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Politische Berichte Nr.7 / 1998

Date post: 24-Oct-2015
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Politisches Magazin
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Politische Berichte Politische Berichte – Zeitschrift für Sozialistische Politik Ausgabe Nr. 7 am 2. April 1998, Jahrgang 19, Preis 2.– DM 7 98 PROLETARIER ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH! PROLETARIER ALLER LÄNDER UND UNTERDRÜCKTE VÖLKER VEREINIGT EUCH ! S. 14/15
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Politische Berichte

Politische Berichte – Zeitschrift für Sozialistische Politik Ausgabe Nr. 7 am 2. April 1998, Jahrgang 19, Preis 2.– DM

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S. 14/15

STAATSANGEHÖ-RIGKEIT: Am 27.März hat der Bun-destag eine Reform des Staatsan-gehörigkeitsrechts für diese Legisla-turperiode nun endgültig abgelehnt.Das Handelsblatt nennt in seltenerOffenheit den wirklichen, Grund für

den hartnäckigen Widerstand der Uniongegen eine Reform: „Da der überwiegen-de Teil der in Frage kommenden Bürgernicht dem Kulturkreis des christlichenAbendlandes entstammt, dürfte es derChristlich-Demokratischen UnionDeutschlands schwerer fallen, dieseMenschen politisch an sich zu binden.“(27./28.3.) So ist es. Die Parlaments-mehrheit der christlich-liberalen Partei-en kann nur aufrechterhalten bleiben beianhaltender Verweigerung des Wahl-rechts für ca. 8 Millionen Menschen indiesem Land. Bleibt zu hoffen, daß eineandere Mehrheit aus eben diesem macht-politischen Grund sich nach den Wahlendaran macht, das Staatsbürgerschafts-recht endlich demokratisch zu gestalten.

ASYLBEWERBERLST.GS.: Der Ge-setzentwurf des Bundesrats zur Strei-chung der Sozialhilfe für „geduldete“Flüchtlinge wurde am 26. März im Bun-destag beraten. Die CDU will den Bun-desratsantrag, der Menschen durchbehördliches Handeln gezielt dem Hun-ger aussetzen will,noch verschärfen.See-hofer kündigte an, allen illegal eingerei-sten Flüchtlingen künftig die Sozialhilfezu verweigern.Die SPD dagegen gibt sichim Bundestag „oppositionell“ und hatfür den 29. April, also nach den Sachsen-Anhalt-Wahlen, eine Anhörung durchge-setzt. Sie kalkuliert offenbar, daß ihreLändermehrheit im Bundesrat und dieUnions- und FDP-Koalition im Bundes-tag die Verschärfung schon durchsetzenwerden, während die Bundestagsfrakti-on scheinheilig „Opposition“ mimt.

M.A.I.-ABKOMMEN: Die Bundesre-gierung soll umgehend den Vertragsent-wurf für das „Multilaterale Investitions-abkommen“ in deutscher Übersetzungveröffentlichen, verlangt die PDS-Bun-destagsgruppe (Ds. 13/10083). Nach Auf-fassung der PDS muß ausreichend Zeitgegeben sein,um vor der Unterzeichnungdes Abkommens, über das derzeit in derOECD verhandelt wird, eine öffentlicheDebatte führen zu können. In seiner bis-herigen Form soll Bonn den Vertrag nichtunterzeichnen, verlangt die PDS, da die-ser „offensichtlich nationale Bestim-mungen zu Tarif-, Umweltschutz-, Ar-beits-, Sozial- oder Steuerrecht unter-läuft und zu einer Politik des sozialen undökologischen Dumpings führt.“

BIOETHIK-KONVENTION: Die Unter-zeichnung des vom Europarat beschlos-senen Menschenrechtsübereinkommenszur Biomedizin („Bioethik-Konvention“)stößt auf Widerstand. Ende März befaß-te sich der Petitionsausschuß des Bun-destags mit einer Petition, die den Bun-

destag auffordert, die Konvention nichtzu unterzeichnen, weil die Konventionu.a. Forschung an einwilligungs-unfähi-gen Menschen erlaubt, ebenso Trans-plantationen an solchen Personen. Diese„Bioethik“, so die Petition, sei mit denMenschenrechten unvereinbar. Diesehätten universalen Charakter und ga-rantiertem jedem Menschen die Unver-letzlichkeit seiner Person und die Unan-tastbarkeit seiner Würde. Die Mehrheitdes Petitionsausschusses beschloß, diePetition dem Bundestag lediglich „zurKenntnis“ weiterzuleiten. Gegen dieseHerunterstufung der Petition stimmtenGrüne, PDS und ein Mitglied der SPD imAusschuß.

NS-MILITÄRJUSTIZ-OPFER: Beider OFD Köln sind bisher 1010 Anträgeauf Entschädigung für Opfer der NS-Mi-litärjustiz gemäß der Entschließung desBundestags vom 15.5.97 eingegangen.Das berichtete die Bundesregierung (Ds.10/10105) auf eine Anfrage der PDS. Un-ter den 1010 Anträgen seien 665 von Be-troffenen und 345 von Hinterbliebenen.Bis 26.3 waren 77 Anträge beschieden,davon 23 positiv, 54 negativ. Die negati-ven Bescheide richteten sich vor allem ge-gen Angehörige von Opfern der NS-Mi-litärjustiz, die nach der Entschließungdes Bundestags kaum Aussichten haben.Die Bundesregierung vertritt hier die Po-sition, daß Angehörige nur entschädigtwerden können, wenn die unmittelbarBetroffenen noch den Antrag auf Ent-schädigung eingereicht haben undwährend des Verfahrens sterben. Sonstgehen Angehörige in der Regel leer aus.

MIETRECHTSÄNDERUNG: Die Grü-nen haben einen Antrag eingebracht, derhinterbliebenen Haushaltsangehörigen,die nicht verheiratet waren,nach dem To-desfall des Wohnungsmieters die Fort-führung des Mietvertrags erleichtert.Da-zu soll Paragraf 569 des BGB geändertwerden (Ds.13/9961).Bisher gilt eine sol-che Fortführung des Mietvertrags nur fürVerheiratete. Diese Regelung, so die Grü-nen, sei eine „gravierende Erschwernis“zum Beispiel für Wohngemeinschaftenälterer Menschen und für nichteheliche,z.B. gleichgeschlechtliche Paare.

WAS KOMMT DEMNÄCHST? Am 2.April berät der Bundestag über die EU-Währungsunion und die Einführung desEURO. Am nachmittag geht es um dieEinrichtung einer „Stiftung zur Aufar-beitung der SED-Diktatur“, derenKampfauftrag schon im Namen klar ist,um die Wohnsituation alter Menschenund um Anträge von SPD und Grünen ge-gen Rüstungexporte. Spät am Abendsteht noch ein Antrag der PDS für einenöffentlich geförderten Beschäftigungs-sektor auf der Tagesordnung.Am 3.Aprilsteht eine Beratung über Kanthers Ver-sorgungsreformgesetz für den öffentli-chen Dienst auf der Tagesordnung sowiedie Anhebung des BAFöG.

2 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT • PB 7/98

Politische Berichte Nr. 7/1998 – Inhalt__________________________________________

Aktuell aus Politik und WirtschaftAktuell in Bonn . . . . . . . . . . . . . . . . 2Nato-Osterweiterung: Folgen-schwerer Schritt . . . . . . . . . . . . . . . 3Newroz in Diyarbakir und Van . . . 3SPD-Wahlprogramm: Dienst-boteneingang ins Arbeitsleben . . . . 4Stoppt Karlsruhe moderne Sklaverei im Knast? . . . . . . . . . . . . 5Agenda 2000: Zukunft für wen? . . . 5Sachsen-Anhalt: Testfall für die PDS? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6Bundesweite Demo am 20. Juni . . . 7

AuslandsberichterstattungPP blockiert politische Lösungim Baskenland . . . . . . . . . . . . . . . . . 8Österreich: Anti-Nato-Kongreß . . . 9Afrika: Warum besucht Clinton nicht den Congo? . . . . . . . . . . . . . . . 9Italien: 35-Stunden-Dekret . . . . . 10Meldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Regionales West und OstLokaler Widerstand . . . . . . . . . . . 12Kommunalwahlen Schleswig-Hol-stein: Rot-grün in der Defensive . 13Castor gegen Grundrechte . . . . . . 13Essen: Kein Verkauf der Allbau . . 13Mannheim: Besuch im Abschiebegefängnis . . . . . . . . . . . 14Pro Asyl: Rechtshilfe am Frank-furter Flughafen . . . . . . . . . . . . . . 15Köln: Günter Grass solidarisch . . 15Leipzig: Naziaufmarsch am 1. Mai verhindern! . . . . . . . . . . . . . 16O-Ton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Kommunale Politik . . . . . . . . . . . 17Saalfeld: Antifaschistische Initiative zieht Konsequenzen . . . 18Trauer um Jana G. . . . . . . . . . . . . . 19

Aus Betrieben und GewerkschaftenWas war? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Tarifvertrag Unikliniken: Erfolg,aber wirklich dauerhaft? . . . . . . . 21IG Metall: Tarifvertrag beiDebis als Modell? . . . . . . . . . . . . . 21Kino: Haste mal ’ne Mark, eyh? . . 22Opel Bochum: Standortvertrag . . .23Kritik an Gewerkschaftsfusion . . 23

Diskussion und DokumentationHintergründe der Irak-Krise . . . . 24In und bei der PDS . . . . . . . . . . . . 26

Letzte SeitenJahn: „Der Name muß weg“ . . . . . 27

Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

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PB 7/98 • AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT 3

Von Wolfgang Meyer

Die überwältigende Mehrheit der Bundesta-ges – insgesamt 554 Abgeordnete – stimm-ten in der vergangenen Woche für die NA-TO-Osterweiterung, nur 37 – die PDS-Grup-pe, einige Bündnisgrüne und zwei Sozialde-mokraten – äußerten ihr Nein zu dieser Ent-scheidungsfrage.

Auf den ersten Blick mögen nicht weni-ge die Argumente der Vertreter derCDU/CSU, der SPD und eines Teils derBündnisgrünen zugunsten der NATO-Osterweiterung sehr werbewirksam ge-wesen sein. Da hieß es unter anderem, dieIntegration von Polen, Tschechien undUngarn in den Nordatlantikpakt tragezur Stabilität in Europa bei. Poppe, einstDDR-Bürgerrechtler, erklärte, die „freigetroffene Entscheidung dieser Länder“für einen NATO-Beitritt müsse respek-tiert werden. Rühe verstieg sich zu derBehauptung, mit der NATO-Osterweite-rung werde die „stalinistische SpaltungEuropas“ überwunden und die „Zu-kunftssicherung des 21. Jahrhunderts“geschaffen.Ein Extra-Lob erhielt NATO-Voigt von der SPD, weil er seine Parteiauf den uneingeschränkten Pro-Atlan-tikpakt-Kurs geführt hatte, was sich imBundestag erneut bestätigte. Es erwiessich, daß es außenpolitisch bereits – wieauf verschiedenen Gebieten der Innen-politik, siehe Lauschangriff – die GroßeKoalition gibt.

Eine eindeutige, klare Anti-NATO-Haltung nahm als Parteienvertretung nur

die PDS-Bundestagsgruppe ein. Sie hat-te schon im Vorfeld nicht nur ihre Ableh-nung bekundet, sondern versucht, Alter-nativvorschläge zur NATO-Osterweite-rung einzubringen.Bei vorhandenem po-litischen Willen aller Seiten könnte dieOSZE die wirksame gesamteuropäischeOrganisation für Sicherheit und Zusam-menarbeit auf unserem Kontinent sein.Außerdem könnte die Schaffung einesvölkerrechtlich respektierten Korridorskernwaffenfreier Staaten von der Ostseebis zum Schwarzen Meer ein äußerstwichtiger vertrauenschaffender Schrittin Europa sein, der sicher auch zur drin-gend notwendigen Beseitigung der Kern-waffen weltweit beitragen würde. Apro-pos Kernwaffenfreiheit: Wäre es nichtvon außerordentlicher Bedeutung, wenndie vielen jungen Leute, die sich mitRecht mutig dem Transport der gefährli-chen Castor-Behälter in den Weg stellen,mit ebenso viel und vielleicht noch mehrElan gegen die noch gefährlicherenKernwaffen auf deutschem Boden kämp-fen würden? Es wäre ein nicht zu über-schätzender friedenspolitischer Schritt,wenn die Bundesregierung ihre Bereit-schaft erklärte, an einer kernwaffenfrei-en Zone quer durch Europa teilzuneh-men.

Aber zurück zum Bundestag: Wer ei-nen zweiten Blick auf die Zustimmungzur NATO-Osterweiterung wirft, sichnicht damit abfindet, daß das nun prak-tisch abgehakt sei, wird zu dem Ergebniskommen, daß es notwendig ist, ungeach-tet der wohltönenden Sprüche der NA-TO-Befürworter in der BRD und anders-

wo die Folgenschwere dieses Schritts zusehen und richtig einzuschätzen.

Fünf Argumente gegen die NATO-Osterweiterung

Erstens: Was die „freie Entscheidung“dieser Länder betrifft, sind die Menschendort – mit Ausnahme Ungarns – über-haupt nicht befragt worden. In Ungarngab es einen Volksentscheid, durch dendie Regierung infolge geringer Beteili-gung die Zustimmung einer Minderheitdes Volkes zum NATO-Beitritt erhielt.

Zweitens: Die Bürgerinnen und Bür-ger dieser Länder sind von ihren Regie-rungen bisher nicht über die wahren Ko-sten der NATO-Mitgliedschaft aufge-klärt worden. Im Gegenteil, Berechnun-gen von offiziellen US-Institutionen wiedes Budget Office des Kongresses,das vonbis zu 124 Milliarden Dollar innerhalbvon 15 Jahren sprach, wurden schnell alsweit überzogen heruntergespielt.Auch inden jetzigen NATO-Mitgliedsstaatenwurde über die auf deren Bevölkerungzukommenden Kosten geschwiegen.Ver-teidigungsminister Rühe, der sich mitUS-Forderungen konfrontiert sah, dieeuropäischen NATO-Staaten, besonders

Bundestag billigt NATO-Osterweiterung

Ein folgenschwerer Schritt

Über 100 000 Menschen feierten trotz Ausnahmezustand und türkischem Militär allein in Van und Diyarbakir das kurdische Newroz-Fest

Obwohl türkisches Militär prak-tisch den Ausnahmezustand ver-hängt hatte und zahllose Militär-sperren die Straßen blockierten,feierten am 21. März in Kurdistanerneut mehrere hunderttausendMenschen das Newrozfest. Allein inVan kamen 50000 Menschen zurKundgebung, in Diyarbakir (Bild)beteiligten sich ebenfalls etwa50000 Menschen. Die Polizei griffdie Kundgebung mit Hartgummi-geschossen, Panzerfahrzeugen undHunden an, Teilnehmer berichtenvon ca. 200 Verhafteten und vielenVerletzten. Auch Menschenrechts-delegationen aus Europa wurdenangegriffen, gegen einen italieni-schen Teilnehmer hat die Staatsan-waltschaft sogar 3 Jahre Haft be-antragt. (rül, s. auch Seite 11)

Vor allem die Rüstungsindustrien desWestens machen mit der NATO-Ost-erweiterung das große Geschäft.

4 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT • PB 7/98

die BRD und Großbritannien, müßten ei-nen Großteil der Kosten tragen, sprachvon „Humaninvestitionen“, die zunächsteinmal ausreichen müßten. Die FAZmeinte dazu am 16.5.97: „Unstrittig aberist eines: Je größer die NATO wird, destohöher werden die Kosten, die auf denSteuerzahler zukommen. Das ist ein trif-tiger Grund, von Geld erst zu sprechen,wenn vollendete Tatsachen geschaffensind.“

Drittens: Es darf sehr bezweifelt wer-den, daß die NATO-Osterweiterung denBeitrittsländern und Europa Stabilitätbringt, es sei denn, sie wird vorüberge-hend mit NATO-Waffen-Gewalt erzwun-gen. Die Herstellung der NATO-Kompa-tibilität der drei Armeen – neue Kommu-nikationssysteme, neue Waffen, neueStrukturen – wird die Budgets der Bei-trittsländer außerordentlich belasten.Die Kosten dafür werden zuungunstenvon Teilhaushalten für soziale Ausgaben,Gesundheitswesen und Bildungswesenbeglichen werden müssen und die oh-nehin vorhandene soziale Krise vertiefen.

Viertens: Einzige Nutznießer der NA-TO-Osterweiterung werden die Rü-stungskonzerne der NATO-Staaten sein,besonders der USA und der Bundesrepu-blik,die schon unterwegs und in den Län-dern sind, um die Riesengeschäfte vorzu-bereiten und zu tätigen.

Fünftens: Schließlich ist Rühes heuch-lerisches Argument, mit der NATO-Osterweiterung werde die „stalinistischeSpaltung“ Europas überwunden, schnellzu widerlegen, ohne sich jetzt auf einenhistorischen Rückblick einlassen zu müs-sen. Nicht nur bleibt die Spaltung Euro-pas, denn Rußland wird trotz der völker-rechtlich unverbindlichen „GrundakteNATO-Rußland“ ausgegrenzt. Auch an-dere Staaten Europas bleiben sicher-heitspolitisch außen vor.Mehr noch: ÜberNATO- und EU-Osterweiterung ist dieherrschende Klasse der BRD bestrebt, ih-re Positionen im osteuropäischen Raumzu festigen und auszubauen. Osteuropaökonomisch und militärisch zu durch-dringen, hieße, den Weg zur Revision derErgebnisse des Zweiten Weltkrieges unddarüber hinaus zu beschreiten. Schonträumen Exponenten dieses Drangesnach Osten davon, daß „Deutschland ei-nes Tages auf diesem Weg das zufallenwird, was das Deutsche Reich mit einpaar hundert Divisionen nicht erreichte– die Vorherrschaft in jenen unabsehba-ren Räumen zwischen Weichsel, Bug,Djnepr und Don“.

Angesichts dessen kommt auf die Frie-denskräfte in der Bundesrepublik und inEuropa eine große Verantwortung zu.Aufklärungsarbeit,Vernetzung und Akti-onsfähigkeit werden erforderlich sein,um dieser Verantwortung gerecht zu wer-den.

Wolfgang Meyer ist Mitglied der AG Mit-tel- und Osteuropa in der AG „Friedenund internationale Politik“ (FIP) beimPDS-Parteivorstand.

Vom SPD-Wahlprogramm

Dienstboteneingang ins ArbeitslebenDas Wahlprogramm der SPD liegt seit dem18. März vor. Der Text erfüllt verschiedeneFunktionen. Einmal deutet er an, wie eineSPD-geführte Regierung zu regieren beab-sichtigte. Ob es dazu kommt, ist ungewiß,und was wirklich geschähe, wenn es dazukäme, wäre noch einmal etwas anderes. Ei-ne reale Funktion hat der Text als Erzählung,als Geschichte vom guten Leben, von derGesellschaft, wie sie sein sollte und könn-te. Als solche Erzählung, gemischt aus Hoff-nungen, Beschreibungen der Realität, Ver-sprechungen, schlägt die Geschichte dasPublikum in Bann und macht es den Ab-sichten der Erzähler zugänglich. Wie eineGeschichte gemeint ist, wird oft durch Be-trachtung einer Einzelheit klarer.

Wie bekannt, ist die Verteilung der Ein-kommen ungleich. Neben die große Un-gleichheit, Lebensunterhalt aus Lohnar-beit zu gewinnen oder aus Vermögen, istin den hochkapitalistischen Ländern ei-ne weitere getreten. Im sozialen Gesche-hen haben sich Lebensläufe verfestigt,die mit einem dauerhaft über den Repro-duktionskosten gelegenen Einkommenverbunden sind, und solche, die auf un-zureichende Beschäftigungsangebotetreffen und öffentliche Leistungen brau-chen, um überleben zu können.

Im neoliberalen Bürgertum ist darausdie Idee entstanden, das Dienstbotenwe-sen wieder aufleben zu lassen. Die ent-sprechenden Steuerbegünstigungen wur-den besonders von der FDP durchgefoch-ten, haben aber nicht richtig gegriffen.

Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens,wenn auch in vielen Selbständigen- oderauch gehobenen Lohnabhängigenposi-tionen sehr gut verdient wird, so gut, daßein Lebensstil entwickelt werden könn-te, in dem Hauspersonal Platz hat, wirddann aber doch nicht verdient. Schon al-lein der Platz! Villa! Park! Also, da ist esoft noch weit hin. Zweitens: Die altenDienstbotenklassen, noch um die Jahr-hundertwende Millionen im DeutschenReich, lösten sich auf, sobald andere Ar-beitsangebote entstanden. Die Menschenflüchteten aus der doppelten Umklam-merung von Arbeit und Leben, die mitdem Dienstbotendasein verbunden ist,sie scheuen solche Existenz noch heute.Aber die ökonomischen Gegebenheiten,hier ein Überfluß, da keine Aussicht aufgesicherte Beschäftigung, sind da.

Was macht die SPD daraus?:„Große Arbeitsplatzpotentiale bestehenauch bei personen- und haushaltsbezo-genen Dienstleistungen.Dazu zählen z.B.Pflegehilfe, Kinderbetreuung, Haus-haltsarbeiten,ergänzende Dienstleistun-gen im Einzelhandel, Hotel- und Gast-stättengewerbe und einige einfachehandwerksähnliche Dienstleistungen.

Diese Beschäftigungschancen führen

oftmals deshalb nicht zu konkreten Ar-beitsplätzen, weil die Dienstleistungenzu teuer sind. Auf der anderen Seite rei-chen die hier zu erzielenden Löhne fürpotentielle Beschäftigte nicht aus, umvon ihnen existieren zu können.

Mit einer gezielten Entlastung beiSteuern und Abgaben wird die SPD-ge-führte Bundesregierung die Kosten derArbeit verringern und gleichzeitig dieNettolöhne der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer verbessern. Dadurch wer-den wir die Beschäftigung im Dienstlei-stungssektor erhöhen.

Wir wollen das Angebot für haus-haltsbezogene Dienstleistungen in priva-ten Serviceagenturen bündeln und dortreguläre und sozial abgesicherte Arbeits-verhältnisse mit existenzsicherndenLöhnen schaffen. Bei Bedarf kann jederHaushalt die Leistungen dieser Vermitt-lungsagentur für die gewünschte Zeit ab-rufen. Die Bezahlung der Dienstleistungerfolgt zum Teil durch den privaten Haus-halt selbst, zum anderen Teil durchDienstleistungsgutscheine, die für jedenprivaten Haushalt erhältlich sind.

Die Kosten der Gutscheine übernimmtdie Bundesanstalt für Arbeit. Dadurchwerden die Kosten der Arbeit für die pri-vaten Haushalte so verbilligt, daß auchNormalverdienende sich Haushaltshil-fen leisten können und damit der ge-wünschte Beschäftigungseffekt erreichtwird. Durch diese neuen Arbeitsplätzespart die Bundesanstalt für Arbeit Geld,das sie sonst für Arbeitslosengeld oderArbeitslosenhilfe ausgeben müßte. Da-mit entspricht dieses Dienstleistungs-konzept dem Grundsatz: Arbeit finan-zieren statt Arbeitslosigkeit bezahlen.“

Was wird hier in Gang gesetzt? Erstenswird eine wichtige Voraussetzung zurweiteren Verschlechterung der öffentli-chen Einrichtungen zur Daseinsvorsorgegeschaffen. Größere Kreise als jetzt kön-nen auf fehlende Kinderversorgung, aufSchulen, die ohne Nachhilfe nicht zuschaffen sind, privat reagieren. Für siewerden Probleme entpolitisiert. Zwei-tens wird das Dienstleistungsangebotdifferenziert, zwischen „kein Kindergar-ten“ und „pädagogisch vorgebildeteFachkraft zu ihrer Verfügung“. Drittenswird gesellschaftsfähig, sich bedienen zulassen. Viertens hat man Personal aufProbe,also alle Vorteile der patriarchalenHaushaltsorganisation ohne den Nach-teil einer dauerhafteren Verpflichtung.

Ist die Sache praktisch bedeutsam?Schwer zu sagen.Jedenfalls zeigt der Ver-such, eine strukturelle Ungleichheit in-nerhalb der arbeitenden Klassen zu ver-festigen, daß sich was am Text des sozi-aldemokratischen Liedes ändert: „Wannwir schreiten Seit an Seite“ – am Dienst-boteneingang trennen sich die Wege. maf

Gefängnisarbeit

Stoppt Karlsruhe moder-ne Sklaverei im Knast?Am Mittwoch, den 18. März, hatte der Zwei-te Senat des Bundesverfassungsgerichtesunter der Gerichtspräsidentin Jutta LimbachKläger, Anwälte und Experten zu einer münd-lichen Anhörung geladen. Einmal mehr ginges um die Situation in den Gefängnissen, indiesem Fall die geringe „Entlohnung“, dieGefangene für die zu leistende Zwangsarbeiterhalten.

Damit fand erstmals seit der Existenz desBVG eine mündliche Anhörung über Pro-bleme von Strafgefangenen statt,was im-merhin den Hinweis zuläßt, das Gerichtmesse der Sache einige Bedeutung bei.Anlaß für das Verfahren war die Verfas-sungsklage von 4 Strafgefangenen sowieeine Vorlage des Landgerichts Potsdam.Die Gefangenen machen geltend, daß diederzeitige „Entlohnung“ von Gefange-nen mit der Verfassung nicht vereinbarsei, sie verletze die Verfassungsgarantienzu Menschenwürde,Arbeit und Beruf.Zuder Anhörung hatte das Gericht nun ne-ben Vertretern der Kläger und des Staa-tes auch Experten geladen, um sich einenÜberblick über die derzeitige Praxis zuverschaffen.

Mehr als 50 000 Strafgefangene sitzenin den bundesdeutschen Knästen, ihreZahl hat übrigens in den letzten 3 Jahrenum über 20% zugenommen.. Arbeit imKnast bedeutet auch heute noch:Zwangsarbeit, Ausbeutung, Fremdbe-stimmung. Arbeit im Knast ist modernesSklaventum.Strafgefangene sind zur Ar-beit verpflichtet, wer sich weigert, wirdbestraft. Ein Gefangener erhält für täg-lich 8 Stunden Arbeit durchschnittlich 9DM, was einem ungefähren „Monatsver-dienst“ von 200 DM entspricht. Hiervonwird ein Drittel zwangsweise bis zur Ent-lassung angespart, die restlichen zweiDrittel des Betrages hat der Gefangenefür persönliche Bedürfnisse zur Verfü-gung,hiervon kann er also Telefonkarten,Briefmarken oder Nahrungs- und Ge-nußmittel kaufen. Schuldenregulierung,eine Wiedergutmachung angerichtetermaterieller Schäden oder eine Unter-stützung der Familie allerdings sind beiderartigen „Entlohnungen“ unmöglich,was bereits das im Strafvollzugsgesetzgenannte Vollzugsziel der Wiedereinglie-derung in die Gesellschaft konterkariert.

