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Politik AußenseitermitteninEuropa · 2020. 2. 28. · dasssiegefahrenwird“.NbP (1)...

Date post: 24-Apr-2021
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Bahn-Report 2/2020 5 BahnPolitik I n der Bundesrepublik Deutschland existiert keine Bestellorganisation für Eisenbahnverkehre auf nationaler Ebene.DasistsonstinkeinemanderenEU- MitgliedsstaatderFall.Warumeigentlich? Wenn staatliche Stellen Eisenbahnverkehrs- unternehmen (EVU) damit beauftragen, bestimmte Leistungen zu erbringen, so spricht man vom„Bestellen“. In Deutschland ist dieses Prinzip durch die Bahnreform und Regionalisierung der neunziger Jahre für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) etab- liert worden. Aufgabenträger sind seitdem dieBestellorganisationenfürdieentsprechen- den Verkehrsleistungen: Verkehrsverträge bilden die Grundlage für die sogenannten gemeinwirtschaftlichenVerkehre, welche die AufgabenträgerfürdenSPNVinDeutschland bestellen. Letztlich dient dies dem Gemein- wohl,dennNahverkehrwurdeimRegionalisie- rungsgesetzalsAufgabederDaseinsvorsorge deklariert.(1) Da mit Bahnreform und Regionalisierung lediglich die Kompetenz für den SPNV auf die Bundesländer überging, blieb für den Schienenpersonenfernverkehr (SPFV) weiterhin der Bund verantwortlich. Hier ist sogar auf Verfassungsebene vom„Wohl der Allgemeinheit“(2) die Rede. Dennoch sieht die Situation im SPFV grundsätzlich anders aus als im SPNV: Keines der im Fernverkehr agierenden Verkehrsunternehmen hat einen Verkehrsvertrag mit dem Bund. Der Bund ist nicht als Aufgabenträger für den Fernverkehr tätig geworden und bestellt keine gemeinwirtschaftlichen Verkehre. Vielmehr operieren die EVU im Fernverkehr eigenwirtschaftlich und richten ihr Angebot nach überwiegend betriebswirtschaftli- chen Opportunitäten aus. Das Ergebnis ist bekannt: Das Verschwinden des Interregios gilt geradezu als Synonym für den Rückzug desFernverkehrsausderFläche.Streitigwar schon damals, ob diese Entwicklung einen VerstoßdesBundesgegenArt.87eAbs.4GG darstellte.ZueinemVerfahrenbeimBundes- verfassungsgericht kam es jedoch nie. DerbundeseigenenDBFernverkehrAGbzw. ihrenVorgängergesellschaftenistdabeinicht einmalunbedingteinVorwurfzumachen:Sie hatlediglichdasumgesetzt,wasseitderBahn- reform von ihr als Wirtschaftsunternehmen(3) verlangt wird und ihr Angebot entsprechend gestaltet. Nicht anders agieren schließlich Thalys, Flixtrain und Co. Entsprechend äußer- te sich Enak Ferlemann, der Beauftragte der Bundesregierung für den Schienenverkehr: „Wenn die Eisenbahnverkehrsunternehmen entscheiden, eine Relation nicht zu fahren, können die Kunden nicht darauf bestehen, dass sie gefahren wird“.(4) (1) vgl. § 1 Abs. 1 RegG (2) Art. 87e Abs. 4 GG (3) vgl. Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG (4) ETR, Oktober 2019 Nr. 10, S. 8 AußenseitermitteninEuropa VON JULIAN NOLTE DaseigenwirtschaftlicheModell funktioniertnichtflächendeckend AngesichtsderLückenimNetzderDBFernver- kehr AG und auch in Anbetracht derTatsache, dassdieWettbewerbsbahnendesFernverkehrs nur auf wenigen Rennstrecken fahren, stellt sich die Frage, wie der derzeit viel diskutierte DeutschlandtaktalsbundesweiterTaktfahrplan Realitätwerdenkann.Daseigenwirtschaftliche Marktmodellscheintflächendeckendjedenfalls nicht