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Rainer Klis "Laus im Pelz" (Leseprobe)

Date post: 07-Mar-2016
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In einer süddeutschen Kleinstadt führt der Getränkehändler Henri Quast ein geordnetes Leben. Als der durchtrainierte Herr Nagel in das Idyll einfällt, kommt Bewegung in die Firma. Nicht nur, dass der ehemalige Fremdenlegionär dem Chef die Freundin ausspannt und sich an seine aus Weimar importierte Ehefrau heranmacht – schlimmer: Eer scheint seinen Arbeitgeber komplett ruinieren zu wollen.
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Wie an jedem Morgen saß er mit der Lokalzeitung in seinem Büro und trank Kaffee. Er überflog den drögen Kommentar des Chefredakteurs zum Ausgang der Wah-len und überlegte, ob er das Blatt abbestellen sollte. Chri-stel rangierte in der Halle Bier- und Mineralwasserpalet-ten; das Quietschen der Vollgummiräder, das Surren des Hydraulikpumpenmotors – die Geräusche sagten ihm, wo sie gerade war und was sie machte. In seiner Vorstel-lung spitzte sie beim Einpassen der Palette die Lippen, der Kittel rutschte ihr hoch, wenn sie aufs Pedal trat.

Das Telefon riss ihn wach. Ilona meldete ihm einen Arbeitssuchenden. Sie stotterte ein wenig, als sie sagte: »Ein Herr Nagel will zu dir.«

»Ist gut«, sagte er, »ich komme!« Er schwang die Füße herunter und machte sich missmutig auf den Weg nach vorn. Der Mann wartete schon bei der Tür. Sein kurzer Körper steckte in einer gewaschenen Parkajacke, darun-ter ein blütenweißes Hemd; weiter hatte er sich keiner Mühe unterzogen, sein Erscheinungsbild aufzubessern.

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Rainer Klis

Laus im Pelz Roman

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Wie an jedem Morgen saß er mit der Lokalzeitung in seinem Büro und trank Kaffee. Er überflog den drögen Kommentar des Chefredakteurs zum Ausgang der Wah-len und überlegte, ob er das Blatt abbestellen sollte. Chri-stel rangierte in der Halle Bier- und Mineralwasserpalet-ten; das Quietschen der Vollgummiräder, das Surren des Hydraulikpumpenmotors – die Geräusche sagten ihm, wo sie gerade war und was sie machte. In seiner Vorstel-lung spitzte sie beim Einpassen der Palette die Lippen, der Kittel rutschte ihr hoch, wenn sie aufs Pedal trat.

Das Telefon riss ihn wach. Ilona meldete ihm einen Arbeitssuchenden. Sie stotterte ein wenig, als sie sagte: »Ein Herr Nagel will zu dir.«

»Ist gut«, sagte er, »ich komme!« Er schwang die Füße herunter und machte sich missmutig auf den Weg nach vorn. Der Mann wartete schon bei der Tür. Sein kurzer Körper steckte in einer gewaschenen Parkajacke, darun-ter ein blütenweißes Hemd; weiter hatte er sich keiner Mühe unterzogen, sein Erscheinungsbild aufzubessern.

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Wie an jedem Morgen saß er mit der Lokalzeitung in seinem Büro und trank Kaffee. Er überflog den drögen Kommentar des Chefredakteurs zum Ausgang der Wah-len und überlegte, ob er das Blatt abbestellen sollte. Chri-stel rangierte in der Halle Bier- und Mineralwasserpalet-ten; das Quietschen der Vollgummiräder, das Surren des Hydraulikpumpenmotors – die Geräusche sagten ihm, wo sie gerade war und was sie machte. In seiner Vorstel-lung spitzte sie beim Einpassen der Palette die Lippen, der Kittel rutschte ihr hoch, wenn sie aufs Pedal trat.

Das Telefon riss ihn wach. Ilona meldete ihm einen Arbeitssuchenden. Sie stotterte ein wenig, als sie sagte: »Ein Herr Nagel will zu dir.«

»Ist gut«, sagte er, »ich komme!« Er schwang die Füße herunter und machte sich missmutig auf den Weg nach vorn. Der Mann wartete schon bei der Tür. Sein kurzer Körper steckte in einer gewaschenen Parkajacke, darun-ter ein blütenweißes Hemd; weiter hatte er sich keiner Mühe unterzogen, sein Erscheinungsbild aufzubessern.

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Das Haar trug er geschoren, die rechte Gesichtshälfte grinste spöttisch.

»Herr Nagel?«Der Besucher nickte und sagte: »Jo.« »Ich bin der Inhaber. Henri Quast.« Er streckte ihm

die Hand hin. Der Mann drückte kurz und hart zu.»Also bitte«, sagte Henri. Wenigstens ein Deutscher,

dachte er, der Pole taugte nichts, den Ambermann ihm zur Aushilfe geschickt hatte. Er wies auf den Drehstuhl in der Ecke, ging, indem er den Zeigefinger auf der Tischplatte hinterherzog, zu seinem Sessel und ließ sich hineinfallen.

