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Platz dem Arbeiter – Tod dem Henker!archiv.kaz-online.de/pdf/306/kaz306_28.pdf28 Stellung des...

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Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft 28 K 306 Vor 70 Jahren, am 12. Februar 1934, erhoben sich in allen Industriezentren Österreichs die Ar- beiter. Die österreichischen Arbeiter haben 1934 den Weg verlassen, der ihnen mittels der 51%, also über den Stimmzettel, den Sozialismus versprach. Sie haben den Weg beschritten, auf dem die So- wjetunion entstanden war – den Weg des bewaff- neten Aufstands! Das taten sie ohne und gegen ihre sozialdemokratischen Führer. Die Kämpfe waren – und daran kann der große Heldenmut der Kämpfer nichts ändern – militä- risch und politisch defensiv. Der Aufstand war ein Abwehrkampf gegen den Faschismus und gleich- zeitig eine der größten Klassenauseinandersetzun- gen nach dem 1. Weltkrieg. Der 12. Feburar 1934 ist in der österreichischen Geschichte ein ähnlich sensibles Datum wie der 30. Januar 1933, als der deutsche Faschismus die Macht ergriff. Der Weg zum Februar 1934 soll an einigen wichtigen Ereignissen beschrieben werden. Es sind dies: der Brand des Wiener Justizpala- stes im Juli 1927, der so genannte Korneuburger Eid im Mai 1930 und der faschistische Staats- streich im März 1933. Das Linzer Programm Zur Annäherung an die österreichische Sozi- aldemokratie soll das Linzer Programm von 1926 dienen. Es ist ein Kunststück, ein klassisches Do- kument des so genannten Austromarxismus. Die revolutionäre Gesinnung der Arbeiter sollte fol- gender Abschnitt auffangen: Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die ge- sellschaftliche Umwälzung, die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse sein wird, durch planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwö- rung mit ausländischen gegenrevolutionären Mächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbei- terklasse gezwungen, den Widerstand der Bour- geoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen.Doch letzlich war die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs der bürgerlichen De- mokratie verpflichtet: „...Sie erobert durch die Entscheidung des Allgemeinen Wahlrechts die Staatsmacht”. 1 Die SDAPÖ war durch die Revolution von 1918 empor gehoben worden. 2 Sie besaß bis 1920 die Regierungsmehrheit. Otto Bauer, ihr hervor- ragender Theoretiker, war Außenminister. Wenn die Genossen die „Internationale” san- gen, taten sie es aus voller Brust: Wir sind die stärk- ste der Parteien! Denn für die II. Internationale stimmte das. Die führende Strömung darin war der Austromarxismus. Sie waren in einer Partei mit 669.000 Mitglie- dern, ihre Massenorganisationen – vom Arbeiters- portklub über die Naturfreunde bis zu den Frei- denkern – erreichten 90% der Klasse. Die Freien Gewerkschaften zählten 770.000 Mitglieder. Die Frage der Einheit wurde in den Debatten mit den Kommunisten damit beschieden, dass diese ja in „der Partei” verwirklicht sei. Im Lande wählten 41% rot. Im sprichwörtli- chen Roten Wien verfügte die sozialdemokratische Gemeinderegierung über eine solide Zwei-Drit- tel-Mehrheit. Die rote Metropole Wien sollte Musterbeispiel sein für den demokratischen Weg zum angestreb- ten Sozialismus. In der Partei hieß es: Sowjetuni- on ja! – aber ohne Bolschewismus, Opfer und Bürgerkrieg. Platz dem Arbeiter – Tod dem Henker! Der Schutzbund mar- schiert
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Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft28 K 306

Vor 70 Jahren, am 12. Februar 1934, erhobensich in allen Industriezentren Österreichs die Ar-beiter.

Die österreichischen Arbeiter haben 1934 denWeg verlassen, der ihnen mittels der 51%, alsoüber den Stimmzettel, den Sozialismus versprach.Sie haben den Weg beschritten, auf dem die So-wjetunion entstanden war – den Weg des bewaff-neten Aufstands! Das taten sie ohne und gegen ihresozialdemokratischen Führer.

Die Kämpfe waren – und daran kann der großeHeldenmut der Kämpfer nichts ändern – militä-risch und politisch defensiv. Der Aufstand war einAbwehrkampf gegen den Faschismus und gleich-zeitig eine der größten Klassenauseinandersetzun-gen nach dem 1. Weltkrieg. Der 12. Feburar 1934ist in der österreichischen Geschichte ein ähnlichsensibles Datum wie der 30. Januar 1933, als derdeutsche Faschismus die Macht ergriff.

Der Weg zum Februar 1934 soll an einigenwichtigen Ereignissen beschrieben werden.

Es sind dies: der Brand des Wiener Justizpala-stes im Juli 1927, der so genannte KorneuburgerEid im Mai 1930 und der faschistische Staats-streich im März 1933.

Das Linzer ProgrammZur Annäherung an die österreichische Sozi-

aldemokratie soll das Linzer Programm von 1926dienen. Es ist ein Kunststück, ein klassisches Do-kument des so genannten Austromarxismus. Dierevolutionäre Gesinnung der Arbeiter sollte fol-gender Abschnitt auffangen:

„Wenn sich aber die Bourgeoisie gegen die ge-sellschaftliche Umwälzung, die die Aufgabe derStaatsmacht der Arbeiterklasse sein wird, durch

planmäßige Unterbindung des Wirtschaftslebens,durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwö-rung mit ausländischen gegenrevolutionärenMächten widersetzen sollte, dann wäre die Arbei-terklasse gezwungen, den Widerstand der Bour-geoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen.“

Doch letzlich war die SozialdemokratischeArbeiterpartei Österreichs der bürgerlichen De-mokratie verpflichtet: „...Sie erobert durch dieEntscheidung des Allgemeinen Wahlrechts dieStaatsmacht”.1

Die SDAPÖ war durch die Revolution von1918 empor gehoben worden.2 Sie besaß bis 1920die Regierungsmehrheit. Otto Bauer, ihr hervor-ragender Theoretiker, war Außenminister.

Wenn die Genossen die „Internationale” san-gen, taten sie es aus voller Brust: Wir sind die stärk-ste der Parteien! Denn für die II. Internationalestimmte das. Die führende Strömung darin war derAustromarxismus.

Sie waren in einer Partei mit 669.000 Mitglie-dern, ihre Massenorganisationen – vom Arbeiters-portklub über die Naturfreunde bis zu den Frei-denkern – erreichten 90% der Klasse. Die FreienGewerkschaften zählten 770.000 Mitglieder. DieFrage der Einheit wurde in den Debatten mit denKommunisten damit beschieden, dass diese ja in„der Partei” verwirklicht sei.

Im Lande wählten 41% rot. Im sprichwörtli-chen Roten Wien verfügte die sozialdemokratischeGemeinderegierung über eine solide Zwei-Drit-tel-Mehrheit.

Die rote Metropole Wien sollte Musterbeispielsein für den demokratischen Weg zum angestreb-ten Sozialismus. In der Partei hieß es: Sowjetuni-on ja! – aber ohne Bolschewismus, Opfer undBürgerkrieg.

Platz dem Arbeiter –Tod dem Henker!

Der Schutzbund mar-schiert

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So hat man also die sozialdemokratischen Ar-beiter davon abgehalten, zu den Kommunisten zugehen. Die Reaktion war seit 1923 auf dem Vor-marsch, die Sozialdemokratie ist abgemeldet undbaut an ihrem „Roten Wien“, ein Stück vermeint-licher Sozialismus mitten im schwarzen Öster-reich. Die Eroberung der Macht mit dem Stimm-zettel, wie es das Linzer Programm vorsah – hierklappt es scheinbar. Alleine das Wohnbaupro-gramm war für die Arbeiter, die in den „Zinska-sernen” eingepfercht waren, begeisternd. (Undhielt die Arbeiter davon ab, durch die Agitationder KPÖ angestachelt auf die Straße zu gehen!) Bis1933 entstehen 64.000 Wohnungen für 1/8 derWiener Bevölkerung. Das Parteibuch war für dieneuen Mieter obligat.

Die Finanzierung des Wohnbauprogrammsklang ganz einfach: Die Reichen sollen zahlen! Miteinem Gemeinderatsbeschluss von 1923 wurde dieErhebung progressiver Steuern eingeführt. Getrof-fen wurden aber die Hauseigentümer, das Kleinbür-gertum – das Wort vom „Wohnungsbolschewismus”machte die Runde. Während dessen zahlte die Groß-bourgeoisie aus dem Westentaschl’ und das Mono-polkapital blieb unbehelligt. Wie diese im Prinziprichtige, aber nicht wirklich konsequente Politikdazu beitrug, das Kleinbürgertum an die Seite derBourgeoisie zu treiben, wird sich zeigen.

Die Gesundheitsreform war über die GrenzenWiens berühmt. Aufgeräumt wurde mit der hohenSäuglingssterblichkeit, ebenso mit der „WienerKrankheit” (TBC). Mit der Reformschule wurdenmoderne Lernmethoden eingeführt. Das Straßen-bahnnetz war 1924 das weltweit größte. Und diezu 100% organisierten Straßenbahner standenimmer an der Spitze der Klassenkämpfe.

