Renaissance der Atomenergie?Zur Zukunft von Energie- und Umweltpolitik
DiskussionsveranstaltungPetra-Kelly-Stiftung mit Evangelische Stadtakademie Nürnberg
24. Januar 2007
Dr. Gerd RosenkranzLeiter Politik & ÖffentlichkeitsarbeitDeutsche Umwelthilfe e.V. (DUH)
Ausstieg aus dem Ausstieg
• Renaissance der Atomenergie oder Renaissance der Ankündigungen?
• Das Restrisiko des Vergessens oder was lernen wir aus Forsmark, Brunsbüttel …?
• Brauchen wir eine Neubewertung der Atomenergie? Und wenn ja: warum?
• Laufzeitverlängerung für Biblis und Co.? – und ein Wort zum Thema Vertrauen
Renaissance der Atomkraft- oder der Ankündigungen?
2202012 BlöckeUkraine
1-0Finnland020121 (?)Frankreich02050300 BlöckeUSA
4202040 BlöckeRussland3202032 BlöckeChina
Im Bau(Quelle: IAEA)
bisAnkündigungLand
Renaissance der AnkündigungenEmpirie der Zahlen?
11.500 MWWeltweit Windenergie 2005
160.000 MW Kohle;4.396 MW nuklear
China 2002 – 2005
144.000 MW fossil; 0 MW nuklear
USA 1999 – 2002
Ca. 150.000 Megawatt (MW); davon AKW: 2 %
Jährlicher Kraftwerks-zubau seit 2000 pro Jahr
28 Reaktorblöcke (Quelle: IAEA)Weltweit im Bau 200636 Reaktorblöcke (Quelle: IAEA)Weltweit im Bau 1998
83 Reaktorblöcke (Quelle: IAEA)Weltweit im Bau 1990
Das Restrisiko des Vergessens
• Der Urgrund des weltweiten Fundamental-konflikts um die Atomenergie wird in den Hintergrund geschoben
• Atomenergie wird „eingemeindet“, als sei sie eine Technologie wie jede andere, und dies als „unideologisch“ verkauft
• Erhofftes Resultat in D: Laufzeitverlängerung für Alt-Reaktoren als Gebot der Vernunft
Das Restrisiko des Vergessens
UngarnAtomkraftwerk Paks 2 am 10. April 2003
Überhitzung von Brennelementen außerhalb des Sicherheitsbehälters: 14 Stunden wird Strahlung an die Umgebung abgegeben
USAAtomkraftwerk Davis Besse, entdeckt im März 2002
Schwere Korrosion am Reaktor-Druckbehälter
Das Restrisiko des VergessensKorrosionsschaden im AtomkraftwerkDavis Besse (Ohio, USA), zufällig entdeckt März 2002
Das Restrisiko des VergessensDeutschlandAtomkraftwerk Brunsbüttel am 14. Dezember 2001
Wasserstoffexplosion nahe am Reaktor-Druckbehälter
Bei der Wasserstoff-Explosion zerstörtes Rohr in der Nähe des Reaktor-Druckbehälters.
Restrisiko des Vergessens
SchwedenAtomkraftwerk Forsmark 1 am 25. Juli 2006
Ausfall zweier Notstromdiesel und eines Teils des Überwachungs- und Steuerungssystems, Absinken des Kühlwasserstandes im Kern, Reaktorschnellabschaltung ohne Möglichkeit der Feststellung des Betriebszustands, Bis heute ist unklar, warum die beiden verbliebenen, baugleichen Notstromdiesel das auslösende Ereignis (Strom- und Spannungsspitze) schadlos überstanden haben.
Restrisiko des Vergessens
SchwedenAtomkraftwerk Forsmark 1 am 25. Juli 2006
„Der Grund für die Nicht-Abschaltung der beiden verbliebenen Wechselrichter … ist nicht bekannt. Nach Einschätzung von SKI handelt es sich um einen „Common cause failure“, der, wenn auch die beiden anderen Stränge betroffen gewesen wären, zu einem Ausfall der Wechselstromversorgung in der gesamten Notstromanlage geführt hätte und damit zu einem Ereignis, das im Sicherheitsbericht der Anlage nicht unterstellt wurde.“ (Quelle: GRS, 8.9.2006)
Restrisiko des Vergessens
SchwedenAtomkraftwerk Forsmark 1 am 25. Juli 2006
„Aufgrund der dann nicht verfügbaren Reaktordruckbehälter-Bespeisung wäre nach Aussage von SKI der Füllstand in ca. 18 min bis auf Oberkante Kern abgesunken, nach ca. 5 h wäre das gesamte Kühlmittelinventar verdampft gewesen.“ (Quelle: GRS, 8.9.2006)
Sicherheit und Laufzeitverlängerung
Quelle: Öko-Institut
0
5.000
10.000
15.000
20.000
25.000
30.000
35.000
40.000
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50
Lebensdauer (ab Beginn des kommerziellen Betriebs)
MW
Kernkraftwerke in Deutschland
Kernkraftwerke in anderen Staaten
Sicherheit und Laufzeitverlängerung
Alterung zentraler Komponenten• Hohe mechanische Belastungen (Druck)• Hohe Betriebstemperaturen• Chemisch aggressive Umgebung• Dauerbombardement mit Neutronen
Detektion schwierig
• Im Innern metallischer Werkstoffe• In oder in der Nähe von Schweißnähten• An schwer zugänglichen Orten
Sicherheit und Laufzeitverlängerung
Einfluss Liberalisierung der Strommärkte
• Personalabbau• Wiederkehrende Prüfungen seltener• Extremer Zeitdruck während Revisionszeiten• Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit gilt nicht mehr
uneingeschränkt
Sicherheit und LaufzeitverlängerungWerden Reaktoren in einem Land bei nachlassender öffentlicher Aufmerksamkeit unsicherer?Hinweis: Notstromsysteme und Sicherheitsleittechnik deutscher AKW wurden in Deutschland bis Mitte August 2006 nicht diskutiert, obwohl man 2002 der Liste der „meldepflichtigen Ereignisse“ entnehmen konnte, dass im SWR Brunsbüttel
• sechs Planungsfehler bei Steuerung der Notstromsysteme,• Drei Abweichungen für Schutzfunktionen beim Notstromfall• Und zwei Abweichungen in der Steuerung der Not- und
Nachkühlsysteme entdeckt wurden
Sicherheit und Laufzeitverlängerung
Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit (GRS) zum SWR Brunsbüttel im Januar 2006:„Die gefundenen Fehler hätten bei Störfällen …teilweise zu hohen Unverfügbarkeiten im Sicherheitssystem führen können und so die Beherrschung der Ereignisse gefährdet. Es hat sich zudem herausgestellt, dass die zum Teil vor über 20 Jahren vorgenommenen Inbetriebnahmeprüfungen verborgene Fehler in den komplexen Systemen nicht immer aufgezeigt hatten.“
Neubewertung der Atomenergie
Befürworter wie Gegner der Atomenergiefordern seit Jahren eine Neubewertung der Nukleartechnologie
Wenig überraschend kommen beideLager dabei zu sehr unterschiedlichenErgebnissen
Neubewertung der Atomenergie
Für den Einsatz der Kernenergie bedeutet der11. September 2001 eine Zeitenwende, weilterroristische Anschläge aus der Luft seit denAl-Quaida-Angriffen auf New York undWashington immer mitgedacht werdenmüssen.
In Deutschland kann der Absturz eines vollgetankten Großraumflugzeugs auf einAtomkraftwerk seither nicht mehr dem„Restrisiko“ zugeschlagen werden.
Neubewertung der Atomenergie
„During the Spain meeting, Atta also mentioned that he had considered targeting a nuclear facility he had seenduring familiarization flights near New York - a targetthey referred to as „electrical engineering“. According toBinalshibh, the other pilots did not like the idea. Theythought a nuclear target would be difficult because theairspace around it was restricted ... increasing thelikelihood that any plane would be shot down beforeimpact.“
Aus: The 9/11 Commission Report,Official Government Edition
Neubewertung der Atomenergie
„Gutachterliche Untersuchungen zu terroristi-schen Flugzeugabsturz-Szenarien aufdeutsche Kernkraftwerke“
Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit(GRS) Köln, 2002
• Kein Atomkraftwerk hält einem Absturz mit einer voll getankten Großraummaschine stand
• Dennoch gibt es große Unterschiede im Schutzniveau zwischen alten und neueren Anlagen
„Die weltweite Durchsetzung der Kernenergie fordert als Konsequenz eine weltweite radikale Veränderung der politischen Struktur aller heutigen Kulturen. Siefordert die Überwindung der wenigstens seit dem Beginn der Hochkulturen bestehenden politischenInstitution des Krieges.“
Carl Friedrich von WeizsäckerPhysiker und Philosoph, 1985
Neubewertung der Atomenergie
Neubewertung der Atomenergie
Auch die Befürworter der Kernenergie fordern eine „Neubewertung“. Ihre Argumente
Versorgungssicherheit
Klimaschutz
steigende Strom- und Energiepreise
Neubewertung der Atomenergie
Jeder schwere Unfall, jeder terroristische Anschlag – selbst wenn er fehlschlägt - gefährdet den Weiterbetrieb aller anderen Atomkraftwerke im betroffenen Land und in seinen Nachbar-staaten. Das ist das Gegenteil von Versorgungssicherheit.
Versorgungssicherheit
Klimaschutz mit Atomenergie• Bis 2050 müssen 25 – 40 Mrd. t CO2 pro Jahr
eingespart werden (IAE, IPCC)• Verdreifachung des AKW-Bestands - statt 442
etwa 1200 Neue AKW weltweit (Brüter, Plutoniumkreislauf, Ausweitung in Entwicklungs-ländern) - bringt 5 Mrd. t/a
• Energieeffizienz in Gebäuden, im Verkehr, bei Erzeugung und Anwendung, Gas statt Kohle, plus „Clean Coal“ bringt 40 – 50 Mrd. t/a
• Abwägung der Risiken kommt zu eindeutigem Ergebnis
Billige Atomkraft?
Dämpft Atomkraft in Zeiten global steigender Energiepreise die Kosten-spirale?
Ist Atomkraft (wieder) ökonomisch konkurrenzfähig?
Billige AtomkraftWas sagt die Empirie?
Atomkraft in liberalisierten Märkten
USAGroßbritannien
FrankreichFinnland
Atomkraft als Teileiner Staatsdoktrin
ChinaRusslandUkraineIndien
PakistanTürkeiIran
Nordkorea
Billige Atomkraft?Olkiluoto 3 – die finnische Realität
36 ProzentWirkungsgrad60 JahreLebensdauer90 ProzentVerfügbarkeit57 Monate (2005); 69 Monate (2006)Bauzeit
Langfristige Abnahmegarantien der Teilhaber; Kredite, u.a. 1,95 Mrd. € zu 2,6%
Finanzierung
Fixpreis 3,2 Mrd. € (2005); 3,5 Mrd. € (2006)Kosten
1750 Megawatt el. (brutto);1600 Megawatt el. (netto)
LeistungFramatome/ANP (Tochter Areva/Siemens)Hersteller
European Pressurized Reactor (EPR)Typ
Billige Atomkraft? - Zwischenfazit
Neue Atomkraftwerke entstehen heute in Ländern, indenen Kernenergie zur Staatsdoktrin gehört. Oder in denen sie massiv staatlich subventioniertwerden.
Ein halbes Jahrhundert nach ihrer Einführungbenötigt diese Technologie „Markteinführungshilfen“.
Auch das macht sie einzigartig.
Billige Atomkraft? – Einfluss Laufzeitverlängerung
Nachfrage in Mrd. Kilowattstunden
Gre
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eis
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Wh
Grundlast Mittellast Spitzenlast
Dec
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eis
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Nac
hfra
ge
Kraftwerkspark mit allen BrennstoffenGrenzkostenkurve unterliegt ständigen Änderungen
Fundamentaler Preis
Billige Atomkraft?Zusatzgewinne pro Jahr Laufzeitverlängerung
0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500
Biblis A
Neckarwestheim 1
Biblis B
Brunsbüttel
Isar 1
Unterweser
Philippsburg 1
Grafenrheinfeld
Krümmel
Gundremmingen B
Philippsburg 2
Grohnde
Gundremmingen C
Brokdorf
Isar 2
Emsland
Neckarwestheim 2
Mio. € je Betriebsjahr Laufzeitverlängerung
Strategie der LaufzeitverlängerungAbschaltfolge nach Atomausstiegsgesetz
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030
TWh
Obrigheim
Stade
Biblis A
Neckarwestheim 1
Biblis B
Brunsbüttel
Isar 1
Unterweser
Philippsburg 1
Grafenrheinfeld
Krümmel
Gundremmingen B
Philippsburg 2
Grohnde
Gundremmingen C
Brokdorf
Isar 2
Emsland
Neckarwestheim 2
Ist-Daten Prognose
Der Atomkonsens• „Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen,
dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird.“Aus der Konsensvereinbarung zwischen der Bundesregierung und denKernkraftbetreibern, 15. Juni 2000
• „Politische Kompromisse sind auch eine Frage des Vertrauens. (...) Die Vereinbarung ist ein erster Schritt. Entscheidend ist, dass beide Seiten sich auch in Zukunft an ihren Inhalt und Geist gebunden fühlen. Wir sind dazu bereit.“Erklärung des damaligen E.ON-Vorstandsvorsitzenden Ulrich Hartmann bei der Unterzeichnung der Kernenergie-Vereinbarung am 11. Juni 2001
… und seine faktische Aufkündigung
• RWE stellt am 26. Oktober Antrag auf Strommengenübertragung von AKW Mülheim-Kärlich oder AKW Emsland auf Reaktor Biblis A
• EnBW stellt am 21. Dezember Antrag auf Laufzeitverlängerung für Kraftwerk Neckarwestheim I, Übertragung von GKN II
• Vattenfall und E.ON erklären ihre Absicht, den Siedewasserreaktor Brunsbüttel länger zu betreiben und kündigen einen entsprechenden Antrag für 2007 an.
Reaktion der Umweltverbände
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Wer spricht?
Es hilft nichts jeden Morgen einmal über die Kernenergie zu sprechenMan muss den Konzernen sagen, dass sie den Atomausstieg unterschrieben haben, damit müssen jetzt alle Beteiligten lebenEs ist nicht so, dass man automatisch alle Kioto-Ziele verpasst, wenn man die Kernenergie reduziertEs gibt in der EU viele Staaten, die keine Kernenergie brauchen, um Kioto zu erreichenMan muss ehrlich sagen: Die Entsorgungsfrage ist nicht befriedigend geklärt
Atomenergie – Energie für morgen? Ein Fazit
• Die Risiken der Atomkraft bestehen fort (Forsmark, Brunsbüttel, Biblis), Alterung und Veraltung erhöhen die Sicherheitsprobleme
• Verschärfte terroristische Bedrohungssituation und regionale Spannungen erfordern eine Neubewertung
• Zum Klimaschutz können Atomkraftwerke nicht wesentlich beitragen ohne den Übergang zu Brutreaktoren und Plutoniumwirtschaft und in politisch instabile Regionen
• Atomkraft ist nicht nur sicherheitstechnisch, sondern auch finanztechnisch eine Hochrisikotechnologie
• Atomkraft setzt sich allenfalls dort durch, wo sie Teil der Staatsdoktrin ist oder staatlich hoch subventioniert wird
• Die Entsorgungsfrage ist in der Praxis nirgends auf der Welt gelöst