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Date post: 06-Mar-2016
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Poschiavo · Bever · Ilanz · Klosters · Küblis · Landquart · Zürich T +41 81 423 7777 · www.repower.com So sieht unser Spielfeld aus. Repower freut sich als Hauptsponsor den HCD zu unterstützen. Wir bedienen Sie zuverlässig mit Strom, investieren in zukunftsgerichtete Kraftwerksprojekte, sorgen für Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region. Die Z e itung .............................................................................................................................................................................................................................................................. .................................................. D as Zeitungmachen ist ein Spiel mit vielen Unbekannten, und die größte Unbekannte ist derje- nige, um den sich alles dreht, der Leser, meistens „lieber Le- ser“ genannt. Die BündnerZeitung hat 446 000 liebe Leser. Eine Menge Leute. Wür- den sie sich hintereinander aufstellen, könnten sie locker einen Eimer Wasser bis an den Strand von Usedom durchreichen, damit der letzte ihn in die Ostsee kippt. Die- se Schlange würde sich aus den unter- schiedlichsten Menschen zusammenset- zen, aus Leuten, die schon Konrad Adenau- er oder Wilhelm Pieck applaudiert haben, aus Wagnerianern und Iggy-Pop-Fans, aus Menschen, die den Urlaub immer in Berch- tesgaden oder nur in der Karibik verbrin- gen, aus Professoren und gegen Professoren allergischen Studenten, aus Chefs und An- gestellten, Kinderreichen und Kinderlosen, aus Leuten, die fünfmal täglich TV-Nach- richten gucken, und solchen, die beim An- blick von Angela Merkel gleich wegschalten, aus Genießern und Verbitterten. Eines haben die Menschen in dieser Schlange gemeinsam: Sie wollen wissen, was in der Welt vor sich geht, auch jenseits ihrer eigenen Erfahrungswelt. Und sie wol- len nicht nur zuschauen, sie wollen selber lesen, vor- und zurückblättern, einen Satz noch einmal lesen, weil er so interessant war, einen überspringen und den Rest über- fliegen. Den Rhythmus wollen sie selbst be- stimmen, was man beim Fernsehen nicht kann. Viel mehr weiß man vom Leser nicht. Trotzdem wird oft vom Leser gespro- chen. Wenn man sich in der Redaktions- konferenz über eine geplante Berichterstat- tung nicht einig ist, kommt früher oder spä- ter der Moment, wo einer anfängt, den an- deren mit dem Leser zu kommen. Der Leser will das nicht, den Leser interessiert Mei- nung an dieser Stelle überhaupt nicht, der will Fakten. Woher willst du das denn wis- sen, wird der Anwalt des Lesers dann ge- fragt. Weil ich auch ein Leser bin, ist dann noch die schlüssigste Antwort. Es sind aufwändige technische Methoden entwickelt worden, um herauszufinden, was den Leser wie lange interessiert. Man schaut möglichst repräsentativ ausgewählten Leser- exemplaren über die Schulter und protokol- liert genau, was sie lesen, welchen Text sie zu lesen beginnen, wann sie aus dem Text wie- der aussteigen und welchen Text sie bis zu Ende lesen. Die Testleser bekommen einen elektronischen Stift in die Hand, mit dem sie bequem angeben können, welche Teile der Zeitung sie bis zu welcher Zeile gelesen ha- ben. Die Informationen werden dann in die Redaktion gesendet, wo das Leseverhalten minutiös ausgewertet wird. Allerdings sind diese „Einschaltquoten“ interpretationsbe- dürftig wie Gleichnisse des Herrn. Wenn in einer Umfrage beispielsweise viele Leser angegeben haben, dass sie am liebsten das Feuilleton lesen, dass man also eigentlich dessen Umfang erhöhen müsste, kontern Verlagsmanager mit dem Argu- ment: Der listige Leser hat gar nicht angege- ben, was er wirklich liest, sondern was er le- sen würde, wenn es ihn nicht so anstrengen würde. Jeder gebe nämlich an, das Feuille- ton zu lesen, weil jeder niveauvoller sein will, als er ist. Das Feuilleton könne schon froh sein, wenn die Hälfte der angeblichen Leser auch tatsächliche Leser wären. So bleibt gerade der tatsächliche Leser ein Phantom. Das Redaktionsgebäude der Berliner Zeitung bietet den Vorteil, dass man aus dem zwölften oder dreizehnten Stock wenigstens die Dächer sehen kann, unter denen die Leser wohnen. Man sieht sie in ihren Autos herumfahren, über die Straße hasten und an der Bushaltestelle Zei- tung lesen. Natürlich sieht man sie dort auch die Konkurrenz lesen. Manche Autoren stellen sich ihre Leser vor. Sie haben einen imaginären, aber ganz bestimmten Menschen vor Augen, der am nächsten Morgen ihre Texte liest. Es soll Autoren geben, die müssen sich eine beson- ders schöne Frau als Leserin vorstellen, damit etwas Temperament in ihre Sätze kommt. Es gibt Autoren, die wollen von ih- ren Lesern vor allem bewundert werden. Das geht schief. Ihre Artikel fangen sie so an, als würden sie weit die Autotür öffnen und mit gewinnendem Lächeln zur Mit- fahrt einladen. Und schon geht’s mit Höl- lentempo die Serpentinen herunter. Die Schlusspointe ist ein quietschendes Brem- sen und Stillstand unmittelbar vor dem Ab- grund. Gesehen hat man wenig, und es wird einem schnell schlecht dabei. Andere sehen im Leser den Eingeweih- ten, dem man nur Andeutungen zu machen braucht, schon liegt die ganze Schwere des gemeinsam ertragenen Schicksals auf dem Tisch. Wieder andere Autoren sehen sich gern als Aufrüttler, als unbequeme Mahner. Sie kommen nur in Fahrt, wenn sie glauben, gegen den Strom ihrer Leser zu schwim- men. Mutig bieten sie der Heuchelei die Stirn und schreiten durch die Zeilen ihres Leitartikels wie Ketzer durch ein Spalier von Pharisäern – nur, um am Ende doch den imaginären Beifall des Lesers abzuholen. Seltene, besonders edle Exemplare von Autoren glauben, die Welt sei grundsätzlich anders, als sie scheint. Ihr Lieblingsleser ist der, der von den Medien die Nase voll hat. Warum dieser noch Zeitung liest, ist ihm ein Rätsel, aber ihm gilt sein ganzes Trachten. Niemals würde er die Dinge so beschreiben, wie sie vor ihm schon jemand beschrieben hat, niemals würde er in einem Pro und Kontra eine dieser Positionen einnehmen, sondern klarstellen, warum die Alternative ganz falsch gestellt ist. Dieser Autorentyp ist prinzipiell originell; er wird immer dann eingesetzt, wenn über ein Thema alles schon zum dritten Mal in einer Woche ge- schrieben worden ist. Es gibt in jeder Zeitung, auch in unserer, bei manchen die Sorge, der Leser wolle gar kein Leser mehr sein, eigentlich sei er ein Gucker, der lieber Tortendiagramme an- schaue, lieber Überschriften, Untertitel, Zwischenzeilen und so genannte Kicker be- trachte, als sich lange mit Lesen aufzuhal- ten. Kicker sind besonders kurze Über- schriften, die über den langen Überschrif- ten stehen. Der Leser schätzt sie tatsäch- lich, aber nur, sofern sie sich mit dem klaren ruhigen Fluss von geordneten Gedanken die Waage halten, wie sie nur ein deutlich argumentierender, nicht zu knapp bemes- sener Text entwickeln kann. Ja, endlich, wird vielleicht der Leser sagen, jetzt ist er bei uns, beim wirklichen Leser. Vermutlich will der Leser eine Zeitung haben, die sich über ihn nicht viele Gedan- ken macht. Gedanken soll sie sich über Themen machen, über die Stadt, über In- nen- und Außenpolitik, über andere Kultu- ren, Wissenschaft und Kunst. Seine Zei- tung soll ein Gedächtnis haben, sie soll Er- innerungen aus Ost und West lebendig hal- ten. Sie soll die Welt verständlich machen, Hintergründe liefern und ausweichendem Gerede in Interviews Paroli bieten. Sie soll aktuell, umfassend und präzise informie- ren. Sie soll unterhalten. Sie soll Meinun- gen so klar formulieren, dass sie mit Über- zeugung zu teilen oder abzulehnen sind. Sie soll gute Autoren zu verlässlichen Be- gleitern machen, zu achtbaren Gegnern oder zu Leuten, die ihm mitunter aus dem Herzen schreiben. Sie soll jene Distanz wahren, aus der man die Dinge am klarsten erkennt. Nie aber sollte seine Zeitung dem Leser nachlaufen. Sie sollte ihm nie nach dem Mund schreiben. Der Leser will ihr ja ver- trauen können. So jedenfalls, mit diesen Wünschen an seine Zeitung, stellen wir uns den Leser vor. Die Büdner Zeitung hat 46 000 Leser. Das sind eine Menge Leute. Würden sie sich hintereinander aufstellen, könnten sie locker einen Eimer Wasser bis an den Strand von Usedom durchreichen, damit der letzte ihn in die Ostsee kippt. Lieber Leser! Wer liest die Bündner Zeitung? Das fragen sich auch diejenigen, die für Sie schreiben. Und manchmal machen sie sich ein Bild von ihrem Gegenüber. VON HARALD J ÄHNER OL Bündner Zeitung · Nummer 115 · Freitag, 21. Januar 2010
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Poschiavo · Bever · Ilanz · Klosters · Küblis · Landquart · Zürich T +41 81 423 7777 · www.repower.com