Jedoch: Das Rote Wien war sozial – aber nichtsozialistisch. Zur gleichen Zeit entstanden in derSowjetunion ein Vielfaches an Wohnungen undVerbesserungen für die Menschen.

Was sagten also die sozialdemokratischen Ar-beiter zu ihren kommunistischen Klassengenos-sen: „Wir haben ja die Diktatur des Proletariatsim Programm, und wir haben das Rote Wien, undden großen bewaffneten Schutzbund! Und washabt’s ihr Kummerln?”

Der SchutzbundEinige Worte zu den „Kummerln”. Das sind die

österreichischen Kommunisten, die es mit einergeschickten, wortradikalen, scheinbar übermäch-tigen Sozialdemokratie zu tun hatten. Georgi Di-mitroff bemerkte zu diesem Fakt: „... außerdemdarf man nicht vergessen, dass die KPÖ ... nichtnur die zehntausende Arbeiter repräsentiert ...sie sind Teile der internationalen kommunisti-schen Bewegung ... deren führende Partei ... aufeinem Sechstel der Erde regiert.“3

Sehr verschiedenartige Gruppen hatten sich imOktober 1918 zur KPÖ zusammen geschlossen.Sie verfügten über wenig marxistische Schulungund Erfahrung. Anders als in Deutschland war derGründung kein scharfer Kampf innerhalb der So-zialdemokratie voraus gegangen. Die traditionel-le Bindung der Arbeiter an die mächtige, ehedemrevolutionäre Partei hatte in den Kriegsjahrenkeinen Bruch erlitten.

Es gab keine organisierte Opposition in derPartei während des Krieges. Allein eine kleine

Gruppe um Friedrich Adler muckte gegen denHurrapatriotismus ihrer sozialdemokratischenFührer auf. Adler erschoss 1916 den Ministerprä-sidenten und Kriegstreiber Stürgkh.4 Als er 1918aus dem Gefängnis kam, schauten die Linken, dierevolutionären Arbeiter erwartungsvoll auf ihn.Doch er wagte nicht die Spaltung von der Sozial-demokratie, sondern machte seinen Frieden mitdem Parteivorstand.

Nun waren die Kommunisten selbstverständ-lich auch im Republikanischen Schutzbund or-ganisiert. Diese „Wehr der Republik” war her-vor gegangen aus den Arbeiterräten der Revolu-tion 1918. Der Schutzbund, 1923 als Ordneror-ganisation der SDAPÖ gegründet, hatte die ver-steckten Weltkriegswaffen der Arbeiter über-nommen.

In den Reihen des Schutzbunds fanden sich diebesonders linientreuen Mitglieder, aber auch diekämpferischsten Arbeiter – die Meinungen prall-ten aufeinander! Ein revolutionäres Forum also.1926 wurde das Parteibuch Pflicht und die Kom-munisten wurden rausgeschmissen.

Die KPÖ führt also ein Schattendasein, es wirdallerdings von ihr zu berichten sein.

Der Schutzbund hatte eine zentrale, dreigeteil-te Führung. Militärischer Leiter war der Welt-kriegsgeneral Theodor Körner.5 Er kritisierte diekonservative militärische Organisationsform undplädierte für kleine, wendige Gruppen, die eng mitder Arbeiterbevölkerung verbunden waren. Kör-ner konnte sich aber mit seinen Vorschlägen nichtdurchsetzen und verließ wegen dieses Streits 1930die Führung.

Stabschef war Alexander Eifler, und er wieauch der politische Leiter und OberbefehlshaberJulius Deutsch sahen im Schutzbund die „Armeeder Partei” und lehnten zivile Kämpfe ab.

Die Einheiten waren am höchsten Stand100.000 Mann stark, alleine in der Hauptstadt17.000 Mann. Alarmkompanien standen immer inBereitschaft.

Die Waffen waren eingemauert, ein Teil lager-te, bewacht durch Arbeiter, im Wiener Arsenal.6

Dieser Ort sollte bald Schauplatz einer Provoka-tion sein.

Das Sinnbild des RotenWien, der Karl-Marx-Hof

1 Zit. nach Otto Bauer: Der Auf-stand der österreichischen Ar-beiter. Nachdruck der AusgabePrag 1934.

2 SP im Folgenden, was auch demParteijargon entspricht.

3 Georgi Dimitroff, Rede am VII.Weltkongress der kommunisti-schen Internationale, 1935. Di-mitroff war 1923 für einige Mo-nate illegal in Wien. Er war einguter Kenner des Wiener Prole-tariats.

4 Friedrich Adler war der Sohn desParteigründers und Freund En-gels’, Viktor Adler. Über seinewohl mutige Tat schrieb Lenin:„Adler würde viel mehr Nutzender revolutionären Bewegungbringen, wenn er, ohne Spal-tung zu fürchten, systematischzu illegaler Propaganda undAgitation überginge.”

5 Nach 1945 Bürgermeister vonWien, 1951 – 56 Bundespräsi-dent.

6 Diese weitläufige Trutzburg wur-de nach der Revolution von 1848gebaut. Das rebellische Volk vonWien sollte von hier bedrohtwerden.

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Die Feuertaufe

Im Januar 1927 findet im burgenländischenSchattendorf ein Schutzbund-Aufmarsch statt.Angehörige der ortsansässigen Heimwehr, die sich„Frontkämpfer” nennen, schießen aus dem Hinter-halt auf die Versammelten, ein Invalide und einKind sind tot. Empört fordern die Arbeiter dieVerurteilung der Mörder, in Wien streiken dieFiat- und die Siemensarbeiter.

Im März versuchen Einheiten des Bundeshee-res, sich Zugang zum Waffenlager des Schutzbun-des im Arsenal zu verschaffen. Schutzbündler undBundesheer stehen sich Tage lang gegenüber.Unter Androhung von Streiks können vorerst dieWaffen verteidigt werden.

Im Mai kommen SP-Führung und die christ-lichsoziale Regierung überein, die Waffen zuübergeben. Diese Kapitulation lässt sich die So-zialdemokratie mit einem „Zweiten Schlüssel”abkaufen.

Die so genannten Mannlicher Stutzen, das sindlange Karabiner, kommen so in die Hände des30.000-Mann-Heeres. Nach dem Frieden vonSt. Germain ist dieses nicht nur zahlenmäßig be-schränkt, es sind ihm nur kurze Gewehre erlaubt.Tausende MG und hunderttausende Gewehre mitMunition werden abtransportiert. Die Arbeiterrufen in den Versammlungen: „Mit diesen Geweh-ren werden sie auf uns schießen!”

Die erste Bewährungsprobe für das Linzer Pro-gramm kommt mit dem 15. Juli 1927. Tags zuvor warbekannt geworden, dass die Schattendorfer Mörderfreigesprochen wurden. Die „Reichspost”, das Or-gan der Christsozialen, titelt: „Ein klares Urteil”.Die Arbeiter im größten Industriebezirk Wiens, inFloridsdorf, beschließen einen Proteststreik. Der SP-Vorstand ist darüber nicht informiert.

Am Morgen des 15. Juli stehen die Straßenbah-nen still. Aus allen Bezirken marschieren wüten-de Arbeiter zum Ring, dieser Prachtstraße aus derKaiserzeit. Vor dem Parlament greift berittenePolizei die Demonstranten an. Unter einem Stei-nehagel zieht sich die Polizei in den nahe gelege-nen Justizpalast zurück.

Das Symbol der Klassenjustiz wird gestürmt.Fast zehn Jahre alt ist die Republik, doch die Ar-beiter stoßen auf Kaiserstatuen, die nun gestürztwerden. Aktenbündel fliegen auf die Straße. DasGebäude brennt!

Nun ergeht der Befehl für das Eingreifen desSchutzbunds. Doch nicht auf Seiten der Arbeiter– die heranrückende Feuerwehr ist zu schützenund der Justizpalast!

Einige SP-Führer begeben sich zum christlich-sozialen Bundeskanzler Seipel, um zu vermitteln.Dieser, ein Pfaffe, vom Volk als „Prälat ohne Mil-de” bezeichnet, schert sich nicht um die Unter-händler. Er befiehlt Schober, dem Polizeipräsiden-ten von Wien, zu schießen.

600 Polizisten mit langen (!) Karabinern über-fallen die unbewaffneten Arbeiter. Diese holensich aus den umliegenden Geschäften Stuhlbeineund Latten. (So mancher Polizist verdankte seineUnversehrtheit dem Umstand, dass er von Schutz-bündlern deren blaue Uniformjacke erhielt.)

Die verzweifelten Arbeiter rennen, wenn auchvergeblich, zur nahen SP-Zentrale: Gebt uns Waf-fen! 24 Stunden dauert die Jagd in Wiens Pracht-viertel. Am Abend des nächsten Tages werden1100 Verletzte gezählt. Es bleiben 90 tote – meistjunge – Arbeiter auf dem Pflaster.7

Was folgte auf dieses Blutbad? Es war ein halb-herziger Aufruf zu einem 24-stündigen General-streik durch die SP-Führung. Die KPÖ fordertedie Bewaffnung des Schutzbunds, was die Sozial-demokratie zurückwies – sie wolle keinen Bürger-krieg. Doch der würde den Arbeitern nicht erspartbleiben. Das Linzer Programm war in der Schub-lade in der SP-Zentrale geblieben. Für die WienerArbeiter war der 15. Juli jedoch, wie Georgi Di-mitroff feststellte, „die revolutionäre Feuertaufe”.

