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Prisenkommando Medusa

Date post: 08-Jan-2017
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Seewlfe Taschenbuch 47 Die Seereisen des Howard Bonty, der einer Pregang in die Hnde fiel und seine Laufbahn als Schifsjunge begann. John Curtis Prisenkommando Medusa
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Seewölfe

Taschenbuch 47 Die Seereisen des Howard Bonty, der einer Preßgang in die

Hände fiel und seine Laufbahn als Schifsjunge begann.

John Curtis

Prisenkommando Medusa

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Anno 1634, Ende September. Der Golf von Davao lag schon lange hinter uns, und auch das Land der aufgehenden Sonne. Unsere gute alte �King Charles� segelte vor raumem Wind durch die Molukken-Straße. Master Flanagan hatte diesen Kurs eingeschlagen, obwohl sich unserer Meinung nach die Celebes-See und anschließend die Makasser-Straße doch eher dargeboten hätten. Denn die Gewässer der Molukken-Straße waren durch ihre vielen kleinen Inseln gefährlich. Aber der Master entschied, und wir kannten Flanagan schon zu lange, um nicht genau zu wissen, daß er für jede seiner Entscheidungen auch einen triftigen Grund hatte. Auch, wenn er ihn nicht sagte. Jonny und ich hatten Freiwache. Wie so oft hatten wir es uns auf der Back bequem gemacht. Dort war man ungestört, dort konnte durch das Rauschen der Bugwelle auch niemand hören, worüber man sprach. Schon auf der unseligen �Liberty� hatten wir uns angewöhnt, auf die Back, genauer gesagt auf das Galionsdeck, zu entern. Das hatte sich auf der �Scout� Master Fleets fortgesetzt und war nunmehr bereits bei Jonny und mir zur lieben Gewohnheit geworden. Denn Grund, auf der �King Charles� aufs Galionsdeck zu entern aus den angeführten Gründen, hatten wir weiß Gott nicht. Mir fiel auf, daß Jonny immer wieder zum Himmel peilte, der der eine eigenartige bleigraue Farbe angenommen hatte. �He, Jonny, was ist los?� fragte ich schließlich. �Dir gefällt der Himmel offenbar nicht.� Jonny wiegte den Kopf. �Weiß nicht, Bonty�, sagte er. �Ich denke, das Wetter schlägt um, ich kenne diese verdammte Ecke. Fast kann ich's riechen, ich weiß nur nicht, ob es Sturm oder Nebel geben wird ...� In diesem Moment tauchte Mister Pickens, unser beleibter aber nahezu allwissender Zweiter Offizier auf. Er hatte die letzten Worte gehört und nickte vielsagend. Er war ein befahrener Mann und wußte stets, wovon er sprach. �Ganz meine Meinung, Jonny�, sagte er. �Ich tippe auf Nebel, und das ist in diesen Gewässern eine ganz verdammte Sache. Gegen Abend erreichen wir die Gegend des Banggaai-Archipels. Eine verfluchte Ecke mit Riffen, kleinen Inseln und üblen Piraten, die auf den Inseln hausen. Weiß der Geier, warum der Alte durch die Molukken-Straße gesegelt ist.� Pickens streckte seinen außerordentlich runden Bauch vor, und in diesem Moment erinnerte er mich an Master Fleet, der auch diese

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Angewohnheit hatte. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, und unser Zweiter sah das natürlich. Er verzog das Gesicht, blickte auf seinen Bauch, der ihm auch den Spitznamen �Fatboy� eingetragen hatte. Nur wurde der sonst so freundliche Pickens fuchsteufelswild, wenn man ihn so nannte. �He, Mister Bonty, was gibt es zu grinsen? Mir erscheint die Aussicht auf Nebel gar .nicht so lustig!� Er starrte mich fragend an. Ich stand mit Pickens gut, genau wie Jonny. �Sie haben mich eben an Master Fleet erinnert�, antwortete ich. Pickens trat einen Schritt zurück und streckte abwehrend beide Arme von sich. �Das verhüte der Allmächtige, daß ich je diesem Master Fleet auch nur andeutungsweise ähnlich werde, nein, beim Satan, nie werde ich das!� Sein Gesicht hatte sich gerötet. Pickens war auf Master Fleet stocksauer, denn er hatte ihn in die bei Fleet übliche Uniform gezwängt, als er eine Weile das Kommando über die �King Charles� übernommen hatte, und ihm obendrein noch einen Zylinder aufs Haupt gestülpt. Pickens¬ könnte das nicht vergessen, denn ganz im Gegensatz zu Mister Finn, unserem Ersten, dem die Uniform ausgezeichnet stand, hatte er darin ausgesehen wie ein entsprungener Gorilla. Jonny grinste ebenfalls. Und er trieb das Spiel weiter. �Wo mag Master Fleet mit der ,Explorer' jetzt stecken?� fragte er hinterhältig. Die �Explorer� war jenes Forschungsschiff, das Master Fleet im Auftrag des Königlichen Instituts für Meeresforschung den Spaniern wieder entrissen hatte, weil sich an Bord der �Explorer� streng geheime Aufzeichnungen befanden, die die englische Krone unbedingt wiederhaben wollte. Und mit Fleet war das so: Erhielt er einen Auftrag, dann führte er ihn auch aus. Und zwar auf Biegen und Brechen, wenn das sein mußte. Und so hatte er auch zusammen mit Master Flanagan in der Santana-Bucht auf Madeira gehandelt. �Sie könnte durchaus auf Heimatkurs segeln und damit in unserer Nähe sein. Vielleicht begegnen wir ihr sogar ..� Wieder lag dieses impertinente Grinsen um Jonnys Mundwinkel, und Pickens übersah das keineswegs. Aber er reagierte anders, als Jonny sich das gedacht hatte. Er kam ein paar Schritte näher heran und setzte sich kurzerhand auf eine Taurolle zu uns. �Sie können mich nicht auf den Arm nehmen, Jonny�, sagte er. �Dieser verdammte Fleet treibt sich irgendwo in der Südsee herum, hier ist er

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auf keinen Fall. Außerdem bin ich einige Nummern zu schwer für Sie, Jonny, daran sollten Sie denken.� Pickens grinste diabolisch, etwas, was ich bei ihm noch nie zuvor bemerkt hatte. Jonny warf mir einen Blick zu, dann starrte er Pickens entgeistert an, der es sich auf der Taurolle jetzt erst richtig bequem machte. Schließlich wußten wir beide, wie wenig Master Flanagan es schätzte, wenn die beiden Offiziere seines Schiffes sich gegenüber der Crew zu leutselig gaben. Mister Finn hielt Distanz, aber Mister Pickens ignorierte die Wünsche des Masters immer wieder. Flanagan übersah das geflissentlich, weil er Pickens schätzte und seine außerordentlichen Fähigkeiten als Seemann ebenfalls. Ganz davon abgesehen, daß Pickens auch hart durchzugreifen wußte und den nötigen Respekt besaß, wenn das erforderlich wurde. �Ich will Ihnen mal etwas erzählen�; begann er unvermittelt. �Sie sollten wissen, durch welche beschissenen Gewässer wir gerade segeln. Es war Anno 1605, ich war Midschipman auf Seiner Majestät Fregatte ,Eagle`. Damals segelten wir wie heute durch diese verdammte Molukken-Straße und gerieten gegen Abend in dichten Nebel. Also hingen wir die Segel ins Gei, setzten den Buganker und blieben liegen. Selbst unser Kapitän, damals noch jung, und er hieß Master Frost, wagte nicht weiterzusegeln. Nun, Master Frost kennen Sie ja beide bestens. Ich brauche Ihnen über ihn nichts zu sagen, Gott sei seiner Seele gnädig.� Wir kannten Master Frost � Jonny und ich waren unter seinem Kommando auf der �Eagle of Cap Hoorn� gesegelt, bis sie nach einem schweren Gefecht sank und auch Master Frost der Tod ereilte. Aber Frost hatte dem ihm anvertrauten Geleit die Flucht ermöglicht. Die �King Charles� hatte damals dann den Schutz des Geleits übernommen und Jonny, mich und Mister Finn aus ihr See gefischt. Alle diese Bilder stürzten bei der Erwähnung Master Frosts durch meine Erinnerung. Er war ein hervorragender Mann gewesen. Jonny und ich verdankten ihm viel. �Sie ... Sie sind unter Master Frost gesegelt?� fragte ich völlig perplex und überflüssigerweise. Mister Pickens nickte. �Ein erstklassiger Mann, einer der besten, die je die Meere befahren haben�, sagte er nachdenklich. �Aber weiter zu meiner Geschichte: Gegen Mitternacht überfielen uns Piraten. Wir hatten nicht einmal ihre Boote bemerkt. Sie waren plötzlich da, wie aus dem Nichts. Im Nu

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entstand ein wildes Handgemenge an Bord unserer Fregatte. Ich erhielt einen Säbelhieb quer über den Leib, anschließend stach mich einer dieser Kerle ab wie ein Schwein. Jedenfalls glaubte er das.� Pickens öffnete sein Hemd, und wir sahen zu unserem Erstaunen eine entsetzliche, tiefrote Narbe auf seinem Bauch. �Seit damals bin ich so dick, irgendetwas ist damals kaputt gegangen, aber das stört mich nicht, denn ich lebe und nicht einmal schlecht. Mir schmeckt es immer ...� Er lachte leise. �Als ich wieder erwachte, befand ich mich allein an Bord unserer treibenden Fregatte, jedenfalls sah es so nun, Notdürftig versorgte ich meine Wunde, ich bekam hohes Fieber. Diese verdammten Piraten hatten unsere Männer: ermordet, Mann für Mann. Am zweiten Tag stand plötzlich Master Frost vor mir. Aber wie sah dieser große, starke Mann aus! Blutverkrustet, einen dicken Verband um den Kopf, seine Jacke war steif von geronnenem Blut. Er hatte wie ich überlebt, wußte aber so wenig wie ich, warum ihn die Piraten nicht ebenfalls über Bord geworfen hatten. Als wir beide soweit waren, uns an Deck ein wenig umzusehen, wir krochen mehr über die Planken als wir gingen, entdeckten wir noch über uns an den Rahen drei Mann. Den Bootsmann, den Segelmacher und einen Schiffsjungen. Man hatte sie gehängt.� Pickens atmete schwer. Er war bleich, denn die Erinnerung setzte ihm zu. Jonny und ich wagten kaum zu atmen. Das hatte Pickens mit Sicherheit an Bord noch niemandem erzählt. �Unter unsäglichen Mühen und Schmerzen holten wir die drei von den Rahen und gaben ihnen ein ordentliches Seemannsbegräbnis, so gut es eben ging.� Wieder schwieg Pickens eine Weile. �Dann begann Frost die Segel zu setzen. Allein. Mast für Mast, es herrschte fast Windstille, sonst wäre das unmöglich gewesen. Ich konnte ihm nicht helfen, denn ich war nicht imstande aufzuentern. Also übernahm ich das Ruder. Gegen Abend kam Wind auf. Wir trimmten die Segel, so gut es ging, aber immer mit langen Pausen dazwischen. Frosts Wunden begannen wieder zu bluten -- aber wir, bei allen Teufeln der Hölle, wir segelten wahrhaftig. Sie war nicht sehr groß, unsere gute alte ,Eagle`. Nur deshalb war es uns überhaupt möglich, sie mit zwei Mann in den Griff zu kriegen. Und gottlob gab es keinen Sturm, bevor wir die Insel

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Tallahoe erreichten. Hundert höllische Meilen, ihr könnt euch das nicht vorstellen. Denn noch einmal griff uns ein Langboot mit Piraten an. Die Kerle schienen zu wissen, daß die ,Eagle` keine Crew mehr hatte. Master Frost nahm den Kampf auf. Ich laschte das Ruder fest und übernahm die zweite Drehbasse. Noch nie habe ich einen Mann gesehen, der so verbissen nicht nur um sein Leben, sondern auch um sein Schiff kämpfte. Er kartätschte die Piraten mit gehacktem Blei buchstäblich in Stücke. Ich sehe noch immer die entsetzten Gesichter dieser Kerle, und auch ich schenkte ihnen nichts, soweit ich dazu in der Lage war. Auf Tallahoe fanden wir Hilfe. Purer Zufall, aber für uns lebensrettend. Die große Kriegsgaleone Seiner Majestät �Lion of Cardiff` ankerte dort. Sie nahm uns an Bord und ließ auch die Fregatte neu bemannen. Das Schiff erreichte später unter dem Kommando Master Frosts wohlbehalten England, aber der Master bat sich aus, ihn nicht in den Zeitungen zum Heroen zu stempeln. Merkwürdigerweise respektierten diese windigen Zeitungsschreiber seinen Wunsch.� Mister Pickens stand auf, reckte sich einmal und sah uns dann an. � Wir segeln wieder durchs Banggaai-Archipel. Und Wir werden heute wie damals in Nebel geraten. Ich habe ein verdammtes Gefühl in der Magengrube � und die liegt verdammt tief bei mir �, daß wir auch heute nacht Ärger kriegen werden. Denn die Piraten in dieser Gegend schlafen nicht. Und der Nebel ist ihre Chance. Sie kennen jedes Riff, jeden Quadratzoll dieser See. Master Flanagan weiß Bescheid. Und Sie, Jonny und Bonty, kontrollieren sofort alle Geschütze. Laden, erhöhte Gefechtsbereitschaft.� Damit verschwand Mister Pickens. Jonny und ich starrten ihm nach wie einer Geistererscheinung. Aber auch wir verspürten plötzlich ein überaus unangenehmes Ziehen in der Magengrube. Pickens behielt recht � aber ganz anders, als er gedarbt hatte, und viel schlimmer� Jonny und ich hatten im Batteriedeck alle Hände voll zu tun. Wir wußten nur zu gut, wie genau es Flanagan mit der Pflege seiner Kanonen und Drehbassen nahm. Nicht. nur außen, sondern auch innen mußten die Kanonenrohre blitzsauber sein. O Lord � das war eine ganz schöne Schinderei. Im vorderen Teil des Batteriedecks arbeitete der riesige Addy, jener Mann aus Schwarzbart Nemos Besatzung, der sogar die Samurais das Fürchten gelehrt hatte. Von Zeit zu Zeit blickte er zu Jonny und mir

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herüber. Vielleicht auch nur zu Jonny, denn der zog ein Gesicht, als habe er auf eine ganze Ladung fauler Zitronen gebissen. El Pomado, unser Spanier, tauchte plötzlich neben ihm auf. Ebenfalls Pete Bird, die Katze. Die beiden starrten Jonny an, dann sahen sie ihm zu, wie er eines der dicken Kanonenrohre zu säubern begann. Jonny entging das nicht, und er unterbrach seine Arbeit. �He, ihr beiden, haltet keine Maulaffen feil, sondern packt gefälligst mit an!� fuhr er sie an. Die Katze, und auch El Pomado zuckten zurück. �Was ist los mit dir, Jonny?� fragte El Pomado. �Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?� Aber Jonny war nicht ansprechbar. �Himmel Arsch und Zwirn, glotzt mich nicht so dämlich an, sondern fangt endlich an, die Lafetten zu reinigen, die Brooktaue zu kontrollieren und dann Sand zu streuen!� Die beiden starrten sich an. So kannten sie den sonst. eigentlich umgänglichen Jonny nicht. Aber El Pomado hatte begriffen. Er kam zu mir herüber und fragte mich mit einem scheuen Blick leise: �Sand streuen? Wieso jetzt schon? Steht uns ein Gefecht bevor? Und warum müssen wir alle Waffen auf Hochglanz bringen, sogar die Musketen und Pistolen? Was ist eigentlich los, Bonty?� EI Pomado war völlig entgangen, daß Mister Finn, unser Erster, das Batteriedeck betreten hatte. Seine lange Narbe auf der linken Wange gab ihm ein martialisches Aussehen. Er stand unbeweglich am Niedergang zum Batteriedeck und beobachtete die Szenerie. Ich wußte aber, daß er später die Kanonen und Lafetten genau kontrollieren würde. Mister Finn war darin fast noch genauer als Master Flanagan. Denn er war ein erfahrener Mann, der wußte, wie wichtig eine zuverlässige Bewaffnung sein konnte, wenn es um Tod oder Leben ging. Jonny hatte die Frage El Pomados aber doch gehört. Er richtete sich auf, schob die Katze mit einer unwirschen Handbewegung zur Seite und packte El Pomado an seinen Hemd. Er zog ihn ganz dicht zu sich heran. �Du stellst ganz schön blöde Fragen, El Pomado. Die Gegend hier wimmelt nur so von Piraten, das solltest du wissen, Wenn sie uns überfallen, müssen unsere Kanonen piksauber sein, denn wir werden dem verdammten Gesindel mit ihnen Zucker in den Arsch blasen. Aber

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der Zucker muß braun und sauber bleiben, du Stint, sonst wirkt er nicht...� Addy lachte dröhnend auf, und El Pomado starrte Jonny einen Augenblick an. Dann riß er sich los und sauste wie ein Blitz zu einem der Siebzehnpfünder und begann etwas blaß um die Nase die Lafette zu säubern und die Achsen der Räder zu kontrollieren, ob sie noch gut gefettet waren und einwandfrei liefen. Auch die Katze verschwand, denn Pete Bird wußte ziemlich genau, wann man Jonny am besten aus dem Weg ging. Und genau das war so ein Tag, seit Pickens uns seine Story erzählt hatte. Natürlich war ich wie Jonny durch die Story geschockt � denn Pickens war nicht der Mann, der Lügen erzählte. Und was sich an Bord der Fregatte abgespielt hatte � nun, ich konnte es mir gut vorstellen, hatte ich doch selber schon etliche Erfahrungen mit Piraten, ja sogar mit Kannibalen sammeln können. Aber was, zum Teufel, war mit Jonny los? Ich nahm mir vor, ihn später zu fragen. Ich sah wie Mister Finn grinsend verschwand, und dann arbeitete ich schweigend neben Jonny weiter. Doch gleich darauf betrat Mister Pickens das Batteriedeck, und wenig später wurde unsere Arbeit durch ein Ereignis unterbrochen, mit dem niemand gerechnet hatte. Wir lernten Mister Pickens von einer Seite kennen, die keiner von uns bei ihm auch nur im Entferntesten vermutet hätte. Mister Pickens begann, die Kanonen zu kontrollieren. Er war darin mindestens so genau, wie Master Flanagan oder Mister Finn. Schließlich stand er neben den beiden Siebzehnpfündern, die Boomer zu reinigen und zu überprüfen hatte. Ich blickte rein zufällig in die Richtung. Mir fiel sofort auf, daß Pickens stirnrunzelnd auf die Kanonen starrte, sich dann zu den Rädern der Lafetten bückte und schließlich die Brooktaue durch die Finger gleiten ließ. Und dabei lief sein rundes Gesicht rot an. �Boomer!� Der Ton, in dem Pickens diesen Namen ausstieß, ließ uns alle hochblicken. Boomer löste sich aus dem Halbdunkel des Batteriedecks. Aber irgendetwas stimmte nicht mit ihm, denn seine Züge wirkten verzerrt. �Ja, Sir?� fragte er, und in seiner Stimme schwang Aufsässigkeit mit. �Boomer, Ihre Kanonen sind eine einzige Sauerei�. sagte Pickens unverblümt. �Die Rohre sind nicht sauber, die Achsen der Lafettenräder nicht geschmiert. Und hier, für was halten Sie das, Mister Boomer?�

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Ich sah, daß Mister Pickens diesmal wütend war. Zögernd näherte sich Boomer dem Brooktau, das ihm Pickens hinhielt. � Was schon?� fragte er aufsässig. �Ein Brooktau, und sonst gar nichts.� �Ja, ein Brooktau, das die nach dem Feuern zurücklaufende Lafette auffangen soll. Dies Brooktau ist aber schon halb durchgescheuert, Mister Boomer�, sagte er voller Schärfe. �Haben Sie schon einmal erlebt, was so ein Siebzehnpfünder im Batteriedeck anrichten kann, wenn das Brooktau plötzlich bricht?� Pickens Stimme hatte sich erhoben, und ich spürte fast körperlich, welch ein Zorn sich in ihm aufgestaut hatte. Ich warf Jonny einen Blick zu, und auch dessen Gesicht wirkte verkniffen. �Ich verlange von Ihnen wie von jedem anderen, Boomer, daß Sie Ihre Arbeit zuverlässig und genau erledigen, ist das jetzt endlich klar? Nehmen Sie sich in acht. Ihr Maß ist mehr als voll! An die Arbeit, Boomer, aber ein bißchen plötzlich oder Sie lernen mich kennen. Ich will sehen, wie Sie das Brooktau auswechseln und die Lafettenräder fetten. Anschließend wischen Sie die Rohre Ihrer beiden Kanonen aus, aber so, daß sie innen blitzblank sind! � Normalerweise hätte Boomer jetzt unverzüglich an die Arbeit gehen müssen. Aber er tat nichts dergleichen. Stattdessen dessen lehnte er sich gegen eines der Geschütze und fixierte Mister Pickens aus zusammengekniffenen Augen. Dabei verzerrte sich sein Gesicht mehr und mehr. �Verdammt, Bonty�, zischte Jonny mir zu, �der Kerl dreht durch. Der hat doch einen Dachschaden, seit er vorne am Bug gehangen hat und wieder an Deck gezogen wurde!� Jonny spielte auf die Bestrafung Boomers an, die der Master über ihn verhängt hatte. Boomer war in einem Netz unter die Galionsfigur der �King Charles� gehängt worden. Dabei hatte der ständig in die See tauchende Bug unseres Schiffes ihn immer wieder unter Wasser gedrückt � und schließlich hatte Boomer wie ein Toter in seinem Netz gehangen. An Deck war er erst wieder zu Bewußtsein gelangt, als wir ihn gerade von der Planke in die See, in sein Seemannsgrab, gleiten lassen wollten. Sein Wiedererwachen hatte auf der �King Charles� fast eine Panik ausgelöst, denn wir alle, unser in medizinischen Dingen wirklich beschlagener Feldscher Ivo Montesano ebenfalls, hatten Boomer für tot gehalten. Aber dieser Kerl war nicht umzubringen. Stark und groß wie ein Bulle, hatte er sogar diese harte Bestrafung überlebt.

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Dann hatte es Tage gedauert, bis er wieder völlig klar im Kopf und wieder Herr über seine Glieder war. Jonny war ein paar Schritte vorgetreten. Er sah vielleicht schon voraus, was jetzt passieren würde. Und Jonny war entschlossen, Mister Pickens sofort zu helfen, sofern das nötig werden sollte. Auch der riesige Addy aus der Crew des Schwarzbarts Nemo, der sich mit neun Überlebenden seit dem Untergang seines Viermasters �Lady Jane� bei uns an Bord befand, schob sich langsam heran. Aber Pickens drehte sich plötzlich um, blickte Jonny und Addy an. �Überlaßt Boomer mir, ich werde mit diesem Kerl schon fertig, wenn er es nicht anders haben will!� Ich war verblüfft. Pickens und Boomer � ganz abgesehen davon, daß es an Bord der �King Charles� durchaus nicht üblich war, daß die Offiziere dieses Schiffes selbst Hand an jemand legten. Im Gegenteil, Master Flanagan duldete dergleichen an Bord nicht. Ich begriff Pickens nicht, Boomer und Pickens waren ein zu ungleiches Paar, als daß Pickens sich überhaupt eine Chance gegen diesen stiernackigen Riesen ausrechnen konnte. Denn Pickens war wesentlich kleiner als Boomer, so jedenfalls waren die Gedanken, die mir in diesem Moment durch den Kopf schossen. An den Gesichtern von Jonny und Addy erkannte ich, daß es ihnen nicht anders erging. �An die Arbeit, Boomer�, hörte ich Pickens mit aller Schärfe sagen. �Das ist ein Befehl, Mister Boomer!� fügte er hinzu, als Boomer sich immer noch nicht rührte, sondern Pickens nur böse anstarrte. �Boomer, du mußt verrückt sein! � sagte Jonny. �Oder weißt du nicht, wie Master Flanagan auf Befehlsverweigerung und Aufsässigkeit reagiert? Wenn dir dein Hals lieb ist, dann geh jetzt gefälligst an die Arbeit, du Stint!� Auch Jonnys Stimme hatte jenen Klang, der für jeden an Bord eine Warnung war. Denn wenn Jonny in so einem Ton mit jemandem sprach, dann explodierte er fast immer nur wenige Augenblicke später. Dabei kam dann jener Mann zum Vorschein, den wir statt Jonny wegen seiner schnellen Fäuste, seiner unglaublichen Schlagkraft und seiner blitzartigen Aktionen auch �Kleine Hölle� nannten. Und wenn Jonny zur Sache kam, dann war das wirklich, als ob die Hölle einen ihrer Teufel ausgespuckt hatte. Oft genug schon war ich Zeuge solcher �Explosionen� geworden, und auch Boomer kannte sie zur Genüge. Mister Pickens wandte sich abermals um. �Gut gemeint, Jonny, aber halten Sie sich bitte wie jeder andere aus dieser Sache raus. Ich regle das mit Boomer persönlich ...�

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In diesem Moment verzerrten sich die Züge des Riesen noch weiter. Ein dröhnendes Lachen quoll aus seiner Brust, dem dann aber sofort ein jäher Wutanfall folgte. �Du Fettwanst, du alberner Clown, du Kakerlake, die ich hier zwischen meinen Fäusten zerquetschen werde, du willst mit mir fertig werden? Ich scheiße auf dieses Schiff und auf seine Offiziere. Das ist ein Höllenkahn schlimmer als ...� Er unterbrach sich, weil Leach ihm einen heftigen Tritt versetzt hatte. Leach, der zweite Mann, den wir aus der See gefischt hatten, nachdem Gordon, der dritte, von den Samurais im Land der aufgehenden Sonne öffentlich enthauptet worden war, weil er eine Geisha geschändet hatte, hielt sich immer in der Nähe von Boomer auf und war sein Spießgeselle. Pickens hakte sofort ein. �Schlimmer als im Straflager, Boomer, das wollten Sie doch sagen, oder etwa nicht?� Boomer starrte Pickens an, dann stieß er einen wilden Schrei aus und stürzte sich auf Pickens. Und dann geschah das, womit keiner von uns je gerechnet hätte, obwohl wir alle wußten, daß gerade Pickens immer für eine Überraschung gut war. Pickens duckte den Schlag ab. Gleichzeitig traf ein wuchtiger Hieb Boomers Unterarm. Dann, schneller fast als meine Augen das erkennen konnten, wirbelte er herum. Blitzschnell, und er schien alle Kraft seines schweren Körpers in diese Drehung zu legen. Es gab ein hohles, knackendes Geräusch, als seine Faust Boomers Kopf traf. Nein, förmlich an ihm explodierte. Boomer erstarrte mitten in seiner Bewegung. Seine Augen weiteten sich und glotzten Pickens an. Dann krachte er zu Boden, wie vom Blitz gefällt. Er blieb liegen und rührte sich nicht mehr. Leach war zurückgewichen, er starrte unseren Zweiten an wie eine Erscheinung, dann setzte er sich fluchtartig ins vordere .Batteriedeck ab. Auch Jonny blickte völlig verstört zu Pickens hinüber. Dem bärenstarken Addy erging es nicht anders, als Pickens sich jetzt. die rechte Faust massierte und uns dann angrinste. �Ich sagte doch, Leute, daß ich diese Sache selber regeln würde. Aber zu Ihrer Information: Das war ein so genannter Wallop, ein Rundschlag, den ich damals von ei Mann namens Donkey gelernt habe. Dieser Mann war ein Schwarzer und hatte sich in Schaukämpfen in Amerika profiliert. Er steckt jetzt irgendwo in London, wieder im Schaugeschäft.

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Schade, denn er war ein hervorragender Seemann und fast ein Freund. Er fuhr etwa ein Jahr vor Ihnen auf der King Charles, Mister Bonty und Mister Jonny.� Mister Pickens massierte immer noch sein Handgelenk. �Zu Ihrer weiteren Information�, fuhr er gleich darauf in dozierendem Ton fort, �dieser Wallop hat den Vorteil, daß sowohl Handgelenk, Ellenbogen und Schultergelenk die Wucht des Schlages abfangen, indem sie nachgeben können. Alles knickt nach innen ein, brechen kann also nichts. Die Wucht des Schlages summiert sich aus der mit großer Schnelligkeit ausgeführten Drehung und dem Push, der ihm aus dem Schultergelenk zusätzlich gegeben wird. Ein solcher Schlag, richtig platziert, fällt jeden Mann, auch den allerstärksten. Empfehle Ihnen allen, sich mit diesem Schlag zu befassen. Bedauerlicherweise verbietet mir das Bordreglement, Ihnen dabei behilflich zu sein.� Er warf einen Blick auf Boomer, der noch wie tot dalag. �Kümmern Sie sich um diesen Kerl. Wenn er will, kann er sich morgen beim Master beschweren. Raten würde ich es ihm nicht, denn sein Konto ist voll. Der Strick, an dem er hängen wird, ist bestimmt schon vom Seiler gedreht. Ich sehe das voraus, und ich werde recht behalten. Nur, damit wir uns richtig verstehen, ich will keine Hängepartie an Bord der King Charles, zumindest will ich nichts dazu tun, daß es eine gibt. Das sollten Sie diesem Boomer klarmachen!� In diesem Moment betrat Mister Finn, wahrscheinlich angelockt oder alarmiert durch den Lärm, das Batteriedeck. Mit ein paar Schritten war er heran und blickte auf den wie tot daliegenden Boomer. �Was hat es hier gegeben, Mister Pickens?� fragte er. Pickens sah ihn an. �Ein kleines, aber nötiges Exempel wurde statuiert, Mister Finn. Wir sollten es dabei belassen. Es ist gut möglich, daß wir schon bald jeden einzelnen Mann dringend benötigen werden und es uns nicht leisten können, einen an die Rah zu hängen.� Mister Finn verharrte einen Moment in Schweigen. �Gut, einverstanden, obwohl es gegen das Reglement ist. Los, an die Arbeit. Und wenn ihr hier fertig seid, dann sofort an Deck, wir müssen das Schiff für die Nacht vorbereiten. Nebel treibt schon in Schwaden über die See, er wird sich noch verdichten. Und das kann eine höllische Segelei werden, denn Ankergrund finden wir hier nicht.� Mister Finn und Mister Pickens verließen das Batteriedeck. Boomer ließen wir liegen, wo er war. Mochte er sich selber helfen, sobald er wieder zu sich kam.

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Jonny warf ihm einen gallebitteren Blick zu. �Sobald der Kerl aufwacht, werde ich ihm beibringen, wie er seine Arbeit zu verrichten hat. Aber ein neues Brooktau schere ich selber ein. Pickens hat recht, so ein Siebzehnpfünder kann gehöriges Unheil anrichten, wenn er sich losreißt!� Jonny wollte sich abwenden, aber dann sah er uns alle der Reihe nach an. �Über diese Sache wird jeder von uns gefälligst das Maul halten. Ein beeindruckender Mann, dieser Mister Pickens. Mit allem hätte ich gerechnet, aber keinesfalls damit, daß er diesen Büffel da mit einem Schlag auf die Planken fegt.� �Das kann man wohl sagen�, brummte Addy und zog Boomer mit einem Ruck zwischen den beiden Kanonen vor, zwischen die ihn der Hieb von Pickens geworfen hatte, Danach gingen wir an unsere Arbeit. Jeder bemühte sich, seine Kanonen richtig auf Schwung zu bringen. Gesprochen wurde nicht mehr viel � aber jeder war bestimmt damit beschäftigt, dieses überraschende Ereignis zu verdauen. Und wenn jeder von uns Mister Pickens sowieso gern gemocht und trotz seines heimlichen Spitznamens �Fatboy� auch respektiert hatte � jetzt sahen wir Ihn mit ganz anderen Augen. Ich erinnerte mich allerdings sehr wohl daran, wie blitzschnell und mit welcher Kraft Pickens bei Mann-gegen-Mann-Kämpfen an Bord der �King Charles� und auch sonst reagiert hatte.

* Als Jonny und ich endlich wieder an Deck kamen, lagen über dem Meer an verschiedenen Stellen dünne Nebelschwaden, die wie kleine Wolken über dem Wasser wirkten. Jonny rümpfte die Nase. �Pickens hatte recht, Bonty�, sagte er nur. �Heute abend kommt Nebel auf, und wenig später werden wir durch eine verdammt dicke Suppe segeln müssen.� Ich warf einen Blick zum Achterdeck hinüber. Master Flanagan, Mister Finn, unser Bibelmann Zebulon Prescott. und Mister Bunk befanden sich dort. Zebulon und der Master waren gerade in eine offenbar wichtige Diskussion verwickelt. Bei Master Flanagan eine Seltenheit. Er diskutierte normalerweise nicht einmal mit seinen beiden Offizieren. Zebulon und Mister Bunk, mein Freund, bildeten da eine Ausnahme.

