+ All Categories
Home > Documents > Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: [email protected] 596...

Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: [email protected] 596...

Date post: 19-Oct-2020
Category:
Upload: others
View: 2 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
12
Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische Werkstoffe: Reaktionsmechanismen und Tautomeriebeziehungen O. Lichtenberger *,a , J. Woltersdorf a und R. Riedel b a Halle, Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik b Darmstadt, Technische Universität, Fachbereich Materialwissenschaft Bei der Redaktion eingegangen am 17. September 2001 Inhaltsübersicht. Die Reaktionsmechanismen für die Synthese poly- merer Silicium- und Titan-carbodiimide aus den Elementchloriden und Bis(trimethylsilyl)-carbodiimid, die als Vorstufen für kerami- sche Werkstoffe Verwendung finden, werden mit Hilfe quantenche- mischer Verfahren untersucht. Die Funktion organischer Basen als Katalysatoren für den Übergangszustand und die Thermodynamik der Synthesereaktion werden diskutiert. Von besonderer Bedeutung Polymeric Carbodiimides as Precursors for Ceramic Materials: Reaction Mechanisms and Tautomerism Abstract. The reaction mechanisms for the synthesis of polymeric silicon and titanium carbodiimides via the element chlorides and bis(trimethylsilyl)-carbodiimid, used as precursors for ceramic ma- terials, have been investigated using quantumchemical methods. The influence of organic bases as catalysts on the transition state and the thermodynamics of the reaction are discussed. The ratio of the tautomers carbodiimid - cyanamid depending on the hete- Einleitung Carbodiimide, die am Stickstoffatom duch Heteroatome substituiert sind (Si, Ti), haben in den letzten Jahren zuneh- mend Bedeutung als Vorstufen für neue keramische Mate- rialien erlangt. Keramische Werkstoffe aus Siliciumnitrid und -carbid wurden bisher üblicherweise durch Sintertech- niken aus Si 3 N 4 /SiC-Pulvern hergestellt, und zwar entweder durch chemical vapour deposition (CVD) mit Hexamethyl- disilazan als Reaktionsgas oder durch thermische Zerset- zung von Polyorganosilazanen unter Intertgasatmosphäre bzw. unter Ammoniak oder Stickstoff. Vor einigen Jahren wurde über eine alternative Methode zur Herstellung von Si-N-C-Präkursoren berichtet, die zu Polyorganosilylcarbo- diimiden führt [122]. Die Synthese dieser Verbindungen geht von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid oder Cyanamid aus, das mit Siliciumtetrachlorid zur Reaktion gebracht wird. * Dr. Olaf Lichtenberger Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik Weinberg 2, D- 06120 Halle FAX: 149 - 345 - 5511223 e-mail: [email protected] 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 004422313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0 Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607 für die Optimierung der Reaktion ist das Verhältnis der Tautomere Carbodiimid - Cyanamid, das in Abhängigkeit vom Heteroatom, dem Lösungsmittel und der Temperatur mit Hilfe von ab-initio- Verfahren (Dichtefunktionaltheorie) bestimmt wird. Die Ergeb- nisse der theoretischen Berechnungen werden durch IR- und UV- spektroskopische Daten gestützt. roatom, the solvent and the temperature, has been determined using ab-initio methods (density functional theory). The results of the theoretical calculations are confirmed by IR and UV spectros- copic data. Keywords: Silicon carbodiimides; Titanium carbodiimides; Poly- mers; Ab-initio calculations Die thermische Zersetzung des so synthetisierten polymeren Siliciumdicarbodiimids [Si(N5C5N) 2 ] n führt zu Silicium- (carbodiimid)nitrid der Zusammensetzung Si 2 CN 4 , welches weniger luft- und feuchtigkeitsempfindlich ist als das Silici- umdicarbodiimid und durch Pyrolyse in Si 3 N 4 /SiC-Kompo- site überführt werden kann. Die analoge Reaktion von Bis- (trimethylsilyl)carbodiimid mit Titantetrachlorid führt zu polymerem Titandicarbodiimid [Ti(N5C5N) 2 ] n , das noch Trimethylsilyl-Endgruppen enthält. Die experimentell opti- mierten und theoretisch voraussagbaren Reaktionsbedin- gungen für beide Reaktionen (Temperatur, Katalysator, Lö- sungsmittel) unterscheiden sich beträchtlich und bilden ei- nen Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Erste Untersu- chungen zur experimentellen Optimierung der Reaktionsbedingungen wurden in [325] durchgeführt. Die Identität und spektroskopische Charakterisierung der End- produkte durch IR- und Raman-Messungen konnte dabei durch quantenchemische Berechnungen (PM3) von uns ab- gesichert werden [5]. Auch NMR-spektroskopische Unter- suchungen, Charakterisierungen der Kristallstruktur mit- tels Röntgenbeugung [2] und der Elektronenstruktur durch XANES-Messungen [6] sowie transmissionselektronenmi- kroskopische Untersuchungen der erhaltenen Polymere [7] erfolgten bereits. Über Berechnungen und Messungen der
Transcript
Page 1: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische Werkstoffe:Reaktionsmechanismen und Tautomeriebeziehungen

O. Lichtenberger*,a, J. Woltersdorfa und R. Riedelb

a Halle, Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysikb Darmstadt, Technische Universität, Fachbereich Materialwissenschaft

Bei der Redaktion eingegangen am 17. September 2001

Inhaltsübersicht. Die Reaktionsmechanismen für die Synthese poly-merer Silicium- und Titan-carbodiimide aus den Elementchloridenund Bis(trimethylsilyl)-carbodiimid, die als Vorstufen für kerami-sche Werkstoffe Verwendung finden, werden mit Hilfe quantenche-mischer Verfahren untersucht. Die Funktion organischer Basen alsKatalysatoren für den Übergangszustand und die Thermodynamikder Synthesereaktion werden diskutiert. Von besonderer Bedeutung

Polymeric Carbodiimides as Precursors for Ceramic Materials: Reaction Mechanismsand Tautomerism

Abstract. The reaction mechanisms for the synthesis of polymericsilicon and titanium carbodiimides via the element chlorides andbis(trimethylsilyl)-carbodiimid, used as precursors for ceramic ma-terials, have been investigated using quantumchemical methods.The influence of organic bases as catalysts on the transition stateand the thermodynamics of the reaction are discussed. The ratioof the tautomers carbodiimid - cyanamid depending on the hete-

Einleitung

Carbodiimide, die am Stickstoffatom duch Heteroatomesubstituiert sind (Si, Ti), haben in den letzten Jahren zuneh-mend Bedeutung als Vorstufen für neue keramische Mate-rialien erlangt. Keramische Werkstoffe aus Siliciumnitridund -carbid wurden bisher üblicherweise durch Sintertech-niken aus Si3N4/SiC-Pulvern hergestellt, und zwar entwederdurch chemical vapour deposition (CVD) mit Hexamethyl-disilazan als Reaktionsgas oder durch thermische Zerset-zung von Polyorganosilazanen unter Intertgasatmosphärebzw. unter Ammoniak oder Stickstoff. Vor einigen Jahrenwurde über eine alternative Methode zur Herstellung vonSi-N-C-Präkursoren berichtet, die zu Polyorganosilylcarbo-diimiden führt [122]. Die Synthese dieser Verbindungengeht von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid oder Cyanamid aus,das mit Siliciumtetrachlorid zur Reaktion gebracht wird.