Die HeimwehrenDas Bürgertum triumphierte. Nun wurden die

Staatsorgane von den letzten Sozialdemokratengesäubert. Das Ansehen der mächtigen Partei derArbeiterklasse war beim Kleinbürgertum unter-graben, es wendete sich der Reaktion zu. Die SPselbst igelte sich ein: Streiks ohne Zustimmung

15. Juli 1927. Berittene Po-lizei gegen Arbeiter

Heimwehrtreffen

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des Vorstands wurden verboten. Eine Rathauswa-che wurde eingerichtet (die es bis auf den heuti-gen Tag gibt).

Georgi Dimitroff kennzeichnete die Situation so:„... eine Wende im Klassenkampf und im Kräfte-

verhältnis der Klassen ... Übermacht der Bourgeoi-sie errungen ... fieberhafte Vorbereitung zur Errich-tung einer faschistischen Diktatur in Ö.”8

Wie sahen die Vorbereitungen für die faschi-stische Diktatur aus? Nach dem 15. Juli herrschteein mehr oder weniger offener Bürgerkrieg. Pro-vokationen der Heimwehren wechselten sich mitVerfassungsänderungen ab. So verlor Wien 1929den Status des Bundeslands und damit die Steuer-hoheit. Das Wohnbauprogramm wurde einge-schränkt – das Rote Wien ging in die Knie.

Die „Hahnenschwanzler” – so spottete derVolksmund über die Heimwehrler wegen ihrergefiederten Hüte – fühlten sich im Oktober 1928stark genug, in der „roten Vorstadt Wiens”, in derindustriellen Wiener Neustadt mit 13.000 Mannauf zu marschieren. Bundesheer schützte sie vorden Arbeitern, der Schutzbund marschierte – an-schließend. In den folgenden Wochen häuften sichdie Überfälle auf Arbeiterheime. Die KPÖ rief zurBildung antifaschistischer Komitees auf.

Die Heimwehren wurden nun zur Bürger-kriegsarmee gerüstet, auch mittels der Arsenalwaf-fen! Entstanden waren sie 1920 aus einer Zusam-menfassung der Heimatschutzverbände, die somartialische Namen wie „Ostara”, „Frontkämp-fer” oder „Ostmärkische Sturmscharen” trugen.Die Führung bestand aus Resten der feudalen,schwarz-gelben k.u.k. Aristokratie. Ein engerKontakt mit den Freikorps in Bayern und dem re-aktionären Horthy-Regime in Ungarn wurde ge-pflegt. Waffen kamen auch aus dem faschistischenItalien Mussolinis.

Die Heimwehren rekrutierten vor allem aus denkleinbürgerlichen Schichten: Kleinhändler, Klein-bauern und durch die CS-Politik ruinierte Hand-werker.9

Und sie versuchten, in die Arbeiterklasse ein-zudringen.

Nach der Wende von 1927 wurden in den Be-trieben der Alpine Montan Säuberungen durchge-führt. Die Alpine Montan beherrschte die österrei-chische Schwerindustrie, dahinter steckte das deut-sche Kapital, vor allem der Stahlverband von Flick.Sozialdemokratische und kommunistische Arbei-ter flogen raus und an ihrer Stelle wurden Heim-wehrler eingestellt – Bauernburschen aus den Dör-fern. Die Direktoren gründeten eine so genannteUnabhängige Gewerkschaft. Am 10. Mai 1928 ant-worteten die Arbeiter mit Streiks und Protestkund-gebungen in vielen betroffenen Betrieben.

Am 25. Mai schlossen die Führer des Metallar-beiter- und des Bergarbeiterverbands im kärntne-rischen Hüttenberg einen Pakt: Er erkannte dieGleichberechtigung der Unternehmergewerkschaf-ten an und das Recht, Heimwehrangehörige einzu-stellen. Eigene Tarife konnten vereinbart werden.

Die Arbeiter streikten ohne Genehmigung desSP-Vorstandes zwei Wochen lang gegen denschändlichen Vertrag. Dann mussten sie aufgeben.

Der Korneuburger EidDer Hüttenberger Pakt war ein neuer Mark-

stein auf dem verhängnisvollen Weg der Sozialde-

mokratie. Ihr Zurückweichen ermunterte die –mittlerweile bewaffneten – Kräfte der äußerstenReaktion zu neuen Taten.

Im niederösterreichischen Korneuburg, naheWien, versammelten sich am 18. Mai 1930 dieHeimwehren aus dem ganzen Bundesgebiet mitihren Führern, prominente bürgerliche Politikerbildeten einen würdigen Rahmen. Sie waren ge-kommen, um ein klares Bekenntnis zum Faschis-mus abzulegen:

„Wir wollen nach der Macht im Staate grei-fen ... da wir der Gemeinschaft des deutschenVolkes dienen wollen. Wir verwerfen den west-lichen demokratischen Parlamentarismus undden Parteienstaat. Wir wollen an seine Stelle dieSelbstverwaltung der Stände setzen. ... Selbstver-waltung der Wirtschaft ... Staat ist Verkörperungdes Volksganzen ...“10

Bezeichnend sind die ständischen Versatzstük-ke aus dem Mussolini-Faschismus und die deutsch-nationale Anlehnung an den Hitlerfaschismus, diedie verschiedenen Strömungen in der Heimwehr-führung zeigen.

Unter den Verschwörern standen die kommen-den Männer: Starhemberg, der die Führung derHeimwehren anstrebt, Fey, der Chef der WienerHeimwehren, und ein CS-Bauernfunktionär na-mens Dollfuß. Die Versammlung war der Auftaktzu den folgenden „blutigen Sonntagen“ mit Pro-vokationen in Arbeitervierteln im ganzen Land.Die Christsozialen wurden aufgemischt. In eineneue CS-Regierung zog nun die Heimwehr ein,Starhemberg wird Innenminister.11

Auch die Faschisten sind im Umbruch. NachStreitigkeiten in der Führung setzte sich im Okto-ber1930 endlich Starhemberg durch, ein monar-chistischer Großgrundbesitzer und Teilnehmeram Hitlerputsch 1923(!). Der „Bundesführer“wird damit der Empfangsberechtigte für die Zu-wendungen aus dem Industriellenverband. Auchaus dem faschistischen Italien fließt zunehmendGeld. Mussolini sah wohlwollend die eigenstän-dige Entwicklung des österreichischen Faschismusgegenüber Hitlerdeutschland.

Die Nazi-Bewegung nutzte allerdings die wirt-schaftliche Krise in Österreich, um als „NSAPÖ”Erwerbslose und deutschnationale Intellektuellezu organisieren. In dem Maße, wie der deutscheImperialismus Österreich ökonomisch verein-nahmte, drang die Nazipartei politisch vor – alsKonkurenz zum Heimwehr-Faschismus.

StaatsstreichEngelbert Dollfuß bildet im Mai 1932 seine

erste Regierung mit einer Stimme Mehrheit. Doll-fuß ist ein ehrgeiziger Bauernfunktionär aus demtiefschwarzen Niederösterreich, als Landwirt-schaftsminister war er unbekannt geblieben. Sei-ne Koalition mit Heimwehren und Landbund stelltnunmehr die 18. christlichsozial geführte Regie-rung seit 1920.

Der österreichische Staat ist pleite. Wegen ver-zögerter Gehaltszahlung und verärgert, weil Mass-nahmen zunehmend ohne Personalvertretung ge-troffen werden, treten die Eisenbahner am 1. März1933 in einen allgemeinen Streik. Dollfuß fühltsich herausgefordert.

Er will zeigen, dass er mit der Elite der öster-reichischen Arbeiterklasse fertig wird.

7 Arnold Reisberg: Feburar 1934 –Hintergründe und Folgen. Glo-bus-Verlag Wien 1974. AndereQuellen sprechen von 140 Toten.

8 Zit. nach Georgi Dimitroff,Brief an die österreichischenArbeiter, März/April 1934.

9 Österreich ist ein Agrarland,daher war das Rekrutierungsfeldvor allem bäuerlich und nichtmit der SA Hitlers vegleichbar.Heimwehren in der Steiermarkwaren aber für ein Zusammen-gehen mit Hitler. Sie gingen ge-schlossen zur NSAPÖ.

10 Zit. nach Maimann/Mattl(Hrsg.): Die Kälte des Februar.Österreich 1934 – 1938. JuniusVerlag u. Verlag der WienerVolksbuchhandlung. Begleitbuchzur Ausstellung 1984.

11 Starhemberg Rüdiger, Fürst von.1899 - 1956, 34 – 36 Vizekanz-ler. Starhemberg Ernst Rüdiger,Graf von. 1638 – 1701, Verteidi-ger Wiens gegen die Türken1683; wohl ein Vorfahre.

Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft32 K 306

Die widerstandslose Hinnahme Hitlers durchdie deutschen Arbeiter ermutigt ihn. Und schließ-lich: Der Brand des Berliner Reichstags am Vor-tag ist auch für die österreichischen Faschisten einSignal!

Dollfuß ergreift schärfste Maßnahmen gegenden Streik. Er lässt Bahnhöfe durch Militär beset-zen; Gewerkschaftsführer werden verhaftet; miteinem „Straferlass” werden die Streikführer ge-maßregelt.

