessenoperierende Maschinen eine innige Verbindung mit sozialen Sy-stemen ein, indem sie einen Teil von deren sozialer Strukturbilden: Ihr Einsatz erfordert zunächst, auf angemessene, zumHandlungskontext passende Weise bestimmte Aspekte der so-zialen Struktur – darunter auch implizite Regeln – zu modellierenund zu formalisieren. Und im praktischen Umgang mit den Com-puterartefakten müssen ihre Benutzer lernen, den darin ange-legten Handlungsanforderungen zu genügen; sie müssen ler-nen, ihre Handlungsabsichten in Folgen programmierter Funk-tionen oder Operationen zum Ausdruck zu bringen. Dabei bildensich zugleich die Regeln einer neuen, systemunterstützten Pra-xis heraus, wodurch das soziale Handlungsfeld insgesamt neustrukturiert wird. Indem IT-Systeme gestaltet und eingeführt wer-den, werden Arbeitsprozesse zugleich (neu) strukturiert. DerenEinführung und Gebrauch erfordern mithin hohe Anstrengungender Abstimmung und Koordination. Insbesondere erheischt derUmgang mit semiotischen Maschinen die Entwicklung einer ge-teilten Begriffswelt sowie hinreichend geteilter Interpretations-schemata der algorithmischen Zeichen unter den beteiligten Ak-teuren (daher auch die hohe Bedeutung etwa von „ontology“)38 .Heißt es im Falle stoff- und energieumwandelnder Maschinen,sich die Naturkräfte und -effekte zu Nutze zu machen, sich mithinihrer naturbestimmten Funktionsweise zu fügen – oder auf ihrMitwirken zu verzichten –, so ist im Falle semiotischer Maschi-nen deren Funktionsweise ganz und gar dem Spiel der Akteureüberlassen, den vorgefundenen Spielregeln ihrer kollektivenSinngebung (Signifikation), Machtausübung (Domination) undWertschätzung (Legitimation) anheim gegeben. Die semiotischenMaschinen zugrunde liegende Modellbildung, Formalisierungund Interpretation sind dabei lediglich Ausdruck der Regeln undRessourcen kollektiven Handelns, die sie selektiv spiegeln unddie sie im Gebrauch zugleich verändern, indem sie mit ihnen zueiner neuen Praxis verwachsen. Zugespitzt gesagt: Computersind nur semiotische Maschinen. Anders als stoff- und energie-umwandelnde Maschinen und Prozesse bringen sie keine Na-turkräfte ins Spiel, sondern sind auf Operationen in Zeichenpro-zessen beschränkt.38 Brödner, P., 2002: Der Held von Caputh steht nicht allein. Wie Wissenschaft die

Nutzungsprobleme der Informationstechnik ignoriert, in: Moldaschl, M. (Hg.):Neue Arbeit – Neue Wissenschaft der Arbeit? Heidelberg: Asanger 2002,339-364; Brödner, P., 1997: Der überlistete Odysseus. Über das zerrüttete Ver-hältnis von Menschen und Maschinen, Berlin: edition sigma sowie Orlikowski,W. J., 2000: Using Technology and Constituting Structures: A Practice Lens forStudying Technology in Organizations, Organization Science 11 (4), S. 404-428.

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So leisten sie im Prinzip nichts Neues, was nicht herkömmlicheBerechnungsverfahren, Produktbeschreibungen, Verfahrensvor-schriften oder Dokumentablagen auch schon bewirkt hätten. Siesind Medium des Organisierens. Was aber mit IT-Systemen undihrer weltumspannenden Vernetzung im Internet neu in die Weltgesetzt wurde, ist ein universal nutzbares instrumentelles Medi-um des Wissens, der Kooperation und der Transaktion.Diese neu geschaffene digitale Infrastruktur erlaubt, virtuelle Bi-bliotheken, virtuelle Arbeitsräume und virtuelle Märkte weltum-spannend zu organisieren und zu nutzen. Auf Basis von Digitali-sierung vermag es alle bisherigen Medien (Texte, Bilder, Audio,Video) zu integrieren und zugleich Werkzeuge zur Bearbeitungder medialen Objekte bereitzustellen. Dabei stehen Arbeitsge-genstand und Arbeitsmittel ähnlich wie auch Tauschgegenstandund Tauschmittel unabhängig von Ort und Zeit im Zugriff. So er-öffnet das neue Medium als „enabling technology“ weit reichen-de Möglichkeiten der Organisation und Nutzung von Wissen undder Restrukturierung von Arbeits- und Wertschöpfungsprozes-sen: die Bildung virtueller Teams und virtueller Arbeitsräume, E-Mail, synchroner Ideenaustausch unter Abwesenden. Zugleichwerfen sie dabei neue Gestaltungsaufgaben auf, so etwa dieGewährleistung von Privatheit oder von „Awareness“ der Koope-rationspartner und ihrer sozialen Beziehungen in virtuellen Ar-beitsräumen, die Entwicklung geteilter Interpretationsschemata,allem voran freilich die Klärung der Frage nach der Angemes-senheit der zur Formalisierung erforderlichen „Trivialisierung“von Kopfarbeit und ihren Zeichenprozessen.Weil semiotische Maschinen den sozialen Raum der Zeichen-prozesse an keiner Stelle überschreiten, weil sie – anders alsherkömmliche Maschinen der Energie- und Stoffumwandlung –nirgends der Dynamik kollektiven Handelns und der Funktions-weise sozialer Systeme entkommen, können Rationalisierungs-effekte nur eintreten, wenn sie ausdrücklich intendiert sind undkollektive Handlungsschemata, die sie hervorzubringen vermö-gen, von den Akteuren explizit vereinbart und erprobt werden.Rationalisierungseffekte erwachsen mithin aus dem Zusammen-spiel von Organisation und IT-System, aus der Art und Weiseseiner sozialen Einbettung in und der Aneignung durch die Or-ganisation, nicht aus dem System selbst; daher die eingangsbeschriebenen empirischen Befunde.

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KKKKKonsequenzenonsequenzenonsequenzenonsequenzenonsequenzen::::: AnforAnforAnforAnforAnforderungenderungenderungenderungenderungen ananananan eineeineeineeineeine verbesserteverbesserteverbesserteverbesserteverbesserte PPPPPraxisraxisraxisraxisraxisDiese theoretischen Einsichten führen zu einer weit reichendenNeuorientierung des Vorgehens bei Gestaltung, Einführung undNutzung informationstechnischer Systeme in Arbeits- und Wert-schöpfungsprozessen. An die Stelle der bislang vorherrschen-den Technikzentrierung der Methoden des Softwareengineering,ausgerichtet auf die Entwicklung korrekter und zuverlässigerSoftware als Produkt, müssen Vorgehensweisen und Methodentreten, die auf die Gestaltung von Prozessen integrierter Organi-sationsentwicklung und Einführung, gegebenenfalls auch An-passung von IT-Systemen zielen. IT-Systeme sind Medium desOrganisierens (was etwa in der französischen Benennung „ordi-nateur“ deutlicher zum Ausdruck kommt) und ihr Gebrauchmacht sie zum Teil der sozialen Struktur der Organisation. Alssolche entfalten sie ihre produktiven Wirkungen erst durch dieGestaltung der Zeichenprozesse der Organisation, in denen siegenutzt werden. Diese grundsätzliche Neuorientierung stellt be-trächtliche Herausforderungen an alle Beteiligten bei der Model-lierung und Formalisierung organisationaler Strukturen und Ab-läufe.Erstens sind Gestaltung und Gebrauch informationstechnischerSysteme allen Schwierigkeiten der „doppelten Hermeneutik“39

sozialer Systeme unterworfen: Erkenntnisvorgänge (Beobach-tungen) in und über Organisationen als sozialen Systemen ver-ändern ihr eigenes Objekt. Mithin ist der Beobachtungs- oderUntersuchungsgegenstand, das soziale System, selbstbezüg-lich in dem Sinne, dass das über das System gewonnene Wis-sen Teil seiner Regeln und Ressourcen wird, die sich eben da-durch verändern. Beobachter, also auch von außen kommendeSystemanalytiker und -entwickler, müssen Handlungen in einemsozialen System als Untersuchungsgegenstand interpretieren,an dem sie selber beobachtend teilhaben; ihr Denken wie des-sen symbolische Resultate – mithin auch das analysierend undreflektierend über eine Organisation in Form von Anforderungen,Modellen und Software explizierte Wissen – gehören derselbenWelt an, über die sie nachdenken.Zweitens haben es die Beteiligten bei Gestaltung und Einfüh-rung von IT-Systemen als unentrinnbare Folge dieser Selbstbe-züglichkeit sozialer Systeme mit einem beweglichen Ziel zu tun:Im Prozess der Gestaltung, Einführung oder auch Anpassung

___39 Giddens, A., 1988: Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie

der Strukturierung, Frankfurt/M: Campus.

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informationstechnischer Systeme verändern sich eben aufgrundihrer Natur als semiotischen Maschinen Regeln und Ressourcender sozialen Struktur der Organisation, für die diese Systemeentworfen und in die sie eingebettet werden. Die bei Software-Projekten oft beobachtete und meist beklagte Tatsache, dasssich Anforderungen im Prozessverlauf ändern, hat genau hierinihre – freilich unvermeidbare – Ursache. Statt sich ändernde An-forderungen zu beklagen oder sie zu vermeiden zu versuchen,gilt es, sie methodisch zu berücksichtigen und systematisch indas Vorgehen aufzunehmen.Drittens müssen – als nicht hintergehbare Folge der Einbettungsemiotischer Maschinen in die soziale Struktur von Organisatio-nen – Prozesse der Gestaltung und Einführung von IT-Systemenals Projekte der Organisationsentwicklung und des kollektivenLernens konzipiert und organisiert werden. Das macht auch um-gekehrt, bei notwendigen organisatorischen Veränderungen, et-wa der Dezentralisierung unter dem Druck von Marktdynamik,entsprechende Anpassungen der IT-Systeme erforderlich. Dabeimüssen sich die Akteure in jedem Fall zunächst über Ziele, Auf-gaben und Grundsätze ihrer künftigen Zusammenarbeit („Ge-schäftsstrategie“) sowie über dazu passende Strukturen undAbläufe der Arbeits- und Wertschöpfungsprozesse verständi-gen, um zu überlegen, wie diese durch IT-Systeme unterstütztwerden können. Wer IT-Systeme adäquat gestalten und produk-tiv nutzen will, muss Organisationsentwicklung betreiben, unteraktiver Beteiligung aller betroffenen Akteure von Beginn an.Viertens muss dabei den Beteiligten stets bewusst sein, dass siesich in dem Spannungsfeld von Flexibilität und Starrheit bewe-gen. Die Polarität von Flexibilität und Starrheit ist ein wesentli-cher Aspekt der Gestaltung von Arbeits- und Wertschöpfungs-prozessen. Flexibilität des Handelns – das gilt für Personenebenso wie für Organisationen – muss sich auf relativ gefestigteHandlungsmuster und stabile Handlungsbedingungen abstüt-zen. Ohne Rekurs auf Routinen, die eine gewisse Starrheit not-wendig bedingen, verliert sich das Handeln in Beliebigkeit oderChaos; es ist vor allem ineffizient. Formale Abläufe und Routinenhelfen daher, kollektives Handeln effektiv und effizient zu organi-sieren. Sie sind zudem zwingende Voraussetzung für den Ein-satz semiotischer Maschinen. Völlige Flexibilität in der Interakti-on mit der Umwelt ist mithin unangemessen, aufwendig und ge-fährlich. Umgekehrt grenzt zu weit gehende Formalisierung undStarrheit der Routinen die Handlungsmöglichkeiten und dieFlexibilität des Handelns übergebührlich ein. Gerade in einem

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dynamischen Umfeld, etwa bei hoher Marktdynamik im Umfeldvon Arbeits- und Wertschöpfungsprozessen, wäre zu stark ein-geschränkte Flexibilität im Handeln noch gefährlicher. Folglichkommt es darauf an, die jeweils dem Handlungskontext und denAnforderungen des Umfelds entsprechenden und funktionalangemessenen Formalisierungen und „Starrheiten“ festzulegenund darin genügend Flexibilität zu praktizieren – ein schwieriger,freilich unvermeidlicher Balanceakt.Der Sinn von Organisationen liegt, um den letzten Punkt aufzu-greifen, gerade darin, soziale Interaktion zu regeln und in Gren-zen festzulegen, mithin Kontingenz einzuschränken und denMöglichkeitsraum von Kommunikation zu beschränken. Indemdas Handeln der Akteure an Regeln gebunden und systematischin bestimmten Bahnen (dem Organisationsschema) aufeinanderbezogen wird, wird Unsicherheit durch selbst erzeugte Sicher-heit ersetzt. Organisationen sollen Komplexität reduzieren,indem Abläufe sozialer Interaktion geregelt und formalisiert wer-den. Entsprechend erscheinen IT-Systeme, da ihre Funktions-weise per definitionem auf vollständig und eindeutig festgeleg-ten Vorschriften beruht, als schlechthin probates Mittel desOrganisierens, insoweit sie bestimmte organisationale Abläufemodellieren und formalisieren. Dadurch verliert die Welt der Ar-beit ihr Geheimnis, sie erscheint durchschaubar, berechenbarund beherrschbar.Doch genau hierin liegt auch die Crux des Einsatzes von IT-Sys-temen in Arbeits- und Wertschöpfungsprozessen: Die in ihnenimplementierten „autooperationalen Formen“40 und die in derAnwendung gestellten Handlungsanforderungen können Abläu-fe in Organisationen über Gebühr, bezogen auf die dynami-schen Anforderungen des Umfelds, erstarren lassen und die er-forderliche Flexibilität des Handelns zu sehr beschränken. Wäh-rend sich Organisationsvorschriften und implizite Regeln inGrenzen leicht umgehen lassen, ohne dass das Ergebnis desHandelns Schaden nimmt oder Sanktionen ausgelöst werden(was alltäglich vorkommt), dulden IT-Systeme keine Abweichun-gen von den formalisierten Abläufen. Je umfangreicher und weit-gehender zusammenhängende Arbeitsabläufe mittels IT-Syste-men formalisiert werden (wie z.B. in integrierten ERP-Systemenoder Workflow-Systemen), desto weniger Flexibilität im Handeln

___40 Floyd, C., 2002: Developing and Embedding Autooperational Form, in: Dittrich,

Y.; Floyd, C.; Klischewski, R. (Eds.), 2002: Social Thinking – Software Prac-tice, Cambridge (MA): MIT Press, S. 5-28.

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ist zugelassen, desto mehr werden organisatorische Regelun-gen durch die Systeme und ihren Gebrauch zementiert, es seidenn, sie werden ausschließlich als ablaufneutrales Werkzeugoder Medium konzipiert, mit weitem Anwendungs- und Interpre-tationsspielraum und ohne Festlegung von Operationsfolgen imHandeln (wie z.B. bei CAD-, Textverarbeitungs- oder E-Mail Sys-temen).In dieser Medienperspektive werden formale Modelle und derenImplementierungen den Akteuren zur Erfüllung ihrer Aufgaben inder Organisation „an die Hand gegeben“; freilich können sie ih-nen dabei auch „im Wege stehen“. Jedenfalls stellen sie Hand-lungsanforderungen an ihren Gebrauch und müssen folglichgebrauchstauglich gestaltet werden. Zudem muss die zur Verfü-gung gestellte Funktionalität zur sinnvollen Verwendung ange-eignet und im Gebrauch situationsgerecht interpretiert und re-kontextualisiert werden. Das erfordert aufwendige kollektiveLernprozesse und die produktive Einbildungskraft der beteilig-ten Akteure zur Neugestaltung ihrer Arbeitsprozesse, in denensie dann die Computerartefakte als Ressourcen zu aktivierenvermögen41 .Aus den zuerst genannten Schlussfolgerungen ergibt sich fer-ner, dass Gestaltung, Einführung oder auch Anpassung eines IT-Systems nur gelingen können, wenn sie als integraler Teil einesumfassenderen Prozesses der Organisationsentwicklung ver-standen und organisiert werden. Bislang noch zu oft praktizierteVorgehensweisen, die sich auf eine einmalige, umfassende An-forderungsanalyse mit nachfolgenden Entwicklungs- und Ein-führungsphasen gründen, sind dabei von vornherein zum Schei-tern verurteilt. Vielmehr macht die Tatsache der sozialen Einbet-tung semiotischer Maschinen ein reflexives Vorgehen, in demiterativ Schleifen der Anforderungsanalyse, Systemgestaltung,Implementation, Erprobung und formativen Evaluation erreichterResultate wiederholt durchlaufen werden, unumgänglich.Bewährte Methoden des Softwareengineering sind dabei not-wendiger Bestandteil des Vorgehens, reichen aber bei weitemnicht hin. Vielmehr müssen sich die Beteiligten dabei insgesamtüber alle Aspekte ihrer im Entstehen begriffenen neuen sozialenStruktur verständigen, was die produktive Verbindung verschie-dener Sichtweisen, die Bewältigung von Konflikten und denAusgleich unterschiedlicher Interessen einschließt.___41 Orlikowski, W. J., 2000: Using Technology and Constituting Structures:

A Practice Lens for Studying Technology in Organizations, OrganizationScience 11 (4), S. 404-428.

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Dazu ist es erforderlich, die wechselseitige Ignoranz der Akteurezu überwinden, sowie die praktische Erfahrung aus der wirkli-chen Arbeit, bereits expliziertes Prozesswissen und das Wissenüber technische Möglichkeiten und Grenzen von Computersys-temen produktiv miteinander zu verbinden. Das setzt zunächsteinen gemeinsamen Lernprozess voraus, in dem die Beteiligtenihre unterschiedlichen Perspektiven zusammenführen, ein ge-meinsames Verständnis des Arbeitsprozesses bilden und dabeieine geteilte „Sprache der Artefakte“ entwickeln. Darin kann ex-plizites Wissen über den sich ändernden Arbeitsprozess und diedarin zu benutzenden Computerartefakte artikuliert und gemein-sam reflektiert werden. Auch hier lassen sich wieder Parallelenzu den Erfahrungen aus dem ReUse-Projekt herstellen: Eine Un-sitte, über die sich Kunden gegenüber ReUse-Computer häufigbeklagen, ist, dass sie sich in anderen Computergeschäftenhäufig als Menschen mit begrenztem Auffassungsvermögen be-handelt fühlen. Dass dies üblich ist, konnte in zahlreichen Ge-sprächen mit „Computerspezialisten“ nachvollzogen werden:Dort ist das Kürzel DAU für „Dümmster anzunehmender User“eine gängige Floskel – dass eine solch arrogante (und wie hiergezeigt: ignorante) Haltung von den Kunden auch wahrgenom-men wird, darf nicht verwundern. Offensichtlich wird hier nichtdem geforderten gemeinsamen Lernprozess Rechnung getra-gen. Vielmehr werden die Kunden dafür verantwortlich gemacht,dass sie die – angeblich unvermeidlichen – Soft- und Hardware-probleme nicht beherrschen.Vergleichbare Erkenntnisse ergeben sich auch aus der kriti-schen Analyse und Aufarbeitung von Software-Havarien einer-seits und deren Vergleich mit erfolgreichen Software-Projektenandererseits42 . Als erfolgskritische Faktoren erweisen sich dabeivor allem:

• die Etablierung eines konstruktiven Verhältnisses zwischenEntwicklern und Anwendern, das sich auf Vertrauen, Offen-heit und dichte Kommunikation zwischen Akteuren auf allenEbenen gründet;

• ein reflexiv angelegtes, evolutionäres Vorgehen mit kurzen,überschaubaren Lernschleifen, das die Systemfunktionalitätund deren Aneignung durch die Akteure in kleinen Schrittenhervorbringt und so den Nutzern Gelegenheit zur Bewertung

___42 Royal Academy of Engineering (ed.), 2004: The Challenges of Complex IT

Projects. The report from a working group of the Royal Academy of Engineeringand the British Computer Society, London: The Royal Academy of Engineering.

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und Einflussnahme bietet. Die einzelnen Lernschleifen blei-ben so hinsichtlich Anforderungen und Entwicklungsauf-gaben überschaubar und halten Risiken in Grenzen;

• ein kompetentes, mit hinreichenden Machtressourcen aus-gestattetes Projektmanagement, das für klar definierte Mei-lensteine, striktes Projektcontrolling und formative Evaluati-on der erreichten Resultate wie der verbleibenden RisikenSorge trägt und dabei Projekterfahrungen laufend reflektiertund expliziert;

• eine diesem Vorgehen entsprechende Untermauerungdurch softwaretechnische Methoden mit besonderem Au-genmerk auf einer modularisierten, änderungsfreundlichenSystemarchitektur, der systematischen Ermittlung von Anfor-derungen sowie der Systemintegration und -verifikation.

Diese Überlegungen sind im Prinzip bekannt, passende Metho-den und Vorgehensweisen der Organisationsentwicklung unddes Softwareengineering sind verfügbar. Gleichwohl gehörensie nicht zum Mainstream der Informatik und spielen in der in-formatischen Praxis wie in der Lehre allenfalls eine untergeord-nete Rolle mit der schädlichen Folge ungezählter Software-Ha-varien: „A significant percentage of IT project failures, perhapsmost, could have been avoided using techniques we alreadyknow how to apply. For shame, we can do better than this“43 . DasHauptaugenmerk liegt gewöhnlich nach wie vor auf Fragen derModellierung, Formalisierung und Verifikation. Diesen technik-zentrierten Tunnelblick gilt es zu erweitern zugunsten einer Per-spektive, die auch die soziale Einbettung der IT-Systeme inOrganisationen in den Blick nimmt und dementsprechend dasZusammenspiel von Organisationsentwicklung und Systemge-staltung und -einführung betrachtet. Als semiotische Maschinenkönnen IT-Systeme nur funktionieren und sinnvoll gebrauchtwerden, wenn sie in der sozialen Welt der Arbeit wie in der tech-nischen Welt der Mittel und formalen Methoden gleichermaßenverankert sind. Und dem muss das Vorgehen Rechnung tragen.

ComputerComputerComputerComputerComputer ––––– eineeineeineeineeine rrrrrelationaleelationaleelationaleelationaleelationale RessourRessourRessourRessourRessourcececececeAuch die für Effektivität und Effizienz des Gebrauchs der IT-Sys-teme entscheidende Frage, ob sie für das praktische Handeln imArbeitsprozess als Ressource genutzt werden können, ob sie

___43 Royal Academy of Engineering (ed.), 2004: The Challenges of Complex IT Pro-

jects. The report from a working group of the Royal Academy of Engineering andthe British Computer Society, London: The Royal Academy of Engineering, S. 4.

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als gebrauchstaugliche Arbeitsmittel „zuhanden“ sind oder eherals Hindernisse „im Wege stehen“, lässt sich nicht im Vorhineinanhand von Anforderungen, sondern nur im praktischen Ge-brauch beurteilen. Nach den theoretischen Ausführungen wir-ken Computerartefakte nicht per se als Ressourcen des Han-delns (wie das häufig unterstellt wird), sondern nur relational,nur in Bezug auf die situativ anstehenden Arbeitsaufgaben unddie eingespielten Regeln des Gebrauchs, die sich freilich beideerst im Zuge der Einführung und Aneignung der Artefakte erge-ben. Dies macht ebenfalls ein reflexives Vorgehen unverzichtbar.Diese Frage gewinnt nun aber zunehmend an Bedeutung nichtnur im Hinblick auf die Effizienz der Arbeitsprozesse, sonderndarüber hinaus auch hinsichtlich der gesundheitlichen Belas-tungen der Benutzer, je intensiver IT-Systeme als Arbeitsmittelund Medium der Kooperation genutzt werden. Insoweit die Sys-teme mangels hinreichender Gebrauchstauglichkeit und Zuver-lässigkeit flüssiges und flexibles Handeln eher behindern alsunterstützen, führen sie zu beträchtlichen Stressbelastungen mitgroßen gesundheitlichen Risiken (wie sie heute schon häufigetwa bei stark unter Zeitdruck stehender Projektarbeit zu ver-zeichnen sind). Zwar sind diese Zusammenhänge noch weniguntersucht, doch ist deren Relevanz bereits abzusehen.Diese Schwierigkeiten der Systemgestaltung und -einführungstellen schließlich insgesamt große Herausforderungen an ver-antwortliches informatisches Handeln. In der professionellenVerantwortung von Informatikern liegt es insbesondere, gesund-heitliche und wirtschaftliche Risiken und Schäden zu vermeidenund nach dem neusten Stand wissenschaftlicher Erkenntnissezu handeln44 . Wie die Ausführungen dieses Beitrags zum Ein-satz vxon IT-Systemen in Arbeits- und Wertschöpfungsprozes-sen zeigen, gibt es hier noch immer beträchtliche Defizite zuüberwinden.

ReUseReUseReUseReUseReUse::::: GebraucGebraucGebraucGebraucGebrauchswertorientierunghswertorientierunghswertorientierunghswertorientierunghswertorientierung beibeibeibeibei ComputernComputernComputernComputernComputernDieser Sicht der Dinge entsprechen auch ökologische undsozialverträgliche Konzepte der Nutzenoptimierung, denen frei-lich die noch immer vorherrschenden neo-liberalen Konzepteder Verbrauchsmaximierung entgegenstehen. Das BeispielReUse-Computer zeigt die Sozialverträglichkeit als Dimensionder Arbeit von wirtschaftlich tätigen Computerfachfirmen auf.

___44 Arbeitskreis Verantwortung der GI, 1994: Ethische Leitlinien der Gesellschaft

für Informatik, http://www.gi-ev.de/verein/struktur/index-ethik.html .

Peter Brödner Die permanente Krise des Computergebrauchs

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Die Wiederverwendung (ReUse) gebrauchter Geräte ist Ziel ei-nes Netzwerks von Unternehmen, das hochwertige leistungsfä-hige ReUse-Computer und -Komponenten zu günstigen Preisenverbunden mit einem umfassenden Serviceangebot zu derennützlichen und produktiven Einsatz bietet. Demgegenüber zer-stören Effizienzhysterie und Neuheitsideologie in Form einersich immer weiter beschleunigenden Folge neuer Gerätegene-rationen durch den steigenden Ressourcenverbrauch dieGrundlagen unseres Lebens, ohne dass dem ein realisierterNutzen gegenüberstünde. „Niemand würde sein Auto nach dreibis vier Jahren verschrotten, bei Computern ist dies noch dieRegel. In Deutschland fallen jährlich mindestens 250.000 TonnenEDV-Schrott an …45“ Und: „Der Computermüll enthält einen bri-santen Schadstoff-Cocktail: Quecksilber aus Flachbildschir-men, Cadmium und Lithium aus Notebook-Akkus. Andere Teileenthalten polybromierte Kohlenwasserstoffe – gefährliche Ver-bindungen, die bei der Verbrennung dioxinähnliche Stoffe bil-den können.“46

Effizienzhysterie und Neuheitsideologie behindern darüber hin-aus die für die Realisierung des Nutzens so entscheidend wich-tigen Prozesse kollektiven Lernens und der Aneignung vonComputerfunktionen für produktives und kreatives Arbeiten.Damit überdecken sie zugleich die oben beschriebenen syste-matischen Fehler in der Entwicklung gebrauchswertorientierterInformations- und Kommunikationstechnik. Robert Jungk analy-sierte diesen Zusammenhang bereits 1952 in seinem Buch „DieZukunft hat schon begonnen“: Die Informationstechnik dringt „indie Gebiete des Denkens ein. Sie ist imstande, beinahe jede Artvon gradliniger logischer Denkoperation mit übermenschlicherGeschwindigkeit auszuführen. Dadurch vereinfacht sie einer-seits viele zeitraubende Routine-Operationen, verführt aber aufder anderen Seite ihre menschlichen Meister dazu, sich mehrund mehr nur solchen Problemen zu stellen, die mit Hilfe derphantasielosen, aber außerordentlich tüchtigen ‘mechanischenGehirne’ gelöst werden können.”47

___45 Becker, F., 2003: Der Neue Alte PC von ReUse-Computer, arbeitsmarkt UM-

WELTSCHUTZ und NATURWISSENSCHAFTEN Nr. 26, S.4.46 Becker, F., 2002: Computer aus zweiter Hand, mitbestimmung Nr.10, S. 63.47 Jungk, R., 1952: Die Zukunft hat schon begonnen, Bern, Stuttgart, Wien:

Scherz & Goverts, S. 173.

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Anhand zweier Beispiele soll die Arbeitsweise von ReUse-Com-puter illustriert werden:Das erste ist die Geschichte eines Pentium III Rechners, 500 MHz,10 GB Festplatte, der 1999 hergestellt wurde. Für seinen Her-stellungsprozess wurde seinerzeit ein Primärenergieeinsatz be-nötigt, der dem Spritverbrauch einer PKW-Fahrt von Berlin nachMünchen entspricht. Im Jahr 2003 wurde dieser Computer voneinem Schreibtisch in der Filiale einer Bank in Berlin abgebautund nach knapp 4 Jahren Nutzungszeit zur „Roll-out-Ware“.Ohne das ReUse-Projekt wäre er wahrscheinlich erst im Kellerund einige Wochen später in der Schrottmühle gelandet. Dabeiwären nur 13% des ursprünglichen Energieeinsatzes zurückge-wonnen worden, 87% wären verloren gewesen – ein Problem beiallen hochintegrierten Produkten. Recycling funktioniert bei Pa-pier, aber eben nicht bei Computern. Glücklicherweise hat dieBank eine Vereinbarung mit ReUse-Computer. Eines der BerlinerReUse-Unternehmen hat den Rechner zusammen mit anderenHardwarekomponenten aufgearbeitet und wiedervermarktet. DerRechner wurde im Büro eines Getränkegroßhandels wiederein-gesetzt und kann dort wahrscheinlich noch 3-4 Jahre genutztwerden.Ein weiteres Beispiel führt zum Weiterbildungsangebot „online-Lehre lernen“ für wissenschaftliche Mitarbeiter der TechnischenUniversität Berlin. Dort wurden 10 „reuse-te“ wieder aufgearbei-tete Markenlaptops mit W-LAN Zugang angeschafft, die in Semi-naren eingesetzt werden. Es wäre nicht finanzierbar gewesen,einen entsprechenden Notebook-Pool aus Neugeräten anzu-schaffen.In diesem Sinne handelt das ReUse-Computer Netzwerk sozialund ökologisch verträglich. Die ReUse-Händler orientieren sichan den realen Bedarfen der Kunden und leisten so Beiträge zueiner nutzerorientierten Technikentwicklung. Diese Unterneh-mensphilosophie fördert die Sicherung des arbeitsintensivenAufarbeitungs-, Beratungs- und Service-Know how in der Regi-on. Derartige Kompetenzen und Serviceangebote, mit den Kun-den angemessene Einsatzkonzepte zur produktiven Nutzungvon Computern zu erarbeiten, sind aber, wie hier dargestellt, ent-scheidend für die Überwindung der Gebrauchskrise.ReUse-Computer fördert die Orientierung auf eine Ökonomieder Gebrauchswertvermittlung: Damit werden der Ressourcen-verbrauch und das Aufkommen an Elektronikschrott vermindert,mehr Menschen erhalten Zugang zu modernen IuK (Informa-tions- und Kommunikations)-Techniken. „Trotz des Erfolges liegt

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es den ReUse-Initiatoren fern, ein eigenes Unternehmen zugründen. Sie wollen mit ihrem Netzwerk den Markt für lokaleDienstleistungen stärken, die Computerhändler unterstützenund den Einsatz gebrauchter Produkte in standardisierter Quali-tät fördern. ReUse-Angebote stehen auch für eine andere Ethik,einen anderen Umgang mit Menschen und Ressourcen. Im Netz-werk des ReUse-Projektes verbinden sich Elemente der Geld-wirtschaft und des Kooperationsgewinns, ökonomisch orientier-ter und reziproker Nutzentausch, zum Vorteil aller Akteure undder Umwelt. Die Akteure tauschen materielle Güter oder Dienst-leistungen nicht nur gegen Bezahlung, sondern auch gegen an-gemessene oder ungefähre Gegenleistungen – etwa, wenn esum Reparatur- und Service-Tipps geht, oder darum, Ersatzteilezu bekommen, Kunden innerhalb des Netzwerkes weiterzuver-mitteln oder in einer Bietergemeinschaft gebrauchte Computerzu akquirieren. Der Tausch ist dann nicht vertraglich fixiert, son-dern beruht auf dem gewachsenen Vertrauen der Projekt-partner.“48 ReUse-Computer macht Nachhaltigkeit sowie techni-sche, soziale und ökologische Innovationen praktisch erfahrbar.