* Dr. Olaf LichtenbergerMax-Planck-Institut für MikrostrukturphysikWeinberg 2,D- 06120 HalleFAX: 149 - 345 - 5511223e-mail: [email protected]

596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 004422313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0 Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607

für die Optimierung der Reaktion ist das Verhältnis der TautomereCarbodiimid - Cyanamid, das in Abhängigkeit vom Heteroatom,dem Lösungsmittel und der Temperatur mit Hilfe von ab-initio-Verfahren (Dichtefunktionaltheorie) bestimmt wird. Die Ergeb-nisse der theoretischen Berechnungen werden durch IR- und UV-spektroskopische Daten gestützt.

roatom, the solvent and the temperature, has been determinedusing ab-initio methods (density functional theory). The results ofthe theoretical calculations are confirmed by IR and UV spectros-copic data.

Keywords: Silicon carbodiimides; Titanium carbodiimides; Poly-mers; Ab-initio calculations

Die thermische Zersetzung des so synthetisierten polymerenSiliciumdicarbodiimids [Si(N5C5N)2]n führt zu Silicium-(carbodiimid)nitrid der Zusammensetzung Si2CN4, welchesweniger luft- und feuchtigkeitsempfindlich ist als das Silici-umdicarbodiimid und durch Pyrolyse in Si3N4/SiC-Kompo-site überführt werden kann. Die analoge Reaktion von Bis-(trimethylsilyl)carbodiimid mit Titantetrachlorid führt zupolymerem Titandicarbodiimid [Ti(N5C5N)2]n, das nochTrimethylsilyl-Endgruppen enthält. Die experimentell opti-mierten und theoretisch voraussagbaren Reaktionsbedin-gungen für beide Reaktionen (Temperatur, Katalysator, Lö-sungsmittel) unterscheiden sich beträchtlich und bilden ei-nen Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Erste Untersu-chungen zur experimentellen Optimierung derReaktionsbedingungen wurden in [325] durchgeführt. DieIdentität und spektroskopische Charakterisierung der End-produkte durch IR- und Raman-Messungen konnte dabeidurch quantenchemische Berechnungen (PM3) von uns ab-gesichert werden [5]. Auch NMR-spektroskopische Unter-suchungen, Charakterisierungen der Kristallstruktur mit-tels Röntgenbeugung [2] und der Elektronenstruktur durchXANES-Messungen [6] sowie transmissionselektronenmi-kroskopische Untersuchungen der erhaltenen Polymere [7]erfolgten bereits. Über Berechnungen und Messungen der

Page 2: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische Werkstoffe

kantennahen Feinstruktur (ELNES) und des low-loss-Be-reiches in Elektronen-Energie-Verlustspektren von Carbo-diimiden berichteten wir in [8].

Zur theoretischen Beschreibung des Reaktionsmechanis-mus und der Optimierung der Reaktionsbedingungen wer-den in der vorliegenden Arbeit semiempirische quantenche-mische Methoden eingesetzt (PM3, [9]). Der Übergangszu-stand einer postulierten nukleophilen bimolekularen Sub-stitutionsreaktion wird charakterisiert sowie die Funktionvon Pyridin als Katalysator bei der Reaktion geklärt.

Einen anderen Gegenstand der vorliegenden Arbeit, dervon wesentlicher Bedeutung für die Ausbeute der Polymeri-sations- und Vernetzungsreaktionen der anorganisch substi-tuierten Carbodiimide ist, bildet das tautomere Gleichge-wicht zwischen Carbodiimid- und Cyanamidstruktur derEndgruppen. Die Abhängigkeit dieses Tautomeriegleichge-wichts von Lösungsmittel und Temperatur wird mittelsquantenchemischer Verfahren untersucht. Das Vorliegen ei-nes echten Tautomeriegleichgewichts wird experimentelldurch IR- und UV-Spektroskopie bestätigt. Da die anorga-nisch substituierten Carbodiimide nach der Reaktion alspolymere, in den meisten Lösungsmitteln unlösliche Fest-stoffe anfallen, können sie IR-spektroskopisch nur als inKBr gepreßte Feststoffe untersucht werden. Daher wird einorganisches Carbodiimid, Dicyclohexylcarbodiimid(DCCD), als Modellsubstanz eingesetzt, um IR- und UV-Spektren in Lösung aufnehmen zu können und auch experi-mentelle Aussagen über das Tautomeriegleichgewicht Car-bodiimid - Cyanamid zu gewinnen.

Substanzen und Methoden

Synthese der Polysilyl- und -titanylcarbodiimide

Durch Zugeben einer Lösung von Siliciumtetrachlorid inToluen (unter Argon als Schutzgasatmosphäre) in eine Lö-sung von Bis(trimethylsilyl)-carbodiimid (1) gleichfalls inToluen, mit katalytischen Mengen Pyridin, bei Temperatu-ren zwischen 25 und 100 °C, wird Siliciumdicarbodiimid (2)als polymerer weißer Feststoff erhalten:

n SiCl4 1 2 n (CH3)3Si2N5C5N2Si(CH3)3 }}}RC5H5N, T 5 100°C

1[Si(N5C5N)2]n 1 4 n (CH3)3SiCl (1)

2

Siliciumdicarbodiimid (2) ist unter Argon bis 900 °C stabil,zersetzt sich aber bei höheren Temperaturen (unter Abgabevon Dicyan und Stickstoff mit etwa 40 % Gewichtsverlust)oder unter dem Einfluß von Luft und Feuchtigkeit unterBildung von Siliciumdioxid. Bei Temperaturen über 920 °Cund unter Argon zerfällt Siliciumdicarbodiimid (2) in Sili-cium-(carbodiimid)nitrid der Zusammensetzung Si2CN4

(3):

4 SiC2N4 }}}RT 5 920...1000°C

2 Si2CN4 1 3 C2N2 1 N2 (2)

3

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607 597

Details zur Synthese der Verbindungen 2 und 3, zu ihrerFT-IR- und NMR-spektroskopischen Charakterisierungsowie zur Strukturaufklärung mittels Röntgenbeugungwurden publiziert [2]. Silicium(carbodiimid)nitrid (3) ist we-niger luft- und feuchtigkeitsempfindlich als Siliciumdicar-bodiimid (2) und konnte daher an Luft so präpariert wer-den, daß elektronenmikroskopische und -spektroskopischeUntersuchungen möglich wurden [8].

Analog zum oben vorgestellten Syntheseweg führt dieReaktion von Titantetrachlorid mit Bis(trimethylsilyl)car-bodiimid bei 0 °C unter Argon in Toluen zu einem polyme-ren Titanylcarbodiimid mit Trimethylsilylendgruppen 4

[Ti(N5C5N)3Si(CH3)3]n4

als rotbrauner Niederschlag, der in den meisten organi-schen Lösungsmitteln unlöslich ist. Die Entfernung desÜberschusses an Bis(trimethylsilyl)carbodiimid und des alsNebenprodukt anfallenden Chlortrimethylsilans im Va-kuum und die Vernetzung des Rohprodukts bei 300 °C füh-ren zu einem dunkelbraunen Feststoff. Details zur Syntheseund spektroskopischen Charakterisierung finden sich in[4,5,8].

FT-IR- und UV-Spektroskopie

FT-IR-Spektren wurden an einem Infrarot-Spektrometer IFS 66v(Bruker) aufgenommen. Die Substanzen wurden entweder als Fest-stoff, gepreßt in Kaliumbromid (1 mg Substanz, 200 mg KBr991 %, FT-IR-rein, Aldrich), oder in Lösung (0.5 %ige Lösung inTetrachlorkohlenstoff, Merck, Uvasol) in einer Küvette (Supra-sil, 1 mm optische Weglänge) untersucht.Die Aufnahme der UV-Spektren erfolgte an einem UV-VIS-Spek-trometer UVIKON 941 (Kontron) im Zweistrahlverfahren (1024

molare Lösungen der Substanzen in n-Hexan bzw. Acetonitril fürdie Spektroskopie, Merck, Uvasol in Quartz-Küvetten, 10 mm op-tische Weglänge). Die optische Wegstrecke des Spektrometers, dieder Außenluft zugänglich ist, wurde mit trockenem Stickstoff ge-spült, um Spektren bis hinab zu 190 nm ohne Absorption durchden Sauerstoff der Atmosphäre aufnehmen zu können.