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Sie konnten sich dem Master gegenüber ohnehin einige Freiheiten herausnehmen, die Flanagan sonst niemandem gewährt hätte. Mister Bunk erspähte Jonny und mich. Sofort wandte er sich an Master Flanagan und sagte etwas zu ihm. Gleich darauf winkte der Master Jonny und mich und auch Pickens aufs Achterdeck. Jonnys Gesicht wechselte von einem Augenblick zum anderen den Ausdruck. Es zerknitterte in Tausende von kleinen Fältchen und sah aus wie ein zusammengeschrumpelter Apfel. �Da ist verdammt noch mal etwas im Busch, Bonty�, meinte er, �paß auf, an diesem Abend und die kommende Nacht werden wir noch lange denken, ich habe das so im Gefühl.� Damit trabten wir los, denn der Master wartete nicht gern. Pickens folgte uns, er hatte sich gerade um einige Arbeiten auf dem Vorderkastell gekümmert. Ich sollte eigentlich Vorschiff sagen, denn die �King Charles� war für ihre Zeit ein hochmodern gebauter Segler. Alle Aufbauten hatte ihr Erbauer bewußt sehr flach gehalten. Wir enterten die Stufen zum Achterdeck auf, dann standen wir vor dem Master. Einen Moment lang sah uns Flanagan aus seinen eisblauen, wässerigen Augen an. Und wieder hatte ich dieses verflixte Gefühl, daß sein Blick durch Jonny und mich hindurchging wie durch Glas. Master Flanagan machte auf mich in diesem Moment den Eindruck, als befände er sich mit seinen Gedanken gar nicht auf der �King Charles�, sondern irgendwo weit entfernt in der Vergangenheit oder Zukunft. Aber dann heftete sich sein Blick plötzlich auf Jonny und mich. �Ich habe eine Besprechung angesetzt, und Sie beide werden daran teilnehmen, weil Sie einen Teil der anfallenden Aufgaben übernehmen müssen.� Flanagan warf einen Blick auf die häufiger und häufiger über der Wasseroberfläche schwebenden Nebelschwaden, die sich aber bereits zu kleineren Nebelbänken formierten. Der Himmel, soweit noch zu sehen, hatte sich durch den tiefen Stand der Sonne blutrot gefärbt. Ein unbehagliches Gefühl machte sich in mir breit, aber zu weiteren Überlegungen blieb mir keine Zeit. �Mister Pickens und ich kennen diese Gegend. Es wimmelt hier von Piraten jeglichen Kalibers. Das reicht von den kleinen Halsabschneidern bis zu großen, gut ausgerüsteten Banden unter straffer und oftmals verdammt guter Führung. Diese Kerle sind gefährlich, denn sie arbeiten auf Grund ihrer Ortskenntnis gerade und besonders im Nebel. Unsere King Charles ist natürlich längst gesichtet

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worden. Die Piraten und dieses ganze Gesindel kennen die Strömungen, die in der Molukken-See herrschen. Wenn sie jetzt noch den zur Zeit herrschenden Wind berücksichtigen, ist es kein Geheimnis mehr für sie, wo sie uns zu welcher Zeit finden können. Mit anderen Worten: Wir kriegen heute dicken Nebel, in dem uns auch unsere Siebzehnpfünder nicht viel nützen für den Fall eines Angriffs. Ich ordne daher folgendes für die kommende Nacht an: An alle Männer werden Musketen, Tromblons und Pistolen ausgegeben. Die Backbord- und Steuerbordwache nehmen Aufstellung an den Schanzkleidern. Sie, Mister Bonty und Mister Jonny übernehmen die Backbordwache samt Vorkastell. Mister Pickens und Mister Bunk die Steuerbordwache. Außerdem tragen Sie alle vier die volle Verantwortung dafür, daß alle Siebzehnpfünder und Drehbassen sich in feuerbereitem Zustand befinden. Das Achterkastell wird von Master Nemo, Mister Finn und Mister Prescott gesichert. Zu diesem Zweck wird Mister Corcoran genügend geladene Handfeuerwaffen auf dem Achterdeck postieren. Zum Nachladen bleibt im Fall eines Angriffs keine Zeit. Sie, Bonty, verständigen nach dieser Besprechung sofort unseren Stück- und Waffenmeister.� Master Flanagan schwieg einen Moment. Wieder ging sein Blick durch Jonny und mich hindurch. Dann stellte der Master plötzlich eine völlig überraschende Frage an uns. �Wie hätte sich Ihrer Meinung nach Master Fleet in dieser Situation verhalten?� Jonny schluckte hart. Und auch mich traf diese Frage wie ein Blitz aus heiterem Himmel, aber unter den harten Augen Master Flanagans riß ich mich zusammen. Ich dachte einen Moment lang angespannt nach, aber dann antwortete ich. �Wenn ich Master Fleet richtig einschätze, dann hätte er alle Siebzehnpfünder mit gehacktem Blei und Eisenschrot geladen, um auch einen Blindschuß in den Nebel mit Aussicht auf Erfolg abgeben zu können. Kugeln helfen da wenig, Sir.� Flanagan sah uns wieder an. �Ihre Meinung, Mister Jonny?� �Exakt die gleiche, Sir. Außerdem die einzige Möglichkeit, die Stücke einzusetzen, solange Nebel herrscht.� Master Flanagan nickte. �Sie haben bei Master Fleet ganz offensichtlich eine Menge gelernt, ich war zu dem gleichen Schluß gekommen. Veranlassen Sie bitte alles. Mister Corcoran soll sich darum kümmern. Das wäre alles, ich danke Ihnen meine Herren! �

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Damit waren wir entlassen. Jonny und ich verschwanden blitzartig. Auf dem Hauptdeck blieb Jonny kurz stehen. �Verdammt dicke Luft, Bonty�, sagte er. �Master Flanagan ist alles andere als ein Spinner. Er rechnet fest mit einem Angriff, und von unserem Freund Fleet scheint er eine Menge zu halten, das ist mal sicher. Wo der wohl inzwischen stecken mag?� Recht hatte Jonny, aber die Frage Master Flanagans war dennoch reichlich ungewöhnlich, und mir wollte sie nicht aus dein Kopf. Wieso fragte unser Master danach, was Fleet wohl in der gleichen Situation für Maßnahmen ergriffen haben würde? Irgendwie irritierte mich das, und zwar mächtig. Aber dann bekam ich von Jonny eins n die Rippen. �Los, Bonty, träum nicht rum, sondern tu endlich was. Es wird bereits dunkel, und wer sagt denn, daß wir erst gegen Mitternacht mit Besuch zu rechnen haben? Los, beeilen wir uns.� Ich warf trotzdem noch mal einen Blick zum Achterdeck hinüber. Dort stand jetzt auch der riesige Nemo, der alle anderen, auch unseren Zebulon, überragte. Er unterhielt sich mit Master Flanagan, und ich sah, wie er ein paarmal nickte. Der Nebel wurde dichter. Zwar konnten wir noch das Schiff überblicken, aber waren wir vorher nur hin und wieder durch eine der Nebelbänke gesegelt, so wirkte unsere gute �King Charles� jetzt schon wie in Watte eingebettet. Vor uns und hinter uns hatte sich der Nebel geschlossen. Weitersegeln mußten wir, denn Ankergrund gab es hier keinen. Die See war für jede Ankertrosse zu tief. Merkwürdigerweise blieb der Wind trotz des Nebels beständig, aber er hatte nicht die Kraft, den Nebel wieder zu vertreiben. So brach für uns die Nacht an, die Ereignisse bringen sollte, mit denen keiner von uns gerechnet hatte und die uns gefährlicher wurden, als alle Piraten der Welt zusammengenommen.

* Die Deckslampen verbreiteten ein geisterhaft diffuses Licht. Master Flanagan hatte angeordnet, die Decks gut auszuleuchten. Und so hingen weit mehr Lampen an Masten, Wanten und wo immer es ging als sonst. Einmal, es war wohl drei Stunden vor Mitternacht, huschte Lightshower, von uns auch �Little� genannt, weil er klein und schmächtig war, zu Jonny und mir herüber. Er gehörte zu jenen, die überall und immer die Flöhe husten hörten, und er liebte es, aus seiner

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Londoner Zeit, in der er Droschkenbesitzer und -kutscher gewesen war, die tollsten Geschichten zu erzählen. Jetzt aber starrte er aus schmalen Augen auf die vielen Lampen, die trotz des dichten Nebels, durch den die �King Charles� glitt, das Deck dennoch leidlich ausleuchteten. �Weiß nicht�, sagte er leise, denn der Master hatte jede laute Unterhaltung wegen der Horchposten streng verboten, �ob diese vielen Lampen der wahre Jakob sind. Selbst durch den Nebel kann man die ,King Charles' doch auf diese Weise als Lichtschimmer oder als hellen Fleck ausmachen. Ein gefundenes Fressen für die Piraten, wenn es welche geben sollte. Was meint ihr? Ob der Master das bedacht hat?� In diesem Moment wurde wieder die Glocke geschlagen. Sie hallte über die Decks der �King Charles�. Diese dröhnende Schiffsglocke sollte andere Schiffe warnen, die unseren Kurs etwa kreuzten, und sie war bestimmt weithin zu hören. Jonny verzog sein Apfelgesicht zu einem Grinsen. Dann tippte er �Little� an die Stirn. �Dir hat wohl einer der Samurais dein Hirn aus dem Schädel geklopft, was?� fragte er, und Lightshower zuckte beleidigt zurück. �He, Jonny, was soll das? Kann ein Christenmensch nicht einmal mehr eine vernünftige Frage stellen, wenn wir hier mit Festbeleuchtung durch eine piratenverseuchte See segeln?� Wieder grinste Jonny, dann lauschte er andächtig, als die Schiffsglocke abermals geschlagen wurde. Addy besorgte das, und daher dröhnte sie mindestens dreimal so laut wie sonst. Denn dieser Riese vermochte seine Kräfte kaum zu bändigen. �Fällt dir nichts auf, Little?� fragte Jonny hinterhältig. Little fuhr zusammen. �Was, zum Teufel, soll mir denn auffallen, he?� fragte er sauer. �Bonty, wir sollten Little dem Feldscher übergeben. Er ist total verblödet, wahrscheinlich hat er tatsächlich eins auf den Schädel oder auf die Ohren gekriegt, denn der Kerl hört nichts mehr ...� Little drehte sich ruckartig um. �Ich laß mich doch von euch nicht verscheißern, das habe ich nicht nötig. Ich habe Könige durch den Londoner Nebel kutschiert und mit Wegelagerern gekämpft, um die Majestäten und ihre Frauen sicher an ihr Reiseziel zu bringen. Da war zum Beispiel Anno ...� Lightshower schickte sich an, eine seiner unglaublichen Storys zu erzählen, in denen es von seinen eigenen Heldentaten nur so wimmelte und man sich fragte, warum er nicht selber zum König

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Englands ausgerufen worden war. Aber Jonny ließ ihm nicht die Zeit, er packte ihn am Hemd und zog ihn dicht zu sich heran. �Also hör zu, Droschkenkakerlake ...� Wieder dröhnte die Glocke. �Hörst du immer noch nichts, verdammt noch mal?� fragte Jonny ihn. Little versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, aber das gelang sowieso keinem, wenn Jonny einmal zugepackt hatte. �Na klar, die Schiffsglocke. Addy schlägt ja jedesmal auf sie ein, als müsse man sie noch in der Westminsterabtei in London hören ...� �Aha�, erwiderte Jonny nur. �Und weiter, was folgert daraus, du essigsaurer Stint? Weißt du nicht? Nun gut, einem Christenmenschen soll auch die rechte Antwort gegeben werden. Was glaubst du, sieht man die Deckslampen weiter oder hört man die Glocke zuerst?� �Die Glocke ist doch ...� �Du sagst es, Little. Es ist also völlig unerheblich wenn wir unter Festbeleuchtung durch diese verdammte und vermaledeite Molukken-See segeln, denn die Glocke verrät unseren Schiffsort sowieso. Denk gefälligst nach, ehe du an Maßnahmen des Masters herummäkelst. Der weiß nämlich grundsätzlich immer genau, was er tut und was er zu lassen hat. So, und jetzt scher dich ein bißchen plötzlich auf deinen Posten. Wenn Mister Finn dich hier erwischt, kann er sehr biestig werden. Bonty und ich kennen ihn schon lange, er hat nämlich gewisse Prinzipien!� Little verschwand wie der Blitz, und neben uns lachte Pete Bird, die Katze, leise. Er blickte zu Jonny herüber und grinste. Doch dann verging uns das Grinsen plötzlich. Von irgendwoher drangen dumpfe Gongschläge an unsere Ohren. Wie der Blitz war Jonny beim Horchposten, der weiter hinten auf dem Schiff postiert worden war, damit das Rauschen der Bugwelle ihn nicht beeinträchtigte. �Wo kommt das her, Harry?� fragte er atemlos. �Bin noch nicht sicher, aber ich glaube, von Steuerbord. Verflucht, in dieser Suppe kann nicht einmal ein Uhu etwas sehen!� Beide lauschten, das sah ich deutlich. Dann ertönten wieder die Gongschläge, lauter diesmal. Dumpf hallten sie über die See, begleitet von einem merkwürdigen Sing-Sang, der aber nur undeutlich zu uns herüberdrang. Master Flanagan tauchte aus dem Nebel neben Jonny stuf. �Verdammt�, sagte er. �Vom Achterdeck hört sich das im, als ob der Kerl uns geradewegs in den Kurs laufen würde. Mister Prescott�, rief er mit lauter Stimme.

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�Aye, Sir?� kam die fragende Antwort. �Abfallen nach Backbord, zehn Strich. Alle Mann an die Brassen!� Wir flitzten los. Die �King Charles� schwang langsam herum, der Wind reichte für ein schnelles Manöver nicht aus. Undeutlich erkannte ich Zebulon, der das Ruder herumwirbelte. �Diese Kerle segeln singend durch den Nebel, schlagen hin und wieder auf den Gong und tun so, als gäbe es in der ganzen Gegend keine anderen Schiffe. Der Teufel soll sie holen!� Nemo, der Schwarze Kapitän, wie er heimlich genannt wurde, tauchte jetzt neben mir auf. �Aufpassen, Bonty, das kann eine Falle sein. Jagen Sie Ihre Männer sofort nach dem Brassen wieder ans Schanzkleid. Addy!� brüllte er dann mit dröhnender Stimme. �Hau auf die Glocke, und wenn sie in Stücke springt. Wenn diese Kerle keine Piraten sind, die uns eine Falle stellen, dann sind sie die größten Dummköpfe, die je die Meere befahren haben!� Addy befolgte den Befehl sofort. Und wenn die Glocke vorher schon laut über die See gedröhnt hatte, so war das noch gar nichts im Verhältnis zu der Lautstärke, die sie jetzt unter den Hieben Addys entwickelte. Nemo griff nach einem Tromblon, das neben ihm am Schanzkleid lehnte, und warf es Addy zu. �Für alle Fälle�, überbrüllte er die Glocke. �Paß auf dich auf, Takelmeister!� rief er noch, dann verschwand er wie der Blitz in Richtung Achterdeck. Alles an Schwarzbart Nemo war wild, gewaltig. Ein Riese von Gestalt, der aber bei aller Wildheit grundsätzlich einen klaren Kopf behielt und gerade durch diese Eigenschaft ein furchtbarer Kämpfer und Gegner war. Wieder ertönte der unheimliche Gong, und im gleichen Moment vernahmen wir wieder diesen Sing-Sang, aber lauter diesmal, und wie es mir schien, bedrohlich nahe schon. Wieder ein Gong, laut und drohend � und dann passierte es auch schon. Die �King Charles� stoppte abrupt, aber ihr Stoppen war begleitet von einem infernalischen Krachen und Bersten. Ich sah noch, wie unser Bugspriet samt Blinde in einem riesigen Segel verschwand und dann einfach abknickte. Ich klammerte mich an das Schanzkleid, viele der Männer stürzten auf die Planken. Das große Segel neigte sich, denn die �King Charles� war zu groß und zu schwer, um sich in ihrem Lauf endgültig aufhalten zu lassen.

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Der Gong dröhnte, dann brandete ein wüstes Geschrei um uns herum auf, und keiner von uns wußte, aus wie vielen Kehlen es stammte. Aber es hörte sich an wie das Geheul sämtlicher Teufel der Hölle, die man soeben auf uns losgelassen hatte. Schatten huschten an der Bordwand, nein an den Bordwänden der �King Charles� vorüber, aber keiner von uns vermochte sie zu erkennen. Das Geschrei Sterbender und Ertrinkender erfüllte die Luft. Zischend und gurgelnd schoß das Wasser in das Schiff, das uns direkt vor den Bug gelaufen war, wir hörten das ganz deutlich. Da ertranken Menschen, kämpften um ihr Leben, aber wir konnten nichts, gar nichts dagegen tun. �Mister Costigan�, durchdrang die Stimme unseres Masters das allgemeine Chaos, �sofort feststellen, ob wir ein Leck haben. Nehmen Sie sich ein paar Männer. Meldung an mich persönlich.� Mister Pickens tauchte neben mir auf. �Wir haben eine große Dschunke gerammt. Verdammt, aber keine gewöhnliche Dschunke. Das gibt Ärger, denn sie wurde begleitet von ...� Den Rest verstand ich nicht mehr, denn gefolgt von Mister Finn hastete er zum Achterdeck. Ich rannte zusammen mit Jonny zum Vorkastell. Es gehörte zu unserem Bereich, angeordnet vom Master persönlich. �Oh, Mann�, stöhnte Jonny. �Da hat's vielleicht eingehauen.� Doch dann, noch ehe ich die Schäden im einzelnen ins Auge fassen konnte, verstummte er und wies lediglich auf den Schatten eines großen Schiffes, das in diesem Augenblick kenterte. Majestätisch fast wälzte es sich herum, anschließend versank die riesige Dschunke. Auch das tat sie irgendwie majestätisch. Sie rutschte ganz einfach über den Bug in die tiefe See ab. Einen Moment lang stand noch das Heck über Wasser. Es ragte wie ein Fels aus der Brandung, und sogar die große Hecklaterne brannte noch und beleuchtete reiche, vergoldete Verzierungen mit einem großen Wappen. Die Dschunke war noch keine zehn Yard vorn Bug der �King Charles� entfernt, der unaufhaltsam durch das Gewirr von Trümmern, Tauen und wild um sich schlagenden Menschen nach vorne drängte. �Achtung, Bonty�, schrie Jonny und riß mich mit sich ins Vorschiff. Gerade noch rechtzeitig, denn das riesige Segel der Dschunke krachte samt Mast und Rahen auf die Galion und begrub fast das gesamte Vorschiff unter sich. Dieses schwere Mattensegel samt Mast hätte Jonny und mich glatt erschlagen.

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�Ho, Bonty, das war mal wieder knapp!� keuchte Jonny. �Los, weiter, wir müssen Meldung erstatten. Dieses verdammte Segel und der Mast müssen weg. Aber die vom Achterdeck sehen ja nicht, was hier vorne passiert. dieser verfluchte Nebel!� In diesem Moment sträubten Jonny und mir sich die Haare. Ein wildes Geheul, wie aus tausend Kehlen, brandete um die �King Charles� auf. Es schwoll immer laute an � und Jonny und ich standen wie erstarrt. Aber dann sausten wir los. �Der Tanz geht los, Bonty!� rief mir Jonny zu. �Aber keine Piraten, sondern Wilde. Ich kenne die Kanaken dieser Gegend, sie sind verdammt mutige Kämpfer! Mann, wenn das gut geht! Das sind eine ganze Menge, die da draußen herumbrüllen! Wahrscheinlich haben wir mit. der Dschunke eines ihrer Heiligtümer in den Grund gebohrt, und jetzt sind sie wie von Sinnen...� Das alles rief mir Jonny noch im Laufen zu, dann sprangen wir die Niedergänge zum Achterdeck hinauf. Master Flanagan und Master Nemo hörten sich unsere Meldung an. Wo ich etwas ausließ, ergänzte mich Jonny sofort. Nemo verlor keine Zeit. �Ich regle das auf der Galion, Flanagan�, sagte er nur. Dann war er verschwunden und wir hörten ihn nach seinen Männern brüllen. �Nehmt eure Waffen mit, Männer�, hörten wir ihn. �Das kann da vorne ein heißes Tänzchen geben.� Nemo täuschte sich nicht, denn Minuten später war auf der �King Charles� im wahrsten Sinne der Teufel los. Nein, Sir, die Teufel waren los, und sie fielen in Scharen über uns her.

* Sie tauchten so schnell auf den Schanzkleidern auf und schwangen an Deck, daß alle unsere Abwehrmaßnahmen vorsagten. Ganz besonders durch die Wuhling, die nach dem Zusammenstoß mit der Dschunke an Bord der �King Charles� herrschte. Jonny brüllte mir etwas zu, aber das verstand ich nicht, denn in diesem Moment stimmten die Angreifer ein infernalisches Geheul an, in dem alles andere unterging. Gleich darauf sprang mich einer dieser Wilden an. Der Anprall war so heftig, daß ich auf die Decksplanken geschleudert wurde. Das war mein Glück, denn der Wilde stach mit seiner Lanze nach mir � und mich rettete nur eine blitzschnelle

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Drehung. Der Kerl stieß einen Wutschrei aus, als er mich verfehlte und drang nunmehr mit einer Axt auf mich ein. Ich wollte aufspringen, mein Entermesser hatte ich inzwischen aus dem Gürtel gerissen. Aber der Kerl ließ mich nicht hoch. Seine Axt hieb neben mir in die Planken. Der Hieb war mit solcher Wucht durchgeführt worden, daß der Wilde die Axt nicht sofort heraus bekam. Ich handelte. Ich bin beileibe kein Held � aber hier ging es um mein Leben. Ich drehte mich blitzschnell aus meiner Reichweite, dann sprang ich auf und stach nach einer verzweifelten Attacke zu. Mein Entermesser drang in seinen Körper ein, wo, weiß ich nicht mehr. Mir blieb auch keine Zeit zur Überlegung, denn plötzlich stand der riesige Zebulon Prescott neben mir und packte den Wilden, der dazu noch eine grauenhafte Bemalung trug. Er warf ihn kurzerhand über Bord. Aber immer mehr dieser fast nackten Gestalten enterten die �King Charles�. Irgendwo sah ich Jonny einmal im dichten Kampfgetümmel, dann hörte ich die wilde und alles übertönende Stimme Schwarzbart Nemos. Auf der Galion schien ebenfalls der Teufel los zu sein. Ich konnte es nicht sehen, denn der Nebel war so dicht, daß die Sicht kaum von einem Mast zum anderen reichte. und auch auf diese Distanz sah man alles nur schemenhaft. Zebulon und ich hieben um uns wie die Berserker. Auch auf dem Achterdeck wurde wild gekämpft. Flanagans Stimme und die Mister Bunks drangen zu uns herüber. Dann geschah jedoch etwas, was den Kampf für einen Moment unterbrach. Einer der Siebzehnpfünder entlud sich donnernd. Eine lange Feuerzunge schoß durch die Nacht, und dann prasselte das gehackte Blei und der Eisenschrot auf die Boote der Wilden herab. Nein, er fegte wie ein Hurrikan in sie hinein. Gleich darauf entlud sich der nächste Siebzehnpfünder, dann wieder einer. Es nahm kein Ende. Unsere �King Charles� entwickelte sich zu einem feuerspeienden Drachen. Mister Corcoran, unser Stückmeister und Mister Finns Stimme waren zu hören. �Feuer! � Und wieder Feuer � und jedesmal entlud sich donnernd eine der Kanonen. Das war die reinste Hölle, sogar an Deck dröhnten uns die Ohren. Denn Mister Finn und der Stückmeister feuerten in schneller Folge, während die anderen Männer die bereits abgefeuerten Stücke

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wieder nachluden. Es blitzte mal an Backbord, dann an Steuerbord auf, und auf dem Wasser erhob sich ein wildes Geheul. Völlig entnervt standen die Wilden an Deck � aber unsere Männer ließen ihnen keine Zeit. �Los, drauf, Bonty�, rief Zebulon mir zu. Hinter uns tauchte Harry auf, dann Jonny und dann der schwarze Nemo mit seinen Männern. Allen voran Addy. In der Rechten seinen Degen, in der Linken einen Belegnagel. Wie ein Gewitter brachen wir über die verdatterten Wilden herein. Nemo, Zebulon und wir anderen hausten schrecklich unter ihnen. Aber hier ging es um unser Leben und um die �King Charles�, es gab kein Pardon. Dazwischen die dröhnenden, feuerspeienden Entladungen unserer Kanonen. Die Wilden gerieten in Panik. Vielleicht waren sie einer solch massiven Gegenwehr noch nicht begegnet � jedenfalls sprang erst einer mit einem wilden Schrei über Bord, dann folgten ihm wie der Blitz die anderen. Innerhalb weniger Augenblicke war der ganze nächtliche Spuk vorbei. Irgendwo brüllte auch Boomer noch herum, ich hörte ihn deutlich. Dann verstummte auch er. Nur die Kanonen. donnerten weiter in die Nacht hinein und spien ihre langen Feuerzungen durch die Stückpforten. Auf dem Achterschiff und auf dem Vorschiff entluden sich jetzt auch mit scharfem Knall die Drehbassen und schleuderten ihre tödlichen Ladungen zwischen die in wilder Panik davonpaddelnden Wilden. Dann herrschte plötzlich Stille. Mister Finn hatte das Feuer- einstellen lassen, denn es gab keine Ziele mehr. Jonny blutete aus mehreren Wunden. Auch Zebulon hatte eine arge Schramme am linken Oberarm, und in seiner Bibel, die er auch jetzt unter seinem breiten Ledergürtel trug, steckte ein Pfeil. Er sah das, und zog ihn mißbilligend heraus. Schwieg aber. �Mann, Bonty�, sagte Jonny nur. �Wenn die Burschen da unten nicht voll zwischen die Boote der Eingeborenen gehalten hätten, dann hätte es für uns verdammt mies ausgesehen. Die Kerle waren ja überall, und warst du mit einem fertig, dann tauchten schon wieder drei andere auf.� Er wischte sich Blut aus dem Gesicht und grinste. �Aber paß auf, Bonty, die kommen wieder.� Master Flanagan stand plötzlich neben uns.

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�Feststellen lassen, ob es Tote gegeben hat. Der Feldscher soll sich sofort um jeden Verwundeten kümmern. Ich denke, wir brauchen heute Nacht noch jeden einzelnen Mann. Der Tanz ist noch nicht vorbei.� Mister Pickens erschien auf der Bildfläche. Seine Kleidung war zerfetzt, und auch er blutete aus mehreren Wunden, die ihm aber nicht sonderlich viel auszumachen schienen. �Sir, wenn ich einen Rat geben soll ...� sagte er zu Master Flanagan. Der Master wandte sich um. �Heraus damit, Pickens, Sie kennen sich hier aus.� �Möglichst viel Sand bereithalten. Wasser auch. Die haben Feuertöpfe, und wenn sie wieder angreifen, werden sie uns damit bepflastern, Sir!� Flanagan nickte. �Veranlassen Sie alles Nötige, Mister Pickens. Ich denke auch, daß die Nacht noch recht lebhaft werden wird.� Damit behielt unser Master recht. Verdammt recht sogar � allerdings waren wir jetzt auf der Hut. Gottlob war unsere �King Charles� nicht leckgeschlagen bei der Kollision, aber das Vorschiff sah wüst aus. Jonny wandte sich mir und Zebulon zu. �Verdammt, ich möchte doch gerne wissen, was diese Kerle in eine derartige Raserei versetzt hat. Wir müssen da irgendwen untergemangelt haben, der so eine Art Gott für sie war. Verdammter Mist!� Jonny wußte gar nicht, wie nahe er der Wahrheit kam, die erfuhren wir allerdings erst am nächsten Tag und auf für uns äußerst überraschende Weise.

* Der erste Feuertopf flog kurz nach der Hundewache an Deck. Er zerplatzte mit einem schmatzenden Knall, und sofort züngelten die Flammen hoch. Im Nu waren ein paar Männer mit Sand und dann mit Wasser da, und wir wurden des Feuers Herr. Aber da flog schon der nächste, und zwar auf die Galion. Im Segel der Dschunke, das immer noch die Galion zudeckte, fanden die Flammen reichlich Nahrung. Nemo erschien wie ein Rachegott mit seinen Leuten. �Los!� brüllte er. �Mir nach, oder uns brennt die King Charles unter den Ärschen weg!� Wir sausten los � und da erscholl wieder dieses infernalische Geheul, das uns schon beim erstenmal fast die letzten Nerven gezogen hatte.

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Finn ließ abermals feuern, auch die Drehbassen des Achterdecks und dann auch die des Vorkastells entluden sich donnernd. Wieder brandete wütendes Geheul auf. Die Wilden hatten die Reichweite unserer Kanonen unterschätzt, und so lag die Salve, Finn hatte diesmal eine volle Breitseite feuern lassen, voll im Ziel. Wir kämpften unterdessen mit den Flammen auf der Galion. Sogar der Master tauchte auf und packte mit zu. Das Dschunkensegel ging über Bord und versank zischend in der See. Dann leerten wir wie die Besessenen unsere Sandkübel. Anschließend gossen wir Seewasser darüber. Es gelang uns, den Brand zu ersticken, aber die Galion sah nun noch verheerender aus. Es stank nach verbrannten Segeln, nach verbranntem Holz � und einer der im Kampf getöteten Wilden war ebenfalls halb verschmort. Jonny packte ihn und kippte ihn kurzentschlossen über Bord. �Der Teufel soll diese Kerle holen! Erst laufen sie uns in den Kurs, dann fallen sie auch noch- über uns her!� Wieder kehrte Ruhe ein, denn die Eingeborenen hatten sich in sichere Distanz zurückgezogen. Wahrscheinlich brüteten sie nun einen neuen Angriff aus, vielleicht hatten sie sich genügend blutige Köpfe geholt. Aber so recht glaubte ich nicht daran. Und so war es auch. Irgendwann in der zweiten Nachthälfte hörten wir unter dem Achterschiff Geräusche. Sofort stürzten wir zum Achterdeck, auf dem sich Nemo und Master Flanagan, Mister Pickens und Zebulon Prescott befanden. Wo Mister Bunk, mein Freund, sich aufhielt, wußte ich nicht. Ich wollte zum Schanzkleid stürzen, aber Master Nemo packte mich mit der Rechten, Jonny mit der Linken. Die Kräfte dieses Riesen waren so gewaltig, daß Jonny und ich wie nasse Säcke in seinen Pranken hingen. �Sie wollen unser Ruder zerstören, aber die werden gleich ihr Wunder erleben ...� Er hatte es kaum ausgesprochen, da knatterten auch schon die Musketen und Tromblons. Grauenhafte Schreie drangen zu uns herauf � dann herrschte abermals Stille. �Das war's dann wohl�, sagte Nemo und ließ uns los. �Wir waren nicht so dumm, keine Wachen auf der Heckgalerie aufzustellen. Addy und ein paar andere haben es den Kerlen besorgt.� Jonny und ich atmeten auf. Da sah uns Master Flanagan an. �Organisieren Sie zusammen mit Mister Bunk die Wachen auf dem Hauptdeck. Costigan und ein paar Männer sollen sofort damit

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beginnen, die Galion aufzuklaren. Wenn es hell wird, sehen wir weiter. Mal abwarten, was die Nacht noch an Überraschungen bringt!� Jonny und ich sausten die Niedergänge zum Hauptdeck hinab. Noch während des Laufens rieb sich Jonny den Arm. �Mann, wo dieser Nemo hinpackt � gegen den ist ja jede Daumenschraube harmlos!� Das stimmte. Auch mein Arm schmerzte, so hart hatte Nemo zugepackt, wahrscheinlich, ohne es zu merken. Der Rest der Nacht verlief ruhig. Die Eingeborenen hatten sich dreimal blutige Niederlagen eingehandelt � und wir hofften, daß sie die �King Charles� nunmehr in Ruhe lassen würden. Mister Finn, unser Erster Offizier, den Jonny und ich schon länger kannten, kontrollierte die Wachen. Neben uns beiden blieb er stehen. �Passen Sie scharf auf�, sagte er. �Die Kerle sind nicht weg, sie liegen auf der Lauer. Ich fürchte, uns steht eine üble Überraschung bevor, sobald es hell wird!� �Sir, glauben Sie nicht auch, daß die Kerle jetzt einfach die Nase voll haben?� fragte ich. Finn schüttelte den Kopf, dann starrte er eine Weile in den immer noch dichten Nebel hinein. �Nein, Mister Bonty�, sagte er dann. �Mister Pickens ist auch meiner Meinung. Irgendetwas ist geschehen � mit der Dschunke meine ich �, was sie in so rasende Wut versetzt hat. Die geben nicht auf, denn wenn sie den vermeintlichen Frevel nicht rächen, an uns rächen, dann ziehen sie sich den Zorn ihrer Gottheit zu. Und den fürchten sie mehr als uns und den Tod.� Wieder schwieg Mister Finn eine Weile. Und wieder starrte er in den Nebel hinaus. �Mister Pickens, der diese Gegend der Erde sehr gut kennt, hat mir einiges erzählt. Das hat mich skeptisch gemacht. Nun, wir werden sehen!� Er nickte uns kurz zu und ging seine Runde weiter. An Boomer vorbei, den er genau kontrollierte. Aber Boomer muckte nicht auf. Die Lektion, die ihm Pickens erteilt hatte, wirkte noch nach. Er verhielt sich überhaupt sehr unauffällig � und, verdammt nochmal, daran tat er gut. Etwas später trat Pater Erijk, der Holländer zu uns. �Verteufelte Situation�, sagte er. �Erst die Samurais, jetzt dies. Ich habe mich mit Mister Prescott unterhalten, aber wir kommen nicht auf einen Nenner, denn der gute Zebulon hält es mit dem Alten Testament. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich weniger, ich kann diesen Wahnsinn der

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Menschen, sich überall abzuschlachten, wo sie einander begegnen, nicht begreifen! � Er schüttelte mißbilligend den Kopf. Dann wandte er sich zum Gehen. �Diese angeblichen Wilden sind auch Geschöpfe Gottes, Mister Bonty und Mister Jonny ...� �Aber Geschöpfe�, warf Jonny ein, �die uns eiskalt umbringen, wenn wir uns nicht so energisch unserer Haut auch weiterhin wehren wie bisher. Begehen Sie nur keinen Fehler, Pater, ich glaube, unser Zebulon sieht die Dinge richtig.� Pater Erijk nickte und schüttelte dann aber betrübt den Kopf. �Sie haben recht. Leider. Aber verstehen Sie mich auch: Meine Aufgabe ist es, und das habe ich immer gewollt, den Menschen die Liebe zu predigen. In Japan war das völlig unmöglich, obwohl die Einwohner die Samurais nicht nur fürchteten, sondern haßten. Uns trennten Abgründe im Glauben. Und hier ist es wieder so unmöglich. Manchmal zweifle ich daran, ob den Menschen überhaupt noch zu helfen ist, und das ist zumindest für mich ein scheußlicher Gedanke.� Pater Erijk ging, und ich verstand ihn nur zu gut. Aber was sollten wir tun? Wir hatten keine Wahl.