Auch eine Verpflichtung zur Ausbil-dung existiert nicht, und obwohl geradein den Knästen viele ohne Berufsab-schluß sind, ist die Ausbildung nach wievor ein Stiefkind der Behörden. Sinnvol-le Berufsausbildung und die Vermittlungvon Kenntnissen für die Zeit nach derEntlassung sind die Ausnahme. Dem Ge-fangenen ist vielmehr „wirtschaftlich er-giebige Arbeit zuzuweisen“ wie es in denVorschriften heißt. Kein Wunder: zwi-schen 6 und 13 DM pro Stunde kassieren

die Justizverwaltungen von Unterneh-men, die Arbeit in die Gefängnisse geben— die Gefangenen erhalten hiervon ca.eine DM. Eine Erhöhung dieser „Dritte-Welt-Löhne“ war bereits für 1980 ver-bindlich zugesagt, wurde aber immerwieder verschoben.

Doch als sei dies alles nicht genug,sindGefangene bis heute auch von der Sozi-alversicherung ausgeschlossen. Sie zah-len weder Kranken- noch Rentenversi-cherung, lediglich ein Beitrag zur Ar-beitslosenversicherung wird seit einigenJahren gezahlt.Auch die Einbeziehung indie Sozialversicherung war zum Zeit-punkt des Inkrafttretens des Strafvoll-zugsgesetzes bereits vorgesehen, wurdejedoch bis heute nicht umgesetzt.

Heinz Lanfermann (FDP), Staatsse-kretär im Bundesjustizministerium, undder bayerische Justizminister Hermann

Leeb erklärten in der Anhörung überein-stimmend, zwar sei eine Erhöhung desArbeitslohnes sowie die Einbeziehungder Gefangenen in die Rentenversiche-rung „wünschenswert“, die gegenwärti-ge Praxis sei jedoch durchaus verfas-sungsgemäß, und eine Änderung dieserPraxis müsse man mit Hinweis auf diehohen Kosten zurückweisen.Wie Lanfer-mann erklärte, müsse man berücksichti-gen, daß der Staat schließlich „für Un-terkunft, Essen, Kleidung und ärztlicheVersorgung der Häftlinge aufkommt“.Und der bayerische Justizminister mach-te deutlich, daß allein eine Erhöhung desjetzt für den sog. Ecklohn maßgeblichenProzentsatzes von 5% (des durchschnitt-lichen Einkommens aller Versicherten inder Rentenversicherung) auf etwa 20%den bayerischen Staatshaushalt mit 136Millionen DM belasten würde, was nichthinnehmbar sei. Die Rechtsanwälte derKläger verlangten hingegen eine „ange-messene Vergütung“ sowie die Einbezie-hung der Gefangenen in die Rentenver-sicherung, gerade der Ausschluß von derRentenversicherung sei „an Ungerech-tigkeit schwerlich zu überbieten“.

Der als Berichterstatter zuständigeRichter Konrad Kruis, der CSU-Mitgliedist und in den nächsten Monaten in denRuhestand gehen wird, stellte an die ge-ladenen Experten u.a. die Frage nach derEntlastung der staatlichen Haushalte,wenn Gefangene selbst Haftkosten-beiträge (monatlich 400 bis 600 DM),Un-terhaltsgelder, Steuern und Sozialversi-cherungsbeiträge zahlen könnten.Daß esin dem Verfahren wohl nicht darum ge-hen wird, für Gefangene eine tarif-lohnähnliche Entlohnung einzuführen,ist bereits jetzt ziemlich klar. Ob aller-dings das haushaltsrechtliche Argumentder angeblich leeren Kassen und damitder Unmöglichkeit der Finanzierungschwerer wiegen darf als der grund-rechtliche Gleichheitsgrundsatz und an-dere Verfassungsgrundsätze,muß das Ge-richt beantworten. Im Mai will das Bun-desverfassungsgericht sein Urteil ver-künden. jes

Agenda 2000

Eine Zukunft für wen?Von Wolfram Triller

Am 16. Juli 1997 hatte die Europäische Kom-mission eine Agenda 2000 vorgelegt. Sieenthielt Reformvorschläge für verschiedeneBereiche der EU-Politik und ihre Finanzie-rung für den Zeitraum 2000 bis 2006. Mitder Agenda 2000 sollen vor allem die Vor-aussetzungen für die geplante Osterweite-rung und die bevorstehenden Verhandlun-gen im Rahmen der WTO geschaffen wer-den. Inzwischen wurden die Reformvor-schläge weiter präzisiert.

Im öffentlichen Bewußtsein wurde dieAgenda 2000 bisher kaum wahrgenom-men und stand ganz im Schatten der Dis-kussion um den EURO, mit einer Aus-nahme. Im Agrarbereich hat sie leiden-schaftliche Diskussionen ausgelöst. Fastkönnte der Eindruck entstehen, dieAgenda 2000 beschäftige sich nur mit derGemeinsamen Agrarpolitik (GAP) undberühre andere Politikbereiche gar nicht.Dabei geht es z.B. auch um die Neuge-staltung der Regionalpolitik, die damitverbundenen rechtlichen Rahmenbedin-gungen für die Struktur- und Kohäsi-onsfonds sowie um die Heranführungs-strategie und -instrumente der EU-Osterweiterung.

Daß die Agenda 2000 besonders dieBauern aufgeschreckt hat, hängt vor al-lem damit zusammen, daß etwa 50 Pro-zent der Mittel der EU für den Agrarbe-reich ausgegeben werden und hier ein-schneidende Veränderungen vorgesehensind. Hinsichtlich der GAP sind in derAgenda 2000 folgende Ziele konzipiert:

• Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeitder Agrarunternehmen, damit sie aufdem Weltmarkt konkurrenzfähig werden

• Gewährleistung der Lebensmittelsi-

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6 AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT • PB 7/98

cherheit und -qualität• Sicherung angemessener Einkom-

men der in der Landwirtschaft (verblei-benden) Beschäftigten

• Einbeziehung der Umweltziele in dieGAP

• Schaffung von Beschäftigungs- undEinkommensalternativen für die Land-wirte und ihre Familien

• Vereinfachung der EU-Rechtsvor-schriften

Diese Ziele sollen vor allem durch fol-gende Maßnahmen erreicht werden:

• Senkung der Interventionspreise beiGetreide (20%), Rindfleisch (30%) undMilch (15%).Parallel dazu sollen die Aus-gleichszahlungen erhöht und zusammenmit weiteren Zahlungen an umweltge-rechte Produktion gebunden werden.

• Neustrukturierierung der Förderge-biete, der dafür einzusetzenden Fondsund der Kriterien für die Mittelinan-spruchnahme, z.B. Bindung an das Ni-veau der Arbeitslosigkeit.

• Beibehaltung der bisherigen Mittel-zuführung zum EU-Haushalt und Finan-zierung des Anpassungsprozesses die neuaufzunehmenden osteuropäischen Län-der aus den Mitteln, die die EU durch daserwartete Wirtschaftswachstum in dennächsten Jahren zusätzlich einzunehmenhofft.

• Erweiterung der Möglichkeiten fürdie einzelnen EU-Staaten, den Einsatzder von der EU bereitgestellten Mittel fürdie verschiedenen Politikbereiche ent-sprechend den nationalen Besonderhei-ten (unter Berücksichtigung der von derEU vorgegebenen Rahmenbedingungen)zu differenzieren.

Obwohl die Ziele und Maßnahmen aufden ersten Blick als ein vernünftigen Re-formansatz erscheinen,gab es prinzipiel-le Einwände angefangen vom DeutschenBauernverband über den Raiffeisenver-band, die Umweltverbände, die Parteien,viele andere Organisationen bis hin zurBundesregierung.

Es ist die berechtigte Sorge des Bau-ernverbandes, daß durch die preissen-kungsbedingten Ausgleichszahlungendie Abhängigkeit der Bauern von öffent-lichen Mitteln weiter verstärkt wird unddiese zukünftig nicht garantiert sind.

Schon heute machen die Einkom-mensübertragungen etwa 50 Prozent derlandwirtschaftlichen Einkommen aus.Sie würden durch die neuen Regelungenbei einzelnen Betrieben auf bis zu 100Prozent anwachsen. Wenn dann hintervorgehaltener Hand von einem „Gleit-flug“ der Ausgleichszahlungen auf Nulldie Rede ist, sind die Existenzsorgen derBauern verständlich.

Die Senkung der Interventionspreisetrifft die einzelnen Produktionsrichtun-gen und damit die spezialisierten Agrar-betriebe unterschiedlich und führt zu ei-ner Umverteilung, gegen die sich die ne-gativ Betroffenen ebenso energisch weh-ren wie die, die von der Obergrenzen beiRindern betroffenen sind.

Zu einer Katastrophe für die Betriebe

in Ostdeutschland könnte der Versuchwerden, die Ausgleichszahlungen gene-rell nach oben zu begrenzen. Damit wür-de die Benachteiligung der LPG-Nach-folgebetriebe weiter verstärkt.

Die Bundesregierung befürchtet, daßdurch die Veränderungen der GAP für dieLandwirtschaft in Deutschland etwa 4Mrd. DM weniger Mittel zur Verfügungstehen, 1,5 Mrd. davon in Ostdeutsch-land. Die deutsche „Nettozahlerpositi-on“ würde sich damit weiter verschlech-tern. Andererseits besteht Minister Wai-gel darauf, die deutschen Zahlungen andie EU von vornherein zu reduzieren.

Der Agrarpolitische Sprecher derPDS: „Das Wesen der Agenda besteht inder umfassenden Durchsetzung der Glo-balisierungs- und Liberalisierungspoli-tik, in der Unterordnung der Landwirt-schaft unter die Gesetze der globalen Ka-pitalverwertung“.

Mit der Agenda 2000 wird ein Ver-drängungswettbewerb inszeniert,der zurVernichtung von mehreren Hunderttau-send Bauernexistenzen allein inDeutschland führen würde. Dieser„Wettbewerb“ würde letztlich alle übri-gen Agenda-Ziele außer Kraft setzen.DieOrientierung auf den Weltmarkt, auf denAgrarexport hätte die Zerstörung der„nicht wettbewerbsfähigen“ Agrarwirt-schaft in den Entwicklungsländern, jaselbst in den neu aufzunehmenden Ost-europäischen Ländern (mindestens füreine gewisse Zeit) zur Folge. Statt sozia-lem Ausgleich würde sich die Spaltungzwischen arm und reich vertiefen. MehrWettbewerb würde eine erhebliche Auf-stockung der Mittel für die regionalenEntwicklungsfonds in der EU erfordern,was allerdings (vor allem von Deutsch-land) entschieden bekämpft wird. Sozia-le- und Umweltstandards werden sich alsbürokratisch kaum umsetzbar erweisen,solange nicht versucht wird, die Produk-tionsweise generell umzustellen. Es be-steht sogar die Gefahr, daß sie als Instru-ment der Marktabschottung mißbrauchtwerden. Denn diese Standards kostenGeld, das diejenigen, die unter den Stan-dards produzieren nicht haben.

Bis für Agenda 2000 ein „Kompromiß“gefunden sein wird, wird noch minde-stens ein Jahr vergehen. Da es um vielGeld geht, wird die Öffentlichkeit in ho-hem Maße einer Desinformationskampa-gne ausgesetzt sein. Unter dem Schlag-wort „Sicherung des AgrarstandortsDeutschland“ werden die nationalisti-schen Gefühle angeheizt werden.

Damit die Agenda 2000 nicht nur einKonzept für die Zukunft des Kapitalssondern auch für die Bürger werdenkann, ist waches Interesse, aktive Einmi-schung und energischer Widerstand not-wendig.

Wolfram Triller ist Mitarbeiter des PDS-Bundestagsabgeordneten Maleuda.

Aus Platzgründen wurde sein Beitrag ge-ringfügig gekürzt.

Landtagswahl Sachsen/Anhalt

Testfall für die PDS fürdie Bundestagswahl?Bis zu den Wahlen zum Landtag in Sach-sen/Anhalt verbleibt nicht mehr viel Zeit, umumzudisponieren oder umzudirigieren: Allebeteiligten Parteien haben sich für diezukünftige Gestaltung der Regierungsver-hältnisse im Land schon einigermaßen fest-gelegt.

Die SPD, die 1994 mit einigen ZehntelProzenten weniger Stimmen als die CDUeine Koalition mit dem Bündnis 90/DieGrünen einging, will allein regieren, lie-ber aber wieder noch mit ihm koalieren.Die PDS kann wieder Tolerierungspart-ner sein, soll jedoch keineswegs an derRegierung beteiligt werden, was auch fürdie CDU gilt. Die CDU, die sich trotzschlechter Voraussagen noch eine Chan-ce ausrechnet, erklärt ihre Bereitschaft,mit der SPD eine Koalition einzugehen.Die PDS will die Wahl in Sachsen/Anhaltzum „Waterloo für Kohl“ machen undschon im April ein Signal für den not-wendigen Regierungswechsel in Bonnsetzen. Dazu ist sie bereit, das „Magde-burger Modell“ fortzusetzen oder sichsogar an der Regierungsausübung zu be-teiligen. Die Bündnisgrünen möchtengern die bisherige Konstellation wieder-holen, haben aber wenig Chancen, die 5-%-Hürde zu überspringen. Die FDPspielt in den Kalkulationen in Magde-burg im Moment keine Rolle.

Im wesentlichen gibt es nichts mehrhinzuzufügen oder wegzunehmen. Allesweitere entscheidet der Wahltag.

Mit Blick auf den Bundeswahlkampfist Sachsen/Anhalt Schauplatz aktuellerWahlschlachten geworden. Die SPD holtGünter Grass ins Land, der für Rot-Grünwirbt und von Bergner, dem CDU-Chef,faktisch des Landes verwiesen wird, in-dem er erklärt, er solle aufhören, als po-litischer Tourist durch das Land zu zie-hen und von Dingen zu reden, von denener nichts versteht. Allerdings verstehtGrass aber soviel von der Bundespolitik,daß er die PDS noch lange Jahre in dieOpposition verdammen möchte, da ihrBezug auf den „demokratischen Sozia-lismus“ unpassend für die SED-Nach-folgerin sei. Die CDU bietet ihre Ramm-maschinen Pfarrer Hinze und Asylver-weigerer Kanther auf, um Stimmung fürdie CDU zu machen.

Die PDS tourt mit einer großen Mann-schaft durch die Lande und erklärt mitder Stimme Gregor Gysis, daß die Basisder PDS eine Regierungsbeteiligung derPDS wünscht. Zwei Signale soll dieLandtagswahl in Sachsen/Anhalt nachBonn aussenden: Kohl muß abgewähltwerden und die PDS zieht wieder in denBundestag ein. Für Sachsen/Anhalt be-deutet das: Wenn die PDS ihren Stim-menanteil erhöht, wird sie nicht ohneklare Vereinbarungen mit der SPD in die

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nächste Runde gehen. Die PDS scheuekeineswegs eine Regierungsverantwor-tung.

Ministerpräsident Höppner,der auf ei-nen bedeutenden Stimmenzuwachs fürdie SPD nach der Nominierung Schrö-ders zum Kanzlerkandidaten hofft,möchte allein regieren und eine Tolerie-rung durch die PDS ausschließen. Höpp-ner ist sich durchaus seiner spezifischenLage als SPD-Mann im Osten bewußt. Erweiß sich in einem ostdeutschen Land mitProblemen konfrontiert,die keiner seinerKollegen in diesem Maße in den altenBundesländern kennt: Sachsen/Anhalthat die höchste Arbeitslosenrate derBundesrepublik zu verzeichnen. In kei-nem anderen Lande ist die Deindustria-lisierung mit solchen Konsequenzen ver-bunden wie in Sachsen/Anhalt. Er hat inseiner Regierungszeit eine Neuverschul-dung von rund 500 Millionen DM verur-sacht, was mit 8000 DM pro Einwohnereine doppelt so hohe Verschuldung wie inSachsen ausmacht. Anhänger und Geg-ner des „Magdeburger Modells“ sehendas als politischen Preis für die Tolerie-rungspolitik der PDS,die darin ihren we-sentlichen Nachteil hat, auch für Ergeb-nisse zu haften, die im Landtag so nichtbeschlossen wurden.

Ergebnisse der Politik der PDS inSachsen/Anhalt sind aufzählbar. Siewurden durch die PDS im Landtag im In-teresse der Menschen durchgesetzt. Ver-hindert wurde die Streichung von 135Millionen DM an Kommunalzuweisun-gen, 40 Millionen wurden für die Sanie-rungsfonds für in Not geratene Betriebebereitgestellt, 20 Millionen für den Öf-fentlichen Personennahverkehr abge-rungen, für ein Jugendstellenprogrammwurden 10 Millionen DM erstritten usw.Jedoch sind sich die PDS-Verantwortli-chen in Magdeburg durchaus darüber imklaren, daß nach der Entscheidung imLandtag die Ausführungsmacht bei derRegierung liegt und darauf kaum Einflußgenommen werden kann.Taucht die Fra-ge auf, ob sich bei einer Regierungsbetei-ligung durch die PDS dieser Mißstandverhindert werden kann. Fragen, die ge-genwärtig nicht beantwortet werdenkönnen. Die PDS will deshalb Vereinba-rungen mit der SPD vor der Wahl am 26.April abschließen, um eine Entscheidungzur Regierungsbeteiligung nicht von Zu-fällen abhängig zu machen.

Die PDS vermeidet es aber, Maximal-forderungen an die Adresse der SPD zuformulieren. Gefordert werden vonHöppner Punkte wie, den SPD-Wirt-schaftsminister Schucht nicht wieder zunominieren, das atomare Endlager Mors-leben zu schließen und entschiedeneMaßnahmen zur Senkung der Arbeitslo-senrate einzuleiten. In der PDS sinddurch vorausgegangene Debatten dieSignale erneut auf Tolerierung und Mit-regieren gestellt. Die Debatte um die No-minierung Dieter Kollwigs, eines ehema-ligen Mitarbeiters des MfS, hat deutlichgemacht, daß sowohl die Basis als auch

die PDS-Führung in Magdeburg, abermehr noch die PDS-Fraktion im Land-tag,auf das bisherige Konzept setzen undalles vermeiden wollen, was verhindernkann, die PDS einen Schritt näher an dieRegierungsbeteiligung heranzubringenund für Bonn alle Möglichkeiten eines er-neuten Einzugs in den Bundestag offenzu lassen. Ob die vorhandenen Konzepteausreichen, wird die Zeit nach der Wahlzeigen. Scheitert die PDS auf diesem We-ge, wird es zu einer neuen Strategiede-batte in der PDS kommen. abe

Aufstehen für eine andere Politik

Koordinierung für bun-desweite Demo am 20.Juni in Berlin gebildetDer „Kulturverein Mauerbrechen“, Kontakt-stelle der „Erfurter Erklärung“, teilte am 26.März mit, daß sich am vorherigen Wochen-ende in Fulda die Koordinierung für die aufdem „Bochumer Ratschlag“ beschlossenebundesweite Demonstration am 20. Juni inBerlin gebildet habe.

Dem Bundeskoordinierungsrat gehörenderzeit 23 Vertreter der unterschiedlich-sten Institutionen an und einige Plätzewerden bewußt freigehalten, um nochweiteren bundesweiten Organisationenund Sozialverbänden die Möglichkeit zugeben, sich mit eigenen Ideen an der wei-teren Arbeit zu beteiligen.

Für die Erfurter Erstunterzeichnerwerden zukünftig im Bundeskoordinie-rungsrat Horst Schmitthenner (IG MetallVorstand Frankfurt), Bodo Ramelow(hbv-Landesvorsitzender Thüringen)und Eckehard Spoo (Journalist) wirken.

Zu den jetzt schon aktiv Beteiligtengehören: Das Netzwerk der Studenten-schaften, eine Landesvertretung des ALVund die Ali Thüringen. Zukünftig sollennoch der ALV-Vorstand und die Bun-deskoordinierungsstelle der Arbeitslose-ninitiativen in Bielefeld beteiligt werden.

Aus dem Bereich der Friedensbewe-gung sind die Friedensnetzwerke genau-so vertreten wie Initiativen aus dem Os-termarsch-Bereich.

Aus dem kirchlichen Spektrum wer-den KAIROS in Europa, aber auch diekirchlichen Basisorganisationen vertre-ten sein.

Arbeitsloseninitiativen, Studenten-schaften, kirchliche Basisgruppen, Frie-densnetzwerke und Vertreter aus dem Be-reich VVN, BdA genauso wie Flücht-lingsorganisationen werden zusammendie Vorbereitung für die Großdemonstra-tion am 20. Juni 1998 tragen.

Alle 14 Tage wird die Bundeskoordi-nation zusammentreten und die weiterenEtappen besprechen, damit kontinuier-lich die Vorgehensweise unter all den un-terschiedlichen Strömungen vernetzt,abgesprochen und vereinbart werden

können. Am Samstag in Fulda hat mansich schon darauf geeinigt, in Berlin undin Frankfurt/Main jeweils ein Organisa-tionsbüro einzurichten, das ab MontagZug um Zug die Arbeit aufnehmen soll.Beide Büros werden unterschiedlicheAufgabenstellungen zu erledigen haben,und in beiden Büros werden zügig Tele-fon,Telefax genauso installiert wir ein In-ternet-Anschluß und eine E-Mail-Adres-se.

So wie z.B. auch die französischen Ar-beitslosenaktionen per Internet organi-siert werden, wollen wir auch ein ge-meinsames Netzwerk mit Hilfe von In-ternet in der Bundesrepublik aufbauen.

Neben diesen praktischen und organi-satorischen Festlegungen wurde der end-gültige Aufruftext als gemeinsame Platt-form einer Schlußredaktion unterzogenund in der beiliegenden Form beschlos-sen. (Auszüge wurden in unserer letztenAusgabe bereits dokumentiert, Einfü-gung d. Red.)

Es werden nun Buttons hergestellt,Plakate gedruckt, weitere Informations-materialien erstellt, aber auch die regio-nalen und landesweiten Anlaufadressenzusammengestellt.

Die Gewerkschaft Holz/Kunststoffruft schon jetzt bundesweit für die De-monstration am 20.Juni auf,und die Bun-desgremien der Gewerkschaft Handel,Banken und Versicherungen haben be-schlossen, alle regionalen Bezirksorgani-sationen zu bitten, sich aktiv an der re-gionalen Vorbereitung der Demonstrati-on zu beteiligen. Auch viele DGB-Kreisein West- und Ostdeutschland sind schonjetzt aktiv mit den Vorbereitungen be-schäftigt. Stellvertretend seien genanntdie DGB-Kreise Nürnberg, Halberstadtund Mittelhessen …

In allen Bundesländern werden sichjetzt gemeinsam mit den unterschiedli-chen Strömungen, Verbänden und Insti-tutionen Landeskoordinationen bilden,so wie schon jetzt in Nordrhein-Westfa-len,Berlin,Hessen und in Thüringen Lan-deskoordinationen gebildet sind.

„Die Arbeit der Erstunterzeichner derErfurter Erklärung wird damit einen an-deren Charakter bekommen“, so BodoRamelow für die Erstunterzeichner,„denn die Demo wird eine bundesge-meinschaftliche Angelegenheit von vie-len Verbänden sein, aber der Ansatz derErfurter Erklärung wird nach der De-monstration und der hoffentlich von ei-ner rot-grünen Mehrheit gewonnenenBundestagswahl gebildeten Bundesre-gierung dringender denn je sein,denn wirbrauchen nicht nur eine andere Regie-rung, sondern eine andere Politik.“ …

Ein Höhepunkt in der bevorstehendenBundestagswahlauseinandersetzungwird die Demonstration am 20. Juni sein,zu der wir hoffen,weit über 100 000 Men-schen mobilisieren zu können.

Erfurt, den 26.3.98.Infos über: Kulturverein Mauerbrechen,Juri-Gagarin-Ring 150, 99084 Erfurt, Te-lefon 0361/5961220, Fax 0361/6599899

8 AUSLANDSBERICHTERSTATTUNG • PB 7/98

Von Manfred Ostrowski

Der Präsident der Regierung des autonomenBaskenlandes, Ardanza (PNV/BaskischeNationalpartei) legte am 11. März den Partei-en des Anti-ETA-Paktes einen Plan für eine„zweite Phase“ der Befriedung des Bas-kenlandes vor. Ardanza meint, die Parteiendes Anti-ETA-Paktes sollten mit Herri Bata-suna Verhandlungen aufnehmen, wenn dieETA den bewaffneten Kampf eingestellt hat,und im Dialog mit Herri Batasuna ein fried-liches Ende des baskischen Konflikts an-streben („final dialogado“).

Irtugaiz,Vorsitzender der rechten PP imautonomen Baskenland, wies den PlanArdanzas sogleich energisch zurück. EinTreffen der Mitglieder des Anti-ETA-Paktes am 17.3. scheiterte kläglich, weilPP und auch PSOE bei ihrer Positionblieben, keinen Dialog mit HB zu führen,auch wenn die ETA einen Waffenstill-stand verkündet. Wieder standen sichPNV, EA (Baskische Sozialdemokraten)und IU (Vereinigte Linke) auf der einenund die Gegner des baskischen Selbstbe-stimmungsrechtes,PP und PSOE,auf deranderen Seite gegenüber. Die baskischenGewerkschaften ELA (PNV/EA) undLAB (HB), die die Mehrheit der Arbeit-nehmerschaft im Baskenland vertreten,kritisierten in einer gemeinsamen Er-klärung PP und PSOE hart und beschul-digten die beiden gesamtspanischen Par-teien antidemokratischer Positionen.

