Pleisweiler Gespräch am 15. Juli 2018
Der Kampf um die Energiewende
Vortrag von Rechtsanwalt Dr. Peter Becker, Kreuzbergweg 11, 34253 Lohfelden
Die Energiewende ist ein hochkomplexer Vorgang.
Sie wird vorangetrieben vom Klimawandel.
Da der Klimawandel ein weltweites Phänomen ist, ist auch die
Energiewende international.
Mein Vortrag kann sich daher nicht auf die Situation in Deutschland
beschränken, sondern muss die wichtigen internationalen Vorgänge und
Triebkräfte in den Blick nehmen.
Schwerpunkte:
Wie kam es zur deutschen Energiewende?
Was ist international vorausgegangen, was hat sich international
ereignet?
Wie ist die Situation in Deutschland? Die Triebkräfte, Einschätzungen und
Fehleinschätzungen. Wo geht die Reise hin?
Wer treibt die Energiewende voran, wer kritisiert sie, warum?
Warum wird alles gut?
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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1. Der Klimawandel ist international, daher ist es
auch der Klimaschutz: Die Abkommen
Die Entwicklung
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC oder Weltklimarat) 1988:
2007 ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis, zusammen mit Al Gore
Rio de Janeiro 1992: Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen
(UNCED)
Berlin 1995: 1. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (COP 1)
Kyoto 1997: 3. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (COP 3)
– Kyoto-Protokoll, das die Welt in zwei Kategorien einordnet: die entwickelte
und die sich entwickelnde Welt.
Den Haag 2000: 6. Vertragsstaatenkonferenzen der Klimarahmenkonvention
(COP 6)
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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Johannesburg 2002: Konferenz der Vereinten Nationen zur Nachhaltigen
Entwicklung
Bonn 2009: Gründung der International Renewable Energy Agency (IRENA)
Kopenhagen 2009: 15. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention
(COP 15
Warschau 2013: 19. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention
(COP 19)
Paris 12/2015: Klimaschutzvertrag. Dazu: Schafhausen, Der Klimaschutzvertrag
von Paris: Bemerkungen eines Insiders, ZNER 2016, 175
Eckpunkte von Paris:
Netto-Null-Treibhausgasemissionen im Laufe des Jahrhunderts
Beschränkung des durchschnittlichen weltweiten Temperaturanstiegs auf
unter 2° C mit der Tendenz auf 1,5° C (Obergrenze)
Zusage für eine internationale Klimafinanzierung durch die
Industriestaaten: jährlich 100 Mrd. Dollar bis 2025, danach Festlegung
neuer Ziele
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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2. EU-Recht
Europäisches Emissions-Handels-System 2005 (Emission Trade System, ETS)
Erste Basis-EU-Emissionshandelsrichtlinie (2003/87/EG)
Deutsche Umsetzung: Treibhausgas-Emissions-Handelsgesetz (TEHG), seit 15. Juli 2004
Funktionsweise ‚Cap and Trade‘ – Beschränken und Handeln:
Das System will jährlich Zertifikate reduzieren, um so den CO2-Ausstoß zurückzuführen
Erfasste CO2-Emittenten erhalten Zertifikate, aber etwas weniger, als sie brauchen, um den gesamten CO2-Ausstoß zu erfassen.
Jedoch wurden auf Druck der Industrie die Zertifikate kostenlos ausgegeben und müssen erst später aufgrund von Versteigerungen zuerworben werden.
Viele Unternehmen haben nicht benötigte Berechtigungen am Markt verkauft.
Der Marktpreis – später der Börsenpreis – verfiel, 2016 auf 5,62 €/t.
Speerspitze des Widerstands der Industrie: Wirtschaftsminister Wolfgang Clement.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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Hans-Werner Sinn (Ex-Chef IFO-Institut) kritisiert, dass das EEG das ETS unterlaufe,
weil EE den CO2-Ausstoß bremsten und so den Überschuss an Zertifikaten
verstärkten.
