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Proteinreiche Buchstabensuppe

Date post: 26-Jan-2017
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AUSGEFORSCHT Vielleicht ist Johann Sebastian Bach an dieser Geschich- te schuld. Der schmuggelte im Jahr 1750 in den letzten Kon- trapunkt seiner letzten Fuge („Kunst der Fuge“, BWV 1080) ein Thema ein, das seinen Nachnamen enthielt, also die No- tenfolge B-A-C-H. Analog gibt es für die Folge G-D-C-H von Hans Vogt und von Alexander Meyer von Bremen zwei Kompositionen aus dem Jahr 1959. Diese Auftragsarbeiten folgen allerdings mit chromatikfreien Tonfolgen der damals florierenden Zwölf- tonmusik [Nachr. Chem. 2009, 57, 398]. Der US-amerikanische Komponist John Cage hätte in Bachs Fußstapfen treten können. C-A-G-E würde sich sogar für unsere Ohren harmonisch anhören, da der Klang sowohl den C-Dur-Akkord CEG als auch den zugehörigen Moll-Ak- kord ACE enthält. Zahllose Stücke, darunter viele Kinderlie- der, enthalten diese Notenkombinationen. Soviel Harmonie ist für einen eher dem Dadaistischen zugeneigten Künstler schon fast wieder langweilig, und soweit mir bekannt ist, hat Cage kein Gegenstück zu Bachs letzter Fuge komponiert. Wie sieht es denn mit personalisierten Molekülen aus? Herbert C. Brown hat ja bekanntlich den subtilen Hinweis berücksichtigt, den seine Eltern in seinen Initialen kodierten, und sich sein Leben lang mit Boranen, also Verbindungen der Elemente H, C und B beschäftigt. Ansonsten ist das Schreiben mit Molekülen aber gar nicht so einfach, da diese erstens häufig nicht linear sind und zweitens viel zu oft die Buchstaben C und H enthalten. Einen Hoffnungsschimmer bieten die linearen Biopoly- mere. Bei Nukleinsäuren herrscht Buchstabenknappheit, da wird man schnell GAGA oder landet bei Filmtiteln wie GATTACA. Nehmen wir noch das Uracil der RNA hinzu, dann können wir immerhin Wörter wie Gau, Tau und Tutu buch- stabieren oder englisch cat, tug, cut. Das gibt aber alles nicht viel her. Beim Einbuchstaben-Code für die Aminosäuren der Pro- teine haben wir immerhin 20 Buchstaben im Angebot, das ist ja schon fast ein richtiges Alphabet. Die Arbeitsgruppe des im Gebiet der Evolution und Kategorisierung von Protei- nen tätigen Biochemikers Andrei N. Lupas ergriff diese Gele- genheit beim Schopf und entwickelte eine Proteinstruktur, die dessen Namen enthält. Zumindest beinahe: Für das „U“ musste ein V (Valin) herhalten. Das Lupas-Protein wurde erfolgreich synthetisiert und kristallisiert. Die fertige Kristallstruktur verehrte die Gruppe ihrem Chef zum 50. Geburtstag, wie die Pressestelle des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie, wo Lupas als Direktor der Abteilung Proteinevolution wirkt, stolz meldete. Das unschuldige Opfer der Sequenzmanipulation zu Lupas Ehren war ein Transkriptionsfaktor der Hefe namens CGN4. Dieser hat eine ausgeprägte Coiled-Coil-Struktur, be- steht also aus Helices, die ihrerseits wieder wie die Stränge eines Seils miteinander verzwirbelt sind. Diese Struktur ist relativ robust gegen Mutationen, nur in jeder siebten Position gibt es eine Aminosäure, deren Identität wichtig ist. Eine dieser essenziellen Aminosäuren war ein Aspara- gin (N) – da traf es sich gut, dass in der Mitte der Sequenz ANDREINLVPAS ein Asparagin steht, so dass die Forscher die Sequenz so einfügen konnten, dass das N an die richtige Stelle gelangte. Dabei konnten die sechs Buchstaben davor und die fünf dahinter wenig Schaden anrichten. Sorgen bereitete dann nur noch ein Problem, das die Pro- teinkundigen unter Ihnen längst bemerkt haben werden: der Buchstabe P. Die Aminosäure Prolin gilt als ein Helixbre- cher, da ihre Ringstruktur die für eine reguläre a-Helix erfor- derlichen Bindungswinkel nicht zulässt. Die Kristallstruktur zeigte dann allerdings, dass selbst diese nach Lehrbuchwis- sen „verbotene“ Aminosäure erfolgreich in die Coiled-Coil- Struktur eingebaut wurde. Damit war dann alles in Butter, Herr Lupas bekam sein Geburtstagsgeschenk, und seine Arbeitsgruppe hatte sogar noch etwas über die Eingliederung von Prolinen in Helix- strukturen gelernt. Nur für uns Normalsterbliche, die wir zum Beispiel ein O im Namen tragen, bleibt keine Hoffnung, denn das kann man weder in Musik noch in Proteinsequenzen umsetzen (obwohl MICHAEL eine vollkommen legitime Aminosäurese- quenz wäre; hat die schon mal jemand analysiert?). Wir trösten uns mit dem Gedanken an die Willkür jegli- cher Buchstaben-Nomenklatur. Bachs Kunstgriff funktio- niert ja nur aufgrund der deutschen Anomalie, die Note un- ter dem C außerhalb der alphabetischen Logik H zu nennen. Ebenso ist die Zuteilung von Buchstaben zu Aminosäuren natürlich rein willkürlich, und unsere Namen, die sind so- wieso Schall und Rauch. Michael Groß, www.michaelgross.co.uk Proteinreiche Buchstabensuppe „Auf Wunsch des Herrn Präsidenten mischen wir dem Erdgas nun PuTiN- Moleküle als geopolitische Duftmarker bei.“ Cartoon: Roland Wengenmayr, Frankfurt
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Page 1: Proteinreiche Buchstabensuppe