HB schlug den dialogbereiten Partei-en PNV, EA und IU nach dem Zerbrechendes Anti-ETA-Paktes vor, miteinandereinen Weg zu einer Normalisierung derpolitischen Lage abzustimmen. ArnaldoOtegi, neuer Sprecher HBs, beharrte dar-auf,daß die Lösung des Konflikts im Bas-kenland nur über eine demokratischeÜbereinkunft zwischen den Parteien zuerreichen sei, die meinten, daß die Bas-ken das Recht haben müßten,frei über ih-re Zukunft zu entscheiden. Gemeinsammüsse man Madrid davon überzeugen,daß man sich trotz seines Vetos „inMarsch setzen“ werde. Arnaldo Otegi:„Wir sind bereit, PNV, EA und IU zu zei-gen, daß das Sinnvollste für die Befrie-dung die Zusammenarbeit mit HB bei derKonstruktion eines freien Baskenlandesist, in einem demokratischen Rahmen oh-ne Begrenzungen.“

EA und IU warten aber auf ein SignalHBs, den bewaffneten Kampf der ETAnicht mehr gutheißen zu wollen. Für EAerklärte ihr stellv. Generalsekretär RafaLarreina: „Wenn HB sich nur von derStrategie der ETA unabhängig machenwürde und sich entschiede, in demokra-tischem Rahmen Politik zu machen!“ Essei nicht gut, wenn ein Teil der Wähler-

schaft „am Rand des demokratischenSpiels“ stünde. Der Generalkoordinatorder Vereinigten Linken in Euskadi, JavierMadrazo, äußerte: „Es ist keine Zusam-menarbeit mit HB möglich, solange HBsich nicht von der ETA abgrenzt und vonder Gewalt distanziert.“

Derweil versucht die regierende PP,möglichst viele Mitglieder,Sympathisan-ten oder auch nur Kontaktpersonen derETA ins Gefängnis zu bringen. Vom 19.bis 23. März wurden 21 Personen in Eus-kal Herria und in Sevilla wegen des Ver-dachts der Unterstützung der ETA oderwegen angenommener ETA-Mitglied-schaft verhaftet. Die meisten Verhaftetenwurden gefoltert, Familienangehörige

beklagten erneut die Verletzung derRechte der Verdächtigen.

Der baskische Präsident Ardanza er-klärte am 23. März vor Fernsehkameras:„Viele in der PP glauben an einen poli-zeilichen Sieg über die ETA. Aber wederFranco mit einer Polizei von totalerMachtbefugnis noch die PSOE mit ihrerabsoluten Mehrheit und den GAL konn-ten die Gewalt der ETA beenden.Am En-de wird man miteinander zu sprechen ha-ben … Ein Gesprächsprozeß wird früheroder später stattfinden, denn ich glaubenicht, daß es irgendeinen polizeilichenSieg über die ETA geben kann, oder daßsich HB von einem Tag zum anderen undohne irgend etwas erreicht zu haben, indas politische System Spaniens inte-griert.“ Zum Anti-ETA-Pakt meinteArdanza: „Die Mesa ist tot, das wissenwir unter uns.“

Der Präsident der PNV, Xabier Arzul-

lus, bekundete zwar am gleichen Tag denWillen seiner Partei, weiter mit der spa-nischen PP-Regierung zu reden und zu-sammenzuarbeiten, sagte aber gleichzei-tig, daß es von einer streng juristischenPosition aus gesehen „sehr gefährlicherUnfug“ gewesen sei, die Mesa NacionalHBs ins Gefängnis zu stecken: „In einemMoment, in dem wir der Zentralmachtwirklich lästig sind,könnte auch die PNVins Gefängnis kommen.“

Das gewerkschaftliche Bündnis vonELA (PNV/EA) und LAB (HB) bietet ei-nen guten Ansatz, HB, EA und Teile derPNV-Basis zu gemeinsamem Kampf zu-sammenzuführen. Am 10. März trafensich die Vertreter von ELA und LAB im

Parlament von Gasteiz mit Repräsentan-ten von PNV, EA und HB, um ihnen ihreKampagne „weniger Stunden, mehr Be-schäftigung“ vorzustellen. Die gesamt-spanischen Parteien PSOE, PP und IUwaren von ELA und LAB ebenfalls ein-geladen worden, doch von diesen er-schienen keine Repräsentanten.

Die Gewerkschaften fordern die Re-duzierung der Wochenarbeitszeit auf 35Stunden, den Wegfall von Überstundenund Vorziehung des Ruhestandes: „Damitkann man 100000 Arbeitsplätze für Ar-beitslose schaffen“. Zur Zeit sind in Eus-kadi 220 000 Personen arbeitslos, etwa20% der aktiven Bevölkerung, „und dassind Leute, die arbeiten wollen, abernicht können“. EA signalisierte vorsich-tige Zustimmung zu der gewerkschaftli-chen Kampagne, während HB die Forde-rungen von ELA und LAB schon seit ge-raumer Zeit im Programm hat. „Wir ha-

Die baskischen Gewerkschaften kämpfen für Arbeitsplätze

PP blockiert Verhandlungslösung im Baskenland

3500 Vertreter der baskischen Gewerkschaften ELA und LAB gaben am 5. Märzauf einer Versammlung in Gasteiz der baskischen Volksinitiative Rücken-deckung, die eine Charta der sozialen Rechte durchsetzen will. Rosa Diaz (LAB)und Jose Elorrieta (ELA) übergaben dem Präsidenten des baskischen Parla-ments Joseba Leizaola anschließend ein Unterstützungsschreiben ihrer Organi-sationen. (Bild: EGIN)

ben uns immer als Sozialisten definiertund fahren damit fort“, äußert der HB-Sprecher Arnaldo Otegi im Interview mitegin, der Kampf für gewerkschaftlicheForderungen sei ein geeigneter Weg hinzu einer solidarischen Gesellschaft mitmehr Gleichheit.

Am Samstag, den 28. März, demon-strierte eine breite baskische Gewerk-schaftsfront, bestehend aus ELA, LAB,EILAS,ESK,EHNE,Hiru und Ezker Sin-dikala, in Irunea (Pamplona) für die 35-Stunden-Woche, einen Soziallohn undgrößere Gerechtigkeit in der Gesellschaftdurch Verteilung der Arbeit und desReichtums. Der Generalsekretär der Ge-werkschaft ELA, Jose Elorrieta, betontedie Notwendigkeit, auf der Straße die In-teressen der Arbeiter zu verteidigen, undkritisierte die großen gesamtspanischenGewerkschaften UGT und CCOO wegenihrer unverständlichen Unterstützungfür die unternehmerfreundliche und un-soziale sogenannte „Arbeitsreform“.

Für den 23.4. haben ELA, LAB und diemit ihnen verbündeten baskischen Ge-werkschaften zu einer einstündigen Ar-beitsniederlegung aufgerufen. Zum Ab-schluß der ersten Phase ihrer Kampagneplanen die Gewerkschaften eine gemein-same Demonstration am 1.Mai in Bilbao.

Österreich

Anti-Nato-KongreßDie Regierung will im März ihren Optionen-bericht vorstellen. Obwohl diese angeblichnoch geprüft werden, steht die Marschrich-tung jetzt schon fest. Mit der „Partnerschaftfür den Frieden plus“ soll Österreich weiterSchritt für Schritt in die NATO integriert, oh-ne daß breiter Protest entsteht.

Der Anti-NATO-Kongreß soll dieser Op-position der Mehrheit, eine Stimme ver-leihen, die sie in den offiziellen Mediennicht erhält:

Die Regierung behauptet, man müßte„sparen“, baut die sozialen Errungen-schaften ab und bürdet der BevölkerungJahr für Jahr neue Belastungen auf. DenNATO-Beitritt und die damit verbunde-ne massive Aufrüstung kann die Regie-rung aber verantworten? Die Kostendafür wird natürlich wieder die Bevöl-kerung zu tragen haben.

Wir sind gegen die NATO, weil sie wei-teren Sozialabbau bedeutet. Lauschan-griff, Rasterfahndung, Schengen und im-mer erweiterte Polizeibefugnisse sindSchritte zu einem autoritären Staat. DerNATO-Beitritt bedeutet die Militarisie-rung der Gesellschaft – engere Zusam-menarbeit zwischen Heer und Polizei,Berufsarmee und die Tendenz zur Lösungsozialer Probleme mit repressiven Mit-teln, also zu einem autoritären Staat.Wirsind gegen die NATO,weil wir für die De-mokratie sind und keinen Polizeistaatwollen. Die NATO ist das Bündnis derReichen gegen die Armen. Sie dient da-zu, die Ausbeutung der „Dritten Welt“

unter dem Vorwand der Verteidigung derDemokratie militärisch abzusichern.

Wir sind gegen die NATO, weil wir fürGerechtigkeit und Solidarität und gegeneine aggressive Außenpolitik eintreten.

Ziele des Kongresses

• Der Anti-NATO-Kongreß soll alle NA-TO-Gegner zum Kampf gegen die Regie-rung zusammenschließen – denn nur ge-meinsam sind wir stark!• Eine freie Debatte über den Charakterder NATO soll es ermöglichen, weiterSchritte des Protests zu bestimmen undzu organisieren.• Schließlich will sich der Kongreß in denRahmen des internationalen Kampfesgegen die NATO stellen und von anderendurch diese bedrohten Ländern sowohllernen als auch sie solidarisch unterstüt-zen.

Der Kongreß fand am 28./29. März inWien statt.Es gab u.a.Arbeitsgruppen zufolgenden Themen:• Rußland und die NATO-Osterweite-rung (Ein Vertreter von Roskomsoyus,Union der Kommunisten Rußlands)• Die Rolle der Türkei in der NATO undder Krieg gegen die KurdInnen (ErdemirMelik, Österreich-Vertreter der Kurdi-schen Nationalen Befreiungsbewegung –ERNK)• Die NATO und die jugoslawische Tragö-die (Ivan Pavicevac, Römische Koordina-tion für Jugoslawien)

Der Anti-NATO-Kongreß wird unterstützt von: Antiimperialistische Front, ARGE für Wehr-dienstverweigerung, Gewaltfreiheit und Flücht-lingsbetreuung; Autonome Palästinagruppe, De-mokratischer Weg, DHKC, ERNK, IML, KIW,KPÖ, KJÖ/Junge Linke, KSV, Neutralitätsbewe-gung-Wiener Koordination, Personenkomitee„Volksbefragung jetzt“, RBH, RKJ/rebel, RKL,Friedenswerkstatt Linz,GRAS,Guatemalainitia-tive, MIR; Basisgruppe Boku, RAT zur Verteidi-gung des Kampfes der iranischen Völker.

Kontakt: Komitee „Anti-NATO-Kongress“, c/o1., Schottengasse 3a/59, Wien , Tel: 01/ 53591 09.e-mail: [email protected] (aus: CL-Netz)

US-Imperialismus will in Afrika aufmischen

Warum besucht Clintonnicht die DR Congo?Wenn Clinton seine Afrika-Reise unter-nimmt, steht Kabilas Congo nicht auf seinemBesuchsprogramm. Obwohl die USA dazubeigetragen hatten, ihn gegen Mobutu zu un-terstützen, sind die Sympathien seitdemnicht mehr so offen auf seiner Seite.

Dies hängt vermutlich nicht nur mit denpropagandistisch vorgetragenen Forde-rungen nach „Demokratisierung“ (Al-bright) zusammen, sondern auch mitökonomischen Veränderungen und ange-schlagenen Verbindungen der US-Kon-zerne zu dem Land. Zunächst, was dieDemokratisierung betrifft, sind die Ver-hältnisse im ehemaligen Zaire keines-wegs harmonisch und auf Ausgleich be-stimmt. Fast tägliche Berichte über (eth-

nisch begründete?) Auseinandersetzungim Nord-Kivu-Gebiet, Meutereien durchBanyamulenge-Soldaten und ihre Forde-rungen nach stärkerer Beteiligung imMachtapparat,die einen großen Anteil ander Offensive gegen Mobutu getragenhatten, anhaltende Berichte über ekla-tante Menschenrechtsverletzungen sindzu lesen.

Bislang waren Vertreter der UN-Men-schenrechtskommission aus Genf imCongo nicht gerne gesehen.Anders als dieScheinbilder, die ihnen die Mobutu-Re-gierung zu liefern hoffte, hatte die Kabi-la-Fraktion zunächst jede „äußere Ein-mischung“ abgelehnt. Inzwischen soll es– papierne? – Vereinbarungen geben, soz.B. über die Auflösung eines Militärtri-bunals mit der Kompetenz, auch Zivil-personen zu verfolgen. Oder die Entlas-sung von Tausenden von Kindersoldaten,die sich vor einem Jahr den Kabila-Kräf-ten angeschlossen hatten.Gleichzeitig zudiesen Ankündigungen werden jedocherneut Berichte der Menschenrechts-gruppe AZADHO konfisziert. Diese hat-ten in einem 60seitigen Bericht Ermor-dungen, Vergewaltigungen, Plünderun-gen und willkürliche Verhaftungen de-nunziert – schon unter Mobutu war ihreArbeit extrem behindert worden.

Am 16.1. verhafteten Militärs der Re-gierung Kabila in der Hauptstadt Kin-shasa z.B. Roger Kalala. Nach fünftägi-ger Haft wurde er entlassen und stehtseitdem unter Hausarrest und militäri-scher Bewachung. R. Kalala ist Vertreterdes CPL (Congrès des Forces Progressi-stes pour la Liberation – Kongreß derFortschrittskräfte für die Befreiung) undkehrte nach dem Sturz des Mobutu-Re-gimes im Mai 1997 aus dem belgischenExil in die DR Congo zurück. Innerhalbdes Generalsekretariats der AFDL (Alli-anz der Demokratischen Kräfte für dieBefreiung) ist er Sekretär für die Organi-sierung des Volkes und die Öffentlich-keitsarbeit. Auch dies stellt ein erhebli-ches Fragezeichen dar, mit wem Kabilazusammenarbeiten will und wird.

In Südafrika dürfen derweil drei Ge-neräle aus der Mobutu-Nachfolge ver-bleiben, bis über ihre Asylanträge ent-schieden ist. Sie stehen im Verdacht, ille-gal Waffen zu organisieren, und ein Kom-plott gegen Kabila zu planen.

Anders sieht es mit den ökonomischenFortschritten aus. Von US-amerikani-scher Seite erhält das Kabila-Regimegute Noten. Sie hätten bislang einen gu-ten Profit gemacht, Kabila habe sich ih-nen gegenüber sehr „aufgeschlossen“verhalten. Dennoch sind inzwischen Kri-tiken laut geworden, da einige Verträgenicht mehr fortgeschrieben wurden. Zu-vor war Kabila Ende des letzten Jahresin China zu Besuch gewesen,hier wurdenVerträge unterzeichnet, von denen alleinChina profitieren kann. Geschenke undKredite wurden verteilt, z.B. für die tech-nologische Entwicklung des Landes.Nachdem Kabila zurückgekehrt war, er-klärte er das „chinesische Modell“ auch

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für sein Land als relevant; manche er-kennen hierin die Fortsetzung alter Kon-takte zu China aus der Zeit der 70er Jah-re.Allerdings kann das heutige „Modell“– Liberalismus und autoritäre Führung –den Interessen von Kabila durchaus ent-gegenkommen. Damit könnten die eu-ropäischen und us-amerikanischen Men-schenrechts-Attitüden (Beschluß der EUund Besuch von J. Jackson zu Inhaftie-rung und Hausarrest von UDPS-FührerTshisekedi) ausmanövriert werden. mc

35-Stunden-Dekret in Italien

Suche nach einer Nord-Süd-StrategieNach sechs Monaten Auseinandersetzunghat die Regierung Prodi vergangene Wocheein Gesetzesdekret über die Einführung der35-Stunden-Woche verabschiedet.

Danach soll die Arbeitszeitverkürzunggesetzlich ab dem 1. Januar 2001 in Be-trieben mit mehr als 15 Beschäftigtengelten. Gleichzeitig gibt es Einstellungs-anreize für die Unternehmen in Form vonSteuer- und Abgabensenkungen, so daßdie Regierung „gleichbleibende Arbeits-kosten“ in Aussicht stellt. Im November2000 sollen die Effekte der Anreize undder Wirkungen der 35-Stunden-Woche„in Beziehung zur wirtschaftlichen undsozialen Situation der verschiedenenProduktionssektoren und Gebietsberei-che“ überprüft werden.

Die Frage des „vollen Lohnausgleichs“für die Arbeitszeitverkürzung ist in demGesetzesdekret nicht angesprochen. Ri-fondazione comunista als Hauptbetrei-ber der gesetzlichen 35-Std.-Woche wer-tet den Lohnausgleich mit dem Geset-zesdekret als gegeben. Der zuständigeMinister aber erklärt, die Regelung derEinzelheiten der Arbeitszeitverkürzungeinschließlich Bezahlung sei Sache derTarifparteien. (Nach den aktuellen Tarif-regelungen hätten die Angestellten mitMonatseinkommen keine Entgeltminde-rung, wohl aber die Arbeiter mit derLohnabrechnung nach Arbeitsstunden.).

Mit der Form des Gesetzesdekretskann die Regierung die Regelungenzunächst in Kraft setzen. Das Parlamentmuß sie aber innerhalb von sechs Mona-ten in ein Gesetz umwandeln. Dabei sindÄnderungen möglich.

Mit dem Gesetzesdekret setzt die Re-gierung Prodi die Vereinbarung um, mitder im letzten Herbst die Regierungskri-se abgewendet wurde. Dabei hatte Ri-fondazione comunista die weitere Unter-stützung der Regierung von der Ein-führung der 35-Stunden-Woche abhän-gig gemacht.

Der Vorstoß der Regierung ist gesell-schaftlich und politisch äußerst umstrit-ten.Der Unternehmerverband Confindu-stria und die politische Rechte laufenSturm. Confindustria hat auf die Ankün-digung des Dekrets die Gespräche mit der

Regierung abgebrochen. Die Regierunglasse sich durch Rifondazione erpressen.Die 35-Stunden-Woche bringe 500 000weitere Arbeitslose und werfe Italien inEuropa zurück. Als „Fluch“ empfindetder Fiat-Chef Agnelli das Vorhaben.

Außerdem bezeichnet der Industrie-verband die „Konzertierungsvereinba-rung“ von 1993 unter diesen Umständenals erledigt. In dieser Vereinbarung wa-ren seinerzeit die regelmäßigen gewerk-schaftlichen Tarifbewegungen mit For-derungen, Warnstreiks und Streiks er-setzt worden durch ein Regulierungssy-stem, bei dem die Entwicklung der Löh-ne und Gehälter an die von der Regierung„programmierte“ Teuerung gekoppeltist. Selbst diese Regelungen, mit denendie gewerkschaftlichen Tarifaktivitäteneingeschränkt wurden, gehen den Unter-nehmerverbänden heute zu weit.

Die politische Rechte greift den Ballauf. Berlusconi hat ein Referendum fürdie Abschaffung des 35-Stunden-Geset-zes, sollte es kommen, angekündigt. Ei-nen Tag später hat sich der Vorsitzendevon Alleanza nazionale, Fini, dieser Ab-sicht angeschlossen. Noch fühlt sich dieRechte auf diesem Feld stark,weil die 35-Stunden-Woche bisher vor allem eineAuseinandersetzung zwischen politi-schen Spitzen ist ohne breite gesell-schaftliche Verankerung. Selbst in denGewerkschaften ist der Vorstoß umstrit-ten. Nur eine linke Minderheitsströmungsteht hier bislang dahinter. Und jeder so-ziale Widerstand steht vor dem gewalti-gen Problem der Kluft zwischen dem ita-lienischen Norden und Süden, zwischenhöchster industrieller Entwicklung beiboomender Konjunktur und Rückstän-digkeit und Depression.

Zwei große Aktionen haben in denletzten Tagen die Möglichkeiten, aberauch die Probleme dieser Verknüpfunggezeigt. Zunächst hatten die Gewerk-schaften für den 20. April zu Streik undKundgebungen in Neapel und vier wei-teren Zentren der Region Kampanienaufgerufen: „Gemeinsam für Arbeit und

Entwicklung! Gemeinsam gegen die Ca-morra!“ Erstmals wurde mit einemStreik Druck auf die Regierung Prodiausgeübt, ihrer Verpflichtung zu mehrEntwicklung und Beschäftigung im Sü-den nachzukommen. Etwa 80 000 betei-ligten sich in Neapel, 120 000 insgesamtin Kampanien, angetrieben von schwerersozialer Not. Arbeitslose, Beschäftigte inprekären Verhältnissen, aber auch vieleHändler und andere Gewerbetreibendeprägten das Bild dieser Aktion im Süden.

Rund 20 000 kamen am folgenden Tagim Norden für die 35-Stunden-Wochenach Mailand. Unterstützt wurde dieseAktion von betrieblichen Gewerk-schaftsgruppen, dem linken politischenSpektrum (Rifondazione, linker Flügelvon Linksdemokraten/PDS und Grünensowie Christlichsozialen), Sozialen Zen-tren,einigen Verbänden sowie Intellektu-ellen und Künstlern (darunter der Lite-raturnobelpreisträger Dario Fo). Die na-tionalen Gewerkschaftsbünde und ihreRepräsentanten waren nicht darunter.

Die 35-Stunden-Woche wurde dabei(ähnlich wie in der Propaganda der IGMetall in den 80er Jahren) als Knoten-punkt für mehr Beschäftigung sowie bes-sere Arbeits- und Lebensbedingungenbegründet, teilweise auch als Scharnierzwischen Nord- und Südproblematik:„Im Norden ist die Zeit voll mit Über-stunden, im Süden voll mit Arbeitslosig-keit.Die 35 Stunden sind die konkrete Artund Weise, diese beiden falschen Zeitenzu verknüpfen, um dem Land wieder Zu-sammenhalt zu geben.“ (Mario Sai,CGIL,Abteilung Süditalien) Vielfach warauch die Bemühung um eine weitereKlärung der Strategie spürbar: Man dür-fe die 35 Stunden nicht als Wunderlösunghinstellen, sondern „wir müssen uns be-wußt sein, daß die 35 Stunden in einenganz anderen Rahmen fallen als den der70er Jahre. Es bedarf einer aktiven Zu-stimmung der Beschäftigten, die heutenicht da ist. Und wir müssen uns fragen,warum sie nicht da ist“. (Pietro Marcen-aro, CGIL-Sekretär, Piemont). rok

Der Sekretär der Rifondazione Communista, Fausto Bertinotti, unter den Demon-stranten, die für die 35 Stundenwoche in Italien kämpfen. ( Bild: Junge Welt)

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Tansania -Flüchtlinge protestierengegen schlechte VersorgungZu massiven Protesten von Tausendenvon Flüchtlingen kam es in den letztenWochen in verschiedenen Flüchtlingsla-gern bei Nduta/Tansania. Dort leben30 000 Burundis. Zu ähnlichen Protestenkam es in Lugufu, wo 26000 kongolesi-sche Flüchtlinge leben müssen. Weil Ei-senbahnverbindungen unterspült wor-den seien, so das Welternährungspro-gramm, seien die Rationen halbiert wor-den. Über 350000 Flüchtlinge aus Bu-rundi und Congo leben in Tansania. mc

Hunger im WirtschaftswunderlandDie Zahl hungernder Menschen im Job-wunderland USA bleibt unverändert, sozwei jetzt veröffentlichte Studien.Armutist danach in zunehmendem Maße weib-lich, weiß und suburban und erfaßt auchLohnarbeiter – nicht zuletzt wegen einerdrastisch reduzierten Sozialhilfe.Wie diegrößte amerikanische Hungerhilfeorga-nisation „Second Harvest“ in ihrem Be-richt mitteilte, mußten 1997 ca. 21 Mil-lionen US-Amerikaner auf ein Nah-rungsnotprogramm zurückgreifen.

Die Zahl hat sich damit in den letztenfünf Jahren nicht verändert und ist sohoch wie vor 45 Jahren.Mehr als die Hälf-te der um Nahrungspakete Anstehendensind Frauen, gefolgt von Kindern, Ju-gendlichen,alten Menschen.Von der Qua-lität des sog. USA-Wirtschaftswunderskündet auch die Zahl jener, die Voll- oderTeilzeitarbeit verrichten und trotzdemvon Suppenküchen abhängig sind: 40%der Nahrungsempfänger arbeiten re-gulär, jeder zweite hat ein Partner im

Haushalt, der in einem Arbeitsverhältnissteht. Da die Niedriglöhne gegen Endedes Monats aber oftmals nicht mehr zurErnährung der Familie ausreichen, wür-den meist Frauen oder Kinder um Gra-tisnahrung nachsuchen. In fast 90 Pro-zent dieser Familien liegt das Einkom-men nur knapp über der offiziellen Ar-mutsgrenze von 1110 Dollar pro Monat.

Cuba: Manuel Pineiro gestorbenBesser bekannt unter dem Namen „roterBart“ ist in Cuba ein Führer der cubani-schen Revolution gestorben. Er wurdeimmer im Zusammenhang mit Ches Ex-kursionen in Afrika und Bolivien ge-bracht. Später war er in der Abteilung„Amerika“ der KP sowie im Innenmini-sterium für Sicherheit tätig.Dem CIA ge-lang es nie,seiner habhaft zu werden.Erstim letzten Jahr hat er über seine Erfah-rungen aus dieser Zeit berichtet, u.a. ineinem Interview der Zeitung „Triconti-nental“.

Er erlebte und gestaltete schon mit 24Jahren den Krieg gegen die US-Mafia inCuba mit.Geboren war er in Cuba, in Ma-tanzas. Kurz nach dem Sieg war er im In-nenministerium zuständig für Sicher-heit; später von 1974 bis 1992 in der KPzuständig für die Beziehungen zu ande-ren amerikanischen Bewegungen. Hierstellte er Verbindungen nach Nicaragua,Guatemala und Uruguay her, die spätervon Che intensiviert wurden. Er berich-tete kürzlich, daß es Anfang 1959 Plänefür Che gab, in Zentralamerika (Nicara-gua, Venezuela oder Kolumbien) an denKämpfen teilzunehmen. Konterrevolu-tionäre Offensiven der honduranischenArmee verhindert dies. Pineiro starb –

möglicherweise an Herzversa-gen – bei einem Autounfall.

Türkei: Italienischer Kurdistan-Aktivist verhaftetUnter den mehr als 200 Personen, die am21. März während der Newroz-Kundge-bung in Diyarbakir verhaftet wurden,be-fanden sich auch drei italienische Dele-gationsteilnehmerInnen: Giulia Chiari-ne,Marcello Musto und Dino Frisullo.Diebeiden erstgenannten wurden drei Tagespäter wieder freigelassen, während Fri-sullo, engagiertes Mitglied verschiedenerantirassistischer Organisationen sowieMitglied der in Italien aktiven Pro-Kur-distan-Gruppe „Kurdistan Azad“, wei-terhin festgehalten wird. Ihm wird vonden türkischen Behörden „Anstiftungzur Gewalt“ und „Bedrohung der inne-ren Sicherheit des türkischen Staates“vorgeworfen. Von der Anklage wird fürihn 3 Jahre Haft beantragt.

