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Psychische Komplikationen der neuen Arbeitswelt
Prof. Dr. med. Daniel Hell Paulusakademie 30.11.2015
Agenda
• Psychische Herausforderungen der Spätmoderne
• Psychische Folgen der neuen Arbeitswelt – Der Schatten der Flexibilität
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Was erfordert heute Flexibilität?
Soziokulturelle Entwicklungen • Mobilität, Beschleunigung • Rationalisierung und Effizienzsteigerung in der
Wirtschaft • Forcierte Individualisierung • Fragmentierungstendenz (vermehrte Brüche
im privaten und beruflichen Leben) • Globalisierung und Vermischung von Kulturen • u.a.
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Sozioökonomische Trends I
Von der Industriegesellschaft (19./20. Jhdt.) zur Dienstleistungsgesellschaft (Ende 20./Anfang 21. Jhdt.)
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Sozioökonomische Trends II
Vom Wir zum Ich (von der hierarchisch strukturierten Sozialgemeinschaft zur individualisierten Gesellschaft)
Spätmoderne: Das „Selbst“ rückt ins Zentrum
Von der Selbstbehauptung über die Selbstverwirklichung zur Selbstoptimierung Die grosse Bedeutung des Selbstbezugs macht den modernen Menschen psychisch verletzlicher (Beschämungsgefahr).
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Scham und Beschämung/Kränkung
Individuelle Ebene
Scham (Selbstgefühl, Hinweis auf die Gefährdung des Selbst)
Soziale Ebene
Beschämung (Kränkung, Blossstellung durch Dritte)
Komplikation: Selbstbeschämung
(oder verinnerlichte Beschämung)
Gefahr bei Beschämungen
Kränkung/Demütigung verletzt einen Menschen seelisch. Sie kann nicht nur Scham auslösen, sondern schlimmer den Schutz, den das Schamgefühl gibt, durchbrechen („narzisstische Kränkung“).
Dieser Fall tritt besonders häufig bei Menschen ein, die aus
biografischen Gründen wenig Selbstvertrauen bzw kein gutes Scham- oder Ehrgefühl entwickeln konnten.
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Gekränkt sein
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Gekränkt sein macht passiv isoliert lässt Leere empfinden vergällt Leben („hässig“) entehrt ist ein „Ungefühl“ (im Gegensatz zum Schamgefühl)
Agenda
• Psychische Herausforderungen der Spätmoderne
• Psychische Folgen der neuen Arbeitswelt – Der Schatten der Flexibilität
am Beispiel Depression infolge a)Kränkung b)Burnout,Erschöpfung
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Depressionsrate bei 130 Frauen (mit geringem Selbstwertgefühl und geringer sozialer Unterstützung) in Abhängigkeit von Belastungsart / Brown 2004
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
Belastung mit Demütigung oder Blosstellung
Belastung ohne Demütigung (z.B. Todesfall)
Depressionsrate nach Belastung
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„Bei der Arbeit Gefühl gehabt, emotional verbraucht zu sein“ (Seco 2011)
Erwerbstätige in Prozent (N = 997)
Grebner, Berlowitz, Alvarado, & Cassina (2011) 18
75
21
4 0
10 20 30 40 50 60 70 80
trifft überhaupt nicht/eher nicht zu
trifft eher zu trifft völlig zu
Quelle: Grebner, Berlowitz, Alvarado & Cassina (2011): Stress bei Schweizer Erwerbstätigen. Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen, Personenmerkmalen, Befinden und Gesundheit. SECO www.seco.admin.ch Studien und Berichte
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Kernsyndrom der Erschöpfung (z.B. Burnout)
• Energieverlust (körperliche Erschöpfung) • Unlust (emotionale Erschöpfung) • Desinteresse (geistige und soziale Erschöpfung)
Kommt auch bei Depressionen vor: • Erschöpfungsdepression (Kielholz)
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Persönlicher Pol
Umwelt- Pol
„Selbstverbrenner“ (überhöhte Leistungs- Ideale)
„wear out“ (Verschleiss durch äusseren Druck)
Zwei Pole der Burnout-Dynamik
(nach Burisch 2006)
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Strenges persönliches Rollenverständnis
• Perfektionismus Sei perfekt
• Überverantwortlichkeit Sei für alles zuständig
• Übertriebenes Kontrollbedürfnis Habe alles im Griff
• Übertriebenes Harmoniebedürfnis Sei immer lieb
• Übertriebenes Bewunderungsbedürfnis Sei immer der Beste
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1. ARBEITSÜBERFORDERUNG
Vegetative Stresssymptome Erschöpfung
Andauernde Überforderung
Regeneration 2. BURNOUT (Z73.0)
(Risiko-Zustand) Erschöpfung, Zynismus Leistungsminderung
Chronifizierter Stress
3. Folgekrankheiten z.B. Depression, Angst-
erkrankungen, Tinitus, Hypertonie + Burnout (Z73.0)
4. Grunderkrankungen z.B. Multipe Sklerose, Krebs, beginnende
Demenz, Psychose
Arbeit und gesundheitliche Beeinträchtigung
Individuelle Faktoren Individuelle Faktoren
Leistungs einbusse
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Methoden, um Dauerstress abzubauen
- Rhythmisierung des Alltags (Pausen und angenehme Tätigkeiten fördern)
- Akzeptanz eigener Schwierigkeiten (eigene
innere Antreiber erkennen und vermindern) - Achtsamer Umgang mit sich selbst und andern
(Orte der Stille, ev. Meditation)
- Ev. Coaching oder Psychotherapie