___48Becker, F., 2002: Computer aus zweiter Hand, mitbestimmung Nr.10, S. 65.

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LLLLLebensweltenebensweltenebensweltenebensweltenebenswelten ///// ÖkologieÖkologieÖkologieÖkologieÖkologie

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SozioökonomiscSozioökonomiscSozioökonomiscSozioökonomiscSozioökonomischehehehehe undundundundund soziokultursoziokultursoziokultursoziokultursoziokulturelleelleelleelleelle AspekteAspekteAspekteAspekteAspekteamamamamam BeispielBeispielBeispielBeispielBeispiel derderderderder ModellregionModellregionModellregionModellregionModellregion HamburgHamburgHamburgHamburgHamburg

Christine Ax

Im Rahmen des Forschungsvorhabens ReUse – Regionale Wei-ter- und Wiederverwendung von Computern wurde von IPFHamburg rund 1000 Hamburger Haushalte befragt, von denensich über 700 zu einem längerem Interview (Fragebogen) bereiterklärten.Mit der Befragung der privaten Haushalte sollte nicht nur Datendarüber erhoben werden, wie gut die Ausstattung der privatenHaushalte mit Computern derzeit aussieht (Zahl und Alter derPCs). Vor dem Hintergrund der WEEE und den sich hieraus er-gebenden Verpflichtungen für die Gemeinden und die Herstellerwar es auch interessant in Erfahrung zu bringen, wie viele unge-nutzte Computer heute in den privaten Haushalten herumstehen,und welche Pläne die privaten Haushalte hinsichtlich ihrer nichtmehr benötigten genutzten oder ungenutzten Computer haben.Zugleich sollte diese Frage Informationen darüber liefern, ob dieprivaten Haushalte als Lieferanten von Second-hand-PCs inFrage kommen. In insgesamt 80% der befragten HamburgerHaushalte steht heute mindestens ein Computer. Dieser ist beider Hälfte der befragten Haushalte zwischen 2 und 4 Jahre alt.In den Haushalten der so genannten „Besserverdienenden“deutlich öfter auch erst zwischen 1 und 2 Jahre alt. HamburgsHaushalte sind also nicht nur erstaunlich gut mit PCs ausgestat-tet, diese PCs sind auch jünger als erwartet. Bei dieser Zahl anbereits in der Nutzung befindlichen Computern kann davon aus-gegangen werden, dass wir es mit einem Markt zu tun haben,der sich heute bereits nahe an der Sättigungsgrenze bewegtund dass Kaufentscheidungen für PCs heute oft Ersatz-beschaffungen sein dürften oder der „Trend zum Zweitcomputer“– ähnlich wie beim Fernseher. Ein VEin VEin VEin VEin Viertel der befragten Haus-iertel der befragten Haus-iertel der befragten Haus-iertel der befragten Haus-iertel der befragten Haus-halte hat außerhalte hat außerhalte hat außerhalte hat außerhalte hat außerdem aucdem aucdem aucdem aucdem auch noch noch noch noch noch einen Computer in Besitz, derh einen Computer in Besitz, derh einen Computer in Besitz, derh einen Computer in Besitz, derh einen Computer in Besitz, dernicnicnicnicnicht mehr in der Nutzung ist.ht mehr in der Nutzung ist.ht mehr in der Nutzung ist.ht mehr in der Nutzung ist.ht mehr in der Nutzung ist. Diese Alt-PCs sollen zur Hälfteentsorgt, verschenkt oder gespendet werden. Rund 40% dieserComputer werden als Ersatzgerät aufbewahrt. Dahinter dürftedas Bedürfnis stehen, im Notfall immer sofort einen funktionie-renden Ersatzcomputer zu Hand zu haben. Für Haushalte, diesehr computerfixiert sind, mag dies eine vernünftige Lösung ih-res Problems sein. Auf der anderen Seite wird auf diese Weisedem Markt und damit auch der Nutzung eine große Zahl vonComputern vorenthalten. Angesichts des schnellen Wertverlu-

Sozioökonomische und soziale Aspekte Christine Ax

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stes, dem Computer unterliegen dürfte es sich hierbei um einefür beide Seiten suboptimale Lösung handeln, die möglicherwei-se auch über innovative Leasing- oder Serviceprodukte ersetztwerden könnte.

RücRücRücRücRückgabekgabekgabekgabekgabe ––––– RücRücRücRücRücknahmewegeknahmewegeknahmewegeknahmewegeknahmewegeVor allem die oberen Einkommensgruppen wollen spenden undschenken. Die mittleren Einkommen denken eher an verkaufen.1% bzw. 2% der Befragten wollen ihren Alten PCs über denHausmüll oder Sperrmüll entsorgen. 5% der Befragten planten,ihre Computer an die Verkaufshändlern zurückzugeben. Und im-merhin 12% wollten ihren Computer zu einem der HamburgerRecyclinghofe bringen, was für eine gute Verankerung und ei-nen hohen Bekanntheitsgrad dieser Einrichtungen spricht.

ZusZusZusZusZusammenfassendeammenfassendeammenfassendeammenfassendeammenfassende ÜbersicÜbersicÜbersicÜbersicÜbersichththththt:::::EinflussgrEinflussgrEinflussgrEinflussgrEinflussgrößenößenößenößenößen aufaufaufaufauf dasdasdasdasdas NutzungsverhaltenNutzungsverhaltenNutzungsverhaltenNutzungsverhaltenNutzungsverhalten beibeibeibeibei privatenprivatenprivatenprivatenprivaten HaushaltenHaushaltenHaushaltenHaushaltenHaushalten

EinflussgrEinflussgrEinflussgrEinflussgrEinflussgrößenößenößenößenößen WWWWWieieieieie?????Gender Frauen sind unentschiedener, offener, genau

so kompetent, aber haben handwerkliche De-fizite

Einkommen Besserverdienende kaufen tendenzielll neueGeräte und verschenken und spenden mehr;Einkommensschwache Schichten kaufen häu-figer gebraucht

Qualifikation, Gut Informierte kaufen eher gebrauchtKompetenzMarktransparenz Konsumenten sind nicht gut informiert

(Gewährleistung, technische Zuverlässigkeit,regionale Angebote)

Beziehungen, Netze Wer Freunde, Familie oder Bekannte hat, hathäufiger Gebrauchte und braucht wenigerGeld für den Support: informelle Ökonomiespielt eine große Rolle

Betriebsgröße Große Unternehmen haben entweder ver-gleichsweise alte PCs oder aber sie leasen,und dann sind die PCs signifikant jünger.

Quelle: IPF Hamburg

Christine Ax Sozioökonomische und soziale Aspekte

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ComputerComputerComputerComputerComputer nocnocnocnocnochhhhh immerimmerimmerimmerimmer „Männers„Männers„Männers„Männers„Männersacacacacache“he“he“he“he“ –––––TTTTTraditionelleraditionelleraditionelleraditionelleraditionelle RollenteilungRollenteilungRollenteilungRollenteilungRollenteilung ististististist immerimmerimmerimmerimmer nocnocnocnocnochhhhh lebendiglebendiglebendiglebendiglebendigComputer sind nach wie vor „Männersache“. Entscheidungenüber die Anschaffung, Bezahlung, und Konfiguration der Heim-PCs liegen in den Mehrpersonenhaushalten noch immer in er-ster Linie in Männerhand. Doch „sie“ und die Familie dürften in-zwischen immer häufiger mitreden. Denn genauso oft wird inzwi-schen partnerschaftlich und unter Einbeziehung der Partnerinoder der Familie entschieden. Dass dahinter nicht so sehr weib-liches Desinteresse am Thema PCs steht, sondern ein traditio-nelles Rollenmuster in den Beziehungen, belegt die Tatsache,dass in „weiblichen Haushalten“, ganz gleich ob Single oder al-lein erziehend, nur geringfügig weniger PCs zu finden sind, dafüraber mehr Notebooks. Und 25% der befragten Frauen gaben an,regelmäßig Computerzeitschriften zu lesen. Doch obgleich diesdarauf hinweist, dass die weiblichen Befragten sich in Interesseund Kompetenz von der männlichen Bevölkerungsgruppe nichtwirklich signifikant unterscheiden, gibt es doch deutliche Unter-schiede bei der praktischen Umsetzung des Know-hows. Wäh-rend „er“ sich am liebsten selber hilft, wenn der Computer„spinnt“, lässt „sie“ sich deutlich öfter helfen oder sucht profes-sionelle Hilfe bei Händlern und Freunden.In Sachen gebrauchter Hardware waren die weiblichen Befrag-ten zugleich unentschlossener als auch offener. Sie antwortetensehr viel häufiger mit „weiß nicht“ als ihre männliche Vergleichs-gruppe und äußerten deutlich öfter als „er“ die Ansicht, dass esfür sie nicht immer „das Neuste“ sein muss. Es dürfte sich hier-bei um eine weitere Untermauerung der Annahme handeln, dassFrauen einen rationaleren Zugang zu Technik haben: sie sindtendenziell nutzenorientiert und weniger technikverliebt: EineBeobachtung, die wir aus dem geschlechterspezifischen Um-gang mit Autos kennen.

NutzungsprNutzungsprNutzungsprNutzungsprNutzungsprofileofileofileofileofile:::::DieDieDieDieDie JungenJungenJungenJungenJungen habenhabenhabenhabenhaben diediediediedie höchöchöchöchöchstenhstenhstenhstenhsten SystemanforSystemanforSystemanforSystemanforSystemanforderungenderungenderungenderungenderungenDie privaten Haushalte nutzen den Heimcomputer heute noch inder Regel hauptsächlich für private Korrespondenz und Verwal-tung, Kommunikation, Arbeit zu Hause und Lernen. Surfen imInternet ist die beliebteste Beschäftigung am Computer, aberauch zum Spielen oder für die Bearbeitung von Fotos werdenComputer in über der Hälfte bzw. einem Drittel der befragtenHaushalte genutzt. Klare Unterschiede im Nutzerprofil gibt eszwischen Erwachsenen und Jugendlichen. Jugendliche haben

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höhere Anforderungen an ihre PCs, da sie ihre Computer häufi-ger als Musik-, Spiele- und Filme-Computer nutzen.

Prozentuale Nutzung der Heimcomputer Quelle: IPF Hamburg

Reine Multimediaanwendungen wie z.B. Musik aus dem Internetherunterladen, Filme sehen und Fernsehen waren bei gerademal 15 % Haushalte zu finden. Da diese Anwendungen beson-dere Anforderungen an die Hardwarekonfiguration stellen, mussdies bei der Produktentwicklung und Kommunikation berück-sichtigt werden. Der Spielcomputer mit einer entsprechend aus-gelegten Rechengeschwindigkeit, Arbeitsspeicher und Hoch-leistungsgraphikkarte wäre eine ebenso adäquate Antwort aufdiesen Bedarf, wie der Standard Home office Computer für dienormalen Standardanwendungen. Auch Leasingkonzepte könn-ten sich als Lösungsansätze grundsätzlich anbieten, da diesemit der Garantie verbunden werden könnten, dass der geleasteComputer stets den im Wandel befindlichen Systemanforde-rungen genügt.DieDieDieDieDie TTTTTeilhabeeilhabeeilhabeeilhabeeilhabe ananananan derderderderder ComputerweltComputerweltComputerweltComputerweltComputerwelt ististististist aucaucaucaucauchhhhh „„„„„BeziehungssBeziehungssBeziehungssBeziehungssBeziehungssacacacacachehehehehe“““““Befragt danach, was sie mit derzeit in Nutzung befindlichen „ak-tiven“ Computer vorhaben, sagt jede/r zweite Hamburger/Ham-burgerin, sie wollen ihren Computer verschenken und zwar in-oder außerhalb ihrer Familien. Die hohe Bereitschaft, den Com-puter in Familie oder an Freunde und Bekannte weiterzugeben,passt zu der Beobachtung, das zwei Drittel der vielen Ge-

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brauchtcomputer, die heute in Hamburger Haushalten genutztwerden, von Familie, Freunden und Bekannten übernommenwurden. Bei den rund 40% Befragten, die gebrauchte Computernutzen, ist das Durchschnittsalter der „aktiven“ Computer daherauch etwas höher. Die Bedeutung der kleinen Netze (Familie,Freunde und Bekannte) wird auch beim Thema Reparatur undService deutlich. Fällt der Computer aus, dann versucht „Mann“sich zunächst einmal selber zu helfen. Und viele sind dazu auchin der Lage. Wer sich nicht selber helfen kann, sucht zunächsteinmal die Hilfe von Freunden und Bekannten, und nur wenn dasBeziehungsnetzwerk versagt oder Geld keine Rolle spielt, wer-den diese derzeit in der Regel teuren Dienstleistungen „zuge-kauft“. Frauen und die Haushalte mit höheren Einkommen grei-fen zum Hörer und wählen die Hotline oder suchen nach einemprofessionellen Servicepartner, der in der Regel der Händler ist.NutzerNutzerNutzerNutzerNutzer vonvonvonvonvon GebraucGebraucGebraucGebraucGebraucht-ht-ht-ht-ht-ComputernComputernComputernComputernComputern sindsindsindsindsind überhauptüberhauptüberhauptüberhauptüberhaupt nicnicnicnicnichththththt „blöd“„blöd“„blöd“„blöd“„blöd“Haushalte die gebrauchte und damit auch preiswertere Compu-ter nutzen sind – anders als es die Werbung gewisser Handels-häuser suggeriert – alles andere als „blöd“. Sie sind ganz imGegenteil z.B. technisch eher besonders „fit“.

Lesestoff der Secondhand-Computer-Nutzer Quelle: IPF Hamburg

Gibt es Probleme mit ihrer Hardware, sind sie deutlich häufiger inder Lage, sich selber zu helfen. Secondhand-Computer-Nutzerlesen durchschnittlich mehr PC-Zeitschriften als die Vergleichs-

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personen. 90% der Besitzer von Secondhand-PCs sind mit ih-rem Computer zufrieden. Und rund die Hälfte plant derzeit, sichauch das nächste Mal wieder für einen Gebrauchten zu ent-scheiden.Trotz der großen Zufriedenheit mit ihrem Gebraucht-Computerwollen sich rund 40% das nächste Mal einen neuen PC kaufen.Dafür, dass die Gründe hierfür nicht in der mangelnden Zuver-lässigkeit der „Gebrauchten“ liegen dürften, spricht, dass weni-ger als 40% der befragten Haushalte überhaupt jemals Problememit der Hardware hatten, und dass es hinsichtlich der Zuverläs-sigkeit der Hardware keine nennenswerten Unterschiede zwi-schen den Haushalten gibt, die gebrauchte PCs oder die neuePCs nutzen.Die Wahrscheinlichkeit eines Komponentenversagens scheintvöllig unabhängig davon zu sein, ob Computer neu oder ge-braucht erworben werden. Ausschlaggebend dürften allein dieQualität des Produktes und die Nutzungsdauer sein, für die dieKomponenten und die Hardware vom Hersteller konzipiert wur-de. Hochwertige und robust konstruierte Hardware, die für denProfianwender konzipiert wurde (Hersteller wie HP sprechen von„Goldware“), sind daher vermutlich Billigprodukten, die ausBilligkomponenten für den Massenmarkt (hier sprechen die Her-steller von blauer Ware) hergestellt wurden, in der Regel vorzu-ziehen. Mehr als die Hälfte aller Haushalte können sich im Prin-zip vorstellen, einen Gebrauchtcomputer zu kaufen. Die Haus-halte, die eine hohe besonders Affinität zum Thema „Gebrauch-te“ haben, finden wir nicht ganz unerwartet in den unteren Ein-kommensklassen, wie z.B. Studenten.Die Tatsache, dass es Händler wie z.B. die Reuse Händler gibt,die sich auf die Aufarbeitung, den Verkauf und den Service rundum das Thema „Gebrauchtcomputer“ spezialisiert haben, warzum Befragungszeitpunkt nur 22% der HamburgerInnen be-kannt. Überhaupt: Die Frage nach den wichtigsten Gründen füroder gegen die Nutzung von gebrauchten Computern zeigt: DieVerbraucher wissen nicht, dass das neue Gewährleistungsrechtihnen bei Altgeräten eine Mindestgewährleistung von einemJahr zugesteht. Und dies gilt für beide Gruppen gleichermaßen:für diejenigen, die Gebrauchte nutzen und für diejenigen, dieGebrauchte bisher ablehnen. Das hier bestehende Informations-defizit ist eine der zentralen Aufgaben der Kommunikations-politik. Und dass rund die Hälfte der Befragten die Zuverlässig-keit von Computern für sehr wichtig halten, und zugleich auf dieFrage nach der Zuverlässigkeit von Gebrauchten mit „weiß

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nicht“ antwortet ist ein weiterer Hinweis darauf, dass durch einegute Kommunikationspolitik der Absatz von Gebraucht-Com-putern mit Sicherheit gefördert werden kann. Dass auch das Ein-kommen naturgemäß bei der Kaufentscheidung mitspielt, ist ein-deutig. Wir finden die Nutzer von Gebraucht-PCs besondershäufig unter Studenten, Arbeitslosen und Hausfrauen/-männernmit einem Einkommen bis 2000 Euro/Monat. So gesehen ist derSecondhand-PC-Markt ein wichtiger Beitrag zur Chancen-gleichheit: wer arm ist, braucht trotzdem nicht auf gute Hardwarezu verzichten.BesserverBesserverBesserverBesserverBesserverdienendendienendendienendendienendendienenden kaufenkaufenkaufenkaufenkaufen ausausausausaus PPPPPrinziprinziprinziprinziprinzip neuneuneuneuneuUnabhängig von solchen ökonomischen oder „technischen“Vorbehalten finden wir in den oberen Einkommensklassen je-doch auch mentale Vorbehalte oder „Werthaltungen“, die demReuse-Gedanken im Prinzip entgegenstehen. Bei den oberenEinkommensgruppen gaben über zwei Drittel der Befragten an,für sie spräche gegen Gebrauchtcomputer, dass sie sowiesoimmer ‘alles neu’ kauften. Die Besserverdienen empfindenGebrauchtcomputer auch als langsamer und weniger zuverläs-sig als die Vergleichsgruppe. Sie sind allerdings auch sehr vielhäufiger bereit, die PCs die sie nicht mehr benötigen, zu ver-schenken und zu spenden.AnforAnforAnforAnforAnforderungenderungenderungenderungenderungen ananananan diediediediedie tectectectectechnischnischnischnischnischehehehehe AusstAusstAusstAusstAusstattungattungattungattungattungMit der Frage an die Gebrauchtcomputer-Nutzer, was an ihremGebraucht-PC derzeit stört, sollten die wichtigen Gründe für denKauf neuer oder neuer „Gebrauchter“ erhoben werden. Als ei-nen Mangel empfanden rund die Hälfte der Befragten, dass ihrGebrauchtcomputer „zu langsam“ sei. Ein Viertel der Befragtennannte die „geringe Speicherleistung“. Ob diese Kritik bei denheute im Angebot befindlichen Secondhand- Computergenera-tionen, die in der Regel einen Pentium II Prozessor haben, über-haupt noch zutreffend wäre, ist fraglich – schließlich hat sich dieLeistungsgeschwindigkeit der Geräte schneller weiterentwickeltals die Systemanforderungen von Standard-Anwendungen wiesie von den Haushalten derzeit hauptsächlich bevorzugt genutztwerden. Vielen NutzerInnen dürfte darüber hinaus nicht bekanntsein, dass die Rechengeschwindigkeit nicht nur von der Lei-stungsfähigkeit des Prozessors abhängt, sondern vor allemauch davon wie viel Rechenkapazität in vielen Fällen durch„systemfressende“ Programme gebunden werden. Was umge-kehrt bedeutet, dass über die richtige Softwarekonfiguration dieGeschwindigkeit auch älterer Rechner dramatisch erhöht wer-den kann. Mit Blick auf das Internet ist heute die Geschwindig-

Sozioökonomische und soziale Aspekte Christine Ax

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keit darüber hinaus meist durch und das Volumen des Daten-transfers in der Regel der begrenzende Faktor. Für einen richtigguten Gebrauchtcomputer waren die Befragten im Durchschnittbereit, bis zu 45% des Preises eines vergleichbaren Neu-Com-puters zu bezahlen. Wobei mit Vergleichbarkeit immer die Funk-tionalität gemeint ist, d.h. die Hardware genügt den Anforderun-gen, die intendiert sind.

UnternehmensbefragungUnternehmensbefragungUnternehmensbefragungUnternehmensbefragungUnternehmensbefragungBei den befragten Betrieben handelte es bei insgesamt 80% derbefragten Betriebe um Betriebe mit zwischen 1 und 100 Ange-stellten. Nur 20% der befragten Betriebe beschäftigten zwischen100 und über 5000 Angestellte.

DieDieDieDieDie AnscAnscAnscAnscAnschaffunghaffunghaffunghaffunghaffung vonvonvonvonvon PCsPCsPCsPCsPCs ininininin KleinbetriebenKleinbetriebenKleinbetriebenKleinbetriebenKleinbetrieben ististististist ChefsChefsChefsChefsChefsacacacacacheheheheheIn mehr als zwei Drittel der befragten Betriebe bestimmt der Chefüber die EDV-Ausstattung. Und die Frage, wer über die Ausstat-tung mit Hardware entscheidet, hat offenbar Einfluss auf dieHardwarekonstellation. Die jüngsten Hardwaregenerationen fin-den wir jedoch in Unternehmen, die mit externen Beratern zu-sammenarbeiten oder in Unternehmen, die nur geleaste Compu-ter einsetzen. Generell gilt: Bestimmt die EDV-Abteilung über dieComputerausstattung und nicht der Chef, dann ist ein größererAnteil an 1 bis 2 Jahre alter Hardware in Betrieben zu finden.Betriebesgrößenspezifisch ist dennoch festzustellen, dass dasDurchschnittsalter der Computer mit der Größe der Unterneh-men steigt – es sein, denn die Hardware wird geleast, was bisherdie Ausnahme ist. Computer, die im Handel oder im Dienstlei-stungsbereich stehen, sind jünger als die Hardware im produzie-renden Gewerbe. Gekauft wurde die EDV-Ausstattung in 86%der Betriebe, geleast nur in 14%. Diese Zahlen zeigen eine klarausbaufähige Situation für Leasingangebote bei gewerblichenBetrieben.

GründeGründeGründeGründeGründe gegengegengegengegengegen diediediediedie NutzungNutzungNutzungNutzungNutzung vonvonvonvonvon „Gebrauc„Gebrauc„Gebrauc„Gebrauc„Gebrauchten“hten“hten“hten“hten“Auch bei Unternehmen ist festzustellen, dass die Gewährlei-stung auf Gebrauchtgeräte nicht bekannt ist. Zwei Drittel der be-fragten Unternehmensvertreter meinten, dass mangelnde Ge-währleistung gegen die Nutzung von Secondhand-Hardwaresprechen. Jeweils noch einmal knapp die Hälfte der Betriebegaben an, dass Gebrauchtgeräte nicht ihren Anforderungen ent-sprächen bzw. dass sie glaubten, keinen Service für Gebraucht-geräten zu bekommen.

Christine Ax Sozioökonomische und soziale Aspekte

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GründeGründeGründeGründeGründe fürfürfürfürfür diediediediedie NutzungNutzungNutzungNutzungNutzung vonvonvonvonvon „Gebrauc„Gebrauc„Gebrauc„Gebrauc„Gebrauchten“hten“hten“hten“hten“Als Argumente für die Nutzung gebrauchter Hardware wird dem-zufolge die Gewährleistung für Gebrauchtcomputern nur vonden wenigsten Betrieben angegeben. Was aus der Sicht der Be-fragten für den Einsatz gebrauchter Hardware sprechen könnte,war die Einschätzung, dass für normale Büroanwendungen„nicht das Neuste sein muss“, und dass auf diesem Wege einegeringere Kapitalbindung verbunden sein. Das günstige Preis-leistungsverhältnis wurde besonders bei kleinen Betrieben undvon Betrieben, in denen der Chef über die Hardwareanschaffungbestimmt, als möglicher Grund für die Nutzung gebrauchterHardware angegeben. Auch hier kann angeknüpft werden. nurin 10% der befragten Betriebe wird der EDV-Service innerhalbder informellen Ökonomie, also von Freunden oder Familiedurchgeführt. Hier erscheint der Markt mit 40% von Betrieben, indenen Service von eigenen Mitarbeitern und 35%, in denen derService von Vertragspartnern übernommen wird, sehr geschlos-sen.

HarHarHarHarHardwardwardwardwardwareeeee ististististist seltenseltenseltenseltenselten UrsUrsUrsUrsUrsacacacacachehehehehe fürfürfürfürfür PPPPPrrrrroblemeoblemeoblemeoblemeoblemeAm meisten wird an PCs die technische Zuverlässigkeit und Re-chenleistung geschätzt. Doch auch bei den befragten Unterneh-men ist nicht defekte Hardware die häufigste Ursache für Proble-me mit der EDV. Über 60% der befragten Betriebe haben aller-dings meistens Probleme mit der Software und knapp ein DrittelProbleme mit der Konfiguration. Die Hardwarekomponente, mitder am häufigsten Probleme beobachtet auftraten, ist die Fest-platte (20%). Die anderen Komponenten haben mit einer Nen-nung zwischen 2% und 10% eine nachrangige Bedeutung. Ammeisten Interesse bezüglich Informationen über das ReUseNetzwerk wurde von Betrieben mit 1 bis 10 Angestellten und Be-trieben, in denen der Chef über die EDV-Ausstattung entschei-det, bekundet.

KleineKleineKleineKleineKleine BetriebeBetriebeBetriebeBetriebeBetriebe habenhabenhabenhabenhaben keinekeinekeinekeinekeine festenfestenfestenfestenfesten EntsorgungswegeEntsorgungswegeEntsorgungswegeEntsorgungswegeEntsorgungswege –––––MitMitMitMitMitarbeiterverkaufarbeiterverkaufarbeiterverkaufarbeiterverkaufarbeiterverkauf immerimmerimmerimmerimmer nocnocnocnocnochhhhh üblicüblicüblicüblicüblichhhhhDie Entsorgung von EDV liegt bei insgesamt zwei Dritteln derbefragten Betriebe entweder im Dunkeln, oder aber die Hard-ware wird verschenkt oder gespendet. Hier kann ReUse auf je-den Fall ansetzen. 10% der befragten Betriebe erklärten sichwährend der Befragung bereit, ihre Computer an das ReUseNetzwerk abzugeben.

Sozioökonomische und soziale Aspekte Christine Ax

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149ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

SubjektiveSubjektiveSubjektiveSubjektiveSubjektive TTTTTheorienheorienheorienheorienheorien vonvonvonvonvon StudentInnenStudentInnenStudentInnenStudentInnenStudentInnenZurZurZurZurZur NutzungNutzungNutzungNutzungNutzung vonvonvonvonvon gebraucgebraucgebraucgebraucgebrauchtenhtenhtenhtenhten (((((ReUse-)LReUse-)LReUse-)LReUse-)LReUse-)Laptopsaptopsaptopsaptopsaptops

Eine explorative Studie *

Annette Leven

ZusZusZusZusZusammenfassungammenfassungammenfassungammenfassungammenfassungUnter welchen Bedingungen sind StudentInnen bereit einen ge-brauchten Laptop zu nutzen? Was könnte ReUse-Computer un-ternehmen, um Barrieren in dieser Zielgruppe zu überwinden?Zur Beantwortung dieser Fragen wurden in Berlin 16 Student-Innen im Grund- und Hauptstudium verschiedener Fachrichtun-gen unter Verwendung von Interviews befragt. Die Ergebnissedes angewandten Verfahrens, das aus der qualitativen psycho-logischen Forschung stammt (s. „Forschungsprogramm Subjek-tive Theorien“, Scheele & Groeben, 1988), standen in Einklangmit den grundlegenden Annahmen der Theorie des geplantenVerhaltens (Ajzen, 1985): Menschliches Handeln ist nicht nurvon Einstellungen, sondern ebenfalls von Normen, die in der be-treffenden Gruppe vorhanden sind (subjektive Norm), abhängig.Diese sozialen Erwartungen führen im Zusammenwirken mit Ein-stellungen zu dem, was von der Theorie als Verhaltensabsicht(Intention) bezeichnet wird. Diese muss nicht mit dem Handelnübereinstimmen. Die Wahrnehmung von eigenen Verhaltens-möglichkeiten und externen Barrieren (wahrgenommene Verhal-tenskontrolle) kann verhindern, dass Verhaltensintentionenentstehen oder umgesetzt werden. Mit der Nutzung eines ge-brauchten Laptops wurden außer der Schonung der Umwelt unddes niedrigen Anschaffungspreises eher Nachteile als Vorteileverbunden. Die Normen von Studierenden beinhalten den Ge-brauch aktueller Software. Außerdem haben die Befragten denEindruck, das Auftreten von Geräteschäden nicht kontrollierenzu können und wegen fehlender Kenntnisse im Schadensfallkeine Verhaltensmöglichkeiten zur Verfügung zu haben. Diesesubjektive Norm und die Wahrnehmung fehlender Verhaltens-kontrolle erschweren das Entstehen der Absicht einen ge-brauchten Laptop zu nutzen. Der Gesamteindruck, den die Be-fragten aufgrund der gegebenen Informationen von ReUse-Computer haben, wurde mit „gut“ und „hört sich seriös an“ wie-dergegeben. Der Beitrag „zur Ressourcenausnutzung“ wurdeebenfalls sehr positiv bewertet. Trotzdem ist die Mehrzahl derbefragten StudentInnen nicht an einer konkreten, dauerhaftenNutzung eines ReUse-Laptops interessiert.

* Ich danke Beate Lenhart für ihre Mitarbeit.

Annette Leven Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops

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Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops Annette Leven

Die Ergebnisse spiegeln die allgemeine Vorurteilshaltung vonVerbrauchern wider, neuer Ware einen prinzipiell höheren Wertbeizumessen. Sie deuten darüber hinausgehend auf komplexe-re Zusammenhänge hin, die einer spontanen Nutzungsabsichtim Wege stehen.Es handelt sich hierbei jedoch um eine Studie explorativen Cha-rakters, wobei Verallgemeinerungen nur mit Vorsicht gezogenwerden dürfen. In Bezug auf zukünftige Forschung wäre zu wün-schen, dass verstärkte Aktivitäten darauf verwendet werden,noch mehr mögliche Faktoren umweltbewusster Computernut-zung zu entdecken.

11111 HintergrundHintergrundHintergrundHintergrundHintergrund derderderderder UntersucUntersucUntersucUntersucUntersuchunghunghunghunghung11111.....11111 FragestellungenFragestellungenFragestellungenFragestellungenFragestellungen undundundundund ZielsetzungZielsetzungZielsetzungZielsetzungZielsetzungComputernutzerInnen sind bezüglich ihrer Gerätewahl mit einemgroßen Spielraum an Entscheidungs- und Verhaltensmöglich-keiten konfrontiert und verfügen dabei über einen erheblichenEinfluss auf ökonomische und ökologische Prozesse. Daher be-steht die zentrale Zielsetzung der vorliegenden Studie darin, amBeispiel von StudentInnen als potenzieller Zielgruppe von ReU-se-Computer zu einem besseren Verständnis des Nutzungs-verhaltens bezüglich gebrauchter Computer beizutragen. AlsUntersuchungsgebiet wurde das Kaufen bzw. Mieten eines ge-brauchten Laptops im Sinne einer umweltrelevanten Verhaltens-weise ausgewählt. Die Untersuchung der individuellen Nutzungvon Computern setzt voraus, dass Faktoren analysiert werden,die sich hemmend oder förderlich auf das Verhalten auswirken,wie z.B. wahrgenommene Vor- und Nachteile, Gewohnheiten,Umweltbewusstsein etc. Auf diese Weise können Erkenntnissedarüber gewonnen werden, welche Faktoren verändert werdenmüssten und könnten, um die Bereitschaft bzw. Motivation dafürzu erhöhen, eine umweltbewusstere Computernutzung zu reali-sieren.Es stellen sich folgende Fragen: Wie könnte ein Angebot vonReUse-Computer für StudentInnen aussehen? Was muss unter-nommen werden, um StudentInnen von der Nutzung eines ge-brauchten Computers zu überzeugen?Die Aufklärung dieser Fragen kann nicht allein durch wirtschaft-lich-technische Lösungen bewältigt werden, sondern macht u.a.wissenschaftliche Forschung notwendig. Die Umweltpsycholo-gie z.B. bietet die Möglichkeit, menschliches Umweltverhaltenund dessen Bedingungen zu explorieren, zu analysieren und zu

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151ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

interpretieren. Ziel ist es, Interventionsmaßnahmen zu entwik-keln, um umweltschädigendes in umweltfreundlicheres Verbrau-cherverhalten umzuwandeln.

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde folgendenFragen nachgegangen:- Wann und warum sind StudentInnen bereit, einen gebrauch-

ten Laptop für den persönlichen Bedarf zu verwenden?- Welche Hinderungsgründe und Vorbehalte gegen eine Nut-

zung existieren?- Wo besteht noch Handlungsbedarf zur Überwindung der

Hemmnisse unter den StudentInnen?