Die Kritik ist richtig, soweit sie das Preisphänomen beschreibt, aber dennoch falsch,
weil das EEG früher kam. Deswegen hat Jürgen Trittin von Anfang an eine viel
stärkere Begrenzung der Zertifikatzahl gefordert.
Beschlüsse des Europäischen Rates zu einer integrierten Energie- und
Klimapolitik 2007, gültig für Strom, Wärme/Kälte und Verkehr
Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2009
Deutschland 18 % aus EE am gesamten Endenergieverbrauch bis 2020
(Anteil 2005 5,8 %)
EU-Energieeffizienz-Richtlinie 2012,
neugefasst 20.01.2018
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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3. Wie ist die Energiewende in Deutschland eigentlich
entstanden; der Beitrag der CSU
Ich verorte sie beim Stromeinspeisungsgesetz (StrEG), das am 1.1.1991 in
Kraft getreten ist. Geschichte:
Die Betreiber von Wasserkraftwerken kämpfen gegen die Netzbetreiber, vor
allem die Stromkonzerne und Stadtwerke, um kostendeckende
Einspeisevergütungen für Überschussstrom.
Sie erreichen aber nur eine Verbändevereinbarung.
Das Problem: Die Netzbetreiber sind Monopolisten, sie können die
Wasserkraftbetreiber ausbremsen.
Da kam er: Dr. Peter Ramsauer, Betreiber einer Mühle mit Wasserkraft und
Geschäftsführer der Bayerischen Kleinwasserkraftbetreiber e.V.
Er kommt 1990 in den Bundestag, packt sofort sein Anliegen einer
gesetzlichen Regelung an und findet dabei Unterstützung von allen
Fraktionen, insbesondere von Hermann Scheer, der seit 1980 im Bundestag
sitzt und den Betrieb kennt.Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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Scheer empfiehlt ein Parlamentsgesetz, also ein Gesetz, dessen Entwurf nicht
aus dem Bundeswirtschaftsministerium kommt, das die Stromkonzerne im
Griff haben.
Eckpunkte:
Die Netzbetreiber müssen Strom aus Wasser- und Windkraft,
Sonnenenergie, Deponiegas, Klärgas oder aus Biomasse abnehmen
und vergüten.
Die Vergütung beträgt für Strom aus Sonnenenergie und Windkraft
mindestens 90 % des Durchschnittspreises je kWh, den Letztverbraucher
bezahlen müssen, für die restlichen Erzeuger 80 %.
Es gibt eine Härteklausel: Wenn die Einspeisung 5 % der insgesamt über
das Versorgungsnetz des Netzbetreibers abgesetzten kWh übersteigt,
muss der vorgelagerte Netzbetreiber die Mehrkosten für diesen Anteil
erstatten. Wird infolge des Windkraftausbaus in Schleswig-Holstein und
Niedersachsen binnen weniger Jahre mehrfach erreicht.
Alle Parteien stimmen zu, auch die FDP.
Das Gesetz hat nur 6 Paragrafen!
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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4. Der Einfluss der Strommarktregulierung
1998 kommt es zur Stromliberalisierung, in Deutschland umgesetzt durch dasEnergiewirtschaftsgesetz, das im Wesentlichen seit 1935 gilt.
Es wird erzwungen durch die EU-Stromrichtlinie von 1996. WesentlicheMerkmale:
Schaffung eines wettbewerbsorientierten Elektrizitätsmarkts zur Vollendung desEnergiebinnenmarkts
Netzöffnung
Freie Wahl des Stromlieferanten
Vorrang für die Elektrizitätserzeugung auf Basis Erneuerbarer Energien (EE) ausGründen des Umweltschutzes
Netzöffnung und Netzentgelte zunächst auf Basis einerVerbändevereinbarung (VV), seit 2005 Regulierung durchRegulierungsbehörden
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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5. Das EEG 2000
EEG 2000. Wiederum Parlamentsgesetz. Auslöser: Der „5%-Deckel“ wird erreicht,die vorgelagerten Stromkonzerne müssen Überschussstrom abnehmen undbezahlen.