zu funktionieren. Eine Studie im Auftrag der bündnisgrünen Bundestagsfraktion(5) hat sich mit dieser Frage beschäftigt und kommt zu dem Schluss, dass ein Konzessionsmodell mitbestelltemFernverkehrambestengeeignet ist, einen flächendeckenden Deutschlandtakt umzusetzenundsomitdieverkehrspolitischen Ziele des Bundes (Stichwort Verdoppelung) zu unterstützen. Gleichzeitig kann der ver- fassungsrechtliche Auftrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bereich der öffentlichen Mobilitätsangebote durch deutschlandweit bestellten Fernverkehr kon- kretisiert werden. Letztlich nimmt ein derarti- ges Bestellmodell den Bund viel stärker in die Pflicht,indemerverkehrlicheundraumordne- rischeZieledefinierenundmitBahnangeboten konkretisierenmuss.HeutelehntsichderBund vielmehrzurückundverweistaufdieunterneh- merische Eigenverantwortung„seiner“ DB AG. Rechtsfaktisch folgt die Angebotsentwicklung im SPFV damit ausschließlich unternehmeri- schen Gesichtspunkten. (5) vgl. Felix Berschin et al.: Der Deutschlandtakt – Be- wertung von Organisationsvarianten zur Umsetzung eines flächendeckenden Taktfahrplans. (Der Autor dieses Beitrags war an der Erarbeitung der Studie beteiligt.) Studie verfügbar unter www.gruene-bundestag.de/themen/mobilitaet/klare- weichenstellungen-fuer-den-deutschlandtakt WiederholthabendiedeutschenLänderda- rauf gedrängt, einen„Bundesaufgabenträger“ fürdenFernverkehraufnationalerEbeneeinzu- richten.SchließlichmusstendieLänderoftmals durch die Bestellung und Finanzierung von langlaufenden SPNV-Leistungen die Lücken füllen, welche die Einstellung von eigenwirt- schaftlichenFernverkehrsangebotenhinterließ. Doch die Bundesländer sind regelmäßig am Widerstand des Bundes gescheitert.(6) Und so istDeutschlanddaseinzigeLandderEU,indem kein Eisenbahnaufgabenträger auf nationaler Ebeneexistiert(vgl.untenstehendeKarte),und nimmt somit eine Sonderrolle ein. Nicht nur die fragliche Umsetzung des DeutschlandtaktesinderZukunftistdasErgeb- nis dieser bundespolitischen Leerstelle ohne bestellten Fernverkehr. Auch eine Angebots- entwicklung im SPFV nach der„Versuch-und- Irrtum“-Methodeundentsprechendepolitische Empörung, wenn sich kurzerhand Haltemuster der Fernzüge verändern(7), sind eine Folge aus- bleibenderVerbindlichkeitmangelsBundesauf- gabenträger. Für die SPNV-Aufgabenträger er- gibtsichhierausauchdieProblematikvonnicht dauerhaftgesicherterenAnschlussbeziehungen zwischenFern-undNahverkehr. Gemeinwirtschaftlicher FernverkehrstattVerpflichtung derDBAGaufsGemeinwohl Analog zur Länderzuständigkeit für den SPNV würde der Bund als SPFV-Aufgabenträger Ver- kehrsleistungen organisieren und bestellen. BestellterFernverkehrwäreeinAusdruckdersich (6) vgl. z.B. BR-Drucksache 745/16 (Beschluss) (7) vgl. z.B. www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/stadt- bonn/Politik-kritisiert-Bahn-f%C3%BCr-Fa-hrplanwechsel-in- Siegburg-article4102974.html Darstellungnach:Sixthreportonmonitoringdevelopmentoftherailmarket,Reportfrom theCommissiontotheEuropeanParliamentandtheCouncil,SWD(2019)13final,S.79
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Page 1: Politik AußenseitermitteninEuropa · 2020. 2. 28. · dasssiegefahrenwird“.NbP (1) vgl.§1Abs.1RegG (2) Art.87eAbs.4GG (3) vgl.Art.87eAbs.3S.1GG (4) ETR,Oktober2019Nr.10,S.8 AußenseitermitteninEuropa