So sieht unser Spielfeld aus.Repower freut sich als Hauptsponsor den HCD zu unterstützen.

Wir bedienen Sie zuverlässig mit Strom, investieren in zukunftsgerichtete Kraftwerksprojekte, sorgen für Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region.

Die Ze i tung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Das Zeitungmachen ist ein Spielmit vielen Unbekannten, unddie größte Unbekannte ist derje-nige, um den sich alles dreht,der Leser, meistens „lieber Le-

ser“ genannt. Die BündnerZeitung hat446 000 liebe Leser. Eine Menge Leute. Wür-den sie sich hintereinander aufstellen,könnten sie locker einen Eimer Wasser bisan den Strand von Usedom durchreichen,damit der letzte ihn in die Ostsee kippt. Die-se Schlange würde sich aus den unter-schiedlichsten Menschen zusammenset-zen, aus Leuten, die schon Konrad Adenau-er oder Wilhelm Pieck applaudiert haben,aus Wagnerianern und Iggy-Pop-Fans, ausMenschen, die den Urlaub immer in Berch-tesgaden oder nur in der Karibik verbrin-gen, aus Professoren und gegen Professorenallergischen Studenten, aus Chefs und An-gestellten, Kinderreichen und Kinderlosen,aus Leuten, die fünfmal täglich TV-Nach-richten gucken, und solchen, die beim An-blick von Angela Merkel gleich wegschalten,aus Genießern und Verbitterten.

Eines haben die Menschen in dieserSchlange gemeinsam: Sie wollen wissen,was in der Welt vor sich geht, auch jenseitsihrer eigenen Erfahrungswelt. Und sie wol-len nicht nur zuschauen, sie wollen selberlesen, vor- und zurückblättern, einen Satznoch einmal lesen, weil er so interessantwar, einen überspringen und den Rest über-fliegen. Den Rhythmus wollen sie selbst be-stimmen, was man beim Fernsehen nichtkann. Viel mehr weiß man vom Leser nicht.

Trotzdem wird oft vom Leser gespro-chen. Wenn man sich in der Redaktions-konferenz über eine geplante Berichterstat-tung nicht einig ist, kommt früher oder spä-ter der Moment, wo einer anfängt, den an-deren mit dem Leser zu kommen. Der Leserwill das nicht, den Leser interessiert Mei-nung an dieser Stelle überhaupt nicht, derwill Fakten. Woher willst du das denn wis-sen, wird der Anwalt des Lesers dann ge-fragt. Weil ich auch ein Leser bin, ist dannnoch die schlüssigste Antwort.

Es sind aufwändige technische Methodenentwickelt worden, um herauszufinden, wasden Leser wie lange interessiert. Man schautmöglichst repräsentativ ausgewählten Leser-exemplaren über die Schulter und protokol-liert genau, was sie lesen, welchen Text sie zulesen beginnen, wann sie aus dem Text wie-der aussteigen und welchen Text sie bis zuEnde lesen. Die Testleser bekommen einenelektronischen Stift in die Hand, mit dem siebequem angeben können, welche Teile derZeitung sie bis zu welcher Zeile gelesen ha-ben. Die Informationen werden dann in dieRedaktion gesendet, wo das Leseverhaltenminutiös ausgewertet wird. Allerdings sinddiese „Einschaltquoten“ interpretationsbe-dürftig wie Gleichnisse des Herrn.

Wenn in einer Umfrage beispielsweiseviele Leser angegeben haben, dass sie amliebsten das Feuilleton lesen, dass man alsoeigentlich dessen Umfang erhöhen müsste,kontern Verlagsmanager mit dem Argu-ment: Der listige Leser hat gar nicht angege-ben, was er wirklich liest, sondern was er le-sen würde, wenn es ihn nicht so anstrengenwürde. Jeder gebe nämlich an, das Feuille-ton zu lesen, weil jeder niveauvoller seinwill, als er ist. Das Feuilleton könne schonfroh sein, wenn die Hälfte der angeblichenLeser auch tatsächliche Leser wären.

So bleibt gerade der tatsächliche Leserein Phantom. Das Redaktionsgebäude derBerliner Zeitung bietet den Vorteil, dassman aus dem zwölften oder dreizehntenStock wenigstens die Dächer sehen kann,unter denen die Leser wohnen. Man siehtsie in ihren Autos herumfahren, über dieStraße hasten und an der Bushaltestelle Zei-tung lesen. Natürlich sieht man sie dortauch die Konkurrenz lesen.

Manche Autoren stellen sich ihre Leservor. Sie haben einen imaginären, aber ganz

bestimmten Menschen vor Augen, der amnächsten Morgen ihre Texte liest. Es sollAutoren geben, die müssen sich eine beson-ders schöne Frau als Leserin vorstellen,damit etwas Temperament in ihre Sätzekommt. Es gibt Autoren, die wollen von ih-ren Lesern vor allem bewundert werden.Das geht schief. Ihre Artikel fangen sie soan, als würden sie weit die Autotür öffnenund mit gewinnendem Lächeln zur Mit-fahrt einladen. Und schon geht’s mit Höl-lentempo die Serpentinen herunter. DieSchlusspointe ist ein quietschendes Brem-sen und Stillstand unmittelbar vor dem Ab-grund. Gesehen hat man wenig, und es wirdeinem schnell schlecht dabei.

Andere sehen im Leser den Eingeweih-ten, dem man nur Andeutungen zu machenbraucht, schon liegt die ganze Schwere desgemeinsam ertragenen Schicksals auf demTisch. Wieder andere Autoren sehen sichgern als Aufrüttler, als unbequeme Mahner.Sie kommen nur in Fahrt, wenn sie glauben,gegen den Strom ihrer Leser zu schwim-men. Mutig bieten sie der Heuchelei dieStirn und schreiten durch die Zeilen ihresLeitartikels wie Ketzer durch ein Spalier vonPharisäern – nur, um am Ende doch denimaginären Beifall des Lesers abzuholen.

Seltene, besonders edle Exemplare vonAutoren glauben, die Welt sei grundsätzlichanders, als sie scheint. Ihr Lieblingsleser istder, der von den Medien die Nase voll hat.Warum dieser noch Zeitung liest, ist ihm einRätsel, aber ihm gilt sein ganzes Trachten.Niemals würde er die Dinge so beschreiben,wie sie vor ihm schon jemand beschriebenhat, niemals würde er in einem Pro undKontra eine dieser Positionen einnehmen,sondern klarstellen, warum die Alternativeganz falsch gestellt ist. Dieser Autorentyp istprinzipiell originell; er wird immer danneingesetzt, wenn über ein Thema allesschon zum dritten Mal in einer Woche ge-schrieben worden ist.

Es gibt in jeder Zeitung, auch in unserer,bei manchen die Sorge, der Leser wolle garkein Leser mehr sein, eigentlich sei er einGucker, der lieber Tortendiagramme an-schaue, lieber Überschriften, Untertitel,Zwischenzeilen und so genannte Kicker be-trachte, als sich lange mit Lesen aufzuhal-

ten. Kicker sind besonders kurze Über-schriften, die über den langen Überschrif-ten stehen. Der Leser schätzt sie tatsäch-lich, aber nur, sofern sie sich mit dem klarenruhigen Fluss von geordneten Gedankendie Waage halten, wie sie nur ein deutlichargumentierender, nicht zu knapp bemes-sener Text entwickeln kann. Ja, endlich,wird vielleicht der Leser sagen, jetzt ist erbei uns, beim wirklichen Leser.

Vermutlich will der Leser eine Zeitunghaben, die sich über ihn nicht viele Gedan-ken macht. Gedanken soll sie sich überThemen machen, über die Stadt, über In-nen- und Außenpolitik, über andere Kultu-ren, Wissenschaft und Kunst. Seine Zei-tung soll ein Gedächtnis haben, sie soll Er-innerungen aus Ost und West lebendig hal-ten. Sie soll die Welt verständlich machen,Hintergründe liefern und ausweichendemGerede in Interviews Paroli bieten. Sie sollaktuell, umfassend und präzise informie-ren. Sie soll unterhalten. Sie soll Meinun-gen so klar formulieren, dass sie mit Über-zeugung zu teilen oder abzulehnen sind.Sie soll gute Autoren zu verlässlichen Be-gleitern machen, zu achtbaren Gegnernoder zu Leuten, die ihm mitunter aus demHerzen schreiben. Sie soll jene Distanzwahren, aus der man die Dinge am klarstenerkennt.

Nie aber sollte seine Zeitung dem Lesernachlaufen. Sie sollte ihm nie nach demMund schreiben. Der Leser will ihr ja ver-trauen können.

So jedenfalls, mit diesen Wünschen anseine Zeitung, stellen wir uns den Leser vor.

Die Büdner Zeitung hat46 000 Leser. Das sindeine Menge Leute. Würdensie sich hintereinanderaufstellen, könnten sielocker einen Eimer Wasserbis an den Strand vonUsedom durchreichen,damit der letzte ihn in dieOstsee kippt.

Lieber Leser!Wer liest die Bündner Zeitung? Das fragen sich auchdiejenigen, die für Sie schreiben. Und manchmal machen sie sich ein Bild von ihrem Gegenüber.

VON HARALD JÄHNER

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B ü n d n e r Z e i t u n g · N u m m e r 1 1 5 · F r e i t a g , 2 1 . J a n u a r 2 0 1 0

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Wir lassen uns den Wind um die Ohren pfeifenWWWir lassen uns den Wind um die Ohren pfefef ififi efef nnn

Nicht nur Politiker, Schlagersän-ger, Gewohnheiten und Fir-men verschwinden Tag für Tag,manche plötzlich, als hätte sieder Erdboden verschluckt, eini-

ge ruhig und gemächlich, im unerbittlichenTakt der Zeit. Selbst ehrbare, traditionsrei-che, eben noch unentbehrliche Berufe ha-ben von der Furie des Verschwindens keineSchonung zu erwarten. Vor Jahren hat RudiPalla etlichen von ihnen mit seinem „Lexi-kon der verschwundenen Berufe“ ein lite-rarisches Denkmal gesetzt, dem Rosstäu-scher, Zokelmacher, Schorrer, Beutler undMäntler, selbst dem dahingegangenenFischbeinreißer verweigerte er nicht die Re-verenz. Nur für einen Beruf hält der Thesau-rus der verblichenen Professionen keinenEintrag bereit, kein Wort erinnert an ihn,obwohl sein Ableben unbestreitbar ist. DieVergesslichkeit des Erinnerungsbuchs istdafür nur der dramatische Beweis.

Mehr als 200 Jahre lang galt – zumal inDeutschland – der Kommentator als leib-haftige Fackel der Aufklärung, als Immer-grün des demokratischen Gedankens, alsVersöhnung von Geist und Tat im Zeichender Einigkeit, des Rechts, der Freiheit. WerKommentator war, der ließ sich zwar bezah-len, aber nicht für den Beruf, dem er nach-ging, sondern allein für die Berufung, der erfolgte. Darin, nur darin, glich er dem Pries-ter, den er von der Kanzel stieß, aber die Of-fenbarung, die er täglich in der Zeitung zuverkünden hatte, handelte nicht mehr vonder Ankunft, dem Advent des Herrn, son-dern vom Ende der Herrschaft des Glau-bens über den Gedanken, der verfügtenWahrheit über die unverfügbare Meinung.