Die gespreizten Finger vorm Mund gegeneinander gelegt, musterte er den Bewerber. Dessen Füße standen in schwarzen Schnürschuhen fest auf dem Boden.

»Fahrerlaubnis Klasse C?«, fragte Henri und hatte keine Ahnung, ob es nicht besser wäre, schnell zum Ende zu kommen.

»Alle Klassen«, sagte der Mann.»Erfahrung mit Gabelstaplern?«»Jawohl.«Ein Jawohl folgte auch auf die Frage nach der Ge-

sundheit. Der Bewerber grinste, als hätte Herr Quast sich diese Frage besser selbst stellen sollen, bleich und schwitzend, wie der versuchte, den Chef zu mimen.

Herr Nagel offenbarte, dass er Legionär gewesen sei. »Fallschirmjäger.«

Henri sah, das war dem Kerl was wert. Wäre er ge-stern bloß nicht so eingebrochen bei Fred! Er wusste nun nicht, wie er dem Unverschämten kommen sollte.

»Und danach?«, fragte er einfach weiter, um sich Zeit zu geben.

»Dann? Ein Jahr Bau wegen Körperverletzung, zu-packen kann ich, das ist mal klar.« Aus schmalen Au-genschlitzen beobachtete er, wie seine Mitteilung ankam.

»Ich vermute mal, Sie brauchen was für’s Amt«, sagte Henri jovial, »dass Sie sich irgendwo vorgestellt haben. Den Stempel bekommen Sie, Herr Nagel, kein Pro-blem!« Er zog die Schublade auf.

»Ich brauch den Job!«Henri schaute auf: »Klauen Sie auch?«Die verschränkten Hände des Mannes spannten sich

auf der kunstledernen Aktenmappe; die Muskeln seiner Unterarme traten hervor. Er könne nicht für seine Con-tenance garantieren, sagte er gelassen, falls ihn das einer im Ernst fragt.

»Schon gut«, sagte Henri, »wir versuchen es. Montag können Sie anfangen. Und noch was, ich brauche einen Lebenslauf von Ihnen.«

»Danke, Herr Quast.« Herr Nagel kam halb hoch und zog ein paar geklammerte Seiten aus der Mappe.

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Das Haar trug er geschoren, die rechte Gesichtshälfte grinste spöttisch.

»Herr Nagel?«Der Besucher nickte und sagte: »Jo.« »Ich bin der Inhaber. Henri Quast.« Er streckte ihm

die Hand hin. Der Mann drückte kurz und hart zu.»Also bitte«, sagte Henri. Wenigstens ein Deutscher,

dachte er, der Pole taugte nichts, den Ambermann ihm zur Aushilfe geschickt hatte. Er wies auf den Drehstuhl in der Ecke, ging, indem er den Zeigefinger auf der Tischplatte hinterherzog, zu seinem Sessel und ließ sich hineinfallen.

Die gespreizten Finger vorm Mund gegeneinander gelegt, musterte er den Bewerber. Dessen Füße standen in schwarzen Schnürschuhen fest auf dem Boden.

»Fahrerlaubnis Klasse C?«, fragte Henri und hatte keine Ahnung, ob es nicht besser wäre, schnell zum Ende zu kommen.

»Alle Klassen«, sagte der Mann.»Erfahrung mit Gabelstaplern?«»Jawohl.«Ein Jawohl folgte auch auf die Frage nach der Ge-

sundheit. Der Bewerber grinste, als hätte Herr Quast sich diese Frage besser selbst stellen sollen, bleich und schwitzend, wie der versuchte, den Chef zu mimen.

Herr Nagel offenbarte, dass er Legionär gewesen sei. »Fallschirmjäger.«

Henri sah, das war dem Kerl was wert. Wäre er ge-stern bloß nicht so eingebrochen bei Fred! Er wusste nun nicht, wie er dem Unverschämten kommen sollte.

»Und danach?«, fragte er einfach weiter, um sich Zeit zu geben.

»Dann? Ein Jahr Bau wegen Körperverletzung, zu-packen kann ich, das ist mal klar.« Aus schmalen Au-genschlitzen beobachtete er, wie seine Mitteilung ankam.

»Ich vermute mal, Sie brauchen was für’s Amt«, sagte Henri jovial, »dass Sie sich irgendwo vorgestellt haben. Den Stempel bekommen Sie, Herr Nagel, kein Pro-blem!« Er zog die Schublade auf.

»Ich brauch den Job!«Henri schaute auf: »Klauen Sie auch?«Die verschränkten Hände des Mannes spannten sich

auf der kunstledernen Aktenmappe; die Muskeln seiner Unterarme traten hervor. Er könne nicht für seine Con-tenance garantieren, sagte er gelassen, falls ihn das einer im Ernst fragt.

»Schon gut«, sagte Henri, »wir versuchen es. Montag können Sie anfangen. Und noch was, ich brauche einen Lebenslauf von Ihnen.«

»Danke, Herr Quast.« Herr Nagel kam halb hoch und zog ein paar geklammerte Seiten aus der Mappe.

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»Da wäre das Werk.« Mit dosiertem Schwung ließ er es auf den Tisch glei-

ten, sodass der Packen zielgenau vor Henris Hand lan-dete.