Zum Eklat kommt es am 4. März bei der Parla-mentsdebatte. Dollfuß’ Maßnahmen gehen selbstmanchem CS-Abgeordneten zu weit. Verfahrens-fragen führen zu Tumulten, die drei Nationalrats-präsidenten – rot, schwarz, großdeutsch – tretenzurück, das Parlament löst sich auf!

Eine bessere Situation kann sich Dollfuß nichtwünschen. Nun wartet er noch die Terrorwahlendes 5. März im Reich ab.

Am 7. März tritt Dollfuß mitsamt Kabinett zu-rück und ernennt sich zum Führer einer Not-standsregierung. Als Grundlage erklärt er das„Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz“ von1917, mit dem er schon seit einigen Monaten sei-

ne Notverordnungenbegründet. Sofort wer-den alle Versammlun-gen verboten. Die Ar-beiter fordern den Ge-neralstreik. Was tut dieSP-Führung?

Sie verhandelt mitDollfuß. Otto Bauer,der so genannte Linkein der Führung, be-schwichtigt die Arbei-ter; man könne derVolkswirtschaft desLandes keine Wundenschlagen.

Es folgt die Farce des15. März: Die National-ratspräsidenten Renner(SP) und Straffner(deutschnational) rufenauf Druck der SP-Füh-rung das Parlament ein -auch um die Arbeiter zuberuhigen. Der Schutz-bund ist mobilisiert, um

einzugreifen, wenn der Nationalrat behindert wird.Arbeiter warten in den Betrieben und Versamm-lungslokalen gespannt, als um 15 Uhr der Natio-nalrat zusammen treten soll.

Die Abgeordneten müssen vorbei an Polizei-kräften, die das Parlamentsgebäude schon umstellthaben, und werden perlustriert. Die Abgeordne-ten von CS und Heimwehr bleiben der Sitzungfern. Nach 5 Minuten Rede vertagt der deutschna-tionale Nationalratspräsident die Sitzung, diePolizei räumt das Parlament. Diese Farce genügteder SP-Führung, um zu verkünden: „Das Parla-ment hat getagt, die Demokratie ist gerettet!“

Eine so große Mobilisierung wie am 15. März1933 gelang nie mehr. Die Schutzbündlern saßenschon auf ihren Motorrädern und warteten auf einSignal. Aber es kam nicht. Es war eine neuerliches,demütigendes „Gewehr bei Fuß”-Stehen, wie esden Arbeitern dutzende Male von ihren Führernbefohlen worden war.

Österreichs Finanzkapital errichtete mit demStaatsstreich die offene, terroristische Gewaltherr-schaft. Die unmittelbare Folge war ein massiverSozialabbau, der Lohnindex sank bis Ende 1933 um20 Punkte. Alle Schutzgesetze waren praktischaußer Kraft. Es herrschte Streikverbot und Ver-sammlungsverbot. Am 30. März wurde der Schutz-bund verboten. Gleichzeitig wurden die Heimweh-ren als Hilfspolizei in den Staatsapparat integriert.Das Verbot der KPÖ kam am 25. Mai.

Nicht einmal der Kaiser hatte sich das getraut:Verbot des 1. Mai! Die Ringstraße, wo dieser tra-ditionelle Aufmarsch stattfindet, wird mit Stachel-draht und MG bewehrt. Die Arbeiter folgen demAufruf der SP zum „Spaziergang“ mit geballtenFäusten in den Taschen. Die Parole „Wir müssenzeigen, dass wir initiativ sind“ verstehen sie nichtmehr so recht.

Die Kräfte der österreichischen Bourgeoisiewaren infolge der Krise geschwächt, eine Kon-zentration der Kräfte gegen die Arbeiterklasse warnotwendig, um diese von der Revolution abzuhal-ten. Die Sozialdemokratie erfüllte diese Aufgabeoffensichtlich immer weniger. Nun waren alleGewaltmittel ohne parlamentarische Hemmnisseanwendbar!

Die AnschlussfrageWie sind nun die Klassenkräfte angeordnet

nach dem faschistischen Staatsstreich?Die Bourgeoisie war gespalten in zwei Lager:

für und gegen den Anschluss an das deutscheReich. Der Sieg des deutschen Faschismus vertieftedie Spaltung noch. Österreich war internationalein Knotenpunkt der europäischen imperialisti-schen Politik. Besondere Interessen hattenDeutschland, Frankreich, Italien, während Eng-land lavierte – dies alles spiegelte sich wider in derHaltung der österreichischen Bourgeoisie.

Für den Anschluss war etwa ein Drittel derBourgeoisie. Sie repräsentierte jenen Teil derSchwerindustrie, der sich in den Händen des deut-schen Finanzkapitals befand – ein Anhängsel alsoder deutschen Schwerindustrie. Hier vor allem dieAlpine Montan Gesellschaft.

Ton angebend im Elektrokartell war Siemens-Schuckert. Hier gab es eine peinliche Episode, diedie politischen Machenschaften des reichsdeut-schen Monopolisten entlarvt: Über die Wiener

September 1933. Streik imsteirischen Kohlerevier

Österreichische Faschisten(v.l. Starhemberg, Dollfuß,Fey, 1932)

K 306 Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft 33

Zweigniederlassung lief die Korrespondenz mitdeutschen Nazi-Stellen, nachdem die österreichi-sche Nazipartei verboten war.

Diese NSAPÖ war die politische Organisationder Anschlussbetreiber. Sie galt als Gauorganisa-tion der NSDAP. Staatsbeamte, arbeitslose Intel-lektuelle und andere deklassierte Elemente warenjene Illegalen, die das „Bonbon” unterm Reverstrugen. Jeder Böllerwerfer erhielt 20 Schilling, füreinen Hafttag gab es 6 Schilling – ein Arbeitsloserhatte 3 Schillling am Tag. Nazis, die untertauchenmussten, gingen nach Bayern zur „Österreichi-schen Legion“, wo sie militärisch ausgebildetwurden und Geld bekamen.

Den Nazis gelang es trotz aller Anschläge undHetze gegen die Dollfuß-Regierung nicht, in dieArbeiterklasse einzudringen. Schutzbündler inWien-Simmering, die sich gegen einen Nazi-Über-fall gewehrt hatten, wurden zu empfindlich hohenStrafen verurteilt. Die Nazi-Konkurrenz wurdealso vor den Arbeitern geschützt!

Der größere Teil der Bourgeoisie war gegenden Anschluss. Es waren die Teile des Finanzka-pitals und der verarbeitenden Industrie, die mitdem französischen und englischen Finanzkapitalverflochten waren. Ihr Markt war der Donauraum,der Balkan – kurz, die alten k. u. k. Länder. Wassie einte, war die Furcht vor der Konkurrenz desdeutschen Kapitals auf dem Binnenmarkt. DasZiel war die Bildung einer Donauföderation, jaeine Restaurierung der Habsburg-Monarchie.Dazu passte auch die Unterstützung Dollfuß’durch Mussolini, der einen faschistischen Drei-bund Italien-Ungarn-Österreich anstrebte.

Die Christlichsoziale Partei war die Organisa-tion dieses reaktionären Blocks, der Klerus hattegroßen Einfluss. Ihre Anhänger kamen aus demstädtischen Kleinbürgertum. Die monarchisti-schen Großgrundbesitzer und Großbauern setztenhingegen auf die Heimwehren als politischeSammlungsbewegung. Was alle verband, war dieFurcht vor der Konkurrenz des deutschen Faschis-mus.

Dollfuß hatte im Mai 1933 die „VaterländischeFront” gegründet als Sammelbecken aller regierungs-treuen, antimarxistischen Kräfte. Nach dem VorbildNazideutschlands wurden CS und Heimwehrenzusammen gefasst. Staatsangestellte und Staatsbetrie-be wurden zwangsorganisiert. Der bayerische Dich-ter Oskar Maria Graf charakterisierte diese Bewe-gung so: „Geräuschvolle Umzüge und Kundge-bungen ... Geschäftsleute, Hausherren, rückgrat-lose Künstler, ausgehungerte Arbeitslose, jüdischeBourgeois mit Angst vor den Nazis ...“12

Der Austrofaschismus betrieb keine sozialeDemagogie wie auch keine antisemitische Hetzewie der Hitlerfaschismus. Vorbild war das Mittel-alter mit seiner Ständeordnung und dem Innungs-wesen.

Auch die Sozialdemokratie soll in der An-schlussfrage zu Wort kommen. Blicken wir zurück.1919 hatte Otto Bauer als Außenminister nur davongesprochen, „Deutsch-Österreich“ sei nicht lebens-fähig, nicht zuletzt auch deswegen, um eine Revoluti-on nach russischem Muster zu verhindern. „Auf unsselbst gestellt, lebensunfähig, können wir nur ineinem größeren Verband die Möglichkeit erlangen,uns allmählich emporzuarbeiten.“13

Die Sozialdemokratie war später nicht mehr aneinem Anschluss interessiert. Ihre materiellen

Interessen waren über die Arbeiterbank verfloch-ten mit dem einheimischen Finanzkapital.