Bahn-Report 2/2020 55

BahnPolitik

In der Bundesrepublik Deutschlandexistiert keine Bestellorganisationfür Eisenbahnverkehre auf nationaler

Ebene.Das istsonst inkeinemanderenEU-MitgliedsstaatderFall.Warumeigentlich?

Wenn staatliche Stellen Eisenbahnverkehrs-unternehmen (EVU) damit beauftragen,bestimmte Leistungen zu erbringen, sospricht man vom „Bestellen“. In Deutschlandist dieses Prinzip durch die Bahnreform undRegionalisierung der neunziger Jahre für denSchienenpersonennahverkehr (SPNV) etab-liert worden. Aufgabenträger sind seitdemdieBestellorganisationen fürdie entsprechen-den Verkehrsleistungen: Verkehrsverträgebilden die Grundlage für die sogenanntengemeinwirtschaftlichen Verkehre, welche dieAufgabenträger für den SPNV in Deutschlandbestellen. Letztlich dient dies dem Gemein-wohl, dennNahverkehrwurde imRegionalisie-rungsgesetz als AufgabederDaseinsvorsorgedeklariert. (1)Da mit Bahnreform und Regionalisierung

lediglich die Kompetenz für den SPNVauf die Bundesländer überging, blieb fürden Schienenpersonenfernverkehr (SPFV)weiterhin der Bund verantwortlich. Hier istsogar auf Verfassungsebene vom „Wohl derAllgemeinheit“ (2) die Rede. Dennoch siehtdie Situation im SPFV grundsätzlich andersaus als im SPNV: Keines der im Fernverkehragierenden Verkehrsunternehmen hateinen Verkehrsvertrag mit dem Bund. DerBund ist nicht als Aufgabenträger für denFernverkehr tätig geworden und bestelltkeine gemeinwirtschaftlichen Verkehre.Vielmehr operieren die EVU im Fernverkehreigenwirtschaftlich und richten ihr Angebotnach überwiegend betriebswirtschaftli-chen Opportunitäten aus. Das Ergebnis istbekannt: Das Verschwinden des Interregiosgilt geradezu als Synonym für den Rückzugdes Fernverkehrs aus der Fläche. Streitig warschon damals, ob diese Entwicklung einenVerstoß des Bundes gegen Art. 87e Abs. 4 GGdarstellte. Zu einemVerfahren beim Bundes-verfassungsgericht kam es jedoch nie.DerbundeseigenenDBFernverkehrAGbzw.

ihrenVorgängergesellschaften ist dabei nichteinmal unbedingt einVorwurf zumachen: Siehat lediglichdasumgesetzt,was seit der Bahn-reform von ihr als Wirtschaftsunternehmen(3)verlangt wird und ihr Angebot entsprechendgestaltet. Nicht anders agieren schließlichThalys, Flixtrain und Co. Entsprechend äußer-te sich Enak Ferlemann, der Beauftragte derBundesregierung für den Schienenverkehr:„Wenn die Eisenbahnverkehrsunternehmenentscheiden, eine Relation nicht zu fahren,können die Kunden nicht darauf bestehen,dass sie gefahren wird“. (4)

(1) vgl. § 1 Abs. 1 RegG

(2) Art. 87e Abs. 4 GG

(3) vgl. Art. 87e Abs. 3 S. 1 GG

(4) ETR, Oktober 2019 Nr. 10, S. 8

Außenseiter mitten in EuropaVON JULIANNOLTE

� Das eigenwirtschaftlicheModellfunktioniert nicht flächendeckend

Angesichtsder Lücken imNetzderDBFernver-kehr AG und auch in Anbetracht der Tatsache,dassdieWettbewerbsbahnendesFernverkehrsnur auf wenigen Rennstrecken fahren, stelltsich die Frage, wie der derzeit viel diskutierteDeutschlandtaktalsbundesweiterTaktfahrplanRealitätwerdenkann.DaseigenwirtschaftlicheMarktmodell scheintdächendeckend jedenfallsnicht zu funktionieren. Eine Studie im Auftragder bündnisgrünen Bundestagsfraktion (5) hatsich mit dieser Frage beschäftigt und kommtzu dem Schluss, dass ein KonzessionsmodellmitbestelltemFernverkehrambestengeeignetist, einen dächendeckenden DeutschlandtaktumzusetzenundsomitdieverkehrspolitischenZiele des Bundes (Stichwort Verdoppelung)zu unterstützen. Gleichzeitig kann der ver-fassungsrechtliche Auftrag zur Schaffunggleichwertiger Lebensverhältnisse im Bereichder öffentlichen Mobilitätsangebote durchdeutschlandweit bestellten Fernverkehr kon-kretisiert werden. Letztlich nimmt ein derarti-ges Bestellmodell den Bund viel stärker in diePdicht, indemer verkehrliche und raumordne-rischeZieledefnierenundmitBahnangebotenkonkretisierenmuss.Heute lehnt sichderBundvielmehrzurückundverweist aufdieunterneh-merische Eigenverantwortung„seiner“ DB AG.Rechtsfaktisch folgt die Angebotsentwicklungim SPFV damit ausschließlich unternehmeri-schen Gesichtspunkten.