Das Gesetz ist eines der wichtigsten der rot-grünen Koalition, die seit 1998 an derMacht ist. Viele Abgeordnete der CDU/CSU unterstützen es, treibende Kraft CSU(Ramsauer und Scheer sind befreundet).
Ziel des Gesetzes: „Im Interesse des Klima- und Umweltschutzes eine nachhaltigeEntwicklung der Energieversorgung zu ermöglichen und den Beitrag der EE ander Stromversorgung deutlich zu erhöhen, um entsprechend den Zielen derEuropäischen Union und der BRD den Anteil Erneuerbarer Energien amgesamten Energieverbrauch bis zum Jahr 2010 mindestens zu verdoppeln.“
Ergebnis: Anteil der EE an der Stromerzeugung steigt von 4,6 % 1998 auf 10 %Ende 2004; aktuell 36,2 %!
Folge des Ausbaus der Windkraft, der sich seit 2000 mehr als verdoppelt hat unddamals etwa einem Drittel der weltweit installierten Windkraftkapazitätentsprach.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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Es bleibt bei der Abnahme- und Vergütungspflicht des StrEG.
Neu eingeführt wird das System der festen Einspeisevergütungen; z.B. für
Strom aus Windkraft mindestens 17,8 Pf/kWh für die Dauer von 15 Jahren,
danach 12,1 Pf/kWh, Solarstrom 99 Pf/kWh.
Garantievergütung für 20 Jahre
Prinzip: Abdeckung der Investition und Gewinnzuschlag, bildet Marktstand ab
Clou: Bundesweite Ausgleichsregelung in § 11, die wie folgt funktioniert:
Die Netzbetreiber, die den Strom aufnehmen, müssen ihn an alle
Stromhändler weiterreichen.
Jeder Stromhändler muss im Jahr so viel Strom aus EE verkaufen, wie der
bundesweit insgesamt abgesetzte Strom Strom aus EE enthält.
Dieses System wird „physikalischer Belastungsausgleich“ genannt.
Vorteil: Der Absatz des Stroms aus EE ist für jeden Stromkunden gesichert.
Außerdem ist der Preis gesichert, denn jeder Stromhändler kalkuliert den Preis
je kWh entsprechend seinem Portfolio aus „Graustrom“ und EE-Strom.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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Übrigens: Das System des physikalischen Belastungsausgleichs entstand in
der Kanzlei des Vortragenden. Hermann Scheer hatte an einem Donnerstag
in meiner Kanzlei angerufen. Wir ersannen die Lösung am Freitag. Sie war
einfach: Das System des StrEG wurde auf die Situation im Bund übertragen.
Am Sonntag diskutierten wir die Lösung im Bundestag. Hermann ließ große
Mengen Pizza anliefern. Der EEG-Referent im Umweltministerium brachte die
Regelung über Nacht in Gesetzesform. Am Montag wurde sie vom
Bundestag beschlossen. So etwas konnte nur Hermann Scheer.
Wichtig: Auch das EEG 2000 enthält nur 12 Paragrafen (damit aber schon
doppelt so viel wie das StrEG) und einen Anhang.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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6. Weitere Entwicklungen
Stromintensive Unternehmen werden durch § 11a EEG 2003 von der
Abnahmepflicht für EE-Strom freigestellt.
Umfassende Novellierung des EEG im Jahr 2004 (noch unter Rot/Grün)
Vorgesehen war eine Obergrenze für die zusätzlich Belastung der nicht
begünstigten Stromverbraucher durch die Förderung der stromintensiven
Industrie; kam nicht.
Anpassungen der Einspeisevergütungen
Problem: Die Einspeisevergütungen müssen ständig nachjustiert werden,
weil die „Lernrate“ ständig steigt.