Nach dem Machtantritt Hitlers trat die Sozial-demokratie gegen den Anschluss auf. Der Haupt-feind war ja nach Meinung der Sozialdemokratieim Ausland, nämlich Hitler, der die Gleichschal-tung betrieb. Otto Bauer: „Wir haben sie be-schworen (die faschistische Regierung), dem er-bitterten Kampf gegen die Sozialdemokratie einEnde zu machen, um es uns zu ermöglichen, unsmit unserer ganzen Kraft gegen die Nationalsozi-alisten zu wenden...“14

Der Austrofaschismus als das kleinere Übelalso, als Bündnispartner gar? Hatte also Karl Lieb-knecht für Österreich unrecht, der doch feststell-te, der Hauptfeind stehe im eigenen Land? Dieösterreichische Bourgeoisie war geschwächtdurch die Zerschlagung ihres Herrschaftsgebietes.Sie wusste, dass sie ihre alte Größe nur erreichenkonnte, wenn sie sich entweder an Hitler oder anMussolini anlehnte.

Aus der Verflechtung der nationalen mit deninternationalen Problemen folgt aber nicht, dassdie österreichische Arbeiterklasse ohnmächtigwar, ihre Lebensinteressen gegen die eigene Bour-geoisie durchzusetzen. Das werden auch die kom-menden Ereignisse zeigen.

Alle Maßnahmen zur Unterdrückung und Aus-beutung der österreichischen Arbeiterklasse sindvon der österreichischen Bourgeoisie in dereneigenem Profitinteresse durchgeführt worden!

Die Zuspitzung der außenpolitischen Gegen-sätze bedeutete ja auch, dass die Spaltung der ei-genen Bourgeoisie sich verschärfte und diese da-mit schwächte. Es verschärfte sich auch die Kon-kurrenz unter den beiden Feinden der österreichi-schen Arbeiter, dem Austrofaschismus und demHitlerfaschismus. Das führte zum Verbot der Nazi-Organisationen im Juni 1933.

Damit wollte Dollfuß seine Rolle als Hitlerbe-zwinger international unterstreichen. Hitlers Ant-wort darauf war die so genannte 1000-Mark-Sper-re. Der Betrag war bei Reisen nach Österreich beider Deutschen Reichsbank zu hinterlegen. DemFremdenverkehr drohte der Ruin, die Gastwirteliefen zu den Nazis über.

Die Vier PunkteDie Revolutionierung der österreichischen Ar-

beiterklasse machte nach dem Staatsstreich großeFortschritte. Am 1. Mai 1933 ließen sich die Ar-beiter noch mit den Spaziergangsparolen der SP-Führung abhalten, die Stacheldrahtverhaue um dieInnere Stadt zu überrennen. Die Wende kommt imAugust. Spontane Streiks bei den Alpine MontanWerken sind ein Zeichen, dass die reformistischenGewerkschaftsführer nicht mehr in der Lage sind,die Arbeiter vom Kampf abzuhalten. Viele Lohn-bewegungen drängen zum Streik, sie werden ab-gewürgt. Otto Bauer begründete nach dem 12.Februar 1934, warum: „Wir wussten, dass dieDiktatur jeden Streik gewaltsam zu brechen ver-suchen wird, dass daher jeder Generalstreik ineinen bewaffneten Kampf umschlagen müsse.”15

Auch die SP-Führer sahen also die revolutio-näre Krise herankommen. Sie hatten Angst davor,weil sie auch ihre Entmachtung bedeutete würde.

Die Opposition innerhalb der SP verstärktesich. Die (illegale) KPÖ konnte immer mehr Ein-

12 Oskar Maria Graf: Die gezähl-ten Jahre. Graf war 1933/34 imWiener Exil. Von hier veröffent-lichte er sein „Verbrennt mich!”Nach dem Aufstand ging er nachPrag.

13 Otto Bauer, Parlamentsrede7.6.1919. Der Friede von St.Germain (10.9.1919) verbot denAnschluss. Der Vertrag von Tria-non 1920 beschränkte Ö. auf sei-ne gegenwärtigen Grenzen, 1921kam das Burgenland dazu.Die Frage der österreichischenNation ist hier nicht abzuhan-deln, aber ein Wort noch: DieÖsterreicher sind ein Mischvolk,anders wie die Deutschen. Ost-und Südeuropäer waren in einemVielvölkerstaat – Donaumonar-chie – zusammen gefasst. Seit derNiederlage im preußisch-öster-reichischen Krieg1866 ist voneiner eigenen nationalen Ent-wicklung auszugehen.

14 Zit. nach Otto Bauer, Der Auf-stand ...

15 dto.

Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft34 K 306

fluss auf die sozialdemokratischen Arbeiter ge-winnen. Die Gewerkschaftsführer sahen sich imSeptember 1933 gezwungen, eine Konferenz ein-zuberufen.

Auf dieser wurden die „Vier Punkte” als dieBedingungen für den Generalstreik festgelegt:1. wenn die Bundesregierung die Wiener Gemein-

deverwaltung auflöst oder einen Regierungs-kommissar einsetzt.

2. wenn die Bundesregierung die Sozialdemokra-tische Partei auflöst oder ihre Tätigkeit verbie-tet.

3. wenn die Bundesregierung die Gewerkschaf-ten auflöst oder in irgendeiner Weise gleich-schaltet.

4. wenn die Bundesregierung eine neue Verfas-sung auf verfassungswidrigem Wege einführt.Die Partei übernahm im Oktober 1933 diese

Vier Punkte auf einem Sonderparteitag, der aufDruck der Arbeitermassen einberufen wurde.

Wieder hat Otto Bauer in dankenswerter Of-fenheit im Exil nieder geschrieben, was die unge-duldigen, kampfbereiten Arbeiter auf Partei-versammlungen ihm zuriefen, wenn er, der brillan-te Redner, nicht mehr zu Wort kam:

„Warten wir nicht länger! Wir werden nichtmehr kampffähig sein, wenn einer der vier Fälleeintreten wird! Schlagen wir los, solange wirnoch kampffähig sind! Sonst wird es uns so ge-hen wie den Genossen in Deutschland!”16

Dollfuß kommen die Vier Punkte gelegen, erkennt nun den Casus Belli, die Schmerzschwelle,unterhalb derer er die faschistische Diktatur wei-ter ausbauen kann.17 Wir wissen heute, als im Fe-bruar 1934 mindestens einer der vier Fälle – alsoein Kriegsgrund – eintrat, wurde der Generalstreiknicht ausgerufen. Die SP-Führer bereiteten nun,nach dem Parteitag, nicht den Generalstreik vor,schon gar nicht den bewaffneten Aufstand. Sieverbreiteten Stillhalteparolen: „Der Schutzbundist parat!“ oder ergehen sich in Wortradikalität:„Wenn d’Heimwehr kommt, verjagen wir’s mit an’nassen Fetzen!“

Und sie „packeln“: Sie signalisieren Bereit-schaft, das faschistische Regime zu tolerieren,wenn nur die Heimwehren ausgeschaltet werden.Dollfuß darauf: „Für diese Führer werden sichÖsterreichs Arbeiter nicht mehr schlagen.“ Damitbehielt er recht.

An der Jahreswende zu 1934 folgt Provokati-on auf Provokation. Die Gewalt des Faschismusist das einzige Recht. Die revolutionäre Stimmungergreift breite Volksmassen. Die IndustriestädteGraz, Bruck a.d. Mur und Linz sind voll rebelli-scher Arbeiter. Innerhalb der VaterländischenFront gibt es Streit und Intrigen, die Heimwehr-führer verhaften sich gegenseitig. Der eigentliche„Starke Mann“ ist der k. u. k. Major Emil Fey, derHeimwehrführer von Wien, Innenminister undVizekanzler. Am 30. Januar bereitet er einen neu-en Staatsstreich vor. Tiroler Heimwehren werdenmobilisiert, 8000 Mann marschieren in Innsbruckein. Sie fordern: Auflösung der Tiroler SP, Selbst-auflösung der CS und Einsetzung eines diktatori-schen Regimes.

Ebenso marschiert Heimwehr in den folgendenTagen in anderen Städten mit der Forderung nachVerbot der SP. Fey lässt Funktionäre des Schutz-bunds verhaften, Waffenlager werden ausgehoben.

Während die „Arbeiterzeitung”, das SP-Organ,am 3. Februar abwiegelt: „Die Lage in Tirol istnoch ungeklärt“, schlägt die KPÖ Alarm: „Gene-ralstreik gegen die Faschisten!“ Am 11. Februar,einem Sonntag, erfahren die Leser der „Arbeiter-zeitung” von „Tagen der Entscheidung” – was sieschon längst wissen.

Am selben Tag lässt Fey die niederösterreichi-schen Heimwehren nahe Wien aufmarschieren. Ergibt bekannt: „Wir werden morgen an die Arbeitgehen, und wir werden ganze Arbeit leisten fürunser Vaterland, das nur uns Österreichern al-leine gehört und das wir uns von niemand neh-men lassen.”18

Aus Linz trifft ein Bote beim Parteivorstandein. Der Brief des oberösterreichischen Landes-parteisekretärs und Schutzbundführers RichardBernaschek hat einen schwer wiegenden Inhalt:„... Wir erwarten, dass Du der Wiener Arbeiter-schaft und darüber hinaus der gesamten Arbei-terschaft das Zeichen zum Losschlagen gibst.Wir gehen nicht mehr zurück. Den Parteivor-stand habe ich von diesem Beschluss nicht ver-ständigt. Wenn die Wiener Arbeiterschaft uns imStiche lässt, Schmach und Schande über sie ...”19

Otto Bauer ruft um 2 Uhr nacht zurück: „Ernstund Otto schwer erkrankt. Unternehmen aufschie-ben.“ Der Telefonverkehr war natürlich über-wacht, man wusste nun, eine Provokation würdeklappen!