Einer der Anlässe zu diesen Vorwürfensoll das Schwenken einer Fahne mit fol-genden Zitat des Nobelpreisträgers Da-rio Fo sein: „Kurdistan brennt und lebtin den Bergen des Volkswiderstands, dender Westen Terrorismus nennt.“ Gegenihn läuft noch ein weiterer Prozeß wegender Teilnahme an dem Friedenszug imvergangenen September auch in Diyar-bakir, als die Polizei die genannte Initia-tive brutal unterdrückte. Vielleicht willdas türkische Regime auch die Person vonDino Frisullo zum Verstummen bringen,der mehrmals und namentlich die Ver-bindungen zwischen der türkischen Re-gierung und der türkischen Mafia an dieÖffentlichkeit gebracht hat. C.

Zimbabwe: GewerkschaftsprotesteWährend Präsident Robert Mugabe beiseinen Besuch in der BRD mit der Forde-rung nach besseren Bedingungen für aus-ländische Investoren konfrontiert wird,verschärfen sich in Zimbabwe die Prote-ste der Arbeiter. Nach einer zweitägigenlandesweiten Arbeitsverweigerung An-fang März sollen jetzt die Proteste aus-geweitet werden. Die Gewerkschaftenfordern die Rücknahme einer im Zusam-menhang mit der 50% Abwertung derLandeswährung Ende vergangenen Jah-res verfügten Erhöhung der Lohnsteuerum 2,5%,der Besteuerung der Renten um15% und einer Mehrwertsteuererhöhungvon 15% auf 17,5%. Bei einem Mindest-lohn von 350 Zimbabwe-$ (ca. 9 DM) sei-en die Preissteigerungen um bis zu 70%bei Grundnahrungsmitteln, für Strom,Wasser, Transport sowie das Schulgeldnicht mehr zu verkraften. Die KCTU istein Dachverband von 27 Gewerkschaftenund hat 400.000 Mitglieder. 30% der Ar-beiter Zimbabwes sind gewerkschaftlichorganisiert, aber die Aktionen der letztenTage zeigten, daß die ZCTU von weitmehr Arbeiter und Arbeiterinnen unter-stützt wird.

Zusammenstellung: hav

Indonesien: Die Proteste gegen das Regime Suharto verstärken sich. In der Pro-vinz Bandarlampung im Süden der Insel Sumatra ging die Polizei gegen 2.000Studenten vor, die sich unter den Forderungen nach politischen und wirt-schaftlichen Reformen in Indonesien versammelt hatten. Die Stimmung sei es-kaliert, als die Polizei auf die Forderung der Studenten nach Freilassung eineszwei Tage zuvor festgenommenen Studenten nicht eingegangen sei.

12 REGIONALES AUS WEST UND OST • PB 7/98

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Volksbegehren erfolgreichHAMBURG. Das Volksbegehren für die Er-leichterung von Volksentscheiden inHamburg und Bürgerbegehren in den Be-zirken hat sein Ziel erreicht: Mit 221865(18,4%) bzw. 218273 Stimmen (18,1%)wurden in beiden Fragen die erforderli-chen 10% der Wahlberechtigten (ca.121000) weit übertroffen.

Obwohl vor allem die großen ParteienSPD und CDU dem Vorhaben ablehnendgegenüberstanden, sind diese Unter-schriften in gut zwei Wochen zusammen-gekommen. Nach einer ersten Analysewar die Unterstützung u. a. in Stadttei-len mit hohem Einkommensstandard undhohen CDU-Wähleranteilen sehr hoch,während in ärmeren Quartieren undSPD-Hochburgen eher unterdurch-schnittliche Ergebnisse erzielt wurden,wobei sich jedoch überall mehr als 14%dafür aussprachen. Während die CDUangesichts dieses Ergebnisses ihre ableh-nende Haltung zum Teil revidiert,beharrtdie SPD auf ihrem Standpunkt. Streitbahnt sich darum an, ob der nun fälligeVolksentscheid über die Gesetzentwürfeder Initiative gemeinsam mit den Bun-destagswahlen durchgeführt wird, oderob es den Gegnern in Senat und Bürger-schaft gelingt, die nötige Beschlußfas-sung so zu verzögern, daß ein spätererAbstimmungstermin erforderlich wird.Dadurch würde die Wahlbeteiligung ge-drückt und die Erreichung der Quoren(50% Fürstimmen der Wahlberechtigtenbei Verfassungsänderungen) erschwert.

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Protest gegen Brunner und Kappelnur begrenzt erfolgreichFRANKFURT/MAIN. Etwa 1000 Anhängerkonnte der Bund Freier Bürger/Offensi-ve für Deutschland am 28. März zu einerzentralen Wahlkampfauftaktkundge-bung nach Frankfurt/Main mobilisieren.Die Veranstaltung war von der rechts-konservativen/nationalliberalen Parteiunter das Motto „Rettet die D-Mark, ei-ne Partei für Recht und Ordnung, einePartei für deutsche Interessen“ gestelltworden. Ein Bündnis verschiedener anti-faschistischer Gruppen hatte zu einerGegenkundgebung aufgerufen.Den etwa300 AntifaschistInnen gelang es, die auf-wendig und teuer inszenierte Auftakt-kundgebung mit den ehemaligen FDP-Funktionären Brunner und Kappel vorder Paulskirche zu Beginn so zu behin-dern, daß die Reden weitgehend in derGegenkundgebung und den Parolen un-tergingen.Das änderte sich allerdings,alsdie BFB-Anhängerschaft von zunächstnur wenigen hundert auf rund 1000 an-gewachsen war und sich zu einem De-monstrationszug in Richtung Bundes-bank formierte. Das antifaschistischeSpektrum war nicht breit genug, um demwirkungsvoll etwas entgegenzusetzen,und die Polizei schützte den Zug mitnicht wenigen Übergriffen und minde-

stens siebzehn Festnahmen. Die BFB-Anhänger zogen Deutschlandfahnenschwenkend und rechte Parolen rufenddurch die Innenstadt.Vergleichbares hates hier seit einigen Jahren nicht mehr ge-geben. Es wurde auch beobachtet, wieNPD-Anhänger mit Fahnen versuchten,sich dem Zug anzuschließen. Die Veran-staltung des BFB wurde mit einer Kund-gebung vor der Bundesbank beendet.Hier begann ein sogenannter Staffellaufnach Bonn, wo dem Bundestag am 30.3.250000 Unterschriften für ein Volkgsbe-gehren über die Einführung des Euroübergeben wurden.Der BFB ist in Frank-furt seit den Kommunalwahlen in ver-schiedenen Ortsbeiräten vetreten. DieAnhängerschaft Kappels in Bad Sodenund anderen Taunus-Gemeinden ist nichtunbeträchtlich. ola

Keine Ausländerdiskriminierung –erst recht nicht im Wahlkampf!ESSEN. Auf Initiative des Antirassismus-Telefons kam der folgende, leicht gekürztwiedergegebene Appell zustande, dersich dafür ausspricht daß „nicht auf demRücken der nichtdeutschen und nicht-wahlberechtigten Minderheiten“ derBundestagswahlkampf ausgetragenwird. In Düsseldorf, aber auch in ande-ren Orten laufen eine ähnliche Initiati-ven. Im folgenden einige Auszüge:

„Massenarbeitslosigkeit, Verlust vonArbeitsplätzen und fehlende Lebensper-spektiven für Jugendliche kennzeichnenauch das Wahljahr 1998. ZunehmendeBelastungen kleiner Einkommen bei

gleichzeitig steigendem Reichtum pola-risieren die Gesellschaft …

Auf die vielfältigen Ursachen der so-zialen und wirtschaftlichen Krise reagie-ren immer mehr Deutsche mit der völ-kisch-nationalen Vorstellung „die Aus-länder“ bedrohten „ihre“ Sicherheit. DieTatsache, daß Arbeitsimmigranten seitJahrzehnten zur Sicherung des deut-schen Sozialsystems und zur Schaffungvon Arbeitsplätzen beitragen, wird ver-drängt; Menschen, die aus existentiellenGründen ihre Heimat verlassen mußten,werden als „Parasiten“ und „Schmarot-zer“ des von Deutschen und Nichtdeut-schen finanzierten sozialen Netzes ein-gestuft und fremde Kulturen als Stören-friede „deutscher“ Ordnung wahrge-nommen.

Das Bedürfnis aller hier lebendenMenschen nach sozialer Sicherheit wirdzunehmend weniger anerkannt. Frem-denfeindlichkeit und Ausländerhaß ge-winnen an Boden.

Wer in einer solchen Stimmungslage„Ausländerkriminalität“ und „illegaleZuwanderung“ in den Mittelpunkt dergesellschaftlichen Auseinandersetzungund des Kampfes um Wählerstimmenrücken will, handelt unverantwortlich.Er gefährdet den sozialen Frieden, dasZusammenleben der Kulturen und dieDemokratie. Er treibt rechtsextremenParteien Stimmen und rechtsextremenStrömungen Gewalttäter zu.

Wir appellieren an Parteien und Poli-tiker, den Kampf um Wählerstimmennicht auf dem Rücken der nichtdeutschenund nichtwahlberechtigten Minderhei-ten auszutragen. Wir appellieren an dieMedien,die durch ökonomische Krise,of-fene Grenzen und Multikulturalität ent-stehenden Probleme und Konflikte diffe-renziert und sachgerecht darzustellen.Wenn das „Europäische Jahr gegen denRassismus“ einen Sinn gehabt haben soll,dann muß gerade im Wahlkampf jegli-cher Diskriminierung entgegengewirktwerden.

Als Trägereinrichtungen und Unter-zeichner-/innen dieses Appells werdenwir den demagogischen und populisti-schen Mißbrauch ausländerfeindlicherStimmungen nicht ohne Widerspruchhinnehmen.“ aus Lokalberichte Essen

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PB 7/98 • REGIONALES AUS WEST UND OST 13

KIEL/ELMSHORN. Die Kommunalwahlen inSchleswig-Holstein werden in der bürgerli-chen Presse im Hinblick auf die Bundestags-wahl als „Ohrfeige für die Grünen“ gewich-tet. Grund seien die Auseinandersetzungenüber den Bau der A20 in der rot-grünen Lan-desregierung und der Parteitagsbeschluß derGrünen zur Beibehaltung des Beschlusseszur ökologischen Steuerreform, die in einemZeitraum von zehn Jahren eine Erhöhung desLiters Benzin auf 5 DM vorsieht. Diese SorteKritik soll die Grünen disziplinieren. Im fol-genden einige Anhaltspunkte, die daraufhindeuten, daß eine ökologisch/soziale Reform-politik auf grundsätzlichere Probleme stößt.Verglichen werden die jetzigen Ergebnissemit den Kommunalwahlen vor vier Jahren.

Höhere Wahlberechtigung und niedrigereWahlbeteiligung

Die Wahlberechtigung lag bei 2,2 Mio.um102700 höher (erstmals konnten 30000Einwohner aus EU-Staaten, sowie 56000junge Leute zwischen 16 und 18 Jahrenwählen). Tatsächlich wurden aber 70000Stimmen weniger abgegeben. Dadurchsank die Wahlbeteiligung um 7 Prozent(von 70,5 auf 63). Nach erstem Eindruckwählten auch wenige junge Leute undEU-Einwohner.

Rot/Grün verliert

Die SPD gewinnt minimal knapp 3 000Stimmen und 2,9 Prozent (von 39,5 auf42,4). Die CDU verliert 12 600 Stimmen,gewinnt aber 1,6 Prozent (von 37,5 auf39,1).Die FDP gewinnt leicht 1 200 Stim-men und kommt von 4,4 auf 4,8 Prozent.Die Grünen verlieren massiv, und zwar57000 Stimmen und damit 3,5 % (von10,3 auf 6,8 Prozent). Zusammen verlie-ren SPD/Grüne damit 54126 Stimmen(von 721435 auf 667309). CDU/FDP ver-lieren demgegenüber 11415 Stimmen(von 606937 auf 595522). Macht ein Mi-nus von 42 711 Stimmen.

Dänische Regionalpartei beständig

Daran ändern auch die Ergebnisse desSüdschleswigschen Wählerverbandes(SSW) nichts, dessen Stimmen man beieiner Bundestagswahl eher der SPD bzw.den Grünen zu rechnen kann. Die däni-sche Regionalpartei konnte sich nurleicht um 800 Stimmen verbessern (von37 913 auf 38 713), obwohl sie erstmalsim gesamten Kreis Rendsburg-Eckern-förde kandidierte und dort 3000 Stimmenhinzugewann. Zusammengenommenverlieren die unabhängigen Wählerge-meinschaften in den Gemeinden bzw. dieStatt-Parteien in den Städten leicht.Hiergibt es erhebliche Unterschiede, wo vonder Tendenz in den Gemeinden ein Zu-wachs und in den Städten ein Rückgangzu verzeichnen ist. Diese Stimmen lassensich schwer irgend einem Lager bei Bun-destagswahlen zuordnen.

Faschistischer Mob und Rechtstrendin Lübeck

Ein neofaschistischer Zusammenschluß(u.a. NPD, JN, DVU, REP, NL) konzen-trierte sich als „Bündnis Rechts“ auf Lü-beck. Der Versuch mit einem aggressivenMob und uniformierten Aufmärschennach der Serie von Brandanschlägen indie Lübecker Bürgerschaft einzuziehen,schlug fehl. Die 3,6% werden vom anti-faschistischen Widerstand als Erfolg ge-wertet. Übriggeblieben ist aber ein Stim-mensatz, der klar für Mord steht und inden ehemals zweistelligen Hochburgender DVU auf über 8% kommt. Gewinnerist hier eine rechte CDU, die wie die Neo-faschisten den couragierten Bürgermei-ster Bouteiller (SPD) attackierte. Sie ge-winnt gut 2500 Stimmen und kommt von31,7 auf 38,1 Prozent. Die SPD verlierthier 4900 Stimmen (von 41,3 auf 41,2),dieGrünen über 3800 Stimmen (von 10,5 auf7,8). SPD und Grüne wollen hier ihre Ko-alition fortsetzen.

Starke Verluste in den Städten

Die Grünen verlieren landesweit gut einDrittel ihrer Stimmen. Auffällig ist, daßsie insbesondere in den Städten fast umdie Hälfte verlieren (Kiel, Neumünster,Elmshorn). In Elmshorn z.B. orientiertdie SPD in der Haushaltspolitik zuneh-mend auf die CDU. Bei der Auseinander-setzung um die Entstehung eines Sub-zentrums setzt die SPD auf Arbeitsplät-ze, während die Grünen um das kleineWäldchen, das der Betriebsansiedlungzum Opfer fallen soll, kämpfen. Hier ha-ben sich die Wähler offensichtlich für Ar-beit, anstatt für Umwelt entschieden.Den Grünen fehlt es an der Basis. Sie ha-ben in Elmshorn, einer ihrer HochburgenProbleme, überhaupt Kandidaten zu fin-den.

Landespolitik reibt Grüne auf

Die seit zwei Jahren betriebene Beteili-gung an der Landesregierung zwischenAnpassung und verhaltenem Aufmuckenkostet Kraft und reibt die Grünen an derBasis auf. Die schweren Verluste werdenu.a. von der Grünen MdB Angelika Beerauch auf die Forderung nach einem Ben-zinpreis von 5 Mark zurückgeführt. NachAnsicht des verkehrspolitischen Spre-chers der PDS, Winfried Wolf wäre ab-sehbar gewesen, daß mit einem solchenVorschlag das mehrheitsfähige ThemaVerkehrswende in den Medien alsSchreckgespenst einer unsozialen Ver-kehrspolitik vorgestellt würde.Gegen dievon der CDU-Parteizentrale angezettel-te Hetzkampagne hatte aber auch grüneKommunalpolitik selbst dort, wo siespürbare Verbesserungen in Mark undPfennig duchsetzen konnte, keine Aus-wirkung auf das Ergebnis.

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MÜNSTER. In einer Überrumpelungsakti-on ist der Transport vom angekündigtenMittwoch,den 25.März 1998,auf Freitag,den 20. März, vorgezogen worden. Da-hinter stand der Wunsch der „Obrigkeit“,die Atomkraftgegner auszutricksen, denWiderstand auszuschalten und den Pro-test zu umgehen. Das Demonstrations-recht ist jedoch kein Gnadenakt der herr-schenden Repräsentanten. Es ist ein zen-trales demokratischen Recht.Die Öffent-lichkeit in die Irre zu führen, um dieWahrnehmung des Demonstrations-rechts für eine Vielzahl von BürgerInnenpraktisch auszuschalten,ist folglich anti-demokratisch.

Tausende von Demonstrierenden sindtrotzdem nach Ahaus gekommen. Sie or-ganisierten ihren Protest unter diesenschlechten,Kommunikation und Organi-sation verhindernden Bedingungen. Siemachten deutlich, daß sich der Wider-stand durch regierungsamtliche Tricksnicht einfach unterbinden läßt. Deutlichwurde, wie selbstverständlich der ge-waltlose,aber konsequente Protest in derAntiatombewegung verankert ist. Seitder Ankündigung des Transportes vonCastor-Behältern aus Süddeutschlandnach Ahaus hat die Bürgerinitiative inAhaus breiten Rückhalt in der münster-ländischen Bevölkerung gefunden. Trotzdes Überraschungscoups wurde deutlich,daß auch in Ahaus eine widerstandsloseEinlagerung von hochradioaktivem Müllaus Atomreaktoren, die in Betrieb sind,nicht möglich ist. Die Skepsis einesgroßen Teils der Bevölkerung gegenüber„Chaoten“, die in das ruhige Städtcheneinfallen könnten, ist weiterhinEmpörung über das Auftreten der Polizeigewichen …Auszüge aus dem Untersuchungsberichtdes Komitees gegen Grundrechte

Bürgerbegehren findet Unterstützung

Kein Verkauf derAllbau AG!ESSEN. Im November hat der SPD-Un-terbezirk Essen seinen Kandidaten fürdie Oberbürgermeisterwahl 1999 ge-wählt. In der Öffentlichkeit hat DetlefSamland (MdEP) – ein Typ zwischen„Yuppie“ und „Macher“ – vor allem miteinem Vorschlag heftige Kontroversenausgelöst: Als einer der ersten EssenerSPD-Politiker trat er für den Verkauf derstädtischen WohnungsbaugesellschaftAllbau AG ein. Zwischen 500–700 Mio.DM soll ein solcher Verkauf für den Haus-

Komitee gegen Grundrechte und Demokratie e.V.

Castorgegen Grund-rechte

Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein:

Rot-Grün in der Defensive

Du hast am 11. März mit der Bundes-tagsabgeordneten Ulla Jelpke den Ab-schiebeknast in Mannheim besucht. Wiewurdet Ihr von den Verantwortlichenempfangen? Also der Anstaltsleiter war nicht anwe-send. Uns haben deshalb der stellvertre-tende Leiter und ein anderer Angestell-ter der Anstalt zu den Abschiebehaft-containern und durch diese geführt. AmAnfang waren sie ziemlich agressiv undwollten keine Stellung zu dem Thema be-ziehen. Sie erklärten uns, sie würden nurdas ausführen, was der Gesetzgeber so-wie die Ausländerbehörde von ihnen ver-langen und zwar genau so, wie diese esverlangen. Im Verlaufe der Besichtigung,also des Gesprächs, das immerhin übereine Stunde lang dauerte haben sie dannöfter eingeworfen, daß sie sich nicht fürdiese Arbeit „geschlagen“ hätten, alsodaß es ihnen als Aufgabe schon unange-nehm ist.Inwiefern sind denn die Beschäftigtender Haftanstalt hier betroffen? Wie es ja auch bekannt ist,arbeiten in denAbschiebehaftcontainern fast keine Be-diensteten der Haftanstalt. Die Abschie-behäftlinge werden hauptsächlich vonAngestellten des Sicherheitsdienstes derFa. Raab Karcher betreut, wenn man dasso nennen kann. Nur die Verwaltungsar-beit wird von Anstaltsbeamten und -be-amtinnen geleistet.Sind die Haftbedingungen der Häftlingewirklich so schlimm, wie sie immer be-schrieben werden? Es gibt keinen Zweifel daran, daß die Be-dingungen viel schlechter sind als im„normalen“ Strafvollzug.So hat man unsz.B. auf die Frage, ob die Häftlinge kei-nen Umschluß hätten, geantwortet, da esHäftlinge aus so vielen unterschiedlichenLändern und Regionen gäbe, die sich un-tereinander feindlich gesinnt wären, wä-re dieses nicht möglich, weil die Contai-nerkonstruktion eventuelle körperlicheAuseinandersetzungen nicht aushaltenwürde. Andererseits haben die über 100Abschiebehäftlinge in vier Gruppen je-weils eine Stunde Hofgang am Tag: in an-deren Worten sie sind 23 Stunden am Tagzu dritt in Räumen, die gerade mal Platzhaben für zwei Betten übereinander undein drittes Bett daneben. Sie können sogesehen also nur im Bett sitzen oder lie-gen und sich bestenfalls mit ihren Zel-lenkollegen unterhalten.

Habt Ihr auch mit Abschiebehäftlingen

gesprochen? Ja, aber nur sehr kurz, diese Art von In-formationsbesuch ist nicht geeignet, füreinzelne Leute etwas zu erreichen unddeshalb läuft man immer Gefahr, bei denMenschen, mit denen man spricht, Hoff-nungen zu wecken, die man aber in kein-ster Weise danach erfüllen kann. Es ist jaklar, daß diese Häftlinge sich mehr per-sönliche als unbedingt allgemeine politi-sche Gedanken machen über das de fac-to abgeschaffte Asylrecht, die Abschie-bungen, die Abschiebehaft etc. Man hatuns also gefragt, ob wir mit Häftlingenreden wollten, und uns dann wiederumgeantwortet, man würde die Leute in denverschiedenen Zellen fragen, ob sie uns„empfangen“ wollten. Ein Bediensteterhat so getan, als würde er in 4 oder 5 Zel-len nachfragen, bis er schließlich einefand und uns aufforderte, einzutreten.

In der Zelle waren also zwei Iraker undein Türke. Es waren alle drei Kurden, daswar wohl auch der Grund, weshalb sievon den Verantwortlichen in eine Zellegelegt worden waren. Nachdem wir einpaar Worte mit den beiden irakischenKurden gewechselt hatten, kam plötzlichvom Flur einer unserer „Begleiter“ undmeinte zu den beiden: „Ihr zwei könnt eu-re Sachen packen, ihr könnt gehen.“ Zuuns meinte er nur: Eben kommt das Fax.Die sind frei.“ Uns, die wir total verdutztda standen, haben sie dann erklärt, diewürden wahrscheinlich eine Fahrkartezu einem Amt bekommen, wo sie sichdann melden müßten, zwecks Wiederun-terbringung in einem Heim – aber siewüßten nichts Genaues, da sie das „ebeneingegangene“ Fax ja noch nicht gesehenhätten. Offensichtlich war den Anstalts-verantwortlichen es nicht einmal zupeinlich, uns diese Szene vorzuspielen,denn sicherlich wäre im Falle der Ab-schiebung (anstatt der Freilassung) derbeiden unsere Anwesenheit nicht so ge-nehm gewesen.Was hatten denn die Verantwortlichen zuden Selbstmordversuchen zu sagen?

Bei diesem Thema wurden sie,wenn siesich auch vorher schon von ihrer Agres-sivität gelöst und sich ziemlich „jovial“locker benommen hatten, sichtlich ner-vös.Wenn man vorher alle unsere Fragenspontan und einfach (stellenweise viel-leicht etwas banalisiert) beantwortethatte, nahm man hier erst einmal Bezugauf den Anstaltsleiter. Dieser hatte amTag zuvor, bei einem Vorbereitungsge-spräch zu unserem Besuch, seinen Vertre-

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halt der Stadt Essen bringen. Dertatsächliche Wert der Allbau AG wird auf2,2 Milliarden DM geschätzt – auch fürkurzfristige Haushalts-Effekte wäre dasein ausgesprochen schlechtes Geschäft.

Seit 1919 gibt es die Allbau AG. Mit ei-nem auch in den letzten Jahren erweiter-ten Bestand von knapp 19000 Wohnun-gen ist sie der größte Essener Vermieter.Ca.7 % der Essener Bevölkerung wohnenin Allbau-Wohnungen. Der Mietpreis istmit 7,50 DM/qm relativ niedrig und wirktsich auf den Mietspiegel und das Mietni-veau senkend aus. Dabei hat die AllbauAG keinen schlechten Ruf: Bei der Woh-nungsvergabe spielen soziale Kriteriennach wie vor eine Rolle, bei nötigen Re-novierungsarbeiten gibt es wenig Pro-bleme.Trotzdem erwirtschaftet sie einenkleinen Gewinn für den städtischenHaushalt.

Viele befürchten, daß sich diese Be-dingungen durch eine Privatisierungdrastisch verschlechtern. Privaten Woh-nungsbaukonzernen – mehrfach war dieRede davon, daß VEBA-Wohnen Interes-se hat – geht es ausschließlich um Grund-rente und Profit.Die aus der Tradition ei-nes gemeinnützigen Betriebes stammen-de Verpflichtung, Einnahmen wieder imSinne der Mieter zu verwenden, würdefallen. Aus solchen Gründen ist auch derDeutsche Mieterbund e.V. gegen die Pri-vatisierung von kommunalen Wohnungs-beständen. Nach seinen Angaben stehenin der BRD derzeit 350–650000 Wohnun-gen aus Beständen des Bundes, der Län-der, Kommunen und Rentenversiche-rungsträger zum Verkauf an.

Als einzige Fraktion des Rates habensich in Essen B’ 90/Die Grünen gegen ei-ne Privatisierung des Allbau ausgespro-chen. Einen entsprechenden Antrag imRat hat die Mehrheitsfraktion SPD ge-meinsam mit der CDU Ende Nobemberabgelehnt – die Frage soll weiter geprüftwerden. Daraufhin haben verschiedenepolitische Kräfte Mieterversammlungenorganisiert, über 4000 Mieter sprachensich in einer Unterschriftensammlunggegen den Verkauf aus. Ende letzten Jah-res bildete sich eine Allbau-Mieter/in-nen-Initiative. Ein erster, großer Erfolgihrer Bemühungen: Zur Ratssitzung am25.2.1998 demonstrierten an die 1000Leute.