11111.2.2.2.2.2 DieDieDieDieDie TTTTTheorieheorieheorieheorieheorie geplantengeplantengeplantengeplantengeplanten VVVVVerhaltenserhaltenserhaltenserhaltenserhaltens alsalsalsalsals ErklärungsrahmenErklärungsrahmenErklärungsrahmenErklärungsrahmenErklärungsrahmenumweltbezogenerumweltbezogenerumweltbezogenerumweltbezogenerumweltbezogener ComputernutzungComputernutzungComputernutzungComputernutzungComputernutzung

Die Theorie geplanten Verhaltens von Ajzen & Madden (1986)stammt aus der Sozialpsychologie und lässt sich auf rational ge-troffene Entscheidungen anwenden, welche nur teilweise derwillentlichen Kontrolle unterliegen. Das in der Theorie postulierteModell wird auf wichtige derzeitige Problemstellungen bezogen.Mit seiner Hilfe wurden bisher Verhaltensweisen wie z.B.Konsumverhalten (Fishbein & Ajzen, 1980), Gewichtsreduzierung(Schifter & Ajzen, 1985) und Verkehrsmittelwahl (Bamberg &Schmidt, 1993) erforscht, um nur einige zu nennen. Es eignetsich gut für die Untersuchung umweltbezogenen Nutzungsver-haltens mit dem Ziel der nachhaltigen Veränderung und wurdedeshalb als theoretischer Erklärungsrahmen für die vorliegendeStudie ausgewählt.

Ein kurzer Abriss grundlegender Annahmen der Theorie soll imFolgenden dargelegt werden. Nach der Theorie geplanten Ver-haltens wird das Verhalten einer Person direkt gesteuert durchdie Intention dieses Verhalten zu zeigen und die von ihr wahrge-nommene Verhaltenskontrolle. Die Verhaltensintention wieder-um wird von drei Faktoren determiniert: der Einstellung zum Ver-halten, der subjektiven Norm und der wahrgenommenen Verhal-tenskontrolle. Letzterer wird ein zusätzlicher direkter Einfluss aufdas Verhalten zugesprochen, der nicht über die Intention vermit-telt wird. Die Bedeutung der Variablen soll kurz charakterisiertwerden: Die Einstellung zum Verhalten wird differenziert in dieÜberzeugung, dass das Verhalten zu bestimmten Konsequen-zen führen wird sowie die subjektive Bewertung dieser Konse-

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quenzen. Die subjektive Norm beschreibt den durch die han-delnde Person wahrgenommenen sozialen Druck (Erwartungenwichtiger Personen aus dem sozialen Umfeld), das in Frage ste-hende Verhalten auszuführen oder zu unterlassen. Sie unterglie-dert sich in die Meinung über die Norm und die Anpassungsbe-reitschaft gegenüber der Norm. Die wahrgenommene Verhal-tenskontrolle wird von Überzeugungen bestimmt, die sich auf ei-gene Fähigkeiten und notwendige externe Ressourcen (z.B.Geld, Zeit, Zugang usw.) zur Ausführung eines Verhaltens bezie-hen. In ihr spiegelt sich der Glaube wider, wie schwierig bzw.leicht es ist, das gefragte Verhalten überhaupt ausführen zu kön-nen. Starke und geringe wahrgenommene Verhaltenskontrolleist keine Persönlichkeitseigenschaft, sondern stark von situati-ven Gegebenheiten abhängig und relativ leicht veränderbar. Sieberuht zum Teil auf eigenen Vorerfahrungen oder Erfahrungenvon nahestehenden Personen mit dem Verhalten.

Einstellung zumVerhalten

subjektive Norm Intention Verhalten

wahrgenommeneVerhaltenskontrolle

Abb. 1: Die Theorie geplanten Verhaltens (Ajzen & Madden, 1986).

Für die folgende Studie wurde erwartet, dass StudentInnenumso eher eine starke Intention zur Nutzung eines gebrauchtenLaptops entwickeln, wenn sie die erwarteten Verhaltenskonse-quenzen vorwiegend positiv bewertet haben, wenn nahestehen-de Personen aus dem sozialen Umfeld diese Verhaltensweiseebenfalls als positiv bewerten und die Bereitschaft vorhanden istsich danach zu richten, und wenn die Überzeugung besteht, ge-nügend Kontrolle, d.h. ausgeprägte eigene Fähigkeiten für dieund geringe situative Beschränkungen bei der Ausführung derVerhaltensweise zu haben. Zu beachten ist, dass selbst einestarke Verhaltensintention dennoch nur den Versuch einer be-stimmten Verhaltensausführung vorhersagen kann, nicht aberdas Verhalten selbst.Abschließend sei kritisch vermerkt, dass trotz der genauen Be-schreibung der Theorie, aus welchen Gründen eine Person ihrVerhalten ändert, der Nutzen des Modells für die Planung von

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Interventionen begrenzt ist. Es fehlen sowohl Annahmen überdie Prozesse zwischen den einzelnen Komponenten – von derEntstehung einer Intention bis hin zum erfolgreichen Handlungs-abschluss – als auch Hinweise auf Strategien, mit denen einestärkere Intention oder eine Verhaltensänderung gefördert wer-den könnten.

2.2.2.2.2. MethodeMethodeMethodeMethodeMethode2.2.2.2.2.11111 Datenerhebungs-Datenerhebungs-Datenerhebungs-Datenerhebungs-Datenerhebungs- undundundundund AAAAAnalysemethodennalysemethodennalysemethodennalysemethodennalysemethodenDie methodische und wissenschaftstheoretische Grundlage die-ser Untersuchung bildet das „Forschungsprogramm SubjektiveTheorien“ (Groeben & Scheele, 1988). Unter diesem Namen wur-de ein besonders differenzierter psychologischer Ansatz zurAnalyse der Inhalte, Strukturen und Funktionen subjektiverSichtweisen entwickelt. Das Fundament bildet ein Menschen-bild, das davon ausgeht, dass Individuen im Alltag Interpretatio-nen über das Funktionieren der Welt und ihr eigenes Handelndarin anstellen. Zentrales Merkmal ist der Versuch der „Einbe-ziehung menschlicher Kommunikations- als Verstehensprozes-se in die Forschungsstruktur“ (Groeben et al., 1988, S. 2). Subjek-tive Theorien sind komplexe zusammenhängende Konzepte mit(zumindest impliziter) Argumentationsstruktur. Ihr Inhalt bestehtaus Phänomenen der Welt- und Selbstsicht der Befragten. Eshandelt sich bei subjektiven Theorien um relativ überdauerndementale Strukturen, die Schlussfolgerungen ermöglichen. IhreRekonstruktion erfolgt nach einem zweiphasigen Forschungs-modell, das innerhalb des Forschungsprogramms SubjektiveTheorien (FST) entwickelt worden ist und „das die Integrationvon (beschreibendem) Verstehen und (beobachtendem) Erklä-ren leistet“ (Scheele & Groeben, 1988, S. 18). Kennzeichnend fürdas FST ist die sogenannte Dialog-Konsens-Methodik. DieGrundprämisse dieses Vorgehens lautet, dass ForscherInnenmit dem Ziel, die Innensicht-Perspektive „Intentionen des Sub-jekts“ der Beforschten zu verstehen, mit diesen in einen Dialogtreten. Adäquates Verstehen ist dann erreicht, wenn die Untersu-chungspartnerInnen den Beschreibungen der ForscherInnenzustimmen. Diese Sicherung wird als „kommunikative Validie-rung“ bezeichnet. Die Erhebung der subjektiven Theorien wird inzwei Sitzungen durchgeführt. In der ersten Sitzung werden dieInhalte der subjektiven Theorie erfragt. Dies geschieht meist mitHilfe des halbstandardisierten Interviews (vgl. Scheele & Groe-ben 1988), bei dem den Beforschten Hypothesen - ungerichteteund gerichtete – sowie Störfragen zum Thema der Untersu-

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chung gestellt werden. Die zweite Sitzung, die ein bis zwei Wo-chen danach erfolgen sollte, besteht darin, die Struktur diesersubjektiven Theorien zu rekonstruieren. Hierfür wurden vonmehreren Autoren verschiedene Struktur-Lege-Verfahren ent-wickelt, wobei an erster Stelle die sogenannte HeidelbergerStruktur-Lege-Technik (vgl. Groeben et al. 1988) zu nennen ist.Scheele, Groeben & Christmann (1992) entwickelten wegenSchwierigkeiten bei der Anwendung dieser Technik ein „Alltags-sprachliches Struktur-Lege-Spiel“ als vereinfachte Version derDialog-Konsens-Methodik (Scheele, Groeben & Christmann, 1992,S. 152). Die Idee des zweiten Forschungsschritts besteht darin,die verbalisierten zentralen inhaltlichen Konzepte aus dem Inter-view auf Kärtchen zu schreiben, die anschließend nach den Re-geln der Struktur-Lege-Technik mit Hilfe bestimmter Verknüp-fungszeichen (z.B. „führt zu“) zu einer Struktur zusammengelegtwerden. Der/die ForscherIn erarbeitet seinen/ihren Rekonstruk-tionsvorschlag in der ca. einwöchigen Pause zwischen den bei-den Untersuchungsterminen. Der/die UntersuchungspartnerInentscheidet zu Beginn der Sitzung, welche Karten adäquat sindund fügt gegebenenfalls Karten hinzu oder entfernt sie. An-schließend visualisiert er/sie seine/ihre subjektive Theorie. Ab-schließend wird mit Hilfe der von den Beforschten und vom/vonder ForscherIn erstellten Bilder in einem Dialog ein Konsensüber die endgültige Version der subjektiven Theorie ausgehan-delt.

2.22.22.22.22.2 UntersucUntersucUntersucUntersucUntersuchungsteilnehmerInnenhungsteilnehmerInnenhungsteilnehmerInnenhungsteilnehmerInnenhungsteilnehmerInnenAn der Untersuchung nahmen 16 StudentInnen im Alter von 21bis 30 Jahren teil. Sie befanden sich im Grund- oder Hauptstudi-um an der Technischen Universität sowie der Humboldt-Univer-sität zu Berlin. Bei den gewählten Fachrichtungen (Psychologie,Architektur, Theologie und Kulturwissenschaften) wurde davonausgegangen, dass die Studienanforderungen an die Compu-terausstattung keine erheblichen Unterschiede aufwiesen, umeine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten.Die Kontaktaufnahme mit PsychologiestudentInnen erfolgte überAushänge, in denen angekündigt wurde, dass sie für die Teil-nahme einen Pflichtschein erhalten. Bei den anderen StudentIn-nen handelt es sich um zufällig in den Gebäuden angetroffenePersonen, die sich zu einem Interview bereit erklärten.

2.32.32.32.32.3 DurDurDurDurDurccccchführung der Untersuchführung der Untersuchführung der Untersuchführung der Untersuchführung der Untersuchung und Auswertunghung und Auswertunghung und Auswertunghung und Auswertunghung und AuswertungAngesichts der Erfahrungen anderer AutorInnen, dass eine von

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den Beforschten selbst vorgenommene Visualisierung zeitlichgroßen Raum einnimmt, musste auf die Durchführung der zwei-ten Sitzung in der ursprünglichen Form verzichtet werden. Ange-wendet wurde eine von der Autorin modifizierte Form der Metho-de, bei der die Inhalte der subjektiven Theorien nach den etwaeinstündigen Interviews von der Forscherin als Computerbild vi-sualisiert wurden. In der zweiten Sitzung wurden - mit gemeinsa-mem Blick auf den Bildschirm - die Gedankengänge erneut auf-gegriffen und je nach Aussage der/des Beforschten dessenKonzepte oder Relationen entsprechend aufgenommen oderverändert. Auf diese vereinfachte Weise wurde eine Einigung aufeine gemeinsame Struktur erreicht.In der folgenden Abbildung ist ein kleiner Ausschnitt aus dersubjektiven Theorie eines Befragten dargestellt. Es handelt sichdabei um eine Argumentationsstruktur zu Vor- und Nachteilender Nutzung eines gebrauchten Laptops.

Ein gebrauchter Laptop Die Preisdifferenz zwischen alten und neuen Gerätenvon ReUse-Computer weil ist nicht angemessen. Die Preise sind zu hoch dafür,kommt nicht in Frage. dass nur ein Jahr Gewährleistungsfrist geboten wird

und schnell etwas defekt sein kann.

das bedeutet

Gebrauchte Geräte auch mit Auch bei der Hälfte des Preisesvergleichbarer Ausstattung zu aber wäre es im Schadensfalleinem neuen Laptop dürften noch ein großer Verlust.nur die Hälfte des Neupreiseskosten.

Abb 2.: Ausschnitt aus der subjektiven Theorie eines Befragten

Besonders in Bezug auf die Anwendung der Untersuchungser-gebnisse auf praktische Fragestellungen ist ein Vergleich dersubjektiven Theorien im nächsten Schritt erforderlich. DieseAuswertung erfolgte in Anlehnung an die qualitative Inhaltsana-lyse nach Mayring (1993). Auf die Darstellung der einzelnenSchritte dieses Vorgehens muss hier aus forschungspragmati-schen Gründen verzichtet werden.Die Entscheidung, für die vorliegende Untersuchung die im FSTenthaltene Struktur-Lege-Technik zu verwenden, liegt darin be-gründet, dass sich über die Visualisierung wesentlicher Aussa-

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gen auch komplexe Gedankengänge strukturiert und übersicht-lich darstellen lassen. Auf diese Weise ergibt sich die Möglich-keit, auch bei einer größeren Anzahl Interviews einen gutenÜberblick über die Inhalte zu gewinnen. Dieses Vorgehen bietetnach Ansicht der Autorin eine ökonomische Alternative zu derAnalyse von Daten auf Basis der Herstellung von Interviewtran-skriptionen. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dassbei der Erhebung subjektiver Theorien seitens der Interviewpart-nerInnen eine tiefgründigere Beschäftigung mit dem Thema er-reicht wird, im Vergleich z.B. zu Meinungsumfragen. Kallenbach(1996, S.7) beschreibt diesen „Bewusstmachungsprozess“ imZusammenhang mit der Nutzung subjektiver Theorien im Fremd-sprachenunterricht: „Subjektive Theorien zwingen nämlich inder Tat zum kohärenten Nachdenken und zu Äußerungen, dieüber eine bloße Meinungsäußerung hinausgehen, so dass sichZusammenhänge offenbaren, die man vorher in der Deutlichkeitvielleicht gar nicht gesehen hat.“

3.3.3.3.3. ErgebnisseErgebnisseErgebnisseErgebnisseErgebnisseDie Darstellung der Ergebnisse bezieht sich auf die erhobenensubjektiven Theorien der StudentInnen im Grund- und Hauptstu-dium. Dies bedeutet für das interessierende Phänomen der Nut-zung gebrauchter Laptops zunächst, sich den wichtigen Ge-meinsamkeiten und Unterschieden dieser subjektiven Theorienzuzuwenden und abschließend diese gefundenen Ergebnissezu diskutieren und mit den dargestellten theoretischen Vorüber-legungen in Beziehung zu setzen.

3.3.3.3.3.11111 AAAAAlltägliclltägliclltägliclltägliclltäglichehehehehe ComputernutzungComputernutzungComputernutzungComputernutzungComputernutzungIn einem ersten Schritt soll anhand der Darlegung der am häu-figsten gegebenen Antworten ein Nutzungsprofil herausgearbei-tet werden, das für die befragten StudentInnen typisch erscheint.Einleitend sei festgestellt, dass keiner der Befragten zum Zeit-punkt der Interviews einen im Laden gebraucht gekauften Lap-top nutzt. Die Mehrzahl der StudentInnen im Hauptstudium nut-zen einen neu gekauften PC, dessen Alter vier Monate bis vierJahre beträgt und der von einigen bereits nachgerüstet wurde.Bei den StudentInnen im Grundstudium zeigt sich die Tendenzzur Nutzung eines aus dem sozialen Umfeld geschenkten ge-brauchten PCs, der in der Altersspanne von drei bis acht Jahrenliegt. Am häufigsten wird das Betriebssystem Windows genutzt inden Versionen „98“ und „XP“. Vereinzelt sind auch Windowsver-sionen vor „98“ im Gebrauch. Die am meisten verwendeten Pro-

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gramme sind Word 2000 und gängige Internetprogramme, wo-bei auch Wordversionen vor „2000“ genutzt werden.

Tab. 1: Alltägliche Computernutzung der befragten StudentInnen

Im Interview gestellte Fragen Häufigste Antworten

Welcher Computer wird genutzt • neu gekaufter PC: 4 Monateund welches aktuelle Alter hat er? bis 4 Jahre (z.T. nachgerüstet)

• gebrauchter PC aus demsozialen Umfeld: 3-8 Jahre

Welches Betriebssystem und welche • Windows 98/ XPProgramme werden verwendet? • Word 2000

• Internetprogramme

Wie häufig wird der Computer genutzt? • mehrmals in der Woche/täglich

Wie wurden alte Rechner entsorgt und wel- • Weitergabe im sozialen Umfeldche zukünftige Entsorgungsabsicht besteht?

Welche Computerkenntnisse sind vorhanden? • einfache Programmanwendung

Wer hilft bei Computerproblemen? • Hilfe von Freundenbei Softwareproblemen

Welche Aufgaben werden (würden) gerne • Bibliothek, Lerngruppenmit einem Laptop erledigt (werden)? Schreiben einer Diplomarbeit

Die Mehrzahl der Befragten arbeitet mehrmals in der Woche bistäglich an ihrem Computer. Auf die Frage nach der zukünftigenEntsorgungsabsicht oder bereits vorgenommenen Entsorgungenvorheriger Rechner wird geäußert, dass die Befragten ältereRechner oder einzelne Teile bisher im sozialen Umfeld weiterge-geben haben und dies auch weiterhin tun möchten. Die Compu-terkenntnisse befähigten die Mehrheit der StudentInnen zu ein-facher Programmanwendung, wobei drei der männlichen Be-fragten fundierte Grundkenntnisse haben. Eine mögliche Hilfevon Freunden bezog sich auf Software-, nicht auf Hardwarepro-bleme. Die Möglichkeit des mobilen Arbeitens wird von den mei-sten der Interviewten als sehr wichtig eingestuft, unabhängigdavon, ob sie im Besitz eines Laptops sind. Begründet wird diesan erster Stelle mit der Möglichkeit, das Gerät in der Bibliothek,für Lerngruppen oder das Schreiben einer Diplomarbeit zur Ver-fügung zu haben.

Annette Leven Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops

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Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops Annette Leven

3.23.23.23.23.2 KKKKKosten-osten-osten-osten-osten-Nutzen-Nutzen-Nutzen-Nutzen-Nutzen-KKKKKalkulationen:alkulationen:alkulationen:alkulationen:alkulationen:WasWasWasWasWas spricspricspricspricsprichththththt fürfürfürfürfür undundundundund waswaswaswaswas gegengegengegengegengegen „gebrauc„gebrauc„gebrauc„gebrauc„gebraucht“ht“ht“ht“ht“ undundundundund „neu“?„neu“?„neu“?„neu“?„neu“?

Nachdem nun in Umrissen einige Aspekte skizziert wurden, dieverdeutlichen, wie sich aus der Perspektive der StudentInnen dieComputernutzung im Alltag darstellen mag, sollen in diesem Ab-schnitt Argumente eingehender erörtert werden, die StudentIn-nen für und gegen die Nutzung gebrauchter Laptops im Ver-gleich zu einem Neugerät haben.Zunächst einmal sei vorangestellt, dass die Befragten die Infor-mationen zum Projekt ReUse-Computer positiv aufnahmen, vorallem im Hinblick auf Seriosität und seinen Beitrag zur Ressour-censchonung. Die Ergebnisse lassen jedoch erkennen, dasssich gewisse Vorurteile der Befragten in den Antworten fortsetz-ten. Dies wurde besonders bei der Behandlung der Aspekte„Risiko von Geräteschäden“, „Abhängigkeit von Beratung“ und„Service“ deutlich.Eine Übersicht über die am häufigsten genannten Vor- undNachteile hinsichtlich des Arbeitens mit einem gebrauchten imVergleich zu einem Neugerät soll anhand Tabelle 2 gegebenwerden.

Tab. 2: Von den StudentInnen genannte Vor- und Nachteile hinsichtlichder Nutzung eines gebrauchten Laptops im Vergleich zu einem Neugerät

GebraucGebraucGebraucGebraucGebrauchtehtehtehtehte NeueNeueNeueNeueNeueLaptops Laptops

Risiko von Geräteschäden - +Abhängigkeit von Beratung - +Service - +Preis + -Ausstattung - + +Software - +Nutzungsdauer - +Gewährleistungsfrist - +Umweltaspekte + -Marktwertverfall - 0

3.2.3.2.3.2.3.2.3.2.11111 ZumZumZumZumZum RisikoRisikoRisikoRisikoRisiko vonvonvonvonvon GerätescGerätescGerätescGerätescGeräteschädenhädenhädenhädenhädenAls nachteilig wird an erster Stelle das Risiko bereits bestehen-der oder in der nahen Zukunft auftretender Schäden genannt,das von der Mehrzahl der Befragten als sehr hoch eingeschätztwird. Demnach werden einzelne Funktionsausfälle oder vollstän-dige Gerätedefekte für sehr viel wahrscheinlicher gehalten als

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bei Neugeräten. Aus den Aussagen lässt sich das Bild entneh-men, dass gebrauchte Computer als eine Art „Katze im Sack“betrachtet werden, dessen Zustand und Lebensdauer man nurschwer einschätzen könne, da man nicht wisse, wie der Vornut-zer mit dem Gerät umgegangen sei. Im Schadensfall keine eige-nen Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben ruft einGefühl der Unkontrollierbarkeit bei den StudentInnen hervor ver-bunden mit Befürchtungen vor den sich daraus ergebendenKonsequenzen, wie z.B. dringende Arbeiten nicht fortsetzen zukönnen und finanzielle Verluste hinnehmen zu müssen. Folglichwird dieser empfundene Nachteil bei Gebrauchtgeräten als be-sonders negativ gewichtet, wogegen bei einem Neugerät derGlaube an eine große Verlässlichkeit der Gerätefunktionen er-kennbar ist, die als besonders positiv gewichtet wird.

3.2.23.2.23.2.23.2.23.2.2 ZurZurZurZurZur AAAAAbhängigkeitbhängigkeitbhängigkeitbhängigkeitbhängigkeit vonvonvonvonvon BeratungBeratungBeratungBeratungBeratungDa die Befragten ihre Computerkenntnisse selbst als nicht aus-reichend für die Geräteauswahl einstufen, wird ein weitererNachteil darin gesehen, nicht selbst die Funktionstüchtigkeit desGerätes beurteilen zu können und nicht entscheiden zu können,ob die Ausstattung den eigenen Ansprüchen gerecht werdenkönne. Hinsichtlich Gerätezustand und Geräteauswahl sei manalso von der Beratung anderer Personen abhängig, was bei denStudentInnen mit einem weiteren Gefühl von Unsicherheit undUnkontrollierbarkeit einhergeht. Bei einigen Befragten ist einausgeprägtes Misstrauen gegenüber Gebrauchtcomputerhänd-lern vorhanden, die als weder besonders kompetent noch alsglaubwürdige Informationsquelle angesehen werden, da sie inerster Linie daran interessiert seien, ihre Ware zu verkaufen.Demgegenüber bestehe ein großer Vorteil beim Erwerb einesNeugerätes darin, sich keine Gedanken über Funktionstüchtig-keit und Umfang der Ausstattung machen zu müssen, da Neuge-räte selten defekt seien und die Ausstattung sich auf dem neue-sten Stand der Technik befinde und deswegen ohnehin über dieeigenen Ansprüche hinausgehe. Wichtig scheint dabei das Ge-fühl der Befragten, den Kauf eines Neugerätes weitgehendselbstständig tätigen zu können, was auch den Preisvergleichmehrerer Angebote beinhaltet.

3.2.33.2.33.2.33.2.33.2.3 ZumZumZumZumZum ServiceServiceServiceServiceServiceÜber den Service von ReUse-Computer wird von den StudentInnentrotz gegebener Informationen angenommen, dass dieser schlech-ter und weniger verlässlich als der für neu gekaufte Geräte sei.

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Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops Annette Leven

3.2.43.2.43.2.43.2.43.2.4 ZumZumZumZumZum PreisPreisPreisPreisPreisAls hauptsächlicher Vorteil der Nutzung eines gebrauchten Lap-tops stehen bei den StudentInnen ökonomische Gründe wie z.B.der niedrigere Anschaffungspreis im Vordergrund, wobei jedochdie Preise der Geräte von ReUse-Computer als zu hoch einge-schätzt werden. Bei den Befragten besteht die Tendenz, einemneuen Rechner den Vorzug zu geben, sobald die finanziellenMöglichkeiten dazu vorhanden sind.

3.2.53.2.53.2.53.2.53.2.5 ZurZurZurZurZur AAAAAusstattungusstattungusstattungusstattungusstattungDie Mehrheit der Befragten bewertet gebrauchte Laptops nichtvon Grund auf als weniger leistungsfähig. Als relativ leistungs-stark werden Ausstattungen von Geräten bis zu einem Alter vondrei Jahren kategorisiert und von älteren Geräten abgegrenzt,die als eher leistungsschwach gelten.

3.2.63.2.63.2.63.2.63.2.6 ZurZurZurZurZur SoftwareSoftwareSoftwareSoftwareSoftwareEntsprechend dieser Kategorisierung sei bei älteren Rechnernveraltete Software aufgespielt, bei deren Nutzung man von derschnellen Computer- und Softwareentwicklung ausgeschlossensei. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Vorstellung, nurmit einem neueren Gerät für den Austausch von Dateien mitKommilitonInnen kompatibel zu sein: Dies sei die Voraussetzungfür das Gelingen des Studiums und werde von derzeitigen Stu-dentInnen erwartet. Weiterhin gilt es im Hinblick auf eine spätereBerufsausübung als wichtig, Kenntnisse über neueste Pro-grammfunktionen zu erwerben. Außerdem dauerten auch einfa-chere Anwendungen wie z.B. Texte, Tabellen und E-Mail mit älte-rer Software länger und wären umständlicher zu handhaben.

3.2.3.2.3.2.3.2.3.2.77777 ZurZurZurZurZur NutzungsdauerNutzungsdauerNutzungsdauerNutzungsdauerNutzungsdauerEin weiterer empfundener Nachteil gründet auf dem einfachenKalkül, dass ein Computer eine begrenzte Lebenszeit habe, wor-aus zu schließen sei, dass bei einem gebrauchten eine kürzereNutzungsdauer besteht als bei einem neuen. Die „Dauer, die mannoch erwarten könne“, sei nicht einzuschätzen, da diese insbe-sondere von der „unsicheren Konstante“ abhinge, wie der Vornut-zer mit dem Gerät umgegangen sei. An dieser Stelle zeigt sicherneut die Befürchtung vor plötzlich eintretenden Gerätedefekten.

3.2.83.2.83.2.83.2.83.2.8 ZurZurZurZurZur GewährleistungsfristGewährleistungsfristGewährleistungsfristGewährleistungsfristGewährleistungsfristDie im Vergleich zu einem neuen Rechner kürzere Garantiezeitwurde ebenfalls als nachteilig angesehen.

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161ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

3.2.93.2.93.2.93.2.93.2.9 ZuZuZuZuZu UmweltaspektenUmweltaspektenUmweltaspektenUmweltaspektenUmweltaspektenKeine(r) der StudentInnen kannte die im Interview vorgestelltenInformationen zur Problematik der Umweltbelastung durch Com-puterherstellung und -entsorgung bereits. Eine spontane emo-tionale Anteilnahme ist allgemein erkennbar. Dementsprechendwerden die Zahlen über verwendete Rohstoffmengen und Abfall-erzeugung durch Computerproduktion als „erstaunlich“, „er-schütternd“ oder „gewaltig“ bezeichnet. Das Kennen dieser In-formationen wird jedoch nach Angaben der Befragten keinenEinfluss auf ihr Handeln ausüben, außer der Auslösung der Vor-sätze, ein Gerät länger zu nutzen (z.B. durch mehrmaligen Kom-ponentenaustausch) und sich intensiver um dessen Entsorgungzu bemühen: „Ist schon ganz schön heftig! Ist traurig ... aber ist mitallem, was wir konsumieren, so...“ (Psychologiestudentin)„Die Informationen sind für meine Kaufentscheidung primär nichtrelevant ... Erst mal guck‘ ich, was hat er, was kann er, was braucheich? Wenn dann noch dran steht ‘solarbetrieben, umweltscho-nend’, dann finde ich das natürlich schön.“(Studentin der Kulturwissenschaften)Dagegen wirkt die Ansicht, die Verantwortung für die Umwelt lie-ge nicht allein bei den Politikern oder der Industrie, sondern mansei als ComputernutzerIn mit verantwortlich, die gleichfalls ver-treten wurde, paradox und kann als sozial erwünschte Aussagebetrachtet werden. Demzufolge ist bei der Mehrheit der Befrag-ten nur ein Einfluss dieser Informationen auf StudentInnen vor-stellbar, die bereits in anderen Bereichen eine ausgeprägte um-weltbewusste Lebensweise praktizieren:„Bei den alternativ Angehauchten, die so die Ökofraktion sind,deren Verhalten würde sich vielleicht ändern ... aber das ist nureine Randgruppe – auf die Masse haben diese Infos keinen Ein-fluss auf den Kauf oder auf die Nutzung ... aus rein ökologischenGründen kauft sich kein Mensch einen gebrauchten Computer...gerade bei Computern ist so ein Bewusstsein gar nicht ausge-prägt, dass man durch den Kauf gebrauchter Dinge Waren längerim Kreislauf hält und somit die Ressourcen schont ... Wir lebennun mal in ‘ner Wegwerfgesellschaft und da ist eben die Produkti-on und das Verkaufen von Neuware das Entscheidendste.“(Studentin der Kulturwissenschaften)

3.2.3.2.3.2.3.2.3.2.1111100000 ZumZumZumZumZum MarktwertverfallMarktwertverfallMarktwertverfallMarktwertverfallMarktwertverfallDer rasche Marktwertverfall wird von den Befragten als „nichtsNeues“ bezeichnet und stellt keinen Hinderungsgrund für dieNutzung eines Neugeräts dar.

Annette Leven Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops

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162 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops Annette Leven

3.33.33.33.33.3 Faktoren der Situation und der PersonFaktoren der Situation und der PersonFaktoren der Situation und der PersonFaktoren der Situation und der PersonFaktoren der Situation und der Person, die sic, die sic, die sic, die sic, die sich förderlich förderlich förderlich förderlich förderlichhhhhaufaufaufaufauf diediediediedie NutzungNutzungNutzungNutzungNutzung eineseineseineseineseines gebraucgebraucgebraucgebraucgebrauchtenhtenhtenhtenhten LLLLLaptopsaptopsaptopsaptopsaptops auswirken:auswirken:auswirken:auswirken:auswirken:

Finanzielle Notlage + wichtige Studienaufgabe

GrundstudiumNutzung einesgebrauchten Laptops

Niedrige Anforderungen der Studieninhaltean Computerfunktionen

Geringe persönliche Ansprüche

Abb. 2: Förderliche Faktoren für die Nutzung eines gebrauchten Laptops.

Bei einigen der befragten StudentInnen würde die Nutzung ei-nes gebrauchten Rechners nur in einer finanziellen Notlage inFrage kommen, in der ihr finanzieller Rahmen eingeschränkt istund gleichzeitig ein akuter Rechnerbedarf besteht, wie z.B. zurFertigstellung einer Diplomarbeit. Die StudentInnen, die sich imGrundstudium befinden, nutzen sehr viel häufiger einen ge-brauchten Computer als StudentInnen im Hauptstudium, haupt-sächlich deswegen, weil sie noch über keine Ersparnisse zumErwerb eines neuen Computers verfügen. Als vorteilhaft in die-sem Zusammenhang werden von dieser Gruppe der Befragtendie eher niedrigen Anforderungen der Studieninhalte an die Com-puterfunktionen gesehen, die einen neuen Computer nicht unbe-dingt erforderlich machen.Eine höhere Motivation einen gebrauchten Computer zu nutzenhaben außerdem die Befragten, bei denen insgesamt kein gro-ßes Interesse für das Thema Computer besteht und die eher ge-ringe persönliche Ansprüche an die Ausstattung stellen.Einen weiteren Einfluss auf die Absicht einen gebrauchten Com-puter zu nutzen hat das Ausmaß vorhandener Computerkennt-nisse. Zwischen den Befragten sind zwei männliche Studentenmit ausgeprägten Computerkenntnissen in der Lage, die Leis-tungsfähigkeit eines Computers anhand gegebener Werte ein-zuschätzen. Sie können ihre Forderungen an ein Gerät genaubenennen, wodurch das Gefühl der Kontrolle über die Kauf-oder Mietentscheidung höher ist als bei den Befragten mit ehergeringen Kenntnissen. Es zeigt sich, dass dieses Gefühl derKontrolle mit einer erhöhten Motivation verbunden ist einen ge-brauchten Laptop zu nutzen.

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163ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

3.43.43.43.43.4 VVVVVorstellungenorstellungenorstellungenorstellungenorstellungen derderderderder BefragtenBefragtenBefragtenBefragtenBefragten hinsichinsichinsichinsichinsichtlichtlichtlichtlichtlichhhhh Grundvoraus-Grundvoraus-Grundvoraus-Grundvoraus-Grundvoraus-setzungensetzungensetzungensetzungensetzungen undundundundund AAAAAnreizennreizennreizennreizennreizen fürfürfürfürfür diediediediedie NutzungNutzungNutzungNutzungNutzung eineseineseineseineseinesgebraucgebraucgebraucgebraucgebrauchtenhtenhtenhtenhten LLLLLaptopsaptopsaptopsaptopsaptops vonvonvonvonvon ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ComputerComputerComputerComputerComputer

Auf die Frage, welche Vertragsbedingungen für die StudentIn-nen Voraussetzungen bzw. konkrete Anreize für eine eventuelleNutzung wären, konnten die Befragten einige Voraussetzungennennen. Demgegenüber ergaben sich nur zwei Anreize, derenKombination sie direkt dazu bewegen könnte, sich einen ge-brauchten Laptop zuzulegen.