Polizei und Heimwehren umstellen das LinzerArbeiterheim. Beim Eindringen werden sie vonSchüssen empfangen. Die Faschisten besinnensich auf die k.u.k. Armeetradition, sie „konzentrie-ren sich nach rückwärts“, sie flüchten erst einmal.

Die Arbeiter lassen sich nicht mehr zurückhal-ten. Alle Bemühungen der sozialdemokratischenFührer waren umsonst: Der Februaraufstand derösterreichischen Arbeiter hat begonnen!

Die bewaffneten Kräfte20

Die Kräfte der Konterrevolution und des Auf-stands waren keineswegs geheim, sondern allge-mein bekannt.

Der Befehlshaber aller konterrevolutionärenTruppen war Fey, Stellvertreter Starhembergs.Die reguläre Armee, das Bundesheer, ist eineSöldnerarmee. Angesichts der Gleichschaltungs-bestrebungen Hitlers wurde sie auf 35.000 Mann

Die Straßenbahn steht –das Zeichen zum Aufstand

K 306 Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft 35

erweitert. Die 6 Brigaden, davon 2 in Wien, hat-ten gemäß St. Germain keine Panzer, keine Flug-zeuge, keine schwere Artillerie, keine chemi-schen Kampfstoffe.

Das Bundesheer war aus den Volkswehren von1918 hervorgegangen. Zu den Gründern gehörteJulius Deutsch! Nach 1927 wurden alle Sozialde-mokraten rausgesäubert, von oben nach unten.Hitleranhänger drängten danach ins Offiziers-korps.

Die Hilfsarmee umfasste Polizei, Gendarmerieund Grenzschutzwache. Die Polizei mit ihren17.500 Mann verfügte über eine bessere Bewaff-nung wie das Bundesheer. Nach dem 15. Juli 1927waren 3 Skoda-Panzerwagen angeschafft worden.Polizeiflugzeuge konnten zur Aufklärung einge-setzt werden.

Bei der Gendarmerie waren 5.500 Mann, beimGrenzschutz 9.000 Mann. Alle diese Formationenbesaßen MG, Karabiner, auch Motorräder. Undalle waren früher mehrheitlich gewerkschaftlichorganisiert, also in Händen der SP, der sie nach1927 entglitten.

Die faschistischen Bürgerkriegsformationen,die Heimwehren, umfassten 100.000 – 150.000Mitglieder, aber nur ein Teil davon war bewaffnet.

Ihre Bewaffnung bestand aus Infanteriegeweh-ren (Arsenalwaffen!), leichten und schweren MG,Feldkanonen. Die Ausbildung erfolgte durch Ak-tive und Reserveoffiziere des Bundesheeres.

Die NSAPÖ hatte einige zehntausend bewaff-nete Mitglieder vor der Auflösung im Juni 1933,bei der die Waffen nicht beschlagnahmt wurden!Der Nachschub kam aus Hitlerdeutschland. Eineorganisierte Beteiligung von Hitlerfaschisten ge-gen den Aufstand ist allerdings nicht bekannt, sieblieben in Abwartestellung.

Die bewaffneten Kräfte des Aufstands bestan-den aus dem Republikanischen Schutzbund, alsoausschließlich aus sozialdemokratischen Arbei-tern. Es waren, wie wir bereits wissen, sowohl dielinientreuesten als auch die kämpferischsten (jun-gen) Arbeiter.

Im Februar 1934 waren dies 80.000 Mann. DerSchutzbund war nach dem Verbot nur mehr halblegal als Ordnerorganisation. Die Bewaffnung warinsgesamt gut: Revolver, Karabiner, MP, MG,Handgranaten.

Ihre Ausbildung durch Wehrsport, Kleinkali-ber Schießen und taktische Geländeübungen hat-te insgesamt hohes Niveau. (Wir wissen aber auchvon der Kritik Körners am Armeeprinzip!) DieSchutzbündler hatten großteils Erfahrungen ausdem 1. Weltkrieg. Und was auch in der sozialde-mokratischen Literatur immer betont wird: DieDisziplin war musterhaft!

Die KPÖ spielte nach dem Ausschluss aus demSchutzbund 1925 keine nennenswerte Rolle alsFormation, wirkte aber agitatorisch und organi-sierend.

Die Reserven des Aufstands, also die Arbeiter-massen, das Kleinbürgertum und die armen Bau-ern, sind zahlenmäßig nicht erfassbar, aber vielgrößer als die des Faschismus.

Und die Arbeiter handeln. Betriebsräte der Wie-ner Elektrizitätswerke und Gaswerke werden un-mittelbar aus Linz informiert. Die Belegschaftentreten sofort in den Streik. Die gefürchteten Florids-dorfer Arbeiter streiken bereits, weil Betriebsräteund Vertrauensleute verhaftet worden sind.

Was jetzt zu tun gewesen wäre: Generalstreik!Der Parteivorstand jedoch gibt sofort die Paroleaus: „Abwarten!“

Und er schickt zwei Mittelsmänner der CS zuDollfuß, die um Verhandlungen bitten sollen.

Der Schutzbund wartet auf den Befehl zur Be-waffnung. Die Arbeiter warten auf den General-streik. In Linz wird der Generalstreik spontan aufInitiative der Eisenbahner durchgeführt.

In Wien wurden bereits alle sozialdemokrati-schen Einrichtungen besetzt: das Parteihaus, die„Vorwärts”-Druckerei, das Rote Rathaus. Bürger-meister Seitz lässt sich aus seinem Amtszimmer tra-gen. Er ist einer der wenigen hohen SP-Funktio-näre, die Widerstand leisten.

Spätestens jetzt müssten die Vier Punkte um-gesetzt werden!

Bundesheer, Polizei und Heimwehren sind inAlarmzustand. Noch ist die Innenstadt ungedeckt.Mitten drinnen, im ehrwürdigen Stefansdom, sitztdie Regierung (mit Ausnahme Feys!) und feiert dasPapstjubiläum!

Schutzbündler versammeln sich in denabgesprochenen Lokalen – die Schutzbundfüh-rung rührt sich nicht! Die KPÖ gibt die Losung aus:„Bildet Räte – Kämpft für die Diktatur des Prole-tariats!“

Um 11 Uhr 46 gelingt es einer Gruppe ent-schlossener Arbeiter im Simmeringer E-Werk, denStrom für Wien abzuschalten. Straßenbahnen blei-ben stehen, die Straßenbahner schließen sich demStreik an. Das ist das Zeichen, auf das Schutzbundund Vertrauensleute gewartet haben – auch diePolizei verschwindet blitzartig von der Straße!

Die Parteiführung steht vor vollendeten Tatsa-chen. Aber erst um 14 Uhr wird ausgegeben:

„Bewaffnen. Keine Angriffsaktionen. Nur Ver-teidigung, wo der Schutzbund angegriffen wird!“21

Weil viele der Schutzbundführer verhaftet sindund die Reserveführer nicht zur Stelle sind, sinddie gut versteckten Waffenlager nicht bekannt. EinTeil der kampfbereiten Arbeiter irrt umher, um anWaffen heran zu kommen. So sind zum Teil für 10Schutzbündler nur 3 Gewehre vorhanden.

Am Nachmittag beginnen in den proletarischenBezirken Wiens die Kämpfe. Die Schutzbündlerverschanzen sich in den Gemeindebauten. Es istunerheblich, wer den ersten Schuss abgab. Es gibtin der sozialdemokratischen Literatur Seiten lange

Polizeipanzer in Forids-dorf, begleitet von Bundes-heer und Heimwehr

16 dto. Alle Ausrufezeichen vonO.B.

17 Casus Belli: (lat.) Kriegsgrund;hier: der Auslöser des Bürger-kriegs.

18 Zit. nach: Die Kälte des Febru-ar ...

19 dto. R. Bernaschek wurde 1944in KZ Mauthausen ermordet.

20 Ausführlich bei Bela Kun: DieFebruarkämpfe in Österreichund ihre Lehren. Verlagsgenos-senschaft ausländischer Arbeiterin der UdSSR. Moskau – Lenin-grad 1934

21 Zit. nach A. Reisberg.

Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft36 K 306

Rekonstruktionen, die nur dem Einen dienen:Glaubhaft zu machen bis auf den heutigen Tag, dieFührung habe den Kampf nicht gewollt. Wir wol-len es auch so glauben.

Wer den Kampf nicht geteilthat ...

Wie in Wien bildeten sich am ersten TagAufstandszentren in Bruck/Mur, Graz, Leoben,Steyr, Linz, Salzburg, Innsbruck, Wiener Neustadt.

Überall ging die Konterrevolution sofort in dieOffensive. Ihre Beweglichkeit wurde gefördertdadurch, dass die Eisenbahner nicht in den Streikgerufen wurden. Überall entstanden spontaneStreiks, in den Provinzzentren von der Art desGeneralstreiks.