Die Demonstration war auch derStartpunkt für ein Bürgerbegehren nachder nordrhein-westfälischen Kommu-nalverfassung. Ein solches Bürgerbegeh-ren ist rechtlich möglich, es muß aller-dings von 48 000 wahlberechtigten Ein-wohnern unterzeichnet werden. Das isteine sehr hohe Hürde, die Aktion ist je-doch ausgesprochen gut angelaufen. Fürdie weitere Auseinandersetzung ist wich-tig, daß sich auch erste Gewerkschafts-gliederungen wie der Bezirksverbands-tag der IG Bau und die GewerkschaftHBV gegen eine Privatisierung des All-bau ausgesprochen haben. Diese Ent-wicklung zeigt insbesondere bei der SPDschon Wirkung. wof

Festung Europa

Abschiebeknästeabschaffen!Die PDS-Bundestagsabgebordnete Ulla Jelpke war am 11. März inMannheim, um das Abschiebegefängnis zu besuchen. Das nach-folgende Interview führten wir mit Chantal, die Ulla Jelpke alssprachkundige Person in den Abschiebeknast begleitete) tht

PB 7/98 • REGIONALES AUS WEST UND OST 15

FRANKFURT/MAIN. Die Flüchtlingsorga-nisation PRO ASYL hat jetzt am Frank-furter Flughafen eine unabhängigeRechtsberatung eingerichtet. In ihremSpendenaufruf heißt es:

„Weil das Bundesinnenministeriumseit fast zwei Jahren die vom Bundesver-fassungsgericht geforderte Rechtsbera-tung am Flughafen blockiert, hat PROASYL nun am Frankfurter Flughafen ei-ne unabhängige Rechtsberatung einge-richtet… Bereits am ersten Tag derRechtsberatung wurden einem irani-schen Flüchtling und einer irakischen Fa-milie nach dem Einlegen von Rechtsmit-teln die Einreise durch das FrankfurterVerwaltungsgericht erlaubt… Ihre Asyl-anträge waren durch das Bundesamt fürdie Anerkennung ausländischer Flücht-linge im Schnellverfahren als „offen-sichtlich unbegründet“ abgelehnt wor-den… Der Bundesinnenminister will kei-nen effektiven Rechtsschutz für Flücht-linge. Dies beweist auch ein Entwurf des

Bundesinnenminsteriums der kürzlichveröffentlicht wurde: Bei der Übergabedes Asylablehnungsbescheides infor-miert der Bundesgrenzschutz – also dieabschiebende Behörde – über die Mög-lichkeit der Beratung. Der Kontakt zuAnwälten wird ebenfalls vom BGS her-gestellt. Die Beratung der Flüchtlingefindet in den Räumen des BGS statt. Sieschließt keinerlei Rechtsvertretung ein…Dieses Modell ist eine absolute Zumu-tung. Flüchtlinge sollen von denen, diefür ihre Abschiebung zuständig sind,über die Möglichkeit der Rechtshilfe in-formiert werden. Die Beratung bleibt re-duziert auf die Chancen einer Klage.Wasdas in einer Situation bedeutet, in derFlüchtlinge nicht mehr als drei Tage Zeitfür die Einlegung von Rechtsmitteln blei-ben, liegt auf der Hand: Abschiebung…“ PRO ASYL bittet um Spenden für dieRechtshilfe: Kto. 8047300, Bank f. Sozial-wirtschaft Köln, BLZ 37020500.PRO ASYL, 10.3.98

Günter Grass bekundetSolidaritätKÖLN. In einem offenen Brief an den Innen-minister von Nordrhein-Westfalen, Franz-Jo-sef Kionla, solidarisiert sich nun auch derSchriftsteller Günter Grass mit der Pro-testaktion kurdischer Flüchtlinge gegen Ab-schiebungen in die Türkei.Wörtlich heißt es in dem Brief:„Immer wieder erfahre ich von Fällen, in de-nen die erzwungene Rückkehr in die Türkeimit lebensbedrohlichen Umständen, Gefan-genschaft und Folter verbunden ist. Insbe-sondere seit meiner Rede, die ich im Okto-ber letzten Jahres als Laudatio für Yasar Ke-mal, den Friedenspreisträger des DeutschenBuchhandels, in der Frankfurter Paulskirche

hielt, erhalte ich permanent Briefe mit derdringenden Bitte um Unterstützung. Ich wende mich mit diesem offenen Brief anSie und hoffe, daß es ihnen gelingt, einenAbschiebestopp in die Türkei anzuordnen.Allein in Köln, Düren und Aachen wird nun-mehr über 100 abgelehnten Asylbewerbernvon, wie man mir berichtet, sechzehn evan-gelischen und katholischen Gemeinden Zu-flucht gewährt.Ich solidarisiere mich mit dieser Aktion, inder Flüchtlinge, Menschenrechtsgruppenund christliche Gemeinden zusammenwir-ken und auf eine grundlegende Änderung derdeutschen Abschiebepolitik in die Türkeihinarbeiten. Es würde mich freuen, schonbald von einem Erfolg in dieser Sache zuhören.“ u.b.

tern erklärt und ihnen aufgetragen es unszu erklären, wie es zu dieser doch ziem-lich hohen Anzahl an Selbstmordversu-chen gekommen war. Und zwar habe esin Wirklichkeit nur ein bis zwei „richti-ge“ Selbstmordversuche gegeben, vonHäftlingen, von denen sich einer zur Zeitnoch im Gefängniskrankenhaus befin-det. Die anderen vier bis fünf Versuchewären eigentlich nur Versuche gewesen,sich zu verletzen, und der Anstaltsleiterhabe zur Sicherheit dieser Häftlinge die-se Versuche höher, dramatischer einge-stuft, um die „selbstmordgefärdeten“Häftlinge nämlich schon auf dem Na-mensschild neben den Zellentüren alssolche kennzeichnen zu können,damit sienie allein gelassen werden.Das wollte derAnstaltsleiter uns doch mitgeteilt wissen,wurde uns mehrmals wiederholt, daß erdas extra gesagt hatte, daß also diese Ver-suche eigentlich gar keine Selbstmord-versuche waren, sondern Selbstzer-störungsversuche.

Auf die Frage, was denn der Anstalts-leiter unter dem „Phänomen der Nach-ahmung“ (in verschiedenen Zeitungsin-terviews erwähnt) verstehen würde, er-klärte man uns: wenn z.B. die Häftlingemerken würden, daß ein Häftling, der ei-nen Selbstmordversuch begangen habe,auf einmal nicht mehr da wäre, würdensie sich vorstellen, dieser wäre wegen desVersuchs freigekommen. Oder, wenn z.B.die beiden Häftlinge, deren Freilassungwir gerade erlebt hätten, vor ein paar Ta-gen mal angedeutet hätten, sie würdenjetzt nichts mehr essen, könnten andereHäftlinge auf die Idee kommen, jetztwären sie frei, weil sie nichts mehr ge-gessen hätten – und also könnten sie jaauch mal versuchen, nichts mehr zu es-sen.Habt Ihr auch das Thema Taschengeld an-gesprochen? Ja, es ist in der Tat so, daß die Häftlingein Mannheim nicht die gesetzlich festge-legten 80 bzw. neuerdings 56 (???) Markvom Sozialamt erhalten, sondern ledig-lich „bei Bedarf“ aus einem „Topf“ derHaftanstalt ein paar Mark wöchentlichbekommen. Auf die Frage, wieso, das sosei, erklärte man uns, das MannheimerSozialamt könne sich seit über zwei Jah-ren nicht dazu durchringen, ein „zufrie-denstellendes“ Antragsformular zur Ver-fügung zu stellen. Tatsächlich wolle dasSozialamt Mannheim nicht aufkommenfür Abschiebehäftlinge, die anderenStädten zugeordnet wurden.

Grundsätzlich kann man festhalten,daß durch diese Art der Unterbringung(Baustellencontainer) und die Art derÜberwachung durch einen privaten Si-cherheitsdienst ein Gefühl vermitteltwird, als habe man es hier nicht mit er-wachsenen Menschen sondern viel ehermit Kleinkindern oder Haustieren zu tun.Nur aus so einem Gefühl heraus kannauch die perfide Argumentation derNachahmung entstehen und vertretenwerden.

Rechtshilfe am FlughafenPPRROO AASSYYLL

16 REGIONALES AUS WEST UND OST • PB 7/98

Offenbar ermuntert durch die große Beteili-gung bei ihrer Demonstration gegen die Aus-stellung über Wehrmachtverbrechen inDresden vor einigen Wochen will die neofa-schistische NPD in diesem Jahr am 1. Maibundesweit zu einem Nazi-Aufmarsch nachLeipzig mobilisieren. Hier ein Aufruf desLeipziger Bündnisses, das sich gegen die-sen Plan gebildet hat.

Ähnlich wie 1997 wollen auch in diesemJahr die Nazis unter der Führung derNPD/JN einen Aufmarsch durchführen.Beim Ordnungsamt wurde dieser bereitsam 7. Mai 1997 für 10000 bis 15000 Per-sonen angemeldet. Als Treffpunkt wirdbis jetzt 11 Uhr,Völkerschlachtdenkmalgenannt. Was letztes Jahr noch scheiter-te, soll dieses Jahr um so größer nachge-holt werden.

Nach dem – seit langer Zeit größten –Aufmarsch am 1. März 1997 in München,dem Aufmarschversuch am 1. Mai 1997in Leipzig und dem sachsenweit größtenAufmarsch am 24. Januar 1998 in Dres-den, dem Treffen am 7. Februar diesenJahres in Passau, Nibelungenhalle, beidem sich 5000 Nazis mit dem Versprechenverabschiedeten, sich im 1. Mai in Leip-zig wiederzutreffen, wird im Mai diesen

Jahres wieder dazu aufgerufen, eineGroßstadt einzunehmen: am 1. Mai 1998soll Leipzig Schauplatz tausender Naziswerden.

Sollte ihnen dies gelingen, wird es fürprogressive Kräfte immer schwierigerwerden, soziale und politische Rechtewahrzunehmen und durchzusetzen.

Der Einfluß der NPD/JN zeigt sich inbesonderem Maße in Sachsen. Mit ca.1000 Mitgliedern existiert hier der größ-te Landesverband, gleichzeitig stelltLeipzig mit ca. 200 Mitgliedern den bun-desweit stärksten Ortsverband der NPDdar. Im nahegelegenen Dresden befindetsich die JN-Bundesgeschäftsstelle dieerst am 24. Januar ihre Mobilisierungs-fähigkeit unter Beweis gestellt hat.In denletzen Jahren hat sich die NPD/JN alsAuffangbecken verbotener und selbst-aufgelöster Naziorganisationen und de-ren Umfelds erwiesen.

Am 1. Mai 1998 gilt es zu verhindern,daß die NPD/JN den Tag als Bühne fürihre rassistischen und nationalistischenParolen benutzen, indem sie sich schein-bar hinter sozialen Forderungen ver-stecken. Den Nazis muß an diesem Tagmit Vehemenz dort entgegengetretenwerden wo sie sich versammeln wollen.

Für eine Reform desStaatsbürgerschaftsrechts

Am 26. März stellten Politiker/innen vonSPD, Grünen und PDS aus Brandenburgund Berlin eine „Altlandsberger Er-klärung“ vor, die einen neuen Anlauf zurReform des Staatsbürgerschafts verlangt:

Die Frage der erleichterten Einbürge-rung wird in Deutschland solange in-nenpolitisches Thema sein, bis sie po-sitiv gelöst ist. In dem brandenburgi-schen Ort Altlandsberg hat sich einPersonenkreis gefunden, der diesewichtige Frage erneut auf die politischeTagesordnung setzen will. Die „Alt-landsberger Erklärung“ knüpft an andie Erklärung des Evangelischen Kir-chentages 1993,das „Referendum Dop-pelte Staatsbürgerschaft“, die Initiati-ven der Parteien im Deutschen Bun-destag und die vielen kleinen undgroßen Aktionen in der ganzen Bun-desrepublik. Unsere Demokratie wirdden Zustand nicht dauerhaft aushaltenkönnen, daß in diesem Land Menschenals „Ausländer“ ausgegrenzt werden,die längst ihren Lebensmittelpunkt beiuns gefunden haben oder sogar hier ge-boren sind.

Kaum ein Land ist bei der Vergabeder Staatsbürgerschaft so rigide wiedie Bundesrepublik Deutschland. Im-mer noch entscheidet die deutsche Ab-stammung über die Staatsangehörig-keit (Art. 116 des Grundgesetzes). Stattdessen sollten alle, die Ihren Lebens-mittelpunkt in unserem Land gefundenhaben, oder hier geboren sind, unbüro-kratisch deutsche Staatsbürgerinnenund Staatsbürger werden können. Da-zu gehört auch die Ermöglichung derdoppelten Staatsbürgerschaft.

Gleiche Rechte und Pflichten für al-le fördern Integration und gesell-schaftlichen Frieden. Angesichts derfortdauernden fremdenfeindlichenAngriffe setzen wir uns dafür ein, dasdeutsche Staatsangehörigkeitsrechtvon 1913 neu zu regeln und das Grund-gesetz entsprechend zu gestalten.

Wir fordern die Fraktionen desDeutschen Bundestages und die ver-antwortlichen Politikerinnen und Poli-tiker auf, endlich die überfälligen ge-setzlichen Regelungen zu schaffen.

Zu den Erstunterzeichnenden gehören:Regine Hildebrandt, Sozialministerin • And-reas Schulz, B’ 90/Grüne • Giyasettin Sayan,PDS-MdA • Ismail Hakki Kosan, Grüne-MdA• Steffen Reiche, SPD-Landesvorsitzender •Matthias Platzek, Minister für Umwelt • Hart-mut Meyer,Stadtentwicklungsminister • AlwinZiel, Innenminister • Wolfgang Birthler, SPD-MdL, Fraktionsvorsitzender • Prof. Rosenbau-er, ORB-Intendant • Lothar Bisky, PDS-Vorsit-zender • Almuth Berger, Ausländerbeauftragte• Ravindra Gujjula, Bürgermeister Altlands-berg • Riza Baran, MdA Bündnis 90/Grüne •Wolfgang Thiel, PDS-Landesvorsitzender •Dagmar Enkelmann, Rolf Kutzmutz, PDS-MdBs • Michael Schumann, PDS-MdL u.v.a.m.

OO- TT OO NN

Etwa 500 Personen demonstrierten am 28. März in Berlin gegen die geplanteNovellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die darin vorgeseheneStreichung von Sozialleistungen für „geduldete“ und illegal eingereiste Flücht-linge. Aufgerufen hatte ein Bündnis von antirassistischen und politischen Grup-pen. Die Demonstration stand unter dem Motto: „Keine Vertreibung! Kein Aus-hungern von Flüchtlingen! Uns reicht’s!“ Zwei Tage vorher hatte der Bundes-tag das im Bundesrat von der großen Koalition in Berlin eingebrachte und dortbereits mit der Mehrheit der Länder beschlossene Gesetze seinerseits erstmalsberaten und eine Anhörung Ende April beschlossen. rül

Aufruf der Leipziger „Initiative 1. Mai ohne Naziaufmarsch“

Den Naziaufmarsch am 1. Maiverhindern!

GEMEINDEFINANZBE-RICHT: Düsseldorf. Der Ge-

meindefinanzbericht desDeutschen Städtetages weist

aus, daß die Einnahmen der Städte imvergangenen Jahr deutlich hinter denErwartungen zurückgeblieben sind. DieGesamteinnahmen lagen 1997 in Ostund West um 2,8% oder 8 Mrd. DM un-ter denen von 1996, als die Einnahmenebenfalls rückläufig gewesen waren.Nur eine Senkung der Ausgaben um2,9% (nach 3,2% in 1996) verhinderte ei-nen Anstieg des Finanzierungsdefizits(6,3 Mrd. DM nach 6,6 Mrd. 1996). An-gesichts des für 1998 erwarteten weite-ren Einnahmerückgangs rechnet derStädtetag bei stagnierenden Ausgabenmit einem Defizit von 8,4 Mrd. DM indiesem Jahr. Weitere Einschränkungender kommunalen Leistungen und Inve-stitionen werden bei wieder wachsendenSozialhilfeleistungen nicht zu vermei-den sein. Bei den Ursachen hebt der Ver-band besonders den Verfall der veran-lagten Einkommenssteuer von 41,5 Mrd.DM im Jahre 1992 auf nur noch 5,8 Mrd.DM im vergangenen Jahr hervor. Fernerstünden Mindereinnahmen durch dieErhöhung der Gewerbesteuerumlagefest, während die Einnahmen aus derGegenfinanzierung noch nicht zu quan-tifizieren seien. Es stelle sich „zuneh-mend die Frage nach der Vertretbarkeitweiterer Leistungseinschränkungen fürdie städtische Bevölkerung.“

GEGEN PFLEGEKATASTROPHE:München. Auf „helles Entsetzen“ ist imMünchner Rathaus der Plan der Bun-desregierung gestoßen, die „Pflichtquo-te“ von mindestens 50 % Fachkräften inAltenpflegeheimen aufzuheben.OB Ude(SPD) verlangte in einem Brief an Ar-beitsminister Blüm, dies unverantwort-liche Vorhaben fallenzulassen und ersteinmal die Wohlfahrtsverbände, die be-rufsständischen Organisationen sowieStädte und Länder zu hören,„bevor wei-terer Schaden in den Pflegeheimen an-gerichtet wird.“ OB und Sozialreferentriefen die Betroffenen zu Protestaktio-nen auf. Unterdessen haben sich am26.3. nach Angaben von Familienmini-sterin Nolte (CDU) Bundesregierung,Wohlfahrtsverbände, Pflegekassen undkommunale Spitzenverbände darauf ge-einigt, die Pflichtquote ab Oktoberzunächst für zwei Jahre auszusetzen.

„BESCHÄFTIGUNGSPAKT“: Mann-heim. In den Etatberatungen 1998/99 be-antragte die Fraktion der Grünen einen„Beschäftigungspakt für die Stadtver-waltung und die städtischen Gesell-schaften“. Er soll beinhalten, daß über1999 hinaus keine betriebsbedingtenKündigungen ausgesprochen werden;daß individuellen Wünschen von Arbeit-nehmerInnen auf Reduzierung ihrer Ar-beitsstunden grundsätzlich entsprochen

wird, wobei eine Befristung vereinbartwird und die Rückkehr zur vorherigenArbeitszeit möglich ist. Die Stadtver-waltung verpflichtet sich, die „freige-machten Stunden“ in neue Stellen um-zusetzen und arbeitslose Menschen ein-zustellen. Der Antrag wurde in den Per-sonalausschuß delegiert, eine Stellung-nahme der Verwaltung festgelegt.

MITBESTIMMUNG GEFORDERT: Es-sen. In den nächsten Jahren sollen diebisherigen Ämter der Stadtverwaltungzunehmend verselbständigt werden undals „Konzern Stadt“ Dienstleistungenerbringen. Um die Arbeitnehmerrechtezu wahren, fordert die ÖTV die Bildungeines Konzernbetriebsrates, den dieStadt bisher ablehnt. Nach einem vonder ÖTV in Auftrag gegebenen Rechts-gutachten gibt es darauf zwar keinenRechtsanspruch, seiner Einrichtung mitvereinbarten Mitbestimmungsrechtenstünde jedoch nichts im Wege. Die Ge-werkschaft will die Zersplitterung und Schwächung der Personalvertretungendurch die neuen Strukturen verhindern,die durch die Ausrichtung am Markt un-ter wachsenden Druck kommen werden.

VERKEHRSTARIFE: Köln. Die KölnerVerkehrsbetriebe wollen ab Herbst dieGeltung der Schülerfreifahrkarten fürSchüler,die zwischen 2 und 5 km von derSchule entfernt wohnen, einschränken.Konnten diese bisher ganztägig genutztwerden, so sollen sie nur noch bis 18.00Uhr an Wochentagen und bis 15.00 Uhram Samstag gelten. Dies bringt, insbe-sondere für kinderreiche Familien, er-hebliche Mehrbelastungen, wenn dieKinder nach 18.00 Uhr oder am Wochen-ende zum Sport oder zum Baden wollen.

FABRIKVERKAUFSZENTREN: Ber-lin. Nach Ansicht des Deutschen Städte-und Gemeindebundes gefährden Fabrik-verkaufszentren auf der grünen Wiese,wie sie nach amerikanischem Vorbildauch in mehreren Orten in Deutschlandgeplant sind, den Handel in den Innen-städten. Sie dürften nur in Ausnahme-fällen zugelassen werden und auf keinenFall dürften dabei die Belange der um-liegenden Gemeinden gefährdet werden.

VERPACKUNGSVERORDNUNG:Bonn. Die kommunalen Spitzenverbän-de haben Bund und Länder aufgefor-dert, die Verpackungsverordnung jetztnicht „um jeden Preis“ zu novellieren,sondern in der nächsten Legislaturperi-ode eine Reform „an Haupt und Glie-dern vorzunehmen.Auf keinen Fall wer-de die kommunale Seite Lösungen mit-tragen, bei denen die Verwertungsmög-lichkeiten von Abfall privatisiert unddamit verbundene Risiken kommunali-siert würden, hieß es anläßlich der Be-ratung der Novelle am 27. 3. Im Bundes-rat. Zusammenstellung: ulj

PB 7/98 • REGIONALES AUS WEST UND OST 17

KKOOMMMM

UUNNAALLEE

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UUNNAALLEE

PPOOLLIITTIIKK

PPOOLLIITTIIKK

Damit inbegriffen ist eine Abgrenzungvon Rufen nach mehr „Innerer Sicher-heit“, Verschärfung des Asylrechts undeiner weiteren Propagierung der „Stand-ortlogik“. Gerade die Zusammenhänge,die zwischen den Forderungen der NPD– „Arbeit zuerst für Deutsche“, „Auslän-derstopp“ – und den diskriminierendenRichtlinien bei der Arbeitsvergabe undder de facto Abschaffung des Rechts aufAsyl bestehen, sind mitverantwortlichfür ein Klima, welches Ausgrenzung undÜbergriffe auf MigrantInnen zuläßt, le-gitimiert und provoziert.

Die Möglichkeit für ein Verbot des Na-ziaufmarsches ist dieses Jahr eher gering.Aufgrund der zeitigen Anmeldung derDemonstration und dem Status einerWahlkampfveranstaltung der NPD istein Verbot aus Gründen des Polizeinot-stands nicht zu erwarten.

Die Ereignisse im Zusammenhang mitder Demonstration in Dresden aber zei-gen, daß von der NPD und ihrer Jugend-organisation JN mehr denn je eine realeGefahr ausgeht. Schon allein deshalbdarf der NPD mit diesem Aufmarsch kei-ne Plattform gegeben werden!

Ein vereintes Vorgehen eines breitge-fächerten Bündnis ist vonnöten! Wir ru-fen deshalb alle antifaschistischen unddemokratischen Kräfte auf, den Na-ziaufmarsch am 1. Mai zu verhindern!

Initiative 1. Mai ohne Naziaufmarsch

UnterstützerInnen:

Antifa Schulnetz • Bündnis gegen Rechts• Quertext (alternative Schülerzeitung) •Villa e.V. • Halle 5 e.V. Initiative für eineVereinigte Linke • Bündnis 90/Die Grü-nen Landesvorstand Sachsen • Referatfür Frauen- und Lesbenpolitik des STU-RAs der Uni Leipzig • Frauenkultur e.V.• Theaterprojekt Anasyndia • großstadt-KINDER e.V. • Annelie Buntenbach(MdB - Bündnis 90/Die Grünen) • DSLeipzig • Peter Wasem (stellv.Vorsitzen-der PDS-Leipzig) • Infoladen Leipzig

Treffpunkte:

1.Völkerschlachtdenkmal:Ab 8.00 Uhr. Hier findet zwischen 9.00und 12.00 Uhr eine Veranstaltung der IGMetall und des Bundes der Antifaschi-sten statt.

2. Weißeplatz:Hier ist ab 9.00 Uhr eine 1. Mai-Veran-staltung der PDS angemeldet.

3. Nauenhofer Straße/Ecke Schönbach-straße:Die ökologische Linke hat hier für 10.00bis 11.00 Uhr eine Kundgebung ange-meldet.

4. Connewitzer Kreuz:Ab 9.00 Uhr findet hier die traditionelle1. Mai-Demo statt.

Kontakt, Infos: Initiative 1.Mai ohne Naziaufmarsch,c/oPF 101417, 04014 Leipzig

18 REGIONALES ALS WEST UND OST • PB 7/98

Die AufruferInnen der Demonstration gegenjeden rechten Konsens versammelten sicham Montag, dem 16.3.1998, in der JungenGemeinde Jena, um die Ereignisse am 14.3.(siehe Politische Berichte 6/98 – Red.) zuanalysieren und Schlußfolgerungen für dieweitere politische Arbeit zu ziehen.

1. Die Initiatoren werden im LandkreisSaalfeld/Rudolstadt solange zu Ak-

tionen und wenn es notwendig ist zu De-monstrationen aufrufen, bis der rechteKonsens durchbrochen, rassistische undfaschistische Übergriffe gestoppt, dieStadt sowie der Landkreis sich zu einerPolitik des antifaschistischen und anti-

rassistischen Konsenses besinnt und esauch in Saalfeld möglich wird, entspre-chend dem Grundgesetz frei zu demon-strieren.

Man werde genau beobachten,wie sichdie städtische Politik in den kommendenWochen entwickele und welche konkreteMaßnahmen gegen die Rechtsentwick-lung und den Versuch der Neonazis, imLandkreis soziale Räume zu „erobern“und die Meinungsführerschaft zu erlan-gen („National befreite Zone“), umge-setzt werden.Auch das Jugend- und Kul-turzentrum Gorndorf, das u.a. am 14.3.von der terroristischen Neonaziorganisa-tion „Thüringer Heimatschutz“ als Treff-

punkt und Ausgangspunkt für Provoka-tionen gegen antifaschistische Demon-stration genutzt wurde, wird wieder inden Vordergrund der antifaschistischenPolitik gerückt.

2. In der folgenden Zeit werden folgen-de konkrete Maßnahmen ergriffen.

a) Es wird eine Dokumentation der Er-eignisse am 14.3. erstellt, die den Bürge-rInnen Saalfeld, den verschiedenen In-itiativen und Organisationen sowie denMedien zur Verfügung gestellt wird. Indieser Dokumentation werden durch Au-genzeugenberichte unter anderem dieGewaltmaßnahmen von Polizeieinheitendokumentiert.

b) Die Auflagen des Landratsamtes ge-gen die antifaschistische Demonstrationwerden einer juristischen Überprüfungunterzogen und in einem Hauptverfah-ren gerichtlich behandelt.

c) Die polizeilichen Übergriffe bzw.Unterlassungen werden zur Anzeige ge-bracht.

d) Dieser Dokumentation wird inSaalfeld eine öffentliche Anhörung desBündnisses folgen. Es werden Antifa-schistInnen, die Opfer polizeilicherÜbergriffe geworden sind, aber auch Ver-treterInnen des Landes und der Stadteingeladen.