(5) vgl. Felix Berschin et al.: Der Deutschlandtakt – Be-

wertung von Organisationsvarianten zur Umsetzung eines

Jächendeckenden Taktfahrplans. (Der Autor dieses Beitrags

war an der Erarbeitung der Studie beteiligt.) Studie verfügbar

unter www.gruene-bundestag.de/themen/mobilitaet/klare-

weichenstellungen-fuer-den-deutschlandtakt

Wiederholt habendiedeutschenLänderda-rauf gedrängt, einen„Bundesaufgabenträger“fürdenFernverkehraufnationalerEbeneeinzu-richten. SchließlichmusstendieLänderoftmalsdurch die Bestellung und Finanzierung vonlanglaufenden SPNV-Leistungen die Lückenfüllen, welche die Einstellung von eigenwirt-schaftlichenFernverkehrsangebotenhinterließ.Doch die Bundesländer sind regelmäßig amWiderstand des Bundes gescheitert. (6) Und soistDeutschlanddaseinzigeLandderEU, indemkein Eisenbahnaufgabenträger auf nationalerEbeneexistiert (vgl. untenstehendeKarte), undnimmt somit eine Sonderrolle ein.Nicht nur die fragliche Umsetzung des

Deutschlandtaktes inder Zukunft ist das Ergeb-nis dieser bundespolitischen Leerstelle ohnebestellten Fernverkehr. Auch eine Angebots-entwicklung im SPFV nach der „Versuch-und-Irrtum“-MethodeundentsprechendepolitischeEmpörung, wenn sich kurzerhand Haltemusterder Fernzüge verändern(7), sind eine Folge aus-bleibenderVerbindlichkeitmangelsBundesauf-gabenträger. Für die SPNV-Aufgabenträger er-gibt sichhierausauchdieProblematikvonnichtdauerhaftgesicherterenAnschlussbeziehungenzwischen Fern- undNahverkehr.

� GemeinwirtschaftlicherFernverkehr stattVerpflichtungder DB AG aufs Gemeinwohl

Analog zur Länderzuständigkeit für den SPNVwürde der Bund als SPFV-Aufgabenträger Ver-kehrsleistungen organisieren und bestellen.BestellterFernverkehrwäreeinAusdruckdersich

(6) vgl. z.B. BR-Drucksache 745/16 (Beschluss)

(7) vgl. z.B. www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/stadt-

bonn/Politik-kritisiert-Bahn-f%C3%BCr-Fa-hrplanwechsel-in-

Siegburg-article4102974.html

Darstellungnach:Sixthreportonmonitoringdevelopmentoftherailmarket,ReportfromtheCommission to theEuropeanParliamentand theCouncil, SWD(2019)13final, S. 79

Page 2: Politik AußenseitermitteninEuropa · 2020. 2. 28. · dasssiegefahrenwird“.NbP (1) vgl.§1Abs.1RegG (2) Art.87eAbs.4GG (3) vgl.Art.87eAbs.3S.1GG (4) ETR,Oktober2019Nr.10,S.8 AußenseitermitteninEuropa

6 Bahn-Report 2/20206

BahnPolitik

ausdemGrundgesetzergebendenGemeinwohl-verpdichtungdes Bundes für den Fernverkehr.(8)Um okenkundige Defzite bundesdeutscher

Bahnpolitik zu heilen, wird derzeit sowohl vonRegierungs- als auch von Oppositionsseite dis-kutiert, ob nicht die bundeseigene DB AG undihre Töchtergesellschaften„auf das Gemeinwohlverpdichtet“(9) werden sollten. Gemeinwohlvor-gaben an den DB-Konzern erscheinen wettbe-werbsrechtlichundbetriebswirtschaftlichjedochproblematisch: Unmittelbare Beihilfen dürften,jedenfalls fürVerkehrsangebote,europarechtlichunzulässigsein.WirdderDBAGdennochvonderPolitikauferlegt,betriebswirtschaftlichunrentableLinienbedienenzumüssen,soistdasgegenüberdem Unternehmen unfair: Schließlich muss essich auf rentablen Linien demWettbewerb mitanderen Bahngesellschaften stellen. Eine Ver-pdichtungdesDB-KonzernsaufdasGemeinwohlwürde dann erst recht bedeuten, dass Gewinnesprichwörtlichprivatisiert–sieentstehenauchbeiden nichtbundeseigenen Unternehmen – undVerluste sozialisiert – sie entstehen durch dieGemeinwohlverpdichtungbeimbundeseigenenUnternehmen–würden.Genaudiese Klippe lässt sichmit der Bestel-

lung von gemeinwirtschaftlichen Verkehren

umschiffen. Eine staatliche Stelle definiertdabei Gemeinwohlaufgaben (die sich in derAngebotsgestaltung widerspiegeln) und be-stellt auf dieser Basis entsprechendeVerkehrs-leistungen. Dies folgt dem Grundprinzip vonLeistung und Gegenleistung: Ist die bestellte

(8) vgl. Art. 87e Abs. 4 GG

(9) www. s p i e g e l . d e / w i r t s c h a f t / u n t e r n e h -

men/koa l i t i on -une i n i g -uebe r-umbau- de r-bahn-

a-00000000-0002-0001-0000-000169006289; vgl. aber auch

www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-

die-bahn-braucht-nicht-nur-geld-sondern-auch-neue-struktu-

ren/25474638.html

Strecke betriebswirtschaftlich rentabel, kannder Staat vom beauftragten Unternehmeneine Konzessionsgebühr verlangen. Ist diebestellte Strecke unrentabel, fnanziert derStaatdenBetrieb.WerdendabeidieRegelndermaßgeblichenVerordnung (EG)Nr. 1370/2007eingehalten, ist ein derartiges Modell auchgrundsätzlich europarechtlich zulässig.Die Bestellung gemeinwirtschaftlichen

Fernverkehrs durch den Bund ist letztlich eineordnungspolitisch „saubere“ Lösung zur Kon-kretisierung von Gemeinwohlaufgaben. EineGemeinwohlverpdichtungderDBAGdurchdenBund, die als Unternehmen gleichzeitig weiter-hin imWettbewerbmit anderen Unternehmenohne derartige Bürde bestehen muss, erfülltdiesen Anspruch nicht.

� Bestellen heißt nichtzwangsläufig ausschreiben

Wenn zahlreiche Gründe für einen bestelltenFernverkehr und eine entsprechende Aufga-benträgerschaftaufnationalerEbenesprechen,stelltsichdieFrage,warumdies inDeutschland–anders als in allen anderen EU-Ländern – nichtumgesetztwurde.DieAntworthierauf ist indemUmstand zu suchen, dass einBestellmodell den

Status quo der DB Fernverkehr AG und somitdas„Flaggschik“ des bundeseigenen Konzernsbedroht:„Ähnlichwie dieDBRegioAG imSPNVmüsstesichdieDBFernverkehrAGineinemder-artigen Marktmodell auf dem Ausschreibungs-wettbewerb des nunmehr konzessioniertenSPFV beweisen“. (10) Der Bundesbeauftragte fürden Schienenverkehr Enak Ferlemann positio-niertsichhierzuklarundlehntAusschreibungen

(10) Felix Berschin et al.: Der Deutschlandtakt – Bewertung

von Organisationsvarianten zur Umsetzung eines Jächende-

ckenden Taktfahrplans, S. 29

im SPFV entschieden ab. (11) Das mag durchausnachvollziehbarsein,wennmansichsomanchedurchAusschreibungenvergebeneSPNV-NetzeunddasdortigeChaosnachBetreiberwechselnaktuell anschaut.Es liegt jedochauchhier inderHanddesBun-

des,diesenUmstandzuverändern:Dennandersals landläufg vermutet erlaubt die imZugedes4. EU-Eisenbahnpakets novellierte Verordnung(EG) Nr. 1370/2007 Direktvergaben für gemein-wirtschaftlicheVerkehre ohneAusschreibungs-wettbewerbinbestimmtenFällen.Dassgemein-wirtschaftlicheEisenbahnverkehrewieaktuell imSPNVregelmäßigausgeschriebenwerden, liegtvielmehr am deutschen Vergaberecht und derdazugehörigen Rechtsprechung(12) – undweni-geranEU-Vorgaben,wieregelmäßigkolportiertwird. Will der Bund keine Ausschreibungen imSPFV, so istesan ihm(auchalsGesetzgeber),dieVoraussetzungen für entsprechende Direktver-gabenzuschaken (wiez.B. indenNiederlandenfür das Fernverkehrsnetz geschehen).

� Aktuelle Probleme könnenmit demBestellmodellangegangenwerden

Die derzeitige Klimadebatte gibt dem SystemSchienegrundsätzlichRückenwindundhatauchdas Thema Nachtzüge wieder in die ökentlicheDiskussion zurückgebracht. Ende Januar zitiertedas„Handelsblatt“ EnakFerlemannmitdenWor-ten:„WirkönnteneineuropäischesNachtzugnetzhaben“(13). Oken bleibt in dem Bericht jedoch,wie dies realisiert werden soll. Ein gleichzeitigangekündigter Nachtzug Berlin – Brüssel zurdeutschen Ratspräsidentschaft wird nicht mehrals ein Feigenblatt bleiben,wenn seinVerkehrenaufdiezweiteJahreshälfte2020beschränktbleibt.WenngleichdiesesVorhaben (und auchdie Idee„Europatakt“) im Kern richtig ist, so fehlen vonFerlemann doch konkretere Aussagen darüber,wieeinsolcheseuropäischesProjektausgestaltetwerdenunddauerhaft etabliertwerden kann.Wenige Tage zuvor hatte sich am 27.01.20

bei einem Fachgespräch über Nachtzüge imdeutschenBundestagderÖBB-FernverkehrschefKurt Bauer abermals für das Bestellmodellstarkgemacht, denn einen „Business Case“,der Investitionen erlaube und vollständig aufEigenwirtschaftlichkeit basiere, gebe es imeuropäischen Nachtzuggeschäft derzeit nicht.Nur die Bestellung von Verkehren in Österreich

und auch in anderen Staaten – aber eben nichtinDeutschland–erlaubeesdenÖBB, ihreMarke„NightJet“weiter auszubauen.Auch im Bereich Tarif kann ein deutsch-

landweites Bestellmodell helfen, aktuelle

(11) vgl. ETR, Oktober 2019 Nr. 10, S. 8

(12) vgl.dazuBGH,Beschlussvom08.02.11–XZB4/10.Wesent-

liche auf dieVergabe von öWentlichenAufträgen über Eisenbahn-

dienste anwendbareVorschriften Xnden sich in § 131GWBAbs. 1

und 2; vgl. dazu auch: BT-Drucksache 18/12711

(13) www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-kon-

sumgueter/eisenbahn-europa-soll-wieder-ein-grenzueber-

schreitendes-bahnnetz-erhalten/25492848.html

Wenn der Bund keine Ausschreibungen im Fernverkehr will, so liegt es an ihm, dieentsprechenden Änderungen amRechtsrahmen vorzunehmen. Das EU-Recht steht dem

nicht imWege, denn es erlaubt grundsätzlich auch Direktvergaben.

Für das Funktionieren europäischer Verkehre ist internationale Kooperation weiterhin un-erlässlich. Doch während die Schweiz den Fernverkehr vollständig konzessioniert und auchÖsterreichwesentlichegemeinwirtschaftlicheLeistungenbestellt, setztDeutschlandimSPFVvollständig auf das sogenannte eigenwirtschaftlicheModell. Somit müssen die ÖBB für ihre„NightJets“ in der Bundesrepublik das ökonomische Risiko übernehmen – immerhin unter-stützt die DB die Traktion der ÖBB-Nachtzüge. Am 09.09.19 setzte sich 101 139 in Basel SBBvorNJ 470 vonZürichHBnachBerlinOstbahnhof. Foto: JulianNolte

Page 3: Politik AußenseitermitteninEuropa · 2020. 2. 28. · dasssiegefahrenwird“.NbP (1) vgl.§1Abs.1RegG (2) Art.87eAbs.4GG (3) vgl.Art.87eAbs.3S.1GG (4) ETR,Oktober2019Nr.10,S.8 AußenseitermitteninEuropa

Bahn-Report 2/2020 77

BahnPolitik

Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass erstkürzlich auch die neue EU-Verkehrskom-missarin Adina Vălean die Bedeutung vonNachtzügen als Alternative zum Flugzeugund die Bestellung entsprechender Zügedurch Aufgabenträger hervorgehoben hat. (18)In Deutschland wird der Hinweis aus Brüsselmangels Aufgabenträger für den Fernverkehrsicherlich verhallen.DergegenwärtigeWegderdeutschenBahn-

politik ist jedenfalls weder Fisch noch Fleisch:Einerseitswird ein sinnvoller, verkehrspolitischgebotener staatlicher Markteingriff wie diehier thematisierte Bestellung von gemeinwirt-schaftlichen Verkehren auf nationaler Ebeneabgelehnt. Andererseits wird aber gleichzeitig

mit dem Dogma der vollkostendeckendenInfrastrukturnutzungsentgelte für Trassenund Stationen durch den Bund ein Rahmengesetzt, der einermarktlichenEntwicklungdesBahnsektors nicht zuträglich ist. Denn letztlichbedeutetdasVollkostenprinzip, dass Fixkostendes Systems Schiene verdient werdenmüssenund die Eisenbahn im intermodalen Wettbe-werb somit schlechter gestellt wird.DassVollkostenaufschlägeüberhaupt euro-

parechtlich zulässig sind, geht wesentlich aufdeutsches Bestreben zurück. (19) Einmal mehrhat sich die Bundesrepublik damit in die Rolleeines europäischen Außenseiters gebracht.Dabei sollte der Anspruch Deutschlands – al-lein aufgrund seiner Lagemitten in Europa– inder Zeit von Klimadebatte und „Flugscham“eigentlich sein, ein umweltfreundliches Land-verkehrsmittel wie die Eisenbahn in jeglicherHinsicht zu unterstützen.

(18) vgl. Answers to the EuropeanParliament - Questionnaire

to the commissioner-designate Adina Vălean, S. 14

(19) vgl. Railmap 2030 – BahnpolitischeWeichenstellungen

fur die Verkehrswende (Langfassung). S. 135

Probleme wie die Nichtanerkennung vonFahrscheinen zwischen parallel verkehrendenUnternehmen im SPFV zu lindern: Das Beispielvon ICE und Thalys illustriert anschaulich, dassalleiniger Wettbewerb, der auf dem Primat derEigenwirtschaftlichkeit basiert, regelmäßig zufahrgastunfreundlichen Lösungen führt. (14) Vordiesem Hintergrund – und auch unabhängigvon der Realisierung des Deutschlandtaktes –hat sich selbst die Monopolkommission dafürausgesprochen, verpdichtende durchgehendeTarife einzuführen. (15) Eswäre letztlichaucheineAufgabe für den Bundesaufgabenträger, einensolchenTarif aufzustellenbzw.dieheutigenDB-Tarife zu adaptieren und unternehmensneutralfortzuführen.

Da mit dem Bestellmodell ohnehin derRechtsrahmen anzupassen sein wird, solltengleichzeitigdieRegularien zurTrassenvergabeüberprüft werden. Nach Möglichkeit solltensie derart ausgestaltet werden, dass bestellte,vertaktete Verkehre (egal ob Nah- oder Fern-verkehr) Vorrang vor Einzellagen genießen.In der Schweiz haben nur im Nah- und

Fernverkehr konzessionierte UnternehmenZugang zu den vertakteten Trassen des Per-sonenverkehrs. Da die Eidgenossen über dasLandverkehrsabkommen jedoch lediglich „ingroben Zügen“ an das EU-Recht gebundensind, besteht die Notwendigkeit zur Prüfung,ob eine entsprechendeVorschrift in Deutsch-landmit demeuroparechtlich gebotenen frei-en Netzzugang in Einklang gebracht werdenkönnte.Überhauptdürften imZusammenspielvon Vergabe- und Regulierungsrecht die we-sentlichenKnackpunkteder in diesemBeitraggeschilderten Thematiken liegen.In jedem Fall ist das gegenwärtige deutsche

VerfahrenzurTrassenvergabeimmerwiederGe-genstandvonKritik– insbesonderedann,wennTrassen von den eigenwirtschaftlichen SPFV-Unternehmen kurzfristig nicht genutzt werdenund der gemeinwirtschaftlich bestellte Verkehrseine Fahrpläne dennoch anpassenmusste. (16)

� Fazit und SchlussOhne die Funktion eines Aufgabenträgers aufnationalerEbenehinterlässtderBundeineregel-rechteverkehrspolitischeLeerstelle.DeutschlandnimmtdabeiaußerdemdieRolleeinesAußensei-ters inderEUein.SoexistierenzwarvollmundigeAnkündigungen für den Deutschlandtakt (odergar einen Europatakt mit den Nachbarländern),dochwiedieserverbindlichunddächendeckendrealisiertwerden soll, darauf gibt der Bund keinezufriedenstellendenAntworten.Dennochgelingt esdemBund, inderÖkent-

lichkeit den Eindruck zu hinterlassen, dass vielfür die Schiene getanwerde: Milliardenbeträge

(14) vgl. dazu Rainer Engel: Der Deutschlandtakt – ein

Monopol-Problem? In: Bahn-Report 2/2019, S. 9

(15) vgl.Monopolkommission: SektorgutachtenBahn (2019):

Mehr Qualität undWettbewerb auf die Schiene, S. 91

(16) vgl. z.B. www.zughalt.de/2019/12/linke-rheinstrecke-

kritik-an-$ixtrain/

wie etwa für die LuFV III und die jüngste RegG-Mittelerhöhung helfen dabei, wenigstenspositive Schlagzeilen zu erzeugen. Dass rah-menrechtlicheundinstitutionelleProbleme,dieder Bund bis heute ignoriert bzw. sogar selbstgeschaffen hat (17), damit geschickt kaschiertwerden, ist ein eher zweifelhaftes Meisterstückder politischen Kommunikation. InsbesondereEnakFerlemannkannmannichtabstreiten,dasser einbrillanter Redner ist – dochbei genauererBetrachtung bleiben manche seiner AussagenlediglichWorthülsen.DasseinUmsteuerninderdeutschenBahnpo-

litiknotwendigist,scheintgleichwohlinzwischenüberparteilicher Konsens.WiediesesUmsteuernaussehen kann, muss die anstehende Debatte

konkretisieren.Siedarfsichjedenfallsnichtauffor-male Fragen zumDB-Konzern (AGoderGmbH?)beschränken.VielmehrmussdiebreiteErkenntnisindiePolitikeinkehren,dass insbesonderefürdiedächendeckendeRealisierungdesDeutschland-takteseinviel stärkeresEngagementdesBundesnotwendigist.Kurzum:EsmusseininstitutionellesUmdenkenaufBundesebenestattfnden.Bestell-ter Fernverkehr durch einenAufgabenträger aufnationalerEbenewäreeinwichtigerBausteinzurAntwort auf die Frage, wie eine Konkretisierungvon Gemeinwohlaufgaben in der Bahnpolitikaussehen kann. Für die Infrastruktur, aber auchfürdenGüterverkehr(StichwortEinzelwagenver-kehr) sindweitereAntworten zufnden.

(17) Verwiesen sei insbesondere auf den Mechanismus des

vomBunderlassenenEisenbahnregulierungsgesetzes (ERegG),

nachdem ein Großteil der erhöhten Regionalisierungsmittel

direkt an die Infrastrukturunternehmen (insbesondere

DB Netz und DB Station&Service) Jießt, ohne dass diesem

GesetzeseWekt eine tatsächliche Mehrleistung der Infrastruk-

turunternehmen entgegensteht. Vgl. dazu: bag-spnv.de/

presse/details/erh%C3%B6hung-der-regionalisierungsmittel-

bundestag-best%C3%A4tigt-handlungsbedarf

MitMilliardenbeträgen (LuFV III, RegG-Mittelerhöhung etc.) kann der Bund positiveSchlagzeilen erzeugen undwesentliche Probleme seines (Nicht-)Handelns geschicktkaschieren – ein eher zweifelhaftesMeisterstück der politischen Kommunikation.

DieElektrifzierungderAusbaustreckeMünchen–Lindau(ABS48)wäreohne<nanzielleUnter-stützungsleistungderSchweizwahrscheinlichbisheutenichtvondeutscherSeiteangegangenworden. ImmerhingehtdasVorhabenderVollendungentgegenunddieAufnahmedeselekt-rischenBetriebs auf der EC-LinieMünchen –Zürich imDezember 2020 scheint greifbar nahe.BeiEnzisweileroberhalbvonLindauwarendieElektri<zierungsarbeitenam30.01.20nochimGange,alsdieMühldorfer218426mitEC195(ZürichHB–MünchenHbf)die imBauzugdiensttätige 218 488 vonRailsystemsRPpassierte. Foto: Claudius Bernhard


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