AUSGEFORSCHT

Vielleicht ist Johann Sebastian Bach an dieser Geschich-te schuld. Der schmuggelte im Jahr 1750 in den letzten Kon-trapunkt seiner letzten Fuge („Kunst der Fuge“, BWV 1080) ein Thema ein, das seinen Nachnamen enthielt, also die No-tenfolge B-A-C-H.

Analog gibt es für die Folge G-D-C-H von Hans Vogt und von Alexander Meyer von Bremen zwei Kompositionen aus dem Jahr 1959. Diese Auftragsarbeiten folgen allerdings mit chromatikfreien Tonfolgen der damals florierenden Zwölf-tonmusik [Nachr. Chem. 2009, 57, 398].

Der US-amerikanische Komponist John Cage hätte in Bachs Fußstapfen treten können. C-A-G-E würde sich sogar für unsere Ohren harmonisch anhören, da der Klang sowohl den C-Dur-Akkord CEG als auch den zugehörigen Moll-Ak-kord ACE enthält. Zahllose Stücke, darunter viele Kinderlie-der, enthalten diese Notenkombinationen. Soviel Harmonie ist für einen eher dem Dadaistischen zugeneigten Künstler schon fast wieder langweilig, und soweit mir bekannt ist, hat Cage kein Gegenstück zu Bachs letzter Fuge komponiert.

Wie sieht es denn mit personalisierten Molekülen aus? Herbert C. Brown hat ja bekanntlich den subtilen Hinweis berücksichtigt, den seine Eltern in seinen Initialen kodierten, und sich sein Leben lang mit Boranen, also Verbindungen der Elemente H, C und B beschäftigt. Ansonsten ist das Schreiben mit Molekülen aber gar nicht so einfach, da diese erstens häufig nicht linear sind und zweitens viel zu oft die Buchstaben C und H enthalten.

Einen Hoffnungsschimmer bieten die linearen Biopoly-mere. Bei Nukleinsäuren herrscht Buchstabenknappheit, da wird man schnell GAGA oder landet bei Filmtiteln wie GATTACA. Nehmen wir noch das Uracil der RNA hinzu, dann können wir immerhin Wörter wie Gau, Tau und Tutu buch -stabieren oder englisch cat, tug, cut. Das gibt aber alles nicht viel her.

Beim Einbuchstaben-Code für die Aminosäuren der Pro-teine haben wir immerhin 20 Buchstaben im Angebot, das ist ja schon fast ein richtiges Alphabet. Die Arbeitsgruppe des im Gebiet der Evolution und Kategorisierung von Protei-nen tätigen Biochemikers Andrei N. Lupas ergriff diese Gele-genheit beim Schopf und entwickelte eine Proteinstruktur, die dessen Namen enthält. Zumindest beinahe: Für das „U“ musste ein V (Valin) herhalten.

Das Lupas-Protein wurde erfolgreich synthetisiert und kristallisiert. Die fertige Kristallstruktur verehrte die Gruppe ihrem Chef zum 50. Geburtstag, wie die Pressestelle des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie, wo Lupas als Direktor der Abteilung Proteinevolution wirkt, stolz meldete.

Das unschuldige Opfer der Sequenzmanipulation zu Lupas Ehren war ein Transkriptionsfaktor der Hefe namens CGN4. Dieser hat eine ausgeprägte Coiled-Coil-Struktur, be-steht also aus Helices, die ihrerseits wieder wie die Stränge eines Seils miteinander verzwirbelt sind. Diese Struktur ist relativ robust gegen Mutationen, nur in jeder siebten Position gibt es eine Aminosäure, deren Identität wichtig

ist. Eine dieser essenziellen Aminosäuren war ein Aspara -gin (N) – da traf es sich gut, dass in der Mitte der Sequenz ANDREINLVPAS ein Asparagin steht, so dass die Forscher die Sequenz so einfügen konnten, dass das N an die richtige Stelle gelangte. Dabei konnten die sechs Buchstaben davor und die fünf dahinter wenig Schaden anrichten.

Sorgen bereitete dann nur noch ein Problem, das die Pro-teinkundigen unter Ihnen längst bemerkt haben werden: der Buchstabe P. Die Aminosäure Prolin gilt als ein Helixbre-cher, da ihre Ringstruktur die für eine reguläre a-Helix erfor-derlichen Bindungswinkel nicht zulässt. Die Kristallstruktur zeigte dann allerdings, dass selbst diese nach Lehrbuchwis-sen „verbotene“ Aminosäure erfolgreich in die Coiled-Coil-Struktur eingebaut wurde.

Damit war dann alles in Butter, Herr Lupas bekam sein Geburtstagsgeschenk, und seine Arbeitsgruppe hatte sogar noch etwas über die Eingliederung von Prolinen in Helix-strukturen gelernt.

Nur für uns Normalsterbliche, die wir zum Beispiel ein O im Namen tragen, bleibt keine Hoffnung, denn das kann man weder in Musik noch in Proteinsequenzen umsetzen (obwohl MICHAEL eine vollkommen legitime Aminosäurese-quenz wäre; hat die schon mal jemand analysiert?).

Wir trösten uns mit dem Gedanken an die Willkür jegli-cher Buchstaben-Nomenklatur. Bachs Kunstgriff funktio-niert ja nur aufgrund der deutschen Anomalie, die Note un-ter dem C außerhalb der alphabetischen Logik H zu nennen. Ebenso ist die Zuteilung von Buchstaben zu Aminosäuren natürlich rein willkürlich, und unsere Namen, die sind so-wieso Schall und Rauch.

Michael Groß, www.michaelgross.co.uk

Proteinreiche Buchstabensuppe

„Auf Wunsch des Herrn

Präsidenten mischen wir

dem Erdgas nun PuTiN-

Moleküle als geopolitische

Duftmarker bei.“

Cartoon: Roland Wengenmayr, Frankfurt

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