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Proletarische evolution R - WordPress.com...China „Schutzschirme“ 2. Tiefe, Besonderheiten und...

Date post: 04-Sep-2020
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2011: Was wird aus der Wirtschafts- und Finanzkrise? Eine marxistische Analyse, Stand 25. November 2010 Proletarische Revolution Nr.43a Dezember 2010 Spendenempfehlung: Euro 2, - im 140. Jahr der Pariser Kommune 11. Jg. Proletarier/innen aller Länder, vereinigt euch! unabhängig von Staat und Kapital revolutionär-kommunistische Zeitung in Österreich
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2011:Was wird aus der

Wirtschafts- und Finanzkrise?

Eine marxistische Analyse, Stand 25. November 2010

Proletarische Revolution

Nr.43a

Dezember 2010 Spendenempfehlung: Euro 2,-

im 140. Jahrder Pariser Kommune

11. Jg.

Proletarier/innen aller Länder, vereinigt euch!

unabhängigvon Staat und Kapital

revolutionär-kommunistische Zeitung in Österreich

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Inhalt

1. Wo steht die Wirtschaft der imperialistischen Länder Ende 2010?

BruttoinlandsproduktIndustrieproduktionInvestitionen und ÜberkapazitätenAußenhandelBourgeois-AusblickChina„Schutzschirme“

2. Tiefe, Besonderheiten und Verlaufsform der aktuellen Krise

KrisenzyklusKrisenverlaufDie schwerste Krise seit ...

3. Zur Lage in Österreich

Aufschwung?Working poorBanken

4. Zu einigen ideologischen und politischen Aspekten der Krise und der Klassenkampfsituation

Unsichere Arbeitsplätze, schlecht bezahlt ...Verwirrung und Spaltung in der Arbeiter/innenklasseUnsicherheit der BourgeoisieSchluss und Perspektive

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Editorial

„Nieder mit Imperialismus und Ausbeutung!“, „Vorwärts zur proletari-schen Revolution!“ sind gute Parolen zur Orientierung im Kampf gegen die Ausplünderungsoffensive. Aber Grundkenntnisse über die konkrete Wirtschaftsentwicklung sind auch wichtig, um sich in Auseinandersetzun-gen nicht zu verirren und wegzuschwimmen... Deshalb veröffentlichen wir in dieser Sondernummer 43a der „Proletarischen Revolution“ eine kurze Analyse der aktuellen Wirtschaftslage mit Stand 25. November 2010 und verweisen auf das Forderungsprogramm in der PR 43.

Obwohl die größte Weltwirtschaftskrise seit 1945 für das Kapital vorerst einmal überwunden scheint, sind sich auch die bürgerlichen Ökonomen der EU, OECD usw. in ihren halbinternen Analysen nicht sicher, wie es weiter geht, was als nächstes kommt... Vom euphorisch angekündigten „großen Aufschwung“ der kapitalistischen Weltwirtschaft ist jedenfalls Ende 2010 nicht mehr viel die Rede – weder in der „Kern-EU“, noch in USA oder Japan, ganz zu schweigen von den über 150 Ländern, die als Neokolonien wirtschaftlich und sozial immer weiter zurückfallen (auch solche in der EU). Die Klassenspaltung in den imperialistischen Metropolen (darunter Öster-reich mit seinen Neokolonien in Osteuropa) wird immer deutlicher. Die Regierungen haben neuerlich damit begonnen, den „Aufschwung“ der kapitalistischen Profi te mit weiteren Milliarden-Subventionen an das Mo-nopolkapital „anzukurbeln“ und gleichzeitig Lohn- und Sozialausgaben für die Arbeiter/innen und Volksmassen drastisch zu senken. Mit Erhö-hung der Massensteuern, vor allem indirekten Steuern (z.B. Mehrwert-steuer und anderen Verbrauchssteuern, die beim Einkaufen automatisch eingezogen werden), sollen nicht – wie oft behauptet – die „staatlichen Schuldenberge“ abgetragen werden. Nein, es es geht um die dauerhafte Senkung des Lebensniveaus der Arbeiter/innenklasse und Volksmassen. Und es geht um weitere Ausplünderungsfeldzüge nach innen für neue kapitalistische Abenteuer nach außen, z.B. Kriege um Rohstoffe und Ab-satzmärkte. Das ist keine „falsche Politik“ imperialistischer Staaten, son-dern der internationale Konkurrenzdruck im Monopolkapitalismus.

Nur wenn die Arbeiter/innenklassse geschlossen und massiv in die Politik eingreift und ihre eigenene Interessen geltend macht – wenn Teile des Pro-letariats der herrschenden Ausbeuterklasse damit drohen, selbst die Regie-rungsgeschäfte zu übernehmen - dann wird sich was bewegen lassen.

Auf positive und kritische Rückmeldungen freut sich wie immer das

Kollektiv Proletarische Revolution

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Der „Aufschwung“, von dem seit einiger Zeit viel die Rede ist, steht auf sehr tönernen Füßen. Jede halbwegs ernsthafte Analyse der ökonomi-schen Lage ergibt, dass die Wirtschaft der OECD (Organisation für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung = die “Industrieländer“) und im speziellen deren europäischen Teils („OECD Europe“) zwar Mitte 2009 eine „Talsohle“ der Krise, in ihrer akuten Ausprägung mit ständig sinkender Produktion und Zirkulation, erreicht hat, aber sich weiterhin in tiefer Depression befi ndet und von einem tatsächlichen Konjunkturauf-schwung keine Rede sein kann. Darüber hinaus deuten viele Faktoren, eigentlich fast alle OECD-Statistiken, darauf hin, dass sich das bisschen „Aufschwung“ seit Mitte 2010 schon wieder verfl acht und wahrscheinlich 2011 in eine neuerliche Rezession übergeht, was auch die Möglichkeit einer Vertiefung der Krise sogar noch unter den bisherigen, Mitte 2009 erreichten Tiefpunkt einschließt.

Bruttoinlandsprodukt

Zunächst einmal ist der „Aufschwung“ insgesamt bisher sehr bescheiden. Der Rhythmus des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für den ge-samten OECD-Raum, seit es ein Wachstum überhaupt wieder gibt, d.h. seit dem 3.Qu.2009, beschleunigt sich nicht, sondern der „Aufschwung“ plätschert bloß mit aufeinander folgenden quartalsweisen Wachstums-raten (3.Qu.2009 bis 3.Qu.2010) von 0,5%, 0,9%, 0,8%, 0,9% und zuletzt sogar nur mehr 0,6% dahin1. Dazu kommt eine international sehr un-gleichmäßige Entwicklung: In den USA ist das Wachstum schon wieder im Sturzfl ug nach unten: 0,4% im 3.Qu.2009, dann der „Aufschwung“ mit 1,2% im 4.Qu.2009, aber seither nur mehr 0,9%, 0,4% und zuletzt 0,6%. Ebenso in Japan: -0,4%, dann ein paar Monate Beschleunigung des Wachstums mit 1,0% und 1,6%, dann 0,4% und zuletzt 0,9%. In Europa („OECD Europe“, also incl. der relativ stark wachsenden Türkei) hatten wir Wachstumsraten von 0,5%, 0,4% und nochmals 0,4%, dann erst im 2.Qu.2010 einen halbwegs spürbaren „Aufschwung“ mit 1,2% und im 3.Qu.2010 (für das per Stichtag 25.November 2010 noch keine offi zielle

1 Das sind jeweils Vergleiche des „realen“, d.h. infl ationsbereinigten BIP eines Quartals mit dem Vorquartal (z.B. 2.Qu. 2010 mit 1.Qu.2010). Das bringt die Dynamik und Richtung einer Entwicklung besser zum Ausdruck als Vergleiche mit dem Vorjahresquartal (z.B. 2.Qu.2010 mit 2.Qu.2009).

1. Wo steht die Wirtschaft der imperialistischen Länder Ende 2010?

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Gesamtzahl vorliegt) schätzungsweise etwa nur mehr 0,5%. Analog dazu die Zahlen der EU 27: 0,3%, 0,2%, 0,4%, 1,0% und im 3.Qu.2010 wieder nur mehr 0,4%. Noch krasser die Entwicklung in Deutschland: nach 0,7%, 0,3% und 0,6% kam im 2.Qu.2010 der berühmte „XL-Aufschwung“ von 2,3% (siehe dazu unten), der aber im 3.Qu.2010 schon wieder auf 0,7% abstürzte. In Frankreich die entsprechende Reihe: 0,2%, 0,6%, 0,2%, 0,7% und zuletzt nur mehr 0,4%. Spanien hatte im 3.Qu.2010 ein „Wachstum“ von 0,0% und Italien eines von 0,2%. Das Wachstumspfl änzchen kann sich offenkundig – abgesehen von vereinzelten kurzfristigen Strohfeu-ern - nicht entwickeln, sondern zeigt umgekehrt starke Tendenzen, schon wieder zu verdorren.

Dazu kommt, dass dieser „Aufschwung“ am vorangegangenen Einbruch von -5,1% für die OECD insgesamt, von -5,3% für OECD Europe und von -5,5% für die EU zu messen ist. Der sich neuerdings schon wieder verlang-samende (um nicht zu sagen einbrechende) „Aufschwung“ hat bisher nur dazu geführt, dass sich die Wirtschaft der OECD heute wieder in etwa auf dem Niveau von 2006/07 befi ndet, das war etwa zwei Jahre vor dem (vorläufi gen) Tiefpunkt der Krise.

Industrieproduktion

Das BIP sagt etwas über die kapitalistische „Wertschöpfung“ aus, aber all-zu viel Gewicht sollte man dem BIP nicht beimessen. Die bürgerliche Sta-tistik rechnet nämlich alles, was einen Preis erzielt und sich kapitalistisch verwertet, in das BIP hinein, also auch die „Wertschöpfung“ durch das fi k-tive Geldkapital (seine „Dienstleistungen“, seine Investitionen usw.). Da auf dessen Wachstum aber allenfalls eine Spekulationsblase, nicht jedoch eine halbwegs stabile Konjunkturerholung fußen kann, ist es angebracht, den Blick über das BIP hinaus auf die Produktion hin zu richten. Bis ein-schließlich 2.Qu.2009 schrumpfte die Industrieproduktion in der OECD Eu-rope, seither wächst sie, aber mit bestenfalls stagnierenden, eher tenden-ziell sinkenden Raten (auch hier wieder quartalsweise Wachstumsraten vom 3.Qu.2009 bis zum 2.Qu.2010): 2,5%, 2,3%, 2,8% und nur mehr 2,0% im 2.Qu.20102. Mehr noch als die Quartalsstatistik, die in den Medien ver-marktet wird, sagt die Monatstatistik. Demnach war – aus heutiger Sicht

2 Zahlen für das 3.Qu. 2010 liegen für Europa noch nicht vor. Allerdings deutet ein Vergleich der August- mit den Juniwerten auf weitere Abschwächung hin: OECD insgesamt: + 0,6%, OECD Europe: +0,8%.

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- der Scheitelpunkt des „Aufschwungs“ der Industrieproduktion im Mai 2010 erreicht, im Juni und Juli schrumpfte sie um jeweils um -0,3% ge-genüber dem jeweiligen Vormonat, um im August wieder den Stand vom Mai zu erreichen. Auch hier von einem echten Aufschwung keine Spur. Auch in den USA schrumpfte die Industrieproduktion bis zum 3.Qu.2009, um dann mit folgenden (konsekutiven) Quartalsraten zu wachsen: 2,0%, 1,6%, 1,8%, 1,7% und im 3.Qu.2010 nur mehr 1,1%. In Japan schrumpf-te die Industrieproduktion bis zum 2.Qu.2010, wuchs dann drei Quartale lang relativ stark, nämlich um 5,1%, 5,7% und 6,9%, wie es eigentlich in der Phase des Aufschwungs nach der Krise „normal“ wäre, um aber im 2.Qu.2010 schon nur mehr um 1,3% zu wachsen und im 3.Qu.2010 sogar wieder um -1,6% zu schrumpfen.

Investitionen und Überkapazitäten

Die OECD publiziert noch einige weitere Statistiken, die Hinweise auf den „Aufschwung“ und seine Dynamik geben. Sie ergeben kein einheitliches, sondern ein widersprüchliches Bild, zumal nicht immer alle Länder erfasst und viele Daten nicht aktuell sind. Allgemein gesprochen kann man sa-gen, dass Indikatoren wie Rohstahlproduktion und Bauwirtschaft insge-samt leicht nach oben zeigen, aber Wohnungsbau und Einzelhandelsum-sätze, aber auch Produktion von „Investitionsgütern“ nach unten. Aktuell und komplett sind die Daten über die Einzelhandelsumsätze. Diese treten (nach dem Einbruch um -3,5% zwischen Anfang 2008 und Mitte 2009) seit Ende 2008 auf der Stelle. Hier ist vom „Aufschwung“ überhaupt nichts zu sehen, sondern es herrscht Stagnation pur. Das ist nicht verwunderlich bei stagnierendem, teilweise sinkendem privaten Konsum und bei schaum-gebremstem „öffentlichen Konsum“. Wenn aber die Industrieproduktion - wie bescheiden auch immer - wächst, der Einzelhandelsumsatz jedoch nicht, dann werden entweder Produktionsmittel für Investitionen3 produ-ziert - und/oder Lagerbestände aufgebaut. Erstere braucht man für An-lageinvestitionen. Wie steht es mit diesen? Die Bruttoanlageinvestitionen wuchsen (nach dem Einbruch von -14% in den Jahren 2008, 2009 und bis ins 1.Qu.2010) im 2.Qu.2010 erstmals wieder um 2,4%. Das ist, erstmals wieder seit Beginn der Krise, ein gewisses Wachstum, aber deutlich nied-riger als das der Industrieproduktion. Das heißt aber, die Investitionen blieben hinter dem Produktionswachstum, das zwar auch nicht gerade

3 Die OECD-Statistik über die Produktion von Produktionsmitteln liegt leider nur für einige Länder vor. Sie zeigt in den meisten Fällen stagnierende Zah-len, so z.B. für Frankreich, für Deutschland seit Mai 2010 wieder sinkende, für Italien allerdings steigende.

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brüllend, aber immerhin seit einigen Quartalen vorhanden ist, deutlich zurück. Ein tatsächlicher Aufschwung, der diesen Namen verdient, müsste aber umgekehrt gerade von den Investitionen getragen werden4. Also kann offenbar die erhöhte Produktion, von Produktionsmitteln („Inves-titionsgüter“) wie von Konsumtionsmitteln („Konsumgüter“), teilweise nicht abgesetzt werden, sondern geht sie in erhöhte Lagerbestände. In der Tat verweist der jüngste Quartalsbericht der OECD auf die seit dem 3.Qu. 2009 wieder stark ansteigenden „Beiträge“ (!) der anwachsenden Lagerbestände zum „Wirtschaftswachstum“. Das ist insofern bemerkens-wert, als dies normalerweise typisch ist für kurz vor oder bei Ausbruch der Krise; am Beginn eines angeblichen „Aufschwungs“ weist es eher auf unerwartete Absatzprobleme hin, ist es also eher unfreiwilliger Lagerauf-bau als überschäumende Euphorie und glänzende Perspektive der Kapi-talisten.

Kurz und gut: Das bisschen „Aufschwung“, soweit es nicht sowieso nur ein „Aufschwung“ unproduktiver Bereiche und Aufblähung des fi kti-ven Geldkapitals ist, landet zu einem erheblichen Teil im Lageraufbau und allenfalls, soweit wieder investiert wird, in neuerlicher, zusätzlicher Überakkumulation. Für die Akkumulation des Kapitals bedeutet das aber, dass das Grundproblem der Krise, nämlich „Überkapazitäten“ (ein „technischer“ Ausdruck für übermäßige Akkumulation von Produktions-

4 Alle Reformisten und Kuchenumverteiler meinen, ein wirklicher Aufschwung müsste vom privaten Konsum getragen werden. Das ist zweifellos ein sehr löblicher Wunsch, fußt allerdings auf einem krassen Missverständnis. Die Triebkraft der kapitalistischen Produktion und Akkumulation ist der Profi t. Es geht um die Profi trate, nicht um die Vergrößerung der Nachfrage. Na-türlich wäre eine größere Nachfrage fein, aber nur wenn sie nicht zu Lasten des Profi ts ginge. Wenn die Löhne steigen, steigt zwar die Nachfrage, aber sinken die Profi te. Wie soll das das kapitalistische Werkel wieder in Schwung bringen? Wittern die Kapitalisten dagegen wieder bessere Profi tperspekti-ven, dann beginnen sie auch wieder, stärker zu investieren. Deshalb ist die Entwicklung der Anlageinvestitionen der wichtigste Gradmesser am Puls der kapitalistischen Wirtschaft. Die „marxistischen“ Kuchenumverteiler zitieren gerne Marx: „Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen…“ und „vergessen“ ganz, wie der Satz weitergeht: „…gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produkti-on, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumti-onsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde.“ Letzterer Trieb ist das Spe-zifi sche der kapitalistischen im Unterschied zu früheren Produktionsweisen, während „Unterkonsumtion“ der Massen eine dauernde Erscheinung durch die gesamt Geschichte hindurch darstellt. Es ist dieser Trieb des Kapitals, der gesetzmäßig zu Überakkumulation und Überproduktion führt.

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mitteln, also Überakkumulation) sich verstärken. Ein Aufschwung würde aber voraussetzen, dass dieses Problem in der Krise nennenswert gemil-dert worden ist, dass sich der Widerspruch zwischen Überproduktion und deren Realisierung auf dem Markt abgeschwächt hat. Er verschärft sich aber schon wieder, ohne in der Krise nennenswert entschärft worden zu sein. Der ganze „Aufschwung“ stößt offenbar schon wieder massiv an seine Schranken. Ein gutes Beispiel dafür, wahrscheinlich das beste, ist die Automobilindustrie. Nach wie vor, trotz aller Restrukturierungen, vor-nehmlich in den USA, steht einem Absatzmarkt von vielleicht 60 Millionen Fahrzeugen pro Jahr eine jährliche Produktionskapazität von 90 bis 95 Millionen gegenüber. Wir haben also Überkapazitäten von fast 40%. Die zehn internationalen Automobilkonzerne, von denen in einigen Jahren wahrscheinlich nur mehr fünf übrig sein werden, bauen dennoch wie die Teufel ihre Kapazität sogar noch aus. Kurzfristig können sie sich das, als global operierende Monopole, noch leisten, zumal der chinesische Markt boomt und derzeit noch erst zum Teil von der chinesischen Autoindust-rie bedient werden kann. Außerdem wurden sie in großem Stil aus den Staatshaushalten subventioniert. Schließlich hofft jeder, die Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen und sich einen noch höheren Marktanteil zu si-chern. Aufgrund des hohen Monopolisierungsgrades, ihrer Verfi lzung mit den Staatsapparaten und der schieren Masse an Profi t, die sie bewegen, haben sie die Möglichkeit, bis zu einem gewissen Grad die Preise hoch zu halten, die Überkapazitäten durchzufi nanzieren etc., also die krisenhaf-te Bereinigung der Lage zeitweilig und in gewissem Maß zu verhindern. Allerdings denkt sich jeder, dass er die Krise durchtauchen und siegreich aus ihr hervorgehen wird, und dies ist letzten Endes, bei aller Größe und Macht der Automonopole, auf Dauer, angesichts der bestehenden Über-kapazitäten, ausgeschlossen. Das dicke Ende, die nächste akute Zuspit-zung der globalen Überproduktionskrise im Automobilbereich, steht da-her vor der Tür und wirft nach wie vor bedrohliche Schatten auf jeden zeitweiligen „Aufschwung“. Vielleicht wird dies der Auslöser für einen nächsten krisenhaften Einbruch. Die hohen Profi te einiger dieser Mono-pole (z.B. des Ford-Konzerns, der gerade noch am Rande der Pleite war) können darüber nicht hinwegtäuschen. Die Automobilindustrie ist aber nur ein besonders krasses Beispiel, das Problem der Überakkumulation ist universell.

Außenhandel

Wir haben bisher die Rolle des Außenhandels nicht beleuchtet. Die OECD als Ganzes hat ein Außenhandelsdefi zit, das allerdings massiv den USA ge-schuldet ist. Die OECD Europe war 2009 ausgeglichen, hat in den letzten

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Monaten aber ebenfalls erhebliche Defi zite. Bei einigen Ländern aller-dings landet der „Aufschwung“ im Warenexport und in Exportüberschüs-sen. Das gilt v.a. für Deutschland. Der „XL-Aufschwung mit dem Potential, ein XXL-Aufschwung zu werden“, den die deutsche Regierung und ihre Medien gar nicht genug bejubeln können5, lebt vom Export. Wenn das deutsche BIP seit Jahresbeginn um 2,7% gewachsen ist, aber die Expor-te um 11,3%, heißt das, der ganze „Aufschwung“ besteht hauptsächlich aus dem Exportüberschuss. In der verrückten Terminologie der Statistik wird das so ausgedrückt, dass zum gesamten „Aufschwung“ von 2,7% seit Jahresbeginn alleine die Exporte mit 4,8% beigetragen haben, oder, mit anderen Worten, ohne die Exporte gäbe es keinen Auf-, sondern ei-nen Abschwung. Nun ist es aber so, dass jede deutsche Exportsteigerung in andere Länder deren Aufschwung behindert und untergräbt. Es fehlt dann eben in diesen Ländern in gleichem Umfang Nachfrage für die ei-gene Produktion. So wurde z.B. Griechenland ruiniert. Was dem einen Kapital nützt, schadet dem anderen. Die zunehmenden Ungleichgewich-te der Handelsbilanzen (und deren währungspolitische Aspekte) wurden auch heftig auf dem jüngsten G20-Gipfel diskutiert. Wir haben auf der einen Seite große Exportüberschüsse z.B. Deutschlands (etwa 15 Mrd. $ pro Monat), Chinas (etwa 20-30 Mrd.$), auch Norwegens (Öl!), und auf der anderen Seite ein enormes Handelsbilanzdefi zit z.B. der USA (etwa 60 Mrd. $), ein Defi zit von UK (etwa 12 Mrd. $), ein bisschen auch Frankreichs (6 Mrd. $). Diese Ungleichmäßigkeit und Ungleichzeitigkeit der Entwick-lung trägt ebenfalls bei zur Fragilisierung und Destabilisierung des „Auf-schwungs“ in internationalem Maßstab. Wenn ein Kapital einem anderen Kapital Aufschwungspotential wegnimmt, vermehrt das dieses Potential insgesamt nicht, sondern ist das nur Umverteilung. Auch von den Expor-ten geht also, obwohl es aus der bornierten und kurzfristigen Sicht eines Landes so aussehen kann oder besser gesagt von Bourgeoispolitikern so dargestellt wird, kein wirklicher Antrieb für eine Überwindung der De-pression aus. Diese wäre nämlich unter den heute gegebenen Verhältnis-sen nur in internationalem Maßstab möglich.

5 Man fragt sich natürlich, warum sie das tun, wo doch erstens der nächste Katzenjammer schon vorprogrammiert und es zweitens nahe liegend ist, dass die Gewerkschaftsführungen darauf nur reagieren können, indem sie „einen gerechten Anteil am Wachstum“ fordern. Offenbar ist sich die Bourgeoisie sicher, dass sie die Spielchen mit den Gewerkschaften schon hinkriegt, es ist ja nicht das erste Mal, man kennt sich ja. Daher ist wichtiger, dass man mit der Perspektive des „Aufschwungs“ die Massen auf bessere Zeiten vertrösten, ihnen die heutige Ausbeutung und Ausplünderung erträglicher machen und sie vom heutigen Kampf für ihre Interessen abhalten kann.

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Bourgeois-Ausblick

Im Großen und Ganzen sehen wir also per heute und auch für 2011 das Bild einer anhaltenden Depression, wobei mehrere Indikatoren darauf hinweisen, dass der „Aufschwung“ schon wieder seinen Schwung verlo-ren hat, bevor es ihn noch richtig gab. Auch die imperialistische Welt-bourgeoisie sieht daher, anders als in der Propaganda ihrer Regierungen, dem Jahr 2011 mit äußerst gemischten Gefühlen entgegen. Der letzte „Ausblick“ der OECD von Mitte September 2010 wurde publiziert unter dem Titel „Die Erholung könnte langsamer sein als erwartet“. Er prognos-tizierte sich deutlich abschwächende BIP-Wachstumsraten der G7-Staaten für das 3. und 4. Quartal 20106. Man sieht daran und an der „schwachen“ Prognose bis Jahresende 2010 (und auch für 2011), wie sehr diese sozu-sagen „interne“ Bourgeoiseinschätzung mit der öffentlich zur Schau ge-tragenen „Aufschwungs“-Euphorie kontrastiert. Der ganze „Ausblick“ klingt ziemlich besorgt, spricht von „großen Unsicherheiten“ bezüglich der zukünftigen Entwicklung etc.7 Es sei noch nicht klar, ob der „Verlust der Erholung an Schwung zeitweilig ist“ oder ob man es mit tiefer lie-genden Problemen, v.a. wegen des Rückgangs des privaten Konsums, zu tun habe. Wenn letzteres der Fall sei, müsse man im monetären Bereich etwas tun, nämlich auf Zinssätze bei Null über einen langen Zeitraum hinarbeiten (Infl ationsgefahr gäbe es nämlich derzeit sowieso nicht) und

6 Inzwischen liegen die Ist-Werte für das 3.Qu.2010 vor: Deutschlands BIP wuchs genau um die prognostizierten 0,7%, Frankreichs BIP um 0,4% (statt der prognostizierten 0,7%), Italiens BIP um 0,2% (statt der prognostizierten -0,3%), das der USA um 0,6% (statt der prognostizierten 2,0%) und das Japans um 0,9% (statt der prognostizierten 0,6%).

7 Die Zwischenüberschriften lauten: „Geschäftsklima verschlechtert“ (seit Mitte 2010), „Erholung der Industrieproduktion lässt nach“ (seit 2.Qu.2010), „Erholung des Welthandels verliert an Schwung“ (seit 2.Qu. 2010), „Globa-le Ungleichgewichte (Anm.: der Handelsbilanzen) wachsen, sind aber ge-ringer als vor der Krise“ (seit 2009), „Wohnungsmarkt verliert an Schwung“ (seit 4.Qu.2009), „Anlageinvestitionen besonders niedrig“, „Lagerzyklus hat gedreht“ (seit 1.Qu.2010), „Bankkredite weiterhin schwach“ u.a.m. Positiv vermerkt wird eigentlich nur, dass sich das Finanzsystem „stabilisiert“ habe, allerdings der „bank CDS market“ (der Markt, auf dem Bankrisken gehandelt werden) nach wie vor „sehr volatil“ (instabil, stark schwankend) sei, und dass die (offi ziell ausgewiesene!) Arbeitslosigkeit ihren Höhepunkt erreicht zu ha-ben scheine, allerdings auch weiterhin hoch bleibe, und – das Wichtigste von allem – „Unternehmensgewinne stark gestiegen“ (seit 2.Qu.2009).

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„soweit möglich“ die Konsolidierung der Staatshaushalte verschieben (!). Am 18.November 2010 veröffentlichte die OECD einen neuerlichen „Aus-blick“, der im Tonfall weniger pessimistisch ist, aber in der Aussage eben-falls nicht gerade optimistisch. Titel: „Wachstum gewinnt an Schwung, aber bei ungleichmäßiger Entwicklung und anhaltend hoher Arbeitslosig-keit“. Prognose: Abschwächung der Jahreswachstumsrate (also z.B. 2010 gegenüber 2009) von für 2010 prognostizierten 2,8% für den OECD-Raum auf nur mehr 2,3% im Jahr 2011, aber dafür sprüht die Prognose für das noch ziemlich weit entfernte Jahr 2012 vor Optimismus. Wir wissen, dass alle diese Prognosen aus objektiven Gründen sowieso Schall und Rauch sind, aber immerhin werfen solche Prognosen ein Licht auf die Stimmung und wirtschaftspolitische Ausrichtung der Weltbourgeoisie. Wirklich überraschend, selbst für einen Bourgeoisideologen, ist der feh-lende „Optimismus“ nicht: Stagnierender bzw. sinkender privater Kon-sum, keine expansiven Effekte, sondern eher das Gegenteil beim sog. „öffentlichen Konsum“8, stotternde Investitionen, statt dessen „Boom“ beim Lageraufbau, scharfe Ungleichgewichte im Außenhandel – woher soll eigentlich ein Aufschwung kommen?

8 Von den Staatsausgaben gehen keine großen Wachstumsimpulse aus. Zwar hat sich die Neuverschuldung (Budgetdefi zite) aller EU-Staaten zusammen ge-nommen von 3,4% (2008) auf 8,4% (2009) des EU-BIP erhöht (und der Schul-denstand von 61,6% auf 73,6% des BIP), aber die Staatsausgaben sind nur zu einem geringen Teil in einem keynesianischen Sinn unmittelbar marktnachfra-gewirksam. In Österreich z.B. entfallen von den Staatsausgaben nur 2% auf Investitionen des Staates und 9% auf den „Sachaufwand“, also Einkäufe, und beides wächst jedenfalls nicht, wenn es nicht schrumpft. Der Personalaufwand mit 19% und die „Transfers an private Haushalte“ mit 54%, was einen indirek-ten Nachfrageeffekt haben könnte, wachsen ebenfalls nicht, sondern schrump-fen. Der Posten „Transfers an Marktproduzenten“, sprich Subventionen an Ka-pitalisten, stützt mit seinen 10% nicht die Nachfrage, sondern die Profi te (bzw. deckt Defi zite „staatsnaher Unternehmen“ ab). Der Rest sind die „Zinsen für die Staatsschuld“. „Wachstumsimpulse“ gehen also von den Staatsausgaben nicht aus. Umgekehrt wird die Nachfrage durch das „Sparpaket“, die Steuerer-höhungen und den Sozialabbau eingeschränkt, und zwar in einem Maß, dass in der Bourgeoisie bzw. unter ihren Wirtschaftsfritzen schon heftige Diskussionen geführt werden, ob man nicht „durch zu viel Sparen die Wirtschaft zu Tode spart“, sprich: trotz der heiligen Werte des Geldkapitals bezüglich „Budgetsa-nierung“ angesichts der Tiefe der Krise und der düsteren Perspektiven für ihre Überwindung ein bisschen mehr Keynesianismus betreiben sollte.

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China

Bleibt die große Hoffnung auf den „chinesischen Markt“. So wie früher immer der US-Kapitalismus als „Wachstumsmotor“ galt, so ruhen jetzt alle Hoffnungen des christlichen Abendlandes in puncto Wirtschafts-wachstum auf China. Immerhin wuchs das chinesische BIP in den ersten 3 Quartalen 2010 um mehr als 10% verglichen mit dem Vorjahr (nach 8,7% in 2009). Aber China ist auch nur ein kapitalistisches Land und reprodu-ziert alle Widersprüche dieses Systems. Auch hier besteht viel von dem Wachstum aus dem Wachstum unproduktiver Sektoren, speziell des Im-mobilien- und Finanzsektors. Die Industrieproduktion dagegen ist – nach wieder ansteigenden Wachstumsraten im Jahr 2009 – seit dem 1.Qu. 2010 wieder rückläufi g9. Das Wachstum ist erkauft mit der höchsten Staatsver-schuldung seit 1949. Gewaltige Blasen im Immobilien- und Kreditbereich sind entstanden und es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese Blasen plat-zen oder ihnen jedenfalls die Luft ausgeht, mit allen negativen Folgen für den chinesischen Boom. Je stürmischer die chinesische Wirtschaft wächst, desto massiver ist sie mit dem Problem der Sicherung der Rohstoffver-sorgung konfrontiert. Dies wiederum verlangt imperialistische Expansion, bedeutet aber über kurz oder lang auch für China einen relativen „impe-rial overstretch“, d.h. dass zunehmend ein Widerspruch sich auftut zwi-schen den verfügbaren wirtschaftlichen Ressourcen und den Kosten der imperialistischen Expansion. Chinas, nach Auffassung imperialistischer Konkurrenten, zu niedrig bewerteter Yuan erleichtert seine Warenexpor-te, verteuert aber seine Kapitalexporte. Zu diesen inneren Widersprüchen kommt für seine imperialistischen Konkurrenten: China importiert nicht nur, sondern exportiert auch Waren und Kapital, und beides nicht zu knapp. Chinas Wachstum überbeansprucht, aus Sicht der anderen Imperi-alisten, die Rohstoffmärkte. So geschätzt China als Exportmarkt, als Markt für den Kapitalexport, als Gläubiger der US-Staatsschulden, als Stützpfei-ler von Teilen des US-Bankensystems usw., ist, so gefürchtet ist es natür-lich zugleich als imperialistischer Konkurrent. China stützt andererseits in erheblichem Umfang das globale Finanz- und Währungssystem. Ohne seine in Dollar gehaltenen Währungsreserven und Finanzinvestments wä-ren die USA schon pleite. Kurz und gut: Die Kapitalisten können gar nicht

9 Eine ganz ähnliche Entwicklung, nämlich deutlich rückläufi ge Wachstums-raten der Industrieproduktion seit dem 1.Qu. 2010, auch in Indien, Brasilien und Russland.

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anders, als auf die neue „Konjunkturlokomotive“ China zu hoffen, aber die grassierende Überschätzung Chinas bietet auch keinen Ausweg aus der Krise. Der chinesische Markt mag für einzelne Branchen ein „Licht-blick“ sein (wie z.B. die Automobilindustrie, Teile der Maschinenbauin-dustrie und der Rüstungsindustrie etc.), aber man sieht ja, dass das – auch in der globalen Krise ziemlich ungebrochene - Wachstum in China das internationale Kapital auch nicht aus der Depression ziehen konnte und kann. Und auch in China verschärfen sich die inneren Widersprüche des kapitalistischen Systems und damit die chinesischen und auch globalen Krisenfaktoren10.

„Schutzschirme“

Was gäbe es sonst noch an „Hoffnungsschimmer“? Niemand traut sich heute vorzuschlagen, den Ausweg aus der Krise bzw. Depression im Auf-bau neuer Finanzblasen zu suchen. Obwohl dies durchaus in der Logik des Systems liegt. Die Überakkumulation von fi ktivem Geldkapital, die in der Finanzkrise 2008 mündete, wurde – genauso wenig wie in der sonstigen Wirtschaft – nicht durch eine ausreichende Kapitalvernichtung, in die-sem Fall Vernichtung von Bank-, Fonds- und Börsenkapital, „bereinigt“, sondern durch Tausende Milliarden Finanzspritzen der imperialistischen Staaten aufrechterhalten. So besteht und wirkt der dauernde Druck eines ungeheuren Bergs von vagabundierendem Spekulationskapital weiter. Es haben sich seit 2008 keine so spektakulären Blasen gebildet wie von 2002 bis 2007 die „sub prime bubble“, aber es gab immerhin im Sommer 2008 eine massive Rohstoff- und Lebensmittelblase, im Frühjahr 2010 einige Spekulationswellen gegen einige Länder (und vermeintlich „gegen den Euro“), eine ähnliche, nur etwas schwächer im November gegen Irland, es gab und gibt Rohstoffblasen (z.B. beim Kupfer), aber es ist nicht so, dass der ganze Finanzsektor in den bedrohlichen Sog einer solchen Blase ge-riet. Zwar sind die Bankbilanzen schon längst wieder voll mit diesen schö-nen Geschäften, aber dank der staatlichen „Rettungspakete“ hat sich ja auch die Eigenkapitalausstattung der Banken erheblich verbessert, sodass sie heute wesentlich mehr Spekulationsgeschäft schultern können. Au-ßerdem wirken die Schutzschirme der staatlichen Garantien nach wie vor, auch das macht das Spekulieren wesentlich komfortabler. Den Banken geht es, vor allem dank der staatlichen „Rettung“, schon wieder sehr gut,

10 Wir reden hier nur von der Kapitalverwertung und vom Rhythmus der Ak-kumulation. Wir reden nicht von der Lage im Land insgesamt und von der sozialen Lage der Arbeiter/innenklasse und des Volkes.

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es ist schon wieder alles wie 2007, die Geschäfte, auch die fi ktivsten und spekulativsten, laufen wieder prächtig. Wichtiger aber als der Zustand des Bankensektors selbst sind die Auswirkungen der „Bankenrettung“ auf die „Realwirtschaft“. Die (zu einem Teil mit Staatshaftung in die sog. „bad banks“ ausgelagerten) „notleidend gewordenen“11 Kredite bilden nach wie vor einen Riesenberg an Geldkapital, das im Zuge der Krise nicht, wie es der „Marktwirtschaft“ entspräche, vernichtet, sondern mit Staats-zuschüssen und Staatsgarantien „künstlich“ aufrechterhalten wurde und wird. Daher gewaltiger Überschuss von Geldkapital auf der einen Seite, aber angesichts der unklaren Konjunkturperspektiven „credit squeeze“, d.h. Verengung des Kreditmarkts, auf der anderen Seite12. Schon wieder schöne Profi te vieler Banken, aber anhaltende Depression der „Realwirt-schaft“. Wie ein Alb lastet dieser Berg an Geldkapital, das meiste davon fi ktives Kapital, auf der kapitalistischen Akkumulation, so wie diese im-

11 Ein „notleidend gewordener“ Kredit wird gerne als „faul“ oder „Schrott-papier“ bezeichnet. Das tut so, als hätte die Bank da etwas falsch gemacht. Aber was „faul“ ist und was nicht, sieht man dem Kredit nicht an, solange das Risiko nicht schlagend geworden ist. Was heute „faul“ ist, war gestern noch ein Ausbund an Solidität und Bonität. Der US „sub prime Markt“ war über viele Jahre der größte, liquideste und rentabelste Teilmarkt des US-Finanz-marktes; Pech hatten diejenigen, die nicht rechtzeitig 2007 aus dem vor dem Zusammenbruch stehenden Markt herausgingen (und noch mehr die Blöden, die zu diesem Zeitpunkt noch hineingingen).

12 Das Kreditgeschäft der Banken schrumpft nach wie vor. Es war 2008 und 2009 stark eingebrochen, hatte von Zuwachsraten zwischen 10 und 15% in den Jahren 2005 bis 2007 auf ein Schrumpfen von fast -10% 2009 und bis Anfang 2010 gedreht und erholt sich seit dem 1.Qu. 2010 wieder, ist aber immer noch negativ. Dabei ist zu bedenken, dass in diesen Zahlen Kredite an industrielles und kommerzielles Kapital sowie solche für den „privaten Konsum“ ebenso enthalten sind wie das Geschäft mit den Staatsschulden. Ers-tere klemmen nach wie vor massiv, aber das Geschäft mit den Staatschulden boomt. Das geht so: Die Banken werden „gerettet“. Die 2.200 Milliarden Euro in der EU oder 12.800 Milliarden in den USA vergrößern natürlich die Staats-schulden, denn so schnell, wie man die paar Mäuse locker gemacht hat, kann man die Steuern gar nicht erhöhen. Die wachsenden Staatsschulden werden fi nanziert – von den Banken. Einerseits leihen sie selbst den Staaten Geld, auch das, das sie gerade von ihnen bekommen haben, oder sie übernehmen die Platzierung der Staatsanleihen auf dem Kapitalmarkt, woran sie ebenfalls prächtig an „transaction fees“ verdienen. Und es bietet sich auch ein Zusatz-verdienst aus der Spekulation gegen die soeben begebenen bzw. platzierten Staatsanleihen.

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mer aufs Neue Geldkapital auftürmt und den Berg weiter vergrößert. Die-ser Geldberg kann gar nicht anders, als immer neue Spekulationsblasen hervorzubringen und sich in immer neuen „Finanzkrisen“ zu entladen. Die Auftürmung von Geldkapital, der in wilden Spekulationsbewegungen verlaufende Kreislauf dieses Geldkapitals, der Verlauf der „Krisenbewäl-tigung“ im Bankensektor, das Verschleppen der „Finanzkrise“ durch eine Handvoll „systemrelevanter“ Bankmonopole – das alles bildet, neben den schon erwähnten fundamentalen Faktoren, Faktoren zur Perpetuierung der Krise. Wie krisenanfällig das ganze fi nanzkapitalistische Gebäude auch von dieser Seite, vom Verwertungskreislauf des Geldkapitals her ist, wie rasch und heftig Banken- und Finanzmarktkrisen, morgen vielleicht auch schon die nächste Immobilien- oder Währungskrise ausbrechen oder sich sprunghaft verschärfen können, sah man Ende November wieder bei der neuerlich aus dem Ruder laufenden Bankenkrise in Irland, die zur Ver-staatlichung der drei großen irischen Bankmonopole und entsprechender Explosion von Budgetdefi zit und Staatsverschuldung geführt hat, und den damit zusammenhängenden Spekulationswellen der sogenannten „Finanzmärkte“ gegen Irland 13.

13 Da aber eine Neokolonialisierung Irlands z.B. durch Deutschland, ähnlich wie bei Griechenland, nicht realistisch ist, sondern abgesehen von Frankreich auch auf heftigen Widerstand von UK (und der USA) stoßen würde, sind die Iren in der imperialistischen Propaganda eher arme Teufel, die auf einem Holzweg waren, als „faule und verlogene Schweine“, wie man gegen „die Griechen“ hetzte. Bei Portugal und Spanien dürfte angesichts des erheblichen Volkswi-derstands gegen die imperialistische „Sanierung“ bald wieder die „PIGS“-Kar-te gespielt werden (PIGS soll bedeuten Portugal, Italien, Griechenland, Spani-en, pigs bedeutet aber zugleich auf englisch „Schweine“). Sollten es die „Fi-nanzmärkte“ (z.B. und in vorderster Front die Deutsche Bank) schaffen, Portu-gal und Spanien ebenfalls in eine Schulden-, eigentlich Zinsenkrise zu treiben, und sollten dann „wir Deutschen“ und ein bisschen auch „wir Österreicher“ angeblich „für die Portugiesen oder Spanier“, aber in Wahrheit hauptsächlich für die deutschen, schweizerischen, französischen etc. Gläubigerbanken (z.B. und in vorderster Linie die Deutsche Bank) „gerade stehen“ müssen, wird sich die Bourgeoispropaganda sicherlich derselben chauvinistischen und rassisti-schen Mittel bedienen, wie wir es bei Griechenland im Frühjahr erlebt haben. (Vielleicht täuschen sie sich allerdings auch bei den Iren. Vielleicht entpup-pen sich die vermeintlichen Opferlämmer (die ja schließlich, wie es in der französischen „Le Monde“ hieß, Armut, Hunger und Zwangsemigration seit mehr als einem Jahrhundert gewohnt sind) als Meister von Aufruhr und Stra-ßenschlacht. Historische Erfahrungen aus dem Kampf gegen den englischen Kolonialismus hätten sie ja.) Zur „Griechenland-Krise“, „Euro-Krise“ etc. vom Frühjahr 2010 siehe PR 41 aus Juli 2010.

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Ansatzweise beginnt auch schon wieder ein Kesseltreiben gegen Portu-gal und Spanien. Hier geht es der Weltbourgeoisie und dem Weltimpe-rialismus freilich – im Gegensatz zu der verlogenen Medienpropaganda - weniger um Defi zit und Verschuldung, beides nämlich in beiden Fällen ziemlich moderat und nur vorgeschoben, sondern in erster Linie darum, präventiv schweres Geschütz gegen die sich entfaltenden Abwehrschlach-ten und Klassenkämpfe aufzufahren.

Wären im Zuge der „Finanzkrise“ eine Reihe von Banken und anderen Finanzinstitutionen untergegangen, hätte das den Kreditmarkt stark „be-reinigt“ und ebenfalls die „Realwirtschaft“ und würde dies einen neuen zeitweiligen Aufschwung erleichtern. Genau das fand aber unter den Be-dingungen des Monopolkapitalismus nicht statt, weder im Finanzsektor, noch in der „Realwirtschaft“. Und so verschärfen sich „Finanzkrise“ und Krise bzw. Depression der „Realwirtschaft“ gegenseitig. Jede neue „Fi-nanzkrise“ oder auch nur Turbulenz auf den „Finanzmärkten“ bedeutet eine zusätzliche Verwerfung des fi nanzkapitalistischen Systems, die einen „Aufschwung“ weiter erschwert - und das Ausbleiben eines halbwegs tragfähigen „Aufschwungs“ treibt die Spekulation und die „Finanzkri-sen“ weiter an und führt zu weiteren solchen Verwerfungen.

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Die Krise seit 2008 ist nur die letzte in einer Reihe von Wirtschafts- und Fi-nanzkrisen. Wenn wir die vielen regionalen Krisen (Südostasien, Brasilien, Mexiko, Russland…), in denen es dem Weltimperialismus gelang, erheb-liche Teile seines Krisenpotentials „auszulagern“, einmal beiseite lassen und nur auf die globalen Krisen schauen, die auch die imperialistischen „Metropolen“ betroffen haben, dann sehen wir etwa alle zehn Jahre eine solche zyklische Krise: 1978-82, 1992-93, 2001-03 etc. Krise heißt echtes Schrumpfen der Produktion, nicht etwa nur Verlangsamung des Wachs-tums. Allein schon ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass die jüngste Kri-se keineswegs ein Ausrutscher oder Betriebsunfall war. Allerdings, und vielleicht hat das dem raschen Vergessen nachgeholfen, schraubte sich die kapitalistische Wirtschaft trotz der Krisen von Zyklus zu Zyklus nach oben. Keine Krise war bisher so stark gewesen, dass die Produktion unter das tiefste Niveau der jeweils vorangegangenen Krise gefallen wäre. Das war bei der seit 2008 andauernden Krise erstmals anders14: Die OECD-Industrieproduktion durchstieß im 1.Qu.2009 mit einem Indexstand von 90,9 erstmals seit Jahrzehnten den Tiefststand der letzten Krise (91,3 im 4.Qu.2001).

Krisenzyklus

Bevor wir Tiefe und Besonderheiten der aktuellen Krise analysieren, zu-nächst zu einer ins Auge springenden Auffälligkeit, der Zyklizität der Krisen (=regelmäßige Wiederholungen). Im frühen Kapitalismus gab es schon einen etwa zehnjährigen Krisenzyklus, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verkürzten sich die Zyklen, Anfang des 20.Jahrhunderts sehen wir im bereits imperialistisch gewordenen Kapitalismus einen un-regelmäßigen Verlauf (natürlich v.a. wegen der „Verwerfung“ des Ersten Weltkriegs) und schließlich die Weltwirtschaftskrise 1929, die umfassends-te bis dahin dagewesene kapitalistische Krise, die erst mit dem Zweiten Weltkrieg überwunden wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der eine noch viel stärkere „Verwerfung“ der kapitalistischen Entwicklung dar-

14 Ähnlich war es bei der Weltwirtschaftskrise ab 1929 gewesen. 1930 fi el erst-mals die Produktion absolut unter das Niveau der Krisenjahre 1925/26.

2. Tiefe, Besonderheiten und Verlaufsform der aktuellen Krise

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stellte als der Erste, folgte eine ziemlich krisenfreie Rekonstruktionspe-riode15 bis 1963, dann ab diesem Zeitpunkt wieder sukzessive Überpro-duktionskrisen und diese seit 1978-81 wieder in erstaunlich regelmäßigen zehnjährigen Zyklen. Dieser Zyklus von etwa zehn Jahren ist kein magi-sches „Gesetz“, es könnte auch mehr oder weniger sein und war auch immer wieder mehr oder weniger. Die Zyklizität hat hauptsächlich mit dem Zyklus der Erneuerung des fi xen Kapitals zu tun. Der „Kapitalstock“, also die Maschinen und Anlagen, werden im Lauf der Zeit vernutzt und veralten auch in technologischer Hinsicht. Irgendwann müssen sie erneu-ert werden und das passiert meist am Ende der Krise, in der Depression und im beginnenden Aufschwung. In dieser Phase, wo die Entwicklung dreht, versucht sich jeder Kapitalist so zu positionieren, dass er aus dem Konkurrenzkampf um Marktanteile an dem in Kürze vielleicht wieder wachsenden Markt siegreich hervorgeht 16. Der Zyklus der Erneuerung des fi xen Kapitals hängt natürlich von vielen Faktoren ab (Rhythmus und Tragweite der technologischen Entwicklung, relative Stellung in der im-perialistischen Konkurrenz…) und vollzieht sich nicht in allen Ländern gleichmäßig. Deutschland z.B. hatte in den 1990er Jahren einen zunehmend veralten-den „Kapitalstock“ an Produktionsmitteln, der dann im Zusammenhang mit der Krise 2001-03 stark modernisiert wurde. Es hatte erheblicher Nachholbedarf bestanden und das erleichterte die Überwindung der Krise. Daraus entsprang wiederum der Produktivitätsschub, der für das

15 Diese Rekonstruktionsperiode dauerte bis Anfang der 1960er Jahre. Zuerst (bis etwa Mitte der 1950er Jahre) musste der Produktionsapparat überhaupt erst wieder aufgebaut werden und dann noch einige Jahre erweitert und auf Vordermann gebracht werden. Ab den 1960er Jahren kriselte es bereits latent. Das refl ektierte, dass die kapitalistische Wirtschaft allmählich wieder in den „normalen“ Zyklus von Überproduktionskrisen und Booms eintrat. Zugleich war es zu Verschiebungen der ökonomischen Kräfteverhältnisse zwischen den kapitalistischen Ländern gekommen, daher andauernde Wäh-rungskrisen, die schließlich zum Zusammenbruch des bis dahin geltenden Weltwährungssystems („Bretton Woods“) führten. Die erste Krise mit einem größeren Einbruch der Produktion (absoluter Rückgang, nicht bloß Verlang-samung des Wachstums, was damals als „Rezession“ oder „Wachstumsdelle“ bezeichnet wurde) folgte 1974.