Im Linzer Arbeiterheim – von hier kam das Si-gnal zum Aufstand! – hielten sich 40 Schutzbünd-ler gegen eine Übermacht aus Bundesheer undHeimwehr. Zur Mittagszeit geht die Munition aus,sie müssen sich ergeben. Linz kann sich 2 Tagehalten, das Gaswerk und der Güterbahnhof warvon Arbeitern besetzt. Sie können sich über dieDonau zurückziehen.

Bevor wir wieder nach Wien zurückkehren,soll die steirische Industriestadt Bruck an der Murals Beispiel aus den Ländern dienen. Hier wirdder Generalstreik lückenlos durchgeführt. DerSchutzbund kann eine Gendarmeriekaserne ein-schließen. Ein Polizeitrupp, der Streikbrecher derKabelfabrik schützen soll, wird entwaffnet und inden Direktionsbüros eingesperrt. FaschistischeHeimwehren werden in der Schule, in der sie ka-serniert sind, belagert. Der Eisenbahnverkehr istdurch Hindernisse stillgelegt. Kurz: Bruck ist inden Händen der Arbeiter!

Hier ist etwas für die Kämpfe in ganz ÖsterreichEinmaliges passiert: Ein sozialdemokratischerFührer stand an der Spitze der kämpfenden Arbei-ter. Der Landsparteisekretär Kolomann Wallischwar sofort von Graz nach Bruck gekommen undübernahm die Führung des Schutzbunds.

Wallisch war ein beliebter Arbeiterführer, lan-ge Zeit Brucker Parteisekretär. Seine Beliebtheitwar ein Grund dafür, dass ihn die Parteiführungnach Graz holte. Man sagte, zur Abkühlung vorallem. Wallisch war auch Funktionär der ungari-schen Räterepublik gewesen.

Auf dem Schlossberg hat der Schutzbund einebeherrschende Stellung und kann sich den Tagüber halten. In der Nacht zum Dienstag dringtBundesheer in die Stadt ein. Wallisch muss sichmit etwa 400 Mann ins Gebirge zurückziehen. DerVersuch, mit dem Widerstandszentrum LeobenVerbindung aufzunehmen, es zu verstärken, mis-slingt. Am 16. Februar löst sich die Gruppe auf,Wallisch versteckt sich.22

Seine Flucht ist vorbereitet, er wird aber er-kannt und verraten. 5.000 Schilling Kopfgeld wa-ren ausgesetzt – 2 Jahre musste dafür ein Arbeiterschuften. Dollfuß verlängert das Standrecht solange, bis am 19. Februar Wallisch gefangen war!

Vor dem Standgericht der Galgenchristen hälter eine mutige Rede. Dollfuß ruft an und fragt,wann denn das Urteil endlich vollstreckt sei.Wallisch wird am gleichen Tag gehängt.23

Die Führer der Sozialdemokratie, Otto Bauerund Julius Deutsch, haben sich inzwischen in ei-nen Gemeindebau im größten Wiener Arbeiterbe-zirk Favoriten zurück gezogen. Sie sollen so etwaswie eine Kampfleitung sein, doch nicht ein Befehl,nicht ein Flugblatt kommt aus dieser Zentrale.

Der Favoritner Schutzbund verhält sich defen-siv, er hat keine Waffen. Das Bundesheer schließtden George-Washington-Hof, in dem sich die so-zialdemokratischen Führer verkrochen haben, am2. Tag ein. In der Nacht zum Mittwoch flüchtenBauer und Deutsch nach Brünn in der Tschecho-slowakei.

Was sagte der spätere SPÖ-Vorsitzende undBundeskanzler Bruno Kreisky zur FahnenfluchtOtto Bauers.:

„Die Parteispitze ist ja verfolgt und zumeistsofort verhaftet worden. Ich bin der Meinung,dass es der schwerste Fehler Otto Bauers war,dass er nicht dageblieben ist. Sie hätten ihn ver-haften müssen, selbst auf die Gefahr hin, dasses ihn das Leben gekostet hätte, was ich nichtglaube. Dann wäre er immerhin der große Heldder österreichischen Arbeiterbewegung gewor-den. Er bleibt ein großer Mann, aber ... das hatso gar nicht zu ihm gepasst, dieses Weglaufen.Es sind ja die anderen auch dageblieben, obwohlniemand gewusst hat, was alles geschehen kann,es herrschte doch das Standrecht. Wenn mansich für eine gewisse Linie entschlossen hat,muss man die zu Ende gehen.”24

Die Wiener Arbeiter stehen im Kampf. DieAufständischen konnten aus ihren Stellungen inden Gemeindebauten, in die sie sich am ersten Tagzurück gezogen haben, teilweise ganze Bezirkewie Floridsdorf und Simmering kontrollieren.

Diese Gemeindebauten haben eine Bauform, dieden Kämpfern entgegen kam. Ein Durchgang führtins Innere eines großen Hofes, von dort betritt manerst die Häuser, die „Stiegen”, wie man sagt.

Es liegt nahe, dass der Karl-Marx-Hof nun her-auszugreifen ist, ein Sinnbild des Roten Wien. Mitseinen sechs 30-Meter-Türmen und einer Länge vonmehr als einem Kilometer ist er der größte der Wie-ner Gemeindebauten. Auch heute spricht die Sozi-aldemokratie noch von ihrem „Schlachtschiff”.

Der Karl-Marx-Hof war ein Trauma der Bour-geoisie: Er sei ein Festungsbau mit Wehrgängenund Waffenaufzügen, die Erker seien Schießschar-ten. Unwahrheiten, die nur der Hetze gegen dieArbeiter dienten. Vielmehr machten das rege po-litische Leben in ihm und seine Bauform den Hof

Artellerie gegen Arbeiter-wohnungen. Ziel: der Karl-Marx-Hof

K 306 Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft 37

zu einem Krisenpunkt der Kämpfe, wie es im Po-lizeibericht heißt.

4 Tage leisten die Schutzbündler den Heim-wehren, dem Bundesheer und der Polizei Wider-stand. Panzerwagen werden zur Sprengung derTore eingesetzt und Flugzeuge zur Aufklärung.Über die nahe Eisenbahnlinie werden Truppenherangeführt.

Major Fey inspiziert persönlich und gibt Be-fehl, den Karl-Marx-Hof sturmreif zu schießen. Indem fünfstündigen, christlichsozialen Bombarde-ment gehen Arbeiterwohnungen in Trümmer, einGebäudeteil stürzt ein. Die rote Burg sollte voraller Welt sichtbar verwundet werden!

Stiege um Stiege, Stockwerk um Stockwerkmuss von den Faschisten erkämpft werden. DieRegierung meldet im Radio die Einnahme desKarl-Marx-Hof, doch dann kann die Heimwehrgestoppt werden. Erst Munitionsmangel zwingtdie Schutzbündler zum Rückzug. Am 16. Februarstellt Dollfuß das Ultimatum: „Waffen strecken,dann Amnestie”. Die Kämpfer des Karl-Marx-Hofes können sich eine halbe Stunde vor Ablaufdes Ultimatums mit ihren Waffen geordnet zurückziehen. Sie benutzen die Kanalisation.

... der wird teilen die Niederlage10.000 Kämpfer waren aktiv im Aufstand. Eine

genaue Zahl der Verluste ist nicht bekannt. NachPolizeiangaben fielen 400 bis 1.000 Schutzbünd-ler. 60 tote Kämpfer und zivile Opfer wurden ineinem Massengrab am Wiener Zentralfriedhofverscharrt, aus Angst vor Demonstrationen. Erst1984 wurden sie würdig bestattet.

Auf Seiten der Konterrevolution waren 40.000Mann von Bundesheer und Heimwehr im Einsatz,das waren 70% der bewaffneten Staatsmacht! Eswurden 100 Tote gezählt.

10 Februarkämpfer wurden standrechtlich hin-gerichtet. Ein schwer verletzter Wiener Schutz-bündler wurde auf der Bahre zum Galgen ge-schleppt. Erst internationale Proteste legten denRegierungsbestien das Handwerk.

Es waren drei wichtige Maßnahmen, die im Ver-lauf des Aufstands versäumt worden waren. Erstensund als grundlegende Voraussetzung war dem Auf-stand kein Generalstreik vorausgegangen, wie ihn dieKPÖ propagiert hatte. Die Teilstreiks erfolgten spon-tan und konnten nicht zusammenwachsen. Dazukam die Sabotage der Gewerkschaftsführer, die dieEisenbahner nicht in den Streik riefen.

Zweitens gab es keine zentrale politische undmilitärische Führung.

Drittens wurden die Massen der Arbeiter nichtzu den Waffen gerufen, die Stellvertretertheorierächte sich.

Heute pflegt die Sozialdemokratie Österreichseine Legende.

Ja, es waren sozialdemokratische Arbeiter –Seite an Seite mit kommunistischen – die so hel-denhaft kämpften, ebenso wie die neun standrecht-lich Gehenkten. Damit begründet die SPÖ heute(wie damals gleich nach dem Aufstand) die Legen-de von der „kämpfenden Sozialdemokratie”.

Nein, der Februaraufstand der österreichi-schen Arbeiter war keineswegs die Fortsetzungder Politik der österreichischen Sozialdemokra-tie. Sein Ausbruch war vielmehr der Ausdruck desBruches der Arbeiter mit dieser Politik!

Wie ist es zu nun er-klären, dass die öster-reichische Sozialdemo-kratie denselben Wegging wie die deutsche –den Weg der Kapitula-tion vor dem Faschis-mus?

Die SP besaß dochgroße Mengen von Waf-fen und eine militäri-sche Formation, denSchutzbund?

Die austromarxisti-schen „Realpolitiker”wollten von einer An-wendung der Waffennichts wissen. Die dien-ten nur als „Schreckpi-stolen” gegen die Bour-geoisie. Die würde esdann nicht wagen, anzu-greifen.

Die Arbeiter verließen sich darauf, ihre Führerwürden die Waffen zur Verteidigung gegen diebürgerliche Gewalt einsetzen, sozusagen, wenn’szu bunt wird.

Die Arbeiter wurden erzogen in dem Sinn, einAufstand sei möglich ohne Vorbereitung, so, wieman eine Pistolenkugel abschießt. Die einzigemilitärische Parole war: „Gewehr bei Fuß – Ab-warten!”

Die Aufständischen hatten keinen strategischenPlan, ebenso wenig wie eine zentrale Führung, diediesen getragen hätte. Irgendeinen Plan hat es si-cher gegeben, schon um die Unzufriedenen zuberuhigen. Er hatte also eine ähnliche Funktionwie die Waffen.

Die Führer hatten also Waffen und einen Planzur Verfügung zur Verteidigung der Positionen derArbeiterklasse, aber sie haben alle Positionenkampflos aufgegeben!

Die Arbeiter sind 15 Jahre lang erzogen wor-den im Geist der sozialdemokratischen Ideen, dieda waren: Verteidigung der bürgerlichen Demo-kratie; Schutz der bürgerlichen Republik; Vertei-digung des Roten Wien gegen die schwarze Pro-vinz.

Eine Gedenktafel am Karl-Marx-Hof, die 1984,zum 50. Jahrestag, angebracht wurde, lautet:

„Als erste in Europa traten Österreichs Arbei-ter am 12. Februar 1934 mutig dem Faschimusentgegen. Sie kämpften für FREIHEIT, DEMO-KRATIE UND REPUBLIK.”

Das ist die Fortsetzung der Legende, denn wel-che Freiheit, welche Republik, welche Demokra-tie meint denn ein sozialdemokratischer Gedenk-tafelschreiber?

Als die Arbeiter zu den Waffen griffen, war dieIdee der bürgerlichen Demokratie in ihren Köp-fen, in ihren Herzen tot. Die einzigen, die in die-ser Stunde in Österreich daran glaubten, waren diesozialdemokratischen Führer.

Die Arbeiter litten aber – wie Marx sagt – nichtnur von den Lebenden, sie litten auch von den To-ten! Die toten Ideen der Sozialdemokratie, die to-ten Ideen der bürgerlichen Demokratie beeinflus-sten die Strategie und Taktik der Aufständischen.

Weil sie von den Toten litten, fehlte ihnen die kla-re Parole eines Machtkampfes. Die Frage Wer–Wen

Kolomann Walisch inSchutzbunduniform bei ei-ner Kundgebung 1933(links Otto Bauer)

22 Anna Seghers beschreibt die Er-eignisse in der Erzählung “DerWeg des Kolomann Wallisch”.

23 Aus der Kolomann-Wallisch-Kantate Brechts sind folgendeZeilen: Wer zu Hause bleibt,wenn der Kampf beginnt / Undlässt andere kämpfen für seineSache / Der muss sich vorsehen:denn / Wer den Kampf nicht ge-teilt hat / Der wird teilen dieNiederlage. / Nicht einmal denKampf vermeidet / Wer denKampf vermeiden will: denn / Eswird kämpfen für die Sache desFeindes / Wer für seine eigeneSache nicht gekämpft hat.

24 Zit. nach: Die Kälte des Februar... Kreisky wurde im so genann-ten Einheitsfrontprozess 1936nach mutigem Eintreten für dieEinheitsfront mit der KPÖ ver-urteilt. Er war Angehöriger der„Revolutionären Sozialisten”,die sich nach dem Zusammen-bruch der SP nach dem 12. Fe-burar gegründet hatten.

Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft38 K 306

ist wichtig, um die breiten Massen zu organisieren,die Reserven des Aufstandes.

Es fehlte den Arbeiter nicht am instinktiven Em-pfinden, dass es jetzt um die Eroberung der politi-schen Macht geht. Die Oktoberrevolution war fürdie österreichischen Arbeitern immer ein Vorbildgewesen. (Erinnern wir uns: Sogar die Otto Bauerund Julius Deutsch mussten die Sowjetunion hoch-halten!) Und nicht zuletzt: 15 Jahre Agitation derKommunisten tat in der Stunde des Aufstands ihreWirkung.

Da sind die Versuche der Wiener Straßenbah-ner, in die Innere Stadt einzudringen – um 19 Uhrwar es zu spät, aber bis zum Mittag des 12. Febru-ar war das Regierungsviertel unbedeckt.

Das hätte Wien bedeutet – Wien bedeutete denSieg!

Oder die Versuche der Linzer Arbeiter, eineFunkstation zu besetzen und das vorbildliche Vor-gehen der Arbeiter von Bruck.

Die Hauptschwäche des Februarkampfes derösterreichischen Arbeiter bestand darin, dass sieinfolge des schädlichen Einflusses der Sozialde-mokratie nicht begriffen, dass es nicht genügt, sichgegen den Angriff des Faschismus zu verteidigen.Der bewaffnete Widerstand des österreichischenProletariats gegen den Faschismus ging nicht ineinen tatsächlich bewaffneten Aufstand über, dernur ein Ziel haben konnte: Die Bourgeoisie zuentmachten.

Dieser Hauptfehler ließ die Aufständischen dieLinie der Verteidigung einschlagen, was bis zumSchluss die Hauptseite blieb.

Zwei Hauptbedingungen für einen Sieg imAufstand konnten so nicht erfüllt werden: Kon-zentration der Kräfte in Richtung der bürgerlichenMachtzentren und schnelles Handeln im Angriff,um Überlegenheit herzustellen.

Die schwankenden Schichten konnten so nichtherübergezogen werden. Die Sympathisierendenwarteten auf Teilsiege. Das Militär konnte nichtneutralisiert oder gar zum Überlaufen auf die Sei-te des Aufstands bewegt werden. (Zwei Kasernenweigerten sich einige Stunden lang, gegen dieWiener Arbeiter zu marschieren. Als kein Erfolgsichtbar war, fielen sie um.)

Während die Faschisten sofort in die Offensivegingen, blieben die Februarkämpfer in der Defen-sive. So kühn die Arbeiter auch waren, handelten

sie doch gegen die Hauptregel jeder bewaffnetenErhebung. Friedrich Engels hat das so formuliert:„Ist der Aufstand einmal begonnen, dann handleman mit der größten Entschiedenheit und ergrei-fe die Offensive. Die Defensive ist der Tod jederbewaffneten Erhebung ...”

Der Februaraufstand war der erste bewaffneteKampf, in dem hoch entwickelte Kriegstechnik ineiner Großstadt eingesetzt wurde. Die Kämpfebegannen nicht als Barrikaden- oder Straßen-kampf, sondern als Stellungskampf.

Bekanntlich haben sich die Schutzbündler inGemeindebauten und Arbeiterheimen versammelt.Das war richtig, weil sich dort die Waffenlagerbefanden. Sie konnten sich verdeckt organisieren;es waren die Stützpunkte für Aktionen und voral-lem: hier waren die Reserven, wie etwa die Frau-en, die die kämpfenden Männer mit Lebensmittelnversorgten!

Als die zentrale Leitung des Kampfes versagte,mussten sich die Kämpfer in den Gemeindebau-ten festsetzen, vollständig isoliert voneinander.

Die Lage am 2. Tag war reif für den Übergangzu Straßenkämpfen – am Abend davor waren gro-ße Gebiete, ja ganze Bezirke in den Händen derArbeiter.

Es gab beispielhafte Offensivaktionen wie inBruck. Es gab Barrikaden der Floridsdorfer Arbei-ter auf der Reichsbrücke, dem wichtigen Donau-übergang. Aber es blieb größten Teils bei der pas-siven Verteidigung. So kam das technische Über-gewicht der Konterrevolution zum Tragen.

War es die Artillerie, die den Aufstand besiegthat, wie es Otto Bauer behauptete? Ist sie wirk-lich unbezwingbar?

Schon die rechtzeitige Erstürmung der Artille-riekasernen bricht deren Wirkung (ein Plan derSimmeringer Arbeiter!); durch Flankenangriffekann das Auffahren der Kanonen verhindert wer-den. Die Eroberung einer Kanone hat moralischesGewicht! Die Aufständischen können die Artille-rie „aufwiegen”, wie Engels am Beispiel der Pari-ser Kommune darlegte.

Wurde die Bevölkerung durch Flugblätter in-formiert, wie das die KPÖ in beschränktem Maßetat? Wurde ein Aufklärungsdienst eingesetzt?Wurden Sender, Brücken, Eisenbahnstrecken be-setzt? Wurden Lebensmittel und Autos requi-riert? Wurden Staatsfunktionäre festgesetzt –auch im Heiligtum der Bourