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Reformen, Reisefreiheit, Hunderte private Lokale und Unterkünfte … · 2013. 12. 16. ·...

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Reformen, Reisefreiheit, Hunderte private Lokale und Unterkünſte – Kuba ist im Umbruch. Wir haben die Insel mit Humberto und seinem rosaroten Taxi erkundet. Historisches Kuba: Humberto und sein rosaroter Panther in der Schweinebucht REISEN annabelle 1/14 117 / T E X T : S T E F A N I E R I G U T T O Fotos: Esther Michel
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Page 1: Reformen, Reisefreiheit, Hunderte private Lokale und Unterkünfte … · 2013. 12. 16. · Reformen, Reisefreiheit, Hunderte private Lokale und Unterkünfte – Kuba ist im Umbruch.

Reformen, Reisefreiheit, Hunderte private Lokale und Unterkünfte – Kuba ist im Umbruch. Wir haben die Insel mit Humberto und seinem rosaroten Taxi erkundet.

Historisches Kuba: Humberto und sein rosaroter Panther in der Schweinebucht

REISEN

annabelle 1/14 117

/T E X T : S T E F A N I E R I G U T T O

Fotos: Esther Michel

Page 2: Reformen, Reisefreiheit, Hunderte private Lokale und Unterkünfte … · 2013. 12. 16. · Reformen, Reisefreiheit, Hunderte private Lokale und Unterkünfte – Kuba ist im Umbruch.

wenn Humberto von Mexiko erzählt, strahlt er wie ein kleines Kind, dem man einen Lollipop ge-

schenkt hat. Diese schönen Autos! Diese riesigen Super-märkte! Er zeigt an sich herunter und sagt mit der Über-zeugung eines Self-made-Millionärs: «Alles neu.» Die rote Sonnenbrille, die Cargo-Shorts, ja sogar die Unter-hose – er zieht den Saum hinauf – stammen aus Mexiko. Sein türkisfarbenes Shirt trägt die Aufschrift «Kill or be killed». Humberto, weisst du, was das bedeutet? Er lacht nur: «Sag dus mir!»

Humberto war vor zehn Tagen das erste Mal in Mexiko. Cancún liegt zwar nur eine Flugstunde von Havanna entfernt, trotzdem musste Humberto 61 Jahre alt werden, bis er sein Nachbarland besuchen durfte. Er packt sein brandneues Smartphone aus und zeigt uns Fotos von Shoppingmalls. Hunderte von Fotos. «Schau, die Regale sind bis zur Decke gefüllt. Da gibt es alles. Einfach alles!» Ein Foto von einem Spital: «Sieht das nicht aus wie ein Hotel?» Ein Foto, wie der 61-jährige Hum-berto auf dem Plastiktöff eines Spielautomaten sitzt. Ein Foto, wie Humberto vor einem grossen Fernseher steht. «Hundert Kanäle gibt es. Weisst du, wie viele wir in Kuba haben? Fünf!» Aber das Beste sei gewesen, sagt Humber-to, dass ihn alle für einen Amerikaner gehalten hätten. Humberto ist ein Blanco, ein Weisser, wie rund ein Drit-tel der Kubaner. «Sie haben mir ‹Gringo› zugerufen und mich auf Englisch angesprochen!» Er krümmt sich vor Lachen übers Steuerrad.

Wir sind auf dem Weg vom Flughafen Varadero in die Hauptstadt Havanna – der erste Stopp auf unserem Roadtrip mit Taxifahrer Humberto. Die Luft ist feucht und klebt auf der Haut. Palmen säumen die Strasse, am Rand halten Fischer ihren Fang in die Luft, Bauern ver-kaufen Käse und Zwiebeln. Dauernd winken uns Leute zu. «Sie wollen mitfahren», sagt Humberto. Ein Auto könne sich fast keiner leisten: «Schau, die Strasse ist leer!» Dann fragt er: «Etwas Salsa?» Wenig später umsäuselt uns Marc Anthonys «Vivir mi vida», der Superhit in Kuba. Humberto lässt die Schultern tanzen, zuckt mit den Ar-men, dirigiert ein imaginäres Orchester und singt mit: «Voy a reir, voy a bailar – vivir mi vida, lalalaaa!»

Nichts ist mehr, wie es war, als ich Humberto vor vier Jahren in Havanna kennen gelernt habe. Damals trug er ein hellbraunes Hemd, schwarze, lange Hosen und Halb-schuhe. Eine Reise nach Mexiko war für ihn unvorstell-bar: Er hätte eine Sondergenehmigung gebraucht plus eine Einladung aus dem Ausland. Erst seit Anfang 2013 gewährt Präsident Raúl Castro den Kubanern die lang er-sehnte «Reisefreiheit». Was nicht heisst, dass jeder aus-reisen kann: Natürlich lässt der Staat nur jene Leute ge-hen, die ihn nicht interessieren – in die Jahre gekomme-ne Taxifahrer wie Humberto etwa.

Humbertos Auto hat eine neue Farbe. Nicht mehr Bor-deauxrot wie vor vier Jahren. Sondern pink. «Wegen der Frauen», sagt er. Wenn die Touristinnen ein rosa Auto neben einem blauen sehen – «na, in welches steigen sie wohl ein?» Das Auto – La Pantera Rosa, der rosarote Pan-ther – ist seine grosse Liebe. «Meine Frau sagt immer, ich würde mein Auto mehr lieben als sie. Aber das stimmt nicht, ich liebe beide gleich fest.» Der Unterschied sei, dass er mit seinem Auto Geld verdiene, während ihn sei-ne Frau nur welches koste.

Dass wir in Havanna angekommen sind, merkt man vor allem an einem: Es stinkt nach Abgasen. Mir wird fast schwindlig. Humberto erklärt, dass die Autos in Kuba noch mit Öl fahren, nicht mit Benzin. Er quartiert uns bei Mariceli ein. Sie betreibt eine Casa particular. In Kuba gibt es zwei Arten von Unterkünften: staatliche Hotels und eben Casas particulares, Privatunterkünfte mit ein, zwei oder drei Zimmern. Anders gesagt: Man wohnt bei Kubanern zuhause.

Mariceli ist 48 Jahre alt und hat lange, blond gefärb-te Locken. Auch sie profitierte von den – sanften – Wirt-schaftsreformen von Raúl Cast ro: Vorher gab es eine li-mitierte Anzahl an Privatunterkünften; jetzt ist die Be-willigung einfach zu bekommen, die Zahl der Casas ist explodiert. Mariceli arbeitete einst als Zeichenlehrerin, verdiente zwanzig Franken im Monat. Jetzt: «Muuuu cho más», viel mehr. Bei der Begrüssung sagt sie: «Schau, mein Haus ist voll. Aber ich habe für dich ein neues Zim-mer auf der anderen Strassenseite.» So ist Kuba – man weiss nie genau, was einen erwartet. In meinem Zimmer stehen noch die Arbeiter, bohren, malen, montieren die Vorhänge. «Gefällt es dir?», fragt Mariceli und schaut mich erwartungsvoll an.

In Havanna lassen wir die touristische Altstadt links liegen. Wir wollen die neuen Paladares erkunden, die Pri-vatlokale. Anders als die staatlichen Restaurants kochen sie gut. Als ich 2009 hier war, zählte Havanna etwa

Kleinunternehmertum: Humberto prüft die Früchte an einem Marktstand

Rhythmus im Blut: Musiker in den Strassen des Städtchens Trinidad

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im Land zurückliessen. Humberto kaufte den Oldtimer vor 17 Jahren. Über die Jahre hat er ihn aufgemotzt: neu-er Motor («eine 20-jährige Chica»), Klima anlage, elekt-rische Fenster, DVD-Player für Musikvideos (strategisch gut platziert ne ben dem Steuerrad), blaue Scheinwerfer, eine Hupe, die quakt oder miaut oder bellt, und nun – aus Mexiko, logisch – neue Sitzbezüge.

Seine Schwiegertochter Osuny sagt Hallo. Sie betreibt in der Küche von Humberto ein mobiles Mini-Nagelstu-dio. Auch dieses Geschäft wäre vor ein paar Jahren noch illegal gewesen. Vieles ist heute anders in Kuba. Aber vie-les ist gleich geblieben. Trotz der Reformen – es mangelt an allem. «Das Einzige, wovon der Kubaner genug hat, ist Zeit», sagt Humberto. Ich erinnere mich an das Mail, das er mir vor dem Abflug geschickt hat. Seine Schwie-germutter – 92 Jahre alt, schwer dement – kann nicht mehr schlafen. Die Ärzte empfahlen ihr ein Medikament, das man in Kuba nicht bekommt, aber vielleicht in der Schweiz? Humberto: «Was nützt eine kostenlose Ge-sundheitsversorgung, wenn es keine Medikamente gibt?»

In der Nacht im Zimmer: kein Wasser. Am Morgen: kein Strom. Das Viertel liegt flach. Manchmal bedient Kuba jedes Klischee eines Drittweltlands. Humberto holt uns ab. Raus aus Havanna, endlich frische Luft. Die drei-spurige Autobahn haben wir für uns. Der Motor röhrt wie ein wild gewordener Rasenmäher. Am Strassenrand zer-zupfen Geier einen toten Hund. Ansonsten: nur grün. Palmen, Zuckerrohrplantagen, Reisfelder, Bananenstau-den. An der ersten Tankstelle bestellt Humberto einen Kaffee und kauft eine neue DVD von Marc Anthony. «Ich mag seinen leichten, rhythmischen Salsa, obwohl er eigentlich Puerto-Ricaner ist.»

Eine schmale Strasse führt zur Schweinebucht hin-unter, vorbei an der Zuckerfabrik, wo Fidel 1961 seinen Posten bezogen hatte, um den US-Angriff abzuwenden. Überall flattert die Kubaflagge. In Playa Girón gibts ein Museum, das die Invasion in der Schweinebucht doku-mentiert. Zwei Panzer und ein Kampfjet stehen davor. Drinnen schwatzen vier Angestellte, das Museum ist dun-kel. «Wir machen das Licht nur an, wenn Leute kommen», sagt die Frau an der Kasse. Wir wollten eh lieber an den Strand. Doch da steht ein staatliches Resort, Zutritt nur für Gäste. Humberto war mal hier in den Ferien, mit sei-ner ganzen Familie. «Wir machen alles zusammen», sagt

er. «Wir wohnen zusammen, wir essen zusammen, wir sind wie ein Hunderudel.» Schliesslich schaffen wirs über eine Schotterpiste doch noch an den öffentlichen Strand: türkisfarbenes Wasser, ein paar Palmen, weisser Sand – und keine Menschenseele ausser den zwei Jungs, die einen kleinen Souvenirstand betreiben. Und das soll der berühmte Strand sein, wo die Invasoren landeten?

Weiter nach Cienfuegos. Kühe versperren uns den Weg. Humberto macht Schiess ge räu sche mit seiner Spe-zialhupe, bis die Tiere verschwinden. Wir sind die Ein-zigen, die die Luft verpesten, sonst sind nur Pferdekarren unterwegs. Humberto ist selber in einer Bauernfamilie aufgewachsen, danach hat er Agronomie studiert, bevor er Taxifahrer wurde. Als wir in Cienfuegos einfahren, lässt er – zum hundertsten Mal – «Vivir mi vida» von Marc Anthony laufen. Lautstärke: ohrenbetäubend. Langsam tuckern wir über die Allee, alle schauen uns nach. Humberto platzt fast vor Stolz.

Cienfuegos nennt sich das «Paris der Karibik»: Statt der Spanier – wie im Rest des Landes – prägten hier die Franzosen das Stadtbild. Boulevards, Triumphbögen, mondäne Paläste. Auch der Malecón, die Uferpromena-de, ist hier nicht roh und wild wie in Havanna, sondern gesäumt von Palmen, lieblich, romantisch, ruhig. Na ja, ruhig ist in Kuba ein relativer Begriff – aus der Casa de la Música dröhnen Fetzen von «The Time of My Life» zu uns, und Jungs mit der halb leeren Rumflasche in der Hand grölen: «Corazón, darf ich dich mit nachhause neh-men?» Humberto greift ein: «Hermano, lass meine Frau-en in Ruhe.» Er wünscht uns eine gute Nacht und gibt uns zwei Küsschen: «In Havanna wärens drei – der letz-te geht in die Mitte.»

Samstagmorgen. Wir brauchen Geld. Wie hundert Kubaner auch: Die Schlange vor der Bank reicht um den

Roh und wild: Ufer-promenade in Havanna

Auf nach Cienfuegos, wo mondäne Paläste und Pferdekutschen das Bild prägen

Leben mit der Pantera Rosa: Humbertos Hupanlage (u.), sein

Taxi auf der Veranda (r.)

Erinnert an die Invasion: Das Museum in Playa Girón

20 Paladares. Jetzt sind es 200. Seit kurzem kann man in Havanna sogar Sushi essen und Holzofenpizza – eine kleine Revolution für ein Land, das sich die letzten fünf-zig Jahre von «moros y cristianos», Bohnen mit Reis, er-nährt hat. Wir haben schon nach einem Tag genug davon. Wir wollen Pasta! In Kuba gute Spaghetti zu finden, ist so schwierig, wie Fidels Wohnort auszumachen.

Wir fahren ins Aussenquartier Playa. Kleine Häuser mit Garten, Suburbia-Feeling. Hier steht der angesagtes-te neue Paladar der Stadt: «Corte del Principe». Der Besitzer – Sergio, ein Italiener – lebt seit elf Jahren in Havanna. In Italien hatte er Holzschutzmittel vertrieben, kochen war nur ein Hobby. Vor einem Jahr hat er seinen Paladar eröffnet. Zucchero war schon bei ihm, Fotos an der Wand zeugen von der Begegnung mit dem Musiker. Einmal pro Monat fliegt Sergio nach Mexiko, um all die Sachen einzukaufen, die er in Kuba nicht bekommt. Wir essen Pappardelle mit Pilzen und Salsiccia. Halleluja!

Humberto bestellt uns zu sich nachhause, um den Road trip zu besprechen. Er schlägt vor, der Südküste ent-lang bis nach Trinidad zu gondeln. «Viel weiter schafft es mein rosaroter Panther sowieso nicht.» Wir sitzen auf sei-ner Veranda. Sie ist komplett vergittert. Und drinnen steht – sein Auto. Es sei knifflig, den Wagen hineinzubugsie-ren, gibt er zu, aber nie würde er seine Pantera Rosa über Nacht auf der Strasse lassen.

Sein Chevy von 1954 ist einer von Abertausenden Autos, die die Amerikaner nach Fidel Castros Revolution

Gastgeberin: Mariceli vermietet Zimmer

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halben Block. Humberto sagt: «Macht nichts, shoppen kannst du in Kuba eh nicht! Wie wärs stattdessen mit einer kleinen Rundfahrt?» Wir tuckern zum Eingang der Bucht von Cienfuegos. «Bienvenido Socialista» steht auf einer grossen Betonmauer. Humberto bringt uns zu einem kleinen Fischerlokal direkt am Wasser. «Las Damas» heisst der Paladar (Übersetzung Humberto: «The Girls!»). Humberto inspiziert die Küche, fragt die Köchin, wann genau der Fisch gefangen worden sei. Alles ist zu seiner Zufriedenheit – wir dürfen uns setzen.

Der Gastgeber schlägt mit der Machete drei Kokos-nüsse von einer Palme und steckt einen Strohhalm hin-ein. Wir warten eine geschlagene Stunde, bis alles fertig gekocht ist – dafür schmeckt der Fisch herrlich! Dazu gibts Bananenchips, Avocado aus dem Garten, Reis, Sa-lat. Zurück nach Cienfuegos nehmen wir das Boot. Das sei lustig, findet Humberto, auf diesem Boot habe es nur Kubaner. Wir zahlen in der (teuren) Touristenwährung: 1 CUC. Der Kubaner zahlt in der (billigen) Nationalwäh-rung: 1 Peso – etwa ein Zwanzigstel unseres Betrags. Humberto: «Das nennt man Rassismus.»

«Heute ist nicht mein Tag», verkündet Humberto am nächsten Morgen, als wir losfahren nach Trinidad. Er wirkt zerknautscht. Wir tuckern durch den Dschun-gel und über Felder, ab und zu ein Dorf, hier und da eine Fabrik. Während der Fahrt springt dreimal der Koffer-raumdeckel auf. Und dann hält uns die Polizei an. Hum-berto muss aussteigen. Der Polizist fragt: «Warum ha-ben Sie das Taxischild nicht in die Windschutzscheibe gestellt?» Humberto redet sich um Kopf und Kragen. Die Wahrheit ist: Er hats schlicht vergessen. Der Poli-zist will ihm Punkte abziehen, Humberto bricht der Schweiss aus. Am Schluss lässt sich der Polizist zu einer Busse von fünfzig Franken erweichen. «Reine Willkür», schimpft Humberto.

Trinidad, sagt Humberto, sei «gaaaanz anders» als Cien-fuegos. Trinidad sei genau so, wie wir Schweizer uns Kuba vorstellten: farbige Kolonialhäuser, holpriges Kopf-steinpflaster und überall Musiker, die ihre Instrumente durch die verwinkelten Gassen tragen. Mit 50 000 Ein-wohnern ist Trinidad deutlich kleiner als Cienfuegos. Es ist ärmer, (noch) ruhiger und heisser. Nach einem halben Tag hat man das Gefühl, man gehöre zum Dorfinventar. Auf der Plaza Mayor, im Schatten eines Hauses, sitzt ein alter Mann und singt ein trauriges «Besame mucho». Ir-gendwann im 19. Jahrhundert haben hier die Uhren auf-gehört zu ticken. Na ja, nicht ganz: Der alte Sänger ver-langt für das Foto «un peso». Und das Internetcafé passt auch nicht ins Bild. Wir wollen auf unseren Gmail- Account zugreifen – «not possible from this country».

Humberto findet, wir müssten zur Playa Ancón fah-ren, dem schönsten Strand der Südküste Kubas. Auch hier steht ein staatliches Resort. Die Leute liegen faul unter den Sonnenschirmen, eine Familie sitzt im Wasser und isst Guetsli. Humberto sagt, er habe – trotz DVD-Play-er – nie einen Unfall gehabt. «Ich schaue keinen Frauen nach.» Da sei sein Sohn, auch Taxifahrer, anders. Bei je-dem Frauenhintern mache er Kussgeräusche. Er habe ihm gesagt: «Lass das!» Doch Humbertico – der kleine Hum-berto – fand: «Vater, du bist alt.» Hat er schon Touristen chauffiert, die eine Chica wollten? Es heisst, dass viele Männer nur wegen der Mulattinnen nach Kuba kämen. Humberto verdreht die Augen: «Hunderte!»

Santa Clara. Unser letzter Halt auf dem Road trip mit Humberto. Es ist die Stadt von Che Guevara. 1958 liess er hier einen gepanzerten Zug des Diktators Batista ent-gleisen – die Initialzündung für die Revolution. Die Überreste des Che liegen in einem Mausoleum. Frage an Humberto: «Was hältst du von Che?» – «Er hat für unser Land gekämpft, obwohl er ein Argentinier war. Das rech-nen wir ihm hoch an», sagt er diplomatisch. Ich habe im-mer noch kein Geld. Der Automat ist ausser Betrieb, und

Pferdeverleiher Hugo bringt uns zum Wasserfall El Pilón, der in einen natürlichen Pool mündet

Die Polizei büsst Taxifahrer Humberto. Zuvor aber gabs gutes Essen. Und in Trinidad viel Musik

Wieder in Trinidad, lernen wir César Esquerra kennen, den Besitzer des Lokals Quince y Catorce. Seine Biogra-fie tönt wie ein Abenteuerroman: César war als junger Mann Hammerwerfer in der kubanischen Nationalmann-schaft, danach bekämpfte er als Soldat in Afrika die Apart-heid, anschliessend schickte ihn der Staat acht Jahre in die DDR, wo er in der Papierindustrie arbeitete. Jetzt führt er seit zwei Jahren ein Privatrestaurant. Er kocht al-les auf Holzkohle, am liebsten Langusten. César glaubt, dass Ökotourismus ein guter Weg für Kuba sein könnte. «Wo sonst gibt es so viel unberührten tropischen Dschun-gel?» Er besorgt uns Pferde – und Hugo, einen 25-jähri-gen Cowboy mit einem heftigen Kater («Mein Vater hat-te gestern Geburtstag»).

Der Reichtum des kolonialen Trinidad wurde auf den Zuckerrohrplantagen erwirtschaftet. Noch heute sieht man im Valle de los Ingenios herrschaftliche Torbögen, verfallene Zuckerfabriken, Ruinen von Sklavenquartieren und die ehemaligen Villen der Zuckerbarone, die in Res-taurants umfunktioniert wurden. Wir traben durch ärm-liche Dörfer, wo die Bauern ihre Felder noch mit Ochsen bestellen. Ein altes Paar teilt sich vor seiner Hütte eine Zigarre. Hugo bringt uns zum Wasserfall El Pilón. Ver-glichen mit dem Rheinfall ist er ein Rinnsal, dafür mün-det er in einen natürlichen Pool, romantisch überwachsen mit Farn. Das Wasser ist frisch. Hugo sagt, ihm sei es zu kalt. Er sitzt lieber am Ufer und trinkt Mojito.

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TippsANREISE: Ab 8. Mai fliegt

Edelweiss Air nicht mehr nach Varadero,

sondern nach Havanna. Ab ca. 1100 Franken. www.edelweissair.ch

ARRANGEMENT: Cuba Real Tours ist der Spezialist für Ferien auf Kuba und bietet

tolle Rundreisen an. Der 6-tägige Trip «Cuba

Colonial» führt nach Ha-vanna, Remedios, Sancti

Spiritus, Trinidad und Cienfuegos (ab 856 Fr.). Er lässt sich kombinieren mit der neuen 8-tägigen Katamaran-Reise «Cuba Dream» rund um die fan-tastische Inselwelt von

Cayo Larg o (ab 1261 Fr.). www.cubarealtours.eu

UNTERKUNFT: Staatliche Hotels sind nicht zu

empfehlen – die Preise sind hoch, der Service

dürftig. Privatunterkünfte sind eine gute Lösung,

zumal man meist auch ein tolles Frühstück bekommt. Wer sicher gehen will, dass die Unterkunft tatsächlich

verfügbar ist, sollte via Mycasaparticular.com bu-

chen. Diese Vermittlung wird von einem Kubaner betrieben, der in Basel

lebt. Die Buchung erfolgt online, die Bezahlung

in die Bank lässt man mich nicht rein – meine Shorts sind der Dame am Empfang zu kurz. Humberto: «Das ist die Provinz. Lass uns abhauen.»

Auf dem Weg zum Flughafen von Varadero hält Humberto bei einem staatlichen Imbiss, «damit ihr das auch noch erlebt habt». Es dauert eine Viertelstunde, bis sich ein Kellner des halb leeren Lokals zu uns bequemt. Das Essen – ein Sandwich – ist ungeniessbar. «Schreib: Die Fritten sind so alt wie Humberto», befiehlt er. «Und der Schinken schmeckt ranzig.» Angewidert überlässt er sein Brötchen einem bettelnden Hund.

Vor der Einfahrt zum Flughafen die letzte Polizeikon-trolle. Humberto seufzt ergeben. Hitzige Diskussionen auch dieses Mal. Zurück im Auto, empört er sich: «Die Polizisten bessern sich so einfach ihr Gehalt auf!» Zur Beruhigung fährt Humberto die Schublade des DVD-Players aus und legt Marc Anthony ein. Schon nach den ersten Salsa-Klängen schwingt er seine Hand in die Luft, wackelt mit dem ganzen Körper und hüpft auf dem Sessel herum. Und jetzt, am Ende unserer Reise, als wir endlich den spanischen Text kapiert haben, wird uns klar, warum Humberto das Lied so gefällt. Er singt aus voller Kehle: «Warum Tränen vergiessen? Warum leiden? So ist das Leben, man muss es leben. Ich werde lachen, ich werde tanzen – vivir mi vida, lalalalalaaa!»

ebenfalls. Pro Zimmer/Nacht kostet eine Casa

20 bis 30 Franken.

LA PANTERA ROSA: Hum-berto Cordoves kann man

für Rundfahrten und Stadtführungen buchen.

Oder man lässt sich stilvoll vom Flughafen

abholen. Minimale Spanischkenntnisse sind

von Vorteil, Humberto spricht aber auch etwas

Englisch. humberto [email protected]

NEUE PALADARES:– Corte del Principe,

Playa, Havanna: italieni-sche Osteria. 9na, Ecke 74. Strasse

– Café Laurent, Vedado, Havanna: romantische Dachterrasse mit Sicht auf den Edificio Focsa.

Calle M 257, Ecke 19. Strasse, http://

cafelaurent.ueuo.com– El Cocinero, Vedado,

Havanna: Paladar in einer ehemaligen Fabrik mit rie-sigem Kamin, gute Drinks. Calle 26, Ecke 11. Strasse

– Casa Miglis, Centro Habana, Havanna:

schwedisch-französische Küche. Super: Kaffee mit

einem Shot Rum und einem Truffe! Lealtad

120, Ecke Animas– Quince y Catorce,

Trinidad: Tolle Langusten-gerichte, verwunschener

Innenhof. Calle Simón Bolívar 515, www.mytrini-

dadcuba.com/1514_fr— Infos: www.cubaabsolutely.

com

Reisfelder, Früchte zum Frühstück und eine schlecht bestückte Apotheke: Santa Clara ist die letzte Station


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