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Die Epoche der Frühen Neuzeit lässt sich als fundamentale Umbruchszeit beschrei-
ben, in deren Folge alle Bereiche des menschlichen Lebens neu geordnet werden: das
Weltbild und das Wissen um die Welt (ihre Ausdehnung und Zusammenhänge), die
ökonomischen Grundlagen (Handel und Expansionsstreben), das eigene Selbstver-
ständnis und das Verhältnis zur Natur. Ausdruck fi ndet das neue Welt- und Selbstver-
ständnis in wissenschaftlichen und künstlerischen Darstellungsformen wie Karten,
Globen, Zeichnungen etc., und natürlich auch in der Architektur und Gartenkunst.
Von Byzanz aus, wo das Wissen und die Kunst der Antike den Untergang des West-
römischen Reiches überdauern, gehen immer wieder Impulse nach Europa. Die dort
dadurch erfolgende Wiederentdeckung der Antike stimuliert bahnbrechende wissen-
schaftliche und künstlerische Entwicklungen. Um 1400 gelangen z.B. die Bücher und
Karten von Ptolomäus’ «Geographia» nach Italien und werden von dort aus durch den
Buchdruck rasch in Europa verbreitet. In der Folge entwickelt sich eine neue Vermes-
sung und Kartierung der Welt, die auf der Konstruktion eines homogenen und den
Prinzipien der euklidischen Geometrie folgenden Raumes beruht, in den sowohl die
bekannte Welt als auch alle neu entdeckten Länder und Kontinente eingeschrieben
werden können. Die eigene Verortung in diesem Raum geschieht mittels der in der Re-
naissance konstruierten Zentralperspektive bzw. durch panoramatische Darstellungs-
methoden, die durch ihren «göttlichen» Blick auf die Welt die Fiktion des absoluten
Wissens repräsentieren.
Auftraggeber für die Gärten der Renaissance waren insbesondere die Fürsten und
der hohe Klerus, doch auch die Humanisten spielten für die Entwicklung der Gar-
tenkunst eine zentrale Rolle. 1545 wurde von der Universität Padua ein botanischer
Garten (hortus simplicus) zum Studium von Kräutern angelegt (Leyden 1577, Paris
1626, Oxford 1632). Neben dem wissenschaftlichen und philosophischen Interesse
an Gärten trieb die Renaissance der Gartenkunst vor allem das Vergnügen an, solche
preziösen und vergänglichen Kunstwerke zu schaffen, die auch der eigenen Machtde-
monstration dienten. Innerhalb der Stadt waren die Gärten Teil der Wunderkammer,
ausserhalb der Stadt umgaben sie als terrassierte Anlagen die Landhäuser. Kunstvoll
geschnittene Hecken und Topiarii, von Jasmin oder Wein überwachsene Laubengänge,
Labyrinthe, spezielle Beete für seltene Pfl anzen gehören ebenso zum Renaissancegar-
ten wie ausgeklügelte Wasserspiele, muschelbesetzte Grotten, Automaten und andere
Landschaftsarchitektur HS 2014 Seite 01
Globus von Martin Behaim, 1492Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Grundriss des Botanischen Gartens in Padua Girolamo Porro, 1591
Renaissance. HS 2014 V06Die Neuordnung des Raumes
www.girot.arch.ethz.ch
www.facebook.com/LandscapeArchitectureETHZurich
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Wunderwerke. Ein spezielles mythologisch oder christlich ausgerichtetes Skulptu-
renprogramm ergänzte die Selbstdarstellung der Gartenbesitzer. Die italienischen
Humanisten Jacopo Bonfadio und Bartolomeo Taegio prägten Mitte des 16. Jh. unter
Rückgriff auf Cicero den Begriff der «terza natura», der «mit der Kunst verbundenen
Natur», um dem Phänomen des Renaissancegartens gerecht zu werden: Natur zur
Erquickung und zum Agrément.
Anette Freytag
Landschaftsarchitektur HS 2014 Seite 02
Villa d’Este. Tivoli, Strich von Étienne Dupérac, 1573 In: Härting 2002
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