16 Wir haben das in der aktuellen Krise deutlich in der Automobilindustrie ge-sehen, wo die Konzerne sich schon Anfang 2009 für die nächsten Schlachten „repositionierten“: Verschärfung der Ausbeutung, Erhöhung der Produktivi-tät, Erhöhung auch der Produktionskraft – trotz der bestehenden Überkapa-zitäten.

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deutsche Monopolkapital einen spürbaren Vorsprung in puncto Stückkos-ten und Vorteil auf den (Waren)exportmärkten bedeutete. Die deutsche Bourgeoisie setzte, anders als z.B. die französische, hauptsächlich auf die Exportkarte. Umgekehrt blieb der deutsche Kapitalexport weiterhin re-lativ hinter den imperialistischen Konkurrenten, z.B. Frankreich, zurück. Wir kennen das Ergebnis: Deutschland als „Exportweltmeister“, daher von der aktuellen Krise besonders stark getroffen, weil der internatio-nale Handel besonders stark einbrach17, jetzt beim ersten Lüftchen eines „Aufschwungs“ schon wieder an vorderster Stelle der Exportfront, also relativ starke zeitweilige Erholung nach schwerem Fall … Aber die andere Seite der Medaille: Dieses Mal kein großer Nachholbedarf hinsichtlich der Erneuerung des fi xen Kapitals, daher geringere „Investitionsneigung“ und Schwächeln der Investitionen gemessen am exportgetragenen „Auf-schwung“.

Krisenverlauf

Die Krisen und der zyklische Verlauf der kapitalistischen Akkumulation sind nicht neu, aber es hat sich die Verlaufsform des Zyklus stark verän-dert. Im vorimperialistischen Kapitalismus folgten Aufschwung, Überhit-zung (Boom), Krach, Depression als ziemlich klar ausgeprägte Phasen auf-einander. Der Aufschwung war wirklich ein Aufschwung, die Kapazitäts-auslastung stieg, die Arbeitslosigkeit sank, die Investitionen brummten, Preise und Löhne, die in der Krise stark gefallen waren, stiegen… und so weiter bis zur Überhitzung und wieder hinein in die nächste Krise, De-pressionsperiode, neuer Aufschwung etc. Mit dem Übergang des Kapita-lismus in sein monopolistisches und imperialistisches Stadium hat sich der Krisenverlauf stark deformiert. Spätestens seit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 haben wir es nicht mehr bloß mit regelmäßig wiederkehrenden Krankheitsausbrüchen zu tun, sondern eher mit einer chronischen Erkran-kung. Überakkumulation und Überproduktion sind chronisch geworden und ziehen sich, jeweils stärker oder schwächer ausgeprägt, durch alle Phasen des Krisenzyklus. Sogar im Boom werden die Produktionsmittel nur zu 85%, im Durchschnitt über den ganzen Zyklus hinweg nur zu 80% 17 Der Welthandel, von der OECD gemessen am Auftragseingang im Export-geschäft, fi el im Laufe des einzigen Jahres 2008 um 44%. Das war ein doppelt so starker Einbruch wie bei der letzten Krise 2001. Je stärker eine Bourgeoisie daher vom Warenexport abhängig war, desto schwerer wurde sie getroffen. 2009 stieg der Welthandel wieder auf das alte Niveau, überstieg es sogar gegen Ende des Jahres. Seit dem 2.Qu. 2010 sank das Welthandelsvolumen wieder um etwa 10%.

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ausgelastet18 und sogar im Boom besteht weiter eine riesige Armee von Arbeitslosen.

Das monopolistische Kapital kann, im Zusammenspiel mit dem Staatsap-parat, auch in der Krise die Preise hochhalten, höher jedenfalls, als sich dies aus der berühmten „freien Konkurrenz von Angebot und Nachfrage“ ergäbe ohne monopolistische Marktstrukturen. Es kann auch den „Mark-teintritt“ neuer Kapitale be- oder verhindern, nicht nur einfach, weil es ein Monopol ist, sondern weil die Konzentration und Zentralisation des Kapitals eine so hohe Stufenleiter erreicht hat19. Es bezieht seine Macht nicht nur von der hohen Profi trate, sondern auch von der ungeheuren Profi tmasse, die es bewegt. Marx hat schon darauf hingewiesen, dass mit fortschreitender Konzentration und Zentralisation des Kapitals die wach-sende Wucht der Profi tmasse den tendenziellen Fall der Profi trate teil-weise kompensieren kann. Der Große kann den Kleinen auch schlucken, wenn seine Profi trate niedriger ist. Das monopolistische Kapital kann auch seine Überkapazitäten eine geraume Zeit „durchfi nanzieren“, wozu auch das Verschmelzen von Industrie- und Bankkapital zum Finanzkapital hilf-reich ist. Es kann Krisenfolgen auf andere Kapitalisten und andere Klassen (und andere Länder, dazu später!) abladen. Es kann, auch mit Hilfe seiner Staatsmacht, Krisenfolgen wenigstens zeitweilig abschwächen. Dies alles führt aber auch dazu, dass die Krise, die natürlich trotzdem unvermeid-lich ist, ihre Funktion als „reinigendes Gewitter“, mit Vernichtung von Kapital und Produktionskapazität, als zeitweilige „Bereinigung“ der aufs Äußerste zugespitzten Widersprüche, nicht mehr erfüllt. Werden die Aus-wirkungen der einen Krise abgeschwächt, werden damit auch zugleich die Faktoren für den nächsten Aufschwung abgeschwächt und Bedingun-gen geschaffen, um die nächste Krise umso tiefer und heftiger ausfallen zu lassen. Die Krise legt nicht mehr auch den Grundstein für einen neuen Aufschwung und damit für einen neuerlichen Zyklus der kapitalistischen

18 Die Kapazitätsauslastung der US-Wirtschaft war in den letzten dreißig Jahren durchschnittlich 80%. In ausgesprochenen Boom-Jahren erreichte sie 85%. Im „besten“ Jahr überhaupt, 1966, am Höhepunkt des Vietnam-Krieges, erreichte sie 91%. Es gibt also eine massive Überakkumulation, durch alle Phasen des Zyklus hindurch, und eine dauerhafte schleichende Überproduk-tion.

19 Man muss sich z.B. nur vorstellen, wieviel Kapital benötigt würde, um einen neuen Automobilkonzern aufzubauen, der den globalen Monopolen Paroli bieten könnte. Das übersteigt die Möglichkeit eines einzelnen Kapitals und auch die vieler kleiner oder mittlerer Staaten.

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Akkumulation, sondern die Überakkumulation und Überproduktion, die zur Krise führen, werden durch Krise und Depression fortgeschleppt bis hinein in den nächsten Zyklus.

Nicht nur die Überkapazitäten des Produktionsapparats bestehen durch alle Phasen des Zyklus hindurch fort, sondern auch die Arbeitslosigkeit und eine riesige industrielle Reservearmee. Selbst ein wirklicher „XL-Auf-schwung“ kann diese Reservearmee nicht absorbieren. Es fi ndet sich da-her eine sich durch alle Phasen des Zyklus durchziehende Tendenz, die Löhne unter den Wert der Arbeitskraft zu drücken. Das erleben wir (in Österreich wegen der überproportional hohen aus dem Kapitalexport ge-zogenen Profi te noch in etwas abgeschwächter Form – siehe dazu eine spezielle Untersuchung in der PR 37 aus Juli 2009) in den letzten zwei Jahrzehnten mit stets steigender Wucht und in stets steigendem Tem-po. Die Bourgeoisie begnügt sich aber nicht mit der Freude über die aus der kapitalistischen Akkumulation geborene industrielle Reservearmee, sondern sie und speziell ihr Staat tun alles, um diese Reservearmee noch weiter hinunterzudrücken und sie vor allem noch besser als potentiel-les Arbeitsvieh zu organisieren. Das geht inzwischen – siehe Hartz IV in Deutschland und Sinn und Zweck der neuen „Mindestsicherung“ in Öster-reich – bis zu erzwungenem Arbeitsdienst, häufi g kaum oder unbezahlt (1-Euro-Jobs, Arbeitsverpfl ichtung für Kommunen, etc., übrigens gehört auch der Zivildienst in diese Kategorie), schon eine (Vor)form von Zwangs-arbeit. Damit wie auch mit der Ausdehnung der Leiharbeit und der „Fle-xibilisierung“ des Arbeitsrechts hat die Bourgeoisie neue und mächtige Instrumente der Lohndrückerei in Händen. Die monopolistischen Kapitale können also in gewissem Umfang die Preise ihrer Waren hochhalten und zugleich die Löhne senken. Das ist ausgezeichnet für die Profi trate, hat aber auch die andere Seite, dass dadurch der „private Konsum“ relativ eingeschränkt wird. Die Löhne sind nämlich nicht nur „Kostenfaktor“, sondern auch „Nachfragefaktor“. Daher die große und berechtigte Sorge der Lohnschreiber der Bourgeoisie, wie solide ein Aufschwung bei stag-nierendem oder womöglich sinkendem (manchmal massiv sinkendem wie in Griechenland!) „privatem Konsum“ (oder natürlich auch „öffentlichem Konsum“) auf Dauer überhaupt sein kann. Die derzeitige Wirtschaftskrise ist eine Krise der Überakkumulation und Überproduktion, die auch die Finanzkrise ausgelöst hat, die ihrerseits auf die Krise der „Realwirtschaft“ zurückwirkt. Wir wissen aus der Geschichte und es ergibt sich auch theoretisch aus der marxistischen Analyse der Krisen (als ein Element der Kapitalakkumulation), dass jede große Wirtschaftskri-se von einer Finanzkrise begleitet wird. Selten treten isolierte Finanzkrisen

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auf, und wenn ja, dann meist mit wenig dramatischen Folgen. In der Welt der Erscheinungen ist es aber oft umgekehrt so, als ob die Finanzkrise die Wirtschaftskrise ausgelöst hätte. Dafür wird im Gegenzug jeder „Auf-schwung“ der Pirouetten des Geldkapitals als Wirtschafts„aufschwung“ ausgegeben. Die banale Aufblähung des Geldkapitals kann eine Zeitlang die Statistik schönen und einen „Aufschwung“ vortäuschen, der aber nur Schöpfung von fi ktivem Kapital, Aufbau von Spekulationsblasen, Boom des Bankgeschäfts und anderer unproduktiver Finanzsektoren bedeutet und daher selbst nur fi ktiv ist und früher oder später in die Binsen geht.

Die schwerste Krise seit ...

Die derzeitige Krise ist die schwerste seit 1945. Die Tiefe dieser Krise, ge-messen am Einbruch von Produktion, Handel, Investitionen = Akkumula-tion wird kaum von jemandem bestritten. Sie wird mit der Krise von 1929 verglichen, was übertrieben ist, denn damals war der Kriseneinbruch noch wesentlich tiefer20. Aber zweifellos ist sie die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Erstmals wurde, wie oben erwähnt, diesmal sogar der Boden der vorangegangenen Krise durchstoßen. Dazu kommen qualita-tive Faktoren. Erstmals hat sich die Überproduktionskrise mit einer derart schweren Finanzkrise verbunden. Und erstmals ist die Krise so global. Das gilt einmal in dem Sinn, dass alle Sektoren der Wirtschaft hineingezogen wurden. Die Krise war und ist auch Immobilienkrise, Agrarkrise, Rohstoff-krise, schließlich zum Teil auch Staatskrise und natürlich Banken-, Börse-, Kredit- und Währungs- und Geldkrise. Es gilt aber auch in dem Sinn, dass die Krise weltumspannend ist. Bisher war es so, dass die krisenhaften Explosionen der dem Kapitalismus innewohnenden Widersprüche in die sogenannte „Peripherie“ der imperialistischen Metropolen ausgelagert

20 Wir sprechen hier vom Einbruch der „Realwirtschaft“, also z.B. dem Ein-bruch der Industrieproduktion. Wenn man natürlich alle „Vernichtung“ und alles Verpuffen von fi ktivem Kapital, alle zerplatzten Spekulationsblasen, al-les „Wie gewonnen, so zerronnen!“ zusammenzählt, kommen astronomi-sche Zahlen heraus. Wirkliche Kapitalvernichtung ist etwas ganz anderes als die Vernichtung von fi ktivem Kapital, wie ja auch die Schaffung von wirkli-chem Kapital durch die Arbeit der Arbeiter/innenklasse etwas ganz anderes ist als die „Reichtumsvermehrung“ durch Finanzspekulation. Außerdem ist ein diesbezüglicher Vergleich mit 1929 und Folgejahre sinnlos, weil damals Ausmaß und Ausprägung des fi ktiven Kapitals ganz anders waren als heute (siehe zu all diesen Fragen die PR 42 vom September 2010, wo die Frage des Geld- und fi ktiven Kapitals behandelt wird).

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wurden: Mexiko und davon ausgehend einige weitere südamerikanische Staaten Anfang der 1980er Jahre, nochmals Mexiko 1994, Südostasien 1997-99, Russland 1998, Brasilien 1998/99, Argentinien 2001. Zwar haben diese Krisen nicht nur die Volksmassen und die lokalen Kapitalisten ge-troffen, sondern dort oder da auch das internationale Finanzkapital. Die-ses konnte sich aber durch die anschließende noch stärkere Unterwerfung dieser Länder mehr als schadlos halten21. Die imperialistischen Monopole haben alleine in den unmittelbaren Folgejahren sicher mehr Profi te her-ausgezogen, als sie durch die Krise verloren hatten, ganz abgesehen von der Verstärkung der langfristigen ökonomischen Penetration dieser Län-der. Diesmal jedoch waren alle Länder, mehr oder weniger, gleichzeitig von der Krise betroffen – mit der Einschränkung, dass China zwar eben-falls betroffen war, aber ein hohes Wachstum trotz globaler Krise und Rückgang seiner Exporte durch massive Staatsintervention durchziehen konnte (sich damit allerdings eine erhebliche Kreditblase aufbaute, die noch auf ihr Platzen wartet). Diesmal spielte sich die Krise nicht mehr nur an der „Peripherie“ ab, sondern auch „zu Hause“, in den imperialis-tischen „Metropolen“.

Die derzeitige Krise ist nicht nur eine weitere zyklische Krise wie einige andere vorher auch. Das Krisenpotential wurde und wird im Laufe der Entwicklung, von Zyklus zu Zyklus und über alle Phasen der Zyklen hin-weg, größer. Wie ein Bleigewicht drücken Überakkumulation und Über-produktion auf die Profi trate. Kapital kann nicht mehr profi tabel verwer-tet werden, es kommt zur Krise, aber in der Krise wird es nicht in ausrei-chendem Maß entwertet und vernichtet, um einen neuen Aufschwung zustande zu bringen. Die Krise wird heftiger und tiefer, die Depression lang und tendenziell immer länger, der Aufschwung stotternd und hin-kend, Tendenzen der Stagnation und der Instabilität nehmen zu, wo jede kleine Erschütterung eine neue Krise oder zumindest ein Krischen auslö-

21 Die „Schuldenkrisen“ dieser Länder wurden hauptsächlich auf dem Rücken der Volksmassen „gelöst“. Die Imperialisten ergriffen dagegen die Gelegen-heit beim Schopf, sich das Nationaleigentum dieser Länder, Grund und Bo-den, Bergwerke, Rohstoffvorkommen, Infrastruktur, Banken etc. anzueignen. Das eigens dafür erfundene Vehikel waren die „debt equity swaps“ („Aus-tauschgeschäfte“ von Schulden gegen Beteiligungen an bis dahin staatlichen oder staatsnahen Unternehmen), ein nobelpreiswürdiges Produkt des Erfi n-dergeistes der „fi nancial engineers“ des internationalen Finanzkapitals. Gu-tes Beispiel ist Argentinien, das in wenigen Jahren aus einem der „reichsten“ Länder Südamerikas zu einem ziemlich armen Land wurde.

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sen kann. In welcher Phase des Zyklus auch immer, es gibt immer zuviel Kapital, insbesondere auch viel zu viel Geldkapital, und relativ zu dieser ungeheuren Masse an wirklichem plus fi ktivem Kapital zu wenig Mehr-wert bzw. Profi t. Immer bestehen Überkapazitäten und drücken diese die „Investitionsneigung“ der Kapitalisten. Das ist eine historische Tendenz, die Lenin unter „Fäulnis und Parasitismus des Imperialismus“ rubrizierte. Trotz der krisenhaften Konvulsionen der letzten drei Jahre haben sich die Widersprüche, die zur Krise geführt haben, nur in geringem Maß entla-den und abgeschwächt. Nach wie vor prägen Überakkumulation, poten-tielle und wirkliche Überproduktion, Tendenz zu Depression und Stagna-tion das Bild. Es ist für die Weltbourgeoisie schwieriger, aus dieser Krise herauszukommen, als dies bei den vorangegangenen Krisen der Fall war.

3. Zur Lage in Österreich

In Österreich hatte die Krise ihren Tiefpunkt im 2.Qu. 2009 erreicht. Das BIP war um -5,1% gegenüber dem Höchststand im 2.Qu. 2008 gefallen und lag wieder auf dem Niveau von 2006, aber – anders als die OECD Europe insgesamt – immer noch deutlich über dem Tiefststand der vor-angegangenen Krise 2001 (die Österreich ebenfalls nur relativ schwach erwischt hatte). Auch die Industrieproduktion22 war mit -15,8% etwas we-niger geschrumpft als der OECD Europe-Durchschnitt (-17,8%). Die Krise hat 2008 und 2009 das österreichische Kapital weniger stark getroffen als viele andere Länder. Das hat, ohne dieses Thema hier im Detail weiter zu verfolgen, mit der spezifi schen Industrie- und Exportstruktur zu tun, nicht etwa mit einer besonders „guten“ Wirtschaftspolitik23 oder den braven Gewerkschaften oder dem Lieben Gott.

22 Die Industrieproduktion macht in Österreich einen ziemlich hohen Anteil an der „Wertschöpfung“ der bürgerlichen Statistik, dem BIP, aus, nämlich, wenn man gewerbliche Zulieferer mitrechnet, 60%. Die Exportquote der In-dustrie wiederum ist 56%.

23 Spielen denn, wird sich mancher fragen, die österreichischen Bankgeschäfte in Ost- und Südosteuropa hier keine Rolle? Nein, das tun sie nicht bzw. nur insofern, als mehr oder weniger Profi t nach Österreich repatriiert wird. Die Verluste der Bank Austria in Kasachstan oder die Wertberichtigungen der RZB in der Ukraine selbst wirken auf das kasachische bzw. ukrainische BIP.

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Aufschwung?

Und wie steht’s in Österreich mit dem „Aufschwung“? Seit dem 2.Qu. 2009 wuchs das BIP in konsekutiven (aufeinanderfolgenden) Quartalsra-ten von 0,6%, 0,4%, 0,0% (kleiner Rückschlag!), dann 1,2% im 2.Qu.2010 und nur mehr 0,9% im 3.Qu.2010, d.h. insgesamt 3,1%. Auch die Indus-trieproduktion wuchs seit dem 2.Qu. 2009 wieder, und zwar mit konse-kutiven Wachstumsraten von 3,8%, 0,9%, 2,4% und 2,3% im Zeitraum vom 3.Qu.2009 bis zum 2.Qu.2010, d.i. insgesamt um 9,7%. Auch das nicht brüllend, wenn man es an einem „normalen“ Industriezyklus bzw. seinem Aufschwung misst, aber auch hier, anders als anderswo, immerhin nicht rückläufi g. Der Export trat bis Mitte des Jahres auf der Stelle, die Handels-bilanz war bis dahin unverändert leicht negativ, der Export hat aber of-fenbar nach den im 3.Qu. 2010 publizierten Geschäftszwischenberichten der Firmen in etlichen Branchen zuletzt zugelegt. Die Bruttoanlagenin-vestitionen wuchsen im 2.Qu. 2010 erstmals wieder ein wenig, aber mit 0,5% weit unter dem OECD-Durchschnitt. Die Einzelhandelsumsätze ste-hen im 2.Qu. 2010 dort, wo sie vor einem Jahr auch schon standen, d.h. sie stagnieren. Das alles zusammen ergibt das Bild, dass sich das österreichi-sche Kapital in der Krise ziemlich mit dem OECD Europe-Durchschnitt ent-wickelt hat, aber die jüngsten negativen Indikatoren hier nicht so stark ausgeprägt sind. Einen besonders schwungvollen Aufschwung sieht man auch hierzulande nicht, aber immerhin zum momentanen Zeitpunkt (Da-tenbasis Juli 2010) auch keine neuerliche Verschlechterung der Lage. Der jüngste „Aufschwung“, den man in der Statistik nicht sieht, den aber – außer selbstverständlich den bourgeoisen Massenmedien – auch einige Firmenpublikation zu sehen glauben, ist praktisch nur exportgetrieben, während die Investitionen und der privater Konsum weiter schwächeln. Dieser „kleine Aufschwung“ hat hauptsächlich damit zu tun, dass Öster-reich im Fahrwasser der deutschen „Aufschwungs“ schwimmt (ein Drittel der Exporte geht nach Deutschland) und der österreichische Export relativ breit aufgestellt ist (China ist inzwischen vor den USA Österreichs bedeu-tendster Überseemarkt, wohin die Exporte im 1.Halbjahr 2010 um 42% stiegen). Der „Aufschwung“ steht daher auch in Österreich auf schwa-chen Beinen und es überrascht nicht, dass das „Institut für Wirtschaftsfor-schung“ davon ausgeht, dass sich dieser kleine Exportboom 2011 wieder – mit dem Welthandel insgesamt – abschwächen wird.

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Working poor

Aber, könnte man einwenden, ist nicht die sinkende Zahl der Arbeitslosen ein Indiz für einen Aufschwung? Hört man doch neuerdings Jubelmel-dungen über eine deutliche Besserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt24. So lag die offi zielle Arbeitslosigkeit im Oktober 2010 um 7,9% niedriger als die im Oktober vor einem Jahr. Auffällig ist eine sprunghafte „Ver-besserung“ im bzw. ab Juli 2010, die offenbar nur auf statistische Mani-pulation zurückgeht: „Aufgrund von Neuzuordnungen von Betrieben (?) … sind Vorjahresvergleiche … bei den Arbeitslosen (ab Juli 2010) NICHT (Anm.: Hervorhebung im Original) aussagekräftig.“ Also gab es ab Juli 2010 noch einmal eine zusätzliche Manipulation der Statistik, um sie dort hin zu kriegen, wo man sie haben will. Diese Statistik ist in Zeiten boo-mender Teilzeit- und Kurzarbeit, Tage- und Stundenlöhnerei, Prekarität und eines staatlich organisierten Arbeitsdienstes (1-Euro-Jobs, Zwangs-arbeit für Kommunen etc., in Deutschland schon weit verbreitet, in Ös-terreich mit dem „Mindestsicherungsgesetz“ in Vorbereitung) keinerlei Indikator für die wirkliche Lage und daher auch nicht für die Frage des „Aufschwungs“. Es ist schon die traditionelle österreichische Statistik seit jeher verfälscht, aber noch viel mehr gilt das für die Statistik „nach in-ternationaler Defi nition“, d.i. nach dem sogenannten „Labor Force Kon-zept“ der ILO, das willkürlich Arbeitslose aus der Statistik streicht, obwohl diese „beim Arbeitsmarktservice als Arbeitslose gemeldet sind“, und das ohne auch nur den Schein eines Vorwandes. Was soll man von einer Ar-beitslosenstatistik halten, aus der jeder herausgerechnet wird, der auch nur 1 Stunde pro Woche arbeitet; oder der für auch nur 1 Euro die Stun-de arbeitet25; oder der als nicht „uneingeschränkt vermittelbar“ gilt, weil er, solange er keinen neuen Job hat, irgendwo ein paar Stunden jobbt und der deshalb aus der Statistik herausgerechnet wird; oder „der dem Arbeitsmarktservice bekannt ist, auch grundsätzlich (?) an einer Beschäf-tigung interessiert wäre, aber nicht im eigentlichen Sinn als Arbeitsloser gilt“ bzw. der „auf irgendeine Weise (?) Arbeit sucht, aber nicht zur Gän-ze den Arbeitslosen zugerechnet werden kann“ (das ist die „stille Arbeits-

24 Noch stärker als in Österreich ist diese Propaganda in Deutschland, wo die gesamte „Aufschwungs“propaganda viel heftiger betrieben wird und in eine massive chauvinistische Kampagne eingebettet ist. In beiden Ländern beruht diese Propaganda auf dem exportgetriebenen „kleinen Aufschwung“.

25 Das sind die berühmten „1-Euro-Jobs“ in Deutschland (Arbeitspfl icht um 1Euro). Bei uns kommt das erst mit den im neuen „Mindestsicherungsgesetz“ vorgesehenen Arbeitsdienstregelungen.

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marktreserve“); oder der nicht „aktiv und passiv“ Arbeit sucht, sondern nur „passiv“, „indem er z.B. nur auf Antwortschreiben (Anm.: Antworten auf seine eigenen Bewerbungsschreiben) wartet“; oder der zwangswei-se in mehr oder weniger absurde „Umschulungen“ gesteckt wird, nur um ihn aus der Statistik rauszukriegen (71.827 im Oktober 2010, d.i. ein Drittel der offi ziellen Arbeitslosen noch einmal dazu!); oder der „ausge-steuerter“ Langzeitarbeitsloser und in der „Sozialhilfe“ gelandet ist und daher offi ziell plötzlich kein „Arbeitssuchender“ mehr; oder der ein „il-legaler“ ausländischer Arbeitsloser ist; oder der in Früh- und Vorpension geschickt wurde? Wenn alle diese Menschen aus der Statistik herausfal-len und wenn alle Kurz- und Kürzestarbeiter, „geringfügig Beschäftigte“, unfreiwillige Teilzeitler und Altersteilzeitler als „Beschäftigte“ fi gurie-ren – was soll man von dieser Statistik halten?26 Die Arbeitslosenstatistik hat immer schon beschönigt, heute aber ist sie nur mehr unverhohlene Propagandalügerei27. Trotzdem ganz kurz zu dieser Statistik („nationale Defi nition“), die ja die Basis für die mediale Lügerei ist. Sie weist für Sep-tember 2010 etwa 214.000 Arbeitslose aus. Wenn wir einen Moment lang von dieser manipulierten Zahl ausgehen, dann wäre das ein Sinken der Arbeitslosigkeit gegenüber dem Stand im September des Vorjahres von 235.000 um etwa 9%. Allerdings entspricht – sogar laut offi zieller Statistik - diesem Sinken um 21.000 ein Anstieg der Leiharbeiter um 26.000. Die Verbesserung ist also erstens bescheiden und geht zweitens in Richtung Leiharbeit und Prekarität („working poor“ heißt das neuerdings, wenn jemand voll arbeitet und trotzdem unter der „Armutsgrenze“ landet). Es sind auch nur wenige Branchen betroffen, es ist nur exportgetrieben, es ist so nachhaltig oder eben nicht wie der „Aufschwung“ selbst.

26 Für Deutschland hat die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“, ein reformeifriger und „kritischer“ deutscher Ökonomenverein, für 2009, als die offi zielle Arbeitslosigkeit bei 3,4 Millionen Menschen lag, eine tatsächliche Arbeitslosigkeit (im Sinne von „Beschäftigungslücke“) von 5,4 Millionen er-mittelt.

27 Das sieht man auch daran, dass drei (!) verschiedene Statistiken nebenein-ander publiziert werden: Die „nationale Defi nition“ weist für das 2.Qu. 2010 230.000 Arbeitslose aus, die „internationale Defi nition“ weist 219.000 „Ar-beitssuchende“ aus, rechnet dann die „nur passiv suchenden“, nicht „sofort und voll verfügbaren“ etc. heraus und kommt so auf 187.000 „Arbeitslose“ im eigentlichen Sinn. Wie bitte grenzt man die „aktive“ von der „passiven“ Suche ab? Was ist bitte „sofort und voll verfügbar“? Aber damit wird ein Fünftel der Arbeitslosen wegretuschiert. Und das ist – siehe oben - nur ein kleines Schräubchen bei der Manipulation der Statistik.

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Banken

Werfen wir noch einen Blick auf die Banken. Ihre Profi tlage hat sich im Lauf des Jahres 2010 deutlich verbessert. Nach Wertberichtigungen von 7,0 Mrd. Euro in 2008 und 8,5 Mrd. Euro in 2009 wurden für heuer „nur“ mehr weitere 3,4 Mrd. Euro in die Bilanzen eingestellt, praktisch aus-schließlich für Kreditrisken, nichts mehr für Wertpapiere und Beteiligun-gen. Aus einem Verlust („Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit“) von -1,8 Mrd. Euro in 2009 wird dadurch 2010 voraussichtlich ein Gewinn von +3,4 Mrd. Euro. Das ist um 60% mehr als 2008 und nur mehr um ein Drittel unter dem Profi t von 2007 (wenn auch noch um 50% unter dem „all time high“ des Jahres 2006 mit +6,8 Mrd. Euro)28. Trotzdem steckt der Bankensektor noch immer in tiefer Krise, denn niemand kann die tatsäch-lichen Kreditrisken, v.a. auf einigen ausländischen Märkten (Ungarn, Ru-mänien, Kroatien, Serbien, Ukraine), abschätzen. Zwar hätte sich laut RZB (Raiffeisen Zentralbank) die Kurve der notleidend werdenden Kredite abgefl acht, aber in Wahrheit hängt alles von der zukünftigen Wirtschaft-sentwicklung in diesen Ländern ab (und vom Schicksal ihrer Währungen gegenüber dem Euro, denn viele Kredite wurden in Euro hinausgelegt). Ungeachtet dieser nach wie gedrückten Situation, stehen der „Eigenhan-del mit Finanzprodukten“ und das Spekulationsgeschäft schon wieder in voller Blüte – und warten auf den nächsten Krach29.

Résumé: 2011 wird aller Voraussicht nach von einer anhaltenden Depres-sion geprägt sein. Da die Krise aber etwas schwächer ausgeprägt war und ist als anderswo, gibt das der österreichischen Bourgeoisie mehr Spielraum und mehr Manövriermöglichkeiten, sowohl nach außen, gegenüber ihren Konkurrenten, als auch gegenüber der eigenen Arbeiter/innenklasse und dem eigenen Volk.

28 Etwas schlechter schaut es nur bei dem Segment der Aktienbanken aus (also wenn man die Sparkassen, Volksbanken, Raiffeisenkassen weglässt), auf die der größte Teil des internationalen Geschäftes entfällt. Auch dort hat sich der Profi t nach einem Minus in 2009 und 2008 wieder auf eine schöne Milliarde (+1,1 Mrd. Euro) hochgearbeitet, das ist aber immer noch erst die Hälfte des Profi ts von 2007 und noch weit unter dem „all time high“ von 2006 mit +3,8 Mrd. Euro.

29 Auf den man sich auch schon professionell vorbereitet. Hatte jahrzehntelang ein Verhältnis zwischen Eigenkapital und (risikogewichteter) Kreditsumme („tier-1-ratio“) von 4 gegolten, sind es jetzt 7% im Minimum (bei verschärften Bestimmungen, was alles als Eigenkapital gerechnet werden darf). De facto liegen die österreichischen Großbanken bei 8-9%. Das ist der Kern der Ban-kenregulierung und es diene, heißt es, als Sicherheitspolster. Sicherheitspols-ter und Notfallsreserven braucht man aber nur, wenn man in hohe und noch höhere Risken geht. Die ganze Regulierung zielt darauf, die Banken fi t zu machen für den nächsten Finanzmarktboom und den nächsten Krach.

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Selbst wenn es einen wirklichen Aufschwung gäbe, wäre es keiner für die Arbeiter/innenklasse und das Volk. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass in vieler Hinsicht, eigentlich in jeder Hinsicht außer bei der Arbeitslo-sigkeitsrate selbst, zwar vielleicht der Tiefpunkt der Krise der Kapitalver-wertung durchschritten ist, dass aber der Höhepunkt der Auswirkungen der Krise auf die Arbeiter/innenklasse und das Volk noch nicht erreicht ist und das „dicke Ende“ erst noch kommt, und zwar unabhängig davon, welche konkrete Ausprägung die Depression haben wird, ob das bisschen „Aufschwung“ noch einige Zeit weitergeht oder bald in eine Stagnations-periode mündet 30 oder sogar rasch wieder in sich zusammenfällt und womöglich in eine noch tiefere Krise ausmündet.

Erstens verschärfen sich in der Depression die Schwierigkeiten der Kapital-verwertung für eine ganze Reihe von Kapitalisten weiter. Nur ein Teil der Bourgeoisie profi tiert bisher von den Segnungen des „Aufschwungs“. Ein anderer Teil hat bisher überlebt, würde aber eine lange Depressionsperio-de wahrscheinlich nicht überleben. Wir haben mit der A-Tec Insolvenz im Oktober 2010 gerade die drittgrößte Firmenpleite der letzten Jahrzehnte, wenn nicht seit 1929 erlebt (nach Konsum und Maculan), es wird weitere Insolvenzen geben, weitere Kredite werden notleidend werden usw. Zwei-tens verschärft sich in jedem Fall, selbst im unerwarteten Aufschwungsfall, die Konkurrenz zwischen den Kapitalisten. Die Märkte sind beschränkt und gerade jetzt geht es darum, sich gegenüber der Konkurrenz „gut zu positionieren“, und das heißt die Ausbeutung zu steigern. Drittens muss in jedem Fall „der Staatshaushalt saniert werden“. Wenn also gesagt wird, die Krise wird auf dem Rücken der Arbeiter/innenklasse ausgetragen, dann kommt das in vieler Hinsicht erst noch (auch wenn sich vielleicht die Arbeitslosigkeit verringert31, ganz abgesehen davon, dass mit den „neuen Jobs“ zugleich Leiharbeit, Tagelöhnerei, Prekarität usw. steigen).

30 Japan z.B. hat sich im Grunde seit der Krise, in die es 1990 schlitterte, außer zeitweiligen relativ kurzen Atempausen, nicht mehr richtig von Stagnation und Defl ation erholt.

31 Dies ist keineswegs ausgemacht. Bei der letzten Krise 2001-03 stieg trotz des nachfolgenden Konjunkturaufschwungs die Arbeitslosigkeit Jahr für Jahr wei-ter. Fortsetzung nächste Seite

4. Zu einigen ideologischen und politischen Aspekten der Krise

und der Klassenkampfsituation

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Unsichere Arbeitsplätze, schlecht bezahlt ...

Wir werden 2011 konfrontiert sein mit einem wachsenden Druck in Rich-tung dieses für das Kapital immer billigeren und immer fl exibleren, jedoch für viele Arbeiter und Lohnabhängige immer verheerenderen „neuen Ar-beitsmarkts“. Diejenigen, die 2008 oder 2009 aufs Pfl aster geworfen wur-den, werden eventuell als Leiharbeiter, de facto ohne Kündigungsschutz, mit einem massiv niedrigeren Lohn32 wieder eingestellt. Wir werden mit Reallohnverlusten und neuen Versuchen der Kapitalisten nach Flexibili-sierung der Arbeitszeit konfrontiert sein. Das „Mindestsicherungsgesetz“, zusammen mit der „Transparenzdatenbank“, und die geplante (und kraft EU-Recht zwingende) EU-„Harmonisierung“ der Leiharbeit zielt auf die bessere Organisation der industriellen Reservearmee zur Verstärkung des Drucks in dieser Richtung, bis hin zu staatlich organisierter Gratis- und Zwangsarbeit. Wir werden mit einem neuen Rekord an Steuer- und sonstiger staatlicher Ausplünderung konfrontiert sein, keinesfalls ist das gerade beschlossene „Paket“ das Ende der Fahnenstange. Eine „Pensi-onsreform“ nach der anderen, Zugrunderichten und Zu-Tode-Sparen, Privatisierung, fi nancialisation des Gesundheitswesens, des Erziehungs- und Ausbildungswesens, des Sozialsystems – alles übrigens noch lukrative Betätigungsgebiete des Kapitals, eine prononcierte Klassenpolitik in der „Ausländerfrage“, in der „Studentenfrage“ …

… und zugleich Gerede der Gewerkschaftsbonzen und der Sozialdemo-kratie über „Arbeitszeitverkürzung“, über „Beschränkungen“ der Leih-arbeit, über ein „Partizipieren am Aufschwung“ (das man exemplarisch an den KV-Beschlüssen studieren kann, z.B. an der 35-Euro-Erhöhung der Löhne im Textilbereich), über einen (ohnehin miserablen) „Mindestlohn“ ...

Fortsetzung Fn 31 von S 29: Hatte es 2000 noch 194.000 Arbeitslose gegeben, so stieg diese Zahl bis zum Hö-hepunkt der Krise 2002 auf 232.000, stieg dann trotz Konjunkturaufschwung immer weiter, um 2005 ihr Maximum mit 253.000 zu erreichen! Wir sahen also einen Aufschwung, auch Aufschwung der Profi trate, verbunden mit steigender Arbeitslosigkeit. Anschließend sank die Arbeitslosigkeit bis 2008 auf 212.000, um in der jüngsten Krise - trotz vielfältiger Retuschen der Statistik - auf über 300.000 zu explodieren (Höchststand, freilich incl. saisonaler Einfl üsse, im Jän-ner 2010 mit 323.000) 32 In vielen Fällen macht der Lohnunterschied, je nach KV-Situation, bis zu

1.000 Euro monatlich aus.

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Verwirrung und Spaltung in der Arbeiter/innenklasse

Ideologisch ist die Lage schlecht. Die Angst vor der Krise besteht nach wie vor, dreht aber ein wenig in Richtung Hoffnung auf den „Aufschwung“. Beides, die Angst des Opferlammes und die Hoffnung auf „Besserung“, vernebeln die Sinne und lähmen jeden Widerstand. Natürlich merken die Leute früher oder später, dass der „Aufschwung“, so es ihn gibt, jeden-falls „bei ihnen nicht ankommt“, dann wird die Bourgeoisie zu neuen ideologischen Manövern greifen. Die Empörung über „Heuschrecken“ und „Turbokapitalismus“ hat sich beruhigt. Von der „ideologischen Krise des Neoliberalismus“, der vor zwei Jahren in aller Munde war, ist nichts geblieben. Ein tatsächliches Aufbegehren ist – außer vielleicht bei den Studenten – nicht zu sehen. Die ideologische Fesselung wirkt ziemlich un-gebrochen.

Das ist nicht nur ein ideologisches Phänomen. Vielmehr liegt dem zugrun-de, dass seine spezifi sche Stellung unter den Imperialisten, im speziellen die hohen aus dem Kapitalexport gezogenen Profi te, es dem österreichi-schen Kapital erlaubt, die Profi trate noch relativ höher zu halten, ohne bei der Ausbeutung aufs Äußerste gehen zu müssen, wie dies z.B. die deutsche Bourgeoisie (oder jetzt die griechische oder spanische…) tut und tun muss. Damit verbunden die ökonomische Tatsache, dass die Krise in Österreich relativ schwächer ausgeprägt ist. Schließlich wirkt die Spal-tung der Massen in diejenigen, die wirklich unter der jüngsten Entwick-lung des Kapitalismus (nicht nur unter der Krise, es hat ja nicht erst 2008 begonnen) leiden, und denen, die entweder tatsächlich, zumindest zeit-weilig, davon verschont bleiben oder sich dies jedenfalls noch vormachen können. Plakativ und in den Extremen ausgedrückt ist das die Spaltung in das Millionenheer von Verarmten, Verelendeten, Degradierten33 und in den „Mittelstand“ samt der Arbeiteraristokratie.

So wie es ist, bleibt es auf Dauer nicht. Aber der Weg aus der desolaten Situation, die wir heute in Österreich vorfi nden, auch nur dorthin, wo sich z.B. die französische oder griechische oder spanische oder teilweise auch italienische Arbeiterbewegung befi ndet, also zum spontanen Auffl ackern von Aufbegehren und – dort oder da – auch tatsächlichem Widerstand,

33 Die offi zielle EU-Statistik weist 84 Millionen Menschen, d.s. 17% der Be-völkerung, als unter der „Armutsgrenze“ liegend aus. Und das ist nur der

unterste Bodensatz, der echte Pauperismus.

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ist schwierig. Bloßer diffuser „Unmut“ über das „Spar- und Belastungspa-ket“ ist vielleicht bemerkenswert für das Bourgeois-Fernsehen, aber keine tragfähige Grundlage für eine Gegenwehr, besonders dann nicht, wenn er nur die kleinen eigenen Spezialinteressen im Auge hat und ein Zusam-menhang mit dem System und den Interessen der Arbeiter/innenklasse und des Volkes insgesamt nicht nur nicht erkannt, sondern nicht einmal geahnt wird.

Unsicherheit der Bourgeoisie

Andererseits fühlt sich die Bourgeoisie nicht so sicher, wie sie vorgibt. Erstens hat sie Zweifel und Sorge bezüglich der Stabilität ihres besten Systems aller Zeiten. Der Krach ist auch an ihr nicht spurlos vorbeigegan-gen, auch wenn sie in der Öffentlichkeit so tut, als ob sie an das Märchen vom bloßen „Betriebsunfall“ glaubte. Das sieht man, wenn man z.B. die bourgeoisinterne Meinungs- und Willensbildung in den internationalen Organisationen wie IMF, OECD etc. analysiert (z.B. die Debatten über die „Bankenregulierung“). Oder wenn man sich überlegt, warum sie ihren Gewaltapparat – angesichts des bisher bescheidenen Widerstandes – so aufrüstet. In Frankreich z.B. bereitet sich die Staatsmacht offenkundig auf, sagen wir einmal, bürgerkriegsähnliche Zustände in den banlieues vor. Zweitens kann man zwar nicht behaupten, sie hätte bereits wirk-liche Angst vor der Arbeiter/innenklasse, aber doch haben die Kämpfe in Griechenland, in Frankreich und vielleicht noch anderswo den Punkt überschritten, wo sie das Räderwerk der Profi tproduktion noch nicht stö-ren und nur sozialpartnerschaftliches Getriebeöl sind. So stabil, wie es aussieht, sind die ideologischen und politischen Verhältnisse also auch wieder nicht. Das Grollen der Massen im Untergrund, das die Bourgeoi-sie, soweit sie es nicht mehr leugnen kann, zu einer „Politikverdrossen-heit“ umlügt, kann sich unvermutet an irgendeinem Punkt festmachen und dort entladen. Die Kämpfe in Griechenland vor zwei Jahren oder die kürzlichen Demonstrationen, Massenstreiks, Besetzungen und Blockaden in Frankreich waren ebenso wenig vorauszusehen wie vor einigen Jahren die Revolten in den französischen banlieues. Anlass können soziale Fra-gen sein wie in Frankreich bei den Kämpfen gegen die „Pensionsreform“, es können auch Fragen der Demokratie sein wie bei „Stuttgart 21“. Auch Österreich ist davor nicht gefeit, obwohl man derzeit nichts dergleichen erkennen kann. Und: Was für die österreichische Bourgeoisie heute ein Plus ist, nämlich die dominante Rolle bei der neokolonialen Herrschaft über den Balkan, kann leicht zu einem Minus werden, wenn die ökonomi-sche und/oder politische Entwicklung dort anders verläuft als erwartet.

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Schluss und Perspektive

Die momentane relative Stärke des österreichischen Imperialismus (im Vergleich zu seinen Konkurrenten) beruht zu einem guten Teil auf der neokolonialen Ausplünderung der Länder Ost- und Südosteuropas. Wenn die Arbeiter/innenklasse und Volksmassen dieser Länder gegen die imperialistische Knechtung aufstehen und für das Ziel kämpfen, die EU-Diktatur abzuschütteln und die österreichischen (und anderen im-perialistischen) Konzerne zu enteignen, begrüßen wir das und sind mit ihnen solidarisch. Der gemeinsame Kampf der österreichischen und der vom österreichischen Imperialismus ausgebeuteten Arbeiter/innen wird unseren gemeinsamen Feind schwächen und schließlich stürzen. Riesige Geldsummen wurden und werden der Arbeiter/innenklasse und dem Volk hier wie dort abgepresst, um dem Monopolkapital bei der „Krisenüberwindung“ zu helfen. Die Krise und die kapitalistischen Me-thoden zu ihrer Überwindung offenbaren die unersättliche Gier des Ka-pitals nach Maximalprofi t und verschärfen die Widersprüche des Systems. Solange der grundlegende Widerspruch des Systems – der Widerspruch zwischen zunehmender gesellschaftlicher Produktion weltweit und pri-vater Aneignung der Produkte durch immer weniger Finanzoligarchen – weiter besteht und sich verschärft, wird es keinen friedlichen Ausweg aus dem weltweiten Chaos geben. Die imperialistische „Lösung“ führt früher oder später zum Krieg. Auch aus diesem Grund haben revolutionäre Kommunist/innen immer darauf hingewiesen, dass ohne Überwindung des imperialistischen Sys-tems, ohne seine Ersetzung durch die sozialistische Gesellschaftsord-nung, die Krisenhaftigkeit der Gesellschaft nicht gelöst werden kann. Deswegen betonen wir auch im Abwehrkampf gegen die bürgerlichen „Krisensanierer“, dass der Kampf gegen die Abwälzung der Krise auf unseren Rücken mit dem Kampf für eine proletarische Revolution ver-bunden werden muss.

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außerdem zum Thema:

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Artikel aus früheren Nummern der Proletarischen Revolution zur Krise:

Wen trifft die Krise? (Nov. 2008, PR 35)Nicht den Imperialismus, sondern den Sozialismus... (Jän. 2009, PR 35)(K)ein Ausweg aus der Krise? (März 2009, PR 36)Nicht die Krise des Kapitalismus bekämpfen, sondern den Kapitalismus selbst! (März 2009, PR 36)„Keynesianismus“ - Sein und Schein (April 2009, PR 36)Vom Kapitalismus haben wir nichts zu erwarten, außer weitere Krisen...! (April 2009, PR 36)Österreich – ein imperialistisches Land (Juli 2009, PR 37)Löhne … verbessern und die Ausbeuterordnung überwinden (Sep. 2009, PR 38)Interview mit Labournet Austria zur Krise (Dez. 2009, PR 40)Untersuchung zur … Profi trate des österreichischen Kapitals (Jän. 2010, PR 39)Ziele des europäischen Monopolkapitals … in der „Griechenland-Krise“ (Mai 2010, PR 41)„Griechenland-Krise“, „Euro-Krise“ - die unheilbare Krankheit des Kapi-talismus (Juni 2010, PR 41)Kapitalismus ist ungemütlich – mit oder ohne Krise! (Juni 2010, PR 41)Kampf dem Belastungspaket 2010! (Analyse und Forderungen) (Aug. 2010, PR 43)Wirkliches Kapital, Geldkapital, fi ktives Kapital (Sep. 2010, PR 42)Stoppen wir die Ausplünderungsoffensive! (Sep. 2010, PR 43)Gemeinsam gegen das Belastungspaket (Okt. 2010, PR 43)Ist die Krise schon (fast) überwunden? (Okt. 2010, PR 43)

Wir empfehlen zum Thema ausserdem das Diskussionsorgan der IA RKP:

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Lest, studiert und diskutiert:


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