* Die Nacht verstrich, und es wurde hell. Vorne, auf der Galion, arbeitete unser Schiffszimmermann Bob Costigan mit einer Gruppe von Männern. Sie hatten es fertig gebracht, wieder ein Bugspriet einzusetzen, und waren dabei, die Blinde aufzutakeln. Costigan war einer der besten Schiffszimmermänner, denen ich je begegnet bin. Eine erste Helligkeit zeichnete sich ab. Der Nebel begann sich aufzulösen, die Sicht wurde zusehends besser. Aber noch verdeckte er uns den Blick auf die See. Dann ging die Sonne auf � und wieder färbte sich der Himmel blutrot. Jonny starrte das Schauspiel der Natur mit verkniffenen Augen an. �Weiß der Teufel, Bonty�, sagte er leise, �was da hinter dem Nebel auf uns lauert. Ich habe wieder dieses verdammte Ziehen in der Magengegend. Das bedeutet nichts Gutes!� Ich schwieg. Aber dann riß der Nebel auf � und ich erstarrte. Ich war unfähig, überhaupt etwas zu sagen. Ich packte Jonny an der Schulter und deutete nur vor uns auf die See. Das geschah etwa gleichzeitig mit den lauten Rufen der Ausgucks. �Verdammt!� entfuhr es Jonny. �Mann, Bonty, wenn das man gut geht!�

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Jonny war ansonsten nicht so pessimistisch, aber diesmal teilte ich seine Ansicht völlig. Unsere �King Charles� war eingeschlossen von Hunderten von Langbooten, in denen grimmige Krieger hockten und zu uns herüberstarrten. Sie bildeten eine Art Kordon um die �King Charles�. Noch hielten sie sich aber außerhalb der Reichweite unserer Kanonen auf. Die Zahl der Krieger wagte ich nicht einmal zu schätzen. Da mußte ein ganzes Volk unterwegs gewesen sein. Vom Achterdeck drangen kurze, knappe Befehle zu uns herüber. Master Flanagan hatte die Boote natürlich auch gesehen und bereitete unser Schiff jetzt auf den Kampf vor. Alle verfügbaren Waffen wurden auf ihren Zustand kontrolliert. Es wurden wieder Musketen und Tromblons verteilt. Jonny und ich erhielten je zwei Pistolen. Im Geschützdeck rannten sie die Kanonen wieder aus, und auch die Drehbassen wurden besetzt. Pickens kam zu uns herunter. Er war etwas blaß um die Nase. �Wenn die angreifen ...� sagte er nur und sprach den Rest nicht aus. Aber er hatte recht � einen Angriff dieser Armada von Langbooten konnten wir nicht abwehren. Und diese Anzahl von Kriegern konnten wir auch mit unseren überlegenen Waffen nicht schlagen. Wir konnten den Booten bei dem schwachen Wind, der über die Molukken-Straße strich, auch nicht davonsegeln. Sie würden uns jederzeit einholen. Nein, wir waren gestellt, und wir mußten kämpfen. Mir schoß die Erinnerung an den Endkampf der �Eagle of Cap Hoorn� durch den Kopf. Auch damals wußten wir alle, daß wir keine Chance hatten, gegen diese Übermacht zu siegen. Aber Commander Frost hatte seinem Geleit das Entkommen ermöglicht. Es war eine höllische Erinnerung für mich, denn auch in diesem Kampf gab es damals kein Pardon. Nur ganz wenige überlebten. Ich schluckte hart. Dann sah ich Jonny an. �Bleiben wir zusammen, Jonny�, sagte ich. �Ich möchte nicht, daß mich diese Kerle da gefangen nehmen ...� Jonny verstand mich nur zu gut. Um seinen Mund hatte sich jener Zug eingegraben, den ich so gut kannte. Aus vielen Gefechten, aus vielen Kämpfen. �Wir werden unsere Haut so teuer wie möglich verkaufen, Bonty�, sagte er nur, und damit wußte ich, daß er die Lage genauso einschätzte wie ich. Noch immer verhielten sich die Eingeborenen ruhig, aber sie belauerten uns. Vielleicht hatten ihnen unsere Kanonen und ihre hohen

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Verluste Respekt eingehämmert. Aber ich wußte dennoch, daß sie angreifen würden. Ich warf einen Blick zum Achterdeck hinüber. Schwarzbart Nemo starrte finster zu den Booten hinüber. Das Gesicht Master Flanagans wirkte eisig, aber auch er behielt die Boote ständig im Auge. Mister Finn und Zebulon beobachteten die andere Seite, Mister Bunk und Pater Erijk blickten in diesem Moment zu uns herüber. Oder aufs Hauptdeck � ich weiß es nicht mehr genau. Aber Mister Bunk winkte mir zu � und ich erinnerte mich an seinen Rat, den er mir immer dann gegeben hatte, wenn es wirklich brenzlig wurde: �Nichts ist so schlimm, Bonty, wie es zunächst aussieht. Nur wer sich selbst aufgibt, hat wirklich verloren!� Ich winkte zurück � aber ich gebe ehrlich zu, daß ich eine lausige Angst verspürte vor dem, was unweigerlich geschehen würde... Der Nebel verhüllte in diesem Moment einen Teil der Langboote. Es war wie verhext, so, als ob sich alles gegen uns verschworen hatte. Die Boote verschwanden, wir konnten sie nicht mehr sehen. �Aufpassen, Männer!� durchdrang Master Flanagans Stimme die unheilvolle Stille. �Sie werden den Nebel benutzen und näher herankommen ...� Für einen Moment hob sich an Steuerbord der Nebel, und dann sahen wir sie. Sie schwangen ihre Paddel. Wie braune Teufel hockten sie in ihren Booten, und in diesem Augenblick erscholl um uns herum wieder ihr wildes und durch Mark und Bein gehendes Geheul. Aus dem Batteriedeck ertönte die Stimme Mister Corcorans, dann die Stimme von Mister Pickens. �Näher rankommen lassen. Die erste Salve muß sitzen, oder wir haben die Kerle wieder an Bord.� Der Nebel senkte sich wieder � aber dann hob er sich plötzlich, und die Männer an den Siebzehnpfündern verloren keine Zeit. Donnernd entluden sich die Geschütze, spien Tod und Verderben unter die Eingeborenen, und die beantworteten das mit wildem Geheul. Boote zerplatzten im Blei- und Eisenhagel. Menschen wurden getroffen und zum Teil zerfetzt, andere gingen schreiend unter und tauchten nicht wieder auf. Zwischen den getroffenen Booten, und den anderen, die unbeirrt weiter drängten, herrschte für eine kurze Zeit ein wildes Durcheinander, zumal die Eingeborenen versuchten, die noch Lebenden in ihre ohnehin vollen Boote zu ziehen. Doch dann geschah etwas, was uns die Haare zu Berge stehen ließ. Unweit von uns, aus einer Nebelbank heraus, dröhnten schwere

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Schiffskanonen auf. Eine zweite Salve � eine, nein zwei zugleich � fuhren mit vernichtender Wirkung in die Phalanx der angreifenden Langboote. Die Wilden � total entnervt von diesem unerwarteten Gegner � heulten vor Wut. Aber schon prasselte die nächste Breitseite zwischen ihre Boote. Trümmer flogen umher, Splitter landeten krachend auf der �King Charles�, einmal ein halber Bootsrumpf. Er mähte die Katze um und auch China-Harry, aber wie durch ein Wunder kamen die beiden ohne größere Blessuren nur mit dem Schrecken und heftigen Prellungen davon, wie sich später herausstellte. Jonny hielt vor Schreck die Luft an, denn schon wieder krachte eine gutgezielte Salve von Dauerfeuer zwischen die Boote. Dann donnerten unsere Kanonen und Drehbassen ebenfalls los. Wir standen nur da, wir konnten nichts tun. Die Entfernung war für unsere Musketen, Tromblons und Pistolen noch zu groß. �Himmel, Bonty�, schrie Jonny durch den Lärm, �wer ist das? Wer verjagt die Wilden gerade noch zur rechten Zeit, in letzter Minute sogar!� Ich wußte es nicht, aber auch auf dem Achterdeck herrschte in diesem Moment Wuhling. Denn die Eingeborenen drehten unter wildem Geheul ab. Sie paddelten davon, bis der schützende Nebel ihre Boote aufs neue verschlang. Dann herrschte plötzlich Stille. Aber es war die Stille des Todes, der uns umgab. Die See war bedeckt mit Trümmern, und Haie tauchten auf. Wer jetzt noch lebte, der fiel ihnen zum Opfer � es gelang uns lediglich, einen der Eingeborenen aus dem Wasser zu ziehen, und der hockte total geschockt, verbiestert und zitternd auf den Planken des Hauptdecks, bevor ihn jemand an den Großmast fesselte. Dann geschah noch etwas Unheimliches. Aus dem Nebel schälten sich zwei Galeonen hervor. Dreimaster beide. Eine von ihnen hatte, wie wir sahen, weiß gemalte Geschützpforten. Der ganzen Bauart nach war sie ein schneller Segler, der auch bei wenig Wind gute Fahrt laufen konnte. Und im Topp flatterte die englische Fahne. Jonny fiel glatt der Unterkiefer herunter. Er starrte die beiden Schiffe an wie eine Erscheinung, und mir ging es nicht besser. Auch auf dem Achterdeck herrschte Schweigen. Master Flanagan, Master Nemo und Mister Finn blickten durch ihre Spektive, und ich sah, wie plötzlich eine lebhafte Diskussion begann. Nemo schüttelte anfangs den Kopf, aber Master Flanagan deutete nur auf eine der beiden heransegelnden Galeonen, auf der man eben dabei war, die Segel ins Gei zu hängen und ein Boot zu Wasser zu bringen.

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Jonny sagte kein Wort. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er die beiden Schiffe, die aber zu weit entfernt waren, um mit bloßem Auge wirklich Einzelheiten an Deck erkennen zu können. Auch im Batteriedeck herrschte Totenstille. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie die Männer jetzt hinter den Geschützpforten hingen und wie jeder versuchte, einen Blick nach draußen zu erhaschen. Dann hatten unsere Retter das Boot zu Wasser gelassen � und gleich darauf legte es ab. Leider durch eine Nebelbank sogleich wieder verhüllt. Als es aus der Nebelbank hervorglitt, zuckte Jonny plötzlich zusammen, und auch Mister Pickens stürmte völlig verstört an uns vorbei zum Achterdeck. Jonnys Gesicht verkrampfte sich. �Nein! � stieß er hervor. �Nein, das darf doch nicht wahr sein!�

* Auch ich kniff die Augen zusammen. Aber Jonny ließ mir gar keine Zeit zu irgendeiner Äußerung. Alles in ihm war offenbar in Aufruhr. Ein Zustand, den ich bei ihm noch nie beobachtet hatte. �Himmel und Hölle, Bonty, was hältst du eigentlich Maulaffen feil? Siehst du nicht, wer da im Boot sitzt? He, sind dir die verdammten Hüte und die beiden Zylinder noch nicht aufgefallen?� Zylinder � ja, natürlich, das stimmte. Und Jonny hatte verdammt scharfe Augen, das wußte ich. Ich sah noch einmal hin. Richtig � vorn im Boot stand ein Mann, der Uniform und einen Zylinder trug. Hinten, auf der Achterducht, neben dem Bootssteurer, saß ebenfalls ein Mann in Uniform mit dem unverkennbaren Zylinder auf dem Kopf. Acht Rudergasten trieben das Boot genau auf uns zu. �Fleet�, sagte ich. �Master Fleet! Er war es, der uns gerettet hat ...� �Klar, er war es. Oder glaubst du, ich kenne einen anderen, der mitten durch den dicksten Nebel einfach auf den Kanonendonner zusegelt, ohne genau zu sehen, was eigentlich los ist? Und dann feuert, alles zusammenkartätscht?� Wieder hatte Jonny ganz schmale Augen. Dann wandte er sich mir zu. �Bonty, ich sage dir, daß ich ein verdammt ungutes Gefühl im Magen habe. Unsere Stunden auf der King Charles sind gezählt. Der holt uns hier weg! � �Quatsch, Jonny! � erwiderte ich. �Warum denn? Wir haben Heuer bei Master Flanagan, auf etwas anderes lasse ich mich nicht ein ...�

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Ich sagte das � aber gleichzeitig starrte ich das Boot an, und irgendwie schlug mein Herz schneller. Master Fleet, ich spürte, daß ich diesen Mann, dessen Reaktionen man niemals abzuschätzen vermochte, auf eine ganz vertrackte Weise ins Herz geschlossen hatte. Wir, Jonny und ich, hatten bei Master Fleet viel gelernt. Er war ein harter, aber letztendlich verdammt guter Lehrmeister gewesen. Und ich wußte zudem, wie sehr Master Flanagan ihn ebenfalls schätzte... Mister Pickens stürzte an uns vorbei. Bei uns blieb er ruckartig stehen. Sein sonst so rotes Gesicht war bleich, hinzu kam noch der Pulverqualm, der seine Sachen, seine Hände und auch Teile seines Gesichts geschwärzt hatte. Er starrt uns an. �Wißt ihr, wer da kommt?� Mit dem ausgestreckten Arm zeigte er merkwürdig verkrampft in die Richtung, aus der das Boot jetzt geradewegs auf die �King Charles� zugepullt wurde. Wir nickten nur, aber Pickens war das nicht genug. �Der verdammte Zylinder!� schrie er plötzlich, und ich hatte fast den völlig verrückten Eindruck, daß Panik von unserem Zweiten Besitz ergriffen hatte. Und dann erstarrten wir alle drei. Denn vom Wasser tönte eine Stimme zu uns herüber. �Mister Pickens, ich weiß, daß ich mich bei Ihnen nicht besonderer Wertschätzung erfreue, aber Sie sollten mich als Offizier der �King Charles' dennoch nicht mit einem Zylinder verwechseln. Das bitte ich mir aus!� Pickens stand wie erstarrt, aber dann sauste er davon. Gleich darauf erschien er wieder, starrte Fleet an, er war offenbar völlig aus dem Häuschen. �Er hat es gehört, Männer, er hat es wieder gehört ...� Damit zog er sich zurück. Unwillkürlich warf ich einen Blick zum Achterdeck hinüber. Master Flanagan stand dort. Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. Auch Nemo grinste. Dann war das Boot heran. Der Mann im Bug, unzweifelhaft ein Offizier der �Explorer�, die wir zusammen mit Fleet den Spaniern in einen blutigen Kampf entrissen hatten, straffte sich. �Master Isaac Fleet von Seiner Majestät Schiff ,Explorer' bittet an Bord kommen zu dürfen.� Jonny blickte erschüttert auf die Szene. Typisch Fleet seemännisch und korrekt wie immer. Master Flanagan enterte vom Achterdeck ab. Er trat zu uns.

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�Erlaubnis erteilt. Willkommen an Bord, Master Fleet! � sagte er laut und deutlich. Und dadurch, daß er persönlich erschienen war, drückte er abermals seinen ganzen Respekt und seine ganze Wertschätzung aus, die er Fleet entgegenbrachte. Dann sah er Jonny und mich an. �Öffnen Sie die Pforte im Schanzkleid und bringen Sie eine Jakobsleiter aus. Die Besatzung soll sofort an Deck erscheinen und zum Empfang von Master Fleet antreten. ohne diesen Mann, Mister Jonny und Mister Bonty, gäbe es uns inzwischen nicht mehr. Vergessen Sie das nie, diesen Mann hat uns der Himmel geschickt!� Flanagan sagte das ganz ruhig und voller Ernst � und ei erst da wurde uns so richtig klar, daß Fleet tatsächlich in allerletzter Sekunde erschienen war. Aber, zur Hölle, was bedeutete die zweite, überaus schmucke Galeone, die ihn begleitete? Wir beeilten uns, den Befehlen Master Flanagans Folge zu leisten � und dann enterte erst Master Fleet, nach ihm der junge Mann aus dem Bug des Bootes auf. Die Rudergasten verblieben im Boot, und als Bootssteurer erkannte ich Big Bäng, den Profos von der gesunkenen �Scout�. Master Fleet schwang sich an Bord. Er trat auf Master Flanagan zu, und der drückte ihm mit einer Herzlichkeit die Hand, die wir an Flanagan so gut wie nie kennen gelernt. hatten. �Das war Hilfe zur rechten Zeit, Fleet�, sagte er. �Mit jedem hätte ich gerechnet, mit Ihnen nicht. Ich wähnte Sie in Mikronnesien ...� �Da war ich, aber das ist eine Geschichte, die ich Ihnen unter anderem berichten muß. Ich konnte Ihnen helfen, Flanagan � jetzt brauche ich Ihre Hilfe.� Flanagan blickte ihn fragend an, während die Mannschaft unter dem Kommando von Pickens auf dem Hauptdeck Aufstellung genommen hatte.. �Nicht hier, Flanagan. Das ist eine Geschichte für Sie. mich und Ihre Offiziere. Aber Sie werden schnell verstehen, und eine Hand wäscht ja bekanntlich die andere.� Ich zuckte zusammen. Da war er wieder, der alte Fleet. Aber es kam noch schlimmer. Denn in diesem Moment wandte er sich Jonny und mir zu. Nachdenklich sah er uns an, dann umspielte ein Lächeln seine wulstigen Lippen. Er stand da wie immer: In vollem Wichs, seine Uniform war von makellosem Sitz und peinlicher Sauberkeit. Er wandte sich wieder an Flanagan.

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�Ihr Einverständnis vorausgesetzt, Flanagan, laden Sie diese beiden Herren bitte auch zu unserer Unterredung. Ich brauche die beiden dazu.� Flanagan warf uns einen Blick zu, einen völlig undefinierbaren Blick, und ich sah, wie Jonny hart schluckte. �Sir�, versuchte Jonny einen Einwand, �ich glaube nicht, daß Mister Bonty und ich Ihnen von Nutzen sein könnten, ich...� Fleet drehte sich ruckartig um, seine Augen musterten uns milde und beinahe väterlich. �Wenn Sie die Güte haben wollen, Mister Jonny, überlassen Sie die Entscheidung darüber, ob Sie und Mister Bonty bei der bevorstehenden Unterredung gebraucht werden, gefälligst Master Flanagan und mir. Übrigens möchte ich Sie mit Mister Fairfax, meinem Dritten Offizier auf der ,Explorer` bekannt machen. Ein tüchtiger junger Mann, aus dem noch etwas werden kann, wenn er sich bemüht! Sie werden ihn sicher noch genauer kennenlernen!� Master Fleet wandte sich wieder ab und sah Flanagan fragend an. �In Ordnung, Fleet, Sie haben es gehört, meine Herren. Folgen Sie uns zum Achterdeck.� Aber Fleet hielt uns zurück. �Bringen Sie gefälligst Ihre Kleidung in Ordnung, bevor Sie die Kabine Master Flanagans betreten. Das bitte ich mir aus, und richten Sie das bitte auch Mister Pickens uns! � Flanagan war schon ein paar Schritte voraus. Bestimmt hatte er die letzten Bemerkungen Fleets gehört, her er reagierte nicht. �Sir, wir haben heute Nacht mit den Eingeborenen gekämpft�, konterte Jonny aufsässig, aber das half ihm bei Fleet wenig. �Die Schlacht ist vorbei, Mister Jonny. Und da Sie noch leben - ich hätte Sie in diesem desolaten Zustand nicht einmal ins Seemannsgrab gleiten lassen - richten Sie sich gefälligst auch wieder so her, wie ein normaler Seemann seiner Majestät auszusehen hat!� Pickens war ganz grün im Gesicht, und Fleet watschelte davon. In seinem typischen Gang, vorbei an den angetretenen Männern der �King Charles�. Mister Fairfax folgte ihm, nachdem er uns noch einen schnellen, bedauernden Blick zugeworfen hatte. Der Junge gefiel mir - und Jonny auch. Und wir sollten uns in ihm nicht getäuscht haben. Auf dem Achterdeck machte Master Flanagan Fleet mit Nemo bekannt. Fleet stutzte einen Moment, das sah ich deutlich, aber dann schüttelte er dem Riesen erfreut die Hand.

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Jonny knuffte mich ziemlich unsanft in die Rippen. �Ich habe es dir gesagt, Bonty, dieser Fleet führt wieder etwas mit uns im Schilde. Oh verdammt, wenn das so weiter geht, kann mich die ganze unchristliche Seefahrt mal. Dann wird� ich bei Cookie in London Rausschmeißer!� Jonny war wütend, das spürte ich. Ich weniger, mich hatte eine kaum zu bezwingende Neugier gepackt, was Fleet wohl mit uns vorhatte. Wir wuschen uns mit einer Pütz Seewasser, dann zogen wir neue Sachen an und verfügten uns ebenfalls zum Achterdeck. Auch Pickens erschien umgezogen und gewaschen wieder an Deck, aber er hatte seine Fassung noch längst nicht wieder gefunden. �Das ist ja unerträglich!� zischte er uns zu, bevor uns Mister Finn durch einen Wink aufforderte, uns zur Kabine des Masters zu bemühen. An dem schweren Eichentisch Master Flanagans hatten sie alle Platz genommen. Der Tisch war � wie alle schweren Möbel � fest im Boden verankert, damit er sich bei hohem Seegang nicht selbständig machen konnte.

* An der Steuerbordschmalseite des Tisches saß Master Fleet. An der Backbordschmalseite Master Flanagan. Er hatte Fleet also aus Höflichkeit die Steuerbordseite überlassen. Ein weiterer Beweis, wie hoch Master Flanagan seinen Retter und Gast einschätzte, denn ihm als Master der �King Charles� hätte die Steuerbordseite zugestanden. An der Längsseite des Tisches hatten Master Nemo, Mister Finn, zu meinem Erstaunen auch Mister Bunk Platz genommen. Dorthin wurden jetzt auch Mister Pickens, Jonny und ich dirigiert. Master Fleet warf uns beiden einen stirnrunzelnden Blick zu, aber ich wußte ihn mir nicht anders zu deuten, als daß er mißbilligte, daß wir ihn und Flanagan hatten warten lassen. Er sagte jedoch nichts. Sein grauer Zylinder lag glänzend und piksauber vor ihm auf der Tischplatte. Außerdem stand dort ein Glas � wie vor allen anderen auch �, das mit Rum gefüllt war. Ein Sonnenstrahl, der das Glas durch eines der aus dicken Bleiglas bestehenden Fenster traf, ließ den Rum goldgelb aufleuchten. Jonny warf einen begehrlichen Blick auf das Glas und leckte sich dabei die Lippen. Master Flanagan sah das, und ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. Nachdem Mister Pickens sich eingegossen hatte, schob er uns die schwere, dickbauchige Flasche zu.

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�Bedienen Sie sich, meine Herren�, sagte er, und Jonny und ich zögerten keineswegs, was abermals mit einem tut stirnrunzelnden Blick Master Fleets gerügt wurde. �Halten Sie Maß, Mister Jonny und Mister Bonty�, sagte er. �Sie werden im Lauf der Unterredung Ihre fünf Sinne noch dringend benötigen!� Wieder grinste Master Flanagan amüsiert, auch Nemo konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Aber dann wurde Flanagan ernst. �Bitte, Fleet, beginnen wir jetzt!� Mister Bunk lehnte sich zurück. Er saß ganz lässig und entspannt in seinem schweren Stuhl, beide Arme fest auf die Lehnen gestützt. Er warf Jonny und mir einen aufmunternden Blick zu. Darm begann Master Fleet. �Ich darf darum bitten, alles das, was ich Ihnen zu berichten habe, vertraulich zu behandeln. Denn es handelt sich um eine geheime Aktion. Angeordnet im Namen der Krone vom Königlichen Institut für Meeresforschung in London.� Unwillkürlich glitt mein Blick zu seinem Orden hinüber, der nach wie vor auf seiner Uniform prangte. �Sie, Mister Jonny und Mister Bonty, kennen das Ziel meiner letzten Reise. Es handelt sich um die Insel der Sieben Tabus. Ich hatte den Auftrag, Erkenntnisse zu sammeln und von den Kultgegenständen einiges sicherzustellen, für Forschungszwecke. Man muß�, fuhr er dozierend fort, �die Gebräuche und Sitten, die Kultur und die Religion der fremden Völker kennen, wenn man mit ihnen Handel treiben will. Genau genommen diente diese geheime Mission also auch der Company. Meine beiden Schiffe haben eine nach ihrem Wert kaum zu ermessende Ladung, und genau da liegt das Problem, das ich so oder so bewältigen muß.� Fleet machte eine Pause, aber Jonny konnte sich nicht bremsen. Er war schon eine ganze Weile lang unruhig auf seinem Stuhl hin und her gerutscht. �Und was haben wir damit zu tun, Sir? Ich meine, Bonty und ich?� fragte er unverblümt. Master Fleet hob sein Glas und nahm einen wohldosierten Schluck von seinem Rum. Dann sah er Jonny und mich scharf an. Seine wulstigen Lippen wölbten sich leicht vor. �Haben Sie gefälligst die Güte abzuwarten, bis ich auf Sie zu sprechen komme. Im übrigen sind Sie beide in dieser Runde wohl kaum befugt, mich mit überflüssigen Fragen zu unterbrechen!�

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Peng, das saß mal wieder. Der alte Fleet hatte sich wirklich nicht verändert. �Bevor ich zur Insel der Sieben Tabus segelte, lief ich jene Insel an, auf der eine gewisse Nuana, ihres Zeichens Häuptlingstochter, lebt. Wir wurden sehr freundlich empfangen, Mister Bonty. Und Nuana fragte sofort nach Ihnen. Im übrigen, ein scharfer Blick aus seinen grauen Augen traf mich, �hatte jene Nuana einen kleinen Eingeborenenjungen an der Hand. Ihren Sohn, wie sie mir stolz erklärte. Nur war er merkwürdigerweise blond. Eine recht ungewöhnliche Erscheinung in jenen Breiten.� Wieder traf mich ein scharfer Blick. �Ich bin der Sache nicht nachgegangen, denn es gab Wichtigeres zu tun.� Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Nuana � ja wir hatten uns an Bord der �Scout� geliebt, nachdem ich sie aus dem Käfig der Hohepriester auf der Insel der Sieben Tabus gerettet hatte. Aber, Himmel, war dieser Junge Nuanas etwa mein Sohn? Jonny grinste mir zu, dann hob er sein Glas und trank ostentativ einen Schluck. �Auf deine Vaterschaft, Mister Bonty�, sagte er leise, und mir schwirrte der Kopf. Aber Master Fleet ließ mir keine Zeit zu weiteren Überlegungen. �Ich erkundigte mich bei Nuanas Vater nach der Insel der Sieben Tabus, ich sagte ihm auch, was ich dort wollte. Dabei erfuhr ich, daß das ein Unternehmen auf Leben und Tod werden würde, und allein könne ich das niemals durchstehen. Um es kurz zu machen: Der alte Häuptling bot mir seine Hilfe an. Er schickte einen seiner Unterführer mit einigen hundert Kriegern in Langbooten mit, und die sollten sich tatsächlich als unsere Rettung erweisen. Wir wurden, kurz nachdem wir die Insel erreicht hatten, von den Eingeborenen überfallen. Die Insel selbst sah nicht mehr wie früher aus, denn inzwischen hatte dort ein gewaltiger Krieg getobt.� Wieder schwieg Master Fleet einen Moment. �Zusammen mit den Kriegern Nuanas vermochten wir uns gegen die Angreifer zu behaupten. Aber ich verlor dreizehn meiner Männer. Unter ihnen auch Mister Scinders, meinen Zweiten Offizier und auch Mister Long, meinen Vierten Offizier.� Wieder nahm Master Fleet einen Schluck Rum, und wir folgten seinem Beispiel. Ich war zusammengezuckt. Scinders � Jonny und ich kannten ihn nur zu gut. Er war wohl der meist gehaßte Mann an Bord der �Scout� gewesen. Ein Leuteschinder, aber ein hervorragender Seemann.

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�Sir� wagte ich eine zögernde Frage. �Bitte, Mister Bonty?� �Wie geschah das mit Mister Scinders?� �Ein Pfeil, Mister Bonty, auf jener Brücke mit den Steinschleusen. Die Wächter mit den goldfarbenen Umhängen. Scinders ignorierte meinen Befehl, in Deckung zu gehen. Ich wußte ja, was folgen würde. Ich habe nicht vergessen, daß Sie und Jonny mir damals das Leben gerettet haben. Scinders könnte noch leben, Mister Bonty.� �Aber zur Sache�, fuhr Master Fleet fort. �Auf der Fahrt zur Insel der Sieben Tabus entdeckten wir in einer Bucht einer Insel, deren Name ich weder kenne noch erfahren konnte, die �Medusa'. Das Schiff lag vor Anker. An Bord befand sich offenbar kein Mensch. Das kam mir verdächtig vor, und so sahen wir uns diese Galeone, die übrigens ein verhältnismäßig neues Schiff und ein hervorragender Segler ist, näher an. Tatsächlich befand sich an Bord nur ein einziger Mann, die Ankerwache. Und dieser Kerl war stockbetrunken. Natürlich verhörte ich ihn. Von ihm erfuhren wir, daß seine Kameraden sich an Land befanden. Über das Schicksal von Kapitän und Offizieren kriegte ich nur heraus, sie seien im Fieber gestorben. Keiner der Männer sei imstande, die �Medusa' wieder nach England zu segeln. Auch der Steuermann und der Bootsmann seien tot. Ich berichte das alles so ausführlich, weil es wichtig ist.� Fleet sah Master Flanagan an. �Die Kerle fand ich an Land, nachdem ich mit einem bewaffneten Kommando übergesetzt und die �Medusa' Im Namen des Königs requiriert hatte. Sie lebten in Hütten, und wie ich sah, nicht einmal schlecht. Denn die Insel verfügte über mehrere Quellen und bot den Kerlen genügend Möglichkeiten, sich zu ernähren. Eingeborene fanden sich auf diesem Eiland jedoch nicht. Natürlich verhörte ich auch diese Kerle. Eine Bande von Galgenvögeln, für die der Strick bestimmt längst gedreht ist. Besonders einer von ihnen fiel mir auf, ein gewisser John Delany, den sie aber den Schwarzen John nennen. Vor diesem Kerl, der aber ein guter Seemann ist, muß man sich hüten! � Dies sagte Master Fleet und sah Jonny und mich eindringlich an. �Ich erfuhr lediglich, was mir die Ankerwache auch schon gesagt hatte. Aber ich glaubte den Kerlen kein Wort. Für mich ist klar, daß sie Kapitän und Offiziere umgebracht haben, aus irgendeinem Grund. Meuterer, Mörder also, die ich hätte hängen lassen müssen, und zwar auf der Stelle. Aber das war unmöglich � wer hätte die ,Medusa' dann gesegelt? Also stellte ich die Kerle vor die Wahl: Zurück an Bord, oder

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an die Rah. Daß ich es ernst meinte, haben sie kapiert, als ich einen der Kerle, der sich als renitent und gewalttätig erwies, kurzerhand mit fünfundzwanzig Hieben kurieren ließ. Murrend fügten sie sich, und Mister Johnson, mein Erster Offizier, wie Sie alle wissen, übernahm das Kommando über die �Medusa'. Aber dadurch und durch den Umstand, daß Mister Johnson natürlich auch ein paar handfeste Männer aus der Crew der ,Explorer' benötigte, sind beide schiffe völlig unterbemannt. Außer Mister Fairfax befindet sich an Bord meines Schiffes kein weiterer Offizier. Bei kritischer Wetterlage bin ich zum Segelbergen aufgeentert wie jeder andere Mann auch. Das ist kein Dauerzustand. Und daher meine Bitte an Sie, Flanagan: Ich brauche von Ihnen ein paar Männer, um meine beiden Schiffe sicher nach Madras segeln zu können, in die dortige neue Faktorei. Dort werden einige Kriegsgaleonen bereits liegen oder die Faktorei doch anlaufen. In ihrem Geleit werde ich meine Reise dann nach London fortsetzen. Bei der Ladung, die meine beiden Schiffe. mit sich führen, ist Vorsicht nun mal der bessere Teil der Klugheit. Ich kann und darf weder die Forschungsergebnisse noch die Ladung meiner Schiffe gefährden.� Er sah Master Flanagan erwartungsvoll an. Und der blickte eine ganze Weile vor sich auf die Tischplatte. Dann nahm er entschlossen einen Schluck Rum und sah Jonny und mich dabei an. Uns beiden wurde schlagartig klar, um was es jetzt gehen würde. Jonnys Gesicht wirkte wieder, als habe er auf eine Ladung fauler Zitronen gebissen. �Verdammt, Bonty�, zischte er mir zu, �jetzt geht es um unser Fell, aber ich werde mich meiner Haut wehren!� Jonny behielt recht. Master Flanagan blickte wieder auf. �Ganz abgesehen davon, daß Sie die Vollmachten hätten, Männer der ,King Charles' zu requirieren, Fleet�, sagte er, �schulden wir alle Ihnen unser Leben. Es ist selbstverständlich, daß ich Ihnen helfe. Wie viele Männer brauchen Sie?� �Ungefähr zehn, denke ich. Und Mister Jonny wie Mister Bonty möchte ich als Offiziere haben. Sie kennen mich, sie werden in meinem Sinne zu handeln verstehen.� Da war es heraus, und mir blieb gar nichts anderes übrig, als Master Flanagan einen flehenden Blick zuzuwerfen, während Jonny vor Wut fast weiß im Gesicht wurde. Aber dennoch beherrschte er sich. In diesem Moment meldete sich Master Nemo zu Wort. �Ich stelle mich Ihnen gerne zur Verfügung mit meinen Männern, Fleet. Ich bin hier Gastkapitän auf der ,King Charles' seit meiner Rettung in

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Japan. Es wird höchste Zeit, daß ich in mich wieder einmal betätige. Wenn Sie mir also ein Kommando übertragen wollen?� Er blickte Fleet fragend an. Master Fleets Gesicht hellte sich auf. �Nemo�, sagte er. �Ich habe viel von Ihnen gehört. Sie sind ein Mann nach meinem Geschmack. Natürlich nehme ich Ihr Angebot an. Ich bin hocherfreut, daß sich meine Probleme so lösen lassen. Allerdings ...� Fleet sah Jonny und mich plötzlich wieder an. �..allerdings�, wiederholte er, �hätte ich dennoch gerne Mister Jonny und Mister Bonty dabei.� Einen Moment nahm sein Gesicht einen sehr nachdenklichen Ausdruck an. �Sir, Sie haben uns doch ...� wandte Jonny ein, aber da geriet er bei Fleet an die falsche Adresse. Denn der nachdenkliche Blick aus Fleets Augen verschwand schlagartig. Ärger machte sich in seinem Gesicht breit. �Ich wiederhole mich nicht gern, Mister Jonny. Sie sollten das eigentlich wissen. Mir scheint, es würde Ihnen zur Auffrischung Ihrer Erinnerung gut tun, mal wieder eine Weile unter meinem Kommando zu segeln!� Master Fleet richtete sich aus seiner bequemen Haltung plötzlich auf. Der Ärger in seinem Gesicht wich einem fast väterlichen Ausdruck. �Aber das liegt nicht in meiner Absicht, Mister Jonny. In meiner Absicht liegt vielmehr, und darin bin ich sicher mit Master Flanagan einer Meinung, Sie beide, Mister Jonny und Mister Bonty, zu tüchtigen Offizieren heranzubilden, wie sie die Krone braucht. Hören Sie mir also jetzt gut zu, und unterbrechen Sie mich gefälligst nicht wieder! � Fleet hob seinen Rum an die Lippen und trank einen Schluck. �Master Nemo hat sich bereiterklärt, vorübergehend in meine Dienste zu treten. Er wird also Ihr Master auf der �Medusa' sein. Sie fungieren dort als seine Offiziere. Aber ich bitte Master Nemo darum, Sie beide dieses Schiff voller Galgenvögel segeln zu lassen. Sie werden das Kommando an Bord haben. Ich will sehen, ob Sie sich durchsetzen können und ob Sie imstande sind, eine Galeone wie die �Medusa' selbständig nach Madras zu segeln. Das wird wichtig sein für Ihre weitere Laufbahn.� Ich glaubte nicht richtig gehört zu haben. Was hatte Fleet sich da wieder ausgekocht? Ich sah Nemo an, und der nickte mir nur unmerklich zu.

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Auch Jonny starrte Fleet an, der seinen Bauch vorgewölbt hatte und uns ansah, um unsere Reaktion zu beobachten. Jonny hatte es ebenfalls die Sprache völlig verschlagen. Master Flanagan unterbrach die Stille. �Ein gutes Angebot, Mister Jonny, Mister Bonty�, sagte er nur. �Das erhält sonst kaum jemand in Ihrem Alter!� Seine Stimme klang ernst. Aber Fleet war noch nicht fertig. �Master Flanagan hat es erfaßt. Ein Angebot an Sie beide, kein Befehl. Sie können sich durchaus auch dafür entscheiden, an Bord der ,King Charles' zu bleiben. Also, wie entscheiden Sie sich? Wobei Mister Jonny als der Ältere mit Master Nemo im Hintergrund, der immer dann eingreifen wird, wenn es notwendig erscheint, eine Quasi-Masterposition innehaben wird, Sie die des Ersten Offiziers. Mister Johnson kehrt zurück an Bord meiner �Explorer'. Sie werden mit dieser Bande von Galgenvögeln auf sich allein gestellt sein. Unterstützung fürs Achterdeck sind für Sie die von Master Nemo ebenfalls angebotenen Männer; die Sie ja kennen. Also, was ist?� Ich war verwirrt. Dieser Fleet war völlig unberechenbar. Doch ich spürte, daß dieser Mann uns wirklich eine Chance gab, denn selbstverständlich würde er dem Königlichen Institut für Meeresforschung über alles genau berichten. Aber es kam noch besser, denn Fleet setzte seinen Erklärungen noch etwas hinzu. �Natürlich segeln wir im Verband, und sowohl die �Explorer' als auch Master Flanagan werden Ihnen zu Hilfe kommen, falls es Schwierigkeiten an Bord der �Medusa' geben sollte, was durchaus der Fall sein könnte. Ich erwarte allerdings von Ihnen, daß Sie von Anfang an hart durchgreifen. Die �Medusa' ist von ihrer Besatzung her nicht die ,King Charles', sondern die Hölle.� Damit hatte Fleet uns endgültig. Wir konnten ja gar nicht mehr ablehnen, ohne den Anschein zu erwecken, Angst zu haben. Jonny und ich sahen uns kurz an, dann Master Flanagan. �Wir nehmen an, Sir�, sagte Jonny dann für uns beide. Master Fleet hob sein Glas. �Darauf sollten wir alle miteinander anstoßen. Sie haben gut entschieden. Natürlich ist Ihnen beiden eine recht erkleckliche Prämie sicher, die Ihnen in London ausbezahlt werden wird. Und Ihnen, Nemo, natürlich auch. Das wär's dann wohl. Legen Sie bitte Ihre Uniformen an, und dann verfügen Sie sich unverzüglich an Bord der ,Medusa'!� .Jonny zuckte zusammen.