Der Kommentator war der Hohepriesterdes öffentlichen Diskurses und schon sehrbald aus ihm nicht mehr wegzudenken,selbst als es den Diskurs gar nicht mehr gab.Zweimal hat der Kommentator in Deutsch-land das Ende des Diskurses nicht nur un-beeindruckt, sondern unbehelligt über-standen. Mochten die anderen ängstlichschweigen, weil der Staat ihnen zu schwei-gen befahl – der deutsche Kommentatorsprach frei und offen weiter. Mochte derStaat, mochte der Zensor die Verkündungmal der völkischen, mal der sozialistischenWahrheit befehlen – unerschütterlich hieltder deutsche Kommentator an seiner Mei-nung fest, schrieb, was er dachte, dachte,was er schrieb. Und es war ein unerhörtes,aber hochverdientes Glück, dass der deut-sche Kommentator im einen wie im ande-ren Fall als seine Meinung schrieb unddachte, was der Staat als Wahrheit zu schrei-ben und zu denken befahl.

Das alles überstanden zu haben – nichtnur ungebrochen, sondern bruchlos – unddennoch vergessen zu sein, 200 Jahre allge-genwärtig und plötzlich verschwunden, dasist mehr als eine ironische, das ist fast einezynische Volte der Geschichte. Just in demAugenblick, da der öffentliche Diskurs seineschönste Blüte erlebt, da jede Bürgerin undjeder Bürger zu jeder Tages- und zu jederNachtzeit zur Teilnahme am Diskurs gela-den ist und kein Gegenstand – vom Hygie-nekomfort des Hundeklos bis zum Bundes-haushalt, von der Nassrasur der Topfpflan-ze bis zum Straßen- und Geschlechtsver-kehr im Vatikanstaat – befürchten muss,

nicht vorzukommen im Gedankenaus-tausch der mündigen Gesellschaft, war esum die Zukunft des Vorkämpfers, des Ver-teidigers und Bürgen der freien Meinungs-äußerung und damit auch um die Professi-on des Kommentators unwiderruflich ge-schehen. Er hat seinen heroischen Kampfnicht nur gewonnen, er hat sich zu Tode ge-siegt.

„Einen Gedanken nur braucht der Mei-nungsmann/ einen Gedanken – das istdoch nicht schwer./ Einen Gedanken nur

braucht der Meinungsmann/ einen Gedan-ken – und niemals einen mehr.“ Das Endedes Kommentators war gekommen, als dieKundschaft erkannte, dass eine Meinungs-äußerung manches verlangt, aber bestimmtkeinen Gedanken. Die Unterstellung wäreungerecht, die Kundschaft wäre selbst dar-auf gekommen. Das Verdienst gebührt ein-zig und allein den Organisatoren des Dis-kurses, den Protagonisten und Hauptprofi-teuren der Meinungsfreiheit, also den Me-dien. Ihre Versicherung, eine Meinung sei

dazu da, um geäußert, nicht aber, um be-gründet zu werden, haben sie sich selbst alsErste geglaubt. Wer den Versuch unter-nimmt, den Ablauf einer Talkshow mit ei-nem Gedanken zu stören und Zuflucht zueiner Begründung nimmt, darf sich überdas abgedrehte Mikrofon nicht beschwe-ren. Ein Fernsehkommentator, der sich un-tersteht, dem Volksempfinden im Bauchmit einer Regung im Kopf entgegenzutre-ten, gilt epidemiologisch als Erreger einesöffentlichen Ärgernisses. Und eine Mei-nung, ob nun von einem Politiker, einemFußballspieler, einem Kardinal oder einemZuhälter geäußert, die zwischen der ver-bindlichen Einleitung: „Ich sag’ mal …“ unddem obligatorischen Schlusswort: „… ir-gendwie“ nur den Rückstand eines Argu-ments enthält, trägt ihrem Absender denunvermeidlichen Tadel ein, weder an-schlussfähig im Diskurs noch medienkom-patibel zu sein.

Wenn nicht nur alles kommentiert, son-dern auch alles von allen kommentiertwird, versteht es sich von selbst, dass derKommentator seine Rolle verloren, seinenKredit verspielt und seinen Ruhestand ver-dient hat. Ohnehin war – außer ihm selbst –nie ganz klar, worin seine Bedeutung ei-gentlich bestand. Zum Propheten taugte ernicht – die Geschichte kennt gute undschlechte, aber keine bezahlten Propheten.Als Vertreter von Partei-, jedenfalls von Par-tikularinteressen hatte er zwar seine Meri-ten – ausgerechnet die aber hat er öffentlichimmer bestritten. Jetzt ist er dahin, unbe-merkt und unbetrauert. Was folgt, hat EmilDovifat, Nestor der deutschen Publizistik inden Zwanzigerjahren, so beschrieben: „Diedeutsche Presse wird erst dann wirklichamerikanisiert sein, wenn sie sich nichtmehr als führende Waffe im Meinungs-kampfe, sondern als dienstfertige Spiegle-rin aller Masseninstinkte betätigt.“

Dorlamm meintDichter Dorlamm lässt nur äußerst seltenandre Meinungen als die seine gelten.

Meinung, sagt er, kommt nun mal von mein,deine Meinung kann nicht meine sein.

Meine Meinung – ja, das lässt sich hören!Deine Deinung könnte da nur stören.

Und ihr andern schweigt! Du meine Güte!Eure Eurung steckt Euch an die Hüte!

Lasst uns schweigen, Freunde! Senkt das Banner!Dorlamm irrt. Doch formulieren kann er.

Robert Gernhardt

Ein Gedanke für den

MeinungsmannTriumph und Ende des Kommentators.Nachruf auf einen Beruf, den es nicht mehr gibt,seit alle ihn ergriffen haben.

VON CHRISTIAN BOMMARIUS

L A I F / N O R B E R T E N K E R

Der Kopf ist rund, damit Gedanken ihre Richtung ändern können, heißt es. Und im Kopf istreichlich Platz für gedankliche Windungen jeder Art.

Die Ze i tungB ü n d n e r Z e i t u n g · N u m m e r 1 1 5 · F r e i t a g , 2 1 . J a n u a r 2 0 1 0

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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arbeiten unter Hochspannung

aarbeiten unter Hochspannunggg

Hier am Kiosk wird viel gespro-chen. Ich unterhalte mich gernemit den Kunden. Ich mache sieauf Artikel aufmerksam, unddann kommen sie am nächsten

Tag und wir reden darüber. Manchmal ent-stehen Gruppen und dann wird diskutiert.Da geht es auch mal sehr lebhaft zu. Ichmag das an meinem Beruf.

Jetzt habe ich – Sie wollten ja wissen, wieIhre Westleser aussehen – meine Kundennach der Berliner Zeitung gefragt, warumsie sie kaufen, wie sie ihnen gefällt. Ich er-zähle Ihnen das einfach so, wie sie es mir er-zählt haben. Etwa 25 kaufen jeden Tag dieBerliner Zeitung an meinem Kiosk Kant-,Ecke Schlüterstraße. Es könnten sichermehr sein, aber wir bekommen sofort weni-ger geliefert, wenn wir mal weniger verkau-fen. Wenn oben in der Wilmersdorfer dieZeitung umsonst verteilt wird, hier also we-niger gekauft werden, dann werde ich auto-matisch runtergestuft. Der Grossist hat kei-ne Ahnung, dass das nur an einer Werbeak-tion liegt. Ich muss mich also melden undsagen, dass ich wieder mehr verkaufenkönnte. Manchmal komme ich nicht dazuoder vergesse das. Dann verkaufe ich weni-ger, als ich könnte. Zurzeit verkaufe ich etwa25 Berliner Zeitungen am Tag. Den Tages-spiegel kaufen vierzig Kunden.