»Quedens Ante Nagels Lebenslauf«, las Henri vor, als wollte er sich die Überschrift bestätigen lassen. Offen-sichtlich mit einer alten Schreibmaschine getippt, wies das erste Blatt keine Ausbesserungen auf.

Nagel bewegte sich nicht. Sein Blick ruhte auf Hen-ris Ölbild »Eichbäume im Winter«. Es war der einzige künstlerische Versuch, der vor den Augen seiner Frau Gnade gefunden hatte. Dass es Großvater Heribert, Va-ter Klemens und ihn darstellen sollte, ahnte sie ja nicht.

Henri fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, um sich zu sammeln. »Morgen früh acht Uhr, um neun fangen Sie mit dem Beladen an. Christel, das heißt Frau Gärtner, zeigt Ihnen vorher die Halle und wo Sie was finden.«

Er hatte sich für einen Ton entschieden, der dem Neuen gleich klarmachen sollte, dass er Kumpanei nicht dulden würde. Er musste achtgeben. Seinen bei-den Damen oder Mitarbeiterinnen, wie er sie je nach Anlass nannte, hatte er auf der letzten Weihnachtsfeier das Du angeboten, nachdem Christel ihn mit herben Späßen dazu ermuntert und sogar die Kollegin Ilona Lutterbeck zum Aufjuchzen gebracht hatte. Eine Akti-

on, die es Christel erleichtert hatte, ihn anschließend in ihr Bett zu kriegen.

»Jawohl, Herr Quast«, sagte Nagel so nachsichtig, dass Henri sich hätte provoziert fühlen können. Aber ihm fehlte heute der Nerv für Nuancen. Er stand auf und hielt dem Neuen die Tür, während er ihm die Hand auf den Rücken legte, um ihn vorangehen zu las-sen. In einer Duftspur, die an Fruchtkaugummis erin-nerte, folgte er ihm durch den fensterlosen Gang bis in den Laden und nickte Ilona beruhigend zu.

Er fand Ludmilla im Liegestuhl auf der Dachterrasse vor. Überrascht setzte sie sich auf und sagte: »Was ist?« Sie sah nach der Uhr, als ob sie nicht wüsste, dass es zwölf war, wenn die Glocken läuteten.

Er holte sich eine Flasche Buttermilch, setzte sich auf den Klapphocker. Sie hatte sich was anderes vorgestellt an ihrem freien Nachmittag.

»Ich trink nur aus«, sagte er. »Hab ich geschnarcht? Fred hatte Geburtstag.«

»Keine Ahnung«, sagte sie und nahm sich wieder das Buch vor, »ich hab in der Klause geschlafen.«

Sie sagte Klause zum Gästezimmer, weil ihr Vater darin übernachtet hatte. Dreimal hatte Klaus sie be-sucht und immer war er vorzeitig abgereist. Nicht nur, dass sie ihm sein Fremdgehen nicht vergessen hatte, es

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»Da wäre das Werk.« Mit dosiertem Schwung ließ er es auf den Tisch glei-

ten, sodass der Packen zielgenau vor Henris Hand lan-dete.

»Quedens Ante Nagels Lebenslauf«, las Henri vor, als wollte er sich die Überschrift bestätigen lassen. Offen-sichtlich mit einer alten Schreibmaschine getippt, wies das erste Blatt keine Ausbesserungen auf.

Nagel bewegte sich nicht. Sein Blick ruhte auf Hen-ris Ölbild »Eichbäume im Winter«. Es war der einzige künstlerische Versuch, der vor den Augen seiner Frau Gnade gefunden hatte. Dass es Großvater Heribert, Va-ter Klemens und ihn darstellen sollte, ahnte sie ja nicht.

Henri fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, um sich zu sammeln. »Morgen früh acht Uhr, um neun fangen Sie mit dem Beladen an. Christel, das heißt Frau Gärtner, zeigt Ihnen vorher die Halle und wo Sie was finden.«

Er hatte sich für einen Ton entschieden, der dem Neuen gleich klarmachen sollte, dass er Kumpanei nicht dulden würde. Er musste achtgeben. Seinen bei-den Damen oder Mitarbeiterinnen, wie er sie je nach Anlass nannte, hatte er auf der letzten Weihnachtsfeier das Du angeboten, nachdem Christel ihn mit herben Späßen dazu ermuntert und sogar die Kollegin Ilona Lutterbeck zum Aufjuchzen gebracht hatte. Eine Akti-

on, die es Christel erleichtert hatte, ihn anschließend in ihr Bett zu kriegen.

»Jawohl, Herr Quast«, sagte Nagel so nachsichtig, dass Henri sich hätte provoziert fühlen können. Aber ihm fehlte heute der Nerv für Nuancen. Er stand auf und hielt dem Neuen die Tür, während er ihm die Hand auf den Rücken legte, um ihn vorangehen zu las-sen. In einer Duftspur, die an Fruchtkaugummis erin-nerte, folgte er ihm durch den fensterlosen Gang bis in den Laden und nickte Ilona beruhigend zu.

Er fand Ludmilla im Liegestuhl auf der Dachterrasse vor. Überrascht setzte sie sich auf und sagte: »Was ist?« Sie sah nach der Uhr, als ob sie nicht wüsste, dass es zwölf war, wenn die Glocken läuteten.

Er holte sich eine Flasche Buttermilch, setzte sich auf den Klapphocker. Sie hatte sich was anderes vorgestellt an ihrem freien Nachmittag.

»Ich trink nur aus«, sagte er. »Hab ich geschnarcht? Fred hatte Geburtstag.«

»Keine Ahnung«, sagte sie und nahm sich wieder das Buch vor, »ich hab in der Klause geschlafen.«

Sie sagte Klause zum Gästezimmer, weil ihr Vater darin übernachtet hatte. Dreimal hatte Klaus sie be-sucht und immer war er vorzeitig abgereist. Nicht nur, dass sie ihm sein Fremdgehen nicht vergessen hatte, es

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stieg ihr auch in die Nase, wie er als ehemaliger Parteise-kretär seiner Stasi-Fahrbereitschaft den Kommunisten rauskehrte, aber sich mit seinem Westschwiegersohn gegen sie verbrüderte. Schleimer! Sie nahm ihnen die Einheitsfront nicht ab.

»Ich mach mich lang«, sagte Henri. Wozu sollte er sie mit seiner Anwesenheit provozieren, sie war schlechter drauf als er. Er quälte sich hoch.

Im Bett versuchte er an Christel zu denken, doch das höhnische Gesicht seines neuen Knechts drängte sich dazwischen. Er starrte zur Deckenlampe, bevor er ein-dämmerte, verfolgte das abartige Hin und Her einer Stubenfliege.

Obwohl es Montag früh wie aus Kübeln schüttete, saß Herr Nagel auf der Mauer, die den Gehweg vom Park-platz trennte. Henri öffnete die Wagentür, spannte beim Aussteigen den Schirm auf und ging ihm entgegen.

»Moin«, sagte Nagel. Er war so durchnässt, dass ihm die Klamotten am Leib klebten und Wasser aus den Haa-ren rann. Unter seinem Handdruck hätten Henris Finger brechen können, aber er ließ sich den Schmerz nicht an-merken. Was wollte so ein Berufskiller in einem Geschäft, das den Leuten Getränke ins Haus fuhr? Schon gestern war ihm der Gedanke gekommen, nachdem Ludmilla, statt mit ihm eine Runde zu drehen, sich auf der Couch

eingerichtet hatte. Leichtsinnig hatte er sich mit dem Le-benslauf in die Küche verzogen, was für ein Einfall!

Als ich geboren wurde, musste er lesen, verzockte ein Matrose seine Heuer und steckte die Kaschemme mei-ner Mutter an. Bis die Feuerwehr kam, war ein Groß-teil der Einrichtung verkohlt. Glaubt man den Alten, war die Absteige bei Seeleuten, Ganoven und Zuhältern gleichermaßen berühmt. Es sollte nie wieder werden wie ehedem …

Wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was dann folgte, kam auf Henri was zu. Nach Seite sechs oder sie-ben war Quedens Ante Nagel mit kaum sechzehn zum ersten Mal verknackt worden. Er hatte einem einund-zwanzigjährigen Wehrdienstleistenden bei einer Prü-gelei den Kieferknochen gebrochen und einen Polizei-beamten mit dem Messer bedroht. Wieder auf freiem Fuß, war er zwei Jahre mit Schaustellern gereist. Hatte sich für die Legion entschieden, um seinen kriminellen Neigungen zu entkommen.

Stichpunkte hätten ja genügt, doch was Nagel hier auffuhr, diese Geschichte, deren offener Schluss darin bestand, dass der Held vor drei Wochen aus der Justiz-vollzugsanstalt Bochum entlassen worden war, brachte Henri durcheinander. Hundert Mal hatte ich mir aus-gemalt, wie ich durch das Tor treten und die Castroper Landstraße stadteinwärts wandern würde, um jeden

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stieg ihr auch in die Nase, wie er als ehemaliger Parteise-kretär seiner Stasi-Fahrbereitschaft den Kommunisten rauskehrte, aber sich mit seinem Westschwiegersohn gegen sie verbrüderte. Schleimer! Sie nahm ihnen die Einheitsfront nicht ab.

»Ich mach mich lang«, sagte Henri. Wozu sollte er sie mit seiner Anwesenheit provozieren, sie war schlechter drauf als er. Er quälte sich hoch.

Im Bett versuchte er an Christel zu denken, doch das höhnische Gesicht seines neuen Knechts drängte sich dazwischen. Er starrte zur Deckenlampe, bevor er ein-dämmerte, verfolgte das abartige Hin und Her einer Stubenfliege.

Obwohl es Montag früh wie aus Kübeln schüttete, saß Herr Nagel auf der Mauer, die den Gehweg vom Park-platz trennte. Henri öffnete die Wagentür, spannte beim Aussteigen den Schirm auf und ging ihm entgegen.

»Moin«, sagte Nagel. Er war so durchnässt, dass ihm die Klamotten am Leib klebten und Wasser aus den Haa-ren rann. Unter seinem Handdruck hätten Henris Finger brechen können, aber er ließ sich den Schmerz nicht an-merken. Was wollte so ein Berufskiller in einem Geschäft, das den Leuten Getränke ins Haus fuhr? Schon gestern war ihm der Gedanke gekommen, nachdem Ludmilla, statt mit ihm eine Runde zu drehen, sich auf der Couch

eingerichtet hatte. Leichtsinnig hatte er sich mit dem Le-benslauf in die Küche verzogen, was für ein Einfall!

Als ich geboren wurde, musste er lesen, verzockte ein Matrose seine Heuer und steckte die Kaschemme mei-ner Mutter an. Bis die Feuerwehr kam, war ein Groß-teil der Einrichtung verkohlt. Glaubt man den Alten, war die Absteige bei Seeleuten, Ganoven und Zuhältern gleichermaßen berühmt. Es sollte nie wieder werden wie ehedem …

Wenn nur die Hälfte von dem stimmte, was dann folgte, kam auf Henri was zu. Nach Seite sechs oder sie-ben war Quedens Ante Nagel mit kaum sechzehn zum ersten Mal verknackt worden. Er hatte einem einund-zwanzigjährigen Wehrdienstleistenden bei einer Prü-gelei den Kieferknochen gebrochen und einen Polizei-beamten mit dem Messer bedroht. Wieder auf freiem Fuß, war er zwei Jahre mit Schaustellern gereist. Hatte sich für die Legion entschieden, um seinen kriminellen Neigungen zu entkommen.

Stichpunkte hätten ja genügt, doch was Nagel hier auffuhr, diese Geschichte, deren offener Schluss darin bestand, dass der Held vor drei Wochen aus der Justiz-vollzugsanstalt Bochum entlassen worden war, brachte Henri durcheinander. Hundert Mal hatte ich mir aus-gemalt, wie ich durch das Tor treten und die Castroper Landstraße stadteinwärts wandern würde, um jeden

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Schritt zu genießen, doch als es so weit war, nahm ich ein Taxi. Nagel machte keine Fehler, die Kommas sa-ßen dort, wo sie hingehörten. Kein Gedankenstrich, auf den kein Gedanke folgte.

Henri schloss die Hintertür auf, ließ Nagel in den Gang vorangehen und schaltete Licht an. Der Geruch geborstener Bierflaschen hing in der Luft. Er hoffte, dass Christel bald kommen würde, um ihm den Neuen abzunehmen.

Nagel zog seinen Parka aus und hängte ihn über ei-nen Bügel. Ein von frischem Schweiß durchmischter Seifengeruch zog durchs Zimmer. Der Mann trug ein Netzhemd, als ob er sich Schwerstarbeit in praller Son-ne vorgenommen hätte.

»Ihren Lebenslauf habe ich gelesen«, sagte Henri bei-läufig, »wollen Sie vielleicht Dichter werden?«

»Suchen Sie etwa keinen ehrlichen Mann?«, fragte Nagel zurück und zog eine Braue nach oben.

»Hier fahren Sie Getränke aus«, sagte Henri, »wenn es mal klappt, können Sie mich ja zum Essen einladen.«

»Kann passieren, Chef.«Henri goss Wasser in die Maschine, gab vier Löffel

Kaffee in die Tüte. »Schreiben Sie tatsächlich?«»Nur wahre Begebenheiten«, sagte Nagel. »Über die

Legion zum Beispiel. Erlauben Sie?« Er zeigte eine Ta-bakdose mit Zigarettenpapier vor.

Henri nickte. Der Mann tat sich fünf Stück Zucker in den Kaf-

fee und füllte dann die Tasse mit Sahne auf. Der Löffel wirkte zerbrechlich in dieser Hand.

»Und wie war’s in Somalia?«, sagte Henri lauter, weil Hagel auf das Vordach über der Laderampe prasselte. Ilona kam, na endlich. Er machte es kurz: »Herr Nagel, unser neuer Mitarbeiter, Frau Lutterbeck, von Anfang an dabei. Wenn Sie was zu trinken brauchen, gibt sie Ihnen Rabatt, zwanzig Prozent.«

»Ohne Limit?«, frotzelte Nagel. Ilona Lutterbeck ver-zog keine Miene. »Das müssen Sie Herrn Quast fragen«, rief sie aus dem Gang, wo sie ihr Cape ausschüttelte.

Der Hagelschauer ging so unerwartet, wie er einge-setzt hatte, in Regen über.

»Herr Nagel ist in erster Linie für die Auslieferung zuständig«, sagte Henri, »für den Aufbau des Festzelts, den Schankwagen, bei Bedarf auch für den Betriebs-schutz, oder?«

Nagel lächelte Ilona zu. »Gut«, sagte Henri, als er Christel kommen sah. Er fing

an, in den Tourenplänen zu blättern. Kurz und bündig wies er sie an, dem Neuen das Auto zu übergeben.

»Gern, Henri«, sagte sie ebenso knapp. Nagel war bei Christels Ankunft aufgestanden und

verfolgte das Geplänkel mit der Kaffeetasse in der Hand.

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Schritt zu genießen, doch als es so weit war, nahm ich ein Taxi. Nagel machte keine Fehler, die Kommas sa-ßen dort, wo sie hingehörten. Kein Gedankenstrich, auf den kein Gedanke folgte.

Henri schloss die Hintertür auf, ließ Nagel in den Gang vorangehen und schaltete Licht an. Der Geruch geborstener Bierflaschen hing in der Luft. Er hoffte, dass Christel bald kommen würde, um ihm den Neuen abzunehmen.

Nagel zog seinen Parka aus und hängte ihn über ei-nen Bügel. Ein von frischem Schweiß durchmischter Seifengeruch zog durchs Zimmer. Der Mann trug ein Netzhemd, als ob er sich Schwerstarbeit in praller Son-ne vorgenommen hätte.

»Ihren Lebenslauf habe ich gelesen«, sagte Henri bei-läufig, »wollen Sie vielleicht Dichter werden?«

»Suchen Sie etwa keinen ehrlichen Mann?«, fragte Nagel zurück und zog eine Braue nach oben.

»Hier fahren Sie Getränke aus«, sagte Henri, »wenn es mal klappt, können Sie mich ja zum Essen einladen.«

»Kann passieren, Chef.«Henri goss Wasser in die Maschine, gab vier Löffel

Kaffee in die Tüte. »Schreiben Sie tatsächlich?«»Nur wahre Begebenheiten«, sagte Nagel. »Über die

Legion zum Beispiel. Erlauben Sie?« Er zeigte eine Ta-bakdose mit Zigarettenpapier vor.

Henri nickte. Der Mann tat sich fünf Stück Zucker in den Kaf-

fee und füllte dann die Tasse mit Sahne auf. Der Löffel wirkte zerbrechlich in dieser Hand.

»Und wie war’s in Somalia?«, sagte Henri lauter, weil Hagel auf das Vordach über der Laderampe prasselte. Ilona kam, na endlich. Er machte es kurz: »Herr Nagel, unser neuer Mitarbeiter, Frau Lutterbeck, von Anfang an dabei. Wenn Sie was zu trinken brauchen, gibt sie Ihnen Rabatt, zwanzig Prozent.«

»Ohne Limit?«, frotzelte Nagel. Ilona Lutterbeck ver-zog keine Miene. »Das müssen Sie Herrn Quast fragen«, rief sie aus dem Gang, wo sie ihr Cape ausschüttelte.

Der Hagelschauer ging so unerwartet, wie er einge-setzt hatte, in Regen über.

»Herr Nagel ist in erster Linie für die Auslieferung zuständig«, sagte Henri, »für den Aufbau des Festzelts, den Schankwagen, bei Bedarf auch für den Betriebs-schutz, oder?«

Nagel lächelte Ilona zu. »Gut«, sagte Henri, als er Christel kommen sah. Er fing

an, in den Tourenplänen zu blättern. Kurz und bündig wies er sie an, dem Neuen das Auto zu übergeben.

»Gern, Henri«, sagte sie ebenso knapp. Nagel war bei Christels Ankunft aufgestanden und

verfolgte das Geplänkel mit der Kaffeetasse in der Hand.

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Ilona verschwand, und Christel hielt dem Fremden die Tür auf.

»Danke für den Kaffee«, sagte Nagel.

Henri beobachtete, wie Christel den Kollegen durch die Reihen führte. Musste sie ihm zu jeder Palette eine Geschichte erzählen? Der Kerl lachte auf, es war ein kehliges Lachen, das gleich wieder zusammenbrach und in ein einvernehmliches Grinsen überging. Sie befolgte Henris Anweisung genau und erklärte, wo was stand, verschwand mit Herrn Nagel am Ende des Gangs hin-ter Mineralwasserkästen.

Es passte Henri nicht, dass er jetzt einen Termin hat-te; er zögerte, bevor er den Mantel vom Haken nahm und sich den Regenschirm griff. Als er die Tür zur Ram-pe aufzog, drehte er sich noch einmal um. Die beiden waren in der nächsten Flucht wieder aufgetaucht und Christel salutierte zum Abschied herüber.

»Darf ich raten, worum es geht?«, empfing ihn Frau Hamsun, Nummer zwei der Geschäftsleitung.

»Sie wissen doch, Frau Hamsun, jedes Jahr die glei-che Frage«, schwadronierte er.

Es musste nichts bedeuten, dass sie ihn am Fahrstuhl erwartet hatte, statt ihm wie beim letzten Mal die Se-kretärin zu schicken. Er kannte sie; trotz guter Stim-

mung sah er die Prozente, die er mit ihr aushandeln wollte, noch lange nicht. Die Hälfte von Nagels Gehalt könnte dabei herauskommen.

Sie benutzte dasselbe Parfüm wie Ludmilla, es kam ihm zumindest so vor. Gut, dass sie flache Schuhe trug; vor Frauen, die über seine Nase hinausreichten, hatte er Hemmungen.

Die Doppeltür zu ihrem Geschäftszimmer stand of-fen. »Bitte«, sagte sie, »nehmen Sie Platz.« Der Raum maß die Hälfte seiner Ladenverkaufsfläche, und wenn er von dem Computer und einem Mobiltelefon absah, entstammte die Ausstattung dem neunzehnten Jahr-hundert: Riesenschreibtisch mit Ohrensessel, Leder-sitzgruppe um einen Rauchtisch mit Zigarrenascher. Die breit gerahmten Fotos aus der Firmengeschichte faszinierten ihn immer wieder, Bierkutscher und ihre schweren Friesen. Mit gezwirbelten Bärten, in derben Schürzen, sahen sie aus wie die allerersten Wähler der Sozialdemokratie. Sie zuckte leicht die Schultern auf seinen Kommentar hin und sagte: »Kann schon sein.«

»Ich hab mir auch so ein Schnöselfon geleistet«, Henri zeigte zum Schreibtisch. »Eine Sache mit netten Möglichkeiten, nicht?«

Frau Hamsun verstand nicht.»Ich meine Ihr Taschentelefon.« Er winkte ab und

ließ sich im Sessel nieder. Eigentlich war die Hamsun

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Ilona verschwand, und Christel hielt dem Fremden die Tür auf.

»Danke für den Kaffee«, sagte Nagel.

Henri beobachtete, wie Christel den Kollegen durch die Reihen führte. Musste sie ihm zu jeder Palette eine Geschichte erzählen? Der Kerl lachte auf, es war ein kehliges Lachen, das gleich wieder zusammenbrach und in ein einvernehmliches Grinsen überging. Sie befolgte Henris Anweisung genau und erklärte, wo was stand, verschwand mit Herrn Nagel am Ende des Gangs hin-ter Mineralwasserkästen.

Es passte Henri nicht, dass er jetzt einen Termin hat-te; er zögerte, bevor er den Mantel vom Haken nahm und sich den Regenschirm griff. Als er die Tür zur Ram-pe aufzog, drehte er sich noch einmal um. Die beiden waren in der nächsten Flucht wieder aufgetaucht und Christel salutierte zum Abschied herüber.

»Darf ich raten, worum es geht?«, empfing ihn Frau Hamsun, Nummer zwei der Geschäftsleitung.

»Sie wissen doch, Frau Hamsun, jedes Jahr die glei-che Frage«, schwadronierte er.

Es musste nichts bedeuten, dass sie ihn am Fahrstuhl erwartet hatte, statt ihm wie beim letzten Mal die Se-kretärin zu schicken. Er kannte sie; trotz guter Stim-

mung sah er die Prozente, die er mit ihr aushandeln wollte, noch lange nicht. Die Hälfte von Nagels Gehalt könnte dabei herauskommen.

Sie benutzte dasselbe Parfüm wie Ludmilla, es kam ihm zumindest so vor. Gut, dass sie flache Schuhe trug; vor Frauen, die über seine Nase hinausreichten, hatte er Hemmungen.

Die Doppeltür zu ihrem Geschäftszimmer stand of-fen. »Bitte«, sagte sie, »nehmen Sie Platz.« Der Raum maß die Hälfte seiner Ladenverkaufsfläche, und wenn er von dem Computer und einem Mobiltelefon absah, entstammte die Ausstattung dem neunzehnten Jahr-hundert: Riesenschreibtisch mit Ohrensessel, Leder-sitzgruppe um einen Rauchtisch mit Zigarrenascher. Die breit gerahmten Fotos aus der Firmengeschichte faszinierten ihn immer wieder, Bierkutscher und ihre schweren Friesen. Mit gezwirbelten Bärten, in derben Schürzen, sahen sie aus wie die allerersten Wähler der Sozialdemokratie. Sie zuckte leicht die Schultern auf seinen Kommentar hin und sagte: »Kann schon sein.«

»Ich hab mir auch so ein Schnöselfon geleistet«, Henri zeigte zum Schreibtisch. »Eine Sache mit netten Möglichkeiten, nicht?«

Frau Hamsun verstand nicht.»Ich meine Ihr Taschentelefon.« Er winkte ab und

ließ sich im Sessel nieder. Eigentlich war die Hamsun

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elendig dünn, an ihrem Bier schien sie selbst keinen Ge-fallen zu finden.

»Sie haben doch schon Spitzenkonditionen bei mir, Herr Quast«, seufzte sie.

Er blinzelte gegen die Vormittagssonne und überleg-te, ob sie eine echte Schuhknecht war oder eingehei-ratet hatte. Er wusste das Bild des Firmengründers in seinem Rücken, was würde der denken? Früher hatten das Männer gemacht. Vielleicht auch besser so.

»Ich kann Ihnen gern ein paar Sonnenschirme auf-schreiben, eine Lichtwerbung, falls Sie an eine zusätz-liche Filiale denken. Wir liefern Ihnen auch ein Acht-zigliterfass Freibier, für den nächsten Event. Mehr ist leider nicht drin. Darf es Kaffee sein, ein Wasser?«

Es wäre einfacher gewesen, die Sache am Telefon ab-zukürzen, warum war ihm das nicht vorher eingefallen? Bei seiner Markteröffnung hatte sie sich großzügig ge-zeigt, aber das war eine Weile her. Er hatte sich einge-bildet, sie könnte eine Schwäche für ihn haben.

»Den Versuch war es wert«, sagte er schließlich. Er stand auf. »Vielleicht wollte ich Sie ja einfach wie-dersehen«, verabschiedete er sich sportlich. Es brachte Frau Hamsun so durcheinander, dass sie den Drük-ker ihres Kugelschreibers an die dunkel geschmink-ten Lippen gedrückt hielt und ihn ein wenig zu lange musterte.

»Okay, Frau Hamsun«, sagte er und schob sich hin-ten das Hemd in die Hose.

»Wir bleiben in Verbindung«, sagte sie. »Sie melden sich, wenn es Probleme gibt, ja?«

Henri hatte keine Lust, ins Büro zurückzugehen. Er fuhr zum Forsthaus. Die Sonne schien warm, doch von den Bäumen tropfte es noch.

Er holte sich ein Kännchen Kaffee, trocknete mit ei-nem Papiertaschentuch den Stuhl und ließ sich nieder. Ein Rentnerpaar saß an einem der nassen Tische. Die Hände über dem Knauf seines Spazierstocks gefaltet, be-obachtete ihn der Mann. Gerne hätte er einen Wetter-schwatz begonnen, doch Henri überließ sein Gesicht der Sonne. Schwäne, Überbleibsel ausradierter Saurier, drif-teten ins offene, aufgeraute Wasser. Anders als moderne Säuger blieben sie zusammen, jedes Paar für immer.

»Ein wunderschöner Herbst«, sagte der Rentner mit Akzent, sodass Henri ihn beinahe gefragt hätte, ob es ihm auf der Oalm zu kalt geworden sei. Denn wenn ihm ein Dialekt auf die Nerven ging, so war es neben Sächsisch Bayrisch. Aber Henri sagte nur, indem er sich zur Seite drehte: »Schade, dass man wieder ins Büro muss«, und stand auf, ohne den Kaffee ausgetrunken zu haben. Er wanderte um den See, dann zurück zum Auto und fuhr in seine Filiale nach Tottenheim.

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elendig dünn, an ihrem Bier schien sie selbst keinen Ge-fallen zu finden.

»Sie haben doch schon Spitzenkonditionen bei mir, Herr Quast«, seufzte sie.

Er blinzelte gegen die Vormittagssonne und überleg-te, ob sie eine echte Schuhknecht war oder eingehei-ratet hatte. Er wusste das Bild des Firmengründers in seinem Rücken, was würde der denken? Früher hatten das Männer gemacht. Vielleicht auch besser so.

»Ich kann Ihnen gern ein paar Sonnenschirme auf-schreiben, eine Lichtwerbung, falls Sie an eine zusätz-liche Filiale denken. Wir liefern Ihnen auch ein Acht-zigliterfass Freibier, für den nächsten Event. Mehr ist leider nicht drin. Darf es Kaffee sein, ein Wasser?«

Es wäre einfacher gewesen, die Sache am Telefon ab-zukürzen, warum war ihm das nicht vorher eingefallen? Bei seiner Markteröffnung hatte sie sich großzügig ge-zeigt, aber das war eine Weile her. Er hatte sich einge-bildet, sie könnte eine Schwäche für ihn haben.

»Den Versuch war es wert«, sagte er schließlich. Er stand auf. »Vielleicht wollte ich Sie ja einfach wie-dersehen«, verabschiedete er sich sportlich. Es brachte Frau Hamsun so durcheinander, dass sie den Drük-ker ihres Kugelschreibers an die dunkel geschmink-ten Lippen gedrückt hielt und ihn ein wenig zu lange musterte.

»Okay, Frau Hamsun«, sagte er und schob sich hin-ten das Hemd in die Hose.

»Wir bleiben in Verbindung«, sagte sie. »Sie melden sich, wenn es Probleme gibt, ja?«

Henri hatte keine Lust, ins Büro zurückzugehen. Er fuhr zum Forsthaus. Die Sonne schien warm, doch von den Bäumen tropfte es noch.

Er holte sich ein Kännchen Kaffee, trocknete mit ei-nem Papiertaschentuch den Stuhl und ließ sich nieder. Ein Rentnerpaar saß an einem der nassen Tische. Die Hände über dem Knauf seines Spazierstocks gefaltet, be-obachtete ihn der Mann. Gerne hätte er einen Wetter-schwatz begonnen, doch Henri überließ sein Gesicht der Sonne. Schwäne, Überbleibsel ausradierter Saurier, drif-teten ins offene, aufgeraute Wasser. Anders als moderne Säuger blieben sie zusammen, jedes Paar für immer.

»Ein wunderschöner Herbst«, sagte der Rentner mit Akzent, sodass Henri ihn beinahe gefragt hätte, ob es ihm auf der Oalm zu kalt geworden sei. Denn wenn ihm ein Dialekt auf die Nerven ging, so war es neben Sächsisch Bayrisch. Aber Henri sagte nur, indem er sich zur Seite drehte: »Schade, dass man wieder ins Büro muss«, und stand auf, ohne den Kaffee ausgetrunken zu haben. Er wanderte um den See, dann zurück zum Auto und fuhr in seine Filiale nach Tottenheim.

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