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�Uniformen, Sir?� fragte er verdattert. Die hatte er ganz vergessen, als er für uns beide zusagte. �Selbstverständlich, Mister Jonny. Es ist üblich, daß an Bord meiner Schiffe Uniform getragen wird. Also werden Sie gefälligst �� Master Nemo unterbrach ihn. �Einen Moment, Fleet. Da gibt es einen Punkt zu bedenken.� Fleet setzte sich steil in seinem Stuhl auf. �Im allgemeinen pflege ich meine Anordnungen nicht zu diskutieren. Aber bitte sprechen Sie!� sagte er verärgert, denn das Ganze ging ihm entschieden gegen den Strich. �Nun, Fleet, für mich haben Sie bestimmt keine Uniform. Oder doch? Dann wäre das Problem erledigt. Wenn nein, dann würde das Achterdeck eine reichlich merkwürdige Erscheinung abgeben. Beide Offiziere in Uniform und der Master nicht. Das würde sogar einen außerordentlich schlechten Eindruck auf die Mannschaft machen.� Fleet schluckte. Etwas zu hastig nahm er einen gewaltigen Schluck Rum und lief rot an. �Hm�, hörten wir ihn dann brummen. Quengelig und maßlos enttäuscht, während Mister Pickens vor Aufregung den Schluckauf kriegte. �Hm, ich kann Ihre Argumente nicht von der Hand weisen, obwohl mir das ganz und gar nicht gefällt. Die Uniform ist das moralische Rückgrat eines Schiffsoffiziers, und sie distanziert ihn von der Mannschaft ...� Verbiestert kaute er auf seiner Unterlippe herum. �Also gut, keine Uniformen für Mister Bonty und Mister Jonny. Aber ich bitte mir eine untadelige Kleidung aus, meine Herren. Ich werde das kontrollieren.� �Donnerwetter, der Alte ist eben über seinen eigenen Schatten gesprungen, das hätte ich nie für möglich gehalten�, raunte uns Mister Pickens zu, den immer noch sein Schluckauf plagte. Aber Fleet hatte diese Bemerkung gehört, obwohl wir schon Mühe gehabt hatten, Pickens zu verstehen. �Mister Pickens, ich bin noch zu ganz anderen Dingen fähig, wenn es sich als vernünftig und als notwendig erweist. Sie sollten das nicht herausfordern!� Pickens kroch entsetzt in sich zusammen, und Flanagan lachte plötzlich laut los. �Vielleicht sollten Sie wirklich einmal eine Weile unter Fleets Kommando fahren, Pickens�, sagte er dann. �Es gibt da so einige kleinen Eigenheiten bei Ihnen, die ich Ihnen leider bisher nicht austreiben konnte. Zum Beispiel Ihr allzu guter und leutseliger Kontakt

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zur Mannschaft. Aber lassen wir das, ich brauche Sie leider dringend hier an Bord.� Pickens war ganz bleich geworden. Er sah sich wohl schon wieder in die verhaßte Uniform gezwängt und mit dem unvermeidlichen Zylinder auf dem Kopf an Bord der �Explorer�. Auch Mister Finn und Master Nemo lachten. Dann erhob sich Fleet. �Es ist Zeit meine Herren. Wir sollten uns jetzt noch, um den Gefangenen an Deck kümmern. Ich möchte doch gerne wissen, was diesen heillosen Zorn der Eingeborenen heraufbeschworen hat. Ich befürchte Schlimmes! � Master Flanagan nickte zustimmend, und wir marschierten an Deck. Uns allen voraus watschelte Master Fleet im Eiltempo.

* Bevor wir das Schott zum Hauptdeck erreichten, hielt Mister Bunk uns beide noch mal kurz zurück. �Eine wirklich gute Chance, Bonty�, sagte er. Dabei sah er auch Jonny an. �Aber paßt auf euch auf. Ich teile die Meinung von Master Fleet. Diese Kerle sind Meuterer und Galgenvögel. Sie werden den Teufel tun und nach England zurücksegeln. Dort warten peinliche Fragen auf sie, vielleicht sogar der Galgen. Habt vor allem ein Auge auf diesen Schwarzen John. Viel Glück! � Mister Finn trat ebenfalls zu uns. �Mister Bunk hat recht. Paßt auf euch auf, die Kerle auf der �Medusa' sind bestimmt gefährlich. Übrigens: Sollte ein Sturm aufkommen und die Schiffe des Verbandes sich aus der Sicht verlieren, dann ist unser Treffpunkt die große Bucht an der Südspitze von Timor. Master Nemo weiß auch Bescheid, das wurde besprochen, bevor ihr in der Kabine des Masters gewesen seid. Master Flanagan schlug das vor, und Fleet stimmte zu. Also nochmals, viel Glück! � Mister Finn wollte gehen. Aber Jonny hielt ihn zurück. �Sir�, sagte er, �würden Sie uns helfen, in Madras wieder an Bord der ,King Charles' zu kommen? Nicht, daß Fleet uns in Madras entweder auf der �Medusa' läßt oder sogar auf seine ,Explorer verholt.� Mister Finn mußte lachen. �Ich werde Master Flanagan das vortragen, aber erst, wenn ihr von Bord seid. Und jetzt beeilt euch, oder ihr handelt euch einen Rüffel von Master Fleet ein! �

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Jonny und ich sausten los. Master Fleet stand bereits vor dem Eingeborenen, den wir an den Großmast gefesselt hatten. Fasziniert sah ich zu, wie der dicke Fleet dem Eingeborenen allerlei Zeichen machte, aber der rührte sich nicht. Er verstand einfach nicht, was Fleet von ihm wollte. Master Fleet wurde ärgerlich. �Dieser Kerl ist renitent! � sagte er. �Man sollte kurzen Prozeß mit ihm machen, ich ...� Master Flanagan schob Fleet beiseite. Energisch diesmal, wie ich sah. Dann winkte er China-Harry heran. �Versuchen Sie bitte Ihre Glück, Harry�, sagte er. �Sie kennen sich mit der Zeichensprache aus. Fragen Sie, wer sich auf der Dschunke befunden hat mit der wir kollidierten.� China-Harry nickte. Dann begann er dem Eingeborenen Zeichen zu machen. Aber Flanagan unterbrach ihn. �Losbinden den Mann, er muß die Furcht vor uns verlieren, sonst erfahren wir nichts von ihm.� Harry zog sein Messer und zerschnitt die Fesseln. Dann beruhigte er den Eingeborenen durch Zeichen und steckte das Messer in den Gürtel zurück. Wieder arbeitete er mit den Fingern und Händen � und diesmal verstand der Eingeborene. Er sagte ein paar Worte, die Harry jedoch nicht verstand. Gleich darauf begann auch der Eingeborene mit der Zeichensprache. Es wurde ein umständliches Palaver, das die beiden sehr zum Ärger Master Fleets abhielten, denn Fleet war ungeduldig. Schließlich nickte Harry. Er wandte sich Master Flanagan zu. �Es ist eine schlimme Sache, Sir. Wir haben mit unserer �King' die Dschunke des Königs von Taliahoe versenkt. Eine Insel, die östlich vom Banggai Archipel liegt. Der König kam bei der Kollision ums Leben und seine gesamte Leibgarde auch. Der König von Taliahoe wollte den Herrscher von Banggaai besuchen. Es ist zu vermuten, daß die Langboote des Königs jetzt die Krieger von Banggaai alarmieren, das sind Tausende.� Master Flanagan hatte aufmerksam zugehört. Dann entschied er sich. �Wir segeln, Fleet. Sofort. Ich habe keine Lust, mich mit Tausenden von Kriegern herumzuschlagen. Den Mann da, den setzen wir bei der nächsten Insel aus, die wir passieren. Daran dürfte in dieser Gegend kein Mangel herrschen.� �Ja, wir sollten von hier verschwinden, so rasch wie möglich�, erwiderte Fleet. �Die Situation ist ernst. Wahrscheinlich war dieser König von

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Taliahoe so eine Art Gottheit für die Eingeborenen, das ist in dieser Gegend oft der Fall. Und wenn dieser Gottheit etwas zustößt, dann kämpfen sie bis zur Selbstvernichtung. Weil sie anderenfalls die viel schlimmere Rache des Toten zu befürchten hätten. Also, Mister Bonty, Mister Jonny, lassen Sie für sich und Master Nemo und seine Männer ein Boot zu Wasser bringen. Beeilen Sie sich, die �Medusa liegt dort drüben.� Master Fleet wollte sich zum Gehen wenden. Er wurde aber auf eine recht ungewöhnliche Art daran gehindert. El Pomado, unser Spanier, der mit der Katze zusammen in unmittelbarer Nähe Master Fleets stand, trat auf Fleet zu. Genauer gesagt, er verlegte ihm sogar den Weg. Fleet blickte El Pomado an, als müsse er erst einmal feststellen, was für ein Wurm sich da erdreistete, ihm in den Weg zu geraten. Aber El Pomado hatte Mut gefaßt, und ich befürchtete Schlimmes. Ich kannte seine Schwärmerei für Master Fleet, seit er den Zeitungsartikel über die Forschungsreise der gesunkenen �Scout� gelesen hatte. �Sir�, sagte er und nahm unwillkürlich Haltung an. �Ich habe den Artikel über Sie in der Zeitung gelesen. Sie sind ein berühmter Mann, und ich würde mich freuen, einmal unter Ihrem Kommando zu segeln.� Das war Fleet offenbar noch nie passiert. Er blickte den Spanier einen Moment lang an, als habe sich sein sonst so scharfer Verstand plötzlich verflüchtigt. Aber dann faßte er sich. Er wippte auf seinen großen, platten Füßen ein paarmal hin und her, den Bauch vorgewölbt. Dabei fixierte er El Pomado aus schmalen Augen. �So�, sagte er. �Sie möchten also zu mir an Bord? Hm, bemerkenswert, wirklich bemerkenswert.� Er wandte sich zu Master Flanagan herum. �Überlassen Sie mir den Mann bis Madras, Flanagan? Und den daneben eventuell auch?� Er deutete auf Pete Bird, die Katze. �Wenn ich mich recht erinnere, hatte dieser Mann dort keinen Namen, er nannte sich die Katze oder so ähnlich.� Pete Bird streckte abwehrend die Hände aus, als müsse er einen bösen Geist beschwören, aber Flanagan nickte Master Fleet ungerührt zu. �Gut, bis Madras, ich komme mit den verbleibenden Männern noch aus. Gute Seeleute, beide�, fügte er noch hinzu. Und dann, mit einem Blick auf die beiden aus seinen blaßblauen, immer irgendwie wässerig erscheinenden Augen, sagte er:

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�Holen Sie Ihre Sachen. Ich überstelle Sie beide Master Fleet bis Madras. Viel Glück.� Master Fleet nickte dankend, während Nemo und seine Männer bereits ein Boot der �King Charles� zu Wasser brachten, damit wir zur �Medusa� übersetzen konnten. Pete Bird verpaßte El Pomado einen ziemlich unsanften Knuff in die Rippen. �Idiot!� zischte er. �Das wirst du mir büßen, so wahr Ich die Katze bin!� Fleet wandte sich ihm zu. �Ihre Angelegenheiten können Sie bei mir an Bord regeln. Mister Bäng, mein Profos, wird Ihnen gerne dabei behilflich sein.� Er lächelte süffisant, dann aber wandte er sich an El Pomado. �Name?� �El ... El Pomado, Sir ...� Fleet zog schnuppernd die Luft ein. �Man riecht's�, stellte er dann fest. �Aber ich wünschte Ihren Namen, Ihren bürgerlichen Namen, Mister Pomado. Also, wird's bald?� El Pomado kroch in sich zusammen. �Sir, ich weiß ihn. nicht. Alle nannten mich immer so, ich.. �Gut, wir werden das an Bord der Explorer noch klären. Er wird Ihnen wieder einfallen, verlassen Sie sich darauf. Ich verstehe mich auf Gedächtnistraining, Mister Pomado. Vorwärts, holen Sie Ihre Sachen und dann ins Boot mit Ihnen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.� Master Fleet reichte Flanagan die Hand. �Gut, daß Sie mit Kanonen gefeuert haben, nur so vermochte ich überhaupt festzustellen, daß da vor mir im Nebel etwas los sein mußte. Nun, etwas Glück gehört zur christlichen Seefahrt nun mal! � Fleet watschelte zum Schanzkleid, dann enterte er mit unglaublicher Behendigkeit ab. Wenig später erschienen El Pomado und Pete Bird. El Pomado hatte ein blaues Auge � jedenfalls eins, daß blau und gelb und grün werden würde. Die Katze blutete aus der Nase. Jonny lachte leise in sich hinein. �Was glaubst du, Bonty, wie geläutert die beiden an Bord der �King' zurückkehren werden ...� �Geläutert, sehr richtig, Mister Jonny. Sehr gut erfaßt, aus Ihnen wird noch etwas! � tönte es von unten aus dem Boot, in dem Master Fleet auf der Achterducht neben dem Bootssteurer saß. Jonnys Gesicht schrumpelte zusammen. Aus schmalen Augen starrte er in Richtung Schanzkleid. Mister Pickens schüttelte den Kopf, er war neben uns aufgetaucht.

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�Dieser Mensch hat die Ohren eines ...� sagte er fast unhörbar, brach dann aber vorsichtshalber ab und verschwand in Richtung Achterdeck. Auch wir enterten ab. Master Flanagan erwartete uns am Schanzkleid. �Machen Sie Ihre Sache gut, Mister Bonty und Mister Jonny. Es wird Ihnen bei der Company sehr helfen.� Er schlug uns leicht auf die Schulter. Eine Geste, die ich gerade bei Master Flanagan, der sich immer sehr distanziert verhalten hatte, nie vermutet und auch nie erwartet hätte. �Danke, Sir�, sagten wir nur, dann enterten wir ab, und Nemo und seine Männer erwarteten uns schon. Addy, der riesige Steuermann und Takelmeister Nemos, grinste uns zu. �Na dann�, sagte er und legte sich in die Riemen. Wir erreichten die �Medusa� wenig später, und damit ging für uns der Tanz gleich los. Genauer gesagt für Jonny. Und der lief zu seiner höchsten und sogar für mich überraschenden Form auf.

* Wir legten an der �Medusa� an. Ich zählte auf jeder Seite acht Geschützpforten. Weiß gestrichen zogen sie sich über den Rumpf wie weiße Bänder zu beiden Seiten. Die �Medusa� hatte keine Heckgalerie, wohl aber eine ganze Reihe von bleiverglasten Fenstern mit kostbaren Farbmustern. Die drei Masten ragten hoch auf. Das ganze Schiff machte einen ranken Eindruck, obwohl der Rumpf nicht gerade schmal war. Der Besan trug zusätzlich noch ein Rahsegel � ein Zeichen dafür, daß die �Medusa� erst kürzlich erbaut sein konnte. Jonny sah das natürlich auch. Es gibt wohl auf der ganzen Welt keinen Seemann, der sich nicht für das Schiff interessiert, auf dem er fahren soll. �Merkwürdig, Bonty�, brummte er, �Master Fleet hat keinen Ton über die Herkunft der �Medusa' verloren. Er muß das aber wissen, denn wie ich ihn kenne, hat er sich sofort danach erkundigt.� Ich mußte Jonny recht geben, auch mir kam das nicht ganz geheuer vor. Wenn man einmal davon absah, daß Master Fleet nicht gerade zu den mitteilsamsten Männern gehörte, die ich in meinem Leben bereits kennen gelernt hatte und noch kennenlernen sollte. Am Schanzkleid erschienen ein paar Männer. O Lord. das waren verdammt hartgesottene Gestalten. Einer von ihnen warf eine Jakobsleiter herab, und Jonny enterte als erster an Bord. Ich folgte ihm, dann Nemo und Addy, nach ihnen die anderen. Bei Nemo hatte zwar

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auch alles seine Ordnung, aber er handhabte manches eben gänzlich anders als Master Flanagan oder gar Master Fleet, der seine Herkunft von Kriegsgaleonen nie auch nur einen Moment verleugnen konnte. Ich sprang über das Schanzkleid � und dann trat uns ein riesiger Kerl entgegen, der im linken Ohr einen großen goldenen Ring trug. Außerdem hatte er pechschwarze Haare, einen Riesenschnauzbart und olivfarbene Haut. Er starrte Jonny an, und dann lachte er dröhnend. �He, Männer, wir haben einen Zwerg an Bord!� Er wandte sich an Jonny. �Junge, das ist hier ein Schiff und nichts für Windelpisser. Mensch, hau schnell wieder ab, oder ich schmeiße dich über Bord!� Wir nannten Jonny auch oft �Kleine Hölle�. Nicht ohne Grund. Denn wenn Jonny körperlich auch keineswegs groß war und eher schmächtig wirkte, so verfügte er über mir heute noch unbegreifliche Kräfte. Außerdem konnte er ganz plötzlich explodieren, und er hatte schon manchen Riesen gefällt. Er konnte aber auf den Tod nicht leiden, wenn man ihn einen Zwerg nannte, dann wurde er schlagartig wild. So auch jetzt. Ich sah diesen zornigen, verbissenen Ausdruck in seinem Gesicht, der nichts Gutes verhieß. Mister Johnson, in diesem Augenblick noch Kapitän der �Medusa�, war mit wenigen Schritten bei uns. Auch Addy und Nemo schoben sich zwischen uns und den Riesen, der fast so groß war wie Nemo selber. Mister Johnson wollte ihn scharf zurechtweisen, aber Jonny stoppte ihn. �Lassen Sie nur, Mister Johnson. Mit diesem hirnrissigen Affen werde ich allein fertig. Und dann weiß er wenigstens gleich, woher an Bord der �Medusa' für ihn der Sturm weht! � Der Riese starrte Jonny an wie eine Erscheinung. �Ho, dieser verlauste Pinscher hat mich wahrhaftig angekläfft. Dem drehe ich den Hals um! Er will mit mir allein fertig werden, hahahaha! � Wieder lachte er dröhnend. Ein weiterer Mann, der mich sofort an Boomer erinnerte, schob sich näher heran. Ein stiernackiger Kerl mit breitem Brustkasten und mächtigen Armen. Seine beiden Beine wirkten auf mich wie Säulen, die notfalls sogar Löcher in die Decksplanken zu stampfen vermochten. Auch er musterte Jonny aus seinen kleinen, hinter dicken Fettwülsten verborgenen Knopfaugen. Dieser Kerl wirkte tückisch und gefährlich � und wir sollten noch seine nähere Bekanntschaft machen.

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�Tatsächlich, John�, bestätigte er, �das hat dieser verschrumpelte Affe gesagt!� Er staunte Jonny an wie ein Weltwunder. �Na, wir werden seine Überreste nachher von den Planken abkratzen und dann ins Meer spülen! Ho, das wird vielleicht ein Fest!� Wieder wollte Mister Johnson einschreiten, aber wieder stoppte ihn Jonny. Und Mister Johnson, der Jonny und mich ja von der �Scout� her sehr genau kannte, gab wieder nach. Jonny stand jetzt vor dem Schwarzen John. Hinter Mister Johnson gruppierten sich ein paar Männer mit Musketen. Die Leibgarde Johnsons sozusagen, und die hatte Johnson auf diesem Höllenschiff wohl auch verdammt nötig. �Hast du außer deinem großen Maul auch noch andere Sachen auf Lager?� fragte Jonny tückisch, und ich wußte, daß jetzt gleich etwas geschehen würde. Der Schwarze John, der natürlich nicht wissen konnte, welche Position Jonny auf der �Medusa� bekleiden würde, lief vor Wut rot an. �Jetzt reicht es, du aufgeblasene Kakerlake!� brüllte er. �Dir reiße ich den Arsch auf bis zum Kinn!� Er stürzte sich auf .Jonny. Das heißt, er wollte das tun, rannte aber ins Leere. Doch er fing sich rasch und schnellte herum. Auf diesen Moment hatte Jonny gelauert. Er vollzog eine blitzschnelle Drehung und knallte Johnson dann seine Rechte gegen den Schädel. Er benutzte genau den Schlag, den Pickens bei Boomer zu unserer Überraschung angewendet hatte. Der Wallop von Jonny hatte eine furchtbare Wucht. John wurde regelrecht zur Seite gefegt. Und noch ehe er irgendetwas tun konnte, rannte Jonny ihm den Schädel in den Leib. Der Schwarze John ächzte, dann kippte er um. Er schlug schwer auf die Planken und rührte sich nicht mehr. Addy bückte sich � und als der andere bullige Kerl sich auf Jonny stürzen wollte, verpaßte Addy ihm einen Hieb, der ihn gegen den Großmast warf. Danach bückte er sich und untersuchte den Schwarzen John. Als er sich wieder aufrichtete, funkelten seine Augen. �Beachtlich. Jonny, wirklich beachtlich. Diesen Ochsen mit einem Hieb zu fällen ...� Jonny grinste hart. �Noch jemand?� fragte er scharf. �Und damit ihr verdammten Dreckskerle Bescheid wißt: Das dort ist Master Nemo, er übernimmt die ,Medusa' ab sofort. Ich bin sein Erster Offizier, das dort�, er deutete auf mich, �ist der Zweite Offizier. Das wäre alles. In die Wanten mit

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euch, oder wollt ihr hier anwachsen und warten, bis Tausende von Kriegern vom Banggai-Archipel über uns herfallen? Hoch mit dem Anker, oder uns holt hier alle der Teufel!� Das und die Niederlage ihres gefürchteten Anführers bewirkten Wunder. Niemand kümmerte sich mehr um den Schwarzen John. Er blieb liegen, wo er lag. Die Kerle enterten auf, und verflucht, schlechte Seeleute waren sie nicht, das erkannten wir sofort. Jonny sah Master Nemo an. �Entschuldigung, Sir. Ich habe Ihnen vorgegriffen, aber mir schien das der richtige Augenblick für eine derartige Erklärung.� Nemo klopfte Jonny auf die Schulter. �Schon in Ordnung, Jonny. Dies hier ist die �Medusa' und nicht die ,Explorer'! � Dabei grinste er uns an. Ja, verdammt, dieser Nemo war schon ein Mordskerl, auch wenn er oft beängstigend finster wirkte. Wir gingen ankerauf, die Segel blähten sich im Wind, und bald segelte unser Verband von drei gut bewaffneten Galeonen auf Kurs Süd davon. Wir staffelten schräg hintereinander. Vorweg wir mit der �Medusa�. Uns folgte die �Explorer� und etwas seitlich gestaffelt als letzte und gleichzeitig als Sicherungsfahrzeug die �King Charles�. Nemo winkte Jonny und mich aufs Achterdeck. �Nehmen Sie sich ein paar meiner Männer mit und inspizieren Sie das Schiff. Besonders das Batteriedeck. Aber auch die Laderäume � na, Sie kennen das ja. Dann stellen Sie einen Mann mit geladener Muskete vor die Pulverkammer. Sicher ist sicher. Nein, besser einen Doppelposten von meinen Männern. Anschließend zu mir zu einer Besprechung. Wir wollen unseren Kurs abstecken.� Mir war klar, was Master Nemo mit �Kurs abstecken� meinte. Dieses Schiff hatte wirklich eine Bande von Halsabschneidern an Bord, die ganz gewiß keinen Moment zögern würden, über uns herzufallen und uns niederzumachen, wenn wir ihnen auch nur die geringste Chance dazu boten. Jonny, ich, Addy, Addys Bruder Fips und George, ein bärenstarker Kerl, zogen los. Wir inspizierten die �Medusa� gründlich bis zum Kielschwein. Aber dieses Schiff war in Ordnung. Und im Batteriedeck würden wir rasch die Fleetsche oder Flanagansche Ordnung herstellen lassen. Jonny und ich waren nicht umsonst Spezialisten für so etwas. Das hatte uns sowohl Master Flanagan als auch Master Fleet beigebracht.

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Jonny trafen verstohlene Blicke, aber die Kerle hüteten sich, ihn zu reizen oder ihm auch nur zu nahe zu kommen. Die Sache mit dem Schwarzen John hatte Jonny den nötigen Respekt verschafft, und zwar von Anfang an. Und das war gut so. Wir kehrten zu Master Nemo aufs Achterdeck zurück und erstatteten ihm Meldung. �In Ordnung�, sagte er nur. �Folgen Sie mir jetzt in meine Kabine, wir haben einiges miteinander zu besprechen. Addy und die anderen behalten unterdessen die Kerle im Auge. Genauer gesagt, vor den Läufen ihrer Musketen.� Master Nemo ging voraus, und wir folgten ihm. Der Schwarze John ging wieder seiner Arbeit nach, als sei nichts geschehen. Aber ich war ganz sicher, daß er seine Niederlage nicht so einfach einstecken würde und beschloß, ein wachsames Auge auf diesen Kerl zu halten.

* Mister Johnson hatte die �Medusa� mit dem Boot der �King Charles� verlassen. Ich hatte noch beobachtet, wie unser Beiboot an der �Explorer� längsseits schor, Mister Johnson und seine Leibgarde waren dann an einer Jakobsleiter aufgeentert. Anschließend hatte das Boot die fahrt zu der ihm entgegensegelnden �King� fortgesetzt und war dort an Bord gehievt worden. Bevor Mister Johnson jedoch von Bord gegangen war, hatte er mit Master Nemo noch eine Unterredung gehabt, deren Inhalt Jonny und mir aber nicht bekannt war. Ich erwähne das, weil es von Wichtigkeit ist. Die Kapitänskabine der �Medusa� wirkte großzügig. Sie war solide und geschmackvoll eingerichtet. In die Bordwände eingelassene Schränke und Regale mit hohen Schlingerleisten, alles in Mahagoni ausgeführt, vervollständigten das Bild. Ebenso verhielt es sich mit den Offizierskammern, die Jonny und ich später bezogen. Die Erbauer der �Medusa� hatten an nichts gespart. Das traf gleichermaßen für das Innere des Schiffes wie auch für die Takelage und alles andere zu. Mir war klar, daß Master Fleet für diese Prise einen ganz hübschen Batzen Geld einheimsen würde. Von der wertvollen Ladung, überwiegend goldene Kultgegenstände, mal ganz abgesehen. Das waren in etwa meine Gedanken, als wir die Kabine betraten, in der Master Nemo schon auf uns wartete. Mit einer Handbewegung lud er uns ein, an dem fast auf allen Schiffen obligatorischen Bohlentisch

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Platz zu nehmen. Nemo wirkte ernst, und ich sah, daß er sich Sorgen machte. �Ich will nicht lange drumherum reden�, begann er, �wir befinden uns an Bord der �Medusa' in einer gefährlichen Situation. Die Kerle da oben werden alles versuchen, um nicht nach London segeln zu müssen. Wir werden aufpassen müssen, daß sie nicht irgendwann in einer günstigen Stunde über uns herfallen. Daher muß ab sofort jeder von uns ausreichend bewaffnet sein. Und im Ernstfall, Mister Jonny, Mister Bonty, sofort schießen. Jedes Zögern, jede Nachgiebigkeit wirkt sich unter Umständen verheerend auf uns aus, weil die Kerle unsere Zurückhaltung sofort als Schwäche auslegen würden. Sie beide kennen mich von unserer gemeinsamen Zeit auf der ,Lady Jane' her als zwar harten, aber keineswegs blutrünstigen Kapitän. Ein Leuteschinder war ich nie. Wer seine Arbeit so tat, wie ich das wünschte, der hatte bei mir an Bord ein gutes Leben. Doch wie gesagt, hier auf der ,Medusa' ist das alles anders. Ich bin der Meinung wie Fleet, daß diese Kerle Kapitän und Offiziere umgebracht haben. Finde ich das heraus, dann werde ich diese Burschen allesamt dem Henker übergeben.� Nemo bot uns ein Glas Rum an, und wir nahmen natürlich an. Nach einem gehörigen Schluck richtete ich eine Frage an Nemo. �Wie ist Mister Johnson mit seinen paar Mann mit dieser Bande fertig geworden? Hat er Ihnen darüber etwas berichtet? Und gab es Vorkommnisse an Bord?� Nemo nickte. �Eine gute Frage, Mister Bonty. Mister Johnson, ein gewiß friedfertiger Mann und manchmal vielleicht auch zu weich, hat einen der Männer ziemlich bald nach Antritt der Fahrt. kielholen lassen, weil er einen seiner Männer angegriffen und verwundet hatte. Der Mann, ein gewisser Baldwin, hat die Prozedur nicht überlebt. Die I Haie waren schneller. Das versetzte den Kerlen den ersten Schock. Einen zweiten, der ebenfalls etwas versuchte, hat Mister Johnson niedergeschossen. Sie sehen, auch Johnson hat sofort begriffen, wie er sich an Bord dieses Schiffes verhalten mußte. Im übrigen ist die �Explorer' Master Fleets nach diesen Vorfällen immer fast in Rufweite zur �Medusa' geblieben. Und Fleet müssen die Kerle gefürchtet haben. Ich glaube, Fleet hat uns nicht alles berichtet, was wirklich bei der Requirierung der �Medusa' geschah. Nun, Fleet ist ein harter Mann. Einer der härtesten Kapitäne, die die Weltmeere je befahren haben. Aber er ist ein guter Mann, und von ihm ist sicher noch einiges zu erwarten.�

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Nemo nahm einen Schluck Rum. �Wir segeln Kurs Timor. In der Südbucht von Timor werden wir ankern, denn Ihre �King' hat bei der Kollision doch einige Schäden erlitten, die behoben werden müssen. In diesen Breiten � ich kenne sie gut � treten häufig und innerhalb von kürzester Zeit schwere Stürme auf. Es bleibt dann kaum die Zeit, Luken und Niedergänge zu verschalken. Veranlassen Sie bitte, daß das alles sorgfältig vorbereitet wird. Wenn wir bei dieser Ladung zuviel Wasser nehmen, kann sehr leicht eine bedrohliche Lage für die �Medusa' entstehen. Sie liegt mir ohnehin zu tief im Wasser. Die Drehbassen auf dem Achterdeck werden geladen. Wenn etwas passiert, halte ich erbarmungslos dazwischen. Mein Hemd ist mir näher als den Kerlen ihre Haut. Außerdem habe ich keine Lust, mich von dieser Bande abmurksen zu lassen. Und Sie � wie bereits gesagt � verfahren ebenso. Kein Pardon, das wäre fast Selbstmord. Und Sie, Jonny, sollten ein wachsames Auge auf den Schwarzen John haben. Der Bursche gehört nicht zur Sorte derer, die eine solche Niederlage vor aller Augen einfach schlucken. Sein Image ist bei der Crew dadurch schwer angeschlagen worden! So, und jetzt an die Arbeit! � Wir verließen die Kapitänskabine. Wenn ich ehrlich bin, dann hatte ich ein verdammt beklemmendes Gefühl in der Magengrube, denn ich gab Nemo in allen Punkten recht. Jonny und ich besorgten uns von Addy jeder zwei geladene Pistolen, und die steckten wir gut sichtbar in unsere Gürtel. Ich kam gar nicht mehr dazu, über Nuana und meine eventuelle Vaterschaft nachzudenken -- und die Ereignisse, die auf uns zukamen, ließen mir auch weiterhin kaum Zeit dazu. Denn der Schwarze John war viel gerissener als wir ahnten.

* Wir alle waren eigentlich darauf vorbereitet, daß an Bord der �Medusa� etwas geschehen würde. Aber es geschah nichts. Die Männer der Besatzung verhielten sich ruhig, auch der Schwarze John. Niemand versuchte uns irgendwie zu provozieren. Mir kam das allerdings so vor wie die Ruhe vor dem Sturm, und .Jonny empfand diese auffällige Gefügigkeit, ja, dieses Wohlverhalten der Crew nicht anders. An einem sonnigen Tag lehnten wir am Schanzkleid auf dem Achterdeck. Die Masten der �Medusa� ragten mit ihren prall vom Wind

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gefüllten Segeln wie riesige Türme in den blauen Himmel. Die �Medusa� lief gute Fahrt, und sie wiegte sich auf einer langen Dünung leicht auf und ab. Master Nemo befand sich in seiner Kabine, er hatte eine Zwölf-Stunden-Wache auf dem Achterdeck hinter sich. Addy, Fips, George und Lightshower patrouillierten mit ihren Musketen über das Hauptdeck. Jeweils in Gruppen zu zwei Mann. Eine Gruppe an Steuerbord, die andere an Backbord. Jonny blickte nach achtern auf die uns unter vollen Segeln folgende �Explorer�, weiter hinten erkannten wir auch die ragenden Türme der guten alten �King�. Jonnys Gesicht hatte schon seit Tagen einen harten, verbissenen Ausdruck. Ich kannte das an ihm und wußte, daß er diesem Frieden an Bord ebenfalls aufs Höchste mißtraute. Plötzlich drehte er sich zu mir herum. �Bonty�, sagte er, �da braut sich was zusammen. Ich habe die Kerle neulich abend erwischt, wie sie sich unter Deck zusammengerottet und irgendetwas miteinander besprochen haben. Der Schwarze John gab dabei den Ton an. Aber ich konnte nicht herausbekommen, um was es sich handelte. Anschleichen war auch nicht möglich, die Kerle müssen alle Niedergänge durch Wachen abgesichert haben. Ich will verdammt sein, wenn die nichts im Schilde führen. Dieser Schwarze John ist gefährlich, denn der Kerl hat Hirn im Kopf. Ganz im Gegensatz zu dem anderen Schläger, diesem Bullen, den sie Fatso nennen. Weiß der Geier, wie er zu diesem Namen kommt, Fettsau wäre richtiger.� Ich blickte Jonny überrascht an. �Warum hast du mir nichts gesagt, Jonny? Ich sollte so was auch wissen. Und hast du es Master Nemo gemeldet?� �Für was hältst du mich eigentlich?� fragte er wütend. �Glaubst du, ich renne zum Master und schmiere ihm ungelegte Eier unter die Nase'? Nein, das hat Zeit, bis die Sache Hand und Fuß hat. Ich werde aber Addy und seinen Bruder Fips einweihen, auch George. Lightshower ist mir nicht sicher genug, der schwatzt zu gerne. Und natürlich hat er den verdammten Rübenschweinen auch schon längst seine Story erzählt. Die Kerle haben sich halbtot gelacht und gesagt, er hätte sich besser auf die ,Explorer` geschert, dort hätte Fleet ihm sicher einen standesgemäßen Zylinder verpaßt!� Jonny grinste plötzlich. �So unrecht haben die Kerle da gar nicht. Hast du bemerkt, wie sauer Fleet war, als Nemo ihm die Uniformen abspeckte?�

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Ja, das hatte ich. Aber Fleet mußte sich den Argumenten Nemos beugen. Und es wäre auch eine Unmöglichkeit gewesen, auf diesem Höllenkahn mit Schnallenschuhen, Rüschenhemd und Zylinder einherzustolzieren. Die verdammten Kerle hätten keinen von uns auch nur im geringsten ernst genommen. Bei Fleet selber war das eine gänzlich andere Sache. Den konnte sich gewiß keiner in ziviler Kleidung vorstellen. Jonny blickte in den Himmel. Die Sonne hatte den Zenit längst überschritten, in zwei, drei Stunden würde die Dämmerung hereinbrechen. Wir befanden uns an diesem Nachmittag kurz vor der Passage zwischen den beiden Inseln Mataroe und ltwaki. Hatten wir sie erst passiert, dann hatten wir noch etwa 150 Meilen bis zur Südbucht von Timor. Das war eine Strecke, die sich in rund vierundzwanzig Stunden segeln ließ, günstigen Wind vorausgesetzt. Dort würde die �King� ihre Reparaturen ausführen, außerdem würden alle Schiffe frischen Proviant und frisches Wasser an Bord nehmen. Auch diese letzte Strecke verlief völlig ruhig, aber Jonny und Nemo wurden immer unruhiger. Irgendwie spürten sie, daß etwas passieren würde. Und auf mich übertrug sich dieses Gefühl ebenfalls. Ich begann sogar, nachts schlecht und unruhig zu schlafen, und meine Pistole wie mein Entermesser lagen immer griffbereit neben meiner Koje. In der Abenddämmerung, bei einem blutroten Himmel, passierten wir die Insel Itwaki. Wir sahen hochaufragende Berge, die sich in den brennenden Tropenhimmel reckten. Bizarre Formationen. Auch begegneten uns Dschunken und Langboote, die mit Eingeborenen besetzt waren. Ebenfalls Fischer, die mit ihren Auslegerbooten unterwegs waren, kreuzten unseren Kurs. Aus ihren schwarzen Mandelaugen starrten sie die drei großen Schiffe an, die unter vollen Segeln durch die See pflügten. Ein friedliches Bild, und ich genoß es sehr. Es lenkte mich von den Dingen an Bord der �Medusa� ab, und in diesen Stunden schob sich auch wieder das braune, lachende Gesicht Nuanas in meine Erinnerung. Ich hörte ihre zärtliche Stimme, aber ich sah uns auch wieder vor den drohenden Giftpfeilen der Priester die Stufen zum Haibecken hinabsteigen. Ich spürte wieder fast körperlich das Mädchen, das sich an mich klammerte, weil sie im Gegensatz zu mir genau wußte, was uns unten am Becken erwartete und weil es keine Möglichkeit zur Umkehr mehr gab. Nuana � sie hatte also aller Wahrscheinlichkeit ein Kind von mir, und ich war der Vater eines blondgelockten Sohnes. Nein, zu fassen

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vermochte ich das alles nicht. Aber ich nahm mir vor, irgendwann, wenn möglich in nächster Zeit, eine Heuer zu nehmen, die mich wieder dorthin führen würde. Das war ich Nuana und mir und unserem Jungen, wenn ich wirklich der Vater war, schuldig. Ich wußte an diesem Abend noch nicht, daß ein Wiedersehen zwischen Nuana und mir in gar nicht so weiter Ferne lag. Aber ich ahnte auch ebenso wenig, welche Konsequenzen das für mich haben sollte... Segelmanöver, die notwendig wurden, als die �Medusa� nach Passieren der Insel Itwaki den Kurs von Süd auf Nordwest änderte, rissen mich aus meinen Gedanken. Master Nemo erschien wieder an Deck. Es wurde jetzt schnell dunkel, das brennende, flammende Rot des Sonnenuntergangs verwandelte sich in erst helles, dann rasch dunkler werdendes Violett. Vereinzelt tauchten die ersten Sterne am Himmel auf � und in diesem Moment lernte ich Nemo von einer Seite kennen, die ich hei ihm nie vermutet hätte. Während noch das Rahsegel am Besanmast nachgetrimmt wurde, sagte er plötzlich: �Weiß der Himmel, was könnte dies für eine schöne, paradiesische Welt sein, wenn es die verdammten Menschen nicht gäbe!� Ich muß ihn wohl aus großen Augen angeblickt haben, so überrascht war ich, denn ich kannte Nemo eigentlich nur als harten Seemann und kompromißlosen Kämpfer. Er lächelte mich an, aber seine Augen blieben bei diesem Lächeln ernst. �Denken Sie mal in Ruhe darüber nach, Mister Bonty. Sie werden zumindest in späteren Jahren zu dem gleichen Ergebnis gelangen!� So segelten wir jetzt auf Timor zu, und es dauerte gar nicht lange, bis an Backbord die ersten nächtlichen Konturen der Insel auftauchten, die wir im hellen Licht des Mondes deutlich zu erkennen vermochten. Wir folgten der Küste in ein paar Meilen Abstand. Die Ausgucks waren doppelt bemannt, denn die Ombaai-Straße, in der wir uns jetzt befanden, war alles andere als ein harmloses Gewässer. Es gab kleine Inseln, die uns plötzlich den Kurs verlegten, es gab Riffe und es gab üble Strömungen. die die �Medusa� immer wieder nach Backbord oder Steuerbord versetzten. Es wurde eine Nacht, wie der Seemann sie nicht liebt: ständiges Segelnachtrimmen, ständiges Ausloten des Fahrwassers. Und da wir das zuvorderst segelnde Schiff waren, fiel uns auch die Pfadfinderarbeit zu.

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Wir erreichten die Südbucht der Insel Timor gegen Mittag des nächsten Tages. Berge säumten die Ufer der Bucht, aber auch ein heller Sandstrand, mit Palmen bestanden, war von Bord auszumachen. Ebenso Hütten von Eingeborenen, die beim Einlaufen unserer drei Schiffe schnatternd und aufgeregt am Strand hin und her liefen ,oder in Gruppen zusammenstanden. Jonny beobachtete das bunte Treiben genau, er entdeckte natürlich auch, daß es dort hübsche Mädchen gab. Nur mit Baströcken bekleidet, ansonsten nackt. �Na�, sagte er grinsend, �ich denke, mit Mister Nemo wird sich über einen kleinen Landurlaub wohl reden lassen. Und den, Bonty, werden wir uns auch nicht entgehen lassen!� Natürlich war auch ich Feuer und Flamme � allerdings tauchte vor meiner Erinnerung beim Anblick der Mädchen Nuana wieder auf, mit einem kleinen, blonden, aber sonst braunhäutigen Jungen an der Hand. Und ich wußte in diesem Moment nicht recht, ob irgendwelche Eskapaden meiner neuen Vaterwürde angemessen sein würden. Jonny bemerkte das natürlich, und knuffte mich in die Rippen. �Sei kein Frosch, Bonty! Was glaubst du denn, wie sich Nuana über den Jungen gefreut hat. Die Frauen Mikronesiens sind in ihrem Denken ganz anders als unsere englischen, puritanischen Ladys. Die Eingeborenen kennen das Leben noch und wissen es zu genießen � und so ein kleiner Junge ist für sie absolut kein Problem, sondern eine große Freude. Ich weiß, wovon ich rede, Bonty, glaub mir das. Für Nuana geht das Leben weiter, und für dich auch. Alles klar?� Ich nickte � aber widerstreitende Gefühle erfüllten meine Brust dennoch. Schließlich war ich ein Engländer und kein Mikronesier... Die �Explorer� segelte uns auf. Sehr dicht neben uns ließ sie den Anker fallen. Master Fleet erschien auf dem Achterdeck. �Ich werde mit ein Auge auf die �Medusa' haben�, rief er zu uns herüber. �Vorsicht ist immer der bessere Teil der Klugheit!� Nemo nickte. Ihm war es ganz recht, daß die große und hoch gebaute �Explorer� mit ihrer Crew so in unserer Nähe blieb. Unter diesen Umständen würde sich der Schwarze John ganz gewiß hüten, irgend etwas anzuzetteln. Auch die �King Charles� segelte heran. Sie legte sich ebenso, daß ihre Männer jederzeit eingreifen konnten, falls es bei uns an Bord Schwierigkeiten gab. Ich sah, wie der Schwarze John finstere Blicke zu beiden Schiffen hinüberwarf, er und noch ein paar andere. Also hatten die Kerle sich für

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Timor etwas ausgerechnet, und ihnen war die Suppe versalzen worden. So jedenfalls dachte ich � aber der Schwarze John war nicht der Mann, der ohne weiteres aufgab. Das sollten wir noch merken.

* Ohne es zu ahnen, löste wahrscheinlich Master Fleet die Katastrophe selber aus. Er ließ sich kurz nach dem Ankern zu uns übersetzen und kam an Bord. Nemo begrüßte ihn herzlich, und da das bei ihm keineswegs die Regel war, wußten Jonny und ich, daß er, wie Flanagan auch, Master Fleet außerordentlich schätzte. Die beiden verschwanden in der Kabine Master Nemos, dann � etwa eine halbe Stunde später � wurden Jonny und ich gerufen. Master Fleet empfing uns mit gewölbten Brauen. Seine wulstigen Lippen hatte er aufgewölbt, bei ihm immer ein sicheres Zeichen dafür, daß ihm irgendetwas nicht paßte. �Ich habe vernommen�, begann er ohne Umschweife, �daß Sie, Mister Jonny, Schwierigkeiten mit diesem John hatten. Damit hat sich der Mann an einem Offizier dieses Schiffes vergriffen, das Maß ist voll. Ich werde ein Exempel statuieren ...� �Wenn Sie mir dazu eine Bemerkung erlauben, Sir � aber vielleicht hat Master Nemo Ihnen das auch schon berichtet.� Fleet nickte ungnädig und mit hochgezogenen Brauen. �Was gibt es also, Mister Jonny?� �Der Mann wußte zum Zeitpunkt unserer Auseinandersetzung gar nicht, Sir, daß ich einer der Offiziere dieses Schiffes war. Ich habe die Kerle erst hinterher aufgeklärt, nachdem ich dem Schwarzen John gezeigt hatte, aus welcher Ecke der Sturm auf der ,Medusa' für ihn weht. Er hat sich also des Vergehens, einen Offizier tätlich angegriffen zu haben, nicht schuldig gemacht. Ich trug keine Uniform, er konnte das also nicht wissen und hat mich für einen ganz gewöhnlichen Decksmann gehalten. Seither läuft hier an Bord alles wie am Schnürchen. Ich halte es für ungeschickt, jetzt wieder Aufruhr unter der Crew zu stiften, Sir. Wir sitzen auf der �Medusa' ohnehin auf einem Vulkan, der jeden Moment ausbrechen kann.� Master Fleet sah Jonny hart an. �Mister Jonny, wenn Master Nemo mir die Sache nicht auch so geschildert hätte, müßte ich Ihnen wegen ungebührlichen Verhaltens eine Rüge erteilen. So verzichte ich darauf und ermahne Sie lediglich,

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Ihre Worte mit mehr Bedacht zu wählen. Sie haben soeben massive Kritik an mir geübt.� Jonnys Gesicht verhärtete sich, aber eine Handbewegung Fleets stoppte ihn. �Erfreulich Ihre Erkenntnis, daß das Tragen von Uniform eben doch seine Berechtigung hat. Der Vorfall hätte sich auf diese Weise vermeiden lassen. Dieser Schwarze John ist alles andere als ein Dummkopf. Er hätte sich gehütet, Sie anzugreifen, wenn er ihre Position klar hätte erkennen können. Aber gut, ich gebe nach, Ihre und die Argumente Master Nemos haben mich überzeugt, ich werde dem Kerl lediglich eine sehr ausdrückliche Rüge erteilen. Er soll, verdammt noch mal, wissen, woran er mit mir ist.� Fleet wandte sich Master Nemo zu. �Nemo, halten Sie die Augen auf. Ich traue diesen Kerlen nicht. Ich habe durch mein Spektiv sehr wohl bemerkt, mit welchen Blicken die Kerle meine �Explorer' gemustert haben, und ich habe auch gesehen, daß der Schwarze John mit einigen anderen auf dem Galion getuschelt hat. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, die Kerle planen etwas. Ich liege in Rufweite. Ein Schuß aus einer Drehbasse oder auch ein Anruf genügt, und ich komme sofort. Auch Master Flanagan hält sich bereit.� Er griff nach seinem Zylinder und setzte sich ihn auf. �Ich kehre jetzt an Bord der ,Explorer' zurück. Es gibt bei mir eine Menge Arbeit in der Takelage. Ich handele bei solchen Arbeiten stets nach der Devise�, erklärte er schulmeisterlich, �Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!� Über Fleets Gesicht huschte ein Grinsen. Dann gingen wir an Deck. Als Master Fleet den Schwarzen John erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht. �Schaffen Sie mir den Kerl aufs Achterdeck, Mister Jonny�, sagte er. Jonny sauste los. Ich sah, wie der Schwarze John Master Fleet einen finsteren Blick zuwarf, dann aber Jonny folgte. Fleet wippte wieder mit vorgewölbtem Bauch auf seinen großen Füßen hin und her. Dabei betrachtete er den Schwarzen John wie ein widerwärtiges Insekt, das sich auf seiner makellosen Uniform niedergelassen hatte. �Sir?� fragte der Schwarze John. �Sie wünschten mich zu sprechen?� Fleet musterte ihn aus seinen grauen, harten Augen. �Ich wünsche Ihnen eine Rüge zu erteilen, weil Sie es gewagt haben, an Bord Unfrieden zu stiften. Damit wir uns jetzt ein für allemal richtig

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verstehen: Bei der geringsten Kleinigkeit, die mir zu Ohren kommt und Sie betrifft, werde ich ein Exempel statuieren. Sie haben mir zwar Ihre Story erzählt, aber ich glaube Ihnen kein Wort. Sie sind ein Mörder und Verbrecher übelster Sorte. Ich hoffe, daß ich Ihnen und Ihren Komplizen das noch beweisen kann. Meine Chancen sind dabei gar nicht einmal so schlecht. Hüten Sie sich also und sagen Sie das auch den anderen. Abtreten!� Der Schwarze John war vor Wut rot angelaufen. Er beherrschte sich nur mühsam. �Sir, ich protestiere gegen diese Unterstellungen�, sagte er. �Ich werde Sie in London verklagen, ich ...� Fleet war mit einem Schritt bei ihm. �So, werden Sie das? Und ich bin der Meinung, daß Sie und ihr Gelichter nicht die geringste Absicht haben, überhaupt nach London zu segeln. Aber ich werde ein Auge auf Sie haben, darauf können Sie sich verlassen. Verschwinden Sie, aber ein bißchen plötzlich. Mit Ihresgleichen pflege ich nicht zu debattieren.� Master Fleet setzte sein arrogantestes Gesicht auf und wippte wieder hin und her. Der Schwarze John stand wie erstarrt. Seine Wangenmuskeln spielten unter der Haut. Er blitzte Fleet wutentbrannt an. �Sir ...� begann er erneut, aber da riß Master Fleet endgültig der Geduldsfaden. �Wenn ich abtreten befehle, dann meine ich das auch. Sie werden das jetzt sofort begreifen.� Er packte blitzartig zu. Ich sagte es schon � Master Fleet verfügte über geradezu unglaubliche Körperkräfte. Er hob den Schwarzen John mit einem Ruck hoch und warf ihn dann kurzerhand den Niedergang hinab. Der Schwarze John schlug schwer auf. Aber dann rappelte er sich auf, ein stechender Blick aus seinen schwarzen Augen traf uns alle auf dem Achterdeck, dann hinkte er davon in Richtung Vorkastell. �So, ich denke, dieser Kerl hat nun endgültig begriffen, woher für ihn der Sturm weht�, sagte Master Fleet. Dann watschelte er den Niedergang hinab und enterte über die Jakobsleiter in sein Boot ab. Gleich darauf legte es ab, und Fleet saß wie eine Statue auf der Achterducht neben dem Bootssteurer. Sein Zylinder glänzte in der Sonne. Master Nemo starrte ihm nach. �Ganz schöne Kräfte hat dieser Master Fleet�, sagte er. �Ein bemerkenswerter Herr mit noch bemerkenswerteren Methoden. Ich

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hätte nie gedacht, daß er selber Hand an einen Kerl wie den Schwarzen John legen würde!� Jonny grinste hart. Dann berichtete er Master Nemo, wie Fleet damals den Riesen Ellerton nach dem Untergang der �Scout� zusammengeschlagen hatte. �Es kommt selten bei ihm vor�, fügte er hinzu. �Aber wissen kann man nie im voraus, wie er reagieren wird. Das ist meine Erfahrung, Master Nemo.� Nemo nickte. �Diese Sache gibt neues böses Blut unter der Crew. Der schwarze John hat wieder an Image eingebüßt. Seine Anführerolle gerät jetzt in Gefahr. Halten wir die Augen offen. Er muß und er wird jetzt irgendetwas unternehmen! � Das taten wir, und so brach schließlich die Nacht herein. Auf der �King Charles� war den ganzen Tag hart gearbeitet worden. Ich hatte Mister Costigan beobachtet, wie er die Schäden am Bug des Schiffes wieder ausbesserte � und er war ein Meister in solchen Reparaturen. Die Dunkelheit fiel über die �Medusa� wie ein schwarzes Tuch. Bis der Mond aufging, dauerte es noch Stunden. Jonny und ich hatten unsere Wachen verteilt. Jonny übernahm zusammen mit Addy, George, Fips und Lightshower die erste. Master Nemo, ich und die übrigen Männer seiner Crew würden die zweite übernehmen. Ich verspürte Durst, denn es war erdrückend schwül und heiß an Deck, und so holte ich mir einen Becher Wasser und brachte auch für Master Nemo einen mit. Der Master trank den Becher aus, ohne ihn abzusetzen. �Holen Sie mir bitte noch einen, Mister Bonty. Diese Hitze macht sogar mir zu schaffen. Aber es wird Zeit, daß wir unsere Wasservorräte erneuern, das Zeug hat schon einen üblen Beigeschmack.� Das stimmte, und auch mir war das aufgefallen. Ich leerte ebenfalls einen Becher, und dabei traf mich ein Blick von dem Bullen Fatso, den ich mir nicht zu deuten wußte. Master Nemo rülpste laut. �Gute Nacht, Mister Bonty�, sagte er dann. �Legen Sie sich aufs Ohr. Heute nacht sollten wir hellwach und ausgeruht sein, das habe ich im Gefühl.� Master Nemo verschwand, und auch ich zog mich in meine Kammer zurück. Meine Glieder fühlten sich plötzlich bleischwer an, und ich führte das darauf zurück, daß ich die letzten Tage verdammt wenig Schlaf gehabt hatte. Und so schlief ich ein. In der Einschlafphase

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gaukelte das lächelnde Gesicht Nuanas vor meinem mehr und mehr verblassenden Bewußtsein herum. Und wieder hielt sie einen kleinen, blonden Jungen von bräunlicher Hautfarbe an der Hand. Dann tauchte ich weg. Irgendwann in der Nacht hatte ich einen Alptraum. Auf dem Schiff hörte ich leise, eilige Schritte. Dann unterdrückte Schreie und schließlich einen schweren Fall. Aber ich wurde nicht richtig wach. Flüchtig dachte ich daran, daß Jonny mich doch eigentlich längst zu meiner Wache geweckt haben müßte � aber ich war so müde und meinen Gliedern haftete eine solche Bleischwere an, daß ich doch noch einmal einschlief. Unruhig wälzte ich mich hin und her in meiner Koje. Immer mal wieder wurde ich wach, aber ich war nicht so klar im Kopf, daß ich es schaffte, aufzustehen. So vergingen wahrscheinlich Stunden. Genau weiß ich das nicht � aber dann erwachte ich endgültig. Das erste, was mir sofort auffiel, war, daß auf der �Medusa� Totenstille herrschte. Nicht die Schritte der Wachen, kein Glasen � gar nichts. Ich riß mich zusammen und kroch aus der Koje. Einen Moment lang stand ich schlaftrunken und vor Müdigkeit fast taumelnd in meiner Kammer, aber dann schlüpfte ich in meine Sachen, steckte die beiden Pistolen in meinen Gürtel und verließ die Kammer. Ich betrat das Hauptdeck. Vor dem Schott, das das Achterschiff bei Sturm vor Wassereinbruch schützte, blieb ich stehen. Immer noch herrschte an Bord diese unheimliche Stille. Nichts rührte sich. Keine Wachen - einfach nichts. Das ganze Schiff schien wie ausgestorben. Wieder riß ich mich zusammen und ging langsam weiter. Zuerst an Steuerbord, und dort machte ich wenige Minuten später die erste schreckliche Entdeckung. Auf den Decksplanken lagen Addy und George. Neben beiden befand sich, das sah ich deutlich im Schein der Deckslampen, eine Blutlache. Ich kniete mich neben die beiden. Sie rührte sich nicht, aber von unserem Feldscher auf der �King� hatte ich einiges gelernt. Ivo Montesano war ein Mann mit überdurchschnittlichem Wissen, und der ersetzte glatt einen Arzt, wenn das sein mußte. Ich kontrollierte bei beiden den Puls, sie lebten, soviel erkannte ich sofort, aber sie brauchten dringend Hilfe. Ich erhob mich, rannte nach Backbord. Dort fand ich Fips und Lightshower. Beide ebenfalls brutal und von hinten niedergeschlagen � denn alle hatten Verletzungen am Hinterkopf. Verletzungen, wie sie ein

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Belegnagel verursachte. Auch sie lebten, befanden sich aber ebenfalls in tiefer Bewußtlosigkeit. Ich stürzte den Niedergang hinab zum Mannschaftslogis � die �Medusa� war so modern, daß sie über einer verfügte. Ich erschrak � die Kojen waren leer. Nein � doch nicht. Ich entdeckte Sails, den Segelmacher Nemos, Bart Unger, den anderen Takelmeister der �Lady Jane�, denn auch Addy war Takelmeister, auch wenn er von Nemo als Steuermann eingesetzt wurde. Auch sie lebten � aber sie waren nicht einmal durch energisches Rütteln wachzukriegen. Das Wasser, schoß es mir durch den Kopf. Darum also der Beigeschmack. Der Schwarze John hatte für seine Leute die Wasserrationen irgendwann abgefüllt, das konnte durchaus unauffällig geschehen sein. Danach hatte er dem Trinkwasser ein Betäubungsmittel beigemischt. Dieser verfluchte Hund! Ich verstand jetzt Master Fleets harte Reaktion immer besser. Der hatte diesen Kerl durchschaut! Ich suchte das Logis ab � und dann entdeckte ich den ersten Toten. Es war ein Mann namens River-Charley � auch einer der Männer Nemos. Man hatte ihm von hinten ein Entermesser durch den Leib gestoßen, und es steckte noch drin. Mich packte das Grauen. Lauerten die Kerle noch irgendwo an Bord? Wo, zum Teufel, steckte Jonny? Ich begann dann, das Schiff abzusuchen. Mich hatte eine Welle von Zorn gepackt, die alles andere wie eine blutrote Woge überdeckte. Sollten die verfluchten Kerle doch kommen, mir war es egal. Aber niemand kam -- stattdessen fand ich an Deck, in einen Niedergang geworfen, noch einen Toten. Ich kannte ihn, denn auch er hatte zu Nemos Männern gehört und hieß Joe Pilgram. Ein ruhiger, freundlicher Mann. Zuverlässig und sehr belesen. Er hatte sich an Bord der �King� oft mit unserem Bibelmann Zebulon Prescott und auch mit Pater Erijk unterhalten. Man hatte ihn erdrosselt mit einem Tampen, der noch um seinen Hals lag. Tot? Verdammt, Pilgram röchelte in diesem Moment vernehmlich. Ich kniete mich neben ihn, lockerte den Strick und streifte ihn ab. Dann begann ich systematisch, ihn ins Leben zurückzubefördern. Endlich schlug er die Augen auf, aber zu sprechen vermochte er nicht. Ich zog ihn an Deck. �Liegenbleiben, Mister Pilgram�, sagte ich. �Ganz ruhig liegen bleiben, ich hole Hilfe!� Pilgram nickte schwach und griff sich an den Hals. Außerdem hatte auch er eine dicke Blessur am Schädel.

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Der Master � Himmel, was war mit Nemo? Er hätte sich doch längst an Deck sehen lassen... Ich sauste los. Dabei brüllte ich Jonnys Namen in die Nacht, aber keine Antwort erfolgte. Ich verschwand im Achterschiff. Dann stieß ich die Tür zu Nemos Kabine auf und blieb wie angewurzelt stehen. Der Master lag auf dem Bett. Sein Kissen war rot von Blut, auf der Stirn klaffte eine tiefe Platzwunde. Aber vor seinem Bett, den schweren Säbel, den der Master heim Kampf benutzte, quer durch die Brust gestoßen, lag ein Mann der ursprünglichen �Medusa-Crew�. Ich sah zuerst nach Master Nemo, aber der lag in tiefer Bewußtlosigkeit in seiner Koje, oder richtiger gesagt auf seinem Bett. Der andere, das erkannte ich sofort, war tot. Ein Bulle von einem Kerl. Ich drehte ihn herum � und dann erkannte ich ihn. Sie nannten ihn Shark, Hai also. Und das traf wohl auch zu. Verdammt, ich brauchte Hilfe, und zwar rasch. Ich stürmte an Deck. Erbarmungslos rüttelte ich jetzt Bart Unger und Sails wach. Es gelang mir nur mit großer Mühe, als ich ihnen aber erklärte, was geschehen war, sprangen sie aus der Koje. �Ein Boot zu Wasser�, sagte ich. �Das kleine. Wir müssen Fleet und Flanagan alarmieren. Der Schwarze John und seine Kerle sind weg, wahrscheinlich haben die Hunde Jonny als Geisel mitgenommen, oder sie haben ihn umgebracht und über Bord geworfen. Black John haßte ihn.� Wir machten uns an die Arbeit. �Leise�, sagte ich. �Diese Bastarde sollen nicht gewarnt werden, die holen wir uns, denen kommen wir über den Hals, ehe sie begreifen, wie ihnen geschieht!� Ein ungeheurer Zorn hatte mich gepackt. Ich gebe es zu � ich wollte in diesem Moment nur Rache. Wir brachten das Boot zu Wasser. Darm pullten wir zunächst zur näher gelegenen �Explorer� hinüber.

* Wir näherten uns der �Explorer� rasch. Auf dem Wasser lag der silberne Mondschein, und die Reflexe tanzten auf den Wellen, die die Bucht durchzogen. �Halt, wer da?� wurden wir unvermittelt von Bord der �Explorer� angerufen.

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�Mister Bonty, Zweiter Offizier der ,Medusa' antwortete ich sofort, denn die Deckswache hatte eine Muskete auf uns gerichtet. �Ich bitte an Bord kommen zu dürfen, ich muß Master Fleet sprechen in dringlichster Angelegenheit.� Ein Schatten erschien. �Bonty?� Mister Johnson, der Erste Offizier der �Explorer� beugte sich über das Schanzkleid. �Kommen Sie herauf!� Gleich darauf flog eine Jakobsleiter herab. Ich enterte auf, als unser Boot längsseits schor. Sails, der der älteste im Boot war, saß an der Pinne. �So rasch wie möglich zur ,King Charles' pullen�, sagte ich, bevor ich mich über das Schanzkleid schwang. �Berichtet Master Flanagan, was passiert ist und bringt vor allem den Feldscher Ivo Montesano zur �Medusa', er muß sich sofort um Master Nemo und die anderen Verletzten kümmern.� Sails nickte. �Aye, Sir�, sagte er nur. Dann hörte ich sein leises Kommando. �Ablegen, pullt Männer, wir dürfen keine Zeit verlieren!� Mister Johnson blickte mich etwas verwundert an. �Was ist geschehen, Mister Bonty?� fragte er. Ich er, klärte es ihm in knappen Worten. �Oh, verdammt. Also doch. Ich wußte, daß dieser Kerl etwas im Schilde führte. Kommen Sie, ich bringe Sie zum Master. Er ist wach, er hätte jetzt nach mir die Wache übernommen.� Wir eilten übers Hauptdeck. Mister Johnson klopfte gegen die schwere Tür, die Master Fleets Salon vom Gang trennte, der durch das Achterschiff führte. �Herein! � Wir traten ein. Master Fleet sah mich erstaunt an. �Mister Bonty? Um diese Zeit? Das bedeutet nichts Gutes. Nehmen Sie Platz. Was führt Sie zu mir?� Ich konnte die Erregung, die in Master Fleets Stimme schwang, nicht überhören. Ich konzentrierte mich und faßte mich kurz, aber ich ließ nichts aus. Master Fleet hörte mir zu, ohne mich auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen, aber seine Augen nahmen jenen harten, gefährlichen Ausdruck an, den ich nur zu gut kannte. �Ein Betäubungsmittel ins Trinkwasser? Ja, das traue ich diesem Satan, dem Schwarzen John zu.�

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Master Fleet erhob sich ruckartig. �Kommen Sie zu mir herüber, meine Herren�, sagte er dann. Er griff hinter sich, suchte einen Moment unter den zusammengerollten Karten und zog dann eine hervor. �Ist Master Flanagan verständigt?� fragte er nebenbei. �Ja, Sir, meine Männer sind unterwegs zur ,King Charles'. Vor allem sollen Sie den Feldscher der King Charles zur �Medusa' bringen.� �Ausgezeichnet, Mister Bonty. Ich schätze Initiative bei jungen Leuten. Mister Johnson�, wandte er sich an seinen Ersten, �veranlassen Sie bitte, daß Mister Fairfax Sofort in meinen Salon kommt. Ich wünsche, daß er an der jetzt folgenden Besprechung teilnimmt.� Mister Johnson nickte, dann verließ er den Salon. �Sehen Sie her, Mister Bonty. Dies ist eine Karte der Insel Timor. Ohne Zweifel haben sich diese Halunken dorthin abgesetzt. Timor ist immerhin mehr als 270 Meilen lang und an der stärksten Stelle rund 50 Meilen breit. Wenn es den Kerlen gelingt, sich rechtzeitig ins Innere der Insel zu flüchten, dann können wir lange suchen, aber finden werden wir sie nicht. Nur � sie unterschätzen mich. Ich lasse ihnen diese Zeit nicht. Ich werde sie jagen, und dann gnade ihnen Gott! � Fleet sagte das mit allergrößter Entschlossenheit, und die Kerle würden bestimmt nichts zu lachen haben, sofern er sie erwischte. Mister Fairfax, der Dritte Offizier, ein sympathischer junger Mann in meinem Alter, vielleicht sogar noch etwas jünger, und Mister Johnson traten ein. Fleet verlor keine Zeit. Er forderte zum Platznehmen auf. Dann wiederholte er, was er zu mir über die Insel Timor gesagt hatte. �Wir müssen schnell, sehr schnell sein. Außerdem werden wir uns der Hilfe der Eingeborenen versichern. Denn auf diesen Inseln geschieht so gut wie nichts, was sie nicht wissen. Schon gar nicht, wenn Fremde die Insel betreten. Mister Johnson, stellen Sie ein Kommando von erstklassigen Männern zusammen. Bewaffnung Musketen, Tromblons und so weiter. Lassen Sie zwei unserer Boote zu Wasser. Eines von Ihnen, unter dem Kommando von Mister Fairfax, soll sofort ablegen und zur ,King Charles' pullen. Sie, Mister Fairfax, informieren Master Flanagan ...� Master Fleet unterbrach sich, � ...Mister Bonty wird Sie begleiten. Sie, Mister Bonty informieren Master Flanagan, und Sie bitten ihn, sofort ebenfalls ein Kommando zusammenzustellen. Mister Johnson und ich werden bereits zur Insel hinüber segeln, auch ihr Boot sollte eine der Segelgarnituren mitnehmen, man kann nie wissen. Und noch etwas, Mister Fairfax: Für die Eingeborenen benötigen wir als Geschenke Äxte, Messer, meinetwegen auch ein paar schwere Säbel.

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Wir müssen sie freundlich stimmen. Sie müssen uns helfen, den Schwarzen John und seine Bande aufzuspüren. Sie haben die Hütten gesehen, Mister Fairfax, dort werde ich auf Master Flanagans Boote warten. Vorwärts, an die Arbeit!� Mit einer Handbewegung scheuchte uns Master Fleet aus seinem Salon. Wir stürzten an Deck. Mister Fairfax und Mister Johnson begannen sofort damit, die nötigen Kommandos zusammenzustellen. Ferner nahmen wir Wasser und Lebensmittel an Bord, denn wie lange die Jagd auf der Insel dauern würde, wußte schließlich keiner von uns. Auf der �Explorer� blieben Wachen zurück. Das Kommando über die �Explorer� übernahm der Bootsmann, ein sehr intelligent und entschlossen wirkender Mann um die Vierzig. Sein Name war Archibald Christ � ein merkwürdiger Name, den ich mir deshalb so gut merken konnte. Er war die Ruhe selbst, dabei aber ein Mann schneller und gründlicher Entscheidungen. Master Fleet, inzwischen wieder in vollem Wichs, zwei Pistolen im Gürtel und einen schweren Säbel an seiner Seite, blieb vor ihm stehen. �Mister Christ�, ordnete er an, �Sie lassen niemand, ich betone niemand an die ,Explorer` heran, der die Parole nicht kennt. Sie lautet ab sofort ,Kings Order'. Sie haben mich genau verstanden?� �Aye, aye, Sir! � Der Bootsmann salutierte � und daran erkannte ich, daß auch er dereinst auf einer Kriegsgaleone Dienst getan hatte. Fleet nickte befriedigt. �Fertig?� fragte er Mister Johnson. �Fertig, Sir�, antwortete Johnson knapp. �Machen Sie Ihre Sache gut, Mister Bonty, Mister Fairfax. Auf die Männer im Boot ist Verlaß, ich kenne sie. Vorwärts!� Fleet enterte ab, und ich folgte mit Fairfax seinem Beispiel. Während Master Fleet sofort Kurs auf die Küste Timors nahm, pullten wir an der �Medusa� vorbei zur �King Charles� hinüber. Zu meiner grenzenlosen Überraschung wurde ich von Ivo Montesano angerufen. �Ho, Bonty. Ich bin mit ein paar Männern auf der ,Medusa'. Wir kriegen die Verletzten durch. Master Nemo hat's schwerer erwischt, er muß liegen. Ich habe ihm das klargemacht, und er fügt sich. Aber Addy bittet darum, ihn an Bord zu nehmen. Er will mit. Kommen Sie längsseits, Addy entert dann ab!� �Mann, Ivo�, antwortete ich. �Habt ihr gezaubert oder seid ihr geflogen? Ich komme!� Mein Bootssteurer hatte die Pinne schon herumgelegt, so schoren wir längsseits, und Addy jumpte ins Boot.

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Addy sah schlimm aus. Er trug um den Kopf einen dicken Verband, außerdem hatte er Schwellungen im Gesicht. �Addy, hast du eine Erinnerung daran, was an Bord der �Medusa' passiert ist? Weißt du, was aus Jonny geworden ist, der ist spurlos verschwunden! � Addy schüttelte den Kopf. �Nichts weiß ich, Bonty. Gar nichts. Die Kerle haben mir von hinten eins über den Schädel gedroschen. Das war's. Bei mir waren jedenfalls alle Lampen gleich aus. Und sie müssen gleichzeitig über uns alle hergefallen sein, den Master eingeschlossen. Das Ding war perfekt geplant. Aber die werden mich kennenlernen, wenn ich auch nur ein paar von ihnen zwischen meine Fäuste kriege! � Addy knirschte vor Wut mit den Zähnen. �Bastarde sind das. Hundsfotts, Ratten, die man zertreten muß!� Addy starrte aufs Wasser, dann aber sah er mich an. �Und weißt du, was das Allerschlimmste an der Sache Ist? Selbst wenn Fleet und Flanagan sie erwischen, die können ihnen nichts tun. Denn wer soll die �Medusa' segeln? Wir haben keine Leute und wir kriegen hier auch keine!� Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Aber an dieser Stelle mischte sich Mister Fairfax in unser Gespräch. �Da kennen Sie Master Fleet aber schlecht. Der läßt mich etwas einfallen. Aber dieser Vorfall ist für die Kerle auf jeden Fall das Todesurteil. Auch dann, wenn es erst in London vollstreckt werden wird oder in Madras. Master Fleet nimmt das auf keinen Fall hin.� Ich mußte Mister Fairfax zustimmen, der sah das ganz richtig. �Fairfax hat recht, Addy. Du wirst sehen. Ich kenne Fleet auch lange genug. Der wird ein Exempel statuieren, wie er das nennt, und das wird bitter hart ausfallen.� Wir erreichten die �King Charles�, und unser Boot schor längsseits. Aber Master Flanagan hatte auf unser Eintreffen gar nicht gewartet. Es lagen bereits die beiden großen Boote der �King� an der Bordwand. Mister Finn kommandierte das eine, Master Flanagan ans andere. An Bord waren außer Mister Bunk auch Zebulon Prescott, China-Harry, Kid Holloway, Mister McCoy und andere. So rasch konnte ich das bei der herrschenden Dunkelheit � die Boote lagen im Schatten der Bordwand, das Mondlicht konnte die Szene nicht aufhellen � nicht ausmachen. Mister Pickens hatte das Kommando über die �King Charles� übernommen, und er hatte Befehl, die �King� weiter an den Strand zu

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verholen, damit unsere Siebzehnpfünder und Drehbassen einzugreifen vermochten, falls sich das als notwendig erweisen sollte. ich erstattete Master Flanagan kurz und knapp Bericht. Er hörte aufmerksam zu. �Mister Jonny�, sagte er nur. �Wenn die Kerle dem etwas angetan haben, dann werden sie das büßen, Mann für Mann. Fleet hatte recht: Galgenvögel, Verbrecher übelster Sorte. Aber gut, daß Fleet schon vorausgesegelt ist, vielleicht räumt er die zu erwartenden Schwierigkeiten mit den Eingeborenen aus dem Weg, denn die kosten nur wertvolle Zeit. Aber wie ich diesen Schwarzen John einschätze, hat er ihnen Geschenke mitgebracht und sie gegen uns aufgehetzt. Nun, wir werden ja sehen.� Flanagan sah mich an. �Haben Sie auf der �Medusa' die Bestände von Äxten, Messern und dergleichen kontrollieren lassen?� Nein, das hatte ich nicht. Das war gar nicht möglich gewesen, und ich sagte es Master Flanagan. Er nickte nur kurz. �Ablegen!� befahl er dann knapp. Unsere drei Boote legten ab. Die Männer pullten aus Leibeskräften, sie warfen sich in die Riemen, daß die sich unter dem harten Druck ihrer Arme durchbogen. Wir näherten uns Timor rasch, und ich sah, als ich mich einmal herumdrehte und der �King Charles� einen Blick zuwarf, wie die Männer auf der Back ums Spill kreisten und wie Mister Pickens die ersten Segel aus dem Gei nehmen ließ. Als wir mit unseren Booten den Strand erreichten, erwartete uns Master Fleet bereits voller Ungeduld. Er watschelte im Eiltempo auf Master Flanagan zu. �Diese verdammten Bastarde haben die Eingeborenen erst in Sicherheit gewiegt, indem sie ihnen Geschenke machten, aus den Beständen der �Medusa', aber dann sind sie ganz überraschend über sie hergefallen, und es hat Tote gegeben. Die Reaktion der Eingeborenen können Sie sich denken. Da, sehen sie selbst!� Tatsächlich, die Eingeborenen, bewaffnet mit Messern, Äxten, Pfeil und Bogen und Lanzen hatten sich zusammengerottet und kamen drohend auf uns zu. Ich schätzte, daß es gut und gerne hundert Krieger waren, es konnten aber auch mehr sein. Master Flanagan begriff sofort, was er jetzt versuchen mußte. �China-Harry�, sagte er, und Harry spritzte heran. �Sie kommen mit. Versuchen Sie den Eingeborenen zu erklären, um was es geht.

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Nehmen Sie meinethalben Hände und Füße oder führen sie einen Veitstanz auf � aber erklären Sie diesen Burschen da alles. Ohne ihre Hilfe erreichen wir gar nichts. Sie kennen Timor, wir nicht. Wenn wir sie als Feinde haben, können wir nur auf unsere Schiffe zurückkehren.� Master Flanagan legte seine Waffen ab und gab sie Fleet. �Ihre Waffen, Harry. Geben Sie sie Mister Bunk. Und Sie, Master Fleet, lassen sofort das Feuer eröffnen, falls diese Kerle über uns herfallen sollten. Nehmen Sie dabei keine Rücksicht auf Harry oder mich.� Master Fleet stand ganz verdattert, da. Sogar sein Zylinder war verrutscht und saß schief auf seinem Kopf. �Ich will verdammt sein, wenn ich nicht mit Ihnen gehe!� sagte er und traf ebenfalls Anstalten, seine Waffen abzulegen. Aber Flanagan stoppte ihn. �Einer von uns muß übrigbleiben, Fleet�, sagte er kalt. �Und dieser Mann sind Sie, denn Sie kommandieren zwei Schiffe, außerdem sind Sie dem Königlichen Institut für Meeresforschung verpflichtet. Ich bin durchaus zu ersetzen, leichter als Sie.� Wieder erstarrte Master Fleet. So bestimmt hatte wohl seit langem keiner mehr mit ihm gesprochen. Aber er schluckte es, denn die Argumente Master Flanagans waren zwingend. Flanagan und Harry marschierten los. Die Eingeborenen schnatterten erregt und hoben ihre Speere drohend, aber sie unternahmen nichts. Sie ließen Flanagan und China-Harry herankommen, denn sie sahen, daß die beiden keine Waffen bei sich trugen, außerdem machte Harry sofort das Zeichen des Friedens, das konnte ich deutlich erkennen. Dann begann Harry zu palavern. Was er den Eingeborenen teils in seinem fürchterlichen Slang, teils mit Händen und Füßen übermittelte, konnte ich weder verstehen noch beobachten, denn Harry kehrte uns den Rücken zu. Das Palaver schien endlos lange zu dauern. Immer wieder wies der Häuptling der Eingeborenen auf die Toten, die vor ihm auf dem Strand lagen. Aber Harry gab nicht auf, er palaverte wahrscheinlich um sein und Flanagans Leben. Doch dann schien er Erfolg zu haben. Die Eingeborenen senkten ihre Speere. Der Häuptling wies in die Berge und machte ganz aufgeregt Zeichen mit den Händen. Harry schien zu verstehen, denn er wandte sich an Flanagan. Und der nickte nur kurz, dann drehte er sich zu uns um. �Mister Bonty, Mister Bunk, Mister Prescott, Mister Addy � bringen Sie die Geschenke. Äxte und Messer. Aber bewegen Sie sich langsam,

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nehmen sie ein weißes Tuch in die Hand, jeder. Für alle anderen gilt, was ich vorhin gesagt habe.� Master Fleet händigte uns die Sachen sofort aus. Diesmal war es Flanagan, der unsere Geschicke in die Hand genommen hatte, und Fleet akzeptierte das schweigend. Wir vier gingen langsam auf die Eingeborenen zu. Tücher hatten wir uns ausgeborgt, Harry machte immer wieder beruhigende Zeichen des Friedens. Trotzdem musterten uns die Eingeborenen mißtrauisch. Aber ihr Häuptling stoppte jede Feindseligkeit durch ein energisches Handzeichen und durch ein paar Worte, die aber keiner von uns verstand. Die Eingeborenen ließen uns herankommen, und wir legten unsere Geschenke in vorsichtigen, gut überschaubaren Bewegungen ab. Zögernd näherten sich die Eingeborenen. Sie mußten mit dem Schwarzen John und seinen Komplizen wirklich üble Erfahrungen gemacht haben. Doch dann war das Eis gebrochen, und der Häuptling trat auf Flanagan und China-Harry zu. Wieder begann Harry mit ihm durch Zeichensprache und in einem für mich völlig unverständlichen Kauderwelsch zu palavern. Doch dann hellte sich sein Gesicht plötzlich auf. Er schien Erfolg gehabt zu haben und wandte sich Master Flanagan zu. �Wir haben die Eingeborenen überzeugt, Sir. Sie werden uns helfen, den Schwarzen John und seine Kerle zu finden. Der Häuptling gibt uns zehn seiner besten Krieger mit, die die Insel genau kennen und auch alle möglichen Verstecke.� �Gut, Mister Harry. Sie sind ein guter Mann, ohne Ihre Hilfe wäre eine so rasche Verständigung kaum möglich gewesen. Wir kehren jetzt zu Master Fleet zurück, dann rücken wir ab. Jeden Moment muß die Morgendämmerung beginnen. Aber wir brauchen noch Fesseln für diese Kerle ...� Master Flanagan setzte sich in Bewegung, nachdem er den Häuptling kurzerhand umarmt hatte. Eine Geste, die ich bei Master Flanagan noch nie gesehen hatte. Aber hier heiligte der Zweck eben die Mittel. Master Fleet erwartete uns voller Ungeduld. �Alles in Ordnung?� fragte er. Master Flanagan nickte und klärte ihn rasch über den Verlauf der Verhandlungen auf. Master Fleet rückte seinen Zylinder wieder gerade und befahl: �Wir werden diese Kerle zu Paaren treiben, Flanagan. Und dann ...�

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�Einen Moment, Fleet�, wandte Flanagan ein. �Ich kenne Ihre Ansicht über Meuterer und dergleichen Gelichter, und unsere Ansichten decken sich. Die Kerle gehören an die nächste Rah ...� Master Fleet nickte grimmig. Aber dann verdüsterte sich sein Gesicht. �Ich sehe es Ihnen an, Sie haben die gleichen Überlegungen angestellt wie ich. Selbst wenn wir die Kerle erwischen � wir können sie nicht hängen, denn wer soll die �Medusa' segeln? Wir haben keine Männer, und wir kriegen weit und breit keine. Begegnen wir allerdings einem englischen Schiff, werde ich aufgrund meiner Vollmachten Männer requirieren, aber damit ist nicht zu rechnen. Daß ich in der Nähe lag, als die Eingeborenen über Sie herfielen, war purer Zufall. Ich traute mich einfach nicht, bei dem herrschenden Nebel und mit völlig unzureichenden Karten weiterzusegeln, zumal ich Ankergrund hatte, im Gegensatz zu Ihnen.� Flanagan nickte. �Haben Sie Fesseln an Bord, ich meine Ketten und Handschellen? Wenn ja, sollten wir sie mitnehmen. Am besten sogar noch Fußketten, alles andere sehen wir später.� Master Fleet sah Flanagan eine Weile an. �Ja�, sagte er dann. �Ich habe sie bereits in ausreichender Zahl mitgenommen. Die Kerle werden sich noch wundern, das verspreche ich Ihnen. Das Wasser zu vergiften, Master Nemo niederzuschlagen und einfach nach mindestens einem heimtückischen Mord zu verschwinden. Ganz zu schweigen davon, was sie mit Mister Jonny angestellt haben.� Fleet drehte sich um. �Vorwärts, Männer, bringen wir die Sache hinter uns!� Und damit marschierte er los. Wir folgten ihm � und ich dachte daran, wie es Jonny wohl inzwischen ergangen war. Selbst wenn er noch lebte, hatte er bestimmt nichts zu lachen, denn der Schwarze John haßte ihn.

* Unser Trupp setzte sich in Bewegung. Vierundzwanzig Männer waren wir, die zehn Krieger kamen noch hinzu. Sie bildeten die Vorhut und übernahmen die Späherdienste. Ihr Stammesname war jedoch so unaussprechlich, daß ich ihn heute nicht mehr weiß, er ist auch nicht so wichtig.

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Es wurde ein mühsamer, strapaziöser Marsch durch drückende Schwüle. Und als die Sonne über den Horizont kletterte, wurde es schnell heißer und immer heißer. Die Männer begannen zu fluchen, bis ein Donnerwetter von Master Fleet sie zum Verstummen brachte. Aber ihre Stimmung stieg dadurch nicht. Ich glaube, sie haßten den Schwarzen Banditen mit jedem Schritt, den sie taten, mehr. Bei Master Fleet beobachtete ich wieder einmal, was ich schon so oft erlebt hatte. Dieser Mann war durch nichts zu stoppen. Trotz der glühenden Hitze trug er seine volle Uniform und natürlich auch den bei ihm unvermeidlichen Zylinder. Und während dem armen Mister Fairfax, der mit mir zusammen marschierte, der Schweiß in Bächen über den Körper lief, sah man Fleet nicht das geringste an. Und er legte zusammen mit Flanagan ein fast mörderisches Tempo vor. Er mußte es tun, denn die Eingeborenen taten es auch. Immer wieder verschwanden sie für eine Weile, aber sie kehrten jedesmal zurück. Jeder von ihnen trug neben seinem Speer auch eine der neuen, scharfen Äxte und ein Messer bei sich. Für den Schwarzen .John bedeutete das bestimmt nichts Gutes. Und wir übrigen mußten höllisch aufpassen, daß sie nicht über Black John und seine Bande gleich herfielen und vielleicht sogar Jonny ebenfalls erschlugen, sofern er überhaupt noch lebte. Ich dachte immer wieder an Jonny. Ich spürte in diesen Stunden unseres einsamen Marsches durch eine dichte, fast dschungelartige Vegetation, wie sehr er mein Freund geworden war. Was hatte ich mit Jonny schon alles erlebt... Mehr und mehr konzentrierte sich mein Denken auf diese Erinnerungen und auch auf das, was mit Jonny vielleicht zu dieser Stunde geschah. Er schilderte es mir später, und ich will mich an dieser Stelle bemühen, die Dinge aus seiner Sicht zu berichten... Von den Ereignissen, die sich an. Bord der �Medusa� abspielten, wußte er so wenig wie die anderen. Ein Schlag auf den Schädel, gemein und hinterhältig von hinten ausgeführt, löschte sein Bewußtsein schlagartig aus. Als Jonny wieder zu sich kam, hatte man ihn gefesselt, an Händen und Füßen. Der Schwarze John, der sein Wiedererwachen als erster bemerkte, versetzte ihm einen Tritt in die Rippen. �So, du Bastard, jetzt wirst du bald wissen, was es heißt, den Schwarzen John niederzuschlagen. Du brauchst nichts zu versuchen, du brauchst auch nicht zu hoffen, daß dir irgendjemand helfen wird �

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wir haben ein Betäubungsmittel ins Wasser getan, und ihr Dummköpfe habt alle davon gesoffen, hahaha!� Der Schwarze John lachte leise. �River Charly konnte es nicht lassen. Er hat wohl nicht genügend Durst gehabt � er kriegte das Messer von Fatso in den Bauch. Auch dieser idiotische Mister Pilgram versuchte was � den haben wir erdrosselt. Eurem Master Nemo habe ich persönlich den Schädel eingeschlagen, nachdem dieser Hund noch einen meiner Männer erstochen hatte � der Teufel soll ihn holen! Und die anderen, die noch munter waren wie du, den haben wir eins über die Rübe gezogen. Wir waren nämlich nicht so dumm, auch die Deckswachen von dem Wasser saufen zu lassen! Hahaha!� Wieder lachte der Schwarze John leise, und in diesem Moment trat der bullige Fatso auf ihn zu. �Wieder munter, der Dreckskerl?� fragte er. �Na gut, der soll seinen Spaß mit uns haben, sobald wir ihn nicht mehr als Geisel brauchen.� Fatso beugte sich zu Jonny herunter. �Du kennst diese Gegend, das habe ich im Gefühl. Dann weißt du ja auch, daß es hier verdammt große Ameisen gibt mit verdammt scharfen Zangen! Für die ist so ein verschrumpelter Bilgenzwerg gar kein Problem, sage ich dir. Wenn wir später einen Ameisenhaufen finden, hängen wir dich an den Füßen auf und mit deinem dämlichen Schädel in die Ameisen hinein. Ich verspreche dir, du Hund, das wird eine tolle Sache für dich, was John?� Der Schwarze John grinste. �Und wie�, sagte er grinsend und versetzte Jonny wieder einen Tritt. �Manchmal hast du direkt gute Ideen, das muß ich dir lassen!� Doch dann wollte er Jonny packen, aber bei Jonny brannte in diesem Moment eine Sicherung durch. Er krümmte sich zusammen und trat dem Schwarzen John mit aller Wucht in den Leib. Der Schwarze John wurde durch die Wucht dieses Trittes quer über das Deck geschleudert. Dort sackte er zusammen und blieb verkrümmt, qualvoll stöhnend liegen. Jonny verlor keine Zeit. Fatso, der sich mit einem unterdrückten Wutschrei auf ihn werfen wollte, erhielt ebenfalls einen Tritt. Jonny traf ihn am Schädel � und Fatso ging sofort auf die Planken. Doch dann fielen die anderen über ihn her und droschen ihn zusammen. Gefesselt, wie Jonny war, vermochte er nichts gegen seine Peiniger zu unternehmen.

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Ich habe es schon wiederholt erwähnt: Jonny war ein verdammt harter Typ, und ebenso hart, wie er austeilte, konnte er auch einstecken. So leicht brachte Jonny nichts um. Trotzdem lag er anschließend für einen Moment benommen da, denn die Kerle hatten ihn übel zugerichtet. Der Schwarze John und nach ihm Fatso rappelten sich verhalten fluchend wieder auf. Laut durften sie nicht werden, das hätte Fleet sofort alarmiert. Leider dachte Jonny zu spät daran, zu schreien. Vielleicht auch gottlob, denn die Kerle hätten ihn ganz sicher umgebracht. Der Schwarze John humpelte auf ihn zu, Fatso folgte ihm, die gewaltigen Pranken zu Fäusten geballt. Er wollte sich auf Jonny stürzen, aber Black John hielt in zurück. �Nicht jetzt, den Mistkerl brauchen wir noch!� und wieder versetzte er Jonny einen wuchtigen, schmerzhaften Tritt. �Aber das wirst du mir büßen, verlaß dich drauf. Du wirst lange sterben, der Schwarze John versteht sich auf so etwas! Und jetzt wirst du schwimmen. Die Beine schneide ich dir los. Wenn du Mätzchen machst, kriegst du sofort ein Messer zwischen die Rippen. Wir nehmen dich in die Mitte, Fatso und ich, rechne dir also nichts aus!� John packte blitzschnell zu, dann knebelten sie Jonny. �Damit du nicht auf krumme Ideen kommst. Dieser Fleet würde sicher auf dein Schreien reagieren. Die Chance hast du verpaßt!� Er schnitt Jonny die Fußfesseln durch, dann dirigierte er ihn zum Schanzkleid. �Vorwärts, Männer, runter von diesem Kahn. Auf Timor sind wir frei, da findet uns keiner, ich kenne mich da ein wenig aus!� Zu Jonny sagte er: �Hübsch langsam, Freund, und nur keinen Lärm, oder du bist tot. Runter mit dir!� Jonny enterte die Jakobsleiter ab, dann folgten die anderen. Der Schwarze John und Fatso nahmen Jonny zwischen sich, und so erreichten sie den Strand von Timor. Jonny schwamm auf dem Rücken, er war sowieso ein hervorragender Schwimmer. Soweit mein Bericht. Sie trieben Jonny vor sich her ins Innere der Insel, und als Jonny dem Schwarzen John prophezeite, daß Fleet und Flanagan sie verfolgen und an die nächste Rah hängen würden, lachte der Schwarze John. �Die pennen noch. Niemand hat was gehört. Und dein Freund Bonty pennt für immer, dem haben wir ein Messer durch den Balg gejagt.�

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Das war eine ganz verfluchte Lüge, aber sie erfüllte ihren Zweck. Der Marsch ins Innere der Insel wurde für Jonny zur Hölle. Nur eines hatte der Schwarze John nicht bedacht: Mit dieser Lüge hatte er Jonny auf einen Punkt gebracht, wo er auf Rache sann. So lauerte Jonny auf jede Chance, den Kerlen eins auszuwischen. Aber seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt� Wir marschierten unterdessen weiter. �Wer sagt uns denn überhaupt, daß wir in die richtige Richtung marschieren?� hörte ich Master Fleet Flanagan fragen. Flanagan blieb eiskalt. �Harry hat das geklärt. Es gibt keinen anderen Pfad ins Innere Timors. Rechts und links ist kein Durchkommen, für niemand. Aber wir stoßen später auf eine Lichtung und auf eine dort befindliche Quelle. Vielleicht haben wir dort schon Glück!� Fleet nickte, und so ging unser Marsch weiter. Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als plötzlich drei der Eingeborenen zurückkamen. Sie bedeuteten uns durch Zeichen, stehenzubleiben und nicht zu sprechen. Harry schaltete sich ein. Dann sah er Master Fleet an. �Vorne auf der Lichtung sind sie. Aber drei von ihnen sind tot, und der Teufel ist los ...� In diesem Moment raschelte es. Gefolgt von zwei Kriegern, die ihn mit ihren Speeren vor sich hertrieben, sprang Jonny auf den Pfad. Sein Gesicht war blutüberströmt, auch sein Hemd. Und seine Kleidung war zerfetzt, er sah fürchterlich aus. Aber er grinste. Dann sauste er auf Master Flanagan zu. �Rasch, die Kerle sind nur ein paar Yards von hier entfernt. Wenn wir uns nicht beeilen, sind sie weg. Ich habe denen gehörig eingeheizt ...� Master Flanagan sah ihn an. �Drei Tote ... Ihre drei?� fragte er. Jonny nickte. �Ich konnte mich losreißen, als sie mich in einen Ameisenhaufen hängen wollten, Sir. Sie oder ich, etwas anderes gab es in diesem Moment überhaupt nicht.� Zebulon Prescott trat auf Jonny zu. �Auge um Auge, Zahn um Zahn, spricht der Herr�, sagte er düster und legte seine Hand auf die schwere Bibel, die unter seinem gewaltigen Ledergurt steckte. Dann klopfte er Jonny auf die Schulter. Jonny erblickte mich.

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�Bonty!� Das war fast wie ein Schrei. �Und diese verfluchten Dreckskerle haben behauptet, sie hätten dich abgestochen ...� Master Fleet schaltete sich ein. Sein Zylinder saß auf Sturm. �Schluß mit dem Palaver, auch wenn ich Ihre Wiedersehensfreude begreife. Vorwärts, holen wir die Kerle!� Er sauste los. Mit seinen beiden Pistolen in den Händen raste er über den Pfad wie ein zorniger Nashornbulle. Wohl oder übel rannten wir alle hinter ihm her. Genau die richtige Methode, wie sich herausstellte, denn wir erwischten den Schwarzen John und seine Spießgesellen. Wir fielen einfach über sie her, wer Widerstand leistete, fiel unter den Musketenhieben unserer Männer. Es ging alles so blitzschnell, und Master Fleet streckte persönlich einen nach dem anderen nieder. Ein Berserker � so wirkte er in diesem Moment, und selbst Master Flanagan starrte ihn sprachlos an, als der Kampflärm verklungen war und Fleet zwischen fünf zu Boden gestreckten Männern wie ein Rachegott stand. �Alle in Eisen schließen! � befahl er, und wir befolgten seinen Befehl auf keineswegs sanfte Art. Dann erst atmeten wir auf. Nach und nach wurden die Kerle wieder ins Bewußtsein zurückgebracht. Manchmal auf recht brutale Weise, aber Master Fleet und Master Flanagan reagierten eisenhart Flanagan hielt sich allerdings etwas zurück, denn die Gefangenen gehörten samt und sonders zu Fleets Kommandobereich. Als letzter erwachte der Schwarze John, ihn hatte es am ärgsten erwischt. Er versuchte aufzuspringen, aber seine Fußfesseln ließen ihn sofort wieder zu Boden stürzen. Die Eingeborenen standen etwas abseits von uns, aber ihre Augen funkelten. Der Schwarze John rappelte sich abermals auf. Wütend starrte er Master Fleet und Master Flanagan an. Dann traf sein Blick Jonny. Seine Gesichtszüge verzerrten sich. Und schneller, als es irgendjemand voraussehen konnte, warf er sich auf Jonny, seine Fesseln dabei als tödliche Waffe benutzend. .Jonny wich gedankenschnell aus und stellte ihm lediglich ein Bein. �An einem gefesselten Hundesohn habe ich mir noch nie die Hände dreckig gemacht�, sagte er nur und versetzte dem Schwarzen John einen derben Tritt. �Hoch mit dir, ich denke, Master Fleet hat jetzt ein paar Fragen an dich!� Zwei Männer packten den Schwarzen John und stellten ihn auf die Füße.

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Master Fleet hatte alledem ungerührt zugesehen, aber jetzt wurde er aktiv. �Mister Bäng�, sagte er mit schneidender Stimme, �sorgen Sie dafür, daß diese Kerle antreten. Wer sich widerspenstig zeigt, bei dem helfen Sie mit der Neunschwänzigen nach. Aber kräftig, wenn ich bitten darf� �Aye, Sir�, erwiderte Mister Bäng, der einstige Profos der �Scout�, der dieses Amt auch wieder auf der �Explorer� versah. �Big Bäng� war kein sadistischer Leuteschinder, das wußte ich. Aber wenn es sein mußte, dann konnte dieser riesige Mann, der aber eine geradezu katzenhafte Geschmeidigkeit besaß, verdammt kräftig zulangen. Das tat er auch jetzt, als der bullige Fatso Widerstand leistete. Wenig später standen die Kerle in langer Reihe vor Master Fleet. Er sah sie angeekelt an. Dann sagte er mit schneidender Stimme: �Sie sind Meuterer, Deserteure. Sie haben es gewagt, sich am Master und an den Offizieren der �Medusa' zu vergreifen. Sie haben darüber hinaus einen Mord begangen und Mister Jonny, den Ersten Offizier der �Medusa', als Geisel entführt. Mehr, Sie wollten ihn mit dem Kopf dort in diesen Ameisenhaufen stecken, indem Sie ihn an den Füßen an jenem Baum dort aufgehängt hätten. Ein bestialischer Tod Mister Jonnys wäre die Folge gewesen. Sie alle haben ihr Leben verwirkt und werden von mir in London dem Gericht übergeben werden. Bis dahin werden Sie in Fesseln Ihre Arbeit auf der �Medusa' verrichten. Bei der geringsten Widersetzlichkeit wird hart durchgegriffen. Der erste von ihnen, der aufbegehrt, wird an der Großrah gehängt.� Die Kerle wurden bleich. Sogar der Schwarze John. Aber Fleet hielt sich damit nicht auf. �Mister Jonny�, befahl er, �erstatten Sie mir jetzt genauen Bericht über alles, was Ihnen von Anbeginn erinnerlich ist.� Jonnys Gesicht verhärtete sich. Dann gab er sich einen Ruck. �Es ist zwar nicht meine Art, Sir, jemand in die Pfanne hauen, aber in diesem Fall ...� Fleet blitzte ihn an. �Würden Sie gefälligst die Güte haben, mir Bericht zu erstatten, Mister Jonny, das ist ein Befehl. Und ich bitte mir aus, daß Sie das in vernünftiger Sprache tun. Also?�' Jonny rang mit sich, aber dann packte er doch aus. Denn diese Kerle zu schonen, war Wahnsinn. Er deutete auf Fatso. �Der da hat River-Charley auf dem Gewissen, er hat ihn erstochen. Außerdem hat er zwei der Eingeborenen erschlagen, heimtückisch und

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von hinten. Letzteres habe ich mit eigenen Augen gesehen, das andere hat mir der Schwarze John gesagt, weil er glaubte, ich könnte sowie so niemanden mehr etwas berichten.� Fleet stand bolzengerade und wie erstarrt da. �Stimmt das, was sie Mister Jonny in Ihrem Sieges rausch gesagt haben?� fragte er den Schwarzen John scharf. Der Schwarze John schwieg. �Mister Bäng, binden sie diesen Kerl da an den Baum und helfen Sie mit der Neunschwänzigen nach, bis er redet.� Big Bäng zögerte nicht � aber der Schwarze John war zu gerissen, um sich erst halbtot schlagen zu lassen. �Es stimmt, Sir. Fatso war es, der River-Charley umbrachte, und er hat auch zwei der Eingeborenen erschlagen. Ich wollte ihn zurückhalten, aber ...� Fatso stürzte sich auf ihn. �Du Hundsfott!� brüllte er. �Du feiges Schwein, du willst nur deinen Schädel aus der Schlinge ziehen, dir werde ich es zeigen!� Er schlug schneller, als daß irgendjemand von uns es hätte verhindern können, mit seinen Eisenfesseln zu. Er traf den Schwarzen John schwer, und der sank zu Boden. Blut quoll aus einer tiefen Wunde an seinem Schädel hervor. Wir packten zu. Diesmal auch ich, und wir bändigten den Rasenden. Dann nahm ihn Zebulon in seine Pranken -- und was diese Fäuste einmal packten, das ließen sie nicht mehr los. Er schleifte ihn kurzerhand bis zu Master Fleet, und Zorn stand in seinen Augen. �Wer tötet, der wird gerichtet werden!� sagte er dumpf. �Gott sei deiner armen Seele gnädig!� Fleet warf Zebulon Prescott einen undefinierbaren Tick zu. Dann richtete er den Blick auf Fatso. �Ihre Schuld ist vor allen Versammelten erwiesen. Ich verurteile Sie hiermit zum Tode durch Aufhängen um Halse bis daß der Tod eintritt. Machen Sie Ihren Frieden mit Gott, das Urteil wird an Ort und Stelle sofort vollstreckt.� Mister Bäng stand mit hängenden Schultern da, er wußte, was jetzt auf ihn zukommen würde. Er hatte sich nicht getäuscht. �Mister Bäng, walten Sie Ihres Amtes!� sagte Master Fleet. �Nein! � hörte ich Fatso brüllen. �Nein, ich will in London vor Gericht, ich ...�

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Mister Bäng fackelte nicht. Er warf einen Strick über einen dicken Ast des Baumes, unter dem sich der Ameisenhügel befand, dann knüpfte er die Schlinge und streifte sie dem Delinquenten über den Kopf. Gleich darauf zog er Fatso hoch. Es ging alles sehr schnell, aber mir drehte sich der Magen fast wieder um, eh dachte an die Hinrichtung von Samuel Hawkins auf Last Hope, wie wir seinerzeit das Eiland genannt hat- Fatso wurde an Ort und Stelle begraben. Dann rückten wir ab, die Gefangenen zwischen uns. Die Eingeborenen begleiteten uns zurück zum Strand. Am nächsten Morgen liefen unsere drei Schiffe aus, nachdem wir noch Frischwasser und Proviant von den Eingeborenen erstanden hatten. Als sich unsere Segel im Wind blähten, standen sie am Ufer und blickten uns nach. Jonny und ich besuchten Master Nemo in seiner Kabine. Er empfing uns mit einem freundlichen Lächeln, und wir erstatteten ihm Bericht. Er deutete auf die Rumflasche, und wir drei nahmen einen gehörigen Schluck. �Ich werde noch in der Koje bleiben müssen. Dieser Ivo Montesano läßt mich nicht raus, aber er hat wohl recht. Wenn ich mich bewege, dreht sich noch immer alles vor meinen Augen. Gehirnerschütterung. Sie müssen alleine fertig werden, Mister Bonty und Mister Jonny. Aber kommen Sie zu mir, wenn etwas nicht klappt, klar?� Master Nemo nahm noch einen Schluck, dann legte er sich zurück. Ivo Montesano, der an Bord der �Medusa� geblieben war � auf Befehl von Master Flanagan, um sich weiter um die Verletzten und Master Nemo zu kümmern, trat ein. �Master Fleet kommt mit einem Boot, er wird gleich längsseits sein!� Wir sausten an Deck. Tatsächlich, er schor gerade längsseits und enterte auf. Er sah uns nur kurz an. Dann inspizierte er sorgfältig einen Gefangenen nach dem anderen, die noch immer ihre Hand- und Fußfesseln trugen, deren Ketten aber so lang waren, daß sie sich leidlich bewegen und ihre Arbeit verrichten konnten. �Haben Sie genügend Männer für die Segelmanöver?� fragte er. Wir verneinten das, denn die Gefangenen konnten mit ihren Fesseln auf keinen Fall auf die Rahen. �Gut, ich regele das�, sagte er. �Aber passen Sie auf diese Kerle gut auf. Die sind gefesselt genauso gefährlich wie vorher! � Master Fleet stattete Nemo noch einen Besuch ab, dann ging er von Bord. Bevor wir die Bucht verließen, kam ein Boot längsseits. Es brachte Mister Bäng und noch drei Mann von Fleets Crew, außerdem

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China-Harry, Kid Holloway und Zebulon Prescott von der �King Charles�. Das mußte reichen, und es reichte auch. Zebulon lächelte uns an. �So spielt das Leben, Bonty�, sagte er zu mir. �Jetzt segele ich unter Ihrem und Jonnys Kommando. Wer hätte das damals, als wir uns in Indien kennen lernten, gedacht!� Er nickte uns zu und ging wie selbstverständlich zum Achterdeck, wo er sofort seinen Platz am Ruder der �Medusa� einnahm. Ich folgte ihm etwas später. �Zebulon, das mit dem Segeln unter unserem Kommando hast du doch nicht ernst gemeint, oder?� Zebulon sah mich an. �Es war mein voller Ernst. Ihr habt eine Aufgabe übernommen, und ich werde euch dabei unterstützen. Aber das Kommando habt ihr. Und das ist gut so, denn daran werdet ihr wachsen, alle beide!� Wir verließen die Südbucht von Timor. Bewaffnete Doppelwachen patrouillierten über die Decks, und nach menschlichem Ermessen hatten der Schwarze John und seine Komplizen nicht mehr die geringste Chance, etwas gegen uns zu unternehmen. Nur Jonnys Gesicht gefiel mir gar nicht, wenn er die Kerle kontrollierte. Ich sprach ihn deswegen einmal an, gegen Abend des Tages. Jonnys Gesicht schrumpelte zusammen, im übrigen begannen seine Wunden im Gesicht und am Körper zu verheilen. �Die Kerle können es sich gar nicht leisten, bis nach London geschafft zu werden. Die können sich nicht einmal Madras leisten, Bonty. Die werden noch etwas versuchen. Ich kenne diese Typen wie Black John. Du wirst sehen. Nur weiß ich nicht, wie sie es machen wollen und wann.� Ich erschrak. Denn Jonny hatte das so bestimmt gesagt. daß es für mich keinen Zweifel daran gab, daß er recht behalten würde. �Wir werden ihnen keine Chance geben, Jonny�, sagte ich. �Ich werde sie ständig im Auge behalten, oder du oder Big Bäng. Nein, Jonny, das schaffen sie nicht.� Jonny sagte nichts, sondern starrte verbissen in die See. �Ich werde jetzt das Batteriedeck kontrollieren, Bonty�, sagte er nur. �Halt die Augen und Ohren offen!� Damit ging er � und ich wußte, daß er absolut nicht meiner Meinung war.