Quantenchemische Berechnungen

Für die Berechnungen zum Reaktionsmechanismus, d.h. zur Simu-lation des Übergangszustandes sowie zur Untersuchung des Kata-lysatoreinflusses, wurde das PM3-Verfahren eingesetzt (Parameteri-zed Method 3, [9]), das die Valenzelektronen der jeweiligen Ele-mente (2s und 2p bei C und N, 3s und 3p bei Si) berücksichtigtund die Elektron-Elektron-Wechselwirkung in Form eines semiem-pirischen Ansatzes beschreibt. Im Falle der Titanverbindungenkam das für Übergangsmetalle erweiterte PM3(tm)-Verfahren zumEinsatz [10], das außer den 4s- und 4p- auch die 3d-Elektronendes Titans einbezieht. Zur Simulation der IR-Spektren wurden dieSchwingungs- und Rotationseigenwerte der Moleküle sowie dasÜbergangsmatrixelement in einer anschließenden Force-Calcula-tion ermittelt [11]. Mit der Kenntnis der Schwingungs- und Rota-tionseigenwerte wurden darüber hinaus absolute thermodynami-sche Größen wie Enthalpien und Entropien in Abhängigkeit vonder Temperatur berechnet (post-Hartree-Fock-Calculation, [12]).

Page 3: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

O. Lichtenberger, J. Woltersdorf, R. Riedel

Berechnungen der Energien und Oszillatorstärken von Elektronen-übergängen zur Interpretation der UV-Spektren wurden ebenfallsunter Anwendung des PM3-Verfahrens durchgeführt, und zwar un-ter Einbeziehung der Konfigurationswechselwirkung angeregterZustände (configuration interaction, CI). Dabei wurden die Ener-gieeigenwerte der höchsten drei besetzten und der niedrigsten dreiunbesetzten Molekülorbitale in die Rechnung einbezogen.Auf Grund der geringen Energieunterschiede zwischen Carbodii-mid- und Cyanamid-Formen mußte bei den Berechnungen zumTautomeriegleichgewicht zu ab-initio-Verfahren übergegangen wer-den. Diese erfolgten nach der Dichtefunktionaltheorie (DFT), undzwar unter Einsatz des nichtlokalen selbstkonsistenten Becke-Per-dew-Modells (BP) [16] mit einem doppelt-numerischen Basissatz(DN*), d.h. einer Funktion für die core-Elektronen (1s), zweiFunktionen für die Valenz-Elektronen (2s, 2p für C, N; 3s, 3p fürSi etc.) und einem Satz von Polarisationsfunktionen (z.B. fünf 3d-Funktionen für Si). Das Prinzip der DFT ist in [13] vorgestellt; eineumfassende Darstellung bietet [14]; Anwendungen auf Problemeder organischen Chemie finden sich in [15]. In der vorliegendenArbeit wurden DFT-Rechnungen insbesondere wegen der Korrela-tionseffekte angewandt, die bei den geringen Energieunterschiedenzwischen möglichen tautomeren Formen eines Moleküls eine nichtunerhebliche Rolle spielen können. Als Ursache für Korrelationsef-fekte in Molekülen kann das sogenannte back-bonding gelten, d.h.der Rücktransfer einer Ladung vom elektronegativen Bin-dungspartner (also z.B. N) zum elektropositiven Partner (also z.BSi oder Ti), insbesondere in Elektronenniveaus, die im Grundzu-stand unbesetzt sind [17]. Das ist einer der Gründe, weshalb großeBasissätze für ab-initio-Verfahren erforderlich sind, mit denen Kor-relationseffekte berücksichtigt werden sollen. So müssen insbeson-dere Basisfunktionen für Orbitale mit größerer Drehimpulsquan-tenzahl als im Grundzustand des Moleküls besetzt sind (p-Funk-tionen für Wasserstoff und d-Funktionen für Hauptgruppenele-mente), verwendet werden.Eine Optimierung der Strukturparameter aller Moleküle erfolgtedurch eine Minimierung der Bildungsenthalpie (PM3-Verfahren)bzw. der Gesamtenergie der Moleküle (DFT) nach dem Gradien-tenverfahren von Broyden, Fletcher, Goldfarb und Shanno (BFGS[18]: “Ermittlung der Summe der ersten Ableitungen der Bildungs-enthalpie nach den Bindungslängen, Bindungswinkeln und Tor-sionswinkeln“).Die quantenchemischen Rechnungen der vorliegenden Arbeit wur-den mit den Programmen SPARTAN, Vers. 5.1 und MOPAC, Vers.6.1 auf einer SGI Octane2 vorgenommen.

Ergebnisse und Diskussion

Thermodynamik der Reaktion

Zunächst wurden PM3-Rechnungen für Bis(trimethylsilyl)-carbodiimid und Silciumtetrachlorid, die Partner der Sub-stitutionsreaktion (1), durchgeführt. Die anschließendeForce-Calculation lieferte die Schwingungs- und Rotation-seigenwerte dieser Moleküle. Aufbauend auf den Arbeitenvon Hirano [12] konnten mit der Kenntnis der Schwin-gungs- und Rotationseigenwerte absolute thermodynami-sche Größen berechnet werden. Abbildung 1 zeigt denSchwingungs- und den Rotationsanteil der Bildungsenthal-pie (Hvib, Hrot) für Bis(trimethylsilyl)-carbodiimid in Ab-hängigkeit von der Temperatur. Außerdem sind Schwin-gungs-, Rotations- und Translationsanteil der Entropie

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607598

(Svib, Srot, Strans) für dieses Molekül dargestellt. FolgendeAussagen lassen sich ableiten:

Abb. 1 Schwingungs- und Rotationsanteil der Bildungsenthalpie(Hvib, Hrot) sowie Schwingungs-, Rotations- und Translationsanteilder Entropie (Svib, Srot, Strans) von Bis-(trimethylsilyl)-carbodiimidin Abhängigkeit von der Temperatur.

1. Der Rotationsanteil der Bildungsenthalpie beträgt we-niger als 1 % der Gesamtenthalpie und ist daher zu ver-nachlässigen, d.h., die Bildungsenthalpie wird fast aus-schließlich von den inneren Molekülschwingungen be-stimmt.

2. Der Schwingungsanteil der Bildungsenthalpie zeigt ei-nen nichtlinearen Verlauf in Abhängigkeit von der Tempe-ratur. Dies ist von Bedeutung für die Reaktionsenthalpien:Zeigen die Bildungsenthalpien der weiteren Reaktionspart-ner ebenfalls nichtlineare Verläufe in Abhängigkeit von derTemperatur, ist mit lokalen Extrema der Reaktionsenthal-pie zu rechnen. Das heißt, es können dann aus diesen ther-modynamischen Rechnungen Temperaturbereiche angege-ben werden, in denen die Reaktion besonders bevorzugtoder behindert ablaufen wird.

3. Der Schwingungsanteil der Bildungsenthalpie nähertsich beim Übergang zu tiefen Temperaturen asymptotischeinem konstanten Wert (Nullpunktsenthalpie). Der Rota-tionsanteil der Bildungsenthalpie geht bei tiefen Temperatu-ren gegen Null.

4. Translations- und Rotationsanteil bestimmen denHauptteil der Entropie bei tiefen Temperaturen (T,150 K). Bei höheren Temperaturen gehen diese in einenSättigungsbereich über, so daß die Entropie jetzt vomSchwingungsanteil dominiert wird (T .220 K), der einen

Page 4: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische Werkstoffe

nahezu linearen Verlauf in Abhängigkeit von der Tempera-tur zeigt. Somit sind für das Zustandekommen der Reak-tion Zusammenstöße und Schwingungen von Molekülenerforderlich, die erst oberhalb einer gewissen Mindesttem-peratur erfolgen.

Aus diesen absoluten thermodynamischen Größen kön-nen Reaktionsenthalpien abgeleitet werden, aus denen sichAussagen über die Optimierung der Reaktionsführung erge-ben. So kann für die Darstellung von Silicium- und Titan-carbodiimiden aus den Elementchloriden und Bis(trime-thylsilyl)carbodiimid nach der allgemeinen Reaktionsglei-chung

n XCl4 1 2n (CH3)3Si2N5C5N-Si(CH3)3 RR1 R2

[X(N5C5N)2]n 1 4 n (CH3)3SiCl (3)P1 P2

(X 5 Si, Ti)

mit R1 und R2 als Reaktanden und P1 und P2 als Produk-ten, die Reaktionsenthalpie ∆HR(T) aus den zuvor berech-neten Bildungsenthalpien ∆Hf(T) für alle R und P wie folgtabgeleitet werden: Mit nR` ist die Reaktionsenthalpie derPolymerisationsreaktion (3) asymptotisch zu erwarten. Eszeigt sich, daß man bereits für n 5 2 aus Gleichung (4)

∆HR(T) 5 2 ∆HP1f (T) 1 8 ∆HP2

f (T) 2 2 ∆HR1f (T) 2 4 ∆HR2

f (T)(4)

einen Verlauf der Reaktionsenthalpie in Abhängigkeit vonder Temperatur erhält (Abb. 2), der mit den experimentelloptimierten Reaktionsbedingungen gut übereinstimmt.Für die Reaktionsführung bedeutet dieser Verlauf der Re-aktionsenthalpie:

Abb. 2 Verlauf der Reaktionsenthalpie für die Reaktion von Silic-iumtetrachlorid und Titantetrachlorid mit Bis(trimethylsilyl)-car-bodiimid in Abhängigkeit von der Temperatur.

1. Es gibt für beide Reaktionen ein lokales Minimum derReaktionsenthalpie, d.h., es gibt eine optimale Temperatur,bei der die Reaktionen mit maximaler Geschwindigkeit undAusbeute ablaufen werden. Diese Temperatur liegt nach

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607 599

den Rechnungen für die Reaktion von SiCl4 bei etwa 340 K,für TiCl4 bei etwa 280 K.2. Das lokale Minimum ist breit, d.h., mäßige Abweichun-gen von der optimalen Reaktionstemperatur werden sichnicht drastisch ausbeutemindernd bemerkbar machen.3. Der absolute Wert des Minimums der Reaktionsenthalpieliegt für die Reaktion mit TiCl4 etwa 50 kcal/mol niedrigerals für die Reaktion mit SiCl4. Das bedeutet, daß neben derniedrigeren optimalen Reaktionstemperatur die Reaktionmit TiCl4 leichter vonstatten gehen wird (z.B. ist kein Kata-lysator erforderlich, wie im Falle der Reaktion mit SiCl4).

Die Rolle des Katalysators bei der Reaktion und derAusbildung des Übergangszustandes

Bei der Reaktion von Bis(trimethylsilyl)-carbodiimid mit Si-liciumtetrachlorid ist auch bei erhöhter Temperatur ohneKatalysator keine akzeptable Reaktionsgeschwindigkeit er-reichbar. Dagegen läuft die Reaktion mit Titantetrachloridbereits bei 0 °C ohne Katalysator mit guten Ausbeuten[325].

Um die Rolle von Pyridin als Katalysator zu klären, wur-den semiempirische quantenchemische Rechnungen durch-geführt.

Für eine Wechselwirkung mit Pyridin kommen in ersterLinie das Edukt Bis(trimethylsilyl)-carbodiimid sowie dasNebenprodukt Trimethylchlorsilan in Frage. Da sich die ka-talysierende Rolle von Pyridin bei Reaktionen von Bis(tri-methylsilyl)carbodiimid mit verschiedenen Elementchlori-den ACln zeigt, kann angenommen werden, daß vorwie-gend eine Wechselwirkung von Pyridin mit Bis(trimethylsi-lyl)carbodiimid für die katalytische Aktivität verantwortlichist [3] und nicht die Wechselwirkung mit dem Elementchlo-rid. Dies scheint ein wesentlicher Unterschied zu Element-fluoriden zu sein [19]. Daher wurden von Greiner [3] NMR-Spektren von reinem Bis(trimethylsilyl)carbodiimid, Mi-schungen von Bis(trimethylsilyl)-carbodiimid mit Pyridin,sowie von Trimethylchlorsilan mit Pyridin, gelöst in deute-riertem Chloroform, aufgenommen. Während sich bei Tri-methylchlorsilan vor und nach Zugabe von Pyridin keineaußergewöhnliche Änderung der Form und chemischenVerschiebung der Spektren erkennen läßt, finden sich beider Mischung aus Pyridin und Bis(trimethylsilyl)-carbodii-mid deutliche Veränderungen gegenüber den Reinsubstan-zen. Auffällig ist bei diesen Untersuchungen die Aufspal-tung des scharfen Singuletts der Methyl-Wasserstoffatomeder Trimethylsilylgruppe im 1H-NMR-Spektrum in ein Du-blett mit Intensitätsverhältnis 2:1 bei Zugabe von Pyridin.Dies läßt auf eine veränderte chemische Umgebung undveränderte Bindungswinkel einer Methylgruppe schließen,die sich in sterisch ungünstiger Position zu einem am Silici-umatom komplexierten Pyridinmolekül befindet. Auch imdazugehörigen 1H-NMR-Spektrum des Pyridins sind ent-sprechende Veränderungen der Feinstruktur erkennbar. Diechemische Verschiebung des 29Si-Resonanzsignals der Tri-methylsilylgruppe findet sich unter dem Einfluß des Pyri-

Page 5: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

O. Lichtenberger, J. Woltersdorf, R. Riedel

dins leicht hochfeldverschoben, was auf eine stärkere Ab-schirmung des Siliciumkernes schließen läßt.

Aufgrund dieser spektroskopischen Anhaltspunkte, diefür eine Anlagerung des Pyridins an die Trimethylsilyl-gruppe des Bis(trimethylsilyl)carbodiimids sprechen, wurdein der vorliegenden Arbeit eine quantenchemische Berech-nung des vermuteten Komplexes aus beiden Molekülen mitdem PM3-Verfahren vorgenommen. Da hierbei auchschwache elektrostatische intermolekulare Kräfte berück-sichtigt werden (im Gegensatz zu den semiempirischen Ver-fahren der ersten Generation), wurde eine Geometrieopti-mierung nach der BFGS-Methode [18] für diesen Komplexeinbezogen. Neben den optimalen geometrischen Parame-tern wurden die Energie-Eigenwerte, die Partialladungen anden betreffenden Atomen sowie das molekulare elektrosta-tische Potential in der räumlichen Umgebung des Molekül-komplexes berechnet. Abbildung 3 zeigt eine graphischeDarstellung der optimierten Geometrie des Molekülkom-plexes nach der PM3-Rechnung. Neben der Molekülgeome-trie ist das molekulare elektrostatische Potential in einerSchnittebene zwischen beiden Molekülen dargestellt, so daßdie Wechselwirkung zwischen Pyridin-Stickstoff- und Silici-umatom sichtbar wird. Es besteht eine elektrostatische An-ziehung zwischen diesen beiden Atomen (rot), und eskommt zu einem partiellen Ladungsausgleich. Weiterhin er-folgt eine Aufweitung des Tetraederwinkels, der zwischendem Siliciumatom und den drei Methylgruppen aufge-spannt wird. Diese Verhältnisse sind in Tabelle 1 zusam-mengefaßt.