Im Vordergrund der Aktivitäten inSaalfeld werde stehen, die EinwohnerIn-nen gegen rechtsextreme Entwicklungenzu gewinnen und den Einfluß derer, diedie Politik des rechten Konsenses betrei-ben, zurückzudrängen. Man sei sich si-cher, daß die Mehrheit der SaalfelderIn-nen bei entsprechender sachlicher Auf-klärungsarbeit für den antifaschisti-schen Konsens zu gewinnen sei.

e) Mit Hilfe einer Sonderzeitung wirddie bundesweite Öffentlichkeit über denrechten Konsens in Thüringen und diedurch den Innenminister Dewes zu ver-antwortenden polizeistaatsähnlichenMaßnahmen und Einschränkungen de-mokratischer Grundrechte informiertund konkrete Maßnahmen auch in Rich-tung Landtags- und Bundestagswahlenzur Diskussion gestellt.

f) Der durch die Stadt angekündigtemultikulturelle Tag am 27. Juni werdedurch das Bündnis mit antirassistischenund antifaschistischen Aktivitäten be-gleitet.

g) Anläßlich des 60. Jahrestages derReichspogrome wird es in Saalfeld zuVeranstaltungen „Das Fremde wird ge-macht“ kommen. Als Gesprächspartne-rInnen werden deutsche Juden und deut-sche Schwarze eingeladen.

h) Im Rahmen des landesweiten anti-faschistischen Ratschlages am 7. Novem-ber in Erfurt wird die Auseinanderset-zung mit der deutschen Geschichte und

Friedliche Demonstration gegen jeden rechten Konsens wurde mit polizeistaatsähnlichen Maßnahmen bekämpft

Antifaschistisches Bündnis zieht Konsequenzen

Während die antifaschistische Demonstration am 14.3. in Saalfeld (Bild oben) mas-siv behindert wurde (Bilder auf der nächsten Seite), konnten über 200 Neonazis un-ter Polizeischutz ungehindert demonstrieren (Bild unten).

PB 7/98 • REGIONALES AUS WEST UND OST 19

Im folgenden die Presseerklärung des Bünd-nisses gegen Rechts Saalfeld .

1 000 Menschen bei der Demonstrationin Gedenken an Jana „Wandelt Wut undTrauer in Widerstand“

Mehr als 1000 Menschen gedachten amSamstag, dem 28. März, der 14jährigenJana G., die zwei Tage zuvor im Saalfel-der Stadtteil Gorndorf von einem15jährigen rechtsorientierten Jugendli-chen erstochen wurde.

Die Redner warnten vor einer rechtenNormalität, in der Morde an Andersden-kenden und Andersaussehenden,Auslän-derInnen und Linken möglich wurdenund immer häufiger werden.

Die Veranstalter wiesen den Vorwurfzurück, den Tod von Jana zu instrumen-talisieren. Wer weitere Gewalttaten ge-gen Andersdenkende auch in Zukunftverhindern wolle, dürfe nicht schweigen,sondern müsse der organisierten Rechtenden Nährboden entziehen. Sie brachtenihre Hoffnung zum Ausdruck, nie wiederin Saalfeld aus diesem Grund demon-strieren zu müssen.

Die Behauptung der Behörden, die Tathabe keinen politischen Hintergrund,greife zu kurz. Der Täter gab bei seinerVernehmung an, sich als rechts einzuord-nen und Jana als links. Der Anlaß für sei-ne Tat sei eine Beleidigung durch Jana als„Scheiß-Fascho“ im Herbst des Vorjahresgewesen. Auch die Polizei teilte mit, derTäter habe sich bei den Rechtsextremi-sten etablieren wollen.

Bereits unmittelbar nach der Tat hat-ten Rechtsextremisten den FreundInnendes Opfers angedroht, sie „ebenfalls ab-zustechen“. Auch TeilnehmerInnen derMahnwache am Freitag wurde von Neo-nazis angedroht: „Euch kriegen wir auchnoch“.

Die Niederlegung von Blumen am Tat-

ort durch die NPD sei eine Verhöhnungdes Opfers und müsse als taktische Ent-scheidung gewertet werden,so das Bünd-nis.

Die Organisatoren der Gedenkveran-staltung fordern nun von den Behörden,die Hintergründe der Tat vollständig auf-zuklären. Dabei müsse berücksichtigtwerden, daß die meisten rassistischenund faschistischen Übergriffe von soge-nannten „Einzeltätern“ verübt würden,die in eine rechte Subkultur oder loseGruppenstrukturen,nicht aber in Partei-en oder Organisationen eingebunden sei-en. Über ein gefestigtes rechtes Weltbildverfügten die meisten Rechtsextremistenerst ab einem Alter von etwa 18 Jahren,was die jüngeren jedoch nicht hindere,genau zu wissen,wer als „undeutsch“ an-zusehen und anzugreifen sei.

Die Veranstalter erinnern an die Aus-sage des Brandenburger Generalstaats-anwaltes Rautenberg, daß sich in derrechten Jugendszene eine „faschistoideGewaltbereitschaft“ gegen Menschenentwickelt habe, „die einfach nur anderssind“. Sie breche besonders dort hervor,wo die Nazis versuchten, sogenannte„national befreite Zonen“ zu schaffen.Eines der strategischen Ziele dieses Kon-zeptes sei der Saalfelder Stadtteil Gorn-dorf, den auch der terroristische„Thüringer Heimatschutz“ für seine Agi-tation nutze.

Als „ungeheuerlich“ bezeichnete dasSaalfelder Bündnis gegen Rechts denVorwurf der „BILD-Zeitung“, Antifa-schisten hätten den Mord an Jana zu ver-antworten. Mit diesem Entlastungsargu-ment gebe die „BILD-Zeitung“ der orga-nisierten Rechten Rückhalt für weitereGewalttaten.

Auch in Jena und Berlin fanden am 27.März Gedenk- und Protestveranstaltun-gen statt. •

der aktuellen Rechtsentwicklung im Vor-dergrund stehen. Dabei werden die Stra-tegien der verschiedenen rechtsextremenStrömungen, wie z.B. das Konzept der„national befreiten Zonen“,sowie die Re-aktionen der politisch Verantwortlichenbesondere Aufmerksamkeit bekommen.

Mit VertreterInnen örtlicher und lan-desweiter Initiativen, Organisationen,Parteien und Gewerkschaften werde manberaten,wie eine gesellschaftliche Initia-tive gegen den rechten Konsens, für Men-schen- und Bürgerrechte, gegen dieRechtsentwicklung in Gang gebrachtwerden kann.

Gegen jeden rechten Konsens –Antifaschismus läßt sich nicht verbieten –Stoppt rassistische und faschistische Über-griffe!

Antifaschistischer & Antirassisti-scher Rundbrief, Pressemitteilung, 19.3.

Am 26. März wurde im Saalfelder Stadtteil Gorndorf die14jährige Jana G.erstochen.Schon wenige Stunden nach derTat erklärten die Saalfelder Polizeidirektion und der Thürin-ger Verfassungsschutz, „es gebe keine Hinweise auf ein po-litisches Motiv“, „psychologische Gründe seien für die Tatverantwortlich“. Die Landesarbeitsgemeinschaft Antifa-schismus/Antirassismus kritisierte die Erklärungen und for-derte, daß alle Umstände und Motive der Tat vorbehaltlosgeprüft werden müßten.Nicht zuletzt müsse geprüft werden,wie die politische Orientierung und das politische Umfelddes Jugendlichen, der sich selbst der Neonazi-Szene zurech-net, mit der Tat in Verbindung stünden. Hier seien wenigerdie Erkenntnisse des Staats- und Verfassungsschutzes als dasWissen um die Alltagskultur in Gorndorf gefragt, die immermehr von der politischen Rechten bestimmt werde und inder links-alternative Jugendliche beständig Angriffen aus-gesetzt seien. Der PDS-Landtagsabgeordnete Roland Hah-nemann sagte auf der Demonstration am 28. März: „Es istwichtig, zur Kenntnis zu nehmen, daß es rechte Strukturengibt, die dazu verleiten, Menschen umzubringen.“

Trauer um Jana G.

„… daß es rechte Strukturen gibt, die dazuverleiten, Menschen umzubringen“

20 AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN • PB 7/98

HBV BERLIN: TA-RIFFORDERUNG

AUFGESTELLT: Für denBereich Dienstleistungen undGroßhandel hat die HBV Ber-lin fristgerecht zum 31. Märzden Tarifvertrag gekündigt.Sie fordert eine Lohn- und Ge-haltserhöhung von 200 Markpro Monat, für die Ausbil-dungsvergütungen 5%. Durchdie Begrenzung von Überstun-den soll die Sicherung der Ar-beitsplätze erreicht werden.(Der Tagesspiegel v. 26.3.98)

PROTESTE GEGEN PRIVA-TISIERUNG: Gegen den Ver-kauf des landeseigenen Woh-nungsunternehmens Gehagprotestierten rund 300 Be-schäftigte am 25.3. vor demGebäude der Finanzsenatorin.Seit einem Jahr wird im Senatdarüber diskutiert, ob dasWohnungsunternehmen ver-kauft werden soll. Lehnte dieSPD bisher die Privatisierungvon Wohnungsgesellschaftenab, so hat der letzte Parteitagder SPD diese Position aufge-weicht. Jetzt soll das Land nurnoch eine Mindestbeteiligungbehalten. Die Beschäftigtenbefürchten, daß ihr Unterneh-men an Spekulanten verscher-belt wird und kritisieren dieunzureichende Informations-politik der Finanzsenatorin.(Der Tagesspiegel v. 26.3.98)

PROTESTE VORERST ER-FOLGREICH: Mehr als 1000Beschäftigte der BVG (Berli-ner Verkehrsbetriebe) demon-strierten am 26.3. anläßlichder Aufsichtsratssitzung,12000 Unterschriften warenzuvor im Betrieb gesammeltworden.Auf der Tagesordnungstanden Pläne des Vorstandesüber Privatisierungsvorha-ben, deren Hauptzweck in derTarifflucht bestand. Ein Kon-zept zur Einsparung von 130Mio. Mark, das Beschäftigteder BVG und ÖTV Berlin zu-sammen vorgelegt hatten,wurde bisher vom Vorstandabgelehnt. Mit der Demon-stration sollten die Forderun-gen nach

1. Erhalt der Berliner Ver-kehrsbetriebe als ein Betriebunter der Rechtsform „Anstaltdes öffentlichen Rechts“

2. Beibehaltung der Tarif-verträge

3. Erhalt der Unterneh-mensmitbestimmung in derbisherigen Ausgestaltung

4.Entwicklung der BerlinerVerkehrsbetriebe zum effizi-

enten Dienstleister unter Ein-beziehung der Positionen derGewerkschaft ÖTV Berlin undder betrieblichen Arbeitneh-mervertretungen bekräftigtwerden. Offensichtlich bliebder Protest nicht ohne Wir-kung. Der Aufsichtsrat lehnteden Vorschlag des Vorstandesab und beauftragte die Ge-schäftsführung, neue Vor-schläge vorzulegen. (Presseer-klärung der ÖTV v. 19.3.98,Der Tagesspiegel v. 27.3.98)

150. STREIKTAG BEISCHILDER WARWEG INBIELEFELD: IG-Medien-Vorsitzender Detlef Henschebekundet Solidarität. Anläß-lich des 150. Streiktages derBelegschaft von Schilder War-weg in Bielefeld fordert derGeschäftsführende Hauptvor-stand der IG Medien die Be-schäftigten in Betrieben derDruckindustrie und der Pa-pier- und Kunststoffverarbei-tung in Bielefeld und Ostwest-falen auf,sich an den Aktionenzur Unterstützung der kämp-fenden Belegschaft zu beteili-gen.

Die Belegschaft streikt seitSommer vergangenen Jahresfür einen Haustarifvertrag,nachdem die Geschäftsleitungvon Warweg die Tarifverträgeder Druckindustrie seit Jahrenunterläuft.

Aus Anlaß des 150. Streik-tages hat der Vorsitzende derIG Medien, Detlef Hensche,folgendes Schreiben an diekämpfende Belegschaft ge-richtet:

„Am 27. März 1998 findetder 150. Streiktag bei Warwegstatt.Das ist der längste Streikin der Sozialgeschichte unse-res Landes. 150 Tage Streik -das sind 150 Tage Einsatz füreinen Firmentarifvertrag.Und150 Tage selbstbewußter Ge-genwehr einer kämpfendenBelegschaft.

Ihr habt dem Verhandlungs-boykott und allen Schikanenwiderstanden. Ihr macht mitEurem Beispiel auch anderenBelegschaften Mut.

Die Tarifverweigerung beiWarweg ist ja leider kein Ein-zelfall. Gegen dieses VerhaltenEures Arbeitgebers gibt es zurWahrung unserer verfas-sungsrechtlichen Rechte nureinen Weg, den Ihr eingeschla-gen und bis heute durchgehal-ten habt: den Streik für einenHaustarif. Dafür gebührtEuch Anerkennung, Solida-rität und Unterstützung.“

Stuttgart/Bielefeld, 25. März1998 (Pressemitteilung 057)

BR-WAHL BEI MOHN-DRUCK: IG Medien verfehltdie Mehrheit im Betriebsratnur knapp. Als ein positivesZeichen im Hinblick auf dieSicherung von Tarifrecht undvor dem zentralen Termin fürdie Betriebsratswahlen im Or-ganisationsbereich seiner Ge-werkschaft wertete IG-Medi-en-Vorsitzender Detlef Hen-sche am Montag den Ausgangder Wahl bei Mohndruck inGütersloh: In Europas größterOffsetdruckerei hat die Listeder IG Medien ihren Stim-menanteil nahezu verdoppelt.Die Liste Langewender/Welperreichte neun von 19 Manda-ten und verpaßte die Mehrheitin dem Gremium nur knapp.Bisher waren nur sechs von 23Betriebsratsmitgliedern in derIG Medien organisiert.

Die Gewerkschafterinnenund Gewerkschafter kamenauf 856 von 1785 Stimmen (48Prozent, Zuwachs gegenüberder letzten Wahl: 21 Prozent-punkte). Die bisherige Be-triebsratsmehrheit um denVorsitzenden Jochen Wernererreichte 929 Stimmen (52Prozent, Verlust: 21 Prozent-punkte). Hätten nur 37 Be-schäftigte anders entschieden,dann wäre es zu einem Mehr-heitswechsel im Betriebsratgekommen.

Willi Vogt, Ortsvereinsvor-sitzender der IG Medien inGütersloh und Bezirksse-kretär in Bielefeld, zum Wahl-ergebnis: „Die einzelvertragli-che Zustimmung von mehr als90 Prozent zu den Partner-schaftsmodellen hat nicht diewirkliche Stimmungslage imBetrieb widergespiegelt. Mitdem Wahlergebnis hat fast dieHälfte der Beschäftigten dieForderung der IG Medien nachVeränderungen unterstützt.“Gütersloh/Stuttgart, 16. März1998 (Pressemitteilung 047)

STREIK BEI HERLAG: Seitdem 12.03.98, 6.00 Uhr befin-den sich die Kolleginnen undKollegen der Firma Herlag(Herstellung von Gartenmö-beln, Kinderwagen) in Bever-ungen im Streik.Die Kollegin-nen und Kollegen kämpfen umden Abschluß eines Firmenta-rifvertrages. Diese Tarifver-tragsverhandlungen began-nen im April 1997.Eine münd-liche Einigung über die Lohn-und Gehaltstarifverträge, die

Tabellen sowie über die Aner-kennung der übrigen Tarifver-träge der holz- und kunst-stoffverarbeitenden IndustrieNiedersachsen/Bremen wurdeim September 1997 erreicht.Ein Vertrag wurde dann vonder Arbeitgeberseite nicht un-terschrieben. Statt dessenreichte die Firma im Januar1998 einen Katalog von Ver-schlechterungen nach: • Ar-beitszeit: 39 Stunden, bezahltwerden 35 (vier freiwillige so-zialistische Aufbaustunden) •13. Monatseinkommen, zu-sätzliches Urlaubsgeld: dreiJahre 0 DM • 20 % Lohnkür-zung (Akkorddurchschnittstreichen) • Lohnerhöhung ab1. 3.l998: 1 %; Nullrunden bis31.12.2000.

Die Antwort der Arbeitneh-mer: Jetzt reicht’s: Warnstreikam 5. März 1998, Arbeitneh-mer wurden abgemahnt. Ur-abstimmung am 12.3.98: 99 %stimmen für Streik. Die Pro-duktion und Verladung stehtseit dem 12. März 1998, 6.00Uhr. Parallel dazu läuft dieSchlichtung (keine Friedens-pflicht).

Ohne das Ende der für Mon-tag, 23.3.98 angesetztenSchlichtungsverhandlungüber einen Tarifvertrag abzu-warten, hat die Herlag Fir-menleitung heute Vormittagihre Absicht mitgeteilt, dieFirma zum nächstmöglichenZeitpunkt zu schließen. DemBetriebsrat wurden Verhand-lungen über einen Sozialplanangeboten. Die Beschäftigtenwollen jedoch die angekün-digte Betriebsschließung nichtkampflos hinnehmen. Bei die-ser Auseinandersetzung gehtes um den Abschluß von Tarif-verträgen. Bisher weigert sichdie Firma beharrlich, das am24. September 1997 einver-nehmlich erzielte Ergebnis dereinjährigen Verhandlungen zuunterschreiben. Hintergrund:In den zurückliegenden Jah-ren haben die Beschäftigten„zur Rettung der Firma“ aufUberstundenbezahlung ver-zichtet, auf Urlaubsgeld undWeihnachtsgeld. Betriebs-ratsvorsitzender Ulf Driehorstnimmt kein Blatt vor denMund:“ Es ist einfach eineSauerei,was „die“ hier mit unstreiben. Die Kolleginnen undKollegen lassen sich nicht ver-arschen. Sie sind zu einer har-ten Auseinandersetzung be-reit!“ (PMs der GHK)

Zusammenstellung: alk, har

PB 7/98 • AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN 21

Zukunft der Tarifverträge

„Bei Debis betritt die IG Metall neue Wege“

Nicht ganz unkommentiert wollen wir dieStellungnahme der IG Metall zum Tarifab-schluß bei Debis, einem Software- undDienstleistungsunternehmen der Daimler-Benz AG dokumentieren. Der Stolz der IGMetall, eine tarifliche Absicherung in einemfür Gewerkschaften schwierigen Betrieb er-reicht zu haben, ist berechtigt. Worüber aberdie IG Metall nicht spricht: eine solche Re-gelung ist vielleicht für Konzernbetriebemöglich, aber besteht Aussicht zu ähnlichenRegelungen zu kommen für die große Zahlvon kleineren (im Konzernumfeld angesie-delten) Dienstleistern? Hier liegen Proble-me: Wenn Debis die 40-Stunden-Woche zu-gestanden bekommt (für bis zu 49jährige),dann verstärkt sich der Druck auf die Ar-beitszeiten in allen konkurrierenden und zu-liefernden Unternehmen. Und: was ist dannmit denen Beschäftigten, die als Jüngerelange Arbeitszeiten hinnehmen müssen,aber im Alter nicht bei Debis kürzer tretenkönnen?

Die IG Metall hat für die Daimler-Benz-Tochter Debis einen Tarifvertrag abge-schlossen, der speziell auf die Bedingun-gen der Dienstleistungsbereiche eingeht.Vergangenen Dienstag erzielte sie mitDebis einen Ergänzungstarifvertrag. De-bis verhandelte im Auftrag des baden-württembergischen Metallarbeitgeber-verbands (VMI).

Debis, 1990 als Dachgesellschaft fürdie ausgegründeten Rechenzentren undFinanzdienstleistungen des Daimler-Konzerns gegründet, ist im Lauf der letz-

ÖTV: Tarifvertrag für Unikliniken Ba-Wü

Erstmal Erfolg, aberwirklich dauerhaft?Die ÖTV Baden-Württemberg verweist in ei-ner Pressemitteilung auf den nach hartemKampf erfolgten Abschluß eines Tarifvertra-ges für die Unikliniken, benennt aber selbstals Problem, daß es nicht gelungen ist, dieUnikliniken in die Tarifgemeinschaft, d.h.den Arbeitgeberverband der öffentlichenDienstherren (Bund, Länder, Gemeinden) zubringen. Somit ist nicht endgültig klar, mitwem künftig Tarife für die Unikliniken aus-gehandelt werden. Auf die ÖTV kommt hierein großes Problem zu, denn immer mehr öf-fentliche Betriebe werden in GmbHs u.ä. um-gewandelt, die erstmal keinem Arbeitgeber-verband angehören. Auch Sozialverbändealler Art gehören nicht zu einem Arbeitge-berverband, sind also streng genommennicht tarifgebunden. Hier die Pressemitteilung:

Mit einem eigenen Tarifvertrag,der naht-los an den öffentlichen Dienst anschließt,hat die Gewerkschaft Öffentliche Dien-ste,Transport und Verkehr (ÖTV) Baden-Württemberg die tariflichen Rechte derrund 23000 Beschäftigten an den Uni-versitätskliniken des Landes gesichert.„Wir mußten mit harten Bandagen bishin zu Warnstreiks dafür kämpfen“, er-klärte die stellvertretende ÖTV-Landes-vorsitzende, Christina Frank. „Mit die-sem Tarifvertrag direkt mit allen vierUnikliniken haben nicht nur die derzei-tigen, sondern auch alle künftigen Be-schäftigten die Gewähr auf Teilhabe anFortschritten im öffentlichen Dienst“.

Der Tarifvertrag, der am späten Mon-tagnachmittag zustande kam, sichertgleichzeitig auch allen Beschäftigten inzukünftigen Betrieben, die Universitäts-kliniken gründen, gleiches Tarifrecht mitden Unikliniken. Ein wesentlicher Punktist auch die Anerkennung der bisherzurückgelegten Beschäftigungszeitenzwischen den Universitätskliniken undzwischen Kliniken und Universität.Auchalle Rechte der Beschäftigten aus demUmwandlungsgesetz für die Unikliniken(Universitätsklinikgesetz) sind nun Be-standteil des Tarifvertrags und könnennicht mehr durch den Gesetzgeber wie-der rückgängig gemacht werden.Dies giltvor allem für die zusätzliche Altersver-sorgung im öffentlichen Dienst.

Verbindlich wird auch das Ziel wei-terverfolgt,die Unikliniken,die seit 1.Ja-nuar 1998 in Anstalten des öffentlichenRechts umgewandelt wurden, in den Ar-beitgeberverband des öffentlichen Dien-stes einzugliedern.Die Tarifauseinander-setzungen im öffentlichen Dienst, die zurZeit den Schlichtern Kopfzerbrechen be-reiten, betreffen auch die Universitäts-kliniken. Die strittigen Passagen der Ta-rifverträge sind auch in den neuen Tarif-verträgen gekündigt.

ÖTV Baden-Württemberg , 10.3.98

Interview mit Walter Riesterdirekt: Was ist neu an diesem Vertrag?Riester: Wir haben in Form und Inhaltandere Wege beschritten als bisher üb-lich. Am Beginn der Verhandlungenstand kein Forderungspaket, sondernBetriebsrat und IG Metall haben ge-meinsam analysiert: Wo braucht dergeltende Flächentarifvertrag Ergän-zung, um den Bedürfnissen der Be-schäftigten gerecht zu werden? Direkt: Welche Punkte waren kritisch?Riester: Entgelt, Arbeitszeit und nöti-ge Qualifikation. In allen Bereichenhaben wir akzeptable Lösungen ge-funden, und gleichzeitig sind alleSchutz- und Sicherungsaspekte einesTarifvertrags erfüllt. Beispiel Arbeits-zeit: Die Jüngeren können nun längerarbeiten,wenn es ein Projekt erfordert,aber sie haben die Garantie,daß die ge-leistete Arbeitszeit nicht verfällt. Unddie Älteren arbeiten Jahr für Jahr we-niger. Ich denke, das kommt den Wün-schen der Beschäftigten entgegen.Direkt: Wird der Debis-Vertrag Aus-wirkungen auf andere Unternehmenund Branchen haben?Riester: Das kann ich mir gut vorstel-len. Dieser Tarifvertrag ist ein interes-santer Weg für Dienstleistungsberei-che, die ja neue Anforderungen an dieBeschäftigten und das Unternehmenstellt. Bei Debis hat die IG Metall ge-zeigt, daß sie in der Lage ist, neue Ar-beitsbedingungen im Sinne der Be-schäftigten mitzugestalten.

Mehrere hundert Pflegerinnen und Pfleger sowie von ihnen betreute Patientendemonstrierten am 28. März in Stuttgart unter dem Motto: „Wir funken SOS –gegen die Politik der sozialen Kälte“.Vor allem die – von Ministerin Nolte jetzterstmal zurückgestellte – Änderung des Pflegegesetzes, mit der die Verpflich-tung in den Pflegeeinrichtung wenigstens zur Hälfte Fachpersonal zu beschäf-tigten aufgehoben werden sollte, stieß auf Empörung. Der ÖTV-Geschäftsfüh-rer Gesundheitswesen in Baden-Württemberg wies darauf hin, daß bereits jetztzunehmend Pflegepersonal arbeitslos werde

22 AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN • PB 7/98

ten Jahre zu einem umfassenden Dienst-leistungsunternehmen mit rund 15 000Beschäftigten expandiert, das sich in denSparten Finanzdienstleistungen, Versi-cherungen, Handel, Immobilien, Service-leistungen für Computeranwender undTelekommunikation engagiert.

Nur für die rund 2400 Angestellten,dievon Daimler zu Debis gewechselt sind,galt bisher der Metalltarif Nordwürt-temberg/Nordbaden. Rund 75% der Be-legschaft arbeiten zum Teil unter erheb-lich schlechteren Bedingungen: Offiziellgilt die 40-Stunden-Woche, die aber inder Regel überschritten wird – zum Teilerheblich. Bei den Gehältern bestehenriesige Unterschiede. Während ein Pro-jektmanager an einem Standort 110 000DM Jahresgehalt erhält, bekommt seinKollege in einer anderen Stadt für diegleiche Tätigkeit nur 60 000 DM.