*

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Es war am zehnten Tag, nachdem wir die Bucht verlassen hatten, wir befanden uns querab und südlich vom Westende Javas, segelten auf die Küste Sumatras zu. Wir wollten an der Küste Sumatras entlangsegeln, bevor wir in den Golf von Bengalen hineinstießen, um dort dann direkten Kurs auf Madras zu nehmen. Schon den ganzen Tag hatte Jonny den Himmel mißtrauisch beäugt. Auch Zebulon Prescott tat das. �Da braut sich was zusammen�, sagte er und schnupperte die Luft ein, als könne sie ihm etwas verraten. Jonny nickte. �Genau meine Meinung, Zebulon. Ich werde alle Niedergänge und Luken verschalken lassen, so ein Hurrikan in dieser Gegend kann verdammt höllisch werden!� �Wir müssen Nemo verständigen�, sagte ich. Jonny nickte. �Mach du das�, erwiderte er. �Und vor allem müssen wir sofort ein gehöriges Stück Wasser zwischen uns und die Küste da bringen! Zebulon, abfallen nach Südwest. Alle Mann an die Brassen!� Jonnys Stimme dröhnte über Deck. Ich sah noch, wie auch die �King� und die �Explorer� unserem Beispiel folgten. Also hatten die auch schon einen bevorstehenden Sturm gerochen. �Jonny, warte. Was tun wir mit den Gefangenen? Die können doch nicht in ihren Fesseln ...� �Und ob sie das können. Sie werden es können müssen. Keiner von ihnen wird losgeschlossen. Mir ist scheißegal, wer von ihnen diesen Sturm überlebt, diese Bastarde haben keinerlei Mitleid verdient!� �Jonny�, sagte ich, �sie sind immerhin Menschen ...� �Menschen?� Jonny sah mich aus ganz schmalen Augen an. �Bonty, hau bloß ab zu Nemo, und es bleibt bei dem, was ich gesagt habe!� So hart hatte ich Jonny noch nie erlebt. Aber ich sollte noch begreifen, wie recht er hatte. Die �Medusa� schwang herum. Addy und unsere anderen Männer, auch Mister Pilgram, waren wieder an Deck. Am Hals hatte er noch eine feuerrote, ringförmige Narbe, die von dem Versuch herrührte, ihn zu erdrosseln. Ich betrat die Kabine Nemos. Er lag zwar noch auf dem Bett, hatte sich aber aufgerichtet. Eines der Fenster stand offen, frische Luft drang von See her herein. Nemo sah mich an. �Sie wollen mir melden, daß es einen kräftigen Sturm, wenn nicht sogar einen Taifun gibt, Mister Bonty�, sagte �Ich

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kenne diese Ecke hier recht gut. Es war richtig, daß Mister Jonny sofort Kurs auf die offene See nahm. Wenn's zu arg wird, komme ich an Deck, es geht jetzt schon wieder besser!� Er nickte mir zu, und damit war ich entlassen. Als ich an Deck kam, hatte die See eine dunklere Färbung angenommen. Der Himmel sah jetzt bleigrau aus, aber er verfärbte sich ständig weiter. Das Bleigrau wich einem merkwürdigen, gespenstisch anmutenden Violett, aber die Sonne schien noch. Wolken waren weit und breit nicht zu entdecken. Ich blickte zurück. Hinter uns segelte die �Explorer�. noch weiter hinten die �King Charles�. Beide hatten jeden Fetzen Segel gesetzt und trachteten danach, unter vollem Preß die offene See zu gewinnen. Auch wir hatten alles Tuch gesetzt, was die Masten tragen konnten. Jonny kam zu mir. �Wir müssen verdammt auf der Hut sein, Bonty�, sagte er. �Sobald es anfängt zu blasen, runter mit den Segeln. Nur noch Sturmsegel bleiben oben, oder der Sturm kippt uns bei einer harten Bö glatt in den Bach. Kapiert?� Ich nickte � und in diesem Moment spürte ich, wie schwer es war, die Verantwortung für ein Schiff und seine Besatzung zu tragen. Man mußte Entscheidungen fällen, und zwar die richtigen. Es war eine neue Situation für Jonny und mich, denn Master Nemo ließ sich nicht sehen. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Zebulon. Er merkte das. �Nur ruhig, Bonty. Die �Medusa' ist ein ausgezeichnetes Schiff, sie wird es überstehen, gleich, wie hart es kommst. Nur � wir liegen durch die Ladung verdammt tief im Wasser. Wir sollten genügend Mann- und Strecktaue spannen und uns anlaschen.� Ich nickte nur, denn das hatte ich glatt in meiner ganzen Aufregung übersehen. Sofort enterte ich den Niedergang herab. �Addy, greif dir ein paar Mann, spannt Strecktaue und sorgt dafür, daß jeder sich anlaschen kann. Auch die Gefangenen.� Addy nickte nur kurz, und dann ging er mit Fips, Lightshower, George und Joe Pilgram an die Arbeit. Etwas später griff auch Mister Bäng mit zu, und auch Ivo Montesano erschien an Deck. Der Himmel hatte sich weiter verfärbt. Ein schwefliges Gelb begann sich auszubreiten. Langsam zunächst, dann aber immer rascher. Jonny warf einen Blick zu den Masten empor, und in diesem Moment erschien auch Master Nemo an Deck. Er warf einen Blick zu den Segeln empor.

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�Bis auf die Sturmsegel alles bergen lassen, Mister Jonny, Mister Bonty. Der Sturm kann jede Minute losbrechen.� Wir flitzten los, dann enterten wir mit Addy und den anderen auf. Sogar die Gefangenen hatten besorgte Gesichter � sie waren zwar Verbrecher, aber auch sie kannten sich auf See gut aus. Wir bargen die Segel � und die �Explorer� zog noch unter vollem Press an uns vorbei, während Master Flanagan nunmehr auch die oberen Segel bergen und nur noch Sturmsegel stehen ließ. Sturmsegel, das sind nur die unteren. Die Hebelwirkung, die eine plötzliche Fallbö an ihnen erzielen und das Schiff krängen kann, ist bei weitem nicht so groß, als wenn sie in die oberen Segel fährt. Die �Medusa� verlangsamte ihre Fahrt � und wir warteten, daß der Sturm ausbrechen würde. Der Himmel war jetzt über und über mit schwefligem Gelb bedeckt, und erste Blitze zuckten auf. �Ein Gewittersturm, kein Taifun, hoffe ich�, sagte Nemo zu uns, und Zebulon am Ruder nickte. �Aber es wird ein schweres Wetter, Master Nemo�, fügte er hinzu. �Gleich wird der Wind einschlafen und dann geht es los!� Wir warteten � nichts geschah. Der Wind blies weiter, und die �Medusa� lief immer noch gute Fahrt, trotz der verringerten Segelfläche. Dann beobachtete ich, wie auch Master Fleet Segel bergen ließ � und dann, ganz plötzlich, schlief der Wind ein. Es herrschte Totenstille an Bord und über der See.

* �Es geht los! � sagte Zebulon. Mit ein paar Griffen laschte er sich am Ruder fest. �Paßt auf euch auf!� sagte er noch zu uns, dann entlud sich knisternd ein so gewaltiger Blitz, daß wir uns instinktiv zusammenduckten. Dem Blitz folgte ein berstender Donnerschlag, und dem folgte der Regen. Regen? Nein, das war eine Sintflut, das war etwas, was einem den Atem verschlug. Im Nu war die Sicht gleich Null, es war nicht möglich, durch diese dichten Wasserschleier hindurchzusehen. Gleich darauf fiel die erste Gewitterbö über die �Medusa� her. Sie fuhr heulend in die Takelage, die Sturmsegel blähten sich mit einem lauten Knall auf, der aber gleich darauf in einem zischenden, gleißenden Blitz und dem sofort folgenden Donner unterging. Der Blitz fuhr unweit der �Medusa� in die See.

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Die �Medusa� krängte weit nach Steuerbord. Die Nocken der Großrah berührten das Wasser, gurgelnd brach das Wasser über die Schanzkleider und überschwemmte in Sekundenschnelle das Hauptdeck. Die Hölle war ausgebrochen � so kam es mir vor. Der Himmel wirkte jetzt noch düsterer als zuvor. Die Luft schien nach Schwefel zu riechen. So mußte es sein, wenn am Tage des Jüngsten Gerichts der Satan aus der Hölle fuhr und die Seelen der Verdammten packte. Jonny und ich benutzten eine kleine Pause, die der Gewittersturm plötzlich einlegte, um aufs Hauptdeck abzuentern. An den Manntauen hangelten wir uns durch den klatschenden Regen � und dann hob sich die �Medusa� plötzlich achtern hoch in die Luft. Galion und Bugspriet verwanden in der See, aber gleich darauf tauchten sie wieder auf, und nun hob sich der Bug steil in den schwefelgelben Himmel. So steil, daß es Jonny und mir buchstäblich die Beine unter dem Leib wegriß. Wir krampften unsere Hände um die Manntaue � aber da rollte schon die zweite turmhohe Woge heran. �Achtung!� schrie Jonny nur, und irgendwie brachte ich es fertig, mich noch an einem der Mannstaue anzulaschen. Dann schien die Welt unterzugehen. Die See überrollte die �Medusa� � denn diesmal war sie nicht von achtern, sondern von Backbord herangegischt. Ihre Schaumkrone leuchtete gespenstisch durch die Dämmerung, hin und wieder wurde sie grellweiß unter dem blendenden Licht der Blitze. Ich spürte, wie die See mich verschlang. Sie riß mir die Beine, die eben wieder Halt auf den Planken gefunden hatten, sofort weg. Auch die Arme zog sie mit unwiderstehlicher Gewalt von dem Manntau, das meine Hände umklammerten. Und dann wirbelte ich an dem Tampen herum, der mich mit dem Manntau verband. Ich konnte nichts dagegen tun, die See trieb ihr wildes, tödliches Spiel mit mir. Denn hätte ich mich nicht angelascht, dann hätte dieser Brecher mich über Bord gespült wie einen herumliegenden Belegnagel. Die Luft wurde knapp. Aber immer noch war ich begraben unter der grünglasigen See. Meine Lungen drohten zu platzen, jedenfalls hatte ich das Gefühl. Dann endlich lief das Wasser ab. Ich bekam den Kopf frei und das Strecktau wieder zu fassen. Ich spuckte, hustete � aber neben mir erblickte ich Jonny, der sich gleich mir an einem der Taue festgelascht hatte. Auch er spuckte und hustete fluchend. Ihn hatte die See genauso gebeutelt wie mich � doch dann erstarrten wir beide. Das

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Steuerbordschott, das das Achterschiff vom Hauptdeck trennte, stand offen. Die dicke Bohlentür pendelte wild hin und her. �Los, Bonty, schnell, wir müssen das Schott schließen, oder die �Medusa' säuft uns unter dem Hintern ab wie ein Stein ...� Er löste seinen Strick, das heißt, er wollte es tun, aber er kam nicht mehr dazu. Er sah die nächste Woge heranrollen, wieder schräg von Backbord. Es wäre Selbstmord gewesen, sich jetzt vom Manntau zu lösen, und .Jonny wußte das. Er warf einen verzweifelten Blick zum Achterdeck hinüber, aber der prasselnde Regen verwehrt ihm die Sicht genauso wie mir. Auch Brüllen half nichts. Die Donnerschläge, die zuckenden Blitze und der heulende Sturm, unter dem Masten, Pardunen und Wanten vibrierten, verschluckte jeden menschlichen Laut. �Wenn die weg ist, Bonty, dann gleich ...� Was er sagte erstarb in Gurgeln. Die Woge war heran. Sie sprang über das Backbordschanzkleid, überrollte das Hauptdeck, und dann wirbelten uns die Wassermassen wieder herum, bis uns die Luft ausging. Verdammt, dachte ich, jetzt schießt das Wasser ins Achterschiff und keiner bemerkt das... Dann war die Woge vorüber. Jonny gab mir ein Zeichen, und wie auf Kommando lösten wir unsere Tampen von unserem Strecktau, an dem wir hingen. Ich fragte mich, ob bei diesen gigantischen Wogen von unserer Besatzung jemand außenbords gespült worden war � helfen konnte dem niemand, und feststellen ließ sich das jetzt auch nicht. Jonny und ich erreichten das Schott. Jonny fluchte laut - der schwere Riegel, der das Schott sicherte, hatte sich gelöst. Mißtrauisch starrte Jonny das Schott an. Wie konnte das geschehen sein � diese Frage stand in seinem Apfelgesicht. Aber wir hatten keine Wahl, wir mußten das Schott schließen und uns dann in Sicherheit bringen, und zwar so rasch wie möglich. Denn an Backbord türmte sich schon wieder ein gigantischer Wellenberg auf, dazu kamen die wilden Bewegungen der �Medusa�, die stampfte, rollte, vorn und achtern hochstieg wie ein ungebärdiger Gaul. �Verflucht, Bonty, das sind Kreuzseen!� Jonny brüllte aus Leibeskräften, während wir den schweren Balkenriegel wieder in seine Eisenklampen wuchteten. Wir schafften das nur noch gerade, dann laschten wir uns wieder fest am erstbesten Manntau, das wir zu erreichen vermochten. Danach versank um uns

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wieder alles unter gischtenden, wirbelnden, schäumenden Wassermassen. Als ich diesmal meinen Kopf wieder herausstreckte aus dem grün-glasigen Chaos, war ich fix und fertig. Ich japste nach Luft wie ein Ertrinkender, und auch Jonny war krebsrot im Gesicht vor Anstrengung. Aber in diesem Moment gelang es Zebulon und Master Nemo, die �Medusa� mit vereinten Kräften wieder vor den Wind zu bringen � und die �Medusa�, getrieben von dem heulenden Sturm, brauste durch die See. Ihre Lage stabilisierte sich, aus dem Hin- und Her-Taumeln wurde wieder eine etwas ruhigere Lage, weil wir über Steuerbordbug, tief in die hochgehende See gepreßt, dahinpreschten. Jonny atmete auf. Blitzschnell löste er sich von seinem Manntau und kontrollierte noch mal den Riegel am Schott. �Dicht, Bonty�, sagte er. �Der sitzt jetzt bombenfest. Aber du kannst dich darauf verlassen, daß ich diesen Kerl, der den Riegel so schlampig in die Klampen gesteckt hatte, herausfinden werde. Und dann gnade ihm Gott. Wir hätten durch diese Nachlässigkeit sang- und klanglos absaufen können! � Damit war das Thema vorerst erledigt � aber wir sollten noch nachdrücklich an diese Sache erinnert werden. Der Gewittersturm tobte fast vierundzwanzig Stunden, dann beruhigte sich die See. Irgendwo querab mußte Sumatra liegen, wir wußten es nicht, denn der Regen prasselte noch immer auf unser Schiff und machte für die nächsten Stunden jede Sicht unmöglich. Doch dann � irgendwann, ich hatte jedes Zeitgefühl längst verloren �, klarte es plötzlich auf. Blauer Himmel erschien, und die Sonne begann sofort auf die �Medusa� herabzubrennen. Die Decks dampften, die Takelage dampfte, es wurde unerträglich heiß und schwül. Jonny ließ die Crew antreten. Vier Mann fehlten. Wahrscheinlich waren sie über Bord gewaschen worden, aber wir sollten sofort eines besseren belehrt werden. Master Nemo enterte vom Achterdeck aufs Hauptdeck herab � und plötzlich hatten die Kerls, die sich blitzschnell um den Schwarzen John scharten, Messer, Schiffshauer und Äxte in den Fäusten. Nemo blieb ruckartig stehen. Ein riesiger Mann mit pechschwarzem Bart. In diesem Augenblick wirkte er so finster wie eine Ausgeburt der Hölle. Und ich glaube, er hatte als erster begriffen, was jetzt passieren würde.

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�Meuterei!� sagte er nur. Gleichzeitig griff er wie Jonny und ich und die Männer Nemos, allen voran der Riese Addy, nach den Pistolen, die in seinem Gürtel steckten. Der Schwarze John trat vor. Seine Hand- und Fußfesseln klirrten. Er grinste Nemo frech ins Gesicht, ein gewaltiges Entermesser in der Faust. �Die Pistolen dürften kaum funktionieren. Sie hätten sie trocknen, reinigen und neu laden sollen, aber das haben Sie nicht getan und Ihre Männer auch nicht!� Der Schwarze John lachte höhnisch. Jonny sah mich nur an. Dieser Kerl hatte noch einen Trumpf im Ärmel, sonst hätte er nie gewagt, dazu noch gefesselt, so aufzutreten. Auch Nemo spürte das � und deshalb unternahm er nichts und bedeutete auch seinen anderen Männern, sich in dieser Situation absolut ruhig zu verhalten. �Was soll das Ganze?� fragte er schließlich. Wieder lachte der Schwarze John. Aber statt einer Antwort streckte er dem Master seine Hände hin, und dann auch den linken Fuß. �Lassen Sie meine Fesseln aufschließen, Sir! � sagte er. Nemo riß der Geduldsfaden, er packte den Schwarzen John und zog ihn dicht an sich heran. �Ich denke gar nicht daran. Bestien wie Sie läßt man nicht frei herumlaufen, ich werde ...� �Gar nichts werden Sie�, sagte der Schwarze John. �Absolut gar nichts. Da, ihre beiden Offiziere, die wissen Bescheid, fragen Sie sie doch ...� Jonny wurde bleich. Dann trat er auf den Schwarzen John zu, den Master Nemo wieder losgelassen hatte, und packte ihn. �Was wissen wir, Bonty und ich?� fragte er kochend vor Zorn. �Mensch, Kerl, rede jetzt, oder du erlebst die nächsten Sekunden nicht mehr, und das ist mein Ernst!� Den Schwarzen John rührte das nicht. Gleichmütig sah er Jonny an. Er machte nicht einmal den Versuch einer Gegenwehr. �Ich werde noch lange leben, wahrscheinlich jedenfalls. Aber eure Herrschaft über die Medusa ist jetzt zu Ende, jetzt sind wir dran ...� Jonny ließ den Schwarzen John ebenfalls los. Er starrte ihn an, als habe dieser Kerl den Verstand verloren. �Also, was wissen wir, Bonty und ich?� wiederholte er eine Frage. Der Schwarze John grinste. �Ganz einfach. Wir haben gesehen, daß ihr bemerkt hattet, daß das Steuerbordschott zum Achterschiff offen war. Wir wollten es selber

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schließen, aber ihr beide habt uns dankenswerter Weise die gefährliche Arbeit abgenommen, auch wenn ihr dabei nur fast und leider nicht ganz ersoffen seid.� Nemo starrte Jonny an. �Stimmt das, Mister Jonny�, fragte er heiser vor Wut. Jonny nickte. �Ja, Sir, wir dachten, der Riegel wäre nachlässig in die Klampen geschoben worden und die See hätte ihn losgerissen.� Nemo nickte, und seine Augen verengten sich. �Und jetzt sitzt einer deiner Bastarde in der Pulverkammer und hält eine Lunte in der Hand!� sagte er zum schwarzen John. �Ah, Sie kapieren schnell, Sir�, lobte der Schwarze John spöttisch. �Und er wird die Pulverfässer hochjagen, Wenn Sie Sperenzchen machen, mein Wort drauf. Wir alle haben nichts mehr zu verlieren, und nach London werden wir so oder so nicht segeln, mein Wort drauf, Sir!� Das �Sir� sagte er mit scharfer Betonung. �Aber noch etwas, was Sie nicht übersehen sollten. Es sitzen zwei meiner Männer in der Pulverkammer und einer in Ihrer Kabine. Wenn auch nur das geringste geschieht, wird er mit seiner Muskete, die er sich schlauerweise aneignete, feuern. Ihr Pulver ist trocken. Sie wird funktionieren. Wenn meine beiden Männer diesen Schuß hören, dann jagen sie die �Medusa' in die Luft. Das sind zwei harte Burschen, Sir, die tun das glatt. So, und nun schließen Sie mich los und die anderen auch. Sie bleiben unsere Geiseln und werden selber in Eisen geschlossen Sollten Sie sich nicht entschließen können und ich erscheine nicht in Ihrer Kabine � oder muß ich Salon sagen? �, dann fliegt die �Medusa' ebenfalls in die Luft. So, das wär's, und Sie sollten sich beeilen ...� Der Schwarze John grinste, aber dann sagte er noch etwas, was uns den Schweiß aus den Poren trieb. �Natürlich gilt das auch für den Fall, daß sich Master Flanagan oder dieser Fleet einmischen sollten. Und denken Sie daran, dieses Schiff hat eine verdammt kostbare Ladung. Was uns natürlich sehr freut, denn die ,Medusa' gehört jetzt uns mit Mann und Maus!� Ich zweifelte nicht an den Worten des Schwarzen John. Der Master auch nicht. Diese Kerle gingen aufs Ganze. Und sie hatten in der Tat nichts mehr zu verlieren, wirklich nicht. �So�, sagte der Schwarze John, während der Master und auch wir beharrlich schwiegen, �wir machen das folgendermaßen. Sie, verehrter Sir, nehmen mir die Fesseln ab, und dieser Mister Bonty wird sie Ihnen dann wieder anlegen. Dann schließt Mister Bonty den da los, und

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Mister Jonny wird seinem Busenfreund die Fesseln anlegen, Und so weiter, und so fort. Sehen Sie mal nach achtern, Sir?� Hinter Zebulon, der wieder Ruderwache ging, tauchte ein schmieriger Kerl auf. Ich kannte ihn, das war Bastard-Louis, wie ihn die anderen nannten. Er schlug Zebulon, noch bevor wir es verhindern konnten, einen Belegnagel über den Schädel. Zebulon fuhr herum. Seine mächtige Rechte zuckte noch, aber dann brach er zusammen. �So, sehen Sie, Nemo, Bastard-Louis wird jetzt mit seiner Muskete das Geschehen hier auf dem Hauptdeck überwachen. Wenn einer von Ihren Männern nicht spurt, dann feuert er seine Muskete als Signal ab. Alles weitere wissen Sie.� Ich sah, wie der Kerl auf dem Achterdeck Zebulon Hände und Füße zusammenschnürte, und er tat das verdammt gründlich. Der Schwarze John änderte seine Stimme. Seine schmierige, höhnische Freundlichkeit hörte auf. �Vorwärts jetzt, wir haben genug gequatscht. Schließen Sie mich los!� Nemo winkte Addy, und der warf ihm die Schlüssel für die Hand- und Fußschellen hinüber. Dann schloß Nemo den Schwarzen John los. Der reckte sich genüßlich. �Na also!� sagte er. �Und jetzt, Mister Bonty, jetzt sind sie dran!� �Tun Sie, was er von Ihnen verlangt, Mister Bonty�, sagte Nemo �und jeder tut das. Aber Ihnen, Sie Satan, sage ich, daß Sie damit nicht durchkommen werden!� Der Schwarze John drehte sich um und grinste seine Spießgesellen an, die nun nach und nach von uns von den Fesseln befreit wurden. �Er denkt an Fleet und Flanagan�, sagte er. �Er hofft, daß die beiden ihm helfen werden. Hahaha! � Der Schwarze John lachte. �Nichts dergleichen wird geschehen. Denn wir segeln weg, und für die anderen ist die Medusa bedauerlicherweise untergegangen. Wir werden das auch noch ein bißchen demonstrieren. Los, Männer, holt ein paar Latten und werft eines der Boote über Bord, aber so, daß es kieloben treibt. Dann zerschlagt eine Ersatzspiere, so, als sei sie im Sturm gebrochen und schmeißt auch sie in die See. Noch ein bißchen Tauwerk dazu, fertig!� Ich erschrak. Dieser John war wahrhaftig ein Satan. Er hatte sich gut vorbereitet. Es konnte durchaus passieren, daß Fleet und Flanagan, wenn sie die Holzreste, die zertrümmerte Spiere und das kieloben

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treibende Boot fanden, tatsächlich annahmen, daß die �Medusa� gesunken sei. Auch Nemo starrte verbissen auf die Decksplanken. Jonny fluchte leise vor sich hin. Wie man es auch sah - wir saßen bis zum Hals in der Patsche, und wie! Der Schwarze John bestätigte meine Gedanken sofort, als auch der Letzte seiner Kerle der Fesseln ledig war, wir alle aber stattdessen an Händen und Füßen Eisenfesseln trugen. �So, und jetzt an die Arbeit mit euch. Meine Männer werden gut auf euch aufpassen. Wenn irgendeiner eine krumme Sache versucht, den werfen wir über Bord. Dann kann er ja versuchen, samt seinen Fesseln Land zu gewinnen, hahaha!� Ein paar Peitschenhiebe sorgten dafür, daß wir, innerlich vor Wut kochend, an die Arbeit gingen. Aber der Schwarze John hatte noch eine Überraschung für uns bereit. �Ihr geht auch so auf die Rahen. Wenn einer von euch von oben runterkommt, umso besser. Brecht euch nur alle das Genick, es wird ein Vergnügen sein, dabei zuzusehen!� Die �Medusa� schwang herum. Natürlich standen auch die Kerle des Schwarzen John an den Brassen und Fallen, wir paar Mann konnten ein Schiff wie die �Medusa� nicht segeln. Aber die Banditen richteten es so ein, dass wir zwischen ihnen verteilt waren, daß niemals auch nur zwei von uns zusammen arbeiteten. Es war eine wirklich durch und durch beschissene Situation. Und dieser gemeine Trick, sich während des Sturms in die Pulverkammer zu schleichen, hatte uns wehrlos gemacht. Natürlich hegte ich wie alle anderen Zweifel daran, daß die Kerle sich wirklich in die Luft sprengen würden, aber sicher war ich meiner Sache nicht. Denn wenn so ein sturer Kerl, wie Fatso einer gewesen war, dort auf den Pulverfässern hockte, dann konnte das durchaus passieren. Zu verlieren hatten der Schwarze John und seine Spießgesellen nichts, das war mir klar. Und von Flanagan oder Fleet hatten wir im Moment wirklich keine Hilfe zu erwarten. Wer wußte schon, wohin der Sturm die beiden Schiffe verschlagen hatte. Aber dieser verfluchte Schwarze John, der schien sich genau in dieser Gegend auszukennen, denn zielstrebig ließ er Kurs Ost steuern, und der Wind half ihm sogar dabei. Hin und wieder warfen Jonny und ich uns einen Blick zu. Sprechen konnten wir nicht miteinander. Als wir es einmal versuchten, bekamen wir jeder ein paar verdammt schmerzhafte Peitschenhiebe auf den

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Rücken. Und der Kerl, der sie uns verpaßte, ein Mann, den die anderen Timothy nannten, versetzte uns noch ein paar Tritte in den Hintern. �Beim nächsten Mal, wenn ich euch erwische, geht ihr über Bord, klar? Schließlich wollen die Haie auch leben!� Er lachte dröhnend, und dann ging er weiter. In Jonnys Augen stand die kalte Wut. Aber auch er konnte nichts unternehmen, aber immerhin arbeitete er ganz in der Nähe von Master Nemo. Dessen finsteres, düsteres Gesicht wirkte wie eine starre Maske. Und das verhieß nichts Gutes, soweit kannte ich ihn inzwischen doch. Gegen Abend dieses verfluchten Tages erreichten wir eine Insel. Wie ich später erfuhr, hieß sie Teressa und gehörte zu den Nicobaren. Der Sturm hatte uns also weit in die offene See hinausgejagt. Wir umrundeten die Nordspitze der Insel, und dann lief die �Medusa� in eine kleine, hervorragend geschützte Bucht ein, die sogar durch eine weit in die See hinausragende Felsnase Schutz gegen Sturm und gegen Sicht bot. Der Schwarze John kam zu uns. �Hier können die lange nach uns suchen, selbst wenn der Sturm sie in die gleiche Richtung verschlagen haben sollte. Hier bleiben wir jetzt ein paar Tage liegen. Wir werden Frischwasser an Bord nehmen und uns neuen Proviant besorgen. Dann verschwinden wir endgültig. Und sobald wir sicher sein können, daß wir euch nicht mehr als Geiseln brauchen, verschwindet ihr auch. Über Bord, mit einer Eisenkugel an den Füßen. Aber nur keine Angst, Ertrinken soll kein schwerer Tod sein, sondern sehr angenehm. Ihr müßt nur unter Wasser mal richtig tief einatmen, hahaha!� Der Schwarze John kehrte aufs Achterdeck zurück. Weiter vorne erblickte ich Zebulon, der natürlich ebenso Fesseln trug wie wir. Sein Kopf war blutverschmiert. Die Platzwunde, die der Hieb mit dem Belegnagel ihm eingetragen hatte, begann sich zu verkrusten. Aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn zu verbinden. Als die Dunkelheit sich wie ein schwarzes Tuch über die Bucht legte, entfalteten der Schwarze John und seine Kerle eine uns unverständliche Aktivität. Ich spitzte die Ohren, denn diese verdammten Hundesöhne schienen sich nicht einig zu sein. �Ist doch Blödsinn, John!� hörte ich einen sagen. �Wie sollen die denn ausgerechnet in die Bucht ...� Black John schnitt ihm das Wort ab. �Ich verlasse mich immer nur auf das, was ich mit eigenen Augen sehen kann�, sagte er, �und deshalb lebe ich immer noch. Wenn dir an

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meinen Befehlen etwas nicht paßt, dann kannst du verschwinden, klar?� Der Kerl schwieg, denn Black John meinte das ernst. Er war jetzt wieder der Anführer und duldete keinen Widerspruch. Wir wurden in einen der Lagerräume getrieben und dort an in die Balken eingelassene Ringbolzen angeschlossen. Zwar konnten wir uns noch setzen, aber legen vermochten wir uns nicht. Wir schwiegen, bis wir merkten, daß der Schwarze John mit einer Gruppe seiner Männer ein Boot zu Wasser gelassen hatte und davongepullt war. Dann aber machte Jonny seinem Herzen Luft. �Wir sitzen ganz schön in der Scheiße�, sagte er. �Diese verfluchten Fesseln bringen wir nicht auf, und den Bastarden da oben an Deck ist es ernst: Die werden uns eiskalt über Bord werfen, sobald sie uns nicht mehr brauchen ...� Nemo nickte finster. �Stimmt genau, aber soweit werden wir es nicht kommen lassen. Jeder von uns sollte nachdenken. Noch ist mir keine rechte Idee gekommen, aber mir fällt noch etwas ein. Fest steht für mich, daß der Schwarze John und Beine Dreckskerle die �Medusa' nicht behalten werden.� Zebulon Prescott meldete sich zu Wort. �Sir, ich glaube, die Kerle bluffen. Das mit der Munitionskammer und daß sie sich selber in die Luft sprengen Werden, nehme ich ihnen nicht ab. Und zwar aus folgenen Gründen nicht: Die Burschen wollen leben, nicht sterben. Dann hat die ,Medusa' eine Ladung, die sie zu reichen Leuten machen würde, wenn sie die Kultgegenstände entweder einschmelzen oder irgendwo verkaufen, oder wenn sie damit irgendwo nach Indien segeln und sie dort, wie sie sind, an den Mann bringen. In Indien werden sie sie los, wie sie sind! Nein, diese Halunken werden sich nicht mit uns zusammen in die Luft sprengen. Das ist meine Meinung, Sir!� Zebulon hatte das ganz ruhig gesagt. Jonny, das konnte ich sehen, weil er genau neben Master Nemo angekettet war, nickte. �Ich glaube, Sir, daß Zebulon recht hat. Bei einer Einschränkung allerdings � so einem Kerl wie dem Schwarzen John ist alles zuzutrauen. Sogar das, daß er sich mit seinen Kreaturen in den noch verbliebenen zwei Booten absetzt und uns mit der �Medusa' in die Luft sprengt. Finden Master Flanagan und Master Fleet dann die Trümmer

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der �Medusa', ist klar, daß sie keine großartige Suche nach uns oder dem Schwarzen John mehr veranstalten würden.� Master Nemo nickte, aber da meldete sich China-Harry zu Wort. �Sir, mir ist etwas aufgefallen. Sehen Sie sich mal die Handschellen an. Bei Jonny, meine ich. Der hat zwar harte Fäuste�, Harry grinste unverschämt., �aber nur schmale Gelenke. Die Handfesseln sind aber ziemlich weit. Ob es da nicht eine Möglichkeit gäbe, herauszukommen?� Jonny zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, dann starrte er seine Handfesseln an und begann zu versuchen, ob er hinauskommen konnte. Aber so sehr er sich auch anstrengte � es ging nicht. Nemo hatte ihm zugesehen, aus schmalen Augen. �Jonny, kommen Sie mal zu mir, Ihre Kette dürfte reichen!� Jonny setzte sich sofort in Bewegung, dann hielt er grinsend seine Hände Master Nemo hin. �Geht nicht, Sir. Viel fehlt nicht, dann könnte ich rausschlüpfen, aber die bewußte Kleinigkeit, die fehlt dazu.� Master Nemo nickte wieder, während er die Handfesseln anstarrte. Sein Gesicht hatte einen grüblerischen Ausdruck angenommen. �Geben Sie mir Ihre Hände mal her. Nein, erst die Rechte, nachher die Linke.� Jonny streckte seine Hände gehorsam aus. Nemo sah sich die Handfesseln noch einmal an, dann hatte er Jonnys Rechte zwischen seinen gewaltigen Pranken. Er drückte � und vor Anstrengung lief er knallrot dabei an. Dann huschte ein Lächeln der Befriedigung über seine Züge, während er seine beiden gewaltigen Fäuste wieder öffnete. �Probieren Sie es jetzt nochmal, Jonny�, sagte er, und sein Atem ging schwer. Jonny starrte fassungslos auf seine Handeisen. Dann zog er seine Rechte zurück, probierte ein paarmal, lief ebenfalls rot an vor Anstrengung, aber dann hatte er seine Rechte plötzlich draußen. Aus schmalen Augen starrte er sie an, als könne er das, was er sah, einfach nicht glauben. �Sir, ich...� Nemo ließ ihm keine Zeit. �Ich habe die Schellen zusammengepreßt. Sie liegen normalerweise flach um die Gelenke der Hände. Wenn man an der richtigen Stelle und mit der nötigen Kraft preßt, dann verformen sie sich, werden beinahe rund. :Deshalb konnten Sie raus. Und jetzt die Linke, Jonny! �

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Wieder streckte Jonny seine Hand hin, und wieder begann Master Nemo mit seinen gewaltigen Kräften zu drücken und zu pressen. Es dauerte diesmal länger, und einmal setzte er keuchend ab. Dann begann er erneut. �Probieren Sie es jetzt, .Jonny�, sagte er schließlich heiser vor Anstrengung. Jonny drehte und wendete seine Hand hin und her � und wieder war er plötzlich draußen. Master Nemo quälte sich ein Grinsen ab, während sein wilder, schwarzer Bart zuckte. �Donnerwetter, Sir�, vernahm ich Zebulons Stimme. �Ich bin sicherlich nicht der Schwächste, aber das hätte ich nicht geschafft, auf gar keinen Fall ...� Nemo winkte ab. �Her mit den Fesseln, die muß ich noch ein wenig bearbeiten, denn Sie müssen sie jetzt auch wieder anlegen können. Und zwar so, daß Sie jederzeit herausschlüpfen können.� Er drückte, zog und arbeitete an den beiden Handfesseln, dann reichte er sie Jonny. Jonny probierte es � diesmal hatte er kaum Schwierigkeiten, hinein- und auch wieder herauszuschlüpfen. �Mein Gott, Sir ...�, sagte er nur, und in diesen Worten lag wohl alles, was wir anderen auch empfanden. Nemo reckte sich, wollte etwas sagen, aber in diesem Moment wurden an Deck Rufe laut. �Rasch in die Fesseln, Jonny. Da ist irgendetwas passiert, die Kerle werden uns gleich holen ...� Wir lauschten. �Verdammt!� hörten wir eine unterdrückte Stimme ziemlich genau am Niedergang sagen. �Dieser verfluchte Flanagan liegt mit seiner ,King Charles' in der Bucht nebenan. Er hat zwar keine Ahnung, daß wir hier sind, aber der Kerl ist gefährlich. Wir müssen verschwinden, sofort, die Felsnase gibt uns die nötige Deckung ...� In diesem Moment geschah es, und wir bekamen nie heraus, wie es passiert war. Einer der Siebzehnpfünder im Batteriedeck, die alle schußfertig geladen waren, entlud sich donnernd. Wir hörten, wie die Stückpforte krachend in Trümmer ging. Dann vernahmen wir die fluchende Stimme des Schwarzen John.