Tab. 3: Grundvoraussetzungen und Anreize für die Nutzung eines Laptopsvon ReUse-Computer

Vertragsbedingungen Voraussetzungen für die Nutzung Anreize für die NutzungService schnelle und kostenlose

Reparaturen,bei Bedarf Gerätetausch

Haftung Haftung von ReUse-Computerfür Schäden

Beratung umfassendes Informieren überGerätefunktionen und Aufklärenüber Nachteile

Gewährleistungs- 1-2 JahrefristAusstattung 1-3 Jahre alter Laptop, neuwertiges Gerät

Betriebssystem WindowsPreis 50% des Neupreises < 50% des Neupreises

Als wichtigste Wünsche an ein Angebot von ReUse-Computerwerden von der Mehrheit der StudentInnen ein guter Service undeine umfassende Beratung bei der Geräteauswahl genannt. Einguter Service sei die Grundvoraussetzung dafür, sich einen Ge-brauchtcomputer zuzulegen: „Das ist im Prinzip die einzige Absi-cherung, die man da wirklich hat, falls mal was schief geht.“(Psychologiestudentin)Dabei wird der Wunsch nach einem verlässlichen Partner laut,vergleichbar einer Ambulanz, die verfügbar ist, wenn es daraufankommt, schnelle Hilfe zu leisten: „Bei allen Wehwehchen mussich da hingehen können und die machen mir das wieder.“(Theologiestudent)

Auf die Frage, ob ein guter Service ein direkter Anreiz dafür seinkönnte, auf ein Gebrauchtgerät „umzuschwenken“, antwortet

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Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops Annette Leven

dennoch die Mehrzahl der Befragten, ein guter Service sei zwarein notwendiger Dienst für Kunden von Gebrauchtgeräten, rei-che alleine jedoch nicht für eine solche Entscheidung aus. Dertatsächliche Kauf hänge noch von weiteren Faktoren wie z.B.einer passenden Ausstattung und einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis ab. So wird von einigen der Befragten als Vorausset-zung für einen Kauf gefordert, es sollten bei auftretenden Schä-den schnelle und kostenlose Reparaturen erfolgen und beiBedarf sollte ein Geräteaustausch ermöglicht werden; ebensosollte für StudentInnen keine Haftung für Schäden bestehen.Wegen ihrer nicht ausreichenden Computerkenntnisse haltendie Befragten die Beratung vor dem Kauf für sehr wichtig. DerHändler sollte vertrauenswürdig und fachlich kompetent seinund ehrlich über Möglichkeiten und Nachteile des Gerätes auf-klären, damit die KundInnen dann selbst abwägen könnten, obdas Gerät ihren Ansprüchen gerecht wird. Im Rahmen dieserBeratung sei es wichtig, das Gerät selbst anschauen und aus-probieren zu können. Die Information über die einjährige Ge-währleistungsfrist wurde von den meisten der Befragten positivaufgenommen. Es ist die Rede davon, dass sie ein „Pluspunkt“sei, ein „erhöhtes Sicherheitsgefühl“ gebe und „einen Teil derSkepsis beseitigen“ könne, denn schließlich könne der Rechner„nach zwei Wochen kaputt sein“. Trotzdem wird die Gewährlei-stungsfrist von einigen der Befragten nur unter Vorbehalt akzep-tiert, wobei eigentlich der Wunsch nach einem längeren Zeitrah-men von zwei Jahren besteht, analog zu der Garantiezeit einesneuen Computers. Es zeigt sich bei allen StudentInnen die Ten-denz, am liebsten die Ausstattung eines Neugeräts nutzen zuwollen, das jedoch nicht das „neueste und beste“ sein müsse,weil man nicht das Gefühl habe, „hip“ sein zu wollen. Der Grunddafür ist eine gewisse „Modernitätsbegeisterung“, die sich indem Glauben ausdrückt, ein neuer Computer besitze eine großeVerlässlichkeit und seine Ausstattung biete bessere Möglichkei-ten und Funktionen. Hinzu kommt das Gefühl der Befragten, mitder Entwicklung der Technik Schritt halten zu wollen. Hinsicht-lich gebrauchter Laptops ist bei der Mehrzahl der Befragten dieTendenz erkennbar, Ausstattungen von ein bis drei Jahre altenGeräten für brauchbar zu halten, während Geräte älteren Da-tums für nahezu unbrauchbar für die eigenen Ansprüche einge-stuft werden. Gründe dafür sind, Windows XP in Verbindung mitneueren Programmen wie z.B. einer neueren Word-Version nut-zen zu wollen, sowie über eine hohe Geschwindigkeit und genü-gend Speicherkapazität verfügen zu wollen. Bei dem Arbeiten

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mit Betriebssystemen wird Windows eindeutig der Vorzug gege-ben Das Betriebssystem Linux dagegen wird unterschiedlichbewertet. Für die Mehrheit der InterviewpartnerInnen würde so-wohl die Einarbeitung in das System als auch das Konvertierenvon Dateien bei der Zusammenarbeit mit KommilitonInnen einenunnötigen Aufwand bedeuten. Weiterhin könne hinsichtlich derMöglichkeiten von Linux und Windows kein Vergleich vorge-nommen werden. Insbesondere bei den Befragten mit wenigKenntnissen löst ein nicht bekanntes Betriebssystem eine grö-ßere Unsicherheit aus. Für eine befragte Architekturstudentinkommt das Arbeiten mit Linux nicht in Frage, da kein Programmexistiert, dass die gleichen Funktionen wie „Photoshop“ für Win-dows erfüllen kann.Auf der Grundlage von drei im Interview gegebenen Gerätebei-spielen von ReUse-Computer lässt sich zusammenfassend sa-gen, dass ein Pentium eins für die InterviewpartnerInnen „nichtmal im äußersten Notfall“ zur Nutzung in Frage käme und einPentium zwei nur genutzt würde, wenn keine Alternativen mög-lich sind. Bei dem Beispiel des Pentium III1 war für die meistender Befragten Ausstattung und Preis aufgrund mangelnderKenntnisse nicht einschätzbar, ohne den Vergleich zu anderenAngeboten zu haben. Der Fokus der Wahrnehmung lag auf derPreisdifferenz zu Neugeräten aus Discounterläden, die in diesemFall als zu gering eingestuft wurde. Aus diesem Grund wären dieBefragten eher geneigt, für einen geringen Mehrbetrag einenneuen Laptop zu kaufen. Die Preisvorstellungen der Befragtenbezüglich Gebrauchtcomputern liegen um 50% des Neupreises.Sie beziehen sich auf ein bis drei Jahre alte Laptops, für die dieMehrheit der StudentInnen eine Summe von 500 bis 1200 €ausgeben würde. Ein direkter Anreiz für die Entscheidung, ei-nem gebrauchten Laptop den Vorzug zu geben, wäre für einigeder Befragten ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis. Nachdem Motto „lieber ein gebrauchtes Luxusgerät, als ein neuesStandardgerät“ wurde die Idee von einem Angebot entwickelt,das ein neuwertiges Gerät gehobener Ausstattung „mit einergroßen Preisdifferenz zu einem Neuen“ (weniger als fünfzig Pro-zent des Neupreises) bietet.

3.53.53.53.53.5 MietenMietenMietenMietenMieten stattstattstattstattstatt kaufen?kaufen?kaufen?kaufen?kaufen?Auf Basis der im Interview gestellten Frage, wie ein Mietangebotaussehen würde, das man gerne in Anspruch nehmen würde,

1 P III, 650 MHz, 128 MB RAM, 10 GB HDD, CD, Floppy, USB, Infrarot-Schnitt-stelle, PCMCIA-Slots, Sound; 13,1" TFT, 666 EURO

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166 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops Annette Leven

sowie auf Grundlage der Reaktionen der Befragten auf zwei ex-emplarisch vorgestellte Mietangebote von ReUse-Computer,„nur mieten“ und „Mietkauf“, wird im Folgenden ein Angebot vor-gestellt, das den Bedürfnissen der befragten StudentInnen ge-recht werden würde.Bei dem Angebot „Mietkauf“ kann nach einer zehnmonatigenRatenzahlung der Rechner durch Bezahlen des Restbetragesgekauft werden. Das Angebot „nur mieten“ beinhaltet, dass dasMietgerät alle zehn Monate gegen einen Rechner besserer Aus-stattung getauscht wird.Vorerst sei angemerkt, dass für die Mehrheit der Befragten kau-fen prinzipiell eher vorstellbar wäre als mieten, da sie äußerten,an den Gerätebesitz gewöhnt zu sein.

Tab. 4: Gewünschtes Mietangebot der meisten InterviewpartnerInnen

VVVVVertragsbedingungenertragsbedingungenertragsbedingungenertragsbedingungenertragsbedingungen WWWWWünscünscünscünscünschehehehehe derderderderder InterviewpartnerInnenInterviewpartnerInnenInterviewpartnerInnenInterviewpartnerInnenInterviewpartnerInnenArt des Angebotes eher „Mietkauf“ als „nur mieten“Mietzeitraum 10 Monate oder selbst bestimmenHöhe der Miete 25-40 € pro MonatZahlungsmodus Ratenzahlung ohne zusätzliche

Zinsbelastung

Dies zeigte sich auch an der Umwandlung einiger StudentInnendes Angebotes „Mietkauf“ in das Angebot „Kauf mit Ratenzah-lung“, das wegen des sofort einsetzenden Gerätebesitzes be-vorzugt würde. Ein paar der Befragten könnten sich nicht vor-stellen den „Mietkauf“ zu nutzen. Grund dafür ist ein Gefühl derUnfreiheit und Verpflichtung durch die anhaltende Vertragsbin-dung. So ist für eine Studentin der organisatorische Aufwand,wie z.B. die monatliche Überweisung der Miete sowie die Gerä-tebeschaffung und -rückgabe, zu groß; eine andere Studentinempfindet es als Belastung, über einen langen Zeitraum eineRatenzahlung leisten zu müssen, da man gerade zu Beginn desStudiums noch keinen verlässlichen finanziellen Rahmen habe.Am alleinigen Mieten eines gebrauchten Computers würdekaum Interesse bestehen. Lieber behielten die StudentInnen einGerät länger, da sie sich an dessen Bedienung gewöhnen undes auf den persönlichen Bedarf eingestellt sei. Für einige derBefragten wäre es vorstellbar, die Option „nur mieten“ wegen ei-nes kurzfristigen Bedarfs für einen begrenzten Mietzeitraum zunutzen, z.B. zur Überbrückung von Reparaturzeiten des eigenenComputers oder in einer Notsituation, in der man keine finanziel-len Rücklagen habe, um einen Rechner zu kaufen, aber drin-

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gend ein Gerät brauche. Ein Mietzeitraum von zehn Monatenwird von den meisten der interviewten StudentInnen als ange-messener Zeitraum gesehen, um den Anschaffungspreis abzu-bezahlen sowie Vertrauen aufzubauen bzgl. des Gerätezustan-des und zu testen, ob es den Vorstellungen entspricht. EinigeBefragten wünschen sich, den Mietzeitraum selbst bestimmenzu können und dass der Mietzins dann der Laufzeit angepasstwerden würde. Für einen „Mietkauf“ würde als Zahlungsmoduseine monatliche Ratenzahlung ohne zusätzliche Zinsbelastungvon 25 bis 40 € als eine Summe akzeptiert, die sich vom Budgetabzweigen lasse. Die Höhe der Miete bei dem Angebot „nur Mie-ten“ sollte nach Ansicht der Befragten in Relation zum Anschaf-fungspreis stehen; das bedeutet, sie sollte so niedrig sein, dassman sich nicht schon nach ein paar Monaten von dem bezahltenBetrag einen gebrauchten Rechner kaufen könnte.Während die Ideen der Mietangebote positiv aufgenommen wur-den, wurde jedoch durch die Mehrheit der befragten StudentIn-nen auf die Frage, ob konkrete Nutzungsabsichten bestehen,eher verneinend geantwortet.

3.63.63.63.63.6 WelcWelcWelcWelcWelchehehehehe NutzerInnengruppenNutzerInnengruppenNutzerInnengruppenNutzerInnengruppenNutzerInnengruppen ergebenergebenergebenergebenergeben sicsicsicsicsichhhhh hinsichinsichinsichinsichinsichtlichtlichtlichtlichtlichhhhhderderderderder AAAAAbsicbsicbsicbsicbsichththththt,,,,, eineneineneineneineneinen LLLLLaptopaptopaptopaptopaptop vonvonvonvonvon ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ComputerComputerComputerComputerComputerfürfürfürfürfür dendendendenden persönlicpersönlicpersönlicpersönlicpersönlichenhenhenhenhen BedarfBedarfBedarfBedarfBedarf zuzuzuzuzu verwenden?verwenden?verwenden?verwenden?verwenden?

StudentInnen ohne Nutzungsabsicht gegenüber ReUse-Laptops:Diese Gruppe setzt sich aus dem größten Teil der befragten Stu-dentInnen im Hauptstudium zusammen und ungefähr der Hälfteder StudentInnen im Grundstudium. Bei diesen Personen stehteine besonders negative Gewichtung der im Abschnitt 3.2 be-schriebenen Nachteile „Risiko von Geräteschäden“, „Abhängig-keit von Beratung“ und „Nutzungsdauer“ im Vordergrund. Dar-aus entsteht bei diesen Befragten das Gefühl, durch die Nutzungeines gebrauchten Laptops einen subjektiven Verlust zu erfahren.StudentInnen mit Nutzungsabsicht gegenüber ReUse-Laptops:Für diese Gruppe wäre die Nutzung eines gebrauchten Laptopsprinzipiell vorstellbar, in erster Linie wegen des niedrigen An-schaffungspreises. Die konkrete Entscheidung wird abhängiggemacht vom gegebenen Preis-Leistungs-Verhältnis, von demvertraglich vereinbarten Service und vom persönlichen Eindruckder Beratung bei der Geräteauswahl.

3.3.3.3.3.77777 WieWieWieWieWie lassenlassenlassenlassenlassen sicsicsicsicsichhhhh diediediediedie NutzungsNutzungsNutzungsNutzungsNutzungsabsicabsicabsicabsicabsichtenhtenhtenhtenhten erklären?erklären?erklären?erklären?erklären?Die Anwendung der Theorie geplanten Verhaltens auf die Ent-scheidung für oder gegen die Nutzung eines gebrauchten Lap-

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tops war in dieser Untersuchung angebracht. Ihre drei Prädikto-ren (Einstellung zum Verhalten, subjektive Norm, wahrgenom-mene Verhaltenskontrolle) erwiesen sich hilfreich zur Klärungder Frage, welche Faktoren mit individuellen Nutzungsabsichtenin Verbindung stehen. Neben den Prädiktoren, die in der Theoriegeplanten Verhaltens definiert werden, sind „finanzielle Aspekte“ein in der vorliegenden Untersuchung zusätzlich entdeckter Prä-diktor.

Abb. 3: Darstellung der Ergebnisse anhand der Theorie des geplantenVerhaltens von Ajzen & Madden (1986)

Die Ergebnisse zeigen, dass der wahrgenommenen Verhaltens-kontrolle ein wichtiger Beitrag für die Erklärung der Nutzungsab-sichten der StudentInnen zukommt. Das Auftreten von Geräte-schäden nicht kontrollieren zu können und im Schadensfall kei-ne Verhaltensmöglichkeiten zur Verfügung zu haben trägt we-sentlich dazu bei, dass bei der Mehrheit der Befragten kaumeine Intention zur Nutzung eines gebrauchten Laptops entstehtoder gar in Verhalten umgesetzt wird.Die subjektive Norm weist in dieser Untersuchung ebenfalls einhohes Gewicht bei der Erklärung der Nutzungsabsichten derStudentInnen auf. Bei den Befragten, die die Nutzung eines ge-brauchten Laptops eher ablehnen, steht die Vorstellung im Vor-dergrund, mit der Entwicklung der Technik Schritt halten zu müs-sen. Zum einen würde es vom studentischen Umfeld erwartet, fürden Austausch von Dateien kompatibel zu sein und im Hinblickauf eine spätere Berufsausübung Kenntnisse über neueste Pro-grammfunktionen zu erwerben. Zum anderen bestehe eine ge-wisse Begeisterung für moderne Computerfunktionen, die durch

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den raschen Marktwertverfall nicht getrübt wird. Um den Forde-rungen der Außenwelt und persönlichen Wünschen nachzu-kommen, sei es wichtig, ein Gerät auf aktuellem Niveau zu nut-zen.Die Einstellung zur Nutzung von gebrauchten Laptops hat einengeringen eigenständigen Erklärungswert für die Intention zuroder die tatsächliche Nutzung eines Gebrauchtgeräts. Die Nut-zung eines gebrauchten Computers wird prinzipiell als positivesund für die Allgemeinheit erstrebenswertes Verhalten zur Scho-nung der Umwelt angesehen. Dies wird jedoch überlagert durchwahrgenommene Nachteile (s.o.), die der subjektiven Norm undwahrgenommenen Verhaltenskontrolle zuzuordnen sind.Hinzu kommen finanzielle Aspekte als wichtiger Einflussfaktorauf Intention und Verhalten. Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältniswird von einigen der Befragten als Grund dafür genannt, die ei-gene Handlungsabsicht noch einmal zu überdenken. Bei einemanderen Teil der Befragten könnte ein finanzieller Vorteil ein di-rekter Anreiz dazu sein, einen gebrauchten Laptop zu erwerben.

4.4.4.4.4. DiskussionDiskussionDiskussionDiskussionDiskussion undundundundund EmpfehlungenEmpfehlungenEmpfehlungenEmpfehlungenEmpfehlungenEs ist in der vorliegenden Arbeit versucht worden, die Computer-nutzung von StudentInnen zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt derBetrachtung befanden sich dabei Faktoren, die sich begünsti-gend oder hemmend auf die Nutzung eines Laptops von ReUse-Computer auswirken. Hinsichtlich psychologischer Faktorenlässt sich resümieren, dass der Einfluss der wahrgenommenenVerhaltenskontrolle sich als der bedeutsamste hemmende Ein-fluss auf Absicht und Verhalten herausgestellt hat. Unter der Prä-misse, dass bei der Entscheidung für die Nutzung eines ge-brauchten Laptops persönliche, nicht kontrollierbare Verlusteeinkalkuliert werden müssen, fiel die Handlungsbereitschaft un-ter den befragten StudentInnen insgesamt gering aus. Sie würdesich bei einigen der Befragten erhöhen, wenn die Vertragsbe-dingungen so ausgerichtet wären, dass die Möglichkeit einesVerlustes nicht gegeben ist. Diese – wie es scheint etwas reali-tätsferne – Forderung kann mit dem Wunsch nach vollkommenerAbsicherung gegen die wahrgenommenen Risiken erklärt wer-den. Ein neues Gerät zu nutzen bedeutet hingegen, sich Zeit undEnergie für Kalkulationen und Risikoabwägungen sparen zukönnen. Unberührt von diesem Hauptbefund der vorliegendenForschungsarbeit bleibt festzuhalten, dass dem Vorsatz, einneuwertiges Gerät nutzen zu wollen, möglicherweise noch eineandere Bedeutung zukommt. Aussagen wie „...die Gesellschaft

Annette Leven Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops

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Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops Annette Leven

erfordert ein Mitwachsen ... ansonsten steht man an der Seiteund kommt da nicht mehr mit“ spiegeln auch die Überzeugungwider, dass ein Mithalten mit neuester Technik unbedingte Vor-aussetzung für das Bestehen im gesellschaftlichen System sei.Einem neuen Computer wird also vermutlich auch deshalb einhoher Wert beigemessen, da er zur Existenzsicherung beiträgt.Demzufolge ließe sich die ausgeprägte Sorge vor möglicherwei-se bei gebrauchten Computern auftretenden Schäden auch alsExistenzangst deuten, selbst nicht mehr „funktionstüchtig“ imSinne der Erwartungen der Gesellschaft zu sein.Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die bei StudentInnengefundenen Hemmnisse gegenüber der Nutzung von gebrauch-ten Computern relativ komplex sind. Sie scheinen nicht alleinerklärbar durch das Lebensgefühl, „hip“ sein zu wollen, bzw. mitder oft anzutreffenden Vorurteilshaltung von VerbraucherInnen„neu ist besser“.

Welche Maßnahmen können aus diesen Ergebnissen abgeleitetwerden? Was könnte ReUse-Computer unternehmen, um dieHemmnisse in der Zielgruppe der StudentInnen zu überwinden?Wie kann beispielsweise eine Informationskampagne effektivgestaltet werden? Ist es sinnvoll, den StudentInnen die umwelt-schonenden Vorteile der Nutzung von Gebrauchtcomputern auf-zuzeigen? Die Ergebnisse machen deutlich, dass dieser Wegfraglich erscheint.Die hohe Bedeutung der wahrgenommenen Kontrolle für dieNutzung eines gebrauchten Laptops lässt es als wichtiger er-scheinen, auf Bedenken und Unsicherheitsgefühle einzugehenund diese zu entkräften. Dazu gehört nicht nur die Herstellungausführlicher Informationsmaterialien zu Ausstattung und Preisder Geräte sowie zu Zahlungsmodalitäten, Reparaturservice undBeratungsmöglichkeiten. Besonders wichtig erscheint es, einSicherheitsgefühl zu vermitteln bezüglich der Qualität und Funk-tionstüchtigkeit der Geräte und auf deren lange Haltbarkeitsdau-er aufmerksam zu machen. Die Sorge wegen notwendig wer-dender Reparaturen könnte dadurch gemindert werden und einGefühl von Kontrolle aufgebaut und gestärkt werden. Auf dasKontrollerleben würde es sich ebenfalls positiv auswirken, wennStudentInnen sich durch andere Personen unterstützt fühlenkönnten, die ihnen im Rahmen eines Service- und Beratungsan-gebotes zur Seite stehen. Bei der Beratung müsste im Vorder-grund stehen dem Bild des unseriösen, auf Profit ausgerich-teten Computergebrauchthändlers entgegenzuwirken. Es müs-

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ste deutlich gemacht werden, dass die beratenden Personenvertrauenswürdig und kompetent über die Möglichkeiten derGeräte Auskunft geben. Ferner müsste erklärt werden, dass esin Anspruch genommen werden darf, die Rechnerleistung denBedürfnissen entsprechend zu optimieren, um der Angst vor ei-ner Fehlentscheidung bezüglich der Geräteauswahl vorzubeu-gen. In diesem Zusammenhang sollte betont werden, dass dieGeräte selbst ausprobiert werden können. Die genannten Maß-nahmen könnten dazu beitragen, die Unsicherheitsgefühle derStudentInnen zu reduzieren, wodurch sich die Akzeptanz derAngebote erhöhen würde.

55555 AusblicAusblicAusblicAusblicAusblickkkkkIn weiteren Arbeiten zum Thema der Nutzung gebrauchter Com-puter von StudentInnen wäre eine quantitative Untersuchung füreine bessere Generalisierbarkeit der Ergebnisse sicher loh-nenswert. Dazu würde vor allem gehören, die Häufigkeitsvertei-lungen der gefundenen hemmenden und förderlichen Faktorenunter den StudentInnen ausfindig zu machen, um genauere An-gaben über die Anteile der NutzerInnengruppen (StudentInnenmit potenzieller bzw. ohne Nutzungsabsicht) herleiten zu kön-nen. Dies wäre einem besseren Überblick über die Chancen vonReUse-Computer auf Erfolg bezüglich der Attraktivität für dieZielgruppe der StudentInnen dienlich. Abschließend ist zu sa-gen, dass es für weiterführende Forschung wünschenswertwäre, weitere Faktoren ausfindig zu machen, die einen umwelt-bewussten Gebrauch von Computern fördern. Trotz solcher zu-künftigen, elaborierten Schritte erscheint es mir möglich, einModell der Lesart der Computernutzung von Studenten speziellfür ReUse-Computer vorzulegen, zu dem ich erste Überlegun-gen zu präsentieren beabsichtigte.

Annette Leven Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops

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Nutzung von gebrauchten ReUse-Laptops Annette Leven

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InInInInIn 8080808080 TTTTTagenagenagenagenagen umumumumum diediediediedie WWWWWelteltelteltelt –––––WennWennWennWennWenn ausausausausaus SandSandSandSandSand ComputerComputerComputerComputerComputer werdenwerdenwerdenwerdenwerden undundundundund ausausausausaus ComputernComputernComputernComputernComputern SandSandSandSandSand

Karsten Schischke

Informations- und Kommunikationstechnik bestimmt zuneh-mend unseren Alltag und gibt uns vor, wie Information übermit-telt, gespeichert, möglichst auch gefiltert und aufbereitet werdenkann. Computer werden in erster Linie als High-Tech wahrge-nommen, Taktrate und Speicherplatz sind auf dem Schreibtischdas, was PS beim Auto sind. Während aber niemand gerne aneiner Schnellstraße wohnt wegen Lärmbelästigung und Abga-sen, gilt der Computer als sauber und wird nicht als möglichesUmweltproblem wahrgenommen. Aber welch ein Irrtum! Überdas ganze Leben eines Computers hinweg, von den ersten Roh-stoffen über die Herstellung, das Leben im Büro oder Arbeits-zimmer bis hin zum Computerfriedhof belastet auch dieInformationstechnik die Umwelt. Ein guter Indikator dafür ist derEnergieverbrauch, vor allem verbunden mit Verbrauch von end-lichen Ressourcen wie Kohle oder Öl und der Emission desTreibhausgases Kohlendioxid. Die nachfolgende Reise durchdas Leben eines Computers wird ergänzt um energetische Zwi-schenbilanzen für die einzelnen Lebenswegabschnitte, ausge-drückt in Kilowattstunden Primärenergie. Zur Erläuterung: Primär-energie bezieht sich nicht auf den Strom, wie er aus der Steckdosekommt (das ist ein sogenannter „Sekundärenergieträger“). Viel-mehr bezieht sich dieser Begriff zum Beispiel auf den Energie-gehalt der Kohle, die im Kraftwerk verbrannt wird, um darausStrom zu gewinnen. Die Daten für die Energiebilanz sind im Rah-men des Projektes ReUse „Regionale Netzwerke für die Wieder-und Weiterverwendung elektronischer Geräte“ erhoben und be-rechnet worden.

DieDieDieDieDie HerstellungHerstellungHerstellungHerstellungHerstellung eineseineseineseineseines ComputersComputersComputersComputersComputers ––––– eineineineinein globalesglobalesglobalesglobalesglobales PPPPPuzzlespieluzzlespieluzzlespieluzzlespieluzzlespielComputer sind die in Technik gegossene Globalisierung. Wennwir in das Internet gehen, um mit der ganzen Welt kommunizie-ren zu können, dann vergessen wir leicht, dass der Inhalt dergrauen Kiste dort unter unserem Schreibtisch schon längstkreuz und quer durch die Welt gereist ist. Und zwar real undnicht virtuell. Ein Großteil der Elemente des Periodensystemswird benötigt, um allein das Mainboard und seine Komponentenherzustellen (s. Abb.1). Das dahinter stehende Problem bestehtdarin, dass viele der benötigten Grundstoffe nur an wenigen Or-ten der Erde ausreichend konzentriert vorkommen und kosten-

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günstig gefördert werden können. Der Rohstoff für die Kunststof-fe ist Erdöl von der Arabischen Halbinsel oder aus der Nordsee,Zink kommt aus Nordamerika, Nickel und Silber aus Sibirien.Kupfer für die Leiterbahnen kommt aus Südamerika, Blei für dasLot und Bauxit zur Aluminiumerzeugung stammen aus Austra-lien. Zinn wird in Südostasien dort abgebaut, wo vorher nochRegenwald war. Das Gold für die dünne Beschichtung von Kon-takten wird in den Minen Südafrikas gefördert. So oder so ähn-lich sieht der Materialstammbaum eines Computers aus.Somit haben die einzelnen Komponenten wie in Jules VernesBestseller „In 80 Tagen um die Welt“ bereits einen globalen Wett-lauf hinter sich - in diesem Falle mit dem Ziel, als neueste Inno-vation am schnellsten auf den Markt zu kommen.

Abb. 1: Das Periodensystem im Computer [1]

Und dann ist da noch das Silizium für die „Gehirne“ des PCs, dieMikrochips. Ohne den Halbleiter Silizium wäre die ganze Com-putertechnologie undenkbar. Vergleichsweise unspektakulär istdafür der Rohstoff, aus dem das Silizium gewonnen wird: Sand.Quarzsand ist chemisch betrachtet nichts anderes als Silizium-dioxid. Aber der Weg von einer handvoll Sand zum Mikrochip istweit, sehr weit: Aus Quarzsand ist zunächst durch chemischeReduktion der Sauerstoff zu entziehen und Rohsilizium zu er-

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zeugen. Ein erheblicher Energieaufwand ist zu betreiben, um Si-lizium und Sauerstoff zu trennen. Die Reaktion erfolgt im Licht-bogenofen bei 1500°C. Das gewonnene Silizium hat eine Rein-heit von 98% und ist damit viel zu unrein, um als Computerchipverwendet zu werden: Bei den minimalen Abmessungen aufdem späteren Mikrochip sind es teils wenige Atomschichten, dieeine bestimmte Funktion ausmachen. Verunreinigungen wirkensich dann sogleich als (folgenschwerer) Fehler aus. Auf 10 Milli-arden Siliziumatome darf nur ein ungewolltes Fremdatom kom-men. Daher wird das Silizium weiter umgewandelt in die Sub-stanz Trichlorsilan und destilliert, dann wird wieder Silizium ab-geschieden. Um jedoch die benötigten Eigenschaften zu erzie-len, muss das Silizium nicht nur hochrein sein, sondern die ein-zelnen Atome müssen auch völlig gleichmäßig angeordnet seinin einem Einkristall. Dazu ist das Silizium wieder unter kontrol-lierten Bedingungen aufzuschmelzen: Ausgehend von einemkleinen Impfkristall wird eine bis zu drei Meter lange Stange ein-kristallines Silizium aus einem Schmelztiegel gezogen. Dieseheutzutage 20 oder 30 cm dicken Blöcke werden in Scheibengesägt, die sogenannten Wafer. Diese Wafer, hochrein und mitvöllig ebener, spiegelnder Oberfläche werden zum Beispiel imbayrischen Burghausen hergestellt. Sie sind dann das Aus-gangsmaterial, um in Halbleiterfabriken mit den erforderlichenStrukturen versehen zu werden, damit aus Silizium Mikrochipshergestellt werden können. Eigentlich müssten sie schon Nano-chips heißen, denn die Abmessungen auf dem Chip spielen sichim Nanometerbereich – 1 Million Nanometer ergeben einen Mil-limeter – ab. Prozessoren werden beispielsweise von AMD inDresden hergestellt – dann ist der Weg für die Wafer aus Bayernnicht so weit –, oder von Intel in Irland, Costa Rica oder anders-wo. Durch hunderte von Prozessen werden leitende, halblei-tende und isolierende Bereiche in Schichten übereinander er-zeugt. Ganz einfach nur, um nachher Nullen und Einsen durchdie Gegend schieben zu können und so z.B. das Schreiben die-ses Textes zu ermöglichen.In einem PC befindet sich nicht nur der Prozessor und dieSpeicherbauelemente, sondern insgesamt rund 75 MikrochipsDies sind insgesamt etwa 22 bis 25 cm2 bearbeitete Silizium-fläche – halb so groß wie eine Visitenkarte und ähnlich dick. Umdas Silizium zu schützen und eine Verbindung auf den Leiter-platten herzustellen, werden die Mikrochips in Kunststoff-gehäuse vergossen, die ein Vielfaches ihres eigenen Volumensausmachen, mit Metallbeinchen versehen und auf den Leiter-

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platten verlötet. Meistens erfolgt das Verkapseln in Südostasien,das Verlöten auf der Leiterplatte in Taiwan oder China. Zahlrei-che weitere Bauelemente werden für das richtige Zusammen-spiel der Komponenten benötigt; auf einer PC-Leiterplatte befin-den sich meistens mehrere Hundert einzelne Bauelemente. Die-se haben nach China häufig einen kürzeren Weg hinter sich alsdie Mikrochips: Widerstände und andere passive Bauelementewerden zum Beispiel in Japan hergestellt. Man kann jedoch da-von ausgehen, dass sich auf einer einzigen PC-Leiterplatte dannKomponenten und Materialien befinden, die schon alle Konti-nente bereist haben und sämtliche Weltmeere. Viel kritischernoch: Alle paar Monate eine neue Computergeneration bedeutetauch, dass die neuesten Chipgenerationen nicht lange über dieMeere geschippert werden können, sondern zügigst zur Weiter-verarbeitung mit dem Flugzeug um den halben Globus reisen.Und ist die top-aktuelle Grafikkarte erstmal gefertigt, muss sieschnellstmöglich auf den Markt kommen: Mit dem Fracht-flugzeug beispielsweise wieder von China aus nach Deutsch-land. Hier werden die Computer individuell zusammengebautund auf Paletten in den Elektronikmarkt gekarrt.

ZwiscZwiscZwiscZwiscZwischenbilanzhenbilanzhenbilanzhenbilanzhenbilanz::::: DerDerDerDerDer energetiscenergetiscenergetiscenergetiscenergetischehehehehe RucRucRucRucRucksksksksksacacacacackkkkk derderderderder HerstellungHerstellungHerstellungHerstellungHerstellungNun steht der Computer in Deutschland im Fachmarkt und mansieht ihm seine lange Reise nicht an. Und auch nicht den schwe-ren ökologischen Rucksack, den der PC mit sich bringt: Bevorder Computer überhaupt zum ersten Mal in Betrieb genommenwird, hat er schon rund 535 kWh Primärenergie verbraucht (Peri-pherie- und Eingabegeräte, z.B. Monitor, noch nicht berücksich-tigt). Dies entspricht etwa einer Autofahrt von Berlin nach Mün-chen, rechnet man den Spritverbrauch um. Andererseits bleibtauch festzustellen: Die Herstellung von Elektronikgeräten ist überdie Zeit immer effizienter geworden. Heutige Rechner verbrau-chen in der Herstellung deutlich weniger Energie als noch zuBeginn der 90er Jahre. Auch deswegen sinken die Preise fürNeurechner. In Abb. 2 ist diese Entwicklung dargestellt (Punktesymbolisieren dabei den Primärenergieverbrauch der Herstellung,wie er in mehreren Studien für die jeweilige PC-Generation ermitteltwurde). Andererseits sind in der gleichen Zeit die Verkaufszahlenfür PC drastisch gestiegen: Während der Energieverbrauch na-hezu um den Faktor vier zurückgegangen ist, hat sich die Stück-zahl verkaufter PCs von etwa 25 Millionen weltweit auf mittlerwei-le über 150 Millionen gesteigert: Nicht berücksichtigt in dieserGrafik sind Laptops, die noch weit größere Zuwachsraten zuletzt

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erzielt haben. Einfache Rechnung: Multipliziert man die Stückzahlmit dem Energieverbrauch pro PC in der Herstellung, zeigt sichein weiterhin deutlich ansteigender Trend beim Energiekonsum.

Abb. 2: Immer energie-effizientere PC-Herstellung bei steigendenStückzahlen – der Rebound-Effekt

Im Ergebnis nimmt die Umweltbelastung durch Computer immernoch weiter zu. Weltweit benötigt allein die Herstellung von PCseinschließlich aller Vorprodukte in etwa so viel Energie wie einemitteleuropäische Millionenstadt von der Größe Münchens. Diewesentlichen energierelevanten PC-Komponenten sind dasSpeichermodul (wegen der großen Chipfläche), das Mainboard(Größe und Komplexität), desweiteren das Gehäuse (Material-menge) und die Festplatte (aufwändige Fertigung, teilweise un-ter Reinraumbedingungen).

DieDieDieDieDie Computer-Computer-Computer-Computer-Computer-PhilosophiePhilosophiePhilosophiePhilosophiePhilosophie::::: LLLLLiveiveiveiveive fastfastfastfastfast ––––– diediediediedie youngyoungyoungyoungyoungKaum ausgepackt und die Grundausstattung an Software instal-liert, fängt der Computer schon rasant an zu altern. Bereits nacheinem Jahr Nutzung ist der Computer schon nicht mehr auf demletzten Stand der Technik, und es liegt an den Anforderungen

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des Nutzers, wie lange er sich mit seiner vermeintlich „altenKrücke“ zufriedengibt. Die PC-Hersteller haben ihren grauen Ki-sten nur begrenzte Fähigkeiten mitgegeben, Energie zu sparen.Über die Jahre sind die Kühlkörper für die Prozessoren immergrößer geworden, weil immer mehr Abwärme – besser: Abhitze –vom auf Hochtouren laufenden Prozessor abzuführen ist.Manche Prozessoren fangen ohne Kühlkörper innerhalb vonSekunden an, erst Rauchzeichen zu geben und dann sich selbervollständig zu zerstören, ganz einfach durch das blitzschnelleUmschalten von 0 zu 1 und zurück. Heiße Informationen! Etwasintelligentere Prozessoren schalten sich schon vorher ab, umsich selbst zu schonen.Erstaunlicherweise ist kaum bekannt, wie alt Computer eigent-lich werden – da sind viele Tierarten besser erforscht. Denn mei-stens ereilt den PC nicht der plötzliche Tod, sondern er wird zu-nächst in den Keller verfrachtet. Schließlich hat der Computereinmal richtig viel Geld gekostet und außerdem weiß man ja nie,ob man nicht doch nochmals den alten Rechner aktivieren muß.Nur für alle Fälle. In jedem Falle ist jemand, der seinen Rechnerlänger als 4 Jahre nutzt, schon fast ein Exot.

ZwiscZwiscZwiscZwiscZwischenbilanzhenbilanzhenbilanzhenbilanzhenbilanz::::: DerDerDerDerDer PCPCPCPCPC sssssaugtaugtaugtaugtaugt diediediediedie StecStecStecStecSteckdosekdosekdosekdosekdose leerleerleerleerleerPersonalcomputer des Jahrgangs 1999 kommen im Normal-betrieb auf 60 Watt, während Rechner nach heutigem Standrund 80 Watt und mehr aus dem Netz ziehen. Aber auch wennder Computer ausgeschaltet ist, verbraucht das Netzteil nochStrom. Es sei denn, der Computer wird am Netzschalter ausge-schaltet (meistens schwer erreichbar auf der Rückseite ange-bracht) oder ist über eine schaltbare Steckerleiste definitiv vomStromnetz zu trennen. Diese Stand-by-Verluste können einigeWatt betragen. Je nachdem welches Nutzungsszenario man zu-grunde gelegt hat, den Gelegenheitsnutzer oder professionellenAnwender, summiert sich der Energieverbrauch zu einer durch-aus beachtlichen Stromrechnung auf. Bei durchschnittlicherNutzung erreicht man nach etwa 16 Monaten den Zeitpunkt, andem im Betrieb schon genauso viel Energie verbraucht wurdewie in der Herstellung.In jedem Falle kommt es ganz besonders auf das individuelleVerhalten jedes einzelnen Anwenders an: Läuft der Computer imBüro auch nachts durch, damit er morgens nicht extra wiederhochgefahren werden muss? Bleibt der private Computer stän-dig eingeschaltet, damit man online ist, schließlich hat man jaeine Flatrate? Ist der Energiesparmodus aktiviert? Und viel

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grundlegender noch: Weiß man überhaupt, über welche Ener-giespareinstellungen der eigene Computer verfügt? Otto-Nor-mal-User ist meistens leider nicht in der Lage, das Systementsprechend zu konfigurieren. Verwiesen sei an dieser Stelleauch auf die Stromspartipps für die EDV von Synofzik [2].Noch ist die Informations- und Kommunikationstechnik inDeutschland „nur“ für 8% des deutschen Stromverbrauchs ver-antwortlich (Stand: 2001), doch der Anteil steigt deutlich undwird bis 2010 um nahezu 50% zugelegt haben [9] (siehe Abb. 3).

Abb. 3: Anteil der Informations und Kommunikationstechnikam Stromverbrauch in Deutschland (nach [9])

DasDasDasDasDas PPPPPuzzlespieluzzlespieluzzlespieluzzlespieluzzlespiel rücrücrücrücrückwärtskwärtskwärtskwärtskwärts –––––VVVVVariantearianteariantearianteariante globalerglobalerglobalerglobalerglobaler Altgeräte-Altgeräte-Altgeräte-Altgeräte-Altgeräte-TTTTTourismusourismusourismusourismusourismusManche ausgediente Computer haben anscheinend Heimweh,denn sie finden mühelos ihren Weg zurück nach China. Dortkommen ganz erhebliche Mengen aus aller Welt an, angelandetim Hafen von Hong Kong. Sie werden als Gebrauchtgeräte de-klariert oder auch als offensichtlicher Schrott verschifft, jedochmit der erforderlichen „Schmierung“ versehen. Von Hong Kong

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werden die Container ins Hinterland verbracht. 2002 hat bei-spielsweise das Basel Action Network [3] eine ganze Stadt mitrund 100.000 Einwohnern ausfindig gemacht, Guiyu, die sich mitnichts anderem als Recycling von Altelektronik befasst. Kupferwird aus Kabeln zurückgewonnen, einzelne Chips werden ent-lötet und wiederverwendet, Tonerfarbe wird aus Druckerkartu-schen entnommen, Gold wird aus Leiterplattenschrott zurück-gewonnen. Dieser Ansatz ist grundsätzlich gut. Nur die Techno-logien sind anachronistisch und für Mensch und Umwelt höchstgefährlich, um nicht zu sagen gemeingefährlich:• Das Kupfer aus PVC-Kabeln wird zurückgewonnen, indem

die Kabel angezündet werden. Bei der Verbrennung von PVCentstehen unter anderem hochgiftige Dioxine.

• Bauelemente werden über offener Flamme entlötet, die Ar-beiter hantieren mit flüssigem Bleilot.

• Schwarze Tonerfarbe ist krebserregend, dennoch wird derFarbstaub ohne jegliche Atemschutzeinrichtung aus den Kar-tuschen geschüttet.

• Gold löst sich gut in Königswasser, einem besonders aggres-siven Säuregemisch. Schlämme und Abwässer landen in un-mittelbarer Nachbarschaft, eine geordnete Entsorgung dafürgibt es nicht. Stattdessen ist der Boden extrem versauert, dasGrundwasser schwermetallverseucht (erinnert sei an das Pe-riodensystem in Abb. 1) und Trinkwasser muss mittlerweileaus der ferneren Umgebung herantransportiert werden.

Auch die chinesische Zentralregierung wie auch die Provinz-regierungen haben den Ernst der Lage erkannt und sind offenfür das Thema [4]. Im April 2002 bereits kam es zu einem erstenTreffen von Regierung und Industrie, eingesetzt wurde eine eige-ne Arbeitsgruppe. Im August desselben Jahres wurden dieImportverbote für E-Schrott ausgeweitet – und dennoch stellendie chinesischen Zollbehörden immer wieder Verstöße fest. ImAugust 2003 hat das staatliche Umweltamt eine Mitteilung her-ausgegeben, die „nicht-umweltgerechtes Recycling“ verbietetund für Recyclinganlagen eine gesonderte Lizenz vorschreibt.Im Januar 2004 schließlich wurde als Pilotprojekt in der ProvinzZhejiang und der Stadt Qingdao ein Rücknahme- und Recyc-lingsystem eingerichtet. Im Frühjahr wurde auf einem vonGreenpeace China mitveranstalteten Symposium in Beijing eineAnalyse der Lage vorgenommen und die bestehenden Problememit den Behörden erörtert. Die Provinzregierungen bekommendie Lage kaum in den Griff: In Guiyu findet nach wie vor – nicht

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lizensiert – Elektronikschrottrecycling statt und in Tai Zhou deck-te Greenpeace Anfang 2004 den Import von E-Schrott aus Ja-pan und Südkorea, vermischt mit Metallschrotten und Altkunst-stoff, auf [5].

Abb. 4: Entlöten von Bauelementen in Tai Zhou, 2004(Foto: Greenpeace China)

Die BBC suchte im Frühjahr 2004 „under cover“ Möglichkeiten,fiktiven Elektronikschrott aus Irland über Hong Kong nach Chinazu importieren – entgegen internationalen Abkommen, aber mitErfolg: Firmen boten sich an, den Deal abzuwickeln und verwie-sen dabei auf ihre Erfahrungen in diesem Geschäft [6].Während in Europa die Recycler seit Jahren in den Startlöchernstecken, um noch größere Schrottmengen verarbeiten zu kön-nen, fehlt es bislang in China an den nötigen Entsorgungs-strukturen. Einzelne Hersteller wie Dell schauen sich in Chinazwar bereits nach Recyclingfirmen um, mit denen sie kooperie-ren könnten, doch noch sieht die Realität in China meist andersaus. Dem Wohlstandsgefälle folgend, werden erhebliche Men-gen Computerschrott aus den wohlhabenderen Städten in är-mere Provinzen und Landstriche verschoben, um dort unter ar-

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chaischen Bedingungen recycelt zu werden. Chen Panfeng vonGreenpeace China bezeichnete auf der Berliner Konferenz„Electronics Goes Green“ die Vorgehensweise als „Verwendungvon Technologien des 19.Jahrhunderts für den Schrott des21. Jahrhunderts“ [5]. Bislang fehlt eine moderne Recycling-industrie für Elektronikgeräte in China weitgehend.Mittlerweile geht ein Projekt unter Leitung der UN University undunter Beteilung weiterer UN- und nationaler Organisationen,Forschungseinrichtungen wie der Schweizer EMPA und demdeutschen Fraunhofer IZM und nicht zuletzt der Industrie dasProblem auf globaler Ebene an [7]: Wie können hochwertige,umweltverträgliche Verwertung und soziale Aspekte – 100.000Arbeitsplätze in Guiyu sind zunächst einmal ja ein Fortschritt –nicht gegeneinander ausgespielt, sondern gleichzeitig verfolgtwerden? Geeignete Strategien sind gefragt!Doch zunächst einmal zurück nach Deutschland...

DasDasDasDasDas PPPPPuzzlespieluzzlespieluzzlespieluzzlespieluzzlespiel rücrücrücrücrückwärtskwärtskwärtskwärtskwärts ----- lokalelokalelokalelokalelokale VVVVVarianteariantearianteariantearianteGehen wir jetzt einmal davon aus, dass der ausrangierte Com-puter den regulären Weg einschlägt: Rechner endgültig ver-schrotten, ab auf den Recyclinghof! In Deutschland hat sich mitt-lerweile ein sehr hohes Niveau beim Recycling von Altelektroniketabliert. Teils werden die einzelnen Komponenten von Handdemontiert, teils geschreddert. So finden die meisten Materialienihren Weg in den geeigneten Entsorgungspfad. Das Blechge-häuse kehrt zurück in die Stahlhütte, separiertes Kabelkupferund die Leiterplatten gelangen in die Kupferhütte, wo zumindestKupfer, Blei, Zinn, Nickel und die Edelmetalle zurückgewonnenwerden können. Aus den Prozessoren wird in der Edelmetall-scheideanstalt das Gold extrahiert. Und auch die Transportwegefür diese Schrotte sind meistens deutlich kürzer als auf der „An-reise“ des Computers. Die meisten Stoffe werden in Deutschlandverwertet. Vielleicht geht der Leiterplattenschrott in eine Sekun-därhütte irgendwo anders in Europa, nach Schweden zum Bei-spiel, aber kaum in andere Kontinente.

ZwiscZwiscZwiscZwiscZwischenbilanzhenbilanzhenbilanzhenbilanzhenbilanz::::: AllesAllesAllesAllesAlles primaprimaprimaprimaprima mitmitmitmitmit KKKKKrrrrreislaufwirtsceislaufwirtsceislaufwirtsceislaufwirtsceislaufwirtschafthafthafthafthaft?????Ist die Wegwerfgesellschaft also nur halb so schlimm, wo dochviele Materialien durch das Recycling zurückgewonnen werdenkönnen? Schon nicht schlecht, aber zur Erinnerung: Die meisteEnergie bei der PC-Herstellung wird nicht für die Gewinnung derRohstoffe benötigt, sondern für die hochkomplexen Fertigungs-prozesse. Aus den Mikrochips wird in der Metallverhüttung

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Schlacke, das Silizium endet als Siliziumdioxid. Dies ist die glei-che Verbindung, aus der Sand besteht, der ursprüngliche Aus-gangsstoff der Chipherstellung.Rechnet man sämtliche zurückgewonnenen Metalle quasi alsenergetische Gutschrift – weil ja in entsprechendem Umfangneue Metalle nicht hergestellt werden müssen – und zieht dieProzess- und Transportaufwendungen ab, so bleibt ein rechneri-sches Plus von rund 72 kWh Primärenergie. Nicht schlecht, aberverglichen mit den 535 kWh für die gesamte PC-Herstellungkann beim Materialrecycling kaum von Kreislaufwirtschaft ge-sprochen werden. Der Kreis ist nicht wirklich geschlossen.

DieDieDieDieDie AlternativeAlternativeAlternativeAlternativeAlternative ––––– eineineineinein zweiteszweiteszweiteszweiteszweites LLLLLebenebenebenebenebenFür den Schrott sind 3-4 Jahre alte Computer eigentlich zu scha-de Kaputt sind sie ja meist dann noch nicht. Zumindest nicht ineinem derartigen Zustand, dass sie nicht mit geringem Aufwandwieder reparabel wären. Und in der Tat ist der Second-Hand-Markt schon heute nicht zu unterschätzen. Allein in Deutschlandwechseln mehrere Millionen PC jährlich den Besitzer, sei esdurch Weitergabe in der Familie oder im Bekanntenkreis, denMitarbeiterverkauf oder über einschlägige Internet-Auktionen.Bislang jedoch geschieht dies kaum über den Fachhandel. Hiergilt es, durchaus noch eine – recht große – Marktlücke zu schlie-ßen. Verwiesen sei auf die an anderer Stelle dieses Buches dar-gestellten Geschäftsmodelle und Marktrecherchen.Erst recht in Ländern mit geringeren Lohnkosten lohnt sich auchdie Aufarbeitung gebrauchter PC (siehe Abb. 5). Überhaupt istauch eine Einbindung der „3. Welt“ in den weltweiten Handel mitGebrauchtgeräten durchaus wünschenswert. Die ökologischenFolgen der Transporte sind dabei übrigens im Vergleich zu dem„Umweltwert“ eines Gebrauchtrechners kaum von Bedeutung.Vielfach stellt der Zugang zu gebrauchten Rechnern viele fürMenschen in Entwicklungsländern die einzigeMöglichkeit dar,im globalen Dorf zu kommunizieren. Diese Überwindung der di-gitalen Spaltung bringt erhebliche Vorteile, z.B. um den gemein-samen Einkauf in der Landwirtschaft zu organisieren und denVertrieb der Produkte effizienter zu gestalten [8]. In Indien sindan ein entsprechendes Projekt mittlerweile zwei Millionen Bau-ern angeschlossen. Dieses Modell folgt der Philosophie: Wenndie Armen nicht am globalen Markt teilnehmen können, könnensie von diesem auch nicht profitieren. Als wichtigste Einsatz-felder der Informations- und Kommunikationstechnologie sinddabei e-mail, aber auch Videokonferenzen, z.B. für medizinische

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Beratung, Vermittlung regionenspezifischer Inhalte z.B. im Bil-dungsbereich aber auch für den Kontakt mit Behörden, sichereTransaktionen und E-Commerce anzusehen. Eine „Kaskaden-nutzung“ von IT-Geräten kann dabei der Schlüssel für die Ver-sorgung von Entwicklungs- und Schwellenländern mit kosten-günstigen Computern sein.

Abb. 5: Second-Hand-Läden für Computer in Singapur (Foto: Schischke)

DieDieDieDieDie GesGesGesGesGesamtbilanzamtbilanzamtbilanzamtbilanzamtbilanz::::: eineineineinein RecRecRecRecRechenspielhenspielhenspielhenspielhenspiel mitmitmitmitmit RecRecRecRecRechnernhnernhnernhnernhnernUnd was bringt Reuse, was bringt ein längeres Computerleben,für die Umwelt? Drücken wir es wieder in Primärenergiewertenaus. Hierzu ein einfaches Gedankenexperiment. 1999 wurde einComputer hergestellt und dann vier Jahre genutzt. Nun steht dieEntscheidung an: verschrotten und einen Neuen kaufen oderden alten PC nochmals für, sagen wir zwei Jahre weiter nutzen(lassen)? Wir entscheiden uns erst einmal für die Verschrottung(durchgezogene Linie in Abb. 6). Für das Recycling bekommenwir eine kleine „energetische Gutschrift“, aber zugleich mussder neue Rechner hergestellt werden, der in der Nutzung dannfür die kommenden vier Jahre noch mehr Strom verbraucht alsder Pentium II PC von 1999. Nach diesen vier Jahren wieder dasgleiche Spiel: Weg mit der alten Kiste, eine neue muß her. Jetztentscheiden wir uns mal anders, nämlich für ein längeresComputerleben – denn eigentlich erfüllt die 4 Jahre alte „Kiste“doch noch für zwei weitere Jahre meine Anforderungen. Sie istvielleicht ein bißchen langsam geworden, das CD-ROM-Lauf-werk hat schon seinen Geist aufgegeben und muss ersetzt wer-

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den. Aber ansonsten spricht kaum etwas gegen eine Weiter-nutzung (gestrichelte Linie). Erst 2005 folgt dann die Entschei-dung: Weg damit, ordnungsgemäß recyceln, ein neuer Rechnerkommt ins Haus. Auch dieser wird wieder für sechs Jahre ge-nutzt. So sind wir 2011 an dem Punkt, dass wir entweder dreioder nur zwei Computergenerationen verschlissen haben. Derrechnerische Unterschied: 11% Energie gespart. Ein deutlicherUnterschied, wenn auch nicht übermäßig beeindruckend. Aberauch hier gilt wieder: Die Masse macht’s: Seitdem nahezu in je-dem Haushalt in Deutschland (mindestens) ein PC steht, spieltes schon eine Rolle, ob ein Großteil davon ein Jahr mehr oderweniger in Betrieb bleibt.

Abb. 6: Vergleich der Nutzungsszenarien – zweimal sechs oder drei-mal vier Jahre PC-Leben?

Letztendlich spielt das Verhalten des einzelnen Nutzers einemaßgebliche Rolle für die Ökobilanz eines Computers. Den neu-en Rechner aus „regionalem Anbau“ gibt es schon lange nichtmehr, wohl aber, frei nach dem Elektrofachmarktmotto „Ich bin janicht blöd!“, ein paar umwelt-intelligente Verhaltensweisen.

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Hier sind die als Fazit zusammengefasstenZwölfZwölfZwölfZwölfZwölf Umwelt-Umwelt-Umwelt-Umwelt-Umwelt-TTTTTippsippsippsippsipps fürfürfürfürfür dendendendenden GebraucGebraucGebraucGebraucGebrauchhhhh vonvonvonvonvon ComputernComputernComputernComputernComputern1. Auch wenn der Computer ausgeschaltet ist, zieht er noch

Strom aus dem Netz. Das kostet jedes Jahr einige Euro. Einescscscscschaltbarhaltbarhaltbarhaltbarhaltbareeeee StecStecStecStecSteckerleistekerleistekerleistekerleistekerleiste hilft – übigens auch bei vielenanderen Geräten.

2. Machen Sie von den Energiesparfunktionen Energiesparfunktionen Energiesparfunktionen Energiesparfunktionen Energiesparfunktionen Ihres Compu-ters gebrauch (siehe auch [2])! Beim Kauf von ReUse-Rech-nern hilft Ihnen Ihr Händler gern dabei .

3. BildscBildscBildscBildscBildschirmschirmschirmschirmschirmschonerhonerhonerhonerhoner????? ÜberflüssigÜberflüssigÜberflüssigÜberflüssigÜberflüssig!!!!! Aktive Bildschirmschonerbeschäftigen den Computer und sparen somit keinen Strom.

4. Computer und Monitor abscabscabscabscabschaltenhaltenhaltenhaltenhalten, wenn sie gar nicht benö-tigt werden – es ist Ihre Stromrechnung!

5. Computerkauf? Erst einmal überlegen: WWWWWasasasasas sollsollsollsollsoll ererererer könnenkönnenkönnenkönnenkönnen?????Vielleicht reicht ja ein sparsamer Gebrauchter. Lassen Siesich beraten von Ihrem ReUse-Händler.

6. Achten Sie auf UmweltzeicUmweltzeicUmweltzeicUmweltzeicUmweltzeichenhenhenhenhen: Den Blauen Engel gibt es fürMonitore, Computer und Tastaturen; das Label TCO99 kenn-zeichnet Monitore, die besondere Anforderungen in punktoErgonomie, Strahlenbelastung, Umwelt und Energie erfüllen;der EnergyStar kennzeichnet stromsparende Geräte.

7. FlacFlacFlacFlacFlachbildschbildschbildschbildschbildschirmehirmehirmehirmehirme verbrauchen weniger Strom als Röhren-monitore, LaptopsLaptopsLaptopsLaptopsLaptops weniger als Desktop-Computer, älterälterälterälterältereeeeeRecRecRecRecRechnerhnerhnerhnerhner meistens weniger als neue (!!!).

8. Laptop-Akku voll aufgeladen? Dann das Netzteil Netzteil Netzteil Netzteil Netzteil ausausausausaus derderderderderStecStecStecStecSteckdosekdosekdosekdosekdose!!!!!

9. PPPPPrrrrrozessorozessorozessorozessorozessoren en en en en mit gleicher Leistung aber von unterschiedli-chen Herstellern unterscunterscunterscunterscunterscheidenheidenheidenheidenheiden sicsicsicsicsichhhhh imimimimim StrStrStrStrStromverbraucomverbraucomverbraucomverbraucomverbrauch h h h h durch-aus deutlich. Fragen Sie Ihren Fachhändler!

10.Alten Computer ausrangieren? Nicht in den Keller damit, son-dern verkaufen, versc verkaufen, versc verkaufen, versc verkaufen, versc verkaufen, verschenken, ReUse-henken, ReUse-henken, ReUse-henken, ReUse-henken, ReUse-Händler fragen. Händler fragen. Händler fragen. Händler fragen. Händler fragen. Viel-leicht spart sich dadurch jemand anderes einen aufwändighergestellten neuen PC.

11. Computer defekt? Lohnt sich eine ReparaturReparaturReparaturReparaturReparatur noch? Für dieUmwelt lohnt es sich fast immer; was es Sie kostet, sagt Ih-nen Ihr ReUse-Händler.

12.Nichts mehr zu machen? Alten Computer wirklich verscverscverscverscverschrhrhrhrhrot-ot-ot-ot-ot-tententententen????? Dann bitte facfacfacfacfachgerhgerhgerhgerhgerececececechththththt!!!!! Einige ReUse-Händler nehmenComputer zur Entsorgung an.

Dieser Text ist übrigens auf einem sieben Jahre alten PC ge-schrieben worden – völlig ausreichend für derartige „Schreib-maschinenanwendungen“.

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LLLLLiteraturiteraturiteraturiteraturiteratur:::::

[1] Schischke, Karsten: Der ökologische Fußabdruck eines Computers – Ana-lyse zum Ressourcenverbrauch der IT, Ringvorlesung des Studium generale„Graue Energie“ an der HTWK Leipzig, 2.6.2004

[2] Synofzik, Peter: Energie sparen in der EDV, Vortrag TU Berlin, 2.9.2004,http://www.tu-berlin.de/zrz/information/notizen/notizen36/informationen.html .

[3] Basel Action Network: Exporting Harm – The High-Tech Trashing of Asia,Februar 2002

[4] Schischke, Karsten; Griese, Hansjörg: Kreislaufwirtschaft im Hinterhof – DieGlobalisierung der Elektronikschrottentsorgung erfordert neue Wege, Müll-Magazin 3/2004, S. 8-11

[5] Chen, Panfeng: WEEE recycling and legislation development in China,Electronics Goes Green 2004+, 6.-8. September 2004, Berlin

[6] Black, Richard: E-waste rules still being flouted, BBC News, 19.3.2004[7] Weiss, Matthias: Solving the E-waste Problem: A Synthetic Approach,

Electronics Goes Green 2004+, 6.-8. September 2004, Berlin[8] Scheidt, Lutz Günther: Eradicating Poverty Through Profit – The Role of ICT

and the private sector, Electronics Goes Green 2004+, 6.-8. September2004, Berlin

[9] Schlomann, B. et al.: Der Einfluss moderner Gerätegenerationen der In-formations- und Kommunikationstechnik auf den Energieverbrauch inDeutschland bis zum Jahr 2010 – Möglichkeiten zur Erhöhung der Energie-effizienz und zur Energieeinsparung in diesen Bereichen, Fraunhofer-Insti-tut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) und Centre for EnergyPolicy and Economics (CEPE), Karlsruhe/Zürich 2003

Karsten Schischke Wenn aus Sand Computer werden

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189ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

KKKKKooperationenooperationenooperationenooperationenooperationen undundundundund NetzwerkeNetzwerkeNetzwerkeNetzwerkeNetzwerke

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190 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ComputerComputerComputerComputerComputer ––––– NetzwerkNetzwerkNetzwerkNetzwerkNetzwerk fürfürfürfürfür NacNacNacNacNachhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeitEineEineEineEineEine ReflexionReflexionReflexionReflexionReflexionFrank Becker

Verstehen ... verlangt,

das Unverständliche zu suchen, um es zu verstehen.

Hans-Georg Gadamer

FFFFFrrrrremdeemdeemdeemdeemde WWWWWörterörterörterörterörter fürfürfürfürfür (((((ununununun)bekannte)bekannte)bekannte)bekannte)bekannte SacSacSacSacSachverhaltehverhaltehverhaltehverhaltehverhalte?????Mein Beitrag ist eine Reflexion über einige praktische Erfahrun-gen, die ich während des ReUse-Computer Projekts gewonnenhabe. Den Hintergrund dafür bilden verschiedene netzwerk-orientierte Projekte, die ich in den letzten Jahren geleitet habe,oder an denen ich die Gelegenheit hatte, mitarbeiten zu können.Dies waren u.a. das „Netzwerk Biotechnologie“ und das „Touris-musnetzwerk Lausitz“. Meine Überlegungen zielen darauf, eineeventuell verallgemeinerbare wirkungsvolle Herangehensweisean den Aufbau sozialer Netzwerke für Nachhaltigkeit zu entwik-keln und die ihr zugrunde liegenden Voraussetzungen nachvoll-ziehbar werden zu lassen. Damit meine ich, quasi mit einem ein-zigen Blick, sowohl die Beschränktheit unseres jeweiligen linea-ren Handelns (bei der Entwicklung sozialer Kooperationsnetz-werke), als auch die Unendlichkeit unserer kontingenten1 Hand-lungsmöglichkeiten (die sich im Agieren in Netzwerkstruktureneröffnen) zu erkennen. Nicht als zwei getrennte Bereiche neben-einander, sondern als Doppelheit, in der Netzwerkentwicklungerst erkennbar wird.2

Mich interessiert dabei noch ein anderes Ziel: im Sinne von Pa-racelsus herauszudestillieren, was denn der eigentliche, wesent-liche Kern meiner Erfahrungen mit dem ReUse-Projekt wäre, der– in anderen Konstellationen wieder (auf-)gelöst – neue Beispie-le nachhaltiger Nutzungsstrategien fördern kann. Was übrigbleibt – und übertragbar ist – aus Sicht der Netzwerkentwicklung.Dieser Weg ist mühsam, doch er verspricht so etwas wie Selbst-Vergewisserung über das eigene Handeln, seine Vorausset-zungen und seine Folgen. Dem gegenüber steht allzu oft eine„... Übermacht der Information und damit des Wissens, das manauf sich beruhen läßt. Verstehen dagegen verlangt, das Unver-ständliche zu suchen, um es zu verstehen.“3

___1 KKKKKontingenz ontingenz ontingenz ontingenz ontingenz Begriff der Systemtheorie zur Bezeichnung der Offenheit einer

Situation für den Handelnden. (siehe Glossar S.xyxyxyxyxy).2

nach Martin Buber, Das Problem des Menschen, Heidelberg, 1961, S.15.3 Hans-Georg Gadamer, Interview, UNICUM 04/99,

http://www.unicum.de/archiv-u/u-4-99/it1-0499.htm, 18.2.2005.

ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

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191ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Aber warum ist der Weg zu dieser (erwarteten) Lösung mit sovielen Fremdwörtern gepflastert, mögen Sie sich (oder auchmich) fragen? Wozu „Philosophen-Griechisch“ und„Soziologen-Chinesisch“? Derlei Begriffe haben doch im Projektverlauf keineRolle gespielt und werden auch im Reader zu unserem Sympo-sium4 nicht erwähnt. Nun, für mich sind diese Termini Werkzeu-ge zum aufdecken, analysieren und wieder zusammenfügen. Siesind – mehr oder weniger – geeignet für die Betrachtung ver-gangener, gegenwärtiger und auch künftiger Entwicklungspro-jekte ähnlicher Art.Derartige – gut definierte – Begriffe können mit optischen Instru-menten verglichen werden, mit Brillen, Lupen oder Mikroskopen.Diese unterscheiden sich beispielsweise durch ihre verschiede-nen Vergrößerungsstufen, aber auch hinsichtlich ihrer Verwend-barkeit für verschiedene Licht-Qualitäten. Vielleicht hilft meinBeitrag, manches bisher Verschwommene schärfer oder auch inanderem Lichte zu sehen, Ereignisse und die dahinter stehen-den oder darunter liegenden Strukturen erkennbarer werden zulassen? Wenn es mir gelänge mit diesem Beitrag der Leserinoder dem Leser etwas „ans Licht“ zu bringen, Eingebung undIntuition zu befördern, würde mich das freuen.

Computer-Computer-Computer-Computer-Computer-ReUseReUseReUseReUseReUseJährlich entstehen in Deutschland ca. 250.000 Tonnen Elektro-nik-Schrott. Die Herstellung eines PCs verbraucht Energie ver-gleichbar dem Spritverbrauch einer Autofahrt von Berlin nachMünchen. Durch Recycling wird aber nur 13% der für die Her-stellung aufgewendeten Energie zurückgewonnen.Auf der anderen Seite werden Anwendungen, wie Textverarbei-tung, Tabellenkalkulation oder e-mail durch neuere Computernicht grundsätzlich verbessert. Diese Anwendungen lassen sichauf Geräten älterer Generationen ebenso gut ausführen. DieWiederverwendung (= ReUse) gebrauchter Geräte ist daher so-wohl aus ökologischen Gründen als auch Effizienzgründen einesinnvolle Maßnahme. Der Wiederverkauf von Geräten und Kom-ponenten ist zudem mit höheren Erlösen verbunden als eine reinstoffliche Verwertung der EDV-Technik. Damit leistet ReUse-Computer eine ebenso pragmatische wie nachhaltige Mittel-standsförderung!

___4 „Unternehmensnetzwerke als Grundlage für lebensfähige Nachhaltigkeits-

strategien“, Berlin, 31.3.2004.

Frank Becker ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit

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Das Verbundprojekt ReUse-Computer, gefördert vom Bundesmi-nisterium für Bildung und Forschung (BMB+F) entwickelte zudiesem Zweck neue Formen unternehmerischer Zusammenar-beit. In einem Unternehmensnetzwerk werden die folgenden er-forderlichen Dienstleistungen für eine professionelle Vermark-tung von Gebraucht-EDV erbracht.!!!!! Reparatur, Aufrüstung und Wiedereinsatz hochwertiger

gebrauchter Computer!!!!! Beratung zu Software-Lösungen!!!!! Wiedereinsatz von Bauteilen und Komponenten!!!!! Entwicklung von neuen Produkten aus gebrauchten PCs.

Solche Netzwerke bieten den beteiligten Unternehmen die Mög-lichkeit stärkerer Spezialisierung und wechselseitiger Ergän-zung durch Leistungen, die das einzelne Unternehmen nicht bie-ten kann. So wird ReUse-Computer für die Unternehmen zu ei-ner Quelle der Wertschöpfung und einer attraktiven Alternativezum Wettlauf um den Verkauf von Neugeräten mit immer gerin-geren Handelsspannen5 .Ökologischer Nutzen durch Ressourcenschonung, ökonomi-scher Nutzen durch Sicherung von Wertschöpfung, Know-howund Beschäftigung sowie sozialer Nutzen durch Gebrauchs-wertorientierung werden in einem integrierten Ansatz weiterent-wickelt.Für die Umsetzung dieses Projektes waren sowohl technische,rechtliche als auch organisatorische Fragen zu klären. MöglicheHindernisse im Bereich der Akzeptanz wurden untersucht undüberwunden. Interessentenkreise für die Nutzung und den Er-werb dieser Geräte wurden identifiziert. Das Angebot von Re-Use-Computer wurde gezielt zu einer attraktiven Alternative zuNeuprodukten entwickelt. Den Kundinnen und Kunden wird heu-te umfassender Service und Beratung geboten. Dies hat für diejeweilige Region eine stabilisierende Funktion: lokale Dienstlei-stungen, regionales Arbeitsvermögen und die WertschöpfungKnow-how intensiver Unternehmen werden gestärkt und breite-ren Bevölkerungskreisen Zugang zu EDV-Nutzung eröffnet.

___5 So hatte der Handelsdienstleister Medion 2004 mehr Elektronik-Ware an

Aldi, Lidl etc. verkauft, vor dem Hintergrund sinkender Stückpreise aber weni-ger Umsatz und Gewinn gemacht. Der Umsatz war 2004 auf 2,62 (Vorjahr:2,9) Milliarden Euro gesunken und der Überschuss auf 50,7 (Vorjahr: 103,1)Millionen Euro eingebrochen; aus: „Aldis PC-Hersteller bricht das Geschäft-weg“, FAZ, 17. März 2005.

ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

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RRRRREEEEEDDDDDUUUUUNNNNNDDDDDANANANANANZZZZZ6undundundundund RRRRREEEEEZZZZZIIIIIPPPPPRRRRROOOOOZZZZZITITITITITÄÄÄÄÄTTTTT

7imimimimim VVVVVererererereineineineinein ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ReUse-ComputerComputerComputerComputerComputer

Wir schreiben das Jahr 2004. Nach einer fast dreijährigen, durchdas Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMB+F)geförderten Projektphase, wurde im Februar der Verein ReUse-Computer in Berlin gegründet. In diese Phase fällt auch die Vor-bereitung und Durchführung unserer Projektkonferenz, desSymposiums “Unternehmensnetzwerke als Grundlage für le-bensfähige Nachhaltigkeitsstrategien”. Nicht alle Unternehmenoder Personen, die in der Förderphase mehr oder weniger konti-nuierlich im Projekt dabei waren, haben sich entschließen kön-nen, den Schritt in einen Verein zu vollziehen. Überraschender-weise geht es nicht einfach dort weiter, wo wir in der Förder-phase aufgehört haben. Beispielsweise beginnt die Diskussionum die Qualitätsstandards erneut. Nach welchen Kriterien und inwelcher Schrittfolge sollen gebrauchte Rechner aufgearbeitetwerden, damit sie ReUse-Rechner genannt werden dürfen? Er-neut geht es um die Frage, welchem Teil der Wertschöpfung wiruns zuerst zuwenden sollten: der Beschaffung oder dem Vertrieb?Und selbstverständlich tauchen immer wieder folgende Fragenauf: Wollen wir mehr Mitglieder, mehr Händler (Ladengeschäfts-inhaber) aufnehmen? Und welchen Status billigen wir ihnen zu?Wir haben doch jetzt Einfluss, sollen den teilen, abgeben an an-dere, die noch gar nicht so lange dabei sind? Sollen wir Mitglie-der aufnehmen, die uns vielleicht nur ausspionieren wollen?

RedundanzRedundanzRedundanzRedundanzRedundanzIm ReUse Verein laufen also Klärungs- und Entscheidungspro-zesse, wie wir sie während der Förderphase in der AG Projekt-entwicklung und im Projektnetzwerk, auf den sogenanntenHändlertreffen geführt haben – Redundanzen, Redundanzen!Aber ist es wirklich so, dass wir auf der Stelle treten, dass dasErgebnis unbefriedigend ist? Oder war vielleicht eher die Aus-gangssituation unbefriedigend? Ich bin überzeugt, es macht ei-nen Unterschied, dass jetzt eigenverantwortliche ReUse-Partner,die einen eigenen Rechtskörper – eben den Verein – miteinan-der gegründet haben, diese Fragen diskutieren. Und nicht mehrdie „Praxispartner“ eines BMB+F geförderten Projektes! Verant-wortung und Macht haben sich verschoben.

___6 Unter Redundanz Redundanz Redundanz Redundanz Redundanz bezeichnet man die Wiederholbarkeit und Verfügbarkeit

(mehrfach) vorhandener Informationen (erweiterte Definition siehe Glossar).7 ReziprReziprReziprReziprReziproker Ausgleicoker Ausgleicoker Ausgleicoker Ausgleicoker Ausgleichhhhh unterscheidet sich vom vertraglich geregelten durch

einen vertrauensbasierten Tausch von angemessenen oder ungefähren Gü-tern oder Dienstleistungen (siehe Glossar).

Frank Becker ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit

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Diese Entwicklung könnte also auch mit Zirkularitäten8 be-schrieben werden. In diesem Zusammenhang meint Zirkularitätden narrativen9 Aspekt von Netzwerkentwicklung! Wir habeneine Netzwerkstruktur aufgebaut, die nun schrittweise auf„Selbststeuerung“ umschaltet oder umgeschaltet wird. Damit istgesagt, dass Prozesse der „Selbstvergewisserung“ in Gang ge-setzt werden. Und das geschieht eben an Hand der Prozesse,die aus Sicht der – nunmehr selbst für Fehler und Erfolge verant-wortlichen – Akteure von zentraler Bedeutung sind.Daraus wird meiner Meinung nach ersichtlich, wie unterschied-lich die Geschwindigkeiten der Prozesse in Netzwerken sind.Obwohl eingangs mit viel Energie, Kreativität und Geld gefördertwurde, gibt es kein „eins zu eins übertragen“ der Projektziele inden Alltag des aufgebauten Netzwerks. Vielleicht wäre auch dieEinbeziehung einer „Übergangs- oder Verstetigungsphase“ indie Förderung notwendig?

DerDerDerDerDer 3.3.3.3.3. JuliJuliJuliJuliJuli 20042004200420042004 ––––– eineeineeineeineeine EpisodeEpisodeEpisodeEpisodeEpisodeZahlreiche Anfragen von Unternehmen und Einzelpersonen ausdem gesamten Bundesgebiet entsprangen unserer Öffentlich-keitsarbeit. ReUse-Computer stellte im März 2004 auf der CeBITin Hannover aus, und darüber wurde mit einem umfänglichenArtikel in SPIEGEL-Online „Rechner werden wiedergeboren“ am22.3.2004 berichtet. Bei diesen Anfragen ging es in erster Linieum die Mitarbeit im Netzwerk, um die Teilhabe an den erwartetenErfolgen und dem daraus erhofften Nutzen für die eigene (Unter-nehmens-) Entwicklung. Wie sollte mit den Interessenten verfah-ren werden? Als Projektleitung entschieden wir: Das ist Aufgabedes neu gegründeten Vereins. Das sahen auch die Vereinsmit-glieder so. Aber wie sollte ein Treffen mit den interessierten Fir-men organisiert werden? Wann und wo sollte es stattfinden?Vorgeschichte und Umsetzung dieses Treffens sind ein gutesBeispiel für Lernprozesse und Selbstorganisation.1. Durch die Brille „professioneller“ Workshopmoderation be-

trachtet kann man wahrscheinlich sagen: Das Treffen warschlecht vorbereitet und durchgeführt. Aber, die aktiven Ver-einsmitglieder haben es gemacht.

___8 Eine Handlung (Ursache) erzeugt eine Wirkung; die wiederum Ausgangs-

punkt (Ursache) einer Handlung ist usw. usf., siehe Glossar.9 siehe Glossar S.xyS.xyS.xyS.xyS.xy. Zu Zirkularität und narrativen Aspekten eines Netzwerks

siehe: F. Becker, “ReUse-Computer - Kultur der Nutzenoptimierung”, TRANSNr. 15, 2004, http://www.inst.at/trans/15Nr/03_2/becker15.htm .

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Sie haben sich und die unbestreitbar vorhandene Unsicher-heiten überwunden und nach der Veranstaltung darüber re-flektiert; was lief gut, was lief schlecht? Was war an meinemBeitrag gut, was werde ich zukünftig besser machen? Wie wares bei deinem Beitrag zum Gelingen der Veranstaltung? Ichbin überzeugt, beim nächsten Mal werden die aktiven Vereins-mitglieder besser sein.

2. Durch die Brille systemischer Netzwerkentwicklung betrach-tet, ist deutlich zu sehen: bei den eingeladenen Teilnehmernist das Treffen gut angekommen. Sie sollten „sich selbst prä-sentieren“. Das Standardverfahren für die Aufnahme neuerMitgliedsfirmen umfasst drei Fragen:- Welches Profil hat Ihre Firma?- Welchen Nutzen erwarten Sie aus einer Mitgliedschaft bei

ReUse-Computer?- Welchen Nutzen können Sie ReUse-Computer bieten?

Da zitterten einigen die Hände, die Unsicherheit war groß. Auchdie Interessenten haben sich überwunden. Da haben sie die Or-ganisatoren (die aktiven Vereinsmitglieder) als „ähnlich“ erlebenkönnen, ähnlich unsicher und ähnlich in ihrem Wunsch zu han-deln. Ihnen wurde nicht die „perfekte“ Messlatte vor die Nasegehängt.

Konfuzius sagt: Lasse mich tun und ich werde verstehen!Dieser 3. Juli 2004 war auch eine Art (paradoxer) Intervention10 .Zwar war von Seiten der Projektleitung zu dem Treffen nach Ber-lin eingeladen worden, aber an der Veranstaltung selbst nahmdie Projektleitung dann nicht teil. Damit musste ein Vakuum ge-füllt werden, das in der Vorbereitung so noch gar nicht gesehenwurde. Unter anderem daraus ergab sich das Potential für neueEntwicklung von Identitäten. Es hätte diesen Termin in jedemFalle gegeben – mit oder ohne Vorbereitung durch den Verein.Bertolt Brecht sagt: Veränderungen finden in Sackgassen statt.Es gab eine Unausweichlichkeit, eine Art Sackgasse, in der Ver-änderung stattfinden konnte.Paradoxe Intervention11 und Entscheidungszwänge in Sackgas-sen bieten meiner Meinung nach gute Ansätze für die Entwick-lung von (dauerhaften?) Netzwerken.

___10 Intervention (lat. Intervenire = dazwischenkommen) bezeichnet das Eingrei-

fen eines Akteurs in ein System. Im Zusammenhang mit sozialen Systemenwird Intervention häufig als eine Steuerung durch Impulsgebung verstanden.

11 Die paradoxe Interventionparadoxe Interventionparadoxe Interventionparadoxe Interventionparadoxe Intervention ist eine Technik der systemischen Organisations-beratung (siehe Glossar).

Frank Becker ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit

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196 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

ReziprReziprReziprReziprReziprozitozitozitozitozitätätätätätist aus meiner Sicht – neben Redundanz – ein weiteres zentralesFunktionsprinzip von Netzwerken: Individuelle Nutzenmaximie-rung und Orientierung an eigenen Interessen führen insbeson-dere in Netzwerken häufig in Sackgassen oder in Konfronta-tionen. Wie kann das Problem Leistung und Gegenleistung, Neh-men und Geben anders als ein reines Tauschprinzip behandeltwerden?Reziproker Ausgleich unterscheidet sich vom geregelten Tauschund beschreibt den Umstand, dass Akteure ihre Güter oderDienstleistungen lediglich gegen angemessene oder ungefähreGegenleistungen austauschen. Diese Form des Austausches istan soziale oder emotionale Bindungen gekoppelt.Was ist mit diesem „Soziologen-Chinesisch“ gemeint und vorallem, was hat das mit dem oben beschriebenen Unternehmens-netzwerk zu tun? Zwar steht besonders in Unternehmens-netzwerken der ökonomische Nutzen der Kooperation imVordergrund. Aber der Aufbau eines Netzwerkes und seine Ent-wicklung vollzieht sich nicht an Hand eines Businessplanes, wiewir es aus der Existenzgründerberatung kennen. Viele Schrittebedürfen eines gemeinsamen Vertrauens in dessen Richtigkeit,und auch unter den Partnern müssen Leistungen auf der Basisgegenseitigen Vertrauens erbracht werden. Die Partner „schul-den“ sich nach einiger Zeit wechselseitig den einen oder ande-ren Gefallen.Und auch ein Gefallen muss angenommen werden können,denn ich bewerte doch, was mich dieser Gefallen in der Zukunft(in Form einer Gegenleistung) kosten könnte?

DasDasDasDasDas unbedacunbedacunbedacunbedacunbedachtehtehtehtehte PPPPPrrrrroblemoblemoblemoblemoblem::::: ReziprReziprReziprReziprReziprozitozitozitozitozitätätätätätAm xx.cc.2004 fand die erste Klausur des frisch gegründetenVereins statt, selbst organisiert und vor dem Hintergrund einerschier endlosen Liste von zu bearbeitenden Punkten und Fra-gen.Diese Klausur wurde in dem neu angemieteten Laden des Grün-dungsmitglieds, Herrn B. durchgeführt. Im Verlauf der Klausurstellte Herr B. diesen, zusätzlich zu seinen bisherigen Ge-schäftsräumen angemieteten, Laden offiziell für den Verein zurVerfügung, ohne dafür eine Beteiligung an der Miete zu verlan-gen. Wer kann da unzufrieden sein? Doch welche Folgen sichaus einem solchen Gefallen ergeben könnten, wurde nicht dis-kutiert. Es wurde auch nicht die Frage eines „kontrolliertenRückrufs“ erörtert. Nicht alle Beteiligten hatten ausreichend be-

ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

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dacht: Wie lange und wovon kann ein Ladengeschäft für mehre-re hundert Euro Miete pro Monat finanziert werden? Was ge-schieht, wenn plötzlich wirtschaftliche Schwierigkeiten auftre-ten? Was geschieht, wenn der Verein die Ladenanschrift als„Kontaktbüro“ publik gemacht hat und plötzliche Geschäftsaus-weitung die Nutzung des Ladens durch Herrn B. unumgänglichmacht? Und vor allem: worin besteht die durch Herrn B. mögli-cherweise erwartete Gegenleistung?Auch Herr G. leistete einen Gefallen: er stellte seine Arbeitskraftund Präsenz im neuen Vereinsbüro zur Verfügung, baute sichaber gleichzeitig eine neue Existenz / Einkommensperspektiveauf. Ist das nicht aufopferungsvoll? Aber wer konnte und wolltedie Verantwortung für die Existenzgründung von Herrn G. über-nehmen? Was wäre, wenn die Existenzgründung auf eine (durchdie Mitglieder des Vereins beitragsfinanzierte) „Geschäftsführer-stelle“ hinausliefe? Wie sollte der Verein das kontinuierlich fi-nanzieren?Auch ein Geschenk kann möglicherweise übergriffig sein bzw.so aufgefasst werden, kann es doch große ethische Verpflich-tungen der Beschenkten induzieren. Ist es eventuell eine Tech-nik „verdeckter Investitionen“ in soziale Beziehungen?Reziprozität ist also kein „Soziologen-Chinesisch“, sondern einereale Austauschform in sozialen Netzwerken.

StellenwertStellenwertStellenwertStellenwertStellenwert vonvonvonvonvon NetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicklungklungklungklungklung undundundundund -beratung-beratung-beratung-beratung-beratung„Wir leben in einer Welt horizontaler Netzwerke, von Netzwerk-Schwärmen, dynamischen Maschenwerken, um nur ein paar derSchlüsselvokabeln aus dem großen Wurf „Die Netzwerkgesell-schaft“ von Manuel Castells zu zitieren. „Der Begriff ‘Netzwerk’steht heute für - mehr oder weniger – freie Assoziation, ... er istder Kontrastbegriff zur starren, vertikalen Hierarchie, er ist, miteinem Wort, definitiv positiv besetzt. ... Die Netzwerkmetapher istdie Illustration kooperativer Wechselseitigkeit von Strukturenund Individuen ... .“12

• Worum handelt es sich bei Netzwerken eigentlich?• Wie viele Knoten13 [Akteure] und Fäden – oder Taue – [Be-

ziehungen]14 muss ein Netzwerk aufweisen?• Was ist ein Netzwerk?• Was davon ist ein Netzwerk für Nachhaltigkeit?

___12 ROBERT MISIK, Herdentrieb ins Netz: Technik als Allegorie sozialer Bezie-

hungen, taz, 4.1.2005.13

Bei der Darstellung sozialer Netzwerke als Graphik stellt man die Akteure alsKnoten und die Beziehungen zwischen ihnen als Linien dar.

14 siehe die folgenden Schaubilder.

Frank Becker ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit

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198 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Das sind Fragen, die mir angesichts der zahlreichen Personen,die sich heute zum Thema Netzwerke äußern: „Netzwerke sind… (bunt, eckig, rund oder Metaunternehmen)“ nur allzu berech-tigt erscheinen. Ich versuche in meinem Beitrag eine Beschrei-bung dessen, was ich unter Netzwerken verstehe. Damit sageich vielleicht mehr über mich als über Netzwerke aus. Womög-lich ist dieser Weg einer fruchtbaren Diskussion über Netzwerk-entwicklung dienlicher; über die eigeneneigeneneigeneneigeneneigenen Zugänge und derenethische Grundlage zu schreiben, als über vermeintliche Sach-fragen und „Analysen“?Aus der Beantwortung dieser Fragen ergeben sich direkte Hin-weise auf sinnvolle Maßnahmen zum Aufbau von Netzwerken.Ganz allgemein verstehe ich Netzwerke als soziale Systeme auseiner – nicht unbedingt abgeschlossenen – Menge von Akteur-innen und Akteuren und der zwischen ihnen existierenden Be-ziehungen. Grundfigur eines Netzwerkes ist immer die Koope-ration von mindestens drei Akteuren und deren Beziehungs-geflecht. Von einem vollständigen Netzwerk spreche ich erst,wenn mindestens drei „Beziehungsknoten“ gefunden werdenkönnen. Ein solches Verständnis ermöglicht es mir, neben demökonomischen und sozialen auch den kulturellen Charakter derBeziehungen zwischen den (ReUse-) Akteuren zu berücksichti-gen.Dabei beginne ich mit meiner Sicht auf Netzwerke immer bei dendort direkt interagierenden Menschen (Akteurinnen undAkteurinnen undAkteurinnen undAkteurinnen undAkteurinnen und Akteu-Akteu-Akteu-Akteu-Akteu-rrrrrenenenenen). Erst, wenn ich die Menschen angeschaut habe, beginneich zu fragen: wen repräsentieren diese Personen? Für wensprechen sie? Damit kommen dann die durch sie vertretenenUnternehmen (InstitutionenInstitutionenInstitutionenInstitutionenInstitutionen) ins Blickfeld – und ins Spiel. EinUnternehmen kann eine treffliche Abrundung des angestrebtenNetzwerkoutputs darstellen, aber wenn die „Chemie“ zwischenden handelnden Personen nicht stimmt, dann wird daraus nichtspositives entstehen. Auch für die Unternehmensebene gilt dannwieder die Frage, wen repräsentiert das Unternehmen? WelcheKultur wird hier vertreten und welche Unternehmensrationalitä-ten (LLLLLogikenogikenogikenogikenogiken) müssen mit in Betracht gezogen werden? Passtein global agierender PC-Hersteller in ein Netzwerk von Micro-unternehmen? Oder besser ausgedrückt: welche Auswirkungenhätte eine solche Mitgliedschaft auf die sozialen und ökonomi-schen Prozesse im Netzwerk?Solche Akteursnetzwerke sind also Systeme, und zwar zum ei-nen aus einer nicht abgrenzbaren Menge von Personen und dendurch sie repräsentierten Institutionen (Computerfachhändler,

ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

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199ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

Großhändler, Service- und Reparaturfirmen etc.). Zum anderensind sie gekennzeichnet durch deren logischerweise ebenfallsnicht abgrenzbare und daher auch nicht abschließend „kenn-bare“ und beschreibbare Menge von VVVVVernetzungsbeziehun-ernetzungsbeziehun-ernetzungsbeziehun-ernetzungsbeziehun-ernetzungsbeziehun-gengengengengen. Für mich als Netzwerkentwickler bedeutet das, dass ichdiese Beziehungen und deren Potential nie im vorhinein analy-sieren kann. Ich kann sie mir nur über einen kontinuierlichenProzess von Prognose (Hypothese) und Auswertung (Reflexion)erschließen – und auch nur, wenn ich „drin“ bin im Netzwerk,nicht von außen. Für diese „Beziehungsgeflechte“ hat sich derBegriff „Sozialkapital“15 etabliert. In Netzwerken agieren also un-terschiedliche Kategorien sozialer Systeme, z.B. Menschen undUnternehmen. Eindeutige, zielorientierte Handlungs- und Ver-haltensweisen dieser Akteurskategorien lassen sich meines Er-achtens lediglich im nachhinein als eine Art Ursache – Wir-kung – Zusammenhang darstellen.Ein Netzwerk besteht für mich – wie gesagt – mindestens aus 3Akteurinnen und Akteuren und den zwischen diesen bestehen-den Beziehungen. Charakteristisch ist dabei, dass nicht eine/rvon ihnen für sich autonom festlegen kann, was der Sinn, dieAufgabe des Netzwerkes sein soll, sondern eine wechselseitigeAbhängigkeit besteht. Denn in einem Netzwerk besteht für jedenKooperationspartner immer die Möglichkeit, den Impuls für eineÄnderung der Entwicklungsrichtung zu geben oder „auszustei-gen“, diese Kooperation – anders als in vertraglich fixiertenStrukturen – jederzeit zu verlassen.

DrDrDrDrDrei-Akteurei-Akteurei-Akteurei-Akteurei-Akteure-e-e-e-e-NertzwerkNertzwerkNertzwerkNertzwerkNertzwerkAAAAA

gleichverteiltesSozialkapital

BBBBB CCCCC

Ein komplexes Netzwerk verfügt regelmäßig über einen differen-zierten internen Sozialkapitalstock16 . Netzwerke für Nachhaltig-keit zeichnen sich durch komplexes Sozialkapital aus.___15 SozialkapitSozialkapitSozialkapitSozialkapitSozialkapitalalalalal (siehe Glossar).16 Robert D. Putnam, Gesellschaft und Gemeinsinn – Sozialkapital im internatio-

nalen Vergleich, Bertelsmann Stiftung Verlag, Gütersloh, 2001. Robert Putnamhatte 1995 mit seinem Aufsatz „Bowling alone“ für Furore gesorgt, in dem ereinen Verlust der gesellschaftlichen Bindekräfte, des bürgerschaftlichen En-gagements und damit ein Schwinden des Sozialkapitals in den USA konsta-tierte. Dazu auch Richard Sennett, „Der flexible Mensch“, Büchergilde Guten-berg, Frankfurt / M und Wien, 1999.

Frank Becker ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit

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Wenn AAAAA etwas für BBBBB tut und in BBBBB das Vertrauen setzt, dass BBBBB inZukunft eine Gegenleistung erbringen wird, wird in AAAAA eine Erwar-tung hervorgerufen und für BBBBB eine Verpflichtung geschaffen, dasVertrauen zu rechtfertigen. Diese Verpflichtung hat den Charak-ter eine Gutschrift. Erwirbt AAAAA eine Anzahl dieser Gutschriften voneiner Anzahl Akteuren, so steigt der Wert der Beziehungs-ressource z.B. von CCCCC zu AAAAA. Es ist Sozialkapital gebildet worden.

FFFFFokales-okales-okales-okales-okales-SystemSystemSystemSystemSystemAAAAA

BBBBB CCCCC

AAAAA verfügt über ein doppelt so hohes Sozialkapital wie BBBBB bzw. CCCCC

Alle Konstellationen, die sich in ihrer inneren Grundform auf ei-nen Akteur zurückführen lassen, sei es eine Person oder eineInstitution, stellen meiner Meinung nach kein Netzwerk dar, son-dern bilden letztendlich eine „Hierarchie-Pyramide“ ab. Dieserhierarchische Aspekt wird häufig nicht genug deutlich gemacht,wenn z.B. von „bi-direktionalen17“ oder „fokalen Netzwerken18“gesprochen wird. Hierarchien und die damit verbundene Macht-verteilungen sind aber wesentlich für die Entwicklungsfähigkeitvon Netzwerken – insbesondere, wenn diese nach Beendigungeiner Förderphase selbstorganisiert weiter arbeiten sollen.Je mehr ich über die Entwicklungen des ReUse-Projektes nach-denke, desto mehr fällt mir auf, dass der von uns verwendeteNetzwerkbegriff über die gesamte Projektlaufzeit seltsam unbe-stimmt blieb. Mir scheint, als wäre für eine solche Begriffs-bestimmung nicht einmal die Hypothesenbildung nötig gewe-sen. Dennoch machten alle, die sich zum Thema Netzwerk äu-ßerten, den Eindruck, als sei klar, wovon wir redeten.Die Frage, „was verstehen wir unter einem Netzwerk?“, wurdenicht diskutiert. Vielleicht war man sich gar nicht bewusst, dasses mehr als die eigene (nach meinem Eindruck häufig nicht im-___17 Siehe z.B. Wegweiser Bürgergesellschaft,

http://www.wegweiser-buergergesellschaft.de/idee_konzeption/was_verstehen_wir_unter/netzwerke/grundlagen.php , 19.1.2005.

18 Dieser Begriff wird u.a. von F. Zohm, WZL der RWTH Aachen verwendet („Er-folgreiches Netzwerkmanagement“, Berlin, 28.1.2004), kann aber ohne weite-res z.B. auf J. Sydow, „Strategische Netzwerke: Evolution und Organisation“,Wiesbaden 1992, zurück geführt werden.

ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

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mer klar formulierbare) Definition für Netzwerke gab und diesezufällig nicht dem entsprach, was sich der Nachbar ausgedachthatte?Oder war es nicht auch angenehm, etwas in dieser Unbestimmt-heit zu belassen? Bot sich so nicht die Möglichkeit, die eigenenDeutungen, Absichten und Implikationen „unbemerkt“ einzufüh-ren? Zu dumm, wenn das mehr als drei Leute gleichzeitig ma-chen; das führt dann wohl zu einer babylonischen Begriffsver-wirrung.Übereinstimmung kann aber wohl unterstellt werden, hinsicht-lich der Aussage, dass Netzwerke eine bestimmte typisierbareForm von Organisation darstellen. Wenn nun davon ausgehenddie Aufgabe des Projektes dahingehend reformuliert werdenkann, dass es ein Ziel war (und ist) eine (tragfähige) Organisati-on aufzubauen und zu entwickeln, ergeben sich Fragen danach,wie dies bewerkstelligt werden soll. Was kann professionelleOrganisationsberatung zu einer solchen Entwicklung beitragen?Sinnvolle Beiträge wären aus meiner Sicht, vor dem Hintergrundder Erfahrungen aus dem Projekt, Handlungs-, Konflikt- undKommunikationsfähigkeit bei den Netzwerkakteuren zu stärken.In einer Situation, in der alle Regeln des sich aufeinander Bezie-hens und der Orientierung erst einmal neu “erfunden” werdenmüssen, reicht die Vorlage eines Blatt Papiers mit zu akzeptie-renden „Spielregeln“ nicht aus. (Aber so war es im ReUse-Pro-jekt geschehen). Und es genügt nicht, einfach nur zu fordern,dass ein Konflikt um „richtiges“ oder „falsches“ Verhalten imNetzwerk behandelt werden muss.Vielmehr muss die Notwendigkeit des Erarbeitens gemeinsamerVerhaltensregeln überhaupt erst einmal als ein zu behandelndesThema von allen Akteuren akzeptiert werden. Dazu gehören dieAkteure (Projektpartner), die eine finanzielle Förderung erhaltenund diejenigen Akteure (Kooperationspartner), die hinzu akqui-riert werden. Dies sind beispielsweise Unternehmer, die nachherdas eigentliche Netzwerk bilden sollen und keine Förderung er-halten, sondern aus freiem Willen und eigener Initiative mitarbei-ten. Ebenso muss das Vorhandensein eines Konfliktes erst ein-mal von den Beteiligten anerkannt werden. Nun verfügen Men-schen wohl in der Regel über genügend Erfahrungen, um zu-mindest intuitiv feststellen zu können, ob sie sich in einerkonfliktorischen Situation befinden. Wenn das für den Rest derbeteiligten Akteure allerdings kein Thema ist, dann ist es ebenerst einmal kein Thema. Und damit ist dann die Frage nach derRelevanz eines Konfliktes das vordergründige Problem, oder

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besser ausgedrückt, der übergeordnete Konflikt. Denn ein Kon-flikt weist ja immer auf ein verbindendes Element hin. Es ist denbeteiligten Akteuren im Konfliktfall eben nicht egal, in welcheRichtung sich das Netzwerk, der Prozess weiter entwickelt. Da-her rührt die Konfliktenergie.Meine Antworten auf die oben formulierten Fragen führten dazu,dass ich anlässlich der Vereinsklausur am 9. September 2004einen Teil meiner Handouts auspackte, die ich in zwölf JahrenBeratungsarbeit zusammengetragen habe und teilweise klassi-schen Personalentwicklungs-Input gab. In der Schlussrundewurde mehrfach gefragt, warum dies nicht schon früher ge-schah.Bevor ich zu meiner Antwort auf diese Frage komme, scheinenmir einige Anmerkungen und Fragen zu möglichen Beiträgenvon Organisationsberatung notwendig. Sie kann möglicherwei-se Handlungsstrategien anbieten, die auf die Entwicklung vonSelbstorientierung, Selbstvergewisserung und Selbststeuerungausgerichtet sind. Mein Leitbild systemischer Organisations-beratung in Unternehmen und Organisationen ist das Bergfüh-Bergfüh-Bergfüh-Bergfüh-Bergfüh-rrrrrerprinziperprinziperprinziperprinziperprinzip1111199999 : Jedem Menschen und jeder Organisation / jedemSystem wird Autonomie über sein Leben und seine Entwicklungzuerkannt. Es trägt die erforderliche Kraft und Energie in sich,die für seine Zielerreichung nötig ist. Die Aufgabe einersystemischen Organisationsberatung besteht dann darin, alsBegleiter geeignete Wege zu den angestrebten Zielen aufzuzei-gen. Als Bild kann man sich eben einen Bergführer vorstellen,der den Weg zu dem Gipfel weist, zu dem eine Gruppe Bergwan-derer aufsteigen will und diese sicher dorthin geleitet.20 Für dasKlettern und den Erfolg, oben anzukommen, sind die Bergwan-derer selbst zuständig.

Wie sähe dieses Bergführerprinzip auf der Ebene der Netzwerk-entwicklung aus? Organisationsberatung und / oder Organisa-tionsentwicklung, lässt sich letzteres überhaupt realisieren undwenn ja, wie? Entwickeln sich Organisationen und damit Netz-werk, als selbstreferentielle21 Systeme nicht eben nur „selbst“?

___19 R. Katerndahl, F. Becker; „Wir müssen uns alle ändern – mit Ihnen fangen wir

an!“, Berlin, 1997.20 Es kann dabei durchaus sein, dass der Bergführer eine Wanderung abbricht

– weil die Wanderer in Badelatschen angetreten sind, oder weil sie erst maltrainieren müssen um Kondition aufzubauen.

21 SelbstrSelbstrSelbstrSelbstrSelbstreferefereferefereferentialitentialitentialitentialitentialitätätätätät (siehe Glossar).

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Und wie lassen sich die Begrifflichkeiten der Organisations-entwicklung auf Netzwerke übertragen: Netzwerkberatung oderNetzwerkentwicklung? Wie kann Netzwerkberatung erfolgen,wenn noch gar kein Netzwerk vorhanden ist, erst aufgebaut wer-den soll?Meiner Einschätzung nach waren Instrumente der Personalent-wicklung und Organisationsberatung22 in der Projektplanung imZusammenhang mit dem Aufbau von Netzwerken nicht vorgese-hen. Gab es im Vorfeld vielleicht keine Wahrnehmung für dieseAspekte? Hier zeigt sich für mich, wie unvollkommen das Wissenüber das Handwerk des „Netzwerkens“ noch ist. Auch scheintes vertrackt, dass in so vielfältigen Zusammenhängen überNetzwerke gesprochen wird. Das erschwert es, ein klares Bildvon Netzwerken zu entwerfen. Andererseits, bei soviel Bewe-gung in Netzwerkstrukturen, da scheinen doch eigentlich dieMechanismen des Aufbaus und des Entwickelns von Netzwer-ken klar zu sein – oder? Ich behaupte, in zahlreichen Fällen wirdvon Netzwerken gesprochen, in denen es sich nur um „verdeck-te Hierarchien“ handelt.23 Durch Begriffe wie „der Netzwerk-knoten“ (ein Netzwerk hat mindestens drei Knoten!) oder fokaleNetzwerke werden Asymmetrien und Hierarchien verdeckt. Nichtalles kann zu einem Netzwerk umdefiniert werden. Letztendlichentscheidet sich die Qualität eines Netzwerks wohl an der Frage,wie offen mit Fragen von Macht und Einfluss umgegangen wird,und in welchem Umfang die jeweiligen Eigeninteressen veröf-fentlicht werden. Darin drückt sich eine Doppelheit aus: inhaltlichthematisch Transparenz herstellen und kulturell Vertrauen durchdie Investition von Vertrauen produzieren. Die Abwesenheit die-ser beiden Faktoren deutet auf nichts anderes als verkleideteHierarchie – und diese ist zur Abarbeitung von Komplexität un-geeignet24 . Richard Sennett schreibt in „Der flexible Mensch“25 ,es sei eine Funktion der neuen Teamarbeitskonzepte, die nachwie vor vorhandenen Machtstrukturen zu verschleiern.

___22 OrganisOrganisOrganisOrganisOrganisationsberatung ationsberatung ationsberatung ationsberatung ationsberatung (siehe Glossar).23 Dazu habe ich eingangs bereits einige Anmerkungen gemacht.24 Hierarchien sind, aufgrund ihrer streng festgelegten Entscheidungs- und

Handlungsabläufe, zu langsam und nicht geeignet, die heute in vielen Berei-chen erheblich gestiegene Komplexität sinnvoll zu verarbeiten.

25 Richard Sennett, a.a.O.

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Ich denke, auch Netzwerke können in diesem Sinne verschlei-ernd wirken26 , und das macht meiner Meinung nach auch einenGroßteil der Attraktivität des Begriffs Netzwerk und seiner infla-tionären Verwendung aus.Welche Probleme sich aus einer fehlenden Selbstverständigungüber die zugrunde liegende Deutung des Netzwerkbegriffs erge-ben, habe ich versucht, an den Episoden um die beiden Vereins-klausuren und dem Treffen mit den interessierten Firmen zu illu-strieren.Wir, die Projektpartner, waren im Verlauf des Projektes vielleichtzu sehr selbst auf die Vermarktung der Rechner fokussiert. Da-bei war und ist dies doch das Geschäft der Unternehmer – unse-rer Kooperationspartner. Rückblickend auf den Verlauf des Pro-jektes glaube ich, wir waren darauf aus, uns selbst als Netzwerkzu erfinden. Wir wollten „erfinden“, wie das Netzwerk funktionie-ren sollte – die anderen, die „Händler“, sollten das dann in derRegel umsetzen. In der Arbeitsgruppe Projektentwicklung habenwir darüber beraten, wie ES sich weiter entwickeln soll.

Wir sagten, wasDIE DA

machen sollen,damit ES richtig

funktioniert.

Dabei war diese Arbeitsgruppe, als „Binnendifferenzierung“ desProjektes, unbedingt nötig. Sie bildete den Rahmen, in dem kon-troverse Strategiediskussionen geführt werden konnten, ohnedass sie gleich handlungsleitend wurden. Im Angesicht der Ko-operationspartner geführt, hätten sie sofort Interventionscharak-ter bekommen. Aber auch ohne dass diese erlahmten, weil inimmer neuen bi- und multilateralen Konstellationen dieselbenThemen wieder und wieder diskutiert wurden.

___26 (Netzwerk-) Manager haben herausragenden Einfluss und wesentliche Ent-

scheidungsmacht darüber, was zum „Projekt“ definiert wird, was jetzt dasneue Ziel wird. Unabhängig davon, ob sie dass wollen oder nicht, oder bes-ser gesagt: ob sie es wollen oder nicht!

27 EEEEEIIIIIGGGGGEEEEENsinnNsinnNsinnNsinnNsinn muss auch eigener Sinn sein, sonst ist kein lebensfähiges Netz-werk möglich (siehe Glossar).

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Es war also – so gesehen – anscheinend nicht geplant, dass dieHändler sich selbst eine neue Qualität ihrer Unternehmer-tätigkeit erschufen. Systemtheoretisch könnte man sagen, eswurde im Projektplan keine neue SINN-Ebene27 , kein neuesEmergenzniveau28 angestrebt. SINN hier als EEEEEIIIIIGGGGGEEEEENsinnNsinnNsinnNsinnNsinn ver-standen, nicht als Sinn, den „ICH“ einem anderen „ETWAS“ bei-messe (oder sogar aufbürde?). Wir sollten uns bei Projekten,deren Ziel der Aufbau sozialer Systeme ist, immer vor Augenhalten, dass auch wir der Verführung der Macht erliegen kön-nen. “Keine Herrschaft begnügt sich, nach aller Erfahrung, frei-willig mit den nur materiellen oder nur affektuellen oder nur wert-rationalen Motiven als Chancen ihres Fortbestandes.”29

WWWWWasasasasas nunnunnunnunnun aberaberaberaberaber ististististist nacnacnacnacnachhaltighhaltighhaltighhaltighhaltig ananananan NetzwerkenNetzwerkenNetzwerkenNetzwerkenNetzwerken?????Der Begriff Nachhaltigkeit hat in den letzten Jahren eine inflatio-näre Verwendung erfahren. In vielen Fällen wird dabei Nachhal-tigkeit mit Dauerhaftigkeit unausgesprochen gleichgesetzt, dieswürde ich z.B. für den Begriff „nachhaltiges Netzwerk“ be-haupten. Damit will man eigentlich nur aussagen, dass das Netz-werk über einen längeren Zeitraum ohne äußere Einflussnahmeexistieren kann. Im Zusammenhang mit den Ergebnissen vonReUse-Computer will ich von einem „Netzwerk für nachhaltigeEntwicklung“ sprechen. Damit beschreibe ich ein soziales Sy-stem im Rahmen einer Konzeption, die Nachhaltigkeit als einIntegrationsmodell versteht.Warum werden Netzwerke im Zusammenhang mit nachhaltigerEntwicklung30 als sinnvoll angesehen? Nach meinem Verständ-nis ist ein wesentliches Element von nachhaltiger Entwicklungein gewisser Aushandlungsprozess, in diesem Zusammenhangwird ja nicht ohne Grund von „Generationengerechtigkeit“ ge-sprochen31 . Hierarchien können meiner Meinung nach unter an-derem dadurch charakterisiert werden, dass sie Aushandlungs-prozesse beenden. Und insbesondere das Aushandeln, das Er-arbeiten einer gemeinsamen Geschichte und das immer wiederneu Bestimmen von SINN und VERTRAUEN ist für ein Koope-rationsnetzwerk konstitutiv.___28 EmergenzEmergenzEmergenzEmergenzEmergenz: : : : : Eigenschaften eines Systems (Unternehmens), die aus den Ei-

genschaften seiner Elemente nicht erklärbar und insofern charakteristischfür eben diese(s) System(ebene) sind (siehe Glossar).

29 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, S.157-160, Köln / Berlin, 1964.30 Der Begriff der NacNacNacNacNachhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeithhaltigkeit gilt seit Jahren als Leitbild für eine zukunftsfähige

Entwicklung („sustainable development“) der Menschheit (s. Glossar S.xyS.xyS.xyS.xyS.xy).31 Volker Hauff, Vorsitzender des Nachhaltigkeitsrates der Bundesregierung,

antwortet auf die Frage, wie er Nachhaltigkeit definieren würde. „Ganz ein-fach: an unsere Kinder denken.“, taz, 10.1.2005.

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Daraus ergibt sich eine Kongruenz von innerer Funktion undäußerer Anwendung: Netzwerke sind in besonderer Weise fürnachhaltige Entwicklung geeignet, weil sie den der Nachhaltig-keit innewohnenden Aushandlungsprozess in ihrer eigenenFunktionsweise repräsentieren.

Netzwerke fordern uns immer wieder zur Beantwortung der Fra-ge auf:

Netzwerk für sichoder

Netzwerk für mich?

EigenSINN oder meinSINN?

Immer wieder stellt sich diese Frage, bei jeder Richtungsentschei-dung, jedem Entwicklungsschritt – ein kontinuierlicher Netzwerk-entwicklungs-Prozess.

EineEineEineEineEine HaltungHaltungHaltungHaltungHaltung derderderderder AAAAAllparteilicllparteilicllparteilicllparteilicllparteilichkeithkeithkeithkeithkeitWo liegen die eigenen Interessen der Akteure und der durch sierepräsentierten Institution, die in einem Netzwerk agieren wol-len? Und noch bedeutsamer: wo liegen die Eigeninteressen derAkteure und der durch sie repräsentierten Organisationen, dieim Netzwerk oder besser für das Netzwerk Verantwortung über-nehmen wollen, sei es durch die Bereitstellung von Räumen, ei-gener Arbeitsleistung oder logistischer Kompetenz?!Welche Form eines Netzwerks für nachhaltige Entwicklung wirdgedanklich zu Grunde gelegt? Wo ist die ethische Basis von Net-zen für Nachhaltigkeit zu suchen?Worte sind für mich wie Werkzeuge, sie haben eine Funktion,einen Zweck. Als gelernter Elektroinstallateur weiß ich abzuwä-gen, welches Werkzeug ich für welche Aufgabe verwende.

IntegritIntegritIntegritIntegritIntegritätätätätätDie etymologische Bedeutung und Definition von Integrität Integrität Integrität Integrität Integrität (vgl(vgl(vgl(vgl(vgl.....S.xy)S.xy)S.xy)S.xy)S.xy), einer Schlüsselkategorie im Zusammenhang mit der Ent-wicklung von Netzwerkkompetenzen, verweist auf ein Zusam-menführen des eigenen Handelns mit den eigenen Grundsätzendiesen Handelns. Unversehrt und unbescholten wird ein neuesGanzes gebildet.Prozesse der Entwicklung von Netzwerken als sozialen Koope-rationsstrukturen gehen konstitutiv zuerst immer über den Men-schen, das einzelne Individuum und verweisen dabei auf den

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integeren Menschen. Darüber setzt sich dieser Prozess zu der,mit dem Individuum verbundenen, individuell repräsentierten Lo-gik einer funktional differenzierten Gesellschaft fort und verweistauf die Integrität der individuellen Haltung. Damit ist nun nebendem Menschen und den durch sie repräsentierten Organi-sationen (Verwaltungen, Unternehmen etc.) als Grundelementvon Netzwerken eine dritte Elementebene eingeführt, die derspezifischen Logik: Unternehmen handeln nach (branchenbezo-gener) ökonomischer Logik, Politiker nach (auf Wiederwahl aus-gerichteter) politischer Logik. Und damit ist auf die Fähigkeit zurIntegrationsleistung der einzelnen Akteure verwiesen. Von derindividuell repräsentierten Logik funktionaler Gesellschafts-differenzierung übergehend in das System der relevanten / be-nannten oder eben gerade untersuchten Logik(en)32 und derenrelevanter Umwelt. Diese System – Umweltrelationen33 der Netz-werkentwicklung sind wiederum eingebettet in die Ebenen re-gionaler und gesamtgesellschaftlicher Systemstrukturen.Aus dieser Perspektive stellt sich selbstverständlich sofort dieFrage: Warum ist jemand in einem speziellen Zusammenhangaktiv? Warum ist er in einem Kontext anwesend? Warum wird einbestimmtes Angebot an das Netzwerk unterbreitet, z.B. denNetzwerkknoten zu bilden? Wo sind die Eigeninteressen? – All-parteilichkeit (vgl. S.xyS.xyS.xyS.xyS.xy) unterscheidet sich sehr stark von einemPostulat der Neutralität: Hier bedeutet neutral, dass die Interes-sen der „neutralen“ Akteure nur schwer fassbar sind.Womöglich werden gar keine eigenen Interessen verfolgt?

KKKKKernberernberernberernberernbereiceiceiceiceichehehehehe derderderderder NetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicklungklungklungklungklungUnterm Strich betrachtet ist die Perspektive des ReUse-Compu-ter Vereins nach wie vor offen. Die Dauerhaftigkeit des Netzwer-kes für nachhaltige Entwicklung muss sich noch beweisen, ob-wohl im letzten Jahr schon zahlreiche neue Mitglieder auf-genommen werden konnten. Unter den neuen Mitgliedern sindüberwiegend Computer- und IT-Unternehmen, fast kein Laden-geschäftsinhaber. Zum einen ist das erfreulich, zeigt es doch,dass das Netzwerk eine Eigendynamik entwickelt hat, die nichtgeplant war. Andererseits ist es auch traurig, denn uns fehlendie Computerhändler mit ihren Ladengeschäften, die ReUse-Computer auch stärker in das Berliner Stadtbild hineintragen.

___32 In unserem ReUse-Computer Projekt die zentrale Logikkonstellation ÖKO-

NOMIE – ÖKOLOGIE – LEBENSWELT.33 SystemSystemSystemSystemSystem ––––– UmweltrUmweltrUmweltrUmweltrUmweltrelationen elationen elationen elationen elationen (siehe Glossar S.xyS.xyS.xyS.xyS.xy).

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Unternehmensnetzwerke für nachhaltige Entwicklung, die in ho-hem Maße auf die Selbststeuerung der aktiven Unternehmer set-zen, haben im Rahmen marktwirtschaftlicher Konkurrenz ausmeiner Sicht beachtliche Erfolgschancen. Die eigenen Motiveder Unternehmer, ihr unternehmerischer Überlebenswille undihre Orientierungsfähigkeit im Markt bestimmen ihre konkretenHandlungen, die wiederum darauf gerichtet sind, nachhaltigesWirtschaften umzusetzen.Welche Kernpunkte sind aus meiner Sicht übertragbar auf ver-gleichbare Netzwerke für Nachhaltigkeit?Der wahrscheinlich zentralste Aspekt gelungener Netzwerkent-wicklung ist für mich die Integrität derjenigen, die beabsichtigenauf diesem Weg nachhaltige Entwicklung ins Leben zu bringen.Das bedeutet wohl in erster Linie, Offenheit in diesen Prozesseinzubringen. Die Perspektive der Nachhaltigkeit, einer Öko-nomie nachhaltiger Technikentwicklung und der Lebenswelteinzubringen, das war und ist die Aufgabe von kubus, derKooperations- und Beratungsstelle für Umweltfragen der TUBerlin. Daraus folgende Unterschiede, vielleicht auch Konfliktemit betriebswirtschaftlichen Sichtweisen werden angesprochenund ausgetragen. Das ist gelebte Allparteilichkeit, denn Produk-tivität und Innovation resultieren aus dem konstruktiven Umgangmit Unterschieden und Widersprüchen.Bezogen auf methodische Aspekte glaube ich, dass Werkzeugeder Konfliktbearbeitung, der Verhandlung von Unterschieden inden Prozess der Netzwerkentwicklung unbedingt eingebrachtwerden müssen. Die zahlreichen Unterschiede, die im Zu-sammenhang mit der Entwicklung von Nachhaltigkeit aufbre-chen, bedürfen einer professionellen Bearbeitung.Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist eine Strategie, die daraufausgerichtet ist, Entscheidungsräume, d.h. Sackgassen zu kre-ieren. Nur wenn die Akteure selbst Entscheidungsmacht haben,können sie Relevanz im Netzwerkprozess gewinnen.Im Zusammenhang dieser beiden Aspekte wird ein dritter Aspektsichtbar: Es muss eine gemeinsame Sprache, ein gemeinsamesVokabular erarbeitet werden. Dieses Vokabular ist die Grundla-ge für die Verständigung der Netzwerkakteure über zu ent-scheidende Fragen.Eine gemeinsame Sprache zu finden, ist die Grundlage für dieFähigkeit eines Netzwerks, „Geschichten“ erzählen und tradie-ren zu können. Im Kreis der Aktiven müssen Geschichten erlebtund erzählt werden. Damit verbunden ist die Aufforderung, Klar-heit über die Perspektive der Projektleitung, der Prozessbeglei-

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tung zu schaffen. kubus hat entschieden, weiter dabei zu sein.Mehr noch, die Technische Universität Berlin beabsichtigt bis2007 den Betrag von 600,000,- € durch den Einsatz von ReUse-Technik einsparen. Auch dies ist ein beredtes Beispiel für dieStrategie, den eigenen Nutzen im Erfolg des anderen zu suchen!Ich bin gespannt, was in drei Jahren zu diesem Ansatz nachhal-tiger Entwicklung zu berichten sein wird – Sie auch?

GlossGlossGlossGlossGlossararararar

Emergenz Emergenz Emergenz Emergenz Emergenz bezeichnet diejenigen Eigenschaften eines Systems (z.B.Netzwerk für Nachhaltigkeit), die aus den Eigenschaften seiner einzel-nen Elemente (Akteure, Institutionen, Beziehungen) nicht erklärbarsind. Sie sind eben charakteristisch für genau dieses System und wer-den emergente Eigenschaften genannt. Emergenz kann in sozialenSystemen wachsen, wenn sie die Möglichkeit haben, in ausreichen-dem Maße selbstgesteuert in ihrer Umwelt zu agieren. Emergenz hateine positive Konnotation: Sie ist dem Eigensinn des Systems ver-pflichtet und der Zielerreichung dienlich. Wir kennen Emergenz ausdem umgangssprachlichen Begriff „Das Ganze ist mehr als die Summeseiner Teile.“ Dabei kann nicht ein relevantes Teilsystem ignoriert oderentfernt werden, ohne die Eigenschaften des Gesamtsystems zu ge-fährden.EthiscEthiscEthiscEthiscEthischerherherherher ImperativImperativImperativImperativImperativ„Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größerwird!“ (nach: Heinz von Förster, 2x2 = grün)IntegrationIntegrationIntegrationIntegrationIntegrationEine Form der Organisation des Zusammenspiels differenzierter Teil-Systeme, welche den Zusammenhang eines gemeinsamen Ganzen mitemergenten Eigenschaften ermöglicht, wird in der Systemtheorie alsIntegration bezeichnet.In dem exemplarischen Sanierungsfall hieß das, eine gemeinsame, al-len wechselseitig glaubhafte Sinnebene zu schaffen: die Sanierungdes Stahlwerks, der sich alle Teilsysteme des Stahlwerks verpflichtetfühlten/fühlen. Die Integration aller relevanten Teillogiken unter derÜberschrift: Unser Stahlwerk soll leben – setzte die Energien frei, diedem Sanierungsprozess zusätzliche Schubkraft verlieh.OrganisOrganisOrganisOrganisOrganisationsberatungationsberatungationsberatungationsberatungationsberatungOrganisationsberatung umfasst ein breites Spektrum an Maßnahmen,mit denen Organisationen oder Organisationsnetzwerke in ihrer Lei-stungsfähigkeit gestärkt werden sollen. Dabei wird die zu beratendeEinheit als eine zusammengesetzte Organisation aus unterschiedli-chen, miteinander zusammenhängenden Elementen verstanden. Esreicht hier nicht ausschließlich z.B. mit einer Unternehmensebene oder

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einer Person (dem Auftraggeber) zu arbeiten. Der Input, den z.B. Bera-ter dabei leisten zielt auf fach- und prozessbezogene Inhalte.OrganisOrganisOrganisOrganisOrganisationsentwicationsentwicationsentwicationsentwicationsentwicklungklungklungklungklungOrganisationsentwicklung bezeichnet Veränderungsprozesse, die vonOrganisationen und Organisationsnetzwerken mit dem Ziel, leistungs-fähiger zu werden, selbst geleistet werden. Diese Veränderungs-prozesse umfassen Strukturen, Prozesse und die in der Organisationarbeitenden Menschen. Der Input, den z.B. Berater dabei leisten zieltauf den Aufbau und die Stärkung organisationsinterner Verände-rungskapazität.PPPPParadoxearadoxearadoxearadoxearadoxe InterventionInterventionInterventionInterventionIntervention ist eine Technik der systemischen Organi-sationsberatung. Diese zielt darauf ab den Klienten durch die Interven-tion des Beraters eigene, oft unerwartete Lösungen für Aufgaben fin-den zu lassen, für die sonst vielleicht wieder auf den Berater zurückge-griffen worden wäre. Im Unterschied zu konventionellen Interventionen,z.B. in der Expertenberatung, sollen keine Verhaltensanweisungen(von außen) gegeben werden, sondern der Klient soll seine eigenenKompetenzen und Potentiale mobilisieren und darüber seine Problem-situation selbst ändern.Redundanz Redundanz Redundanz Redundanz Redundanz soll hier in Erweiterung der sonst üblichen Definition alsallgemein kontinuierliche Aspekte wie Wiederholbarkeit, langfristigeZiel- und Aufgabenorientierung und Erfahrensbildung verstanden wer-den. Mehrfach vorhandene Informationen (nicht nur) in Netzwerkenkönnen die Verfügbarkeit bzw. Rekonstruierbarkeit dieser Informatio-nen erheblich verbessern und darüber dezentrale autonome Hand-lungsfähigkeit auf der Grundlage gemeinsamer Grundsätze vereinfa-chen oder erst ermöglichen. Andererseits kann das Vorhandenseinderselben Informationen an unterschiedlichen Positionen eines Netz-werks schnell dazu führen, dass falsche oder nicht mehr aktuelle Infor-mationen entscheidungs- bzw. handlungsleitend werden.ReflexionReflexionReflexionReflexionReflexionDie Fähigkeit von Menschen und sozialen Systemen, sich selbst zuthematisieren und sich selbst als geeignete Umwelt (attraktiver Part-ner) anderer Menschen bzw. sozialer Systeme zu denken, wird durchden Begriff Reflexion beschrieben. Reflexion setzt eine Vorstellung, eininneres Modell oder eine innere Landkarte voraus, die als Bezugs-rahmen für die eigenen Handlungen des jeweiligen Systems geeignetsind. Reflexion ist eine mögliche Form der Selbststeuerung in komple-xen SituationenReziprReziprReziprReziprReziprokerokerokerokeroker AusgleicAusgleicAusgleicAusgleicAusgleichhhhh unterscheidet sich vom vertraglich geregeltenTausch allgemein akzeptierter Äquivalente (im allgemeinen: Geld) undbezeichnet den Umstand, dass Akteure ihre materiellen Güter, Dienst-leistungen oder Bedürfnisse lediglich gegen angemessene oder unge-fähre Gegenleistungen austauschen. Diese Form des Austausches istan nicht geldvermittelte, soziale oder emotionale Bindungen gekoppelt.Die Tauschpartner verbindet eine gemeinsame Vergangenheit mit ge-meinsamen Erfahrungen und eine erwartbare gemeinsame Zukunft.

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Der Tausch ist nicht vertraglich, sondern vertrauensbasiert.SelbstrSelbstrSelbstrSelbstrSelbstreferefereferefereferentialitentialitentialitentialitentialitätätätätätDieser Begriff beschreibt die grundlegende „Geschlossenheit“ von Sy-stemen. Damit ist gemeint, dass eine Strukturveränderung nur ausdem System selbst heraus entstehen kann. Jedoch können struktur-ändernde Systemstörungen durchaus durch Einflüsse der Umweltausgelöst werden. Ob ein externes Ereignis auf das System einwirkenkann und, wenn ja, in welcher Weise und Stärke, legt das System fest.SinnSinnSinnSinnSinnGrundlegendster und gerade deshalb schwierigster Begriff der Theo-rie sozialer Systeme ist SINN. Er bezeichnet die (Teil-)system-spezifischen Kriterien, nach denen Dazugehöriges und Nicht-dazugehöriges unterschieden wird; damit ist Sinn immer (teil)-system-spezifisch. Gleichzeitig erlauben aber nur gemeinsame SinngehalteInteraktionen und Kommunikationen zwischen (Teil-)Systemen. Sinnstellt sich zum einen in Weltbildern, Werten, Rollen etc. dar, zum ande-ren wird er in konkreten Interaktionen produziert und ausgehandelt.Menschen orientieren sich sinnhaft in ihrer Welt.SozialesSozialesSozialesSozialesSoziales NetzwerkNetzwerkNetzwerkNetzwerkNetzwerkEin soziales Netzwerk besteht aus einer Menge von Akteuren und denzwischen den Akteuren bestehenden Beziehungen. Es kann als Gra-phik dargestellt werden, indem man Akteure als Knoten und Beziehun-gen als Linien darstellt.SozialkapitSozialkapitSozialkapitSozialkapitSozialkapitalalalalal stellt eine Ressource dar, die sich einerseits aus derZugehörigkeit zu einer Gruppe, zu bestimmten Netzwerken ergibt. Esist insofern als individuelles Gut zu begreifen. Andererseits entwickeltSozialkapital erst in seinem kollektiven Zustand seine Wirksamkeit undkann so Lösungsmöglichkeiten für Probleme kollektiven Handelns pro-duzieren. Als einer der Begründer der systemorientierten Sozial-kapitalforschung gilt Robert D. Putnam. In Anlehnung an Putnam wer-den für das Sozialkapital von sozialen Einheiten drei Charakteristika,strukturelle (soziale Netzwerke), kulturelle (Normen, Werte) und zwi-schenmenschliche Faktoren (Vertrauen) benannt. Die sozialen Bezie-hungen werden somit zur Ressource. Sozialkapital ist in seinem kol-lektiven Sinne als Gemeinschaften zu verstehen Deren strukturellesPotential liegt in der Kooperationsbereitschaft innerhalb und zwischenden Gemeinschaften. Die Kooperation produziert dann ein Ergebnis,dass höher ist als das der Kooperationen der einzelnen Individuenoder einzelnen Gemeinschaften. Diese strukturelle Dimension ist inden Konzeptionen von Bourdieu und Colemen angelegt. Wenn es umdie Bestimmung des Verhältnisses zwischen Netzwerken zivil-gesellschaftlichen Engagements, dem Staat und dem Markt gehen soll,dann muss die soziostrukturelle Dimension des Konzepts beachtetwerden. Es gilt jedoch auch die „Kehrseite der Medaille“ z.B. Diskrimi-nierung oder Ausschluss aus einer Gruppe zu beachten, insbesonderewenn diesem Konstrukt Produktivkraftcharakter zugemessen wird. ZurKarriere des Begriffs hat wohl besonders die Metapher des „Kapitals“

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beigetragen, die fälschlich eine unmittelbare ökonomische Verwertbar-keit suggeriert.ZirkularitZirkularitZirkularitZirkularitZirkularitätätätätät34 von Lern- und Entwicklungsprozessen lässt sich amSteuern eines Bootes verdeutlichen. Was macht ein Steuermann, dersein Schiff sicher in den Hafen manövrieren möchte? Er verfolgt keinstarr festgelegtes Programm, er variiert sein Handeln permanent. Wenndas Boot vom Kurs abweicht, weil der Wind so stark bläst, schätzt erdiese Kursabweichung ein. Er versucht, den Fehler zu korrigieren. Viel-leicht steuert er etwas zu stark gegen. Das Ergebnis wäre eine Kursab-weichung nach rechts – und die Notwendigkeit, erneut gegenzu-steuern. In jedem Moment wird die Abweichung in Relation zu dem insAuge gefassten Ziel, dem Hafen, korrigiert. Das Betätigen des Steuers,eine Ursache, erzeugt also eine Wirkung; das ist die Kurskorrektur.Und diese Wirkung wird wieder zu einer Ursache, denn man stellt eineneue Kursabweichung fest. Und diese erzeugt ihrerseits eine Wirkung,nämlich wiederum eine Kurskorrektur. Solche Steuerungsvorgängesind ein wunderbares Beispiel zirkulärer Lern- und Entwicklungspro-zesse.Die Geschichte eines Netzwerkes als Lern- und Entwicklungspotentialnutzen zu können, setzt aber voraus, dass dies lange genug existiert,um retrospektiv wahrgenommen zu werden.

___34 siehe: Heinz von Foerster und Bernhard Pörksen: „Wahrheit ist die Erfindung

eines Lügners – Gespräche für Skeptiker“ Carl-Auer-Systeme Verlag, Hei-delberg, 1998.

ReUse-Computer – Netzwerk für Nachhaltigkeit Frank Becker

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DieDieDieDieDie KKKKKonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsanalyseanalyseanalyseanalyseanalysealsalsalsalsals GrundlageGrundlageGrundlageGrundlageGrundlage strategiscstrategiscstrategiscstrategiscstrategischerherherherher NetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicNetzwerkentwicklungklungklungklungklung

Susanne Schön, Benjamin Nölting, Martin Meister

11111..... EinleitungEinleitungEinleitungEinleitungEinleitungSoziale Netzwerke sind komplexe Gebilde, in denen unter-schiedliche Akteure mit teilweise sehr verschiedenen Interessenaufeinander treffen, ohne in eine hierarchische Form der Ar-beitsteilung eingebunden zu sein. Daher ist dauerhafte Koope-ration schwieriger zu erreichen, zu planen und zu kontrollieren –die Beteiligten ziehen nicht nur an einem Strang, sondern kon-kurrieren zugleich miteinander, und genau das macht nach Mei-nung der Ökonomen und Netzwerkforscher die Flexibilitätsvor-teile von vernetzter Zusammenarbeit aus. Dieser Unterschied zur„klassischen“ Form von Organisation besteht auch dann, wennein Partner im Netzwerk ein deutliches Übergewicht an Machtund Einfluss hat. Auch in solchen „strategischen Netzwerken“lassen sich die übrigen Partner nicht per bürokratischer Regeloder Entscheid einer Leitung zu irgendetwas bewegen1 .Das gilt auch für das ReUse-Netzwerk, in dem sich Unternehmenund ein Forschungsprojekt in der Erwartung sozialer und öko-nomischer Gewinne über den Tag hinaus zusammengeschlos-sen haben. Sie arbeiten zusammen, obwohl sie zugleich Kon-kurrenten sind. Sie verfolgen im und mit dem Netz unterschied-lichste Ziele. Das macht die Strategieentwicklung nicht geradeeinfacher: Wie können die Ressourcen der einzelnen Akteure fürgemeinsame Ziele gebündelt werden? Wie findet man heraus,wen man einbinden muss, um als Netzwerk effizient zu arbeitenund stabil zu werden? Wie können aber auch die konkurrieren-den Interessen und Ansichten der Mitglieder als Quelle für Inno-vationen und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit genutztwerden, um einer Erstarrung des Netzwerkes vorzubeugen? Wieentwickelt man tragfähige Strategien, die auch tatsächlich anden Kernpunkten der Netzwerkbildung ansetzen und die verfüg-baren Kompetenzen zielgerichtet einsetzen?Über diese Fragen hinaus wird die Zusammenarbeit in Netzwer-ken noch dadurch verkompliziert, dass sie in ein vielfältiges Be-ziehungsgeflecht mit anderen, heterogenen Elementen einge-bettet sind: Sie werden gerahmt von gesetzlichen Vorschriften,___1 Diese Sichtweise von sozialen Netzwerken ist klassisch bei POWELL 1990formuliert. Vgl. zur Konzeption der „strategischen Netzwerke“ den Sammel-band SYDOW und WINDELER 2000 sowie zur Koordination von Netzen überVertrauen ELLRICH et al. 2001.

Schön, Nölting, Meister Konstellationsanalyse und Netzwerkentwicklung

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Konstellationsanalyse und Netzwerkentwicklung Schön, Nölting, Meister

Konzepten und Ideologien. Sie treffen auf technische Elemente,die manchmal ein erstaunliches Eigenleben entwickeln. Sie ba-sieren immer auch auf natürlichen Ressourcen. Netzwerke undihre sozialen Akteure müssen sich auf diese schillernde, teilwei-se zerklüftete Umwelt einstellen.Daher müssen sie auch in solchen komplexen Konstellationenbeschrieben und analysiert werden, wenn man Erfolg verspre-chende Strategien der Netzwerkbildung und -entwicklung for-mulieren will. Wie lässt sich das bewerkstelligen? Es wird einInstrumentarium benötigt, das die analytische und gestalteri-sche Zusammenarbeit verschiedener fachlicher Expertisen er-möglicht – und zwar auf einer gleichberechtigten Ebene, damitnicht von vorneherein dominierende Blickwinkel, Erklärungs-muster und Interessen die Konstellation einseitig beschreibenund damit eine instabile Grundlage für die Strategieentwicklunggeschaffen wird.Für diese Art der Zusammenarbeit haben wir in einer kleinenArbeitsgruppe am Zentrum Technik und Gesellschaft der TUBerlin ein Verfahren entwickelt, mit dem man das Zusammenwir-ken heterogener Elemente in komplexen Konstellationen unter-suchen und multiperspektivische Strategien entwickeln kann:Die Konstellationsanalyse (SCHÖN et al. 2004). Sie wurde fürdie interdisziplinäre Zusammenarbeit entwickelt, ist aber auchfür die Kooperation von wissenschaftlichen und außerwissen-schaftlichen Partnern nutzbar – und unserer Meinung nach auchfür die Strategieentwicklung in Netzwerken geeignet.Im diesem Beitrag stellen wir zunächst einige Grundzüge derKonstellationsanalyse dar. Dann zeigen wir am Beispiel desReUse-Netzwerkes, wie eine Konstellationsanalyse konkret vorsich geht und entwickeln auf der Grundlage dieser Analyse Stra-tegien zur Stabilisierung des ReUse-Netzwerkes. Schließlichwollen wir kurz anreißen, für welche Anwendungsbereiche mandie Konstellationsanalyse über die Strategieentwicklung hinausnoch verwenden kann.

2.2.2.2.2. DieDieDieDieDie KKKKKonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsanalyseanalyseanalyseanalyseanalyse alsalsalsalsals eineeineeineeineeine MethodeMethodeMethodeMethodeMethodefürfürfürfürfür eineeineeineeineeine multiperspektiviscmultiperspektiviscmultiperspektiviscmultiperspektiviscmultiperspektivischehehehehe ZusZusZusZusZusammenarbeitammenarbeitammenarbeitammenarbeitammenarbeit

Grundlegender Gedanke der Konstellationsanalyse ist, dass siemit ihren Begrifflichkeiten, Fragen und Darstellungsformen fürdie unterschiedlichsten fachlichen und beruflichen Hintergrün-de eine Plattform zur gemeinsamem Verständigung bietet. Sie istdamit ein Instrument zur Strukturierung, Analyse und Gestaltungvon komplexen Konstellationen.

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Konzeptionelle Kernpunkte der Konstellationsanalyse sind ers-tens die gleichrangige Betrachtung heterogener Elemente. Wirunterscheiden die Elemente nach vier Typen: soziale Akteure(z.B. Individuen, Familien, Organisationen, Unternehmen), natür-liche Elemente (z.B. Meer, Klima, Tiere), technische Artefakte(z.B. Maschinen, Häuser, Straßen) und Zeichensystem-Elemente(beispielsweise Gesetze, Konzepte, Software). Zweitens fokus-sieren wir die Beziehungen zwischen den Elementen und be-trachten die Wechselwirkungen2 . Drittens entwickeln wir dieKonstellationen aus ihren unterschiedlichen Elementen und de-ren Beziehungen heraus und gehen nicht vorab von übergrei-fenden Theorien zur Erklärung der Konstellation aus.Methodische Prinzipien der Konstellationsanalyse sind aaaaa))))) eineallgemein verständliche Sprache, bbbbb))))) der Einsatz einer visuellgestützten Darstellungs- und Untersuchungsmethodik und ccccc)))))die gemeinsame Einigung der Beteiligten darauf, wie die zu un-tersuchende Konstellation charakterisiert und interpretiert wer-den kann.

KKKKKonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsanalyseanalyseanalyseanalyseanalyse ––––– wiewiewiewiewie gehtgehtgehtgehtgeht dasdasdasdasdas?????Als erstes kartiert man die Konstellation, indem man die wichtig-sten Elemente identifiziert und sie entsprechend ihrer Beziehun-gen zueinander räumlich anordnet. Man sammelt dabei alles,was in der Konstellation eine Rolle spielt: Menschen, Organisa-tionen und Institutionen, Technik, natürliche Elemente und Zei-chensysteme (das können Gesetze sein, Beratung, Preis, Wer-bung, Lizenzen etc.). Diese Elemente werden mit Hilfe von Kärt-chen graphisch dargestellt und zueinander in Beziehung ge-setzt. Die so entstehenden Graphiken oder „Karten“ werden ausverschiedenen Blickwinkeln angeschaut und gegebenenfallsneu angeordnet. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass der Wech-sel zwischen graphischer Veranschaulichung und sprachlicherBeschreibung zu einem immer klareren Verständnis der Kon-stellation führt.In einem zweiten Schritt analysiert und interpretiert man dieFunktionsprinzipien und Charakteristika der Konstellation. Dazugehört die mögliche Unterscheidung von Teilkonstellationen und

___2 Die Fokussierung auf Relationen und die gleichberechtigte Einbeziehung ver-schiedener Elementtypen sind von den Konzeptionen der „sozio-technischenKonstellationen“ (etwa HUGHES 1987 und RAMMERT 2003) sowie der Aktor-Netzwerk-Theorie (etwa CALLON 1986 und LATOUR 1987) inspiriert, allerdingsfür die Nutzung als interdisziplinäres Brückenkonzept bewusst simplifiziert undmethodisch zugespitzt worden.

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Konstellationsanalyse und Netzwerkentwicklung Schön, Nölting, Meister

deren Bezeichnung mit Überschriften. In diesem Schritt müssendie unterschiedlichen Erklärungsansätze verschiedener Wissen-schaftsdisziplinen und Berufe für die Konstellation möglichstweitgehend zur Deckung gebracht – oder zumindest alternativeInterpretationen deutlich gemacht werden.Diese beiden Schritte sind grundlegend für jede Konstellations-analyse und stellen sozusagen den standardisierten Kern dar.Darauf aufbauend kann man verschiedenen Fragestellungennachgehen. Während zwei weitere Möglichkeiten am Schlussnoch skizziert werden, geht es hier jetzt um die Strategie-entwicklung im Netzwerk. Die Frage ist: Wie kann man das Netz-werk unter den gegebenen Bedingungen und Chancen der Kon-stellation in eine wünschenswerte Richtung weiterentwickeln?

3.3.3.3.3. DieDieDieDieDie AnalyseAnalyseAnalyseAnalyseAnalyse komplexerkomplexerkomplexerkomplexerkomplexer KKKKKonstellationenonstellationenonstellationenonstellationenonstellationenamamamamam BeispielBeispielBeispielBeispielBeispiel vonvonvonvonvon ReUseReUseReUseReUseReUse

Zunächst wird die „Normalsituation“ der PC-Verwendung kar-tiert, die wir als „dominante Konstellation“ bezeichnen, weil siedas Verhalten der allermeisten NutzerInnen prägt. Die Software(Zeichensystem-Element), monopolartig von Microsoft entwik-kelt und verkauft, trifft auf eine Hardware (technisches Artefakt),deren Leistung sich nach dem Moore’schen Gesetz alle zweiJahre verdoppelt. Dadurch entsteht ein Kreislauf wechselseitigerBeschleunigung. Mehr Rechnerleistung zieht größere Program-me und neuartige Anwendungen nach sich und umgekehrt, waszu ständigen Entwertungsprozessen führt: Entweder ist derRechner zu langsam oder die Software veraltet oder beides. DieFolge ist nicht nur eine Vernichtung von ökonomischem Kapital,sondern auch eine erhebliche Umweltbelastung, denn PCs wei-sen bei ihrer Herstellung einen hohen Naturverbrauch, einen sogenannten ökologischen Rucksack, auf.Aus dieser Aufschaukelbewegung ergeben sich direkt oder indi-rekt weitere Elemente: die Softwareinkompatibilität, sobald mandie Microsoft-Welt verlässt, die zunehmende Vernetzung ver-schiedenster Funktionen und Geräte (Foto, Fax, Internet, Telefonetc.) und der Preisverfall von neuen PCs. Zur dominanten Kon-stellation gehört nicht zuletzt der „DAU“: der dümmste anzuneh-mende User – also ganz normale NutzerInnen, wie wir beispiels-weise, die beim PC-Gebrauch häufig auf Hilfe angewiesen sind.In der Logik der dominanten Konstellation müssen sie auch ge-nau das bleiben, damit alles so weiterläuft wie bisher. Denn ge-gen die Unsicherheit der NutzerInnen im Umgang mit Hardwareund Software und gegen die ständig drohenden Pannen werden

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immer neuere, leistungsfähigere PCs und Programme angebo-ten. Dieses Funktionsprinzip der dominanten Konstellation be-zeichnen wir als „Neuigkeitsideologie“.An Hand dieser Elemente und ihrer Beziehungen lässt sich dieTeilkonstellation „dominante Konstellation“ als Ausgangsbedin-gung für das ReUse-Netzwerk wie folgt graphisch darstellen(vgl. Abb. 1). Die verschiedenen Schriftformen kennzeichnen dieverschiedenen Elementtypen: normal für menschliche Elemen-te/soziale Akteure, kursiv für Zeichensysteme und GROßBUCH-STABEN für technische Artefakte.

Abb. 1: Dominante Konstellation als Ausgangsbedingung

Vor diesem Hintergrund kartieren wir im nächsten Schritt jeneTeil-Konstellation, in der das ReUse-Netzwerk die PC-Verwen-dung Ressourcen schonender gestalten will: Die „ReUse-Kon-stellation“. Normalerweise wandern die alten PCs in den Müll.Das Forschungsprojekt (sozialer Akteur) versucht das zu än-dern, indem es aus der gebrauchten Hardware (technisches Ar-tefakt) und „gebrauchten“ Software-Lizenzen (Zeichensystem),mit der Unterstützung von PC-Händlern (sozialer Akteur), die dieIdee mit tragen, das ReUse-Produkt zusammenstellen: Eine je-weils individuell zugeschnittene Hardware/Software-Kombinati-on. Wesentliches Merkmal ist dabei eine ausführliche Beratung(Zeichensystem) der Kunden und die Abstimmung des Produkts

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auf deren genauen Bedarf. Die ReUse-Kundin ist somit ein leichtweitergebildeter DAU. Die Systemadministratoren gehören zurdominanten und zur ReUse-Konstellation und setzen, weil sieunter einem ähnlichen Druck und unter Untersicherheit stehenwie die DAUs, nur auf höherem Niveau sozusagen, routinemäßigauf das Neueste und nicht auf das Bedarfsgerechte. Sie sind fürdie ReUse-Konstellation ein destabilisierendes Element, weil siedie Weiterverwendung „alter“ Geräte und Software tendenziellablehnen, auch wenn sie den Nutzungsansprüchen gerechtwerden könnten, weil die neueste Technik die größte Sicherheitfür die Stabilität der Computer-Netzwerke zu versprechenscheint und am wenigsten Arbeit macht. In der ReUse-Konstella-tion spielt auch Linux eine gewisse Rolle.Somit stellt sich die ReUse-Konstellation als eine Acht dar:im oberen Teil werden die Produkte und Leistungen erstellt (An-gebot), im unteren Teil werden die KundInnen eingebunden(Nachfrage) (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: ReUse-Konstellation: Elemente und Relationen

Wie verhalten sich nun die beiden Teilkonstellationen – dieReUse- und die dominante Konstellation – zueinander? In derGesamtkonstellation (vgl. Abb. 3) wird deutlich, dass die domi-nante Konstellation wie ein Keil in die ReUse-Konstellation hin-einragt und sich zwischen das ReUse-Anbieter-Netz und die

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Kunden drängt. Den KundInnen wird das ReUse-Produkt mitproaktiver Beratung schmackhaft gemacht, aber von sich ausbedienen sie sich genauso wie die SystemadministratorInnenroutinemäßig in der dominanten Konstellation. In der einen gehtes um Neues, in der anderen um den Nutzwert – zwei sich ge-genseitig nahezu ausschließende Funktionsprinzipien.

Abb. 3: Gesamtkonstellation aus dominanter und ReUse-Konstellation

Denkt man sich den Keil der dominanten Konstellation weg, wirddeutlich, dass das ReUse-Netzwerk hier eine offene Flanke hatund die Acht der ReUse-Konstellation unvollständig ist. Die do-minante Konstellation verhindert die Rückbindung der ReUse-Nutzer an den Funktionskern des ReUse-Netzwerks. Das bringtuns zur Strategieentwicklung: Wie kann man die ReUse-Kon-stellation zum Zweck der Ressourcenschonung in der PC-Ver-wendung unterstützen und stabilisieren?

4.4.4.4.4. StrategieentwicStrategieentwicStrategieentwicStrategieentwicStrategieentwicklungklungklungklungklung zurzurzurzurzur NetzwerkbildungNetzwerkbildungNetzwerkbildungNetzwerkbildungNetzwerkbildungDie dominante Konstellation ragt wie ein Keil in die ReUse-Kon-stellation hinein und macht die Beziehung zwischen ReUse-An-bietern und Computernutzern fragil. Zentral gegenüber stehensich dabei verschiedene Handlungsrationalitäten: Neuigkeits-ideologie vs. Nutzwertorientierung. Das ist, nebenbei bemerkt,

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eine recht typische Situation für Nachhaltigkeitsprojekte. DieKonstellationsanalyse hat die Funktionsprinzipien der Teil-konstellationen und der gesamten Konstellation PC-Verwen-dung deutlich gemacht und die Stärken und Schwächen derReUse-Teilkonstellation offen gelegt. Sie bildet damit eine grund-legende Voraussetzung für die Strategieentwicklung.Die Vorgehensweise der Konstellationsanalyse hat für die Stra-tegieentwicklung weiter den Vorzug, dass sich aus der graphi-schen Darstellung einzelne Elemente herausnehmen oder neueElemente einfügen lassen und somit hypothetische Veränderun-gen der Konstellation bzw. die Wirkung einzelner Handlungenoder Strategien relativ gut abschätzen lassen. Die Methode be-stehend aus graphischer Darstellung, sprachlicher Beschrei-bung und gemeinsamer Aushandlung von Interpretationen derKonstellation eignet sich also auch für die Strategieentwicklung.Grundsätzlich gibt es zwei Wege, die ReUse-Konstellation zustärken: indem man destabilisierende Element identifiziert undsich an ihnen abarbeitet, oder indem man neue Elemente in dieKonstellation einführt, um sie zu stärken. Als strategische Frageergibt sich: Soll ReUse seine begrenzten Ressourcen dafür ein-setzen, sich mit der dominanten Konstellation auseinander zusetzen, oder dafür, die eigene Konstellation stabil zu machen.Unserer Ansicht nach kann man sich an den destabilisierendenElementen endlos und mit lediglich mäßigen Erfolgsaussichtenabarbeiten. Stattdessen wurden drei alternative, aber sich er-gänzende Teilstrategien entwickelt, die man je nach verfügbarenRessourcen und Kompetenzen miteinander kombinieren kann.Sie zielen auf eine soziale bzw. organisatorische, eine ökonomi-sche und eine technologische Stabilisierung der ReUse-Kon-stellation im Sinne einer eigendynamischen und selbst tragen-den Entwicklung.Eine erste Strategie hat die soziale und organisatorische Stabili-sierung des ReUse-Netzwerks im Blick. Es stellt sich nämlich dieFrage, was passiert, wenn das Forschungsprojekt nach demEnde der Förderung aus der Konstellation heraus fällt. Wie orga-nisiert und stabilisiert man dann die sozialen Beziehungen zwi-schen Altgerätelieferanten, HändlerInnen und NutzerInnen in derKonstellation?

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Abb. 4: Soziale Stabilisierung des ReUse-Netzwerks

Das Forschungsprojekt spielt in der ReUse-Konstellation einezentrale Rolle, wie die vielfältigen Verbindungspfeile in der Grafikzeigen (vgl. Abb. 4). Es stellt somit den organisatorischen undsozialen Kern des Netzwerks dar, hat aber nur eine begrenzteLaufzeit. Das Netzwerk will langfristig weiterarbeiten und bedarfdaher eines Ersatzes für die vielfältigen Funktionen desForschungsprojekts. Stellt sich also die Frage: Was passiert da-nach? Der Weg von ReUse ist es, neue Elemente in die Konstel-lation einzuführen, welche die Aufgaben des Forschungs-projekts übernehmen. Es wurde beispielsweise ein Verein ge-gründet, der einen Teil der Aufgaben übernimmt, oder die Be-schaffung von Altgeräten professionell organisiert. Diese Strate-gie birgt allerdings die Gefahr, dass der Zusammenhang seinenspezifischen Netzwerkcharakter verliert, und ReUse sich in eineganz „gewöhnliche“ hierarchische Organisation verwandelt. DieKonstellationsanalyse hilft somit nicht nur dabei, weitere für dasBestehen des Netzwerks unabdingbare Funktionen zu heraus-zuarbeiten, sondern diese Gefahr zumindest zu markieren, wiean der Grafik unschwer abzulesen ist. Die soziale Stabilisierungdes Netzwerkes kann daher aus unserer Sicht höchstens einBestandteil eine Stabilisierungsstrategie sein, die den Netzwerk-charakter von ReUse aufrechterhalten möchte.

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Die zweite Frage: Wie kriegt man den ökonomischen Teil derKonstellation stabil? Dazu muss vor allem der untere Teil derAcht geschlossen werden, nämlich die engere Anbindung derNutzerInnen an die ReUse-Konstellation.

Abb. 5: Ökonomische Stabilisierung der Konstellation (TUB=TU Berlin)

Eine Strategie ökonomischer Stabilisierung kann auf Wachstumsetzen. Da die Privatkunden nur mit großem Aufwand als Kundenzu gewinnen sind und relativ wenig Umsatz versprechen, wirdeine Erweiterung des Geschäftsfelds in Richtung gewerblicherGroßkunden bzw. Organisationen angestrebt. Zurzeit wird ver-sucht, die TU Berlin als Großkunden für ReUse zu gewinnen (vgl.Abb. 5).Schließlich stellt sich die Frage, wie der technische Teil der Kon-stellation stabilisiert werden kann? In der dominanten Konstella-tion haben wir es mit hoch standardisierten Angeboten zu tun.Die ReUse-Produkte basieren eher auf einer Patchwork-Technik.Hier ist zu überlegen, ob die ReUse-Produkte noch stärker stan-dardisiert werden können.Im dritten Strategieansatz geht es daher um die Stabilisierungdurch die Technikgestaltung. Die Kombination von Software undHardware speziell für jeden einzelnen Kunden und deren Bera-tung ist mit hohem Aufwand verbunden. Die Beratung ist jedochwichtig, um den KundInnen die Unsicherheit zu nehmen.

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Eine Möglichkeit wäre nun, standardisierte Hardware-Software-Kombinationen so zu schnüren, dass sie als Paketlösungen fürbestimmte Nutzergruppen einerseits und als Server-Pakete fürSystemadministratoren andererseits angeboten werden können(vgl. Abb. 6). Damit könnte die aufwändige und kostenintensiveEinzelfallbetreuung als Geschäftsfeld etwas in den Hintergrundtreten.

Abb. 6: Technische Stabilisierung durch standardisierte Paketlösungen

Über den politischen Teil der Konstellation haben wir noch garnicht geredet. Auffällig ist, dass relativ wenige Gesetze in derKonstellation sind (auch wenn man die hier noch fehlendeElektronikschrott-Verordnung hinzu zählt). Der Bereich ist alsovergleichsweise unterreguliert, was ReUse das Leben zum Teilschwer macht. Lobbying könnte also auch Teil der Gesamt-strategie sein.Welche Vorteile bietet nun die Konstellationsanalyse für dieStrategieentwicklung? Zentral ist: Indem man sich aus ver-schiedenen Perspektiven (TechnikerInnen, Kaufleute, Wissen-schaftlerInnen aller Couleur) auf eine grafische Darstellung ei-nigt, entwickelt man eine gemeinsame Problemsicht und bringtsehr unterschiedliches Wissen und Erfahrungen für eine Pro-blemlösung ein. Dadurch verbreitert sich nicht nur dieInformationsbasis, sondern verdeckte Widersprüche und Ge-

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gensätze kommen ans Licht. Das hypothetische Durchspielenunterschiedlicher Ideen regt nicht nur die Phantasie für weitereLösungen an, sondern mittels der Konstellationsanalyse lassensich auch deren mögliche Wirkungen aus unterschiedlichenPerspektiven analysieren und Schwachstellen leichter erken-nen. Nicht zuletzt ist eine gemeinsame Problemsicht eine Vor-aussetzung für gemeinsame getragene Lösungen und Strategi-en in einem Netzwerk. Dabei bleibt es den Mitgliedern des Netz-werkes unbenommen, ihre eigenen, z.B. ökonomischen Interes-sen zu verfolgen. Dies kann gerade Quelle für neue Impulse imNetzwerk sein.

5.5.5.5.5. WWWWWeitereitereitereitereitereeeee AnwendungsberAnwendungsberAnwendungsberAnwendungsberAnwendungsbereiceiceiceiceichehehehehe derderderderder KKKKKonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsanalyseanalyseanalyseanalyseanalyseAn dieser Stelle sollen noch zwei weitere Anwendungsbereicheder Konstellationsanalyse vorgestellt werden, an Hand derer wirzurzeit die Konstellationsanalyse in Forschungsprojekten kon-zeptionell weiterentwickeln.Einmal geht es um die Analyse und Darstellung von zeitlichenEntwicklungsprozessen und Dynamiken in komplexen Konstel-lationen. Hier zeichnen wir am Beispiel der Windenergieent-wicklung in der Bundesrepublik nach, wie sich die Konstellationim Zusammenspiel von technischen Elementen (von kleinen zusehr großen Anlagen), sozialen Akteuren (von Einzelpersonenzu den großen Unternehmen bei den Offshore-Anlagen), natürli-chen Elementen (vom Wind im Überfluss bis zum nagendenSalzwasser) und Zeichensystemen (von den fehlenden geneh-migungsrechtlichen Grundlagen am Anfang bis zum Energieein-speisegesetz) entwickelt haben. Mittels der Konstellationsana-lyse soll nachgezeichnet werden, was treibende Kräfte und cha-rakteristische Muster dieser Technikentwicklung sind.In einem anderen Projekt geht es um die Strukturierung wissen-schaftlicher und gesellschaftlicher Diskurse zu konkreten Pro-blemlagen: Am Beispiel der Debatte um die künftige Ausrichtungdes Hochwasserschutzes in der Elbe-Mulde-Region wird nach-gezeichnet, wie die unterschiedlichen Akteure dem zentralenElement in der Konstellation, der Elbe, höchst unterschiedlicheRollen zuweisen: Ökosystem, Verkehrsweg, touristische Attrakti-on, Wirtschaftsfaktor, Hochwasserbedrohung. Das Verdeutlichender Perspektivenvielfalt und der entsprechend unterschiedli-chen Bewertungen und Gestaltungsansätze kann die Debattestrukturieren und blockierende Denk- und Handlungsmuster lö-sen helfen.

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6.6.6.6.6. PluspunktePluspunktePluspunktePluspunktePluspunkte derderderderder KKKKKonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsonstellationsanalyseanalyseanalyseanalyseanalyseDie Entwicklung der Konstellationsanalyse ist work in progress.Uns ist wichtig, dass sie in der konkreten Zusammenarbeit ver-schiedener Disziplinen funktioniert, und bislang haben wir guteErfahrungen damit gemacht. Es gibt noch jede Menge offenerFragen. Wir erproben sie in Forschungsprojekten mit verschie-denen Fragestellungen und entwickeln sie auf diese Weise wei-ter. Sie ist noch nicht ausgereift, und sie wird auch nie fertig sein,weil sie von uns als lernendes Instrument konzipiert ist.Das Beispiel ReUse zeigt unseres Erachtens die Vorzüge derKonstellationsanalyse:11111..... Sie strukturiert visuell komplexe Debatten und Problemfelder,die aus der Sicht einer einzelnen Wissenschaft oder Professionnur unzureichend erfasst werden können. Bei der Visualisierungvergewissert man sich permanent über das gemeinsame Ver-ständnis und die gemeinsame Interpretation des Feldes.2.2.2.2.2. Sie fördert durch ihren sprachlichen, visuellen und kooperati-ven Ansatz die Verständigung zwischen den Disziplinen, aberauch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.3.3.3.3.3. Durch ihren bausteinartigen Aufbau von unten (Elemente undBeziehungen, Teilkonstellationen, Gesamtkonstellation) könnenheterogene Elemente gleichrangig eingebracht und aufeinanderbezogen werden, ohne dass eine Disziplin Vorrang beanspruchtund damit ihr “unbekannte” Elemente und Strukturen quasi au-tomatisch Nebenrollen zuweist. Prinzipiell können Technologie,soziale Aspekte wie Vertrauen, Recht, ökonomisches Kalkül undPolitik alle zur Lösung von Problemen beitragen.4.4.4.4.4. Da sie von Elementen anstatt von Disziplinen oder Theorienausgeht, ist sie vielfältig (an verschiedene Disziplinen) an-schlussfähig.5.5.5.5.5. Sie ist vielfältig einsetzbar: für unterschiedliche Fragestellun-gen und Anwendungsbereiche.6.6.6.6.6. Nicht zuletzt regt die Methode der Konstellationsanalyse mitihren spielerischen Elementen die Phantasie an und bereitet denBoden für innovative Vorschläge. Oder kurz gesagt: Das Arbei-ten mit ihr macht Spaß.

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LLLLLiteraturiteraturiteraturiteraturiteratur

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RAMMERT, Werner (2003): Technik in Aktion: Verteiltes Handeln in sozio-technischen Konstellationen. S. 289-315 in: Thomas Christaller und JosefWehner (Hg.), Autonome Maschinen. Campus: Frankfurt a.M.

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ZusZusZusZusZusammenfassungammenfassungammenfassungammenfassungammenfassungvon Wvon Wvon Wvon Wvon Wolfgang Endlerolfgang Endlerolfgang Endlerolfgang Endlerolfgang Endler

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228 ReUse-Computer – Entschleunigung der Ökonomie

AutorAutorAutorAutorAutorenverzeicenverzeicenverzeicenverzeicenverzeichnis hnis hnis hnis hnis (Stand 24.5.05, 12:30)

ChristineChristineChristineChristineChristine Ax, Ax, Ax, Ax, Ax, M.A., Geschäftsführerin des Instituts für Produkt-dauer-Forschung i.p.f. Hamburg. Studium der Politischen Wis-senschaften, Volkswirtschaftslehre und Philosophie; gelernteJournalistin. Seit Anfang der 90er Jahre Forschung und Bera-tung von KMU und Handwerksunternehmen, bis 1999 Leitungder Zukunftswerkstatt e.V. der Handwerkskammer Hamburg.Seit 1999 selbständig. Von 2001 bis 2003 Mitglied des Green-peace-Aufsichtsrates.FFFFFrankrankrankrankrank BecBecBecBecBeckerkerkerkerker, , , , , Diplom-Volkswirt, früherer Gewerkschaftssekre-tär und .... bitte ergänzen!!!PPPPPeteretereteretereter BrBrBrBrBrödnerödnerödnerödnerödner,,,,, Dr.-Ing., Studium des Maschinenbaus, danachAssistent und Promotion am Institut für ProduktionstechnischeAutomatisierung der TU Berlin. Seit 1989 Leiter der AbteilungProduktionssysteme am Institut Arbeit und Technik im Wissen-schaftszentrum Nordrhein-Westfalen mit den ArbeitsgebietenGestaltung computerunterstützter Arbeit und organisationalerWandel.WWWWWolfgangolfgangolfgangolfgangolfgang BünsowBünsowBünsowBünsowBünsow, Dr.-Ing., Studium des Wirtschaftsingenieur-wesens an der TU Berlin, danach wissenschaftlicher Mitarbeiteram FB Informatik der TU Berlin bei der Arbeitsgruppe Umwelt-statistik (ARGUS). Seit 2000 Geschäftsführer der Flection GermanyGmbH in Berlin und Mitglied im ReUse-Computer Verein.StefanStefanStefanStefanStefan Ebelt, Ebelt, Ebelt, Ebelt, Ebelt, Dipl.-Betriebswirt, ist selbständiger Unternehmens-berater und Mitglied im Reuse-Computer Verein. Ein Arbeits-schwerpunkt ist die Beratung zum Rollout (Austausch von Hard-und Software).WWWWWolfgangolfgangolfgangolfgangolfgang Endler Endler Endler Endler Endler .................... bitte ergänzen!!!AnnetteAnnetteAnnetteAnnetteAnnette LLLLLeveneveneveneveneven, Dipl.-Psychologin in Berlin?? mit SchwerpunktUmweltpsychologie, Gesundheitspsychologie, Psycho-Neuro-Immunologie.MartinMartinMartinMartinMartin MeisterMeisterMeisterMeisterMeister, M.A., Studium der Politikwissenschaft, wissen-schaftlicher Koordinator für Innovationsforschung des ZentrumsTechnik und Gesellschaft der TU Berlin. Arbeitsschwerpunkte:Soziologie sozialer Netzwerke; Wissenschafts- und Technikfor-schung; Innovationsforschung.WWWWWolfgangolfgangolfgangolfgangolfgang Neef, Neef, Neef, Neef, Neef, Dr., Studium des Flugzeugbaus, später Ingenieurbei MBB Hamburg. Promotion in Soziologie zum Thema „Inge-nieure – Entwicklung und Funktion einer Berufsgruppe“. Ver-trauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung. Seit 1993 Leiter der„Zentraleinrichtung Kooperation“ (ZEK) an der TU Berlin. Arbeits-gebiete: Berufs- und Qualifikationsforschung zu Ingenieuren,

Autorenangaben

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ReUse-Computer

Technische Universität BerlinKooperations- und Beratungsstelle für Umweltfragen - kubusSekretariat FR 7-1Franklinstr. 28-2910587 Berlin-Charlottenburg

Studienreform im Ingenieurbereich.TTTTThomashomashomashomashomas NittkaNittkaNittkaNittkaNittka, Dr. Ing., Studium der Energie- und Verfahrens-technik, anschließend Assistententätigkeit am Institut für Aufbe-reitung von Roh- und Reststoffen der TU Berlin. Seit 1990 selb-ständig, Geschäftsführer in der 1999 gegründeten tricom GmbHmit Schwerpunkt Dienstleistungen, Consulting und Projektma-nagement. Mitglied im ReUse-Computer Verein.BenjaminBenjaminBenjaminBenjaminBenjamin NöltingNöltingNöltingNöltingNölting, Dr., Studium der Politikwissenschaft, seit2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Technik undGesellschaft der TU Berlin im Forschungsprojekt „RegionalerWohlstand neu betrachtet“. Arbeitsschwerpunkte: Nachhaltig-keitsforschung, Agrarpolitik, Regionalentwicklung und Institu-tionenanalyse.KKKKKarstenarstenarstenarstenarsten ScScScScSchischischischischischke, hke, hke, hke, hke, Dipl.-Ing., Studium des Technischen Um-weltschutzes an der TU Berlin. Seit 2000 wissenschaftlicher Mit-arbeiter am Forschungsschwerpunkt Technologien der Mikro-peripherik der TU Berlin bzw. am Fraunhofer IZM, Arbeits-schwerpunkt Umweltfragen in der Elektronik, Ökologische Be-wertung im Projekt ReUse, Öko-Design elektronischer Produkte,Prozessoptimierungen in der elektronischen Aufbau- und Ver-bindungstechnik, Aus- und Weiterbildung in der Mikrosystem-technik.SusSusSusSusSusanneanneanneanneanne ScScScScSchönhönhönhönhön, Dipl.-Politologin/promovierte Soziologin, stell-vertretende Geschäftsführerin des Zentrum Technik und Gesell-schaft der TU Berlin und wissenschaftliche Leiterin des nexus-institut für ressourcenmanagement und organisationsentwick-lung. Arbeitsschwerpunkte: Nachhaltigkeitsforschung, Infrastruk-turforschung, Kooperationsforschung.

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Autorenangaben und Projektangaben


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