Die Lernrate indiziert den technischen Fortschritt, der sich z.B. in einem
rapiden Verfall der Kosten für Solarmodule zeigt.
Das Gesetz hat schon 21 Paragrafen.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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7. Ausgleichsmechanismusverordnung (AusglmechV) 2009 und EEG 2010: Ab ins Desaster
2009-2013 Schwarz/Gelb an der Macht
Abschaffung des physikalischen Belastungsausgleichs
Einführung der EEG-Umlage: Sie soll die Bezahlung der
Einspeisevergütungen sicherstellen, die in Summe ständig steigen
(„Rucksack“).
Aber zugleich packt der Gesetzgeber die Ausfälle durch die Förderung der
stromintensiven Industrien in die Umlage rein. Derzeit enthält die Umlage
1,57 Cent Preisanteil, den zu tragen eigentlich Staatsaufgabe ist. Ich halte
das für verfassungswidrig.
Vgl. Energiedepesche 2/2018 vom Juni 2018
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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Außerdem ist die EEG-Umlage so konstruiert, dass sie ständig steigen muss:
Die obere Grenze geht nach oben, weil die Summe der
Einspeisevergütungen noch steigt,
der untere Teil wird gebildet durch den Preis für die Vermarktung der EE
an der EPEX Spot in Paris. Da die Menge an EE-Strom ständig steigt, geht
der Preis nach unten, Folge des Umstandes, dass Überschuss herrscht.
Die EEG-Umlage ist einfach fehlkonstruiert.
Da die stromerzeugenden Braunkohlekraftwerke von der EEG-Umlage
freigestellt sind, kann nur der Strompreis aus abgeschriebenen
Braunkohlekraftwerken mit dem Börsenpreis mithalten. So erzeugt die
fehlkonstruierte EEG-Umlage den Effekt, dass die Braunkohleverstromung
zunimmt – und damit der CO2-Ausstoß, der erstmals 2017 wieder gestiegen ist.
Außerdem kam mit dem EEG 2009 die Regelung, dass die Netzbetreiber
Anlagenlagenbetreiber entschädigen müssen, deren Anlagen sie abregeln,
weil zu viel Strom im Netz ist.
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Da EE-Anlagen leichter abgeregelt werden können als schwerfällige
Kohlekraftwerke, laufen diese durch. So verstopft Kohlestrom die Leitungen.
Der Strom, der von Deutschland Nord nach Deutschland Süd transportiert
werden muss, ist daher überwiegend Kohlestrom; ein Grund mehr, warum wir
schnellstens aus der Kohleverstromung heraus müssen.
Diese Regelungen waren schon unter Rot/Grün angedacht, sind aber unter
Schwarz/Gelb (2009-2013) umgesetzt worden.
Erwähnt werden muss noch das Energiekonzept 2010: Es bekräftigt das
Nebeneinander von
EE-Ausbau
Festhalten an der Verstromung von Kohle und
Atom („Brückentechnologie“).
Fehler über Fehler!
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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8. Atomausstieg
Teil 2 des Energiewende-Programms der rot-grünen Koalition (1998-2009)
Jürgen Trittin und Rainer Baake packen den Atomausstieg auf Basis
hessischer Erfahrungen gleich an.
Er werden Verhandlungen mit den Stromkonzernen aufgenommen, die sich
darauf einlassen: In Hessen und Schleswig-Holstein, wo rot-grüne
Regierungen an der Macht waren, wurde der „ausstiegsorientierte
Atomgesetzvollzug“ praktiziert: Forcierte Sicherheitsauflagen brachten
hohe Nachrüstungskosten.
Dem wollten die Stromkonzerne entgehen.
Rot/Grün minimiert auf diese Art und Weise das Risiko von
Schadenersatzansprüchen.
Es kommt zum Ausstiegsvertrag vom 14. Juni 2000, der in 2001 in ein
Ausstiegsgesetz umgesetzt wird.