Ich habe den Kiosk seit 26 Jahren. Zu-sammen mit meinem Freund Uwe Jacobi-Mewes, mit dem ich seit 37 Jahren zusam-men bin. Seit drei Jahren sind wir verheira-tet. Wir dachten, jetzt, da es das Gesetz gibt,müssen auch ein paar davon Gebrauch ma-chen. Wir wollten die, die es erkämpft hat-ten, nicht allein dastehen lassen.

Manche Westberliner halten die BerlinerZeitung für ostlastig. Die meisten Wessis da-gegen haben wie die Berliner Zeitung dieganze Stadt im Kopf. Einer meiner Stamm-kunden, Leser der Süddeutschen und derBerliner Zeitung – sonnabends liest er auchdie taz – ist mein Wunschberliner, ein libe-raler, großzügiger, freundlicher Mann miteiner wunderbar tiefen Stimme. Seine Vor-fahren kommen, wie es sich für einen Berli-ner gehört, aus Ostpreußen. Er ist ein pen-sionierter höherer Beamter, Großvater. Einsehr interessierter Mann. Er war beruflichlange in den USA. Jetzt reist er viel, nachAsien, nach Polen. Er macht auch großeRadtouren. Seine Enkelin versucht er sichzu einem Jungen zu erziehen. Er findet, dassder Tagesspiegel oft schneller ist als die Ber-liner Zeitung. Dennoch wirke der im Ver-gleich insgesamt dann doch ein wenig ver-schnarcht. Ich mag diesen Mann. So stelleich mir den guten Preußen vor.

Ein Angestellter bei den Wasserwerken –er kommt aus dem Ruhrgebiet – liest dieBerliner Zeitung wegen des Formats. Viel-leicht ist aber auch ein Grund, dass seineFrau beim Tagesspiegel gearbeitet hatteund dort im Ärger ging. Eine Vermessungs-ingenieurin, die jeden Tag mit der S-Bahnbis nach Ahrensfelde fährt, findet auch,dass die Zeitung so großartig in die S-Bahnpasst, dass sie keine andere liest. Ein jungerMann, ein Computerfachmann, angestellt

bei einer Firma, die für die BVG arbeitet,liest nur die Berliner Zeitung. Er kommt je-den Morgen mit dem Fahrrad. Wir unterhal-ten uns oft. Er ist Rudersportler und in sei-ner Freizeit repariert er mit Freunden alteBusse, mit denen sie dann Ausflugslinienbefahren. Eine ältere Dame, eine einge-fleischte Westberlinerin, hat sich irgend-wann mal so über den Tagesspiegel geär-gert, dass sie jetzt die Berliner Zeitung kauft.Ein Fernsehautor, dessen Namen ich nichtweiß, hat mir gesagt, er kaufe die BerlinerZeitung, weil es die einzige linksliberale Zei-tung in Berlin sei. Das ist wohl etwas über-

trieben. Ich weiß ja, dass er nicht alles liest.Aber so sieht er es eben. „Erste Liebe“ heißtder Fernsehfilm, den er u.a. gemacht habensoll. Er kommt jeden Morgen, geht hinüberins Kant-Café und liest dort etwa eine Stun-de. Dort liegt übrigens auch die BerlinerZeitung aus und im Jules Verne und beimBäcker neben dem Kiosk.

Ullrich Matthes, der Schauspieler,kommt auch oft an meinen Kiosk. Er kauftdie Süddeutsche Zeitung und die Frankfur-ter Allgemeine Zeitung. In der Berliner Zei-tung blättert er, aber er kauft sie nie. Ichhabe ihn gefragt, warum er sie nicht kauft.„Es steht nichts drin oder nur Schlechtes“,erklärte er mir. „Ich weiß nicht, was die ge-gen mich haben. Die mögen mich einfachnicht.“ Matthes unterhält sich oft lange mituns. Wir reden über alles und wenn wir imTheater waren, will er wissen, was wir vomStück, von den Schauspielern halten.

Guido Sieber, ein fleißiger Käufer derBerliner Zeitung, ist Maler. Er hat auch dasTip-Titelbild zum Holocaust-Mahnmal ge-macht. Das wurde ihm dann vom Deut-schen Historischen Museum abgekauft. Ichhalte ihn für einen großen Künstler und esmacht mir Freude, wenn ich in einer Zeit-schrift Illustrationen von ihm entdecke. Ichhabe auch zwei Bilder von ihm.

Ein anderer Käufer der Berliner Zeitungholt sie jeden Tag mit der Frankfurter Allge-meinen Zeitung. Er ist Freiberufler, Hobby-koch. Als ich ihn einmal einen Gesund-heitsfanatiker nannte, da wehrte er ent-setzt ab: ein Fanatiker wollte er nicht sein.Er bringt uns auch mal Rezepte mit. Dazustellt er mir ein Kilo Mehl auf die Zeitun-gen, Biomehl natürlich, und ein paar Tagespäter will er wissen, wie uns geschmeckt

hat, was wir nach seinem Rezept gekochthaben. Er schreibt ständig Leserbriefe.Auch an die Berliner Zeitung und be-schwert sich über die vielen Fehler. Er er-trägt sie nicht. Ich dagegen habe ja nichtsgegen Fehler. Wo ich einen sehe, begrüßeich ihn und sage: auch so ein Unvollkom-mener. Aber er regt sich auf. Wenn Leuteam Kiosk stehen und lassen den Motor lau-fen, stellt er sie zur Rede. Sie sollen den Mo-tor doch bitte ausmachen.

Ein junger Mann, er ist Referent im Fa-milienministerium, sagte mir, die BerlinerZeitung sei eine Zeitung für die ganze Stadt.Eine Kundin, die Die Zeit und die BerlinerZeitung liest, arbeitet im carrousel-Theater.Ich weiß nicht mehr über sie. Es gibt auchKunden, die kaufen die Berliner Zeitung nurwegen des Kulturjournals, nur am Donners-tag. Andere kaufen sie nur wegen des chine-sischen Lottos, wegen der Keno-Zahlen.Das ist auch ein Grund, die Zeitung zu kau-fen. Die Sonnabendausgabe wird viel ge-lobt. Ich finde das Magazin auch sehr gut.Diesmal war allerdings – das kommt ganzselten vor – ein ausgesprochen blöder Arti-kel darin. Es ging darum, dass der Dandy imTrend läge und man sich auch ganz billig alsDandy – Zylinder und all diese Sachen – an-ziehen könnte. Das interessiert mich nicht.Aber der Artikel über Thierse in Breslau, derwar großartig. Manchmal habe ich den Ein-druck, die Politiker aus dem Osten trauensich eher als die aus dem Westen, auch malihre Empfindungen zu äußern. Den Artikelhabe ich viel weiterempfohlen.

Eine Lehrerin, die jeden Tag die BerlinerZeitung kauft und die ich auch fragte, war-um, meinte nur: „Es gibt nichts Besseres!“Ein Bildhauer aus Westdeutschland, der inMitte arbeitet, meinte – er ist auch sonstwortkarg: „Ist doch ’ne gute Zeitung!“ EinEhepaar: er, ein Beamter aus dem Untersu-chungsgefängnis, liest die Berliner Zeitung,sie den Tagesspiegel. Wir machen es ja ge-nauso: Mein Freund Uwe liest den Tages-spiegel und ich die Berliner Zeitung. Das istschön. So hat man sich etwas zu erzählen,kann sich unterhalten. Wir zeigen uns dieArtikel, die wir gut finden. Ich lese Uwesonnabends immer den Streifen „BerlinMitte“ auf der Aufschlagseite des Magazinsvor. Der Beamte ist übrigens auch ein Fandes Magazins.

Ein Hausmeister aus einem der Gebäudehier in der Umgebung liest schon lange dieBerliner Zeitung. Er sagte mir: „Einmal gele-sen und immer dabei geblieben.“ Ein sehrmodisch gekleideter junger Mann, der sichals Videothekar bezeichnet, beantwortetemeine Frage mit „rundherum eine gute Zei-tung“. Für meinen Geschmack ist er ja einwenig zu sehr gestylt. Aber er ist sehr nett.Ein Bankangestellter, dessen Frau ehren-amtlich für die Kirche arbeitet, sagte mir:„Eine andere Zeitung könnte ich nicht le-sen.“ Dann ist da noch ein eher schweigsa-mer, Taxi fahrender Akademiker, ein großer,feiner Mann, der jeden Tag seine Kinder biszur S-Bahn bringt und dann bei mir die Ber-liner Zeitung kauft. Das sind so meine Kun-den und Ihre Leser.

Ist doch ’ne gute Zeitung

Der Leser ist das unbekannte Wesen. Der Käufer dagegen hat ein Gesicht. Einer kennt dieKäufer besser als jeder andere: ein Kioskbetreiber inCharlottenburg. Er hat seine Kunden befragt undstellt uns den Westleser vor.

VON ACHIM MEWES

B E R L I N E R Z E I T U N G / M I K E F R Ö H L I N G

Autor Achim Mewes (r.) mit seinem Freund Uwe Jacobi-Mewes in ihrem Kiosk

Hardenbergstr.

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Savignyplatz

Savigny-platz

Kurfürstendamm

Kiosk

B E R L I N E R Z E I T U N G / R I TA B Ö T T C H E R

Die Ze i tung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B ü n d n e r Z e i t u n g · N u m m e r 1 1 5 · F r e i t a g , 2 1 . J a n u a r 2 0 1 0

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und strahlen in neuem Licht: Aus Rätia Energie wird Repower

tüfteln an Erfolgsrezeptentttüftftf eln an Erfofof lgsrezeptennn

Nicht nur Politiker, Schlagersän-ger, Gewohnheiten und Fir-men verschwinden Tag für Tag,manche plötzlich, als hätte sieder Erdboden verschluckt, eini-

ge ruhig und gemächlich, im unerbittlichenTakt der Zeit. Selbst ehrbare, traditionsrei-che, eben noch unentbehrliche Berufe ha-ben von der Furie des Verschwindens keineSchonung zu erwarten. Vor Jahren hat RudiPalla etlichen von ihnen mit seinem „Lexi-kon der verschwundenen Berufe“ ein lite-rarisches Denkmal gesetzt, dem Rosstäu-scher, Zokelmacher, Schorrer, Beutler undMäntler, selbst dem dahingegangenenFischbeinreißer verweigerte er nicht die Re-verenz. Nur für einen Beruf hält der Thesau-rus der verblichenen Professionen keinenEintrag bereit, kein Wort erinnert an ihn,obwohl sein Ableben unbestreitbar ist. DieVergesslichkeit des Erinnerungsbuchs istdafür nur der dramatische Beweis.

Mehr als 200 Jahre lang galt – zumal inDeutschland – der Kommentator als leib-haftige Fackel der Aufklärung, als Immer-grün des demokratischen Gedankens, alsVersöhnung von Geist und Tat im Zeichender Einigkeit, des Rechts, der Freiheit. WerKommentator war, der ließ sich zwar bezah-len, aber nicht für den Beruf, dem er nach-ging, sondern allein für die Berufung, der erfolgte. Darin, nur darin, glich er dem Pries-ter, den er von der Kanzel stieß, aber die Of-fenbarung, die er täglich in der Zeitung zuverkünden hatte, handelte nicht mehr vonder Ankunft, dem Advent des Herrn, son-dern vom Ende der Herrschaft des Glau-bens über den Gedanken, der verfügtenWahrheit über die unverfügbare Meinung.

Der Kommentator war der Hohepriesterdes öffentlichen Diskurses und schon sehrbald aus ihm nicht mehr wegzudenken,selbst als es den Diskurs gar nicht mehr gab.Zweimal hat der Kommentator in Deutsch-land das Ende des Diskurses nicht nur un-beeindruckt, sondern unbehelligt über-standen. Mochten die anderen ängstlichschweigen, weil der Staat ihnen zu schwei-gen befahl – der deutsche Kommentatorsprach frei und offen weiter. Mochte derStaat, mochte der Zensor die Verkündungmal der völkischen, mal der sozialistischenWahrheit befehlen – unerschütterlich hieltder deutsche Kommentator an seiner Mei-nung fest, schrieb, was er dachte, dachte,was er schrieb. Und es war ein unerhörtes,aber hochverdientes Glück, dass der deut-sche Kommentator im einen wie im ande-ren Fall als seine Meinung schrieb unddachte, was der Staat als Wahrheit zu schrei-ben und zu denken befahl.

Das alles überstanden zu haben – nichtnur ungebrochen, sondern bruchlos – unddennoch vergessen zu sein, 200 Jahre allge-genwärtig und plötzlich verschwunden, dasist mehr als eine ironische, das ist fast einezynische Volte der Geschichte. Just in demAugenblick, da der öffentliche Diskurs seineschönste Blüte erlebt, da jede Bürgerin undjeder Bürger zu jeder Tages- und zu jederNachtzeit zur Teilnahme am Diskurs gela-den ist und kein Gegenstand – vom Hygie-nekomfort des Hundeklos bis zum Bundes-haushalt, von der Nassrasur der Topfpflan-ze bis zum Straßen- und Geschlechtsver-kehr im Vatikanstaat – befürchten muss,

nicht vorzukommen im Gedankenaus-tausch der mündigen Gesellschaft, war esum die Zukunft des Vorkämpfers, des Ver-teidigers und Bürgen der freien Meinungs-äußerung und damit auch um die Professi-on des Kommentators unwiderruflich ge-schehen. Er hat seinen heroischen Kampfnicht nur gewonnen, er hat sich zu Tode ge-siegt.

„Einen Gedanken nur braucht der Mei-nungsmann/ einen Gedanken – das istdoch nicht schwer./ Einen Gedanken nur

braucht der Meinungsmann/ einen Gedan-ken – und niemals einen mehr.“ Das Endedes Kommentators war gekommen, als dieKundschaft erkannte, dass eine Meinungs-äußerung manches verlangt, aber bestimmtkeinen Gedanken. Die Unterstellung wäreungerecht, die Kundschaft wäre selbst dar-auf gekommen. Das Verdienst gebührt ein-zig und allein den Organisatoren des Dis-kurses, den Protagonisten und Hauptprofi-teuren der Meinungsfreiheit, also den Me-dien. Ihre Versicherung, eine Meinung sei

dazu da, um geäußert, nicht aber, um be-gründet zu werden, haben sie sich selbst alsErste geglaubt. Wer den Versuch unter-nimmt, den Ablauf einer Talkshow mit ei-nem Gedanken zu stören und Zuflucht zueiner Begründung nimmt, darf sich überdas abgedrehte Mikrofon nicht beschwe-ren. Ein Fernsehkommentator, der sich un-tersteht, dem Volksempfinden im Bauchmit einer Regung im Kopf entgegenzutre-ten, gilt epidemiologisch als Erreger einesöffentlichen Ärgernisses. Und eine Mei-nung, ob nun von einem Politiker, einemFußballspieler, einem Kardinal oder einemZuhälter geäußert, die zwischen der ver-bindlichen Einleitung: „Ich sag’ mal …“ unddem obligatorischen Schlusswort: „… ir-gendwie“ nur den Rückstand eines Argu-ments enthält, trägt ihrem Absender denunvermeidlichen Tadel ein, weder an-schlussfähig im Diskurs noch medienkom-patibel zu sein.

Wenn nicht nur alles kommentiert, son-dern auch alles von allen kommentiertwird, versteht es sich von selbst, dass derKommentator seine Rolle verloren, seinenKredit verspielt und seinen Ruhestand ver-dient hat. Ohnehin war – außer ihm selbst –nie ganz klar, worin seine Bedeutung ei-gentlich bestand. Zum Propheten taugte ernicht – die Geschichte kennt gute undschlechte, aber keine bezahlten Propheten.Als Vertreter von Partei-, jedenfalls von Par-tikularinteressen hatte er zwar seine Meri-ten – ausgerechnet die aber hat er öffentlichimmer bestritten. Jetzt ist er dahin, unbe-merkt und unbetrauert. Was folgt, hat EmilDovifat, Nestor der deutschen Publizistik inden Zwanzigerjahren, so beschrieben: „Diedeutsche Presse wird erst dann wirklichamerikanisiert sein, wenn sie sich nichtmehr als führende Waffe im Meinungs-kampfe, sondern als dienstfertige Spiegle-rin aller Masseninstinkte betätigt.“

Dorlamm meintDichter Dorlamm lässt nur äußerst seltenandre Meinungen als die seine gelten.

Meinung, sagt er, kommt nun mal von mein,deine Meinung kann nicht meine sein.

Meine Meinung – ja, das lässt sich hören!Deine Deinung könnte da nur stören.

Und ihr andern schweigt! Du meine Güte!Eure Eurung steckt Euch an die Hüte!

Lasst uns schweigen, Freunde! Senkt das Banner!Dorlamm irrt. Doch formulieren kann er.

Robert Gernhardt

Ein Gedanke für den

MeinungsmannTriumph und Ende des Kommentators.Nachruf auf einen Beruf, den es nicht mehr gibt,seit alle ihn ergriffen haben.

VON CHRISTIAN BOMMARIUS

L A I F / N O R B E R T E N K E R

Der Kopf ist rund, damit Gedanken ihre Richtung ändern können, heißt es. Und im Kopf istreichlich Platz für gedankliche Windungen jeder Art.

Die Ze i tungB ü n d n e r Z e i t u n g · N u m m e r 1 1 5 · F r e i t a g , 2 1 . J a n u a r 2 0 1 0

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uuund strahlen in neuem Licht: Aus Rätia Energie wird Repowerrr

Hier am Kiosk wird viel gespro-chen. Ich unterhalte mich gernemit den Kunden. Ich mache sieauf Artikel aufmerksam, unddann kommen sie am nächsten

Tag und wir reden darüber. Manchmal ent-stehen Gruppen und dann wird diskutiert.Da geht es auch mal sehr lebhaft zu. Ichmag das an meinem Beruf.

Jetzt habe ich – Sie wollten ja wissen, wieIhre Westleser aussehen – meine Kundennach der Berliner Zeitung gefragt, warumsie sie kaufen, wie sie ihnen gefällt. Ich er-zähle Ihnen das einfach so, wie sie es mir er-zählt haben. Etwa 25 kaufen jeden Tag dieBerliner Zeitung an meinem Kiosk Kant-,Ecke Schlüterstraße. Es könnten sichermehr sein, aber wir bekommen sofort weni-ger geliefert, wenn wir mal weniger verkau-fen. Wenn oben in der Wilmersdorfer dieZeitung umsonst verteilt wird, hier also we-niger gekauft werden, dann werde ich auto-matisch runtergestuft. Der Grossist hat kei-ne Ahnung, dass das nur an einer Werbeak-tion liegt. Ich muss mich also melden undsagen, dass ich wieder mehr verkaufenkönnte. Manchmal komme ich nicht dazuoder vergesse das. Dann verkaufe ich weni-ger, als ich könnte. Zurzeit verkaufe ich etwa25 Berliner Zeitungen am Tag. Den Tages-spiegel kaufen vierzig Kunden.

Ich habe den Kiosk seit 26 Jahren. Zu-sammen mit meinem Freund Uwe Jacobi-Mewes, mit dem ich seit 37 Jahren zusam-men bin. Seit drei Jahren sind wir verheira-tet. Wir dachten, jetzt, da es das Gesetz gibt,müssen auch ein paar davon Gebrauch ma-chen. Wir wollten die, die es erkämpft hat-ten, nicht allein dastehen lassen.

Manche Westberliner halten die BerlinerZeitung für ostlastig. Die meisten Wessis da-gegen haben wie die Berliner Zeitung dieganze Stadt im Kopf. Einer meiner Stamm-kunden, Leser der Süddeutschen und derBerliner Zeitung – sonnabends liest er auchdie taz – ist mein Wunschberliner, ein libe-raler, großzügiger, freundlicher Mann miteiner wunderbar tiefen Stimme. Seine Vor-fahren kommen, wie es sich für einen Berli-ner gehört, aus Ostpreußen. Er ist ein pen-sionierter höherer Beamter, Großvater. Einsehr interessierter Mann. Er war beruflichlange in den USA. Jetzt reist er viel, nachAsien, nach Polen. Er macht auch großeRadtouren. Seine Enkelin versucht er sichzu einem Jungen zu erziehen. Er findet, dassder Tagesspiegel oft schneller ist als die Ber-liner Zeitung. Dennoch wirke der im Ver-gleich insgesamt dann doch ein wenig ver-schnarcht. Ich mag diesen Mann. So stelleich mir den guten Preußen vor.

Ein Angestellter bei den Wasserwerken –er kommt aus dem Ruhrgebiet – liest dieBerliner Zeitung wegen des Formats. Viel-leicht ist aber auch ein Grund, dass seineFrau beim Tagesspiegel gearbeitet hatteund dort im Ärger ging. Eine Vermessungs-ingenieurin, die jeden Tag mit der S-Bahnbis nach Ahrensfelde fährt, findet auch,dass die Zeitung so großartig in die S-Bahnpasst, dass sie keine andere liest. Ein jungerMann, ein Computerfachmann, angestellt

bei einer Firma, die für die BVG arbeitet,liest nur die Berliner Zeitung. Er kommt je-den Morgen mit dem Fahrrad. Wir unterhal-ten uns oft. Er ist Rudersportler und in sei-ner Freizeit repariert er mit Freunden alteBusse, mit denen sie dann Ausflugslinienbefahren. Eine ältere Dame, eine einge-fleischte Westberlinerin, hat sich irgend-wann mal so über den Tagesspiegel geär-gert, dass sie jetzt die Berliner Zeitung kauft.Ein Fernsehautor, dessen Namen ich nichtweiß, hat mir gesagt, er kaufe die BerlinerZeitung, weil es die einzige linksliberale Zei-tung in Berlin sei. Das ist wohl etwas über-

trieben. Ich weiß ja, dass er nicht alles liest.Aber so sieht er es eben. „Erste Liebe“ heißtder Fernsehfilm, den er u.a. gemacht habensoll. Er kommt jeden Morgen, geht hinüberins Kant-Café und liest dort etwa eine Stun-de. Dort liegt übrigens auch die BerlinerZeitung aus und im Jules Verne und beimBäcker neben dem Kiosk.

Ullrich Matthes, der Schauspieler,kommt auch oft an meinen Kiosk. Er kauftdie Süddeutsche Zeitung und die Frankfur-ter Allgemeine Zeitung. In der Berliner Zei-tung blättert er, aber er kauft sie nie. Ichhabe ihn gefragt, warum er sie nicht kauft.„Es steht nichts drin oder nur Schlechtes“,erklärte er mir. „Ich weiß nicht, was die ge-gen mich haben. Die mögen mich einfachnicht.“ Matthes unterhält sich oft lange mituns. Wir reden über alles und wenn wir imTheater waren, will er wissen, was wir vomStück, von den Schauspielern halten.

Guido Sieber, ein fleißiger Käufer derBerliner Zeitung, ist Maler. Er hat auch dasTip-Titelbild zum Holocaust-Mahnmal ge-macht. Das wurde ihm dann vom Deut-schen Historischen Museum abgekauft. Ichhalte ihn für einen großen Künstler und esmacht mir Freude, wenn ich in einer Zeit-schrift Illustrationen von ihm entdecke. Ichhabe auch zwei Bilder von ihm.

Ein anderer Käufer der Berliner Zeitungholt sie jeden Tag mit der Frankfurter Allge-meinen Zeitung. Er ist Freiberufler, Hobby-koch. Als ich ihn einmal einen Gesund-heitsfanatiker nannte, da wehrte er ent-setzt ab: ein Fanatiker wollte er nicht sein.Er bringt uns auch mal Rezepte mit. Dazustellt er mir ein Kilo Mehl auf die Zeitun-gen, Biomehl natürlich, und ein paar Tagespäter will er wissen, wie uns geschmeckt

hat, was wir nach seinem Rezept gekochthaben. Er schreibt ständig Leserbriefe.Auch an die Berliner Zeitung und be-schwert sich über die vielen Fehler. Er er-trägt sie nicht. Ich dagegen habe ja nichtsgegen Fehler. Wo ich einen sehe, begrüßeich ihn und sage: auch so ein Unvollkom-mener. Aber er regt sich auf. Wenn Leuteam Kiosk stehen und lassen den Motor lau-fen, stellt er sie zur Rede. Sie sollen den Mo-tor doch bitte ausmachen.

Ein junger Mann, er ist Referent im Fa-milienministerium, sagte mir, die BerlinerZeitung sei eine Zeitung für die ganze Stadt.Eine Kundin, die Die Zeit und die BerlinerZeitung liest, arbeitet im carrousel-Theater.Ich weiß nicht mehr über sie. Es gibt auchKunden, die kaufen die Berliner Zeitung nurwegen des Kulturjournals, nur am Donners-tag. Andere kaufen sie nur wegen des chine-sischen Lottos, wegen der Keno-Zahlen.Das ist auch ein Grund, die Zeitung zu kau-fen. Die Sonnabendausgabe wird viel ge-lobt. Ich finde das Magazin auch sehr gut.Diesmal war allerdings – das kommt ganzselten vor – ein ausgesprochen blöder Arti-kel darin. Es ging darum, dass der Dandy imTrend läge und man sich auch ganz billig alsDandy – Zylinder und all diese Sachen – an-ziehen könnte. Das interessiert mich nicht.Aber der Artikel über Thierse in Breslau, derwar großartig. Manchmal habe ich den Ein-druck, die Politiker aus dem Osten trauensich eher als die aus dem Westen, auch malihre Empfindungen zu äußern. Den Artikelhabe ich viel weiterempfohlen.

Eine Lehrerin, die jeden Tag die BerlinerZeitung kauft und die ich auch fragte, war-um, meinte nur: „Es gibt nichts Besseres!“Ein Bildhauer aus Westdeutschland, der inMitte arbeitet, meinte – er ist auch sonstwortkarg: „Ist doch ’ne gute Zeitung!“ EinEhepaar: er, ein Beamter aus dem Untersu-chungsgefängnis, liest die Berliner Zeitung,sie den Tagesspiegel. Wir machen es ja ge-nauso: Mein Freund Uwe liest den Tages-spiegel und ich die Berliner Zeitung. Das istschön. So hat man sich etwas zu erzählen,kann sich unterhalten. Wir zeigen uns dieArtikel, die wir gut finden. Ich lese Uwesonnabends immer den Streifen „BerlinMitte“ auf der Aufschlagseite des Magazinsvor. Der Beamte ist übrigens auch ein Fandes Magazins.

Ein Hausmeister aus einem der Gebäudehier in der Umgebung liest schon lange dieBerliner Zeitung. Er sagte mir: „Einmal gele-sen und immer dabei geblieben.“ Ein sehrmodisch gekleideter junger Mann, der sichals Videothekar bezeichnet, beantwortetemeine Frage mit „rundherum eine gute Zei-tung“. Für meinen Geschmack ist er ja einwenig zu sehr gestylt. Aber er ist sehr nett.Ein Bankangestellter, dessen Frau ehren-amtlich für die Kirche arbeitet, sagte mir:„Eine andere Zeitung könnte ich nicht le-sen.“ Dann ist da noch ein eher schweigsa-mer, Taxi fahrender Akademiker, ein großer,feiner Mann, der jeden Tag seine Kinder biszur S-Bahn bringt und dann bei mir die Ber-liner Zeitung kauft. Das sind so meine Kun-den und Ihre Leser.

Ist doch ’ne gute Zeitung

Der Leser ist das unbekannte Wesen. Der Käufer dagegen hat ein Gesicht. Einer kennt dieKäufer besser als jeder andere: ein Kioskbetreiber inCharlottenburg. Er hat seine Kunden befragt undstellt uns den Westleser vor.

VON ACHIM MEWES

B E R L I N E R Z E I T U N G / M I K E F R Ö H L I N G

Autor Achim Mewes (r.) mit seinem Freund Uwe Jacobi-Mewes in ihrem Kiosk

Hardenbergstr.

Fasa

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Savigny-platz

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Hertzallee

Savignyplatz

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Kiosk

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