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�Zum Satan, welcher Idiot hat da unten ...� Er unterbrach sich. �Sofort nach Nemo und seinen Kerlen sehen, los. Wenn die das waren, dann gnade Ihnen Gott!� Schritte polterten die Stufen hinunter, gleich darauf flog das Schott zum Laderaum, indem wir uns neben einer Unzahl von Kisten befanden, auf. Der Schwarze John stürmte herein, eine Deckslampe in der Hand. Langsam und voller Mißtrauen musterte er uns � aber wir hingen alle in unseren Fesseln in den Ringbolzen, keiner von uns fehlte. Aber der Schwarze John gab sich damit nicht zufrieden. �Die Fesseln überprüfen, aber genau! Vorwärts!� Ein paar seiner Männer begannen damit, uns einzeln genau zu überprüfen. Mir stockte der Atem, als einer bei Jonny zupackte und an den Fesseln zerrte � aber nichts .geschah, denn Jonny war auf der Hut. �Alles in Ordnung, John, von denen war es keiner!� sagte einer der Kerle schließlich. �Euer Glück!� stieß Black John hervor. �Ihr wärt samt und sonders mit einer Kugel am Bein über Bord gegangen. Merkt euch das, falls Ihr auf krumme Gedanken kommen solltet. Und jetzt an Deck mit euch, wir segeln!� Man schloß uns los, und dann enterten wir mitsamt unseren Fesseln zu den Rahen auf. Mehr als einmal brach mir dabei der Schweiß aus � aber ich schaffte es. Jonny warf mir einen kurzen Blick zu. �Aufpassen auf den Rahen, Bonty�, sagte er nur leise. Und er hatte recht, denn besonders die Fußfesseln hinderten, uns daran, ums wirklich festen Halt im Reitsitz zu verschaffen. Wir mußten Segel setzen, indem wir uns mit dem Leib auf die Rah stützten und mit einer Hand festklammerten. Bei dem herrschenden Wind ging das aber bei größeren Windstärken würden wir uns auf keinen Fall halten können. Der Anker kam hoch. Auf und nieder wurde mit gedämpften Stimmen gemeldet, dann nahm die �Medusa� langsam Fahrt auf und glitt der Ausfahrt der Bucht entgegen.

* Natürlich war der Schuß aus dem Siebzehnpfünder auch an Bord der �King Charles� gehört worden. Und wie ich später von Pickens erfuhr, spielte sich sofort danach folgendes ab:

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�Sir, was war das?� fragte Mister Finn, der Wache hatte. �Das war gar nicht weit von uns entfernt. Sollte Master Fleet die �Medusa' aufgespürt haben?� Flanagan erwiderte nichts. Er schien in sich hineinzuhorchen. �Nein, Mister Finn�, antwortete er dann, und Pickens trat neugierig und erregt zugleich näher, denn wie alle an Bord hatte auch er die donnernde Entladung des Siebzehnpfünders vernommen. �Das war keines der Geschütze von der Explorer', ihren Klang habe ich noch im Ohr seit unserer Schlacht gegen die Eingeborenen. Nein, das war die �Medusa'!� Fast automatisch standen alle Männer der �King Charles� vor dem Achterdeck nahe der Schmuckbalustrade, die das Achterdeck vom Hauptdeck trennte. Mister McCoy, unser Profos, nickte kaum merklich, und auch der Stückmeister, Mister Corcoran, der bestimmt ein feines Ohr für den Klang von Kanonen hatte, nickte zustimmend. Mister Finn sah den Master aus großen Augen an. �Sind Sie sicher, Sir?� fragte er zweifelnd, aber Flanagan nickte wieder. �Mister Corcoran wird es Ihnen bestätigen, Mister Finn. �Los, hoch mit dem Anker. Auf der ,Medusa` ist irgendetwas geschehen, was nicht in das Konzept dieser Halunken paßte. Außerdem wähnen sie sich allein, so, wie wir das ja auch angenommen haben. Und es sollte mich nicht wundern, wenn der Schuß nicht auch auf der ,Explorer` gehört wurde, denn die kann nicht weit von uns entfernt sein.� Die Männer spritzten ans Ankerspill. Andere enterten auf und machten die Segel los. In Rekordzeit war die �King Charles� klar zum Auslaufen. Master Flanagan stand wie eine Statue auf dem Achterdeck. Nur seine harten Augen verfolgten die Arbeit der Männer. Mister Pickens trat auf ihn zu. �Sir, Sie glauben, daß auf der �Medusa' etwas nicht stimmt? Sie könnte doch genau wie wir diese Insel angelaufen haben, um Sturmschäden auszubessern ...� Master Flanagan sah Pickens an. �Wo haben Sie Ihren sonst so intakten Verstand gelassen, Mister Pickens?� fragte er eisig zurück. �Wenn Master Nemo und Mister Jonny und Mister Bonty dort das Kommando noch hätten, dann würde sich kein Schuß versehentlich gelöst haben. Da bin ich mir ganz sicher. Unsere Männer und auch Master Nemo befinden sich in Gefahr, ich spüre das. Ich gebe ein Faß Rum aus, wenn ich mich irre, Mister Pickens!�

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Pickens starrte Flanagan an. Ansonsten. war der Master nicht so mitteilsam, aber eine bei ihm noch nie beobachtete Erregung hatte ihn gepackt. �Mister Bunk, Kurs auf offene See, dann sehen wir weiter!� befahl er. �Aye, Sir, Kurs liegt an�, erwiderte Mister Bunk, und Master Flanagan wandte sich Pickens noch einmal zu.. �Fleet hat etwas Ähnliches befürchtet, und er hat wohl recht behalten. Aber ich möchte wissen, wie die Kerle das angestellt haben. Master Nemo ist nicht der Mann, der so leicht zu übertölpeln ist. Da muß etwas ganz Ungeheuerliches geschehen sein. Bereiten Sie alles zum Entern vor. Was wir wirklich unternehmen werden, hängt davon ab, was für Verhältnisse an Bord der �Medusa' herrschen. Aber wir sollten bereit sein. Das wäre alles, Mister Pickens!� Mister Pickens verschwand von Achterdeck. Ihn, summte der Schädel. Mein Gott, dachte er, wenn Flanagan recht haben sollte.. Die �King Charles� nahm Fahrt auf und strebte ebenfalls der offenen See zu. Unterdessen hatten wir das offene Wasser erreicht. Sofort ging der Schwarze John auf Westkurs. Wir segelten zwischen Teressa und noch einer Insel hindurch, deren Namen ich aber nicht weiß. Ein paar Stunden später änderte er den Kurs auf Nordost. Wohin er wollte, wußten wir nicht. Unter seinen Männern herrschte kolossale Aufregung. Es gab heftige Debatten mit dem Schwarzen John, von denen ich aber herzlich wenig mitbekam, weil ich zu weit entfernt war. Jonny dafür um so mehr � und er handelte danach, als es an der Zeit war. Denn noch immer hatte keiner der Kerle des Schwarzen John bemerkt, daß er seine Fesseln abzustreifen vermochte, wenn das notwendig wurde. Wir segelten durch eine mondbeschienene Nacht. Alle Ausgucks waren doppelt besetzt, da war also wirklich etwas im Busch. Auch hatte der Schwarze John trotz aller Drohungen nicht herausgefunden, wer den Siebzehnpfünder abgefeuert hatte. Der, der es getan hatte, war nicht so dumm, sich zu melden. Denn er wußte nur zu genau, was ihm dann blühte. Die Stimmung des Schwarzen John befand sich nahezu auf null, und so verhielt er sich auch. Er brüllte seine Männer an, er traktierte uns mit Fußtritten, weil wir angeblich zu langsam arbeiteten � es war eine Nacht wie aus der Hölle.

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Irgendwann passierte es dann � mein Zeitgefühl hatte mich längst verlassen. �Segel voraus!� brüllte einer der Ausgucks. Der Schwarze John fuhr herum, wie von der Tarantel gestochen. Doch dann enterte er auf. Es dauerte nicht lange, bis er wieder an Deck erschien, mit verzerrtem Gesicht, lodernde Wut in den Augen. �Es ist die ,Explorer�, sagte er leise, aber ich hörte es trotzdem. �Dieser verfluchte Fleet segelt genau auf uns zu. Am besten verpassen wir dem Kerl eine volle Breitseite, darauf ist er nicht vorbereitet. Und dann nichts wie weg. Aber, verdammt, die muß sitzen, klar?� Ich warf unwillkürlich einen Blick zu Jonny hinüber �aber der war verschwunden. Wie er das geschafft hatte, wußte ich nicht, jedenfalls war sein Verschwinden in der allgemein herrschenden Aufregung noch nicht bemerkt -worden. Und daß weiterhin Aufregung an Bord der �Medusa� herrschte, dafür sorgte der heransegelnde Master Fleet, der vielleicht durch sein Spektiv etwas entdeckt hatte, was ihn sofort mißtrauisch werden ließ. Die �Explorer� feuerte auf der uns abgewandten Seite eine volle Breitseite ab. Der Donner rollte lang anhaltend über die See -- und ich war sicher, daß er auf viele Meilen und auf große Entfernung zu hören sein mußte. Der Schwarze John wurde blaß. �Dieser Hund, dieser Fleet, hat die King Charles verständigt, daß er uns gesichtet hat. Der Kerl soll zur Hölle fahren, aber wenn erglaubt, den Schwarzen John damit schon gefangen zu haben, dann irrt er sich gewaltig! Unsere �Medusa' ist schneller als sein Kahn, das nutzen wir jetzt aus! � Er fuhr herum. �Los, in die Wanten mit euch. Wir ändern den Kurs, euch wird dieser verfluchte Master Fleet nicht helfen können! � Er entriß einem seiner Kerle die Peitsche und prügelte auf uns ein. Er versuchte, uns in die Wanten zu treiben, und auch seine Kerle waren nicht müßig. Die �Medusa� wechselte erneut ihren Kurs. Sie lief jetzt hart am Wind nach Südosten. Und tatsächlich konnte der Schwarze John sie höher an den Wind bringen, als Fleet das mit seiner �Explorer� vermochte. Black John triumphierte. Wir entfernten uns weiter und weiter von der �Explorer�.

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Master Nemo rutschte zu mir rüber, während wir auf der Großrah arbeiteten. Denn der Schwarze John ließ jetzt jeden Fetzen Tuch setzen, den die Masten tragen konnten. �Wenn wir wieder unten an Deck sind, Bonty, dann achten Sie auf mich. Sobald ich den ersten dieser Kerle niederschlage, brechen wir zum Achterdeck durch. Die Bastarde sind jetzt abgelenkt, und sie werden es noch mehr sein, wenn die ,King Charles' an der Kimm erscheint. Verstanden, Bonty?� fragte er. Ich nickte nur kurz. �Sir�, fragte ich, �aber was sollen wir denn ...� �Keine Fragen jetzt, Bonty, achten Sie auf mich und dann nichts wie los zum Achterdeck, Steuerbordniedergang.� Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Und wo, zur Hölle, steckte Jonny eigentlich? Als wir mit unserer Arbeit fertig waren, enterten wir ab. Und genau in diesem Augenblick erscholl aus dem Mast der Ruf: �Achtung Deck! Segel an der Kimm, der Kahn segelt ns genau entgegen, es ist die ,King Charles'!� Der Schwarze John stieß abermals einen wilden Fluch us. Achteraus segelte die �Explorer� mit vollem Press, und Master Fleet hatte jetzt ebenfalls alles an Tuch setzen lassen, was die Masten seines Schiffes zu tragen vermochten. Die größere Segelfläche der �Explorer� wirkte sich nun aus, sie lief bedeutend schneller als vorher, aber trotzdem gelang es ihr nicht, die Entfernung zu verkürzen. Plötzlich fuhr der Schwarze John herum. �Verflucht�, brüllte er, �wo ist dieser verdammte Jonny? Wo steckt der Kerl?� Die nächsten Sekunden brachten für den Schwarzen John eine üble Überraschung. �Hier bin ich�, hörte ich Jonnys Stimme und fuhr augenblicklich herum. Er stand auf dem Achterdeck, der Rudergänger lag regungslos an Deck, Jonny hielt eine Muskete in der Hand, die er jetzt auf den Schwarzen John richtete. �Deine beiden Kumpels in der Pulverkammer sind erledigt, ich habe sie in die Hölle befördert, und der Teufel wird sich über solchen Besuch bestimmt freuen... Jonnys Hände waren frei, seine Füße konnte ich nicht sehen, da das Achterdeck höher als das Hauptdeck war. In diesem Augenblick handelte Nemo. Er schlug mit seinen kettenbewehrten Händen zu. Sein Schlag fällte einen der Kerle des Schwarzen John. Gleichzeitig wurden die Männer Nemos aktiv.

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Ich folgte ihrem Beispiel nur um den Bruchteil einer Sekunde später. In meiner Nähe befand sich gerade jener Timothy, der uns so gerne mit der Peitsche traktierte. Er blickte völlig verdattert in die Richtung Nemos, und das nutzte ich eiskalt aus. Ich drosch ihm meine Ketten gegen den Schädel. Und als er beim ersten Schlag nicht fiel, versetzte ich ihm noch einen Hieb. Black John fuhr herum. Noch in der Drehung riß er seine beiden Pistolen heraus und wollte sie auf mich richten, denn er stand ziemlich nahe bei mir. Aber in diesem Moment feuerte Jonny seine Muskete ab. Und er traf � der Schwarze John wurde von der Gewalt, mit der die Kugel in seinen Körper einschlug, zurückgeworfen. Die beiden Pistolen entglitten seinen Händen. Da war Nemo heran. �Los jetzt, zu Jonny! � sagte er, und wir rannten los, so schnell unsere Fußfesseln das erlaubten. Die Kerle des Schwarzen Johns waren wie gelähmt. Ihr Anführer lag auf den Planken des Hauptdecks und rührte sich nicht mehr. Von achtern segelte die �Explorer� heran, von vorne, uns den Weg verlegend, die �King Charles�. Wir erreichten das Achterdeck. Jonny wies stumm auf eine ganze Reihe von Musketen und Tromblons, die er fein säuberlich auf das Achterdeck gelegt hatte. Der Geier mochte wissen, wie er das nun wieder bewerkstelligt hatte, aber das war im Moment auch gleichgültig. Denn wir ergriffen die Waffen und richteten sie sofort auf die Kerle, die uns vom Hauptdeck mit verzerrten Gesichtern anglotzten. �Wir haben der Bande den Kopf abgeschlagen, Sir�, sagte Jonny. �Die sind jetzt führerlos, die haben wir. Von denen ist keiner imstande, die Medusa zu segeln, und sie wissen das. Außerdem hat dieser Schwarze John alle an den Galgen geredet. Denn die Story, die er Master Fleet erzählt hat, stimmt hinten und vorne nicht. Der Kerl konnte sehr wohl navigieren, und wie! � Das stimmte, aber Jonny hatte sehr schnell gesprochen, und Nemo hatte nur kurz genickt. Dann wandte er sich den Kerlen auf dem Hauptdeck zu. �Gebt auf, oder wir knallen euch ab, einen nach dem anderen.� Er wies auf einen der Männer. �Du da, nimm dem Schwarzen John die Schlüssel zu den Fesseln ab und bringe sie hierher. Aber bewege dich so, daß wir genau sehen können, was du tust, wir schießen sofort!� Der Kerl stierte Nemo an und zögerte. Ein anderer brüllte auf vor Wut. �Warum stehen wir hier�, schrie er. �Los, stürmen wir das Achterdeck, die paar Figuren haben gegen uns nichts zu bestellen. Ich ...�

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Weiter kam er nicht, ein Schuß Nemos streckte ihn zu Boden. Daß der Mann tot war, sah ich sofort. �Also, her mit den Schlüsseln�, sagte Nemo kalt und richtete eine neue, geladene Muskete auf den Mann, die ich ihm gereicht hatte. �Oder du bist. der nächste. Ich zähle bis drei ...� Aber darauf ließ es Timothy nicht ankommen, denn er war es, auf den Nemo gezeigt hatte. Er bückte sich, durchsuchte die Taschen des Schwarzen John und zog dann ein paar Schlüssel hervor. �Her damit!� kommandierte Nemo. �Aber denk daran, was ich dir gesagt habe!� Timothy kam näher. Langsam, so daß wir jede seiner Bewegungen überwachen konnten. Auch war er noch verdammt wackelig auf den Beinen, er hatte meine beiden Hiebe noch nicht verdaut. �Rauf mit dir aufs Achterdeck, und dann schließt du uns los, aber ein bißchen plötzlich!� Der Lauf der Muskete, die Nemo in der Hand hielt, zeigte auf ihn, und Nemos Gesicht wirkte so finster und entschlossen, daß den Kerl die nackte Angst packte. �Nicht schießen, Sir, ich tu alles, was Sie von mir verlangen, ich ...� �Beeil dich, oder ich drücke ab!� Nemo blieb eiskalt. �Sir, ich kann noch nicht so schnell, der Hieb mit den Ketten, den mir Mister Bonty verpaßt hatte, mir ist schwindelig, Sir, ich ...� Er kippte vornüber auf das Deck. �Na, du hast scheinbar ganz kräftig zugeschlagen, Freund!� sagte Jonny zu mir, während er dem Kerl die Schlüssel abnahm. �Also, schließ du uns los, Bonty, damit diese verdammte Geschichte endlich ein Ende hat. Ich möchte mit den Kerlen fertig sein, bevor Fleet an Bord entert. Er soll sehen, daß wir so etwas alleine erledigen und keine Hilfe brauchen!� �Sehr richtig, Mister Jonny�, sagte Nemo. �Also los, und dann werden wir die Herrschaften da unten bestens versorgen. Wer aufmuckt, wird auf der Stelle erschossen. Das ist ein Befehl.� Kid Holloway holte einen Tampen und fesselte den Bewußtlosen, was wiederum mit einem kurzen Kopfnicken Nemos quittiert wurde. China-Harry und Zebulon, aber auch Addy und seine Männer hielten unterdessen die Spießgesellen des Schwarzen John in Schach. Ich beeilte mich. Bald waren wir alle frei. Nemo verlor jedoch keine Zeit. �Nach achtern aufs Hauptdeck mit euch, einzeln, und hübsch langsam, oder es knallt! Ich meine es ernst. Mit Meuterern wie euch mache ich kurzen Prozeß!�

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Die Hundesöhne waren völlig entnervt, zumal Fleet jetzt unter vollem Press heransegelte und auch Master Flanagan mit der �King Charles� bedrohlich nahe heran war. So gaben sie auf. Einer nach dem anderen wurde gefesselt. Und wer dabei fluchte, dem verpaßte Zebulon Prescott einen Jagdhieb, daß er gleich ins Land der Träume verholte. �So�, sagte Jonny mit unüberhörbarer Befriedigung. � Das hätten wir. In der Pulverkammer liegen noch zwei Tote. Ich hatte keine Wahl, die Burschen hielten wahrhaftig brennende Fackeln in der Hand. Die hätten nicht gezögert...� �Schon gut, Mister Jonny. Ich werde nicht vergessen, was Sie für uns getan haben. Lassen Sie die Kerle an Deck bringen. Was ist mit dem Schwarzen John?� �Ich werde nachsehen, Sir�, erwiderte ich. Ich sauste die Stufen zum Hauptdeck hinab, vorbei an den wie belämmert dastehenden und gefesselten Spießgesellen des schwarzen John. Ivo Montesano, der sich immer noch bei uns an Bord befand, folgte mir. Er untersuchte den Schwarzen John nur ganz kurz, dann sah er mich an. �Nichts mehr zu machen, Bonty. Der ist tot.� Ich erstattete Master Nemo Meldung. Und wiederum nickte er lediglich. Dann sah er Jonny und mich an. �Veranlassen Sie, daß diese Kerle dort sicher verstaut werden. Aber so, daß sie keine Chance haben, sich wieder selbständig zu machen. Ich werde das später kontrollieren. Mister Prescott, übernehmen Sie jetzt das Ruder, alle anderen in die Wanten, runter mit den Segeln!� Alles lief wie am Schnürchen, und dann segelte Master Fleet uns auf. Auch er ließ die Segel ins Gei hängen und drehte seine �Explorer� in den Wind. Eine halbe Stunde später enterte er an Bord.

* Master Fleet watschelte im Eiltempo über Deck. Bei Mister Bang, der sich ja auch an Bord befand, blieb er kurz stehen und wechselte einige Worte mit ihm. Dann trat er auf Master Nemo zu, der ihn bereits erwartete und neben dem Jonny und ich uns jetzt aufstellten. �Was war los an Bord bei Ihnen?� fragte Master Fleet, und sein Gesicht verzog sich, als er die völlig entnervten Gestalten mit ihren Eisenfesseln auf dem Hauptdeck betrachtete. Ohne Zweifel fürchteten sie Fleet wie den Teufel.

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�Eine Meuterei. Die Kerle haben uns übel mitgespielt, aber, wie Sie sehen können, sind wir inzwischen wieder Herr der Lage. Nur -- mit diesen Kerlen segle ich keine Meile mehr. Ich brauche also noch ein paar Männer von Ihrem Schiff und auch ein paar von der King Charles. Die ,Medusa' ist zwar ein schnelles Schiff, aber sie läßt sich nicht mit der jetzigen Crew segeln.� Master Fleet nickte. �Ich werde noch einige Männer für Sie freistellen, und ich denke, Flanagan wird das auch tun. Und nun zu Ihrem Bericht, Nemo!� Ungeduld schwang in der Stimme Fleets mit. Aber Nemo wies über das Steuerbordschanzkleid. �Wir sollten damit. warten, bis auch Flanagan an Bord ist. Auf der �King Charles' bringt man eben ein Boot zu Wasser, er wird gleich hier sein.� Master Fleet warf einen Blick zur �King� hinüber, die den Sturm offenbar recht gut überstanden hatte. �Gut�, entschied er dann. �Warten wir also. Und wie haben sich Mister Bonty und Mister Jonny gemacht, Nemo?� fragte er dann mit einem scharfen Blick auf unsere reichlich derangierten Kleider. �Sehr gut, Fleet, wie ich das auch erwartet hatte. Ohne sie stünde ich jetzt nicht hier.� Das war zwar eine Übertreibung, aber Nemo kniff mir ein Auge, ohne das Fleet es bemerkte, und um Jonnys Lippen spielte ein dünnes Grinsen. Fleet wandte sich uns zu. �Es freut mich, das zu hören�, sagte er väterlich, so, als ob wir seine beiden Buben wären, die gelobt, getadelt oder sogar gestraft werden mußten. Aber Jonny schwieg, obwohl ihm schon wieder die Galle hochstieg. das sah ich. �Haben Sie beide bitte jetzt die Güte, Ihre Kleidung in Ordnung zu bringen. Bis Master Flanagan an Bord ist, und Sie damit fertig. Es besteht nicht der mindeste Grund, auch noch weiterhin so herumzulaufen.� Peng, das saß mal wieder. Und diesmal konnte sich Jonny eine Entgegnung nicht verkneifen. �Nun, Sir, natürlich, ich hätte den Schwarzen John darauf aufmerksam machen sollen, daß er mit meiner Kleidung ein wenig schonender umzugehen hätte. Aber wahrscheinlich hätte er das gar nicht begriffen, Sir ...� Fleet starrte Jonny aus schmalen Augen an. Seine Augen verengten sich und seine Lippen wölbten sich vor. Aber Jonny wartete eine

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Entgegnung oder auch das Donnerwetter Fleets gar nicht erst ab, sondern verschwand mit mir sofort im Achterdeck. �Himmel, Schock und Schwerenot�. fluchte er. �Dieser Kerl bringt mich mit seiner Pedanterie noch mal zur Raserei. Da schlägt man sich mit diesen Meuterern herum bis zum Gehtnichtmehr, und Master Fleet hat offenbar keine anderen Sorgen, als das!� Jonny war wütend. Aber dann zogen wir uns trotzdem um, denn Fleet hätte das sonst erzwungen, soweit kannten wir ihn immerhin. Merkwürdig nur, daß er China-Harry und all die anderen nicht auch angeranzt hatte, die sahen wirklich noch schlimmer aus als wir. Aber wir beide, Jonny und ich, waren für ihn noch immer seine beiden Offiziere. Ich war gespannt. ob sich daran jemals etwas ändern würde. Als wir wieder an Deck kamen, war Master Flanagan Schon da. Er begrüßte uns kurz, aber freundlich. Dann wandte er sich an Nemo. �Am besten bringen wir die Bande da auf mein Schiff�, sagte er. �Ich habe Platz an Bord, im Gegensatz zu Ihnen. Außerdem wird Mister McCoy ein Auge auf die Kerle haben, die kriegen bei uns an Bord nicht die geringste Chance. Aber dieser verdammte Trick, während des Sturms die Pulverkammer zu besetzen � ich glaube nicht, daß ich darauf gekommen wäre. Mir wäre es kaum besser ergangen als Ihnen, Nemo!� Es gab noch eine kurze Debatte, die Fleet dann abschloß, indem er verkündete: �Ich werde mir überlegen, ob ich die Kerle nicht gleich in Madras aburteilen lasse. Gründe genug haben wir, Zeugen auch. Ich habe einfach keine Lust, mit. solchen Ratten an Bord nach England zu segeln. Die Reise ist zu lang. Oder aber ich übergebe diese Meuterer und Mörder einer der Kriegsgaleonen zum Transport nach England, die in Madras auf mich warten oder kommen werden. Ich werde mir das noch überlegen! Und Ihren Vorschlag, Flanagan, nehme ich an. Lassen Sie die Kerle auf ihr Schiff verbringen. Ich kenne Ihren Mister McCoy � bei dem sind sie wirklich in guten Händen, ganz besonders, wenn er erfährt, was für Galgenvögel das sind. Und jetzt sollten wir keine Zeit mehr verlieren, segeln wir!� Master Fleet verabschiedete sich, dann enterte er wieder ab. Flanagan und Nemo blickten ihm nach. �Ein sehr bemerkenswerter Mann, dieser Fleet�, sagte Flanagan in das Schweigen hinein, und Nemo nickte. Dann wandte sich Master Flanagan an uns.

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�Ich weiß nicht genau, was für Pläne Master Fleet mit Ihnen beiden hat, aber in Madras hole ich Sie auf die ,King Charles' zurück, ganz gleich, wie er darüber denkt. Ich dachte, das sollten Sie ruhig wissen.� �Danke, Sir�, sagte Jonny. �Vielen Dank, Sir!� Und er war sichtlich erleichtert. Auch Flanagan verließ das Schiff, und wir begannen damit, die Spießgesellen des Schwarzen John an Bord der �King Charles� zu verbringen. Sie fluchten und jammerten, sie beschuldigten den Schwarzen John, sie zu allem angestiftet zu haben, aber uns rührte das nicht. Als es Jonny zu bunt wurde, fuhr er einen der Kerle an: �Maul halten. Mitgefangen, mitgehangen! Daran hättet ihr früher denken sollen. So ein übles Pack wie ihr es seid, ist mir lange nicht mehr untergekommen!� Daraufhin schwiegen die Kerle und verfielen in dumpfes Brüten. Aber als McCoy sie in Empfang nahm, den letzten nach mehreren Fahrten zwischen der �Medusa� und der �King Charles�, verstummten sie endgültig. Sie gaben einfach auf � und McCoy brachte ihnen sehr schnell auf seine rauhe Art bei, wie er sich ihr Verhalten aan Bord der �King� vorstellte.

* Der restliche Teil der Reise von den Nicobaren quer über den Golf von Bengalen verlief ruhig. Wir segelten im Verband, und auch Wind und Wetter waren uns günstig gesonnen. Mir kam es vor, als ob mit dem Tod des Schwarzen John sich unsere kleine Welt an Bord der �Medusa� wieder völlig beruhigt hätte. Wir hatten noch fünf Mann von Master Fleet und ebenso viele von der �King Charles� dazubekommen. Damit waren zwar alle Schiffe bemannt, aber keines ausreichend. So arbeiteten Jonny und ich mit in der Takelage und wo es sonst nötig war. Sogar Master Nemo packte mit zu, wenn Not am Mann war. Wir erreichten die Reede von Madras am Abend des fünften Tages nach unserem Aufbruch bei den Nicobaren. Jonny wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. �Geschafft, Bonty�, sagte er. �Morgen abend oder spätestens übermorgen sind wir wieder auf der �King Charles' � was glaubst du, was ich dort als erstes tun werde, Bonty?� fragte er mich mit listig zusammengekniffenen Augen.

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�Klar weiß ich das, Jonny. Wir werden uns besaufen, vollaufen lassen bis zur Oberkante. Ich glaube alle werden es tun, die auf der ,Medusa' mit uns gesegelt sind, und Master Flanagan wird nichts dagegen haben.� �Genau das, Bonty�, erwiderte Jonny, �du hast es wiedermal erfaßt. Aber weißt du auch, was ich dann tun werde, am nächsten Abend oder so? He, weißt du das?� Ich grinste. �Du wirst dich um die kleinen Mädchen in Madras kümmern, stimmt's?� �So ist es, und du wirst mitkommen, und wenn ich dich in den Puff hineinprügeln muß!� Ich lachte, das war eine geradezu absurde Vorstellung. Aber so war Jonny nun mal, und mir kam es vor, als lächelte Nuana mir in diesem Augenblick sogar zu. Denn ich hatte sie nicht aus meinen Gedanken verdrängen können. Noch an diesem Abend ließen sich Master Fleet, Master Flanagan und Master Nemo zur neuen Faktorei hinüberpullen. Fleet natürlich samt Bootscrew in vollem Wichs, wie immer. Am nächsten Morgen verholten wir in den Hafen der Faktorei � und da lag schon eine ziemlich massig wirkende Kriegsgaleone, die �Royal Eagle�. Jonny rümpfte sofort die Nase, denn sie hatte eine ganz vertrackte Ähnlichkeit mit der �Liberty auf der man uns geschunden hatte. Auch die ,.Royal Eagle� hatte vier riesige, hoch aufragende Masten, und wir zählten fünfzig Geschützpforten, also fünfundzwanzig pro Seite. In einem allerdings unterschied sie sich von der �Liberty� gewaltig: Die �Royal Eagle� war tipptopp in Ordnung, frisch gestrichen, tadelloses laufendes und stehendes Gut, die Segel ganz akkurat aufgepackt. �Na, da wird sich Freund Fleet aber freuen!� sagte Jonny. �Diesem Brummer möchte ich nicht als Feind begegnen. ich wette, Fleet bringt alle seine Schätze und auch die Prise �Medusa' völlig unversehrt nach London. Und dann kriegt er wieder einen Orden ...� ..und wir einen Batzen Geld, Jonny�, fügte ich hinzu, denn Fleet hielt seine Versprechungen pedantisch ein, das wußten wir aus Erfahrung. Jonny leckte sich die Lippen. �Du hast recht, Bonty, das hatte ich fast vergessen. Mann, dann werde ich aber ...� Was er würde, erfuhr ich zunächst nicht, denn kaum hatten wir festgemacht, vor uns die �Explorer�, hinter uns die �King Charles�, enterten Pete Bird, die Katze, und El Pomado an Bord.

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Jonny klappte der Unterkiefer herunter, als er El Pomado sah. Der trug Uniform, wie alle auf der �Explorer�. Aber was, zum Teufel, hatte er denn mit seinen Haaren angestellt? Statt der enganliegenden Pomadefrisur umrahmten Jetzt sanfte, im lauen Wind spielende Locken sein Haupt. Jonny trat auf ihn zu. Beschnupperte ihn mißtrauisch. �He, Sailor, was hat man denn mit dir angestellt?� Die Katze blickte El Pomado sauer an, Pete Bird mußte es an Bord der �Explorer� nicht sonderlich gefallen haben, das sahen wir seinem Gesicht an. Anders El Pomado. �Ha�, sagte er, �aus ist's mit El Pomado. Ich weiß jetzt wieder, wie ich heiße. Juan de Fernandez, das hat Master Fleet aus mir herausgebracht. Ein bedeutender, fabelhafter Mann, kann ich euch sagen. Und was er mit meinen Haaren gemacht hat � nun, er hat die Pomade verboten und requiriert. Ich mußte jeden Morgen unter seiner Aufsicht das Haar waschen. Doch, ein bedeutender Mann, dieser Master Fleet!� Jonny klappte zum zweiten Mal der Unterkiefer herunter. Er starrte El Pomado an wie eine Erscheinung. Die Katze tippte sieh mit dem Finger gegen die Stirn. �So was kann einem passieren, wenn man zu lange an Bord dieser Angströhre fährt. Total plemmplemm, der Kerl!� El Pomado störte das alles nicht. �Juan de Fernandez!� sagte er und warf sich in die Brust. �Gute Nacht Leute, wir sehen uns dann morgen!� El Pomado schwebte davon, ja, so mußte man es nennen. Denn seine affektierten; fedrierten Schritte verliehen seinem Gang etwas Schwebendes. �Gute Nacht, Leute!� äffte Jonny ihn nach. �Mensch, Bonty, wenn der erst wieder auf der guten alten �King' ist, dann hole ich den auf die Planken zurück. Darauf kannst du dich verlassen.� Die Katze grinste. �Darauf freue ich mich jetzt schon, das wird ein Fest, und ich werde euch dabei helfen!� �Abgemacht! � sagte Jonny. �Willst du etwa schon wieder weg, Katze?� fragte er mit einem hinterhältigen Grinsen. �Ihr kennt das Bordreglement von Fleet doch!� Er starrte mißbilligend auf seine Uniform. �Morgen melde ich mich bei Fleet ab, und dann hin

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ich wieder auf der ,King Charles', ob es ihm paßt oder nicht, darauf könnt ihr Gift nehmen.� Pete Bird hielt sein Versprechen � und an Bord der �King Charles� gab es am nächsten Abend wirklich eine denkwürdige Sauferei. Wir mußten Mister Pickens natürlich in allen Einzelheiten berichten, wie sich an Bord der �Medusa� alles zugetragen hatte. Zuletzt lallten wir alle nur noch, sogar Zebulon Prescott, Mister Pickens und auch Mister Finn waren keineswegs mehr nüchtern. Aber Master Flanagan übersah das, ja, er setzte sich sogar eine Weile zu uns und trank mit. Schließlich rollten Jonny und China-Harry einfach sang und klanglos von der Taurolle auf der sie saßen. Und mir ging es kurz danach nicht besser. Wir schliefen wieder die erste Nacht auf der �King Charles�, und wir schliefen verdammt gut. Denn das Prisenkommando �Medusa� war beendet, und Master Fleet hatte uns wohl oder übel auf die gute alte �King� zurückkehren lassen müssen. Wahrscheinlich hatte Flanagan sogar dabei nachgeholfen. Als letztes hörte ich noch Zebulon Prescott zu mir sagen: �Schlaf dich nur aus, Junge. Der liebe Gott hat bei uns allen noch einmal seinen ganz dicken Daumen dazwischen gehalten.� Und daß längst die Sonne wieder aufgegangen und ein neuer Tag über Madras angebrochen war, bemerkte ich gar nicht, sondern rollte mich wieder in meine Taurolle und ließ den lieben Gott mit dem dicken Daumen einen guten Mann sein...

E N D E


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