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2009 kommt eine schwarz-gelbe Koalition an die Macht, die den „Ausstieg
aus dem Ausstieg“ beschließt.
Am 6.9.2010 wird ein Vertrag zwischen der Bundesregierung und den 4
Energiekonzernen über die Verlängerung der AKW-Laufzeiten geschlossen.
Am Freitag, 11. März 2011, explodieren in Fukushima drei von sechs
Atomreaktoren.
In der Nacht von Sonntag auf Montag überzeugt Bundesumweltminister
Röttgen Bundeskanzlerin Merkel, dass Deutschland aus der Atomverstromung
aussteigen müsse („Das stehen Sie nicht durch.“).
Am Montagmorgen wird entschieden, dass die acht ältesten Atomkraftwerke
Deutschlands abgeschaltet werden müssten.
Hintergrund: Untersuchungen nach 9/11 hatten ergeben, dass diese acht
AKWs einem terroristischen Flugzeugabsturz nicht standhalten könnten. Aber
es wurden wegen des „Atomfriedens“ – Ausstiegsbeschluss 2001 gegen
staatliches Stillhalten trotz Nachrüstungsnotwendigkeiten – keine
Konsequenzen gezogen.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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In zwei Sonderfällen löste diese Entscheidung später
Schadenersatzansprüche der Betreiber aus.
Außerdem kippte das Bundesverfassungsgericht 2017 die
Kernbrennstoffsteuer.
Im Juni 2011 bekräftigte der Bundestag den Atomausstieg nach den
Grundsätzen, die schon 2001 entschieden worden waren.
Unmittelbar nach Fukushima hatte übrigens sogar die FDP einen
beschleunigten Atomausstieg verlangt.
Jedenfalls ist klar, dass spätestens 2022 das letzte AKW abgeschaltet wird.
Aber sie werden auch nicht gebraucht.
Viele behaupten, die Atomverstromung sei eine „Zukunftstechnologie“. Das
kann ich anhand meiner Atomprozesse nicht bestätigen:
Obrigheim: keine Errichtungs-, keine Betriebsgenehmigung; Obrigheim wird 2005 das
erste deutsche Opfer des Atomausstiegs.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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Biblis A: zahlreiche Genehmigungsmängel
Mülheim-Kärlich: ursprüngliche Planung war die Errichtung auf einer Erdbebenspalte.
Nachdem der Betreiber das herausbekommen hatte, wurden Reaktorgebäude und
Maschinenhaus entkoppelt, aber ohne Genehmigungsverfahren.
Das OVG Koblenz schaltet Mülheim-Kärlich ab.
Hamm-Uentrop, der sogenannte ‚Kugelhaufenreaktor‘: wird nach wenigen Wochen
Laufzeit abgeschaltet. Beim Rückbau zeigt sich, dass zahlreiche Graphitkugeln defekt
sind.
Kalkar: kommt nie ans Netz, weil die Brütertechnologie nicht ausgereift ist (siehe
Superphénix).
Atomkraft als „Schlüsseltechnologie“?
Sie sichert nur 2 % des weltweiten Strombedarfs.
Die „European Pressurized Reactors“ (EPR) machen derzeit eine Verdreifachung der
Kosten durch, noch keiner wurde fertiggestellt.
Der französische Atomkonzern Areva war pleite, konnte nur durch eine staatliche
Kapitalspritze von 4,5 Mrd. Euro gerettet werden und wurde von EdF übernommen
(Framatome).
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9. Die Querschläger
a) Die EE-Lobby
Sie kann beim EEG 2009– gemessen an den ständig sinkenden
Modulpreisen – zu hohe Einspeisevergütungen durchsetzen.
Das lockt die chinesischen Modulbauer an, die den deutschen Modulmarkt
übernehmen.
Dazu kommt, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die
Einspeisevergütungen überproportional nach unten korrigiert.
Die deutsche PV-Industrie bricht weitgehend zusammen: Die
Beschäftigtenzahl sinkt von 100.000 auf 50.000.
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b) Die Stromkonzerne
Über die Stromkonzerne heißt es: „Die haben die Energiewende verschlafen.“
Richtig ist: Sie waren – wie viele andere – über den raschen Zubau an EE-
Anlagen überrascht. Deswegen hielten sie zu lange an der Atom- und
insbesondere Kohleverstromung fest.
Ergebnis: strategische Unsicherheit
E.ON zieht zunächst folgende Konsequenz: Die konventionellen Kraftwerke
werden in die Tochter Uniper ausgelagert. E.ON soll sich um EE kümmern; dort
wird viel investiert.
Ende 2017 kommt es zu einem Schwenk: E.ON kauft RWE die Tochter Innogy
ab und verfügt dadurch über 47 Mio. Netzkunden: Fokussierung auf das
konventionelle Geschäft.
RWE übernimmt von E.ON einen Teil des Kraftwerkparks und insbesondere die
EE-Sparte. Aber ob das nachhaltig ist, ist die große Frage.
Hinweis: E.ON-Chef Teyssen propagiert im SPIEGEL 49/2017 eine CO2-Abgabe,
deren Ergebnis eine starke Verteuerung fossil erzeugten Stroms bringen wird.
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c) Die Angriffe auf die Windkraft
„Landschaftsverschandelung“: Natürlich kann man Windräder nicht
verstecken. Aber wie ist es mit den Folgen der fossilen und Atomverstromung?
Was ist mit den Braunkohlerevieren, denen der Boden für immer genommen
wurde?
Wie ist es mit dem Ruhrgebiet, mit massiven Erdsenkungen, auf ewig
notwendigem Pumpenbetrieb und Bergbauschäden?
Dazu kommen die Großkraftwerke, deren Rückbau Milliarden verschlingen
wird.
Zur Raumnutzung der Windenergie: Auf Basis einer 2%igen Nutzung der
Landesfläche (für Fundamente und Standorte) können bis zum Jahr 2050 aus
200 Gigawatt installierter Leistung 770 Terawattstunden (tWh) Strom produziert
werden.
Im Jahr 2015 hat Deutschland gut 60 Mrd. Euro für fossile Brennstoffimporte
bezahlt. Die können künftig eingespart werden.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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10. Sperrfeuer der Medien
FAZ und – teilweise – auch der SPIEGEL bemühen sich nach Kräften, die
Energiewende zu diskreditieren.
Vorgehensweise: Die Fehlleistungen des Gesetzgebers werden
aufgegriffen, ohne dass die Entstehung erklärt wird. Abhilfemaßnahmen
werden verschwiegen.
Ich habe das in der ZNER zusammengestellt. Kostproben:
Jasper von Altenbockum: „16 Luftnummern. Jeder weiß es, keiner sagt es: Die
Energiewende ist gescheitert.“ (FAZ v. 16.3.2012)
Wienand von Petersdorff: „Die wundersame Stromschwemme“ (FAS v.
13.10.2013)
Heike Göbel: „Der hohe Tribut der Energiewende“ (FAZ v. 08.05.2015).
Zwischenüberschrift: „Gasturbinen? Will keiner mehr. Kohle, Gas, Atom? Damit
möchte E.ON nicht mehr handeln. Die Klimapolitik ist gescheitert, sagt ein
Politologe. Er ist damit nicht allein.“
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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Heike Göbel: „Koalition und Klima“ (FAZ v. 08.05.2015). „Das Drama der
bornierten deutschen Energie- und Klimapolitik“; „Man schließt
Technologie nach gutem Können aus“; es geht gegen Fracking, das
amerikanische Beispiel wird hoch gelobt.
Andreas Mihm: „EEG entzaubert“ (FAZ v. 26.02.2014)
Andreas Mihm: „Das EEG-Monster lebt“ (FAZ v. 28.06.2014)
Andreas Mihm: „Die Energiewende zerbröselt“ (FAZ v. 15.10.2014)
Andreas Mihm: „Energiepolitik für Reiche“ (FAZ v. 03.06.2015)
Ich habe einige Kopien meiner Untersuchung mitgebracht.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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11. Was macht der Gesetzgeber?
Insbesondere das Bundeskartellamt hat von Anfang an das System derfesten Einspeisevergütungen kritisiert. Daran war richtig, dass die „Lernrate“bei Windkraft und PV sehr hoch war, der Preisverfall hat viele überrascht.
Der EEG-Gesetzgeber hat nachgezogen:
Direktvermarktung: Investoren und Stromhändler, die EE-Strom ohneEinspeisevergütung vermarkten, werden zunächst durch die „Marktprämie“ – derAbgabepreis wird zum mittleren Marktpreis hochsubventioniert – privilegiert.
Inzwischen werden neue Windparks und PV-Freiflächenanlagen ausgeschrieben:
Der Preis für die Einspeisevergütungen fällt ständig, die „Marktparität“ ist erreicht.
Pferdefuß: Die Investoren kämpfen um windhöffige Standorte. Pachtengehen nach oben. Ergebnis: Der Anteil kleiner Anlagen geht zurück. DerGesetzgeber hat zweifach gegengesteuert:
PV-Anlagen bis 10 kW – auch wir haben eine – sind von der EEG-Umlage befreit.Ergebnis: Wir zahlen für die kWh nur 13 Ct/kWh für den selbstverbrauchten Strom;bzw. erhalten sie für eingespeisten. Dieses „Eigenverbrauchsprivileg“ soll auf 50kW erhöht werden.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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12.Und was sollte er tun?
Er sollte eine CO2-Bepreisung einführen: Das Emissions-Handelssystem hat
versagt. Es wurden zu viele Zertifikate ausgegeben. Der Emissions-Minderungseffekt war viel zu gering.
Viele Staaten haben daher bereits eine CO2-Abgabe eingeführt:
Ein Nebeneinander von EU-ETS und nationaler CO2-Bepreisung existiert in vielen
Ländern der EU.
Finnland war das erste Land, das 1990 eine CO2-Steuer eingeführt hat.
Kurz darauf gefolgt von Schweden, Norwegen, Dänemark und inzwischen auch
Slowenien (1997), Irland (2010), Großbritannien (2013) und Frankreich (2014).
Besonders auffällig ist der Erfolg Großbritanniens: Dort müssen seit April 2015 zusätzlich
zum Preis für das Zertifikat bis zu 30,- € pro Tonne ausgestoßenem CO2 bezahlt werden.
In Folge wurde viel weniger Kohlestrom erzeugt, dafür deutlich mehr Strom aus
Gaskraftwerken.
In der EU führte das bereits dazu, dass eine Emissionsreduktion von 48 Mio. t CO2eingetreten ist. Die Hälfte des Wechsels von Kohle zu Gas und damit der Reduktion
von Treibhausgasen ging dabei auf den Alleingang von Großbritannien zurück.
Peter Becker: Der Kampf um die Energiewende
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Zudem liegen die potentiellen Erlöse am Spotmarkt dort für Photovoltaik-Anlagen aktuell
um rund 50 % höher als in Deutschland, und Investoren trauen sich mit diesem Signal zu,
große Freilandanlagen ohne Förderung bauen zu können.
Mit den Einnahmen aus der CO2-Abgabe und aus dem EU-ETS können die Umlagen aus
EEG und Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) finanziert werden und Steuern auf Strom,
Erdgas und Heizöl wegfallen.
Bei einem Einstieg mit etwa 40,- € pro Tonne CO2 kann dieser Umbau praktisch
kostenneutral erfolgen. Ein stetiger Anstieg des Preises sichert eine gleichbleibende
Anreizwirkung und ein stabiles Finanzvolumen.
Für Stadtwerke und Energiegenossenschaften wird es auch ohne Förderung wieder
attraktiv, in Energieeffizienz, Erneuerbare Energien und z.B. Mieterstrommodelle zu
investieren.
Eine CO2-Bepreisung in Deutschland ist sehr einfach über neue Energiesteuersätze im
Energiesteuergesetz auf fossile Energieträger (bemessen am Treibhausgaspotential)
umzusetzen und lässt sich konform sowohl zum Europa- als auch zum Welthandelsrecht
gestalten. Hierzu liegen zahlreiche Gutachten und Untersuchungen vor, die dies
bestätigen.
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13.Der Run in die Komplexität
Das Energierecht ist die weitaus am schnellsten wachsende Rechtsmaterie.
Zum Zeitpunkt der Liberalisierung (1998) gab es nur 500 Paragrafen, jetzt
sind es weit mehr als 10.000; mindestens eine Verzwanzigfachung.
Daher muss der Gesetzgeber gegensteuern und die Übersichtlichkeit
wiederherstellen. Ein wichtiger Schritt wäre die CO2-Abgabe!
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14.Probleme des Klimawandels
Hans Joachim Schellnhuber, Gründer und langjähriger Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), schrieb in einem Artikel in derSüddeutschen Zeitung vom 15. Mai 2018:
Der Klimawandel ist ein existentielles Problem.
Bereits jetzt liegen wir 1° C über dem vorindustriellen Mittel, und das hat sichim Wesentlichen in den vergangenen 25 Jahren vollzogen.
Auf Grönland könnte das Abschmelzen des Eispanzers schon bei 1,5 oder1,6° C unumkehrbar werden.
Wenn das Eis dort vollständig abschmilzt, steigt der Meeresspiegel auflange Sicht um 7 Meter.
Das betrifft viele hundert Millionen Menschen.
Die Weltbank rechnet mit 140 Mio. Klimaflüchtlingen bis 2050, und zwarallein innerhalb der betroffenen Länder, ohne die grenzüberschreitendeMigration.
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Die Einwände gegen den menschengemachten Klimawandel treffen nicht
zu:
Zu Beginn der Arbeit des PIK standen die Journalisten Schlange. Aber 10 Jahre später
haben die Medien eine Kehrtwende vollzogen und Klimaforscher „als lächerliche
Apokalyptiker hingestellt“; „wir wurden des Alarmismus“ geziehen.
Es ist zwar richtig, dass zwischen Perm und Trias das Klima um 5° C anstieg. Aber das
dauerte damals zehntausende Jahre. Heute erwärmt sich die Erde hundertmal so
schnell. 90 % aller marinen Arten sind damals ausgestorben, 70 % der terrestrischen.
Jetzt leben wir auf einem übervölkerten, übernutzten Planeten. Nichts tun ist ein
„kollektiver Suizidversuch“.
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15.Aber wir sind auf dem richtigen Weg
Daran festhalten.
Die Maßnahmen beschleunigen.
Uns kämpferisch mit den „fakes“ auseinandersetzen.
Dann wird alles gut!
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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Inhalt
1. Der Klimawandel ist international, daher ist es auch der Klimaschutz: Die Abkommen
2. EU-Recht
3. Wie ist die Energiewende in Deutschland eigentlich entstanden; der Beitrag der CSU
4. Der Einfluss der Strommarktregulierung
5. Das EEG 2000
6. Weitere Entwicklungen
7. Ausgleichsmechanismusverordnung (AusglmechV) 2009 und EEG 2010: Ab ins Desaster
8. Atomausstieg
9. Die Querschläger
10. Sperrfeuer der Medien
11. Was macht der Gesetzgeber?
12. Und was sollte er tun?
13. Der Run in die Komplexität
14. Probleme des Klimawandels
15. Aber wir sind auf dem richtigen Weg
3
5
7
9
10
13
14
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