Durch Umstrukturierungen bestanddie Gefahr, daß in der nächsten Zeit nochweitere Belegschaftsmitglieder die Tarif-bindung verloren hätten.Das wurde jetztverhindert. „Mit dem Tarifvertrag habenwir es geschafft, daß 60% der Debis-Be-schäftigten auf einen Schlag in die Tarif-bindung kommen“,rechnet der Konzern-Betriebsratsvorsitzende Herbert Schillervor. Nur Debitel und die Beteiligungsge-sellschaften sind noch außen vor. Schil-ler: „Wir hoffen jetzt, daß wir sie auchbald einbeziehen können.“

Das wurde vereinbart: Arbeitszeit: Bis zum Alter von 49 Jah-

ren gilt die 40-Stunden-Woche als Regel-arbeitszeit. 50jährige arbeiten 38,53jährige 36, 55jährige 35 Stunden. FürSchichtarbeiter gilt die 35-Stunden-Wo-che, ebenso für alle, die bisher 35 Stun-den gearbeitet haben.Wer mindestens 10Jahre bei Debis arbeitet, kann die 35 be-antragen; sie darf nur aus wichtigenGründen abgelehnt werden. Kommt kei-ne Einigung zustande, entscheidet dieSchiedsstelle. Für bestimmte Aufgabenund Projekte kann für ein Jahr ein Ar-beitszeitbudget vereinbart werden (Ar-beitszeit-Zielvereinbarung). Die Diffe-renz zu der tariflichen Arbeitszeit wirdin der Regel auf einem Arbeitszeitkontoverbucht,das innerhalb von 5 Jahren aus-geglichen sein muß. Die Guthaben kön-nen für Blockfreizeit oder Weiterbildunggenutzt,oder in Langzeitkonten angelegtwerden.

Entgelt: Basis der neuen Gehalts-struktur sind die nordwürttembergi-schen/nordbadischen Tarifgehälter (DM-Beträge). Das Entgelt wird als Jahresge-halt festgelegt, Urlaubs- und Weih-nachtsgeld werden auf die 12 Monate ver-teilt. Hinzu kommt eine variable Jahres-zahlung, die abhängig ist von der Lei-stungsbeurteilung, vom Grad, in dem dasvereinbarte Ziel erreicht wurde, und vomUnternehmensergebnis. Die übertarifli-chen Gehälter werden ins Tarifsystem in-tegriert, das heißt, es gibt jetzt Gehalts-gruppen bis 150 000 DM Jahreseinkom-men.

Kündigungsschutz: Der Kündigungs-

schutz für ältere Arbeitnehmer/innen (ab45 Jahre) ist verbessert worden. Der Be-triebsrat hat künftig ein zwingendes Mit-bestimmungsrecht. Widerspricht er, darfalso nicht gekündigt werden.

Weiterbildung: Notwendige Qualifi-zierungsmaßnahmen trägt der Arbeitge-ber voll.Jeder Arbeitnehmer hat einen in-dividuellen Anspruch auf Weiterbildung.Wer sich darüber hinaus qualifizierenwill, kann das 5 Tage lang im Jahr tun;dann trägt der Arbeitgeber die Kosten;der Arbeitnehmer trägt 50% der Zeit ausseinem Zeitkonto bei.

(www.igmetall.de)

Tarifforderung für Kino-Beschäftigte

Haste mal ‘ne Mark,eyh? Die IG Medien fordert eine Mark mehr Stun-denlohn für Kinobeschäftigte.

Die „Titanic“ geht seit Wochen in den Ki-nos nicht unter, der gute „Will Hunting“und die „Comedian Harmonists“ lassendie Kassen klingeln. Kino 1998, das heißtgemäß dem Motto von Oscar-PreisträgerJack Nicholson: „Besser geht’s nicht“.Der Kinoboom beschert den Filmthea-tern Rekordeinnahmen. 1997 war das be-ste Jahr der Branche seit langem. DieZahl der Besucher stieg gegenüber demVorjahr um 7,7 Prozent auf 143,1 Millio-nen, der Umsatz kletterte sogar um 11,75Prozent auf knapp 1,469 Milliarden.

Die einzigen, die von dem Erfolg derLichtspielhäuser nicht profitieren, sinddie Beschäftigten. Sie finden sich im Ver-gleich mit allen anderen Branchen am

untersten Ende der deutschen Lohnska-la. Die IG Medien hat deshalb für 1998eine Lohnforderung aufgestellt, die denAnspruch auf eine Beteiligung am Erfolgder Kinos deutlich macht: Erhöhung derStundenlöhne ab 1.Juli um einheitlich ei-ne Mark. Und zwar eher ganz als garnicht.Weitere Forderungen der IG Medi-en: Anhebung der Jahressonderleistungstufenweise von derzeit 500 DM auf dieHöhe eines Monatseinkommens und Zu-ordnung aller Kinos mit mindestens fünfLeinwänden grundsätzlich in die Orts-klasse S.Beschäftigte sollen wählen kön-nen, ob Zuschläge in Geld oder als Frei-zeit genommen werden.

Die Tarifrunde 1998 wird vielleichtnoch härter als die Tarifauseinanderset-zung vom vergangenen Jahr. Die Arbeit-geber haben ihrerseits den Tarifvertraggekündigt und wollen massive Ver-schlechterungen durchsetzen. Unter an-derem soll ein Teil der Nachtzuschlägeentfallen.Wieder auf die Tagesordung ge-setzt haben die Arbeitgeber darüber hin-aus ihre Forderung nach der Einführungvon „Saalpersonal“. Im Papier der Ar-beitgeber heißt es: „Saalpersonal (bisherEinlaßkontrolleur/in, Platzanweiser/in,Verkäufer/in, [Thekenkraft], Garderobe-und Reinigungspersonal, Toilettenwär-ter/in) ist,wer nicht zur Berufsgruppe derFilmvorführer/in und Kassierer/in ge-hört“. Damit besteht erneut die Gefahr,daß für einen Großteil der Kinobeschäf-tigten der Arbeitsdruck durch die Zu-sammenlegung der bisherigen Berufs-gruppen weiter zunimmt. 1997 war einTarifabschluß erst nach massiven Warn-streiks der Beschäftigten zustande ge-kommen. Auch 1998 gilt: „Nix zu verlie-ren“. PM IG Medien, 25.3.

An verschiedenen Orten setzten Siemens-Beschäftigte ihre Protestaktionen fortgegen die von der Unternehmensführung beabsichtigte Ausgliederung von ver-schiedenen Geschäftsfeldern und deren Überführung unter den (niedrigeren) Ta-rif des Elektrohandwerks Bayern. Auch andere Unternehmen der Branche wiez.B. Bosch, Alcatel betreiben ähnliche Konzepte und Überlegungen, so die IGMetall, deshalb komme der Auseinandersetzung exemplarische Bedeutung zu.Am 26. März gingen in Stuttgart-Weilimdorf mehr als 400 Beschäftigte (von ins-gesamt 700) auf die Straße (siehe Bild). In Köln hatten am 23. März ebenfalls400 Beschäftigte während der Arbeitszeit eine Kundgebung vor den Toren derSiemens-Niederlassung durchgeführt.

PB 7/98 • AUS BETRIEBEN UND GEWERKSCHAFTEN 23

Opel Bochum

Noch mal zumStandortvertragAus STANDORTE, Belegschaftszeitung vonGM/Opel-Bochum, Ausgabe: Nr. 31 / Jahrg.8 / März 1998

Über was hat die Belegschaft eigentlichabgestimmt? Auf dem Stimmzettel wur-de jedem einzelnen suggeriert „... durchdein JA zu dem Verhandlungsergebnis dieZukunft unserer Arbeitsplätze über dasJahr 2000 hinaus zu sichern.“

1. Neben der völlig demagogischenWahlbeeinflussung und Vortäuschungfalscher Tatsachen, wurde hier noch dieIllusion verbreitet, als ob im Kapitalis-mus die Beschäftigten per Akklamationüber Arbeitsplätze entscheiden könnten.Einfluß nehmen auf Erhalt, Sicherungund Schaffung der Arbeitsplätze könnendie Beschäftigten nur in dem Maße, wiesie bereit sind, den Kampf gegen Ar-beitsplatzvernichtung zu organisierenund zu führen. Wer das Gegenteil glau-ben machen will, hat nichts anderes imSinn als die Belegschaften vom Kampfabzuhalten. Wenn z.B. im Jahr 2000 derAutomarkt einbricht, dann ist lautStandortvertrag alles wieder offen. (AZVohne Lohnausgleich,Versetzung in ande-re Werke, Kurzarbeit, Entlassungen)

2. Der Standortvertrag II sichert alsoweder den Bestand, noch die Zukunft derArbeitsplätze in Bochum, sondern er re-gelt und organisiert die Umsetzung desBusinessplans der Geschäftsleitung undder sieht vor,die Arbeitsplätze in Bochumbis zum Jahr 2002 auf 12 000 zu reduzie-ren. Gesichert sein soll der friedliche Ab-bau von ca 2000 Arbeitsplätzen. Für deneinzelnen möglicherweise individuellverträglich, gesellschaftlich ist die Ar-beitsplatzvernichtung eine Katastrophe.Mit „sozialverträglich“ ist dann auch im-mer nur gemeint, daß keine Konflikteentstehen und die gesellschaftliche Ruhegewahrt bleibt.

Im Kern sagt der Vertrag: „Solange dasGeschäft brummt, dürft ihr für wenigerGeld bei mir reinhauen, wenn das Ge-schäft nicht mehr brummt,stehen die Ar-beitsplätze zur Disposition, der Vertragregelt die soziale Ruhe und daß für Opelder Profit trotzdem stimmt. So was un-terschreibt jeder Unternehmer und freutsich über Betriebsräte, die mit so wasauch noch Propaganda machen. Nötig istaber eine Atmosphäre der sozialen Un-ruhe, des Widerstands gegen Arbeits-platzvernichtung, der Diskussionen überunsere Forderungen und ihre Durchset-zung zur aktuellen und künftigen Ent-wicklung.

Standortvertrag II setzt Belegschaftenanderer Länder unter Druck...

Beispiel England: Die Financial Timesvom 20.1.98 berichtet unter der Über-schrift „Opel akzeptiert Paket von Stel-

lenabbau“ unter anderem: „Eng-lische Gewerkschaftsführerfürchten jetzt, daß die Zuge-ständnisse zum Stellenabbau inDeutschland (...) zu weiteremDruck auf Stellenabbau beiVauxhall führen könnte.“

Beispiel Antwerpen/Belgien:die offiziellen Gewerkschafts-vertreter informieren dort dieBelegschaft am 5.2.98 im Zusam-menhang mit der Abstimmungeines neuen Verzichtsvertrages:„Unsere Verhandlungen warenunter sehr hartem Druck durchden in den deutschen Werken ab-geschlossenen Standortver-trag...“

Die GM-Zentrale in Zürichund Detroit wird froh sein: mitHilfe des bei uns erreichten Ver-trages zur Kostensenkung sprichProfitverbesserung könnnen dieManager in den anderen Ländernjetzt ihre Belegschaften unterneuen Erpressungsdruck setzen.So wird im Endeffekt für alle GM-Be-schäftigten die Abwärtsspirale weiternach unten gedrückt!

Gemeinsame Gegenwehr bleibt dieeinzige Alternative für uns. Gegenwehr,die in jedem einzelnen Betrieb beginnenmuß, aber national wie international zu-sammen organisiert werden muß.

Gewerkschaftsfusion

Kritik am ZentralismusInzwischen liegen erste Stellungnahmen ausgewerkschaftlichen Gremien zur beabsich-tigten Fusion der Gewerkschaften ÖTV, HBV,DAG, IG Medien, GEW vor.

Der Bezirkstag der IG Medien Südbadenhat einer Fusion eine klare Absage erteiltund vor der Verabschiedung von Platt-formen,Zeitplänen etc.Zeit für eine brei-te demokratische Diskussion und Ent-scheidungsfindung angemahnt.

Der Landesbezirksvorstand der HBVBaden-Württemberg hat ein Diskussi-onspapier entworfen, in dem es u.a.heißt:

Wieso soll eine Großorganisation bes-ser in der Lage sein,„Fachkompetenz“ zuentwickeln? Sofern hier tatsächlich De-fizite bestehen, erscheinen diese in über-schaubaren Fachgewerkschaften leichterzu beheben zu sein. (...) Größere „Trans-parenz“ und bessere ehrenamtliche Mit-wirkungsmöglichkeiten zu schaffen[scheint] nach allen vorliegenden Erfah-rungen im Rahmen einer zwangsläufiganonymeren Großorganisation schwererzu verwirklichen, als in überschaubarenEinheiten. (...) Die Aufhebung von Ge-werkschaftskonkurrenz ist zweifellos ei-ne unbestreitbar positive Zielsetzung.(...)Andere Konkurrenzsituationen (etwazwischen HBV und NGG, zwischen DPGund IGM) blieben jedoch ungelöst oderwürden sich sogar verschärfen. (...) Der

Zusammenschluß mit anderen Gewerk-schaften im Dienstleistungsbereich wür-de in den meisten Branchen zunächst kei-ne nennenswerten Erhöhungen der Or-ganisationsgrade und damit der Durch-setzungsfähigkeit bedeuten. (...) Es istunrealistisch zu glauben, man könne (...)z.T. gegnerische Organisationen mit ei-nem Federstrich von einem Tag auf denanderen zusammenschließen. (...) DieKrise der Gewerkschaften ist in erster Li-nie eine politische Krise, sie ist nicht inden organisatorischen Strukturen derGewerkschaften begründet. Die „Politi-sche Plattform“ gibt aber gerade keinepolitischen Antworten, sondern be-schränkt sich auf Fragen der Organisati-onsstruktur. (...) Fusionen lösen dieseProbleme nicht, sie sind auch nicht mehrohne großen Schaden rückgängig zu ma-chen, wenn das Projekt scheitert. DieAuflösung der beteiligten Gewerkschaf-ten führt zu Identifikationsverlusten,oh-ne daß eine neue Identität entstehenkann. (...) Eigenständige föderative unddemokratische Strukturen sind Voraus-setzungen für eine mitgliedernahe Ge-werkschafts-, Gesellschafts- und Tarif-politik. (...) Die jetzt vorgeschlagene Fu-sion würde eine zentralistische Strukturgeradezu programmieren. (...) Die Ge-werkschaften NGG und GdED habensich aus guten Gründen dafür entschie-den, selbständig zu bleiben. Auch dieGEW ist zwar bereit, sich auf einen Pro-zeß der Neustrukturierung einzulassen -nicht jedoch zur Selbstauflösung. (...)Wenn die im Entwurf der „PolitischenPlattform“ postulierten Aussagen[„Transparenz“, „breite Beteiligung derMitglieder“ etc.] nicht nur auf dem Pa-pier stehen (...) sollen, ist der vereinbar-te Zeitplan kontraproduktiv.Demokratiebraucht Zeit, nur dann können alle, diewollen, an dem Prozeß teilnehmen undihre Vorstellungen einbringen.

(aus Solinet)

„Hör endlich auf zu nörgeln! Sei froh, daß Du einen Job hast!“

24 DISKUSSION UND DOKUMENTATION • PB 7/98

Die unmittelbare Gefahr eines von denUSA geführten Militärschlages gegenden Irak scheint vorerst gebannt.Doch istdie Krise nicht gelöst, und die USA be-halten sich vor, sie jederzeit militärischzu eskalieren. Wir dokumentieren aus-zugsweise eine Stellungnahme aus demehemals von Egon Bahr geleiteten Insti-tut für Friedensforschung und Sicher-heitspolitik in Hamburg, weil sie auf-scheinen läßt, wie die USA mittels undunter Mißbrauch der UNO den Irak zer-mürben und in die Ausweglosigkeit trei-ben. Die vernichtende Wirkung der will-kürlich andauernden Wirtschaftssank-tionen wird deutlich, wenn man sich dieSituation des Irak vor dem Golfkrieg, sei-ne hochgradige Abhängigkeit vom Welt-markt, in Erinnerung ruft: Die Abhän-gigkeit vom Erdölexport betrug 98%. Dieindustrielle Entwicklung wurde zu 90%durch den Staat kontrolliert und weitge-hend aus den Öleinnahmen finanziert.Dabei war der Industrialisierungsgradnach wie vor niedrig; schlimmer noch,zugunsten einer Industrialisierung wur-de die Landwirtschaft vernachlässigt, sodaß der Selbstversorgungsgrad bei Nah-rungsmitteln bei gerade 20% lag.

Wie die Militärintervention 1991 ver-folgen auch die Sanktionen, unterstütztdurch die Androhung von Gewalt, dasZiel, den Irak als unabhängigen Staatund Machtfaktor in der Region auszu-schalten, das Land in eine Halbkolonie zuverwandeln und so uneingeschränkt überdie Ölquellen des Nahen und MittlerenOstens herrschen zu können. scc

1. Hat der Irak seine Abrüstungs-verpflichtungen verletzt?

Im April 1991 … erteilte der UN-Sicher-heitsrat dem Irak die Auflagen,– Kernwaffen weder zu entwickeln nochzu erwerben,– sämtliche B- und C-Waffen zu vernich-ten sowie– alle ballistischen Trägersysteme mit ei-ner Reichweite von über 150 Kilometernzu verschrotten (Resolution 687).

Gleichzeitig setzte der Sicherheitsratzur ständigen Überwachung der Verbotevor Ort e ine Sonderkommission (UNS-COM) ein. Seither wurden im Irak außer62 Scud-Raketen in großem Umfang che-mische Kampfstoffmunition und toxi-sche Vorprodukte vernichtet sowie mi-litärische Produktionsanlagen demon-tiert. Die Menge an Waffen und Kampf-stoffen, die unter Aufsicht von Inspekti-onsteams der Kommission abgerüstetwurden, übersteigt diejenige, diewährend des Golfkrieges durch Luftan-griffe zerstört worden war.

Zu fortdauernden Auseinanderset-zungen zwischen der Abrüstungskom-mission und irakischen Regierungsver-

tretern kam es über die Auslegung der Be-schlüsse des Sicherheitsrats und darausabzuleitenden Rechten und Pflichten.Wichtige Informationen vorenthalten zubekommen und in ihrer Arbeit behindertzu werden, war die ständige Klage derKommission. (…) In zwei Fällen könnenbis heute andauernde Verstöße des Irakgegen eingegangene Verpflichtungenfestgestellt werden. Den UN-Inspekteu-ren den Zugang zu bestimmten Liegen-schaften, den sogenannten Präsidenten-palästen,zu verweigern,widerspricht derResolution 707 vom August 1991. (…) Derzweite Verstoß betrifft den Vorgang, derzum Auslöser der gegenwärtigen Irak-Krise wurde. Amerikanische Mitgliedervon Inspektionsteams der Abrüstungs-kommission aus dem Land zu weisen …hat der Irak kein Recht. Die Zusammen-setzung der Beobachtergruppen obliegtohne irakische Mitsprache allein den Ver-einten Nationen.

2. Sind die Wirtschaftssanktionen gegenden Irak noch gerechtfertigt?

Als unmittelbare Antwort auf die rechts-widrige Eroberung und Annexion Ku-weits durch den Irak hatte der Sicher-heitsrat der Vereinten Nationen im Au-gust 1990 gegen den Aggressor ein um-fassendes Handels-, Finanz- und Waffen-embargo verhängt (Resolution 661). DieSanktionen wurden nach dem Ende desGolfkrieges ausdrücklich als über dieFeuereinstellung hinaus fortgeltend de-klariert (Resolution 687). Sie sind nun-mehr an die Erfüllung der Entwaff-nungsauflagen gebunden. Seit siebenJahren befinden sie sich in Kraft. DieAufhebung oder Abmilderung setzt einenneuen Beschluß des Sicherheitsrats vor-aus.

Als Folge des anhaltenden Sanktions-regimes registrieren internationale Or-ganisationen den fortschreitenden Verfallder irakischen Wirtschaft und die wach-sende Verelendung der Bevölkerung. Indem einst wohlhabenden Ölstaat ist dasEinkommensniveau privater Haushalteunter das ärmerer schwarzafrikanischerLänder gesunken. Nach Angaben desUN-Kinderhilfswerks UNICEF sterbenjährlich 55 000 Kinder an Unter-ernährung und mangelnder medizini-scher Versorgung. Die UN-Organisationfür Ernährung und Landwirtschaft(FAO) schätzt diese Zahl auf die doppel-te Höhe – je nach Ansatz sind das 350000bis 700 000 Todesopfer im Kindesalterseit 1991. Das im Dezember 1996 vom Si-cherheitsrat genehmigte „Öl für Nah-rung“-Programm erlaubt Ölverkäufe zurEinfuhr von Lebensmitteln und Medika-menten im Wert von jährlich vier Milli-arden Dollar,abzüglich einer Summe von1,5 Milliarden Dollar für die Leistung

von Kriegsentschädigungen an Kuweitund für die Finanzierung von UNSCOM.Nach einer Berechnung der „UN-Hilfs-mission für die irakische Zivilbevölke-rung“ wären jährliche Exporterlöse vonmindestens fünfzehn bis zwanzig Milli-arden Dollar nötig, um die Wirtschaft desIrak überlebensfähig zu halten.

Es ist die offenkundige Notlage derirakischen Zivilbevölkerung einerseitsund der politische Zusammenhang vonWaffenkontrollen und Wirtschaftssank-tionen andererseits,die in der politischenÖffentlichkeit vieler westlicher und na-hezu aller arabischer Länder die Fortset-zung der Sanktionsregimes als zuneh-mend ungerechtfertigt erscheinen lassen.Zwar ist der Irak nicht allen, aber docheinem erheblichen Teil seiner Abrü-stungsauflagen nachgekommen, so daßdie Begründung für die unabgeschwäch-te ökonomische Sanktionierung bestän-dig an Überzeugungskraft verliert. Eswäre ein keineswegs irrationales Kalkül,wenn Saddam Hussein, der persönlichebensowenig zu den Notleidenden zählendürfte wie sein politisches und militäri-sches Herrschaftspersonal,den Hebel derInspektionsbehinderung nutzte, um dasThema der Sanktionen auf die interna-tionale Tagesordnung zu setzen. Unterwelchen Bedingungen, nach welchenKriterien und zu welchen Terminen eineschrittweise Lockerung und schließlicheAufhebung der internationalen Ächtungin Aussicht stehen, würde auch jede an-dere irakische Regierung erfahren wol-len. Solange diese Entscheidung jedochvon einem einzigen ständigen Mitglieddes UN-Sicherheitsrats abhängt, läßtsich der aus Sicht Bagdads propagandi-stisch erwünschte Eindruck aufrechter-halten: Lockerungen stehen überhauptnicht in Aussicht, der Irak bleibt diskri-miniert, gleichviel, was er tut oder unter-läßt.

3. Besitzt der Irak noch Massen-vernichtungsmittel?

Über Restbestände an irakischen Mas-senvernichtungsmitteln bestehen vielfäl-tige Vermutungen, aber keine verläßli-chen und gesicherten Informationen. Dervormalige Leiter von UNSCOM, Ekeus,sprach bei seinem Ausscheiden aus demAmt von „quantitativ geringen, jedochqualitativ signifikanten“ Unklarheiten,insbesondere in der Frage von Program-men zur Herstellung bakteriologischerWaffen. Bezüglich nuklearer Waffen hin-gegen hat die für die Überwachung zu-ständige Internationale Atomenergie Or-ganisation (IAEO) erklärt,über keine Er-kenntnisse für die Existenz von Anlagenzu deren Entwicklung oder Produktionzu verfügen.

Massenvernichtungsmittel werden zu

Institut zur Friedensforschung zu Hintergründen der jüngsten Irak-Krise

Keine Aussicht auf Frieden für den Irak

PB 7/98 • DISKUSSION UND DOKUMENTATION 25

Nachbarländer bedrohenden Waffen erstdurch die gleichzeitige Verfügung übergeeignete Trägersysteme – Flugzeugeoder Raketen. Gegenwärtig kann nichtdavon ausgegangen werden, daß der Irakeine solche Zielfähigkeit besitzt. An-griffsvorbereitungen würden angesichtsder amerikanischen Aufklärungsüberle-genheit mit hoher Wahrscheinlichkeit be-merkt, Angriffshandlungen angesichtsder amerikanischen Luftüberlegenheitverhindert werden.

Technisch nicht zu beseitigen ist dieMöglichkeit, daß ein Irak, der alle waf-fentauglichen Materialien vernichtet,deralle Produktionsanlagen abgebaut hätteund der keiner Vor-Ort-Überwachungmehr unterläge, zu einem späteren Zeit-punkt die Herstellung von Massenver-nichtungsmitteln aufnehmen könnte. In-genieurwissen läßt sich nicht löschen.Experten bemessen den Zeitbedarf fürdie Erzeugung von B- und C-Waffen nachWochen, den für die Nuklearwaffenpro-duktion nach Jahren.Allerdings steht derIrak in dieser Hinsicht nicht allein. Eineneuere Studie des amerikanischen Ver-teidigungsministeriums beziffert dieZahl der Staaten auf „über 25“, die be-reits nukleare,bakteriologische oder che-mische Waffen samt zugehöriger Träger-mittel entwickelt haben bzw.über die Be-fähigung und die Absicht verfügen, es zutun. Die regionale Konzentration dieserStaaten liegt im Mittleren Osten.

4. Geht vom Irak eine militärischeBedrohung aus?

(…) Daß der Irak seine Nachbarn mi-litärisch bedroht, läßt sich anhand vonErkenntnissen über Angriffsvorberei-tungen oder Angriffsabsichten nicht er-härten. Solche Erkenntnisse liegen nichtvor.Worum es ausschließlich geht, ist diepotentielle Befähigung des Iraks zu Ag-gressionshandlungen mittels Massenver-nichtungswaffen, deren Besitz ihm ver-boten ist. Dieser Frage geht die Abrü-stungskommission der Vereinten Natio-nen in ihren regelmäßigen Berichtennach.Bisher ist sie zu keinem anderen Be-fund gelangt als dem, daß ein positivesWissen über unerlaubten Waffenbesitznicht existiert, sich aber gleichwohl nichtausschließen läßt, daß solche Waffen oderMittel zu deren Herstellung dort lagernkönnten, wohin ihr der Zugang verwehrtist. Von größerer Evidenz ist die Bedro-hungsannahme nicht …

5. Ist ein Militärschlag gegen den Irakvölkerrechtlich zulässig?

Bereits der Golfkrieg von 1991 wurde aufeiner rechtlich problematischen Grund-lage geführt: Das den Vereinten Nationennach Artikel 42 der UN-Charta zukom-mende Recht,einen Aggressor gewaltsamin die Schranken zu weisen, konnte insatzungskonformer Weise nicht wahrge-nommen werden, da die Weltorganisati-on über keine eigenen oder ihr unter-stellten Streitkräfte verfügte. Behelfs-weise delegierte der Sicherheitsrat im

November 1990 sein originäre Recht andie Mitgliedstaaten der Anti-Irak-Koali-tion (Resolution 678), die unter Führungder Vereinigten Staaten die Luft- undLandoperationen vornahmen, als derenErgebnis Kuweit die staatliche Souverä-nität zurückgewann. (…)

Für die gegenwärtige Situation vonBelang ist die Frage, ob, wie von ameri-kanischer Seite geltend gemacht, die Er-mächtigung fortbesteht und zu weiterenMilitäreinsätzen gegen den Irak berech-tigt, ohne daß der Sicherheitsrat ein neu-es Mandat zu erteilen hätte. Dieser Auf-fassung steht entgegen, daß der Sicher-heitsrat schon wenige Wochen nach demEnde des Golfkrieges gleich zweimal, imMärz und im April 1991, seine Ermächti-gung von 1990 zurückgezogen hat.

In der Resolution 686 formulierte derSicherheitsrat eine Reihe von Forderun-gen an den Irak,darunter die Beendigungder Annexion Kuweits, die Anerkennungder Haftung für verursachte Kriegsschä-den, die Freilassung von Kriegsgefange-nen und die Unterstützung bei der Loka-lisierung irakischer Minen. Für den Zeit-raum, der benötigt wird, um diesen For-derungen Folge zu leisten,so heißt es wei-ter, behalte die Ermächtigung zum Ge-waltgebrauch ihre Gültigkeit. Da derZeitpunkt, zu dem sämtliche dieser For-derungen vollständig erfüllt waren, be-reits weit zurückliegt, ist auch der Zeit-raum, während dessen die Gewalter-mächtigung fortgalt, längst beendet.

In der Resolution 687 erließ der Si-cherheitsrat das Verbot der Entwicklung,des Erwerbs und des Besitzes von Mas-senvernichtungsmitteln durch den Irakund etablierte den Kontrollmechanismuszur Überwachung des Verbots. Mit dernotifizierten Annahme dieser Bestim-mungen durch den Irak, so fährt die Re-solution fort, trete die förmliche Feuer-einstellung in Kraft. Mit dieser Feststel-lung hat der Sicherheitsrat bekräftigt,daß nach dem genannten Zeitpunkt dieResolution 687 für eine Wiederaufnahmevon Kampfhandlungen durch die vorma-ligen Koalitionsmächte nicht mehr alsGrundlage dienen kann.

Soll der Irak heute, sieben Jahre spä-ter, wiederum mit militärischen Mittelnzur Ordnung gerufen werden, so bedarfes dazu eines neuen Beschlusses des Si-cherheitsrats. d.h. neun der fünfzehnRatsmitglieder müssen ihre Zustimmungerteilen, darunter alle fünf mit einemständigen Sitz. Nehmen ein einzelneroder eine Gruppe von Staaten das Heftselbst in die Hand und handeln aus eige-ner Machtvollkommenheit unter Einsatzvon Waffengewalt, so brechen sie gelten-des Völkerrecht.

6. Gibt es politische Lösungsmöglich-keiten der Krise?

(…) Über den Tag hinaus hinterläßt dasDilemma der internationalen Irakpolitikeine Reihe offener Fragen, die auf län-gerfristige Probleme verweisen, derenBearbeitung dringend geboten ist, soll

das nächste Krisenmanagement nichtwieder spektakulär scheitern. Verbesse-rungsbedürftig sind die verschiedenenRegime zur Verhinderung der Ausbrei-tung von Massenvernichtungsmitteln.Anlässe, einzelne Verstöße bzw. den Ver-dacht des Verstoßes unverhältnismäßigstreng zu ahnden, verringern sich in demUmfang, wie ein gleichmäßig hoherPräventions- und Kontrollstandard ge-genüber allen potentiell vertragsbrüchi-gen Staaten sichergestellt ist. Das beste-hende Zwei-Klassen-Recht, d.h. das Ne-beneinander von Staaten,die Massenver-nichtungswaffen besitzen dürfen, undanderen, denen sie verboten sind, wirdsich jedoch nur durch die Ächtung undZerstörung aller Waffen dieser Kategori-en überwinden lassen.

Gleichermaßen verbesserungsbedürf-tig ist die Entscheidungs- und Hand-lungsfähigkeit der Vereinten Nationen imUmgang mit Konflikten, die den Friedenund die internationale Sicherheit ge-fährden. Sanktionen sind grundsätzlichzu befristen. Nur so können sich die zu-ständigen Organe der Weltorganisationperiodisch ein angemessenes Urteil überdie Beendigung oder gegebenenfalls er-forderliche Fortdauer von Zwangsaufla-gen bilden. Werden Sanktionsentschei-dungen hingegen unbefristet getroffen,so erfordert deren Aufhebung eine er-neute Beschlußfassung, was nach dengeltenden Abstimmungsregeln im Si-cherheitsrat jedes einzelne der StändigenMitglieder in die Lage versetzt, einem ge-maßregelten Staat unbillig lange, wennnicht gar auf Dauer die gleichberechtig-te Rückkehr in die internationale Ge-meinschaft zu verwehren. Jedoch sollteder Sanktionierte erwarten können, daßdie verhängten Sanktionen aufgehobenwerden, wenn ihr erklärter Zweck erfülltist. (…) Des weiteren ist die Durchset-zungsfähigkeit der Vereinten Nationen inbezug auf ihre eigenen Beschlüsse zustärken. Nur wenn die Weltorganisationnicht im selben Augenblick, wo sie sichzur Verhängung von Zwangsmaßnahmengenötigt sieht, die Aufsicht über derenAusübung aus der Hand geben muß, istgewährleistet, daß bei der Umsetzungnicht das elementare Prinzip der Verhält-nismäßigkeit auf der Strecke bleibt.

Fazit

(…) Der Griff zu den Waffen wäre ein Aktder Willkür. Die in zivilisierten Gesell-schaften gültige Überzeugung, daß Kriegkein Mittel der Politik sein darf, würdeaußer Kraft gesetzt. Jeder Staat, der dar-an mitwirkt, und sei es nur durch logisti-sche Hilfe und politische Unterstützung,übernimmt Mitverantwortung. Für dieFolgen, für die Opfer, für die Toten.

Dr. Margret Johannsen,Wissenschaftliche Mitar-beiterin, Dr. Dieter S. Lutz, WissenschaftlicherDirektor, Dr. Reinhard Mutz, Stellvertretenderwissenschaftlicher Direktor, Dr. Götz Neuneck,Wissenschaftlicher Referent des Instituts fürFriedensforschung und Sicherheitspolitik an derUniversität Hamburg (Februar 1998)

26 DISKUSSION UND DOKUMENTATION • PB 7/98

Regionale Geschichte

„Der Namemuß weg“

„Der Name muß weg“, schrieb ein Mitgliedder AG Spurensuche an der HamburgerJahnschule, deren Name damit gemeint war,„aber nicht einfach so. Einen Weg brauchenwir: Zuerst müssen Fragen gestellt werden,und viele Schüler, Lehrer und Eltern solltennach Antworten suchen.“ So nahm vor eini-gen Monaten eine Initiative die Auseinan-dersetzung mit dem Namensgeber FriedrichJahn und der völkischen Tradition auf, die ermit begründete. Hier sind, ganz auszugs-weise, erste Ergebnisse.

Am 14. März 1934 wurde dieser Schule,damals Volksschule an der Bogenstraße,der Name „Jahn-Schule“ verliehen. DieNamensgebung erfolgte auf Antrag derSchule und wurde vom nationalsoziali-stischen Präses der Schulbehörde geneh-migt. In der in den dreißiger Jahren ge-führten Chronik der Jahnschule hieß es:

„Die Jahn-Schule trägt schon in ihremNamen die hohe Verpflichtung, in ihrerArbeit die Erziehungsgrundsätze neu zuwecken und zu pflegen, wie sie durchFriedrich Ludwig Jahn aufgezeigt wur-den. In dem umfassenden Rahmen einerbewußt vaterländischen und völkischenErziehung und Ausbildung will die Jahn-Schule als Traditionsträger das alteJahnsche Turnen mit neuem Geist durch-setzen und in ihren Räumen fördern.“ (...)

Die Schule wollte also an alte JahnscheErziehungsgrundsätze anknüpfen undsie mit neuem Geist füllen. Alt und neulauteten die Ziele: vaterländische undvölkische Erziehung.

Adolf Hitler hatte sich auf dem 15.Deutschen Turnfest in Stuttgart 1933ausdrücklich darauf berufen, daß das„Dritte Reich“ dem „Turnvater“ viel ver-danke: Jahn habe in einer Zeit „unklarerstaatlicher Auffassungen die Bedeutungder körperlichen Tüchtigkeit erkannt“.Auch im „Dritten Reich“ gelte nicht nurWissen, sondern auch Kraft zu erwerben:

„Das gerade und gesunde Volk ... wirdauch geistig nie den Irrtümern erliegen,denen das einseitig überlastete Gehirnnur allzu leicht verfällt. Geistreiche Völ-ker ohne Mut und Kraft werden stets zuHauslehrern der gesünderen Rassen de-gradiert ...“ (zit. nach Ueberhorst, 5. 78f.)

Der „Brockhaus“ von 1938 hebt her-vor, was an Jahn für die Traditionspflegeim „Dritten Reich“ erwähnenswert war:„Jahn hat als Kämpfer gegen Auslände-rei und für die Erhaltung des deutschenKulturgutes neben seiner turnerischeneine starke volkserzieherische Tätigkeitausgeübt. Er schrieb ,Deutsches Volks-tum’ (1810), dessen Grundgedanke dieLehre von der Einheit Deutschlands ist.“(Der neue Brockhaus, 2. Bd., 5. 520f.)

Berlin: Der Fund derFindungskommissionwar nicht erwünschtMit 128 von 134 Stimmen haben die De-legierten im Berliner Bundestagswahlbe-zirk Prenzlauer Berg / Mitte am 28. Märzdie Berliner Landesvorsitzende der PDSPetra Pau zur Kandidatin für den Wahl-kreis aufgestellt. Pau tritt somit in denKampf um das Direktmandat in einemWahlkreis gegen den SPD-KandidatenThierse an sowie gegen Günther Nookefür die CDU und gegen Marianne Birth-ler für die Grünen. In der Öffentlichkeitwerden derzeit dem SPD-KandidatenThierse (SPD), der 1994 noch knapp ge-gen den PDS-Kandidaten Stefan Heymverloren hatte, größere Chancen einge-räumt.

Der von der PDS-internen „Findungs-kommission“ (Dietmar Bartsch, LotharBisky, Andre Brie und Gregor Gysi) vorzwei Wochen nach wochen-, ja monate-langem Gezerre vorgeschlagene Admirala.D. Elmar Schmähling aus Köln hattezwei Tage vor der Delegiertenversamm-lung seine Kandidatur zurückgezogen.

In einer Erklärung, die Lothar Biskyund Gregor Gysi dazu abgaben, hieß es,man habe unterschätzt, welche Bedeu-tung das von der Kölner Staatsanwalt-schaft gegen Schmähling geführte Er-mittlungsverfahren wegen Konkursbe-trugs habe. Bei diesem Verfahren geht esnach Presseberichten um 2 Millionen DMoffene Schulden, die der Admiral a.D. imZusammenhang mit dem Zusammen-bruch zweier Firmen „GeoNet“ und„Terra Online“ bei ca. 250 Gläubigernhat. Im April will die StaatsanwaltschaftKöln Anklage gegen den Admiral erhe-ben. Laut Presseberichten ist Schmäh-lings monatliche Pension von ca. 10 000DM von 180 Gläubigern mit etwa 944 000DM gepfändet. Wie die Findungskom-mission solche Strafvorwürfe übersehenoder womöglich als nicht erheblich für ei-ne PDS-Kandidatur zum Bundestag ein-stufen konnte, bleibt ihr Geheimnis.

Nach dem Bekanntwerden der Kandi-datur Schmählings und der gegen ihnlaufenden Ermittlungen hatte sich in derÖffentlichkeit und insbesondere im PDS-Bezirk Prenzlauer Berg schnell Wider-stand gegen den Admiral formiert. DerBundestagswahlkreis Mitte / PrenzlauerBerg umfaßt zwei PDS-Bezirke, die sichbislang nicht auf ein gemeinsames Vorge-hen hatten einigen können – eine Tatsa-che, die der Findungskommission dasHineinregieren in die Kandidatensucheerheblich erleichtert hatte. Während imPrenzlauer Berg schon in den Tagen vorder Nominierung Schmählings immerheftigere Kritik an der Suche nach einem

fremden „Promi“ für den Wahlkreisgeäußert worden war, hatte die Bezirks-leitung Mitte weiter die „Findungskom-mission“ unterstützt.

Am 21. März hatte dann Marion See-lig ihre Kandidatur gegen Schmählingerklärt. Marion Seelig lebt im Prenzlau-er Berg. Politisch kommt sie aus derDDR-Bürgerbewegung, war u.a. in Men-schen- und Bürgerrechtsgruppen derevangelischen Kirche tätig. 1989 saß siefür die „Vereinigte Linke“, die sie mitbe-gründete und der sie bis heute angehört,am zentralen Runden Tisch und ist heu-te im Berliner Abgeordnetenhaus innen-politische Sprecherin der PDS-Fraktion.Sie war von drei Basisorganisationen derPDS zur Kandidatur aufgefordert wor-den. Ihre Kandidatur erhielt in den fol-genden Tagen im Prenzlauer Berg vielUnterstützung, wurde aber von der Vor-sitzenden des PDS-Bezirks Mitte öffent-lich abgelehnt.

Als die Vorwürfe gegen Schmählingimmer breiter in der Presse verhandeltwurden, dieser zugleich anfing, die Vor-würfe gegen ihn als parteipolitisch in-strumentalisiert abzutun (wörtlich:„Wenn ich CDU-Mitglied wäre, hätte ichjetzt keine Probleme“) und sich abzeich-nete, daß es für den Admiral knapp wer-den könnte, zog die „Findungskommissi-on“ die Notleine: Die Kandidatur des Ad-mirals wurde zurückgezogen, die Berli-ner Landesvorsitzende Petra Pau, die zu-vor mehrfach erklärt hatte, sie wolle sichauf die Landespolitik konzentrieren undnur im Notfall kandidieren, wurde zu ei-ner Kandidatur überredet.Marion Seeligzog darauf ihre Kandidatur zurück underklärte ihre Unterstützung für PetraPau.

Auf der Delegiertenversammlung vonMitte/Prenzlauer Berg am vergangenenSamstag gab es dann heftige Grundsatz-kritik. Dietmar Wittich, Mitverfasser des„Kommentars“ zum PDS-Programm,kritisierte das undemokratische Vorge-hen der Findungskommission: Die Suchenach „bunten Vögeln“ für die PDS-Listedemonstriere der Parteibasis, daß sieselbst angeblich nicht kompetent sei. Of-fene Listen müßten künftig „aus einemoffenen politischen Diskurs hervorge-hen“. Michail Nelken, Mitglied der PDS-Schiedskommission und aus dem Prenz-lauer Berg, ergänzte, daß der Wahlkampfin Mitte/Prenzlauer Berg „nur noch vonunten gewonnen werden kann oder garnicht“.

Es bleibt zu hoffen,daß die Zeiten zen-traler „Findungskommissionen“ für dieNominierung von Bundestagskandida-turen nach diesem Desaster endlich vor-bei sind. Daß der Wahlkreis Mitte/Prenz-lauer Berg für die PDS noch gewonnenwerden kann, glauben in Berlin derzeitnur wenige. Aber es geschehen ja nochZeichen und Wunder. rül

… i n u n d b e i d e r P D S …

Jahn rückte für die Nationalsoziali-sten nach der Ansicht des NS-Erzie-hungswissenschaftlers Alfred Baumleschließlich zum „politischen Soldaten“auf und zum Wegbereiter einer Leibeser-ziehung, die dem Grundsatz von Führer-tum,Rasse und Wehrhaftigkeit verpflich-tet war (Ueberhorst, S. 79).

(...)Das heutige Jahnbild in der Bundesre-

publik ist (im Gegensatz zum Jahnbild inder Weimarer Republik – Red.) weit ent-fernt von blinder Verehrung (nachzulesenin modernen Auflagen der Konversati-onslexika): Es ist einerseits durchaussehr kritisch gegenüber seiner Maßlosig-keit und Blindwütigkeit,seiner groteskenSelbstüberschätzung, seiner Verächtlich-machung eines jeden, der gegen ihn war,vor allem gegenüber seiner „Franzosen-fresserei“; andererseits gibt es aber auchRettungsversuche:– seine Forderung nach „Volkstümlich-keit“ wird dann als Zeichen demokrati-scher Gesinnung interpretiert,– insbesondere wird er in Schutz genom-men gegen seine Vereinnahmung durchdie Nazis. Ich zitiere aus einer ziemlichneuen Biographie (1992):

„Der bis zur Überbetonung gepflegteKult des Volkstumsgedankens führte beimanchen Anhängern (!) zur ,Deutschtü-

melei‘; die Ansätze zu nationalistischenTendenzen im Fortgang des 19. Jahrhun-derts waren damit gegeben. Niemandsollte aber die Exzesse des ,Rassischen‘und des Antisemitismus auf Jahn zurück-führen. Jahn war Kind seiner Zeit, undnur aus ihr heraus kann man ihn richtigbeurteilen. (...)

Ich möchte das Zitat einen Augenblickbedenken:– Die Wörter Rasse und Antisemitismuswaren zu Jahns Zeit tatsächlich nochnicht gebräuchlich bzw. nicht erfunden.Aber in der Sache war Jahn rassistischund judenfeindlich. (...)

Jahn hielt das deutsche Volk für daswertvollste überhaupt, er wollte es nichtmit fremden Völkern mischen; diese Ideenhat Jahn nicht erfunden, sondern siestammen aus derselben Zeit von dem Phi-losophen Fichte: „Reden an die deutscheNation“. (...)

„Deutschtümelei“ gab es nicht erst beiseinen Anhängern, sondern bei Jahnselbst, ... In „Die deutsche Turnkunst“(1816) hieß es:

„Keiner darf zur Turngemeinschaftkommen, der wissentlich Verkehrer derDeutschen Volkstümlichkeit ist und Aus-länderei liebt, lobt und beschönigt.“ DerAusländerhaß richtete sich besonders ge-gen die Franzosen: „Wälschen ist Fäl-

schen, Entmannen der Urkraft,Vergiftendes Sprachquell, Hemmen der Weiter-bildsamkeit und gänzliche Sprachsinn-losigkeit.“ (zit. Nach Kindler, S. 550) ...

Jahn kann ...gewiß nicht als früher Ver-treter demokratischen Denkens gedeutetwerden. Sein Freiheitsbegriff hatte nichtFreiheitsrechte des einzelnen Menschenim Sinn, sondern Freiheit forderte er fürdas Volk als Einheit. Jedem Anflug vondemokratischer Gleichheit erteilte er ei-ne unmißverständliche Absage:

„Die natürliche, notwendige Un-gleichheit der Menschen ... teilt sie vonselbst in natürliche Stände ...Stände sindnun einmal in der Welt, und bleiben undmachen das Volk aus.“ (Deutsches Volks-tum, 5. 165,167) Zwar hat sich Jahn auchzur „Teilnahme der einzelnen Staatsbür-ger am Wohl und Weh des Ganzen, (zur)Entfernung der Absonderung,(zum) Hin-leiten zum Gemeinwesen“ (DeutschesVolkstum, S. 73) bekannt, aber an ande-rer Stelle im „Deutschen Volkstum“ hater aufgelistet, wer das Bürgerrecht ver-dient – denn Bürgerrecht setze „Bürger-fähigkeit“ voraus. Die Aufzählung, wemdas Bürgerrecht entzogen werden soll,läßt nichts übrig von demokratischer Ge-sellschaft; wohl aber entsteht die Visioneiner Volksgemeinschaft: Für das Bür-gerrecht sei

„ein bloßes Wohnen ... nicht hinrei-chend,auch er Wurm wohnt in der Frucht,die er von innen verdirbt“ (DeutschesVolkstum, S. 170).

Zu den „Würmern“, die kein Bürger-recht verdienen, zählt Jahn unter ande-rem, wer seine Fahne verläßt, ohne ver-wundet zu sein,wer im Ausland die Volks-ehre befleckt, wer eine Mischehe mit ei-ner „noch nicht eingebürgerten Undeut-schen“ eingeht oder wer unvermähltbleibt (Deutsches Volkstum S. 169f.) –natürlich handelt es sich immer um Män-ner.Vor diesem Hintergrund einer Volks-gemeinschaft klingt es auch nicht über-zeugend, wenn die einheitliche, schlich-te, graue Turnkleidung, in die sich JahnsTurner hüllten, oder die Verkleidung, dieer für die Burschenschaften entworfenhatte, als ständeübergreifend interpre-tiert wird. Uniformen gibt es zu vielerleiZwecken, niemand würde die schwarzeKluft der SS als Zeichen demokratischerGesinnung betrachten.

Mit diesen Ausführungen ist schon an-gedeutet, daß Jahn nicht in die Konti-nuität demokratischer Strömungengehört, sondern in die Kontinuität des„völkischen Denkens“ und der „Volksge-meinschaft“ – beides sind Schlüsselwor-te der NS-Ideologie. Der DDR-Schrift-steller Peter Hacks hat in einer schnei-denden Abrechnung mit Jahn und derJahnverehrung Jahns Verhalten beschrie-ben, als wäre er der „ewige Arier persön-lich“ (Hacks S. 48). (...)

Barbara Vogel; ihr Vortrag wurde starkgekürzt. Wir entnahmen ihn und das ab-gebildete Dokument der Zeitung „DieSchule“.

Bereits am 2. März 1935 verfügte die Landesunterrichtsbehörde Hamburg, daßjüdische Kinder nicht mehr zur Jahn-Schule zugelassen waren. Diese Regelungwar ein Vorgriff auf die Nürnberger Gesetze zur Rassentrennung vom 15.9.1935,die ab November 1938 durch Reichsverordnung und Hamburger Erlaß „Entlas-sung der Juden aus deutschen Schulen“ für alle Hamburger Schulen galten

PB 7/ 98 • LETZTE SEITEN 27

Politische BerichteZZEEIITTUUNNGG FFÜÜRR SSOOZZIIAALLIISSTTIISSCCHHEE PPOOLLIITTIIKK–– EERRSSCCHHEEIINNTT VVIIEERRZZEEHHNNTTÄÄGGLLIICCHH

Herausgeber: Arbeitskreis Politische Berichte, Gutenberg-straße 48, 70176 Stuttgart. Herausgeber für den ArbeitskreisPolitische Berichte: Selman Arslan, Christoph Cornides, Ulri-ke Detjen, Martin Fochler, Emil Hruska, Herbert Stascheit.

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Aktuelles aus Politik und Wirtschaft: Rüdiger Lötzer; GNN-Ver-lag, Dieffenbachstr. 33, 3. Hof, Eing. C, 10967 Berlin, Tel.030 / 69 40 10 39, Fax: 030 / 69 40 10 41.Auslandsberichterstattung: Hardy Vollmer; GNN-Verlag, Wil-helmstraße 15, 79098 Freiburg, Fax : 0761/ 34961Regionales West und Ost: Jörg Detjen, (West),GNN-Verlag,Post-fach 260 226, 50515 Köln. Hausadresse GNN-Verlag, ZülpicherStr. 7, 50674 Köln, Tel. 02 21 / 21 16 58, Fax : 02 21 / 21 53 73.;Rüdiger Lötzer, (Ost) s.o. „Aktuelles…“. Regionales West undOst wird in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Linke Kom-munalpolitik hergestellt.Aus Betrieben und Gewerkschaften: Alfred Küstler, GNN-Ver-lag, Gutenbergstr. 48, 70176 Stuttgart, Tel. 07 11 / 62 47 01,Fax : 0711 / 62 15 32.Diskussion / Dokumentation und Letzte Seiten: ChristianeSchneider, Hamburg: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359Hamburg, Tel. 040 / 43 18 88 20, Fax : 040 / 43 18 88 21.

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ADRESSAUFKLEBER

MINETE

R

3.-5. April: PDS-Wahlparteitag in Rostockverabschiedet Bundestagswahlprogramm

5. April: Oberbürgermeisterwahlen inLeipzig:

19. April: FDP-Bundesparteitag verab-schiedet Bundestagswahlprogramm.

20./21. April: SPD-Bundesparteitag inLeipzig wählt Kanzlerkandidat und ver-abschiedet Wahlprogramm

25. April: Kongreß gegen das MAI in BonnAudi-Max, Pädagogische Fakultät, römer-str. 164

26. April 1998: Landtagswahl in Sachsen-Anhalt

2./3. Mai: EU-Konferenz entscheidet Teil-nehmerkreis der EU-Währungsunion ab1.1.1999

17./19. Mai: CDU-Bundestagswahlpartei-tag in Bremen

22./23. Mai: Kongreß „Renaissance derGrundrechte" in München. Bestandsauf-nahme des Abbaus der Grundrechte undPlanung gemeinsamer Aktivitäten. Bisheran der Vorbereitung beteiligt: IAF, ProAsyl, Humanistische Union, Humanisti-sche Bewegung, Bündnis 90/Die Grünen,Bayer. Flüchtlingsrat, VDJ, Neue Richte-rInnen Vereinigung, Republikanischer An-wältinnen- und Anwälteverein, Arbeiter-wohlfahrt. Infos über Büro MdEP ClaudiaRoth, Tel. 0228/1687939.

22./24. Mai: DKP-Parteitag in Hannover

29.–31.Mai: Peace Congress Osnabrück 98,Vom Westfälischen Frieden zu einem frie-densstifenden Europa. Europäischer Frie-dens- und Kriegsdienstverweigerer-Kon-greß. Infos unter Tel. 05 41 / 26 06 50, Fax:26 06 80.

8.–12. Juni 1998: 16. o. Bundeskongreß desDGB in Düsseldorf

13./14. Juni: Bundestreffen der AG Betrie-be und Gewerkschaften der PDS in NRW

13./14. Juni: Bundeskongreß der VVN-BdAin Braunschweig, Motto: „Zukunft Antifa-schismus“. Infos bei der Bundesgeschäfts-stelle der VVN-BdA, Rolandstr. 16, 30161Hannover.

13. September: Landtagswahl in Bayern

17./19.9. a.o. Gewerkschaftstag der IG Me-tall in Mannheim

27. September: Bundestagswahl, Land-tagswahl in Mecklenburg-Vorpommernund Kommunalwahlen in Brandenburg

10./11. Oktober: Herbsttagung des ForumsKommunistischer Arbeitsgemeinschaftenin Köln

24.-29. Oktober: HBV-Gewerkschaftstagin Bremen und IG-Medien-Gewerk-schaftstag in Würzburg

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Gemeinsam gegen Rassismus – gleiche Rechte für alle!Offene Grenzen für Menschen in Not

3.-5. April: PDS-Wahlparteitag in Rostock verabschiedet Bundes-tagswahlprogramm


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