Das Pyridinmolekül mit dem freien Elektronenpaar desStickstoffatoms wirkt offenbar als Elektronendonor für dasSiliciumatom, wodurch die Abspaltung eines Trimethylsilyl-

Abb. 3 Wechselwirkung zwischen Pyridin und Bis(trimethylsilyl)-carbodiimid. Darstellung der Geometrie des Komplexes sowie des elek-trostatischen molekularen Potentials in einer Schnittebene zwischen beiden Molekülen.blau: Core-core-repulsion-Energie in unmittelbarer Nähe der Atome.rot und gelb: Elektrostatische Anziehung.PM3-Rechnung mit BFGS-Optimizer.

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607600

Tabelle 1 Strukturelle und elektronische Parameter von Bis(tri-methylsilyl)-carbodiimid, Pyridin und des Komplexes aus beidenMolekülen.

Bis(trimethylsilyl)- Pyridin Molekül-carbodiimid komplex

Torsionswinkel -Si(CH3)3 35.2° 21.9°Partialladung am Si-Atom 10.44 10.34Partialladung amPyridin-N-Atom 20.68 10.002

kations erleichtert wird. Dadurch kann der nucleophile An-griff der Carbodiimidgruppe am Elementchlorid untergleichzeitiger Abspaltung eines Chloridions erleichtert wer-den. Unter der Annahme eines bimolekularen nucleophilenSubstitutionsmechanismus (SN2) zeigt Abbildung 4 denmöglichen Ablauf dieser Reaktion.

Betrachtet man den Abstand des Si- bzw. Ti-Atoms desangreifenden Elementchloridmoleküls vom Stickstoffatomder Carbodiimidgruppe als Reaktionskoordinate, so läßtsich der Verlauf der Reaktion thermodynamisch verfolgenund ein Übergangszustand postulieren (Abb. 5). Mit Hilfesemi-empirischer Verfahren sind Geometrie und energeti-scher Abstand des Übergangszustandes vom Grundzustandberechenbar [20]. Abbildung 6 zeigt die optimierte Geome-trie des postulierten Übergangszustandes sowie das mole-kulare elektrostatische Potential auf der van-der-Waals-Oberfläche des Molekülkomplexes. Zur Ermittlung desÜbergangszustandes wird der Abstand zwischen dem Hete-roatom des Elementchlorids und dem Stickstoffatom derCarbodiimidgruppe vorgegeben, und alle anderen Geome-

Page 6: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische Werkstoffe

Abb. 4 Postulierter SN-Mechanismus für die Reaktion von Bis(tri-methylsilyl)-carbodiimid mit Elementchloriden ACln und Pyridinals Katalysator.

trieparameter werden optimiert (Abb. 7). Die Geometriedes Übergangszustandes im Verlauf des angenommenenReaktionsmechanismus unterscheidet sich von der Geome-trie des Grundzustandes: Während im Grundzustand desBis(trimethylsilyl)carbodiimids die Carbodiimidgruppe li-near gebaut ist (siehe Abb.3), schließen die drei Atome2N5C5N2 im Übergangszustand einen Winkel von 132°ein (Abb. 6). Betrachtet man die Enthalpien ∆H, die sichaus den Differenzen der Bildungsenthalpien ∆Hf des Mole-külkomplexes der Abbildung 6 und der beteiligten Edukteergeben, ohne und mit Pyridin als Katalysator (Gln. 5abzw. 5b),

Abb. 5 Postulierter Übergangszustand für die SN2-Reaktion vonBis(trimethylsilyl)-carbodiimid mit Elementchloriden. Reaktion-skoordinate R ist hier der Abstand d zwischen dem Heteroatom Aund dem Stickstoffatom der Carbodiimidgruppe.

∆H 5 ∆Hf 2 [∆HBisf 1 ∆HSiCl4

f ] (5a)

∆H 5 ∆Hf 2 [∆HBisf 1 ∆HSiCl4

f 1 ∆HPyridinf ] (5b)

in Abhängigkeit von der Reaktionskoordinate (vgl. Abb. 7),so läßt sich der Einfluß des Katalysators im Falle der Reak-tion mit Siliciumtetrachlorid an zwei Fakten erkennen:

1. Die Enthalpie des Übergangszustandes wird durch Pyri-din als Katalysator um 15.2 kcal/mol erniedrigt.2. Der Übergangszustand wird früher erreicht.

Im Gegensatz dazu bewirkt Pyridin bei der Reaktion mitTitantetrachlorid weder eine Erniedrigung der Enthalpiedes Übergangszustandes noch hat es einen wesentlichen

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607 601

Abb. 6 Übergangszustand für die Reaktion von Bis(trimethylsi-lyl)-carbodiimid mit Siliciumtetrachlorid ohne (oben) und mit Pyri-din (unten) als Katalysator. Darstellung der Geometrie und deselektrostatischen molekularen Potentials auf der van-der-Waals-Oberfläche des Molekülkomplexes.

Einfluß auf seine Lage in Abhängigkeit von der Reaktions-koordinate. Offensichtlich ist die Lewis-Acidität von Titan-tetrachlorid von einer Stärke, die den Einsatz eines Kataly-sators überflüssig macht.

Tautomerie zwischen Carbodiimid und Cyanamid

Zwischen Carbodiimid und Cyanamid besteht eine Struk-turtautomerie, die für monomere organische Carbodiimidein Abbildung 8 dargestellt ist. Strukturelemente polymererCarbodiimide werden durch Cluster gemäß Abbildung 9wiedergegeben. Für die Polymerisationsreaktion vom Typ(3) ist das tautomere Verhältnis von Carbodiimid- und Cy-anamid-Struktur von Bedeutung, da der postulierte Reak-tionsmechanismus und der erwünschte hohe Polymerisa-tionsgrad vom Vorhandensein der Carbodiimidbindung ab-hängen. Wie orientierende semiempirische Rechnungen zei-gen, sind die energetischen Unterschiede zwischen beidenFormen gering. Daher wurden ab-initio-Rechnungen aufder Basis der Dichtefunktionaltheorie durchgeführt, umAussagen über absolute Energien beider tautomerer For-men zu gewinnen. Das Verhältnis beider Tautomere hängtvom Lösungsmittel und der Temperatur ab. Daher wurden

Page 7: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

O. Lichtenberger, J. Woltersdorf, R. Riedel

Abb. 7 Enthalpie des Reaktionskomplexes [ACl3][Si(CH3)32N5

C5N-Si(CH3)3] für die Reaktion von Bis(trimethylsilyl)-carbodii-mid mit Siliciumtetrachlorid (a, A5Si) und Titantetrachlorid (b,A5Ti) ohne (Kurve 1) und mit Pyridin (Kurve 2) als Katalysator.Als Reaktionskoordinate R wurde der Abstand d zwischen demStickstoffatom der Carbodiimidgruppe und dem Heteroatom A inA gewählt. Das Maximum der Kurven stellt den Übergangszustandfür die jeweilige Reaktion dar.

die Rechnungen für beide Formen für jeweils ein isoliertesMolekül im Vakuum, für ein Molekül in einem hydropho-ben (n-Hexan) und einem hydrophilen Lösungsmittel (Was-ser) durchgeführt. Hierfür wurde das Molekül in 5, 10 und20 Lösungsmittelmoleküle eingebettet, zunächst eine se-miempirische Rechnung mittels des PM3-Verfahrens mitGeometrieoptimierung des gesamten Molekül-Lösungsmit-telkomplexes und anschließend eine DFT-Rechnung durch-geführt. Das asymptotische Verhalten der berechneten ab-

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607602

soluten Energie in Abhängigkeit von der Anzahl der Lö-sungsmittelmoleküle wurde verfolgt. Relevant ist hierbeidie Größe

Abb. 8 Carbodiimid und Cyanamid als tautomere Formen:a 2 N,N9-Dicyclohexylcarbodiimid (DCCD)b 2 N,N-Dicyclohexylcyanamid

Abb. 9 Cluster zur Simulation tautomerer Formen metallorgani-scher Carbodiimide:a 2 Cluster mit Carbodiimidbindungenb 2 Cluster mit 3 Carbodiimid- und einer Cyanamidbindungc 2 Cluster mit 4 CyanamidbindungenA 5 Si oder Ti, R1 5 H oder Alkyl.

E 5 E9 2 n · EL (6)

wobei E9 die berechnete Energie des Gesamtkomplexes, EL

die Energie eines Lösungsmittelmoleküls und n die Anzahlder in der Rechnung berücksichtigten Lösungsmittelmole-küle darstellt. In die Größe E geht somit neben der Wech-

Page 8: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische Werkstoffe

selwirkung des Lösungsmittels mit dem Carbodiimid / Cy-anamid auch die Wechselwirkung der Lösungsmittelmole-küle untereinander ein.

Um auch einen experimentellen Nachweis des Tautome-rieverhältnisses Carbodiimid-Cyanamid durch IR-spektros-kopische Messungen in Lösung führen zu können, wurdedas monomere N,N9-Dicyclohexylcarbodiimid (DCCD) indie Untersuchungen einbezogen. Als organische monomereVerbindung ist DCCD in vielen Lösungsmitteln gut löslichund kann somit in Lösung spektroskopiert werden. Aus die-sem Grund wurde für DCCD außer n-Hexan und Wasserauch Tetrachlorkohlenstoff als Lösungsmittel für die DFT-Rechnungen ausgewählt, da DCCD in CCl4 spektroskopiertwurde. CCl4 eignet sich in diesem Fall als Lösungsmittel,da es selbst nicht im spektralen Bereich der asymmetrischenValenzschwingung der Carbodiimid-Bindung wie auch derValenzschwingung der Cyanamid-Bindung absorbiert.

Abb. 10 Absolute Energien von N,N9-Dicyclohexylcarbodiimid(- - - - -) und dem tautomeren N,N-Dicyclohexylcyanamid( ) im Vakuum, in Tetrachlorkohlenstoff, n-Hexan, Ace-tonitril und Wasser.DFT-BP-DN*-Rechnung.

Die DFT-Rechnungen zeigen folgendes Ergebnis (Dar-stellung der Größe E gemäß Gl. (6) in Abb. 10): Im Va-kuum, in Tetrachlorkohlenstoff und in n-Hexan ist das Car-bodiimid gegenüber dem Cyanamid energetisch begünstigt.Die Energieunterschiede zum Cyanamid sind in Tetrachlor-kohlenstoff mit ∆E 5 0.16 eV am geringsten. Nimmt manfür das quantitative Verhältnis der Tautomere V 5 n1/n2

näherungsweise eine Maxwell-Boltzmann-Verteilung

V (∆E,T) 5 1 / exp (∆E/kT) (7)

an, so kann dieses Verhältnis in Abhängigkeit von der Tem-peratur abgeschätzt werden. Abbildung 11 zeigt, daß beiRaumtemperatur in Tetrachlorkohlenstoff etwa 99,82 %

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607 603

Abb. 11 Maxwell-Boltzmann-Verteilung für das Verhältnis dertautomeren Formen von N,N9-Dicyclohexylcarbodiimid und N,N-Dicyclohexylcyanamid in Tetrachlorkohlenstoff in Abhängigkeitvon der Temperatur.

Abb. 12 FT-IR-Spektrum von N,N9-Dicyclohexylcarbodiimid inTetrachlorkohlenstoff.

Carbodiimid und 0,18 % des tautomeren Cyanamids vorlie-gen werden. Durch die im Vakuum und lipophilen Lö-sungsmitteln höhere Energiedifferenz der tautomeren For-men wird sich hier das Gleichgewicht noch weiter zugun-sten des Carbodiimids verschieben.

Abbildung 12 zeigt das FT-IR-Spektrum von DCCD inCCl4. Durch Vergleich mit den Ergebnissen von PM3-Rech-nungen mit anschließender force-calculation können die in-tensitätsreichsten Absorptionsbanden im Infrarotbereichzugeordnet werden (Tab. 2 und 3): Bei 2136 cm21 findetman die asymmetrische Valenzschwingung der Carbodii-midgruppe mit hoher Absorptionsintensität. Die Valenz-

Page 9: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

O. Lichtenberger, J. Woltersdorf, R. Riedel

schwingung der dazu tautomeren Cyanamidgruppe ist mitgeringerer Intensität bei 2361 cm21 nachzuweisen. Auch dieWellenzahl der C-H Valenzschwingung an dem zur Carbo-diimidgruppe α-ständigen Kohlenstoffatom der Cyclohe-xanringe zeigt eine Abhängigkeit von der Tautomerie:2856 cm21 im Falle des Carbodiimids, 2792 cm21 im Falledes Cyanamids. Im Bereich von 2927 bis 2940 cm21 tretenweitere Absorptionen infolge von C-H Valenzschwingungenan den Cyclohexanringen auf, die nicht näher aufgelöstwurden.

Tabelle 2 Vergleich von berechneten Schwingungseigenwertenund gemessenen Absorptionen im FT-IR-Spektrum von N,N9-Di-cyclohexylcarbodiimid. Wellenzahlen in cm21.

PM3-Rechnung 1 force calc. experimentellDCCD DCCD gefunden(Vakuum) (in CCl4) (FT-IR in CCl4)

2N5C5N2 cm21 2153 2159 2136asym. Valenzα-C-H Valenz cm21 2868 2827 2856C-H Valenz cm21 2945...2951 2922...2950 2927...2940

Tabelle 3 Vergleich von berechneten Schwingungseigenwertenund gemessenen Absorptionen im FT-IR-Spektrum von N,N9-Di-cyclohexylcarbodiimid. Wellenzahlen in cm21.

PM3-Rechnung 1 force calc. experimentellDCCD DCCD gefunden(Vakuum) (in CCl4) (FT-IR in CCl4)

2C;N Valenz cm21 2368 2363 2361α-C-H Valenz cm21 2796 2792 2792C-H Valenz cm21 2945...2956 2910...2961 2927...2940

i: 2x, y, 1/22z

Der Vergleich von gemessenem FT-IR-Spektrum und be-rechneten Schwingungseigenwerten zeigt, daß in Tetra-chlorkohlenstoff als Lösungsmittel tatsächlich beide tauto-meren Formen des DCCD nebeneinander existieren. Wei-terhin ergeben die DFT-Rechnungen, daß in unpolarenLösungsmitteln wie n-Hexan die Carbodiimidform energe-tisch begünstigt ist. In polaren Lösungsmitteln wie Acetoni-tril oder Wasser kehrt sich dagegen das Verhältnis von Car-bodiimid und Cyanamid um (Abb. 10): In Wasser ist dasCyanamid gegenüber dem Carbodiimid deutlich energetischbegünstigt, und zwar um 0,85 eV.

Informationen zum Tautomeriegleichgewicht von poly-meren Silicium- und Titancarbodiimiden, die in Form vonFeststoffen vorliegen und für die IR-Spektroskopie in KBrgepreßt werden können, sind schwieriger zu erhalten: In-folge der im polymeren Festkörper gekoppelten asymmetri-schen Valenzschwingungen der Carbodiimidgruppen wer-den in diesem Fall sehr breite Banden im Wellenzahlbereichzwischen 2060 bis 2270 cm21 beobachtet, die eine eindeu-tige Zuordnung zur Carbodiimid- bzw. Cyanamid-Valenz-schwingung verhindern [5]. Da sie in den üblichen organi-schen Lösungsmitteln schwer löslich sind, können auch

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607604

keine IR-Spektren der polymeren metallorganischen Car-bodiimide in Lösung aufgenommen werden.

Hingegen lassen sich für organische monomere Verbin-dungen Aussagen zum Gleichgewicht der Tautomere in Ab-hängigkeit vom Lösungsmittel auch durch UV-Spektrosko-pie gewinnen: DCCD wurde in 1024 molarer Lösung in n-Hexan und Acetonitril im Wellenlängenbereich von 190 bis400 nm spektroskopiert. Zur Interpretation der Spektrenwurden PM3-Rechnungen von N,N9-Dicyclohexylcarbodii-mid und N,N-Dicyclohexylcyanamid mit Berücksichtigungder Konfigurationswechselwirkung ausgeführt. Dabei wur-den die Energieeigenwerte der drei höchsten besetzten undder drei niedrigsten unbesetzten Molekülorbitale einbezo-gen. Die Ergebnisse sind in der Abbildung 13 sowie derTabelle 4 zusammengefaßt: Die Lösung von DCCD in n-Hexan zeigt nur eine intensitätsreiche Absorptionsbandebei 202 nm (Abb. 13a), die einem Elektronenübergang ineinen angeregten Singulettzustand des Carbodiimids zuge-ordnet werden kann (Tab. 4). In Acetonitril verschiebt sichdiese Absorptionsbande zu höheren Wellenlängen(212 nm), außerdem treten eine Schulter bei ca. 245 nm undeine breite Bande mit geringer Intensität bei ca. 305 nm auf(Abb. 13b). Ob es sich bei der Absorption bei 212 nm umeine bathochrome Verschiebung der auch in n-Hexan beob-

Abb. 13a UV-Spektrum einer 1024 molaren Lösung von N,N9-Dicyclohexylcarbodiimid in n-Hexan.

Abb. 13b UV-Spektrum einer 1024 molaren Lösung von N,N9-Dicyclohexylcarbodiimid in Acetonitril.

Page 10: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische Werkstoffe

achteten Bande des Carbodiimids aufgrund von Lösungs-mitteleffekten handelt (Solvatochromie) oder um eine Elek-tronenanregung des tautomeren Cyanamids (Tab. 4) kannzunächst nicht entschieden werden. Die beiden anderen zu-sätzlich beobachteten Merkmale des Spektrums lassen sichjedoch eindeutig Anregungen des Cyanamids zuordnen,und zwar einem angeregten Singulett- (Schulter bei 245 nm)und einem Triplettzustand (305 nm). Die UV-Spektren zei-gen somit eine Abhängigkeit des Gleichgewichts der Tauto-meren von der Polarität des Lösungsmittels, wie es auch ausden Ergebnissen der DFT-Rechnungen (Abb. 10) zu erwar-ten ist: In polaren Lösungsmitteln bzw. solchen mit hohemDipolmoment wird das Cyanamid nachgewiesen.

Tabelle 4 Vergleich von gemessenen UV-Absorptionsbanden fürN,N9-Dicyclohexylcarbodiimid in n-Hexan und Acetonitril mit be-rechneten Energien von Elektronenübergängen von N,N9-Dicyclo-hexylcarbodiimid und N,N-Dicyclohexylcyanamid.

Lösungsmittel n-Hexan Acetonitril

UV-VIS-Spektrum, 202 212gemessene Absorptionsbande 245 (Schulter)λ nm 305

PM3-CI-Rechnungλ (nm) E (eV) Multipl.

N,N9-Dicyclohexylcarbodiimid 189.2 6.5531 SN,N-Dicyclohexylcyanamid 209.7 5.9125 S

242.3 5.1170 S308.2 4.0229 T

Wegen der strukturellen Ähnlichkeit von Cyanamid undder Cyangruppe in Acetonitril scheint es zunächst nichtselbstverständlich, daß Acetonitril als Lösungsmittel für dieUV-Spektroskopie von Cyanamiden geeignet ist. Die konju-gative Wirkung des zusätzlich an die Cyangruppe gebunde-nen Stickstoffatoms führt jedoch zu den spektroskopischnachgewiesenen und auch durch PM3-CI-Rechnungen be-stätigten beiden langwelligen Übergängen, die im bis190 nm gut UV-durchlässigen Acetonitril gemessen werdenkönnen.

In einem weiteren Schritt wurden DFT-Rechnungen zumTautomerieverhältnis für Struktureinheiten der polymerenSilicium- und Titancarbodiimide, wie sie durch die jeweilsdrei Cluster der Abbildung 9 repräsentiert werden, durchge-führt. Die Abbildung 14 zeigt die nach Gleichung (6) ermit-telten absoluten Energien aus DFT-Rechnungen für dieseCluster im Vakuum, in n-Hexan und in Wasser. Daraus las-sen sich sowohl für die Silicium- wie auch für die Titanver-bindungen folgende Aussagen treffen:

1. Im Vakuum ist immer das Carbodiimid energetisch be-günstigt.

2. In n-Hexan kommt offenbar dem Molekül die energie-ärmste Form zu, das sich durch Carbodiimid- und Cyana-midbindungen am Heteroatom auszeichnet (repräsentiertdurch einen Cluster mit jeweils drei Carbodiimid- und einerCyanamidbindung am Si- bzw. Ti-Atom). Der energetischeAbstand dieser Form zum reinen Carbodiimid in n-Hexan

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607 605

Abb. 14a Absolute Energien von Clustern bestehend aus einemSiliciumatom mit 4 Carbodiimidbindungen (- - - - -), drei Carbodii-mid- und einer Cyanamidbindung (2 2 2), sowie vier Cyanamid-bindungen ( ) im Vakuum (links), einer Umgebung ausn-Hexan (Mitte) und Wasser (rechts). DFT-BP-DN*-Rechnung.

Abb. 14b Absolute Energien von Clustern bestehend aus einemTitanatom mit 4 Carbodiimidbindungen (- - - - -), drei Carbodiim-id- und einer Cyanamidbindung (2 2 2), sowie vier Cyanamidbin-dungen ( im Vakuum (links), einer Umgebung aus n-Hexan (Mitte) und Wasser (rechts). DFT-BP-DN*-Rechnung.

Page 11: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

O. Lichtenberger, J. Woltersdorf, R. Riedel

beträgt allerdings in beiden Fällen (Si- und Ti-Verbindung)weniger als 0.1 eV.

3. In wäßriger Umgebung ist in allen Fällen die Cyana-midform die energetisch günstigste (repräsentiert durch ei-nen Cluster mit vier Cyanamidbindungen am Heteroatom).

Für die Synthese läßt sich aus diesen Rechnungen ablei-ten, daß die Substitutions- und Polymerisationsreaktionengünstigerweise in Lösungsmitteln mit geringem Dipolmo-ment und kleiner Dielektrizitätskonstante durchgeführtwerden sollten, da endständige Cyanamidgruppen, wie sievorzugsweise in polaren Lösungsmitteln auftreten, zu einemveränderten Polymerisationsverhalten führen können.

Zusammenfassung

1. Der Verlauf der Reaktionsenthalpie für die Reaktionvon Bis(trimethylsilyl)carbodiimid mit Silicium- und Ti-tantetrachlorid konnte mit Hilfe von Post-Hartree-Fock-Rechnungen in Abhängigkeit von der Temperatur ermit-telt werden. Daraus ließen sich Temperaturbereiche füreine maximale Reaktionsgeschwindigkeit ableiten.

2. Die Reaktion von Bis(trimethylsilyl)carbodiimid mit Sili-cium- und Titantetrachlorid kann auf einen bimolekula-ren nucleophilen Substitutionsmechanismus (SN2-Reak-tion) zurückgeführt werden. Die geometrischen undelektronischen Eigenschaften des Übergangszustandesdieser Reaktion wurden mit Hilfe semiempirischer quan-tenchemischer Verfahren charakterisiert.

3. Die Rolle von Pyridin als Katalysator bei der Reaktionmit Siliciumtetrachlorid konnte geklärt werden: Pyridinbewirkta) eine Aufweitung des Tetraederwinkels, der im Mole-kül Bis(trimethylsilyl)carbodiimid zwischen dem Silici-umatom und den Methylgruppen aufgespannt wird,b) einen Ladungstransfer vom Stickstoffatom des Pyri-dins auf das Siliciumatom, so daß die Abspaltung einesTrimethylsilylkations erleichtert wird,c) eine Verringerung der Energie des Übergangszustan-des. Dieser wird darüber hinaus durch den Einfluß desPyridins früher auf der Reaktionskoordinate erreicht.(Diese Eigenschaften sind nur bei der Reaktion mit Sili-ciumtetrachlorid zu erwarten: Aufgrund der höheren Le-wis-Acidität von Titantetrachlorid ist bei dieser Reak-tion kein Katalysator erforderlich.)

4. Unter Anwendung von ab-initio-Verfahren (Dichtefunk-tionaltheorie) konnten Aussagen zum Verhältnis derTautomere Carbodiimid - Cyanamid in Abhängigkeitvon der Polarität des Lösungsmittels gewonnen werden.Ein organisches Carbodiimid (N,N9-Dicyclohexylcarbo-diimid) wurde für spektroskopische Untersuchungen alsModellsubstanz eingesetzt, da es in zahlreichen Lö-sungsmitteln leicht löslich ist. In Tetrachlorkohlenstoffwurden IR-, in n-Hexan und Acetonitril UV-Spektrenaufgenommen, die die theoretischen Aussagen zum Tau-tomerieverhältnis bestätigen: In Lösungmitteln hoherPolarität (Acetonitril, Wasser) nimmt die Wahrschein-

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607606

lichkeit für die Bildung der Cyanamidform zu; in unpo-laren Lösungsmitteln (n-Hexan) ist die Carbodiimidformenergetisch begünstigt. Für die Substitutionsreaktionvon Bis(trimethylsilyl)carbodiimid mit Elementchloridenwie auch für die anschließende Polymerisationsreaktionbedeutet dies, daß in Lösungsmitteln mit geringem Di-polmoment und kleiner Dielektrizitätskonstante sowieunter Feuchtigkeitsausschluß zu arbeiten ist.

Literatur

[1] a) A. Kienzle, A. Obermayer, A. Simon, R. Riedel, F. Aldin-ger, Chem. Ber. 1993, 126, 2569; b) A. Kienzle, J. Bill, F. Al-dinger, R. Riedel, Nanostruct. Mat. 1995, 6, 349.

[2] a) R. Riedel, A. Kienzle, M. Frieß, Application of Organome-tallic Chemistry in the Preparation and Processing of Advan-ced Materials, J. F. Harrod and R. M. Laine, Kluver Aca-demic Publishers (Netherlands) 1995, 151; b) R. Riedel, W.Dressler, Ceramics Int. 1996, 22, 233; c) R. Riedel, A. Grei-ner, G. Miehe, W. Dressler, H. Fuess, J. Bill, F. Aldinger, An-gew. Chem. 1997, 109, 603; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 1997,36, 603.

[3] A. Greiner, Dissertation, TU Darmstadt 1997.[4] N. Hering, Dissertation, TU Darmstadt 1999.[5] N. Hering, K. A. Schreiber, R. Riedel, O. Lichtenberger and

J. Woltersdorf, Appl. Organomet. Chem. 2001, 15, 879.[6] a) Kroll, P., Greiner, A., Riedel, R., Bender, S., Franke, R.,

Hormes, J. and A. A. Pavleychev, XANES Studies at N and CK-edge of Compounds in the Ternary System Si-C-N, in: L.Ter-minello, S. Mini, D. L. Perry and H. Ade, Applications of Syn-chrotron Radiation to Materials Science III, Mat. Res. Symp.Proc., 1996, 437; b) R. Franke, S. Bender, A. A. Pavlychev, P.Kroll, R. Riedel, A. Greiner, J. Electron Spectr. Relat. Phenom.1998, 96, 253.

[7] M. Frieß, J. Bill, F. Aldinger, D.V. Szabo, R. Riedel, Crystalli-zation of Amorphous Silicon Carbonitride Investigated by Tran-smission Electron Microscopy, in: M. J. Hoffmann, P. F. Becher,G. Petzow, Key Engineering Materials 1993, 89291, 95.

[8] O. Lichtenberger, J. Woltersdorf, N. Hering and R. Riedel, Z.Anorg. Allg. Chem. 2000, 626, 1881.

[9] a) J. J. P. Stewart, J. Comp. Chem. 1989, 10, 209; b) J. J. P.Stewart, Semiempirical molecular orbital methods, K. B. Lipko-witz and D. D. Boyd, Reviews in Computational Chemistry,VCH Publishers, Weinheim 1990, 45.

[10] a) W. Thiel, A. A. Voityuk, Theor. Chim. Acta 1996, 93, 315;b) W. Thiel, A. A. Voityuk, J. Phys. Chem. 1996, 100, 616;c) W. Thiel, A. A. Voityuk, Theochem 2 J. Mol. Struct. 1994,119, 141; d) W. J. Hehre, W. W. Huang, Chemistry with Com-putation, 1995, Wavefunc. Inc., Irvine, CA.

[11] K. M. Dieter, J. J. P. Stewart, Theochem. 2 J. Mol. Struct.1988, 40, 143.

[12] T. Hirano, A note on thermochemistry in MOPAC, MOPACManual, 1992, QCPE #455.

[13] a) P. Hohenberg, W. Kohn, Phys. Rev. 1964, B 136, 864; b) W.John, L. S. Sham, Phys. Rev. 1965, A 140, 1133.

[14] a) R. O. Jones, O. Gunnarson, Rev. Mod. Phys. 1989, 61, 689;b) R. G. Parr, W. Yang, Density Functional Theory of Atomsand Molecules, Oxford U.P., New York, 1989.

[15] J. Labanowski, J. Andzelm, Density functional methods in che-mistry, Springer, Berlin 1991.

Page 12: Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische ... · e-mail: olicht@mpi-halle.mpg.de 596 WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044 22313/02/628/5962607 $ 17.501.50/0

Polymere Carbodiimide als Vorstufen für keramische Werkstoffe

[16] a) A. D. Becke, Phys. Rev. 1988, A 38, 3089. b) J. P. Perdew,Phys. Rev. 1986, B 33, 8822.

[17] a) W. J. Hehre, Practical Strategies for electronic structure cal-culations, 1995, Wavefun. Inc., Irvine, CA; b) W. J. Hehre, L.Lou, A Guide to Density Functional Calculations in SPARTAN,1997 Wavefun. Inc., Irvine, CA.

[18] a) C. G. Broyden, J. of the Inst. for Math. and Appl. 1970, 6,222; b) R. Fletcher, Comp. J. 1970, 13, 317; c) D. Goldfarb,

Z. Anorg. Allg. Chem. 2002, 628, 5962607 607

Math. of Comp. 1970, 24, 23; d) D. F. Shanno, Math. of Comp.1970, 24, 647; e) D. F. Shanno, J. Opt. Theory and Appl. 1985,46, 87.

[19] U. Klingebiel, persönliche Mitteilung.

[20] M. J. S. Dewar, E. F. Healy, J. J. P. Stewart, J. Chem. Soc.,Faraday Trans. 2 1984, 3, 227.


Recommended