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Renaissance

Date post: 06-Aug-2015
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Geschichte 50 Kulturgeschichte 1431–1449 Reformkonzil in Basel 1434 Cosimo de Medici begrün- det die Herrschaft seiner Familie in Florenz, das zu einem Zentrum der Renaissance wird 1453 Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1492 Kolumbus entdeckt das heutige Kuba und Haiti 1493 Maximilian I. (bis 1519); Teilung der Neuen Welt zwischen Spanien und Portugal 1509 Beginn des Sklavenhandels von Afrika nach Amerika 1514 Bankhaus Fugger über- nimmt Ablasshandel in Deutsch- land 1517 Luther veröffentlicht seine 95 esen 1519–21 Magellan umsegelt die Erde; Cortez erobert Mexiko 1521 Luther in Reichsacht gebannt 1524/25 Bauernaufstände 1529 Erste Türkenbelagerung Wiens 1533 Ermordung des letzten Inka 1545–63 Konzil von Trient; Beginn der Gegenreformation 1555 Augsburger Religionsfrie- den; Beendigung der Glaubens- kämpfe im Reich 1556 Kaiser Karl V. dankt ab 1588 Niederlage der spanischen Armada Renaissance, Reformation, Humanismus – Vorschau und Überblick Ab 1430 Deutsche Gelehrte machen beim Konzil Bekannt- schaft mit italienischen Humanisten 1450 Johannes Gutenberg errichtet in Mainz eine Werkstatt zum Druck mit beweglichen Lettern 1453 Aus Konstantinopel flüchten Gelehrte mit antiken Manuskripten nach Europa 1473 Beginn des Baus der Sixtinischen Kapelle in Rom 1480 Johann (Georg) Faust geboren 1493 Erster Erdglobus in Deutschland 1497 Leonardo da Vinci: Abend- mahl (Gemälde) 1510 erste Taschenuhr 1513 Machiavelli: Der Fürst 1517 Kaffee kommt nach Europa 1525 Albrecht Dürer: erstes Lehrbuch der perspektivischen Geometrie; Pieter Brueghel d. Ältere geboren 1539 oder 1540 Faust gestorben 1541 Michelangelo beendet das „Jüngste Gericht“ 1543 Tod von Kopernikus und Veröffentlichung seines Werks über das heliozentrische Weltbild 1550 Adam Riese: Rechenbuch 1564 Michelangelo gestorben 1582 Gregorianische Kalender- reform 1589 Galileis Fallversuche in Pisa 1590 Mikroskop erfunden 1494 Sebastian Brant: Das Narrenschiff 1509 Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit 1515 Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel; Dunkelmänner- briefe 1517 Ulrich von Hutten beginnt zu schreiben; Hans Sachs: erste Gedichte 1520 Geiler von Kaysersberg: Das Narrenschiff; Luther: Beginn seiner Bibelübersetzung 1522 omas Murner: Vom großen lutherischen Narren 1524/25 Manifeste zum Bauern- aufstand; omas Müntzer: Manifest an die Mansfelder Bergknappen und Hochverursachte Schutzrede 1526 Erasmus: Vertraute Gespräche (Colloquia familiara) 1530 Luther: Sendbrief vom Dolmetschen; Hans Sachs: Schlaraffenland 1534 François Rabelais: Gargantua 1555 Jörg Wickram: Das Rollwagenbüchlein 1562 William Shakespeare geboren 1587 Historia von D. Johann Faust 1588 Christopher Marlowe: e Tragical History of Dr. Faustus 1588 Michel de Montaigne: Essais 1597 Das Lalebuch (Die Schild- bürger) Literaturgeschichte
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Page 1: Renaissance

Geschichte

50

Kulturgeschichte1431–1449 Reformkonzil in Basel

1434 Cosimo de Medici begrün­det die Herrschaft seiner Familie in Florenz, das zu einem Zentrum der Renaissance wird

1453 Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen

1492 Kolumbus entdeckt das heutige Kuba und Haiti

1493 Maximilian I. (bis 1519); Teilung der Neuen Welt zwischen Spanien und Portugal

1509 Beginn des Sklavenhandels von Afrika nach Amerika

1514 Bankhaus Fugger über­nimmt Ablasshandel in Deutsch­land

1517 Luther veröffentlicht seine 95 Thesen

1519–21 Magellan umsegelt die Erde; Cortez erobert Mexiko

1521 Luther in Reichsacht gebannt

1524/25 Bauernaufstände

1529 Erste Türkenbelagerung Wiens

1533 Ermordung des letzten Inka

1545–63 Konzil von Trient; Beginn der Gegenreformation

1555 Augsburger Religionsfrie­den; Beendigung der Glaubens­kämpfe im Reich

1556 Kaiser Karl V. dankt ab

1588 Niederlage der spanischen Armada

Renaissance, Reformation, Humanismus – Vorschau und Überblick

Ab 1430 Deutsche Gelehrte machen beim Konzil Bekannt­schaft mit italienischen Humanisten

1450 Johannes Gutenberg errichtet in Mainz eine Werkstatt zum Druck mit beweglichen Lettern

1453 Aus Konstantinopel flüchten Gelehrte mit antiken Manuskripten nach Europa

1473 Beginn des Baus der Sixtinischen Kapelle in Rom

1480 Johann (Georg) Faust geboren

1493 Erster Erdglobus in Deutschland

1497 Leonardo da Vinci: Abend­mahl (Gemälde)

1510 erste Taschenuhr

1513 Machiavelli: Der Fürst

1517 Kaffee kommt nach Europa

1525 Albrecht Dürer: erstes Lehrbuch der perspektivischen Geometrie; Pieter Brueghel d. Ältere geboren

1539 oder 1540 Faust gestorben

1541 Michelangelo beendet das „Jüngste Gericht“

1543 Tod von Kopernikus und Veröffentlichung seines Werks über das heliozentrische Weltbild

1550 Adam Riese: Rechenbuch

1564 Michelangelo gestorben

1582 Gregorianische Kalender­reform

1589 Galileis Fallversuche in Pisa

1590 Mikroskop erfunden

1494 Sebastian Brant: Das Narrenschiff

1509 Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit

1515 Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel; Dunkelmänner­briefe

1517 Ulrich von Hutten beginnt zu schreiben; Hans Sachs: erste Gedichte

1520 Geiler von Kaysersberg: Das Narrenschiff; Luther: Beginn seiner Bibelübersetzung

1522 Thomas Murner: Vom großen lutherischen Narren

1524/25 Manifeste zum Bauern­aufstand; Thomas Müntzer: Manifest an die Mansfelder Bergknappen und Hochverursachte Schutzrede

1526 Erasmus: Vertraute Gespräche (Colloquia familiara)

1530 Luther: Sendbrief vom Dolmetschen; Hans Sachs: Schlaraffenland

1534 François Rabelais: Gargantua

1555 Jörg Wickram: Das Rollwagenbüchlein

1562 William Shakespeare geboren

1587 Historia von D. Johann Faust

1588 Christopher Marlowe: The Tragical History of Dr. Faustus

1588 Michel de Montaigne: Essais

1597 Das Lalebuch (Die Schild­bürger)

Literaturgeschichte

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Renaissance, Humanismus, Reformation (1450–1600)

Narren, Schwänke, literarische und politische Kämpfe und die Versuche, in einer neuen Gesellschaft den richtigen Platz zu finden

Das Fundament

Ein ZeitenumbruchDie Voraussetzungen: Konzil, Konstantinopel, BuchdruckUm die Mitte des 15. Jahrhunderts konzentrieren sich Ereignisse, die Basis einer neuen Epoche werden. Im Konzil von Basel (1413–49), das sich um die Neuord­nung der Kirche bemühte, kommen Deutsche erstmals in großem Rahmen direkt mit italienischen Gelehrten zusammen. In der Folge verbringen viele ihre Studien­jahre in Italien und verbreiten bei ihrer Rückkehr die Ideen des italienischen Humanismus. Die nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen flüchtenden oströmischen Gelehrten bringen neue Erkenntnisse über die Antike nach Mittel­ und Westeuropa. 1448 sammelt Johannes Gutenberg Geld, um in Mainz eine Druckerei zu eröffnen. Er druckt nicht mehr mit jeweils eine Seite oder höchstens zwei Seiten umfassenden Druckplatten, sondern verwendet kombi­nierbare, stets neu zusammensetzbare Einzelbuchstaben. Diese Erfindung, der Druck mit beweglichen Lettern, erhöht die Druckgeschwindigkeit und ­menge entscheidend. Texte als Bildungs­ und Informationsmittel bleiben nicht mehr auf Adel oder Klerus beschränkt. Renaissance, Humanismus und Reformation, die drei Grundkräfte der Epoche, entstehen aus diesen Verände­rungen.

Renaissance: Kunst und Politik

Eine neue Kunst Das Bestreben um kulturelle Erneuerung geht im 14. Jahrhundert von Italien aus. In seinem Rückblick auf die italienische Malerei des 14. bis 16. Jahrhunderts spricht der Kunsthistoriker Georgio Vasari (1511–74) erstmals von „rinascità“ – Wiedergeburt. Tatsächlich zeigt sich in der Malerei der Zeit eine neue Weltsicht. Anders als die mittelalterliche Malerei stellen Maler wie Giotto (1267–1337) ihre Figuren nicht schematisch und meist vor einem Goldhintergrund dar, sondern geben ihnen individuelle Züge und betten sie ein in Natur und Landschaft. Nun ist, so sieht es Vasari, die Kunst wieder frei zur Nachahmung der Natur und der Antike.

Wertschätzung der Antike, Abwertung des Mittelalters Die Renaissance sah in der Antike den Sinn für Harmonie als besonders hoch entwickelt an. Die Wertschätzung der Antike führte gleichzeitig zu einer Abwertung der Kunst der unmittelbaren Vergangenheit. So entstand damals in Italien die abschätzig gemeinte Bezeichnung „gotisch“ für die Kultur des Mittelalters. Die Goten wurden als Synonym für die Deutschen und „Barbaren“ angesehen, im Gegensatz zu Römern und Griechen. Damit war die Meinung vom „finsteren Mittelalter“ geboren, der Zeit des angeblichen Verfalls zwischen Antike und dem 14. Jahrhundert.

1431–1449 Konzil von Basel – deutsche Gelehrte finden den ersten direkten Kontakt zu italienischen Humanisten.1452 Johannes Gutenberg druckt seine erste Bibel. 1453 Die Osmanen erobern Konstantinopel, Gelehrte flüchten ins Abendland und bringen antike Texte mit.Um 1600 Abklingen des humanistischen Elans, spür­bares Stagnieren der deut­schen Literatur.

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Wunsch nach politischer Erneuerung Geistigen und politischen Aufbruch aus den Wirren des späten 13. Jahrhunderts erhoffte sich bereits der Floren­tiner Dante Alighieri (1265–1321). Er erwartete ein neues Weltkaisertum, welches das Leben Italiens erneuern würde. Später wurden die politischen Ideen von Nicolò Macchiavelli (1469–1527) wirksam, der in seinen Werken wie „Il principe“ („Der Fürst“) auch die gewaltsam errungene Macht als legitime Grundlage für ein funktio­nierendes Staatswesen betrachtete.

Der BegriffDer Begriff Renaissance setzte sich im 19. Jahrhundert in Frankreich durch. Er fand Eingang in den deutschen Sprachgebrauch über die auch heute noch als bahnbrechend angesehene Studie „Die Kultur der Renaissance in Italien“ von Jacob Burckhardt (1859).

Humanismus: Bildung und Wissenschaft

Gegen vorgegebenes Denken Das Streben nach „humanitas“ kennzeichnet Literatur und Wissenschaft der Epoche. Kern sind die „studia humaniora“: die Pflege der antiken Sprachen und Literaturen. Ziel der Studien ist ein autonomer Mensch, der sich von vorgegebenem Denken löst, fähig ist, seine geistigen Kräfte zu entwickeln, und nicht mehr nur auf das von der Kirche versprochene bessere Leben nach dem Tod wartet. Einer der ersten Humanisten ist Francesco Petrarca (1304–74). Für ihn gibt es drei Gründe, die Antike als Vorbild zu nehmen: die römische Republik als Beispiel einer gerechten Staatsform, die römische Dichtung und das römische Ideal eines selbstbestimmten, auf Lebensbejahung gerichteten Menschen.

Aufschwung der Universitäten Das Bestreben, die antiken Quellen im Original zu lesen, trug mit zum Aufschwung der Universitäten bei. Die ersten Universitäten im deutschen Sprachraum wurden im 14. Jahrhundert gegründet: Prag 1348, Wien 1365, Heidelberg 1385. Sie lösten die bis dahin weitgehend klösterlichen Hochschulen ab. Die Gründung der Uni­versitäten in den Städten trug der zunehmenden wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung des Bürgertums Rechnung. Zunächst übernahmen die Universitäten die mittelalterlichen Lehrsysteme: das Trivium (= Dreiweg), bestehend aus Grammatik, Dialektik (= Argumentationskunst), Rhetorik, und das Quadrivium (= Vierweg), be­stehend aus Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie. Doch bald wurden neue Schwerpunkte gesetzt. Das Trivium wurde ausgedehnt auf das Studium des Griechischen und des Hebräischen. Das Quadrivium wurde er­gänzt durch Experimente und Beobachtungen. Die daraus resultierenden Entdeckungen, wie die von Kopernikus (heliozentrisches Weltbild), Kepler (Planetenbewegung) und Galilei (Propagierung des heliozentrischen Welt­bildes) erregten den Widerstand der Kirche, die ihr Monopol auf die Erklärung der Welt gefährdet sah.

Reformation: Kirche und Glaube

Forderungen nach kirchlicher Erneuerung und Luthers Thesen Nicht nur die Naturwissenschaften erschütterten die kirchlichen Ansprüche auf die Alleininterpretation der Welt. Bereits in den Konzilien von Konstanz und Basel wurden Forderungen nach kirchlicher Erneuerung laut. Die weltliche Haltung vieler Päpste, denen sexuelle Ausschweifung, Ämterschacher, Mord nicht fremd waren, wider­sprach den Glaubensgrundsätzen. Auch soziale Kritik an der Kirche wurde laut. Das Bürgertum und der Bauern­stand sahen Mönche und Priester als „Nichtstuer“ an. Das beginnende deutsche Nationalgefühl verstärkte die Abneigung gegen Rom. Luthers Kritik am Ablasshandel (1517), den der Papst eingerichtet hatte, um die Neuer­richtung des Petersdomes zu finanzieren, markiert den Beginn der Reformation. Die Forderung Luthers, die Bibel aus dem griechischen und hebräischen Urtext zu übersetzen, trifft sich auch mit den Ideen der Humanisten, „ad fontes“ zu gehen, zu den von den kirchlichen Autoritäten nicht verfälschten Textquellen.

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Die Literaturübersicht

Schreiben zur Belehrung, Unterhaltung und als KampfmittelDie Aufgaben der LiteraturBelehrung und Bildung, Kampfmittel im Dienst der politischen und religiösen Auseinandersetzung und Unter­haltung wurden die Funktionen der Literatur. Eine besondere Aufgabe übernahm die Literatur in den Städten – einerseits diente sie in den Gymnasien zur Vertiefung der Lateinkenntnisse, anderseits als Selbstbewusstsein ver­leihendes Instrument der Bürger und Handwerker.

Erziehung und Bildung Die Humanisten glaubten an die Wirkung von Bildung. Ein großer Teil der Literatur dieser Zeit hat deshalb lehrhaften Charakter. Die Themen, denen sich die humanistischen Schriftsteller der Zeit wie Conrad Celtis (1459–1508), Erasmus von Rotterdam (1469–1536), Johannes Reuchlin (1455–1522) oder Ulrich von Hutten (1488–1523) widmen, reichen von politischen, moralischen, pädagogischen Fragen bis zu Empfehlungen zum Verhalten bei Tisch. Die Art, wie man sich in einer nicht mehr durch mittelalterliche Standesregeln geprägten Gesellschaft verhalten sollte, war eine wichtige Frage. Allerdings war die Wirkung der Schriften der Humanisten deshalb eingeschränkt, weil sie großteils in Latein abgefasst waren. Humanisten wie Ulrich von Hutten erkannten dieses Problem und schrieben ihre späteren Schriften deshalb auf Deutsch. Die Lehren wurden häufig in Form von Dialogen, Tischgesprächen oder (fingierten) Briefen gebracht. Als Beispiel finden Sie den Dialog „Der Abt und die gelehrte Frau“ von Erasmus von Rotterdam (1).

Belehrung durch die Narren Eine andere Art der lehrhaften Literatur der Zeit ist die Satire mit ihrer Sonderform, der Narrenliteratur. Die Narren halten den Menschen, die von der „wisheyt“ abgewichen sind, einen Spiegel vor, in dem sie ihr Fehl­verhalten erkennen sollen. Das „Narrenschiff“ von Sebastian Brant (1458–1521) ist ein Hauptwerk dieser Literatur (2). Die bekannteste Figur der Narrenliteratur wurde Till Eulenspiegel (3).

Das gedruckte Wort als Mittel im religiösen Kampf In der Reformation wurde die Literatur in hohem Maß als Waffe in der Konfrontation zwischen den religiösen Parteien eingesetzt. Erstmals spielten Flugschriften, Texte von höchstens einigen Seiten, eine bedeutende Rolle. Ihre rasche Vervielfältigung war durch den Buchdruck möglich geworden. Von 1518 bis 1524 stieg die Produk­tion deutscher Drucke von 1500 Stück auf rund 10.000. Höchstens 10 Prozent waren, so schätzen Forscher/­Forscherinnen, nicht religiösen Inhalts. Auch die Gegner der Reformation bedienten sich der neuen Medienmög­lichkeiten. Die Auseinandersetzungen zwischen Martin Luther (1483–1546) und seinen Anhängern und seinen Gegnern, wie dem besonders angriffslustigen Thomas Müntzer (1489–1525), gehören zu den schärfsten dieser Zeit. Viele Humanisten standen anfangs der Reformation nahe, wandten sich aber wieder von ihr ab. Luthers Anschauung, der menschliche Wille sei aufgrund der Erbsünde unfrei, widersprach der Hoffnung der Huma­nisten auf die Erneuerung des Menschen durch Bildung und Wissenschaft.

• Erweitern Sie in Gruppenarbeit das Basiswissen zum kulturellen Hintergrund von Renaissance und Huma­nismus:

Gruppe 1: Informationen zur Kunst der italienischen Renaissance: Stichworte Florenz, Medici, Leonardo da Vinci, Raffael, Michelangelo;

Gruppe 2: Informationen zur Kunst der Renaissance nördlich der Alpen: Stichworte Albrecht Dürer, Lucas Cranach, Hans Holbein, Albrecht Altdorfer, Rogier van der Weyden;

Gruppe 3: Baukunst der Renaissance in Österreich: Stichworte Landhaus in Graz, Schloss Porcia in Kärnten, Schallaburg in Niederösterreich, Goldenes Dachl in Innsbruck.

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Die Literatur engagiert sich Die Reformation lenkte das Bewusstsein auch auf soziale Ungerechtigkeiten. In den Bauernkriegen von 1524/­25 bildeten Flugschriften und Manifeste ein beherrschendes Kampfmittel. Von besonderer Schärfe waren die Mani­feste wie die „Hochverursachte Schutzrede“ und das „Manifest an die Mansfelder Bergknappen“ von Thomas Müntzer (4), der die religiösen Forderungen von Gleichheit und Brüderlichkeit in die Tat umsetzen wollte. Luther allerdings lehnte den Aufstand mit der Begründung ab, die weltliche Ordnung könne sich ohne Ungleich­heit nicht behaupten. In seiner Schrift „Wider die reubischen und mördisschen rotten der bauren“ rechtfertigte er die blutige Niederschlagung der Aufstände.

Literatur zur Unterhaltung: Volksbücher und Schwänke Der Buchdruck ermöglichte es auch, dass erstmals das Buch in größerem Umfang als Unterhaltungsmittel ein­gesetzt wurde. Spätmittelalterliche Stoffe werden in Schwanksammlungen zum beliebten Lesestoff. Ein Beispiel dafür ist das „Rollwagenbüchlein“ von Jörg Wickram (1505–62). Die „Volksbücher“, wie etwa die „Historia von D. Johann Fausten“ aus dem Jahr 1587 (Faust-Fenster), „Die Schildbürger“ (1598) oder die „Historie von dem gehörnten Siegfried“, die den Siegfried­Stoff mit Artusmotiven vermengt, werden populär.

Die Literatur der Städte Der Aufschwung von Handel und Handwerk im 15. Jahrhundert begünstigte auch die Entfaltung des kulturellen Lebens in den Städten. Bürger, kirchliche Kreise und in die Stadt gezogene Adelige formten sich in schulischen Einrichtungen, deren höchste Ebene die humanistisch geprägten Gymnasien waren. In ihnen bildete sich das meist in Latein verfasste Schuldrama, das im Dienst von Humanismus und Reformation stand. Die Handwerker pflegten eine eigene Art von Dichtung, den „Meistersang“, ohne Musikbegleitung vorgetragene Lieder. Diese „Meistersinger“ sahen sich als Nachfahren der Minnesänger des Mittelalters, unter denen sie besonders Walther von der Vogelweide schätzten. Fixe Regeln für Text und Vortrag sollten die Dichtung erlernbar machen. Dies trug allerdings auch bei zur Verschulung der Dichtung und zum Verlust schöpferischer Spontaneität. Der bedeu­tendste Meistersinger, Hans Sachs (1494–1576), dem wir eine frühe Fassung des Motivs vom „Schlaraffenland“ verdanken (5), wirkte in Nürnberg. Er schrieb nicht nur Tausende von Meisterliedern, sondern auch viele Komö­dien, Fastnachtsspiele, Schwänke und Flugblatttexte im Dienst der Reformation.

Der Leseraum

1) Bildung statt Saufbrüder Erasmus von Rotterdam: „Der Abt und die gelehrte Frau“ (1526)

Gescheite Frauen, dumme Äbte Schüler, Mönche, Kaufleute, selbstbewusste Frauen und Dirnen treten in Erasmus von Rotterdams „Colloquia familiaria“ – „Vertraute Gespräche“ auf. 81 Dialoge befassen sich mit Fragen der Bildung, des Verhaltens in der Gesellschaft, Missständen im Klerus. Der folgende Abschnitt stammt aus dem satirischen Dialog „Der Abt und die gelehrte Frau“. Abt Antronius besucht die Dame Magdalia und wundert sich, dass ihre Wohnung voller Bücher ist.

Antronius: Ich möchte nicht, dass meine Mönche häufig über den Büchern säßen.Magdalia: Mein Mann jedoch ist sehr dafür. Aber warum bist du denn bei den Mönchen dagegen?Antronius: Weil ich merke, dass sie dann weniger unterwürfig sind: rasch sind sie mit Antworten aus […]

Petrus und Paulus zur Hand.Magdalia: Du verlangst also von ihnen Dinge, die mit Petrus und Paulus in Widerspruch stehen?Antronius: Was bei denen steht, weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich nicht gern einen Mönch, der freche

Antworten gibt; und ich möchte auch nicht, dass einer meiner Untergebenen gebildeter ist als ich.Magdalia: Das wäre zu vermeiden, wenn du danach strebtest, selbst möglichst gebildet zu sein.

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Antronius: Dazu fehlt mir die Zeit.Magdalia: Wieso?Antronius: Weil ich sie nicht habe.Magdalia: Du hast keine Zeit, dich zu bilden?Antronius: Nein.Magdalia: Was hindert dich?Antronius: Ausgiebiges Beten, Besorgung des Hauswesens, Jagden, Pferde

und der Dienst bei Hof.Magdalia: Dann ist dir das also wichtiger als Bildung?Antronius: Das pflegt bei uns so zu sein. […]Magdalia: Hältst du den für einen Menschen, der weder Bildung besitzt

noch sie haben will? […] Antronius: Die Bücher rauben den Frauen viel von ihrem Verstand, und

sie haben ohnehin zu wenig. Magdalia: Wie viel ihr Männer habt, weiß ich nicht. Ich möchte jedenfalls

das wenige, das ich habe, lieber für ordentliche Studien verwenden als für das sinnlose Hersagen von Gebeten, für nächtelange Trinkgelage und das Leeren riesiger Humpen.

Antronius: Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. Magdalia: Und das Gerede von Saufbrüdern, Possenreißern und Hans­

wursten bringt dich nicht um den Verstand? Antronius: Nein, es vertreibt die Langeweile. […] Irgendwie ist es doch

so: Wie ein Sattel nicht zum Ochsen, so passt die Bildung nicht zur Frau.

Magdalia: Aber du kannst nicht leugnen, dass ein Sattel noch eher zum Ochsen passt, als die Mitra1 zum Esel oder Schwein. […] Ebenso war früher einmal ein ungebildeter Abt ein seltener Vogel; heutzutage ist nichts häufiger als das. […] Wenn ihr euch aber nicht in Acht nehmt, wird es noch soweit kommen, dass wir in den theologischen Schulen den Vorsitz führen und in den Kirchen predigen. Wir werden eure Mitren in Besitz nehmen.

Antronius: Das möge Gott verhüten. Magdalia: Nein, es wird an euch liegen, es abzuwenden. Wenn ihr euch weiterhin so verhaltet wie bisher,

werden eher die Gänse auf die Kanzel steigen, als dass sie noch länger euch stumme Hirten ertragen. […] Antronius: Dass ich diesem Weib begegnen musste! Wenn du uns einmal besuchst, werde ich dich höflicher

empfangen.Magdalia: Wie denn? Antronius: Wir werden tanzen, reichlich trinken, jagen, spielen und lachen. Magdalia: Ich habe allerdings Lust, schon jetzt zu lachen.

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Erasmus von Rotterdam

(1469–1536) ist der führende Humanist seiner Zeit: Illegitimes Kind eines Priesters und einer Arzttochter, verliert er mit 14 seine Eltern, wird zum Eintritt ins Kloster genötigt. Früh aufgefallen wegen seines Verstandes, wird er vom Klosterleben entbunden und studiert in Paris. Seine Angriffe ge­gen die Entartung der Kirche be­reiten die Reformation mit vor. Erasmus hält sich von ihr aber be­wusst fern und strebt einen Aus­gleich zwischen den Konfessionen an. In den späteren Lebensjahren hat Erasmus viele Kontroversen auch mit manchen seiner Anhän­ger, unter anderem auch deshalb, weil er aus Risikoscheu dem ver­folgten und kranken Humanisten Ulrich von Hutten seine Hilfe ver­weigert.

i In

fo• Tragen Sie den Text mit verteilten Rollen ausdrucksvoll laut vor. Überlegen Sie, wie Sie die Personen anlegen

möchten: den Abt eventuell tölpelhaft oder machtbewusst oder gleichgültig oder sehr zum guten Essen und Trinken geneigt ...; die Dame entweder schnippisch oder selbstbewusst oder ironisch oder zornig ...!

Erstellen Sie die folgende Übersicht (eventuell in einer Tabelle in Ihrem Heft): a) Für den Abt wichtig b) Vom Abt abgelehnt c) Begründungen des Abtes d) Für die Dame wichtig e) Von der Dame abgelehnt f ) Begründungen der Dame g) Anschauungen des Abtes darüber, was eine Frau darf/­nicht darf

1 Bischofsmütze

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Sebastian Brant

[…] Sie waschen ihre Hände nicht,Wenn man die Mahlzeit zugericht’t,Oder wenn sie sich zu Tische setzen,Sie andre in dem Platz verletzen,Die vor ihnen sollten sein gesessen;Vernunft und Hofzucht sie vergessen,Dass man muss rufen: „Heda, munter,Mein guter Freund, rück weiter runter!Lass den dort sitzen an deiner Statt!“Ein andrer nicht gesprochen hatDen Segen über Brot und Wein,Eh er bei Tische Gast will sein;Ein andrer greift zuerst in die SchüsselUnd stößt das Essen in den Rüssel Vor ehrbarn Leuten, Frauen, Herrn, Die er vernünftig sollte ehrn, Dass sie zum ersten griffen an Und er nicht wär zuvorderst dran. Der auch so eilig essen muss, Dass er so bläst in Brei und Mus,

Strengt an die Backen ungeheuer, Als setzte er in Brand ’ne Scheuer. Mancher beträuft Tischtuch und Kleid, Legt auf die Schüssel wieder breit, Was ihm ist ungeschickt entfallen, Unlust bringt es den Gästen allen. Andre hinwieder sind so faul, Wenn sie den Löffel führen zum Maul, Dann hängen sie den offnen Rüssel So über Platte, Mus und Schüssel, Dass, fällt ihnen etwas dann darnieder,Dasselbe kommt in die Schüssel wieder. Etliche sind so naseweise: Sie riechen vorher an der Speise Und machen sie den andern Leuten Zuwider, die sie sonst nicht scheuten. Etliche kauen etwas im Munde Und werfen das von sich zur Stunde Auf Tischtuch, Schüssel oder Erde, Dass manchem davon übel werde. […]

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2) Die Narren halten den Narren einen Spiegel vor Sebastian Brant: „Das Narrenschiff“ (1494)

Der Bucherfolg der RenaissanceBrants „Narrenschiff“ ist der größte Bucherfolg bis zu Goethes fast 300 Jahre später erscheinendem Werk „Die Leiden des jungen Werthers“. Zeit­genossen vergleichen Brant mit den Dichtungsgrößen Homer, Dante und Petrarca. Über die Themen des Buches wird von den Kanzeln gepredigt. In der Vorrede zu diesem Bestseller formuliert der Autor das Anliegen des Werks: zu nutz vnd heylsamer ler /­ vermanung und ervolgung der wysheit /­ ver­nunft und guter sytten: Ouch zu verachtung und straff der narheyt /­ blint­heit […] und dorheit […] der menschen.

In 112 Kapiteln beschreibt Brant satirisch Narrentypen als Verkörperung sozialer und moralischer Untugenden. Für Leseunkundige ist jedem Kapitel ein Holzschnitt vorangestellt, der die jeweilige Narrheit illustriert. Der Optimismus, dass schlechtes Verhalten im Grunde nur Narretei sei, seine Gründe im Nichtwissen habe und durch Information und Beispiele Besse­rung erreicht werden könne, ist ein wichtiges Kennzeichen des Humanismus.

Einsicht ist der erste Weg zur Besserung: „Denn wer sich für ein narren acht /­ der ist bald zu eim weisen gemacht.“ Lehrhafte Werke legen ihre Schwerpunkte oft in die Anfangs­ und Schlusskapitel. Lesen Sie deshalb Auszüge aus dem letzten Kapitel, „Von schlechten Sitten bei Tische“. Sie sind in unsere Standardsprache übertragen.

Bei Tisch begeht man Grobheit viel,Die zähl man auch zum Narrenspiel,Von der zuletzt ich sprechen will.

• Gliedern Sie Brants Kritik nach folgenden Aspekten: Nötige Respektierung von Rangunterschieden, Hygiene, Peinlichkeit und Ekel, Gier, religiöse Formen!

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Noch viele Narreteien Andere Kapitel des „Narrenschiffs“ tragen die Titel „Von Völlerei und Prassen“, „Von unnützem Wünschen“, „Von vielem Schwatzen“, „Von Trägheit und Faulheit“, „Heiraten des Geldes wegen“, „Schlechtes Beispiel der Eltern“. Alle „Narren“ des Textes und sämtliche Holzschnitte finden Sie unter http:/­/­www.paulcelan.de/­brant/­brant_frameset.htm.

3) Ein Narr findet Eingang in die Weltliteratur„Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel“ (1515)

Wer ist Till Eulenspiegel? Angeblich ist er in Mölln im Norden Deutschlands 1350 gestorben, Dil Ulen­spiegel. Ob er tatsächlich eine historische Person ist, bleibt unklar. Niederdeutsch „ulen“ bedeutet kehren, fegen, „Spiegel“ steht in der Jägersprache für Hinterteil. Der Name dürfte also eher ein bildhafter Ausdruck dafür sein, was Eulenspiegel will: die Leute dank seines Witzes „reinigen“ – von Dummheit, Lastern, üblen Gewohnheiten. Charakteristisch für Till Eulenspiegel, so die Übertragung des Namens ins Hochdeutsche, ist sein Spiel mit der Mehrdeutigkeit der Sprache. Indem Till die Formeln und Metaphern des täglichen Sprachgebrauchs anders deutet als seine Gesprächspartner und sie meist wörtlich nimmt, stiftet er Ver­wirrung. Lesen Sie einen Ausschnitt in einer neuhochdeutschen Fassung.

Till Eulenspiegel in Hamburg

• Besuchen Sie diese Seite und stellen Sie fest, welche weiteren Narrheiten der Autor anprangert!

Till Eulenspiegel

Einst kehrte Eulenspiegel im „Roten Löwen“ ein und verlangte kurz und barsch für sein Geld eine gute Suppe, forderte dann auch noch ein Stück gebratenes Rindfleisch und Gemüse für sein Geld und ließ sich alles trefflich schmecken. Der Löwenwirt machte einen höflichen Bückling über den andern und fragte, ob dem Herrn auch ein Glas Wein beliebe. „Freilich ja“, antwortete Eulenspiegel, „wenn ich für mein Geld etwas Gutes haben kann.“ Der Wein war gut, und Till trank ihn mit großem Behagen, schnalzte mit der Zunge und wischte sich den Mund, wie einer, dem es trefflich geschmeckt hat. Dann zog er einen Kupferpfennig aus seiner Tasche und sagte: „Da, hier, Herr Wirt, nehmt mein Geld!“ Der Löwenwirt machte große Augen und wusste lange nicht, ob er es für Ernst oder Scherz nehmen sollte. Als Till aber ganz unbefangen Miene machte davonzugehen, vertrat er ihm den Weg und sagte: „Was soll das heißen? Ihr seid mir einen Doppelschil­ling schuldig und gebt mir einen lumpigen Pfennig.“

„Ich habe für keinen Doppelschilling Speise von Euch verlangt, Herr Wirt, sondern für mein Geld“, versetzte Eulenspiegel. „Hier ist mein Geld, mehr habe ich nicht, und habt Ihr mir zuviel dafür gegeben, so ist‘s Eure eigene Schuld.“ „Ihr seid ein durchtriebener Schalk“, erwiderte der Löwenwirt, „und hättet wohl etwas anderes verdient. Indessen, ich schenke Euch die Mahlzeit und diesen Schilling noch dazu, nur schweigt von der Geschichte und geht morgen zum Bärenwirt gegenüber und macht es mit dem ebenso!“ Till steckte schmunzelnd das dargebotene Geldstück ein, dann griff er nach der Tür, wünschte dem Wirt einen guten Tag und sagte: „Bei Eurem Nachbarn, dem Bärenwirt, bin ich schon gestern gewesen, und der gerade hat mich zu Euch geschickt. Damit Ihr aber Euer Geld nicht nutzlos vergeudet habt, hört meinen Rat: „Vertragt Euch mit Eurem Nachbarn und merkt Euch das Sprüchlein: Wo zwei sich stritten, erfreut es nur den dritten!“

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• Auf welcher von Eulenspiegel wörtlich und ernst genommenen, vom Wirt aber wie allgemein üblich als metaphorische Redensart interpretierten Redewendung beruht der Witz der Erzählung?

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4) „Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann Feind wird.“ Thomas Müntzer: „Hochverursachte Schutzrede“ und „Manifest an die

Mansfelder Bergknappen“ (1525)Die harte soziale Lage Zwei Missernten 1523 und 1524 spitzen die soziale Lage in Deutschland zu. Die Masse der Bauern hat nur Kleinstbesitz an Land und ist überdies weltlichen oder geistlichen Grund­ und Gerichtsherren in Leibeigenschaft verpflichtet. Schnell nehmen im 16. Jahrhundert auch die gänzlich besitzlosen Schichten zu. Sie machen in den Städten oft 50% der Einwohner aus. Auch die soziale Lage vieler Handwerker ist schlecht. Revolten brechen aus, vor allem im Süden Deutschlands. Die Bauern fordern eine Befreiung von den drückendsten Lasten. Stattgegeben wurde ihren Forderungen nicht. Die Aufstände der Bauern fordern etwa 100.000 Menschenleben.

Kontra Luthers Appell zur Mäßigung Müntzers „Schutzrede“ wurde gegen die Distanzierung Luthers von den Bauernaufständen verfasst. Müntzer hatte in den Städten, wo es unabhängig von ihm bereits Revolten gegeben hatte, nicht den erwünschten Zulauf gefunden. Deshalb hoffte er die ebenfalls mit ihrer Lage unzufriedenen Bergleute in die Bauernheere eingliedern zu können. Nach dem Zusammenbruch der Revolten wurde Müntzer am 27. 5. 1525 hingerichtet.

Hochverursachte Schutzrede

Manifest an die Bergknappen

5) Belehren und unterhalten Hans Sachs: „Das Schlaraffenland“ (1530)

Komik zieht Den städtischen Bürger­ und Handwerkerschichten moralische Lehren zu vermitteln und sie gleichzeitig kreativ tätig werden zu lassen, ist ein wichtiges Bestreben der Meistersinger. Unterhaltsame Inhalte sind beliebt, zum Beispiel das Motiv des Schlaraffenlandes. Der folgende Text ist an unsere moderne Standardsprache angepasst.

Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei sind unsere Herrn und Fürsten, sie nehmen alle Kreaturen zum Eigentum: die Fisch im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden, alles muss ihnen gehören. Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und spre­chen: „Gott hat geboten: Du sollst nicht stehlen.“ Es halten sie sich aber nicht daran. Da sie nun alle

Menschen peinigen, den armen Ackermann, Hand­werkmann und alles, das da lebt, schinden und schaben, so wird er erhängt, wenn er sich dann vergreift am Allergeringesten. […] Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun. Wie kann es auf die Dauer gut werden? So ich das sage, muss ich aufrührisch sein! Wohlhin!

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• Welche Stilmittel sind für diesen Appell kennzeichnend?

• Welche Widersprüche klagt Müntzer an? Wohin führen laut Müntzer die Ungerechtigkeiten zwangsweise?

Das ganze deutsche, französisch und welsche Land ist bewegt. […] Zu Fulda sind in der Osterwoche vier Stiftkirchen verwüstet. Die Bauern im Kleegau und Hegau, Schwarzwald sind auf, dreimal tausend stark, und wird der Hauf je länger desto besser. […] Dran, dran, dieweil das Feuer heiß ist. Lasset euer Schwert nit kalt werden! Schmiedet pinke­panke auf den Ambossen, […] werfet ihnen den Turm zu Boden! Es ist nit möglich, derweil sie leben, dass ihr der Furcht

könnt leer werden. […] Dran, dran, weil ihr Tag habt. Gott gehet euch vor, folget, folget! […]. Drum lasst euch nit abschrecken. Gott ist mit euch, wie geschrie­ben […] Dies sagt Gott: Ihr sollt euch nit fürchten. Ihr sollt diese große Menge nit scheuen […] Ihr werdet sehen die Hilfe des Herren über euch […] Amen.

Datum zu Mühlhausen im Jahre 1525 Thomas Müntzer, ein Knecht Gottes wider die Gottlosen.

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Das Schlaraffenland

Der Fokus

Luthers ÜbersetzungskunstLuther und die neuhochdeutsche SchriftspracheDa viele Menschen Luthers Bibelübersetzung lesen wollten, wurde die Bildung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache beschleunigt. Luther sprach Mitteldeutsch, das zum Hochdeutschen gehört. Die Sprache der Wiener Kaiserlichen Kanzlei, die im 15. Jahrhundert schon einen weiten Geltungsbereich im deutschen Sprach­gebiet hatte, war das Oberdeutsche, ebenfalls eine Form des Hochdeutschen. Deshalb setzte sich das Hochdeutsche als Schriftsprache ab dem 16. Jahrhundert im ganzen deutschen Sprachraum durch. Der Norden des deutschen Sprachraums, das Gebiet des Niederdeutschen, übernahm diese Schriftsprache quasi als „Fremdsprache“.

Luthers Ziel Die Bibelübersetzung Luthers aus den hebräischen und griechischen Urtexten fand großen Absatz. Zwischen 1534 und 1570 wurden allein von einem einzigen Drucker in der Lutherstadt Wittenberg mehr als 100.000 Exemplare ausgeliefert. Doch Luther wollte nicht nur besser verständlich sein als seine Vorgänger. Es ging ihm auch um die emotionale Wirkung der Sprache, mit der er die Menschen für seine religiösen Anschauungen gewin­nen wollte. Im „Sendbrief vom Dolmetschen“ (1530) erläutert der Autor seine Übersetzungsprinzipien:

Eine Gegend heißt Schlaraffenland,den faulen Leuten wohlbekannt;die liegt drei Meilen hinter Weihnachten.Ein Mensch, der dahinein will trachten,muss sich des großen Dings vermessenund durch einen Berg von Hirsebrei essen;der ist wohl dreier Meilen dick;alsdann ist er im Augenblickim selbigen Schlaraffenland.Da hat er Speis und Trank zur Hand;da sind die Häuser gedeckt mit Fladen,mit Lebkuchen Tür und Fensterladen.Um jedes Haus geht rings ein Zaun,geflochten aus Bratwürsten braun;vom besten Weine sind die Bronnen,kommen einem selbst ins Maul geronnen. […]Auch fliegen um, das mögt ihr glauben,gebratene Hühner, Gäns’ und Tauben;wer sie nicht fängt und ist so faul,dem fliegen sie selbst in das Maul.Die Schweine, fett und wohlgeraten,laufen im Lande umher gebraten.

Jedes hat ein Messer im Rück’;damit schneid’t man sich ab ein Stückund steckt das Messer wieder hinein.Käse liegen umher wie die Stein. […] Auch ist ein Jungbrunn in dem Land;mit dem ist es also bewandt:wer da hässlich ist oder alt,der badet sich jung und wohlgestalt’t. […] Wer Zucht und Ehrbarkeit hätt lieb,denselben man des Lands vertrieb,und wer arbeitet mit der Hand,dem verböt man das Schlaraffenland.Wer unnütz ist, sich nichts lässt lehren,der kommt im Land zu großen Ehren,und wer der Faulste wird erkannt,derselbige ist König im Land. […] Wer also lebt wie obgenannt,der ist gut im Schlaraffenland,in einem andern aber nicht.Drum ist ein Spiegel dies Gedicht,darin du sehest dein Angesicht.

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• Welche Wünsche und Sehnsüchte des Menschen werden im Text ausgedrückt? • Was wäre für Sie persönlich das „Schlaraffenland“?

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Luthers Deutsch und unser Deutsch Luther hat die deutsche Sprache um viele ausdrucksstarke Wendungen bereichert. Einige Beispiele:

ein Dorn im Auge sein, himmelhoch jauchzend, Gewissensbisse, die Haare stehen zu Berge, mit Zittern und Zagen, herzzerreißend, durch die Finger schauen, ein Schandfleck, sein Herz ausschütten, aus seinem Herzen eine Mördergrube machen, mit Feuereifer, ein Lückenbüßer, unrecht Gut gedeihet nicht, Muttersprache, Stein des Anstoßes, die Hände in Unschuld waschen, sein Licht unter den Scheffel stellen.

Auch die „Volxbibel“ will dem „Volk aufs Maul schauen“ Die Diskussion ist heftig. Je nach Standpunkt wird sie als revolutionär oder gotteslästerlich bezeichnet. Es geht um die „Volxbibel“, welche die Evangelien in den Jugendslang überträgt. Josef und Maria schlafen im Stall, weil sie „keinen anständigen Pennplatz mehr gefunden haben“, besucht von Hirten, die „voll die Panik bekommen“, leuchten „wie 5000­Watt Halogenlampen“ und hören: „Heute Nacht ist der Mann geboren worden, der euch alle aus eurem Dreck holen wird.“ Das „Vater unser“ beginnt so: „Hey, unser Papa da oben.“ Das Jüngste Gericht wird so dargestellt: „Der Mailwasher sortiert dir die guten Mails raus, der ganze Schrott kommt in den Mülleimer und wird gelöscht. So wird es auch am letzten Tag der Erde sein.“ Jeder ist eingeladen, seine Ideen einzubringen, so dass sich auch die Übertragung laufend ändert und dem aktuellen Sprachgebrauch anpasst. Proargumente für diese Art der Bibelübertragung liefert die Internetseite www.volxbibel.de; Kontraargumente finden Sie auf www.volxbibel.de.vu.

Ein österreichischer Vorgänger Allerdings ist die „Volxbibel“ nicht der erste Versuch, die Bibel in eine neue sprachliche Form zu bringen. Der Wiener Autor Wolfgang A. Teuschl hatte 1971 mit seiner Version der Evangelien, „Jesus und seine Hawara“, Skandal erregt. Dort heißt es über die Geburt Jesu: „Und sie hod ian Buam (ian easchdn Gschroppm) auf d Wöd brocht. Und wäu olle Wiadsheisa bumfoe gwesn san und niagns a Kammal frei woa, hods eam in a boa Fezzaln eigwikkld und hod eam eineglegd in so an Schroong.“

Die Bibel in frauengerechter Sprache Ein weiteres Übersetzungsprojekt, das sich „Bibel in gerechter Sprache“ nennt, will „männlich­autoritäre“ und „frauenfeindliche“ Interpretationen des Bibeltextes tilgen. Auch dieses Vorhaben nimmt Luther als „Zeugen“. Eine am Projekt beteiligte Wissenschafterin: „Schon Luther riet, bei Bibelübersetzungen den Leuten aufs Maul zu schauen. Heute redet niemand mehr im öffentlichen Leben, ohne auch Frauen anzusprechen. Von daher ist die ‚Bibel in gerechter Sprache‘ ein längst überfälliges Projekt.“ Wo bisher die Menschen als „Brüder“, angesprochen wurden, wird in der neuen Übersetzung „Geschwister“ oder „Brüder und Schwestern“ verwendet. Auch Gott wird nicht mehr als „männlich“ gesehen. Die vorgeschlagene Neuübersetzung zur Schöpfungsgeschichte: „Da schuf Gott die Menschen als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen. Und Gott sah alles, was sie gemacht hatte: Sieh hin, es ist sehr gut.“ Auch der Gottesname wird nicht mehr mit „Herr“ wiedergegeben, um den Anschein zu vermeiden, Gott sei ein Mann. Die neuen Übersetzungen lauten „der Name“, „die Lebendige“, „Du“, „die Ewige“, „Ich­bin­da“. Der biblische heilige Geist erscheint als „die heilige Geistkraft“.

Denn man mus nicht die buchstaben inn der latei­nischen sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden [...], sondern man mus die muter im hause, die kinder auf der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen und den selbigen auf das maul sehen wie sie reden und danach dolmetzschen. So verstehen sie es denn und mercken, das man Deutsch mit inen redt. […] Wenn Christus spricht: „Ex abundantia cordis os loquitur.“ Wenn ich den eseln soll folgen, sie werden mir die buchstaben fürlegen und so dolmetz­schen: Aus dem überfluss des hertzen redet der mund.

Sage mir, ist das deutsch geredt? Welcher deutscher verstehet solchs? Was ist überfluss des hertzen für ein ding? Das kann kein deutscher sagen, er wolt den sagen, es sey, das einer ein allzu groß hertz habe oder zuviel hertzes habe; wiewohl das auch noch nicht recht ist. Denn überfluss des herzen ist kein deutsch, so wenig als das deutsch ist: überfluss des hauses, überfluss des kachelofen, überfluss der banck. Sondern so redet die mutter im haus und der gemeine man: Wes das hertz voll ist, des gehet der mund über. Das heist gut deutsch geredt. […]

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GrenzenlosGutes Benehmen ist wieder gefragt

Benehmen zählt Viele Literaten und Denker des späten 15. und des 16. Jahrhunderts befassen sich mit Fragen des Benehmens und der Sitten: Erasmus von Rotterdam, Sebastian Brant, Hans Sachs und selbst Luther. Eine Gesellschaft, die sich wie die der Renaissance stark verändert, muss auch neue Regeln des Verhaltens suchen. Auch in letzter Zeit wird die Frage nach dem „richtigen Benehmen“ wieder oft gestellt. Widmen Sie sich in Zusammenhang damit den beiden präsentierten Denkanstößen.

Menschen

Wenn sie sich unbeobachtet fühlenBohren sie in der Nase […] Ziehen unterm Tisch die Schuhe ausSchauen sich ihren Rotz im Taschentuch anFlirten mit ihrem Spiegelbild in einer AuslagenscheibeKramen mit den Fingernägeln im Ohr nach SchmalzZerdrücken Kekspackungen im Supermarkt

Heute peinlich, früher „normal“ Der Sozialwissenschafter Norbert Elias meinte in seinem Werk „Der Prozess der Zivilisation“, dass im Mittelalter vieles als weniger peinlich empfunden wurde als heute. Was früher noch normales Benehmen war, wie etwa dass in Herbergen fremde Reisende im selben Bett übernachteten, sei heute tabu. Elias sieht gerade in den Tischsitten eine Bestätigung für seine These. Speziell das Messer, das am meisten reglementierte Essgerät, ist laut Elias mit besonders vielen Tabus belegt, weil es unbewusst mit Töten und Schlachten in Zusammenhang gebracht wird.

• Lesen Sie das Gedicht „Menschen“ von Andrea Sailer (*1972) und ergänzen Sie die durch […] angedeutete Auslassung mit Ihren Beobachtungen und Erfahrungen!

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• Besprechen Sie in der Klasse, welche Vorschriften den Gebrauch des Messers bei Tisch regeln, und andere Vorschriften für manierliches Verhalten beim Essen!

Renaissance, Humanismus, Reformation auf den Punkt gebracht• Renaissance, Humanismus, Reformation zielen auf Erneuerung der Künste, der Wissenschaften,

der Politik und der Religion. Vorbild wird die Antike.• Ein wichtiges Ereignis ist die osmanische Eroberung Konstantinopels, viele Gelehrte fliehen nach

Italien, das zum Ausgangspunkt von Humanismus und Renaissance wird.• Der Buchdruck ermöglicht eine größere Verbreitung der Literatur, die neue Funktionen über­

nimmt: – politisches Kampfmittel – Unterhaltung: Volksbücher (Faust­Stoff), Schwänke – Belehrung: Erasmus, Ulrich von Hutten – mit ihm gewinnt das Deutsche als Literatursprache

Boden gegenüber dem Latein. Eine Besonderheit ist die Narrenliteratur (Brant, Till Eulenspie­gel). Der Narr hält den Menschen den Spiegel vor; man denkt optimistisch: Belehrung kann zu Verhaltensänderung führen.

– In den Städten entwickeln sich das lateinische Schuldrama und der Meistersang: Dichtung dient als selbstbewusster Ausdruck der neuen Bürgerschicht und wird als erlernbar angesehen.

• Luthers Bibelübersetzung fördert die Bildung einer einheitlichen neuhochdeutschen Schriftsprache.

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Und legen sie dann zurück, um was anderes zu kaufenZiehen den Bauch nicht einUnd machen ein blödes Gesicht

Wenn sie sich beobachtet fühlenWarten sie ein bisschenUnd tun es halt woanders

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Das 1. Faust-Fenster:Faust taucht auf

Die berühmteste Figur der deutschsprachigen Literatur

Faust – eine reale Person

Viele Literaturen haben ihre berühmten Symbolgestalten: Die antike griechische Literatur hat König Ödipus, Antigone und Medea, die spanische Literatur Don Quijote und Sancho Pansa, die englische Hamlet. Die berühmteste Figur der deutschsprachigen Literatur ist Faust. Stellungnahmen und Beschreibungen von Zeitgenossen oder kurz danach belegen, dass Faust eine reale Person war.

Der rekonstruierte Steckbrief Fausts

Zeugnisse von Zeitgenossen

Der Humanist Johannes Trithemius (1462–1516), Abt, selbst Verfasser von „Zauberbüchern“ und Konkurrent von Faust:

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Geburtsdatum, Geburtsort: 1480 in Knittlingen (heute Baden­Württemberg) oder Roda (heute Stadtroda in der Nähe von Weimar, Thüringen)

Name: Johann oder Georg Sabellicus FaustEltern, Kindheit: Bauern; von einem vermögenden Verwandten aufgenommenAusbildung: Studien der Theologie, Alchemie (Vorläuferin der Chemie; ihr Ziel: den Stein der

Weisen zu finden, mit dem man unedle Metalle in Gold oder zumindest Silber ver­wandeln könnte)

Akademischer Grad: Magister: 1506 Visitenkarte: „Magister Georgius Sabellicus Faustus junior, fons ne­cromantorum, astrologus, magus secundus, chiromanticus, areomanticus, pyroman­ticus, in arte hydra secundus“ – Quell der Totenbeschwörer, Sterndeuter, Magier, Handleser, Luftdeuter, Feuerdeuter, Harnbeschauer

Berufe: kurz Schulmeister – wegen „Verführung“ der Schüler entlassen, Magier, Alchemist, medizinische Praktiken

Aufenthalte: Erfurt, Bamberg, Nürnberg, Ingolstadt, Köln, Würzburg, Nürnberg, oft aus diesen Städten ausgewiesen, meist aus finanziellen Gründen

Gestorben: 1539 oder 1540 wohl in Staufen (Baden­Württemberg) möglicherweise durch eine von ihm bei Versuchen verursachte Explosion

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Jener Mensch, über welchen du mir schreibst, Georg Sabellicus, welcher sich den Fürsten der Nekromanten [= Totenbeschwörer] zu nennen wagte, ist ein Land­streicher, leerer Schwätzer und betrügerischer Strolch, würdig ausgepeitscht zu werden, damit er nicht ferner mehr öffentlich verabscheuungswürdige und der heiligen Kirche feindliche Dinge zu lehren wage. […] Als ich mich später in Speyer befand, kam er nach Würzburg und soll sich in Gegenwart vieler Leute mit

gleicher Eitelkeit gerühmt haben, dass die Wunder unseres Erlösers Christi nicht anstaunenswert seien; er könne alles tun, was Christus getan habe, so oft und wann er wolle. In den Fasten dieses Jahres kam er nach Kreuznach, wo er sich in gleicher großspreche­rischer Weise ganz gewaltiger Dinge rühmte und sagte, dass er in der Alchemie von allen, die je gewesen, der Vollkommenste sei, und wisse und könne, was nur die Leute wünschten.

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Der Humanist Philipp Melanchthon (1497–1560), Theologe und Mitarbeiter Luthers:

Fausts Eintritt in die Literatur

1556 in Erfurt erste Aufzeichnung von Geschichten, Anekdoten und Schwänken um seine Person

1587 Die „Historia von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler“ erscheint bei dem Verleger und Drucker Johann Spies in Frankfurt. Die Tendenz des Buches: Faust ist böse Faust wird als Verkörperung des Menschen gesehen, der naturwissenschaftlichem Denken vertraut, welches die biblischen Lehren bedroht, und als Gegenbild des demütigen lutherischen Menschen. Faust ist von der wahren Religion abgefallen, hat einen Teufelspakt geschlossen, mit dessen Hilfe zahlreiche betrügerische Taten vollführt – von vertauschten Köpfen bis zu Weinwundern, von Fressorgien bis zum Herbeizaubern von Schlössern – man­che davon im Vatikan und beim Sultan. Sechs Kapitel bereiten die Todesnacht vor. Am Ende beklagt und bereut Faust seinen Abfall von der Religion und den Pakt mit dem Teufel. In der Nacht wird Faust mit Getöse vom Teufel geholt, am nächsten Tag findet man nur mehr verstreute Zähne, Augen, Gehirnteile:

Also endet sich die ganze wahrhaftige Historia und Zauberei Doctor Fausti, daraus jeder Christ zu lernen, sonderlich aber, die eines hoffärtigen, stolzen, fürwitzigen und trotzigen Sinnes und Kopfs sind, GOTT zu fürchten, Zauberei, Beschwörung und andere Teufelswerke zu fliehen […] und Gott alleine zu lieben […] und mit Christo endlich selig zu werden. Amen, Amen, das wünsche ich einem jeden […]. AMEN.

1592 Christopher Marlowe: The Tragicall History of D. Faustus (Drama)

Die Tendenz des Dramas: Anteilnahme für Faust Das Schauspiel beginnt mit dem Eingangsmonolog des von Machstreben, aber vor allem von Wissensdurst und Verlangen nach Schönheit erfüllten überheblichen Faust und endet mit seinem Schlussmonolog voll Verzweif­lung. An die Stelle der hämischen Freude über den Untergang des Teufelsbündlers treten in Marlowes sehr erfolg­reichem Drama erstmals Anteilnahme und Respekt für den außergewöhnlichen Menschen Faust.

1599 Bearbeitung des Volksbuches von 1587: Der Glaubwürdigkeit halber werden fiktive Daten eingebaut. Fausts Leben wird parallel zu dem Luthers vorgeführt, Faust aber in seinem Gelehrtenhochmut und Teufelspakt wieder als Gegentyp zum sündenbewussten, auf die Gnade Gottes vertrauenden religiösen Menschen gestaltet.

1608 Erste nachweisbare deutschsprachige Aufführung von Marlowes Stück durch eine Schauspielertruppe in Graz.

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Ich habe einen namens Faustus gekannt. Als er zu Krakau studierte, hatte er die Magie erlernt, wie sie dort früher stark getrieben wurde, wo man öffentliche Vorlesungen über diese Kunst hielt. Später schweifte er an vielen Orten umher und sprach von geheimen Dingen. Da er zu Venedig Aufsehen erregen wollte, kündigte er an, er werde in den Himmel fliegen. Der Teufel hob ihn also in die Höhe, ließ ihn aber darauf zur Erde fallen, so dass er von diesem Falle fast den Geist aufgegeben hätte. Vor wenigen Jahren saß dieser Johannes Faustus an seinem letzten Tage sehr betrübt in einem Dorfe des Herzogtums Württemberg. Der

Wirt fragt ihn, warum er so betrübt sei wider seine Sitte und Gewohnheit; denn er war sonst ein schänd­licher Schelm, der ein liederliches Leben führte, so dass er ein­ und das anderemal fast wegen seiner Liebeshändel umgekommen wäre. Darauf erwiderte er dem Wirt in jenem Dorfe: „Erschrick diese Nacht nicht!“ In der Mitternacht ward das Haus erschüttert. Da Faustus am Morgen nicht aufgestanden und bereits der Mittag gekommen war, ging der Wirt in sein Zimmer und fand ihn neben dem Bette liegen mit umgedrehtem Gesichte, so hatte ihn der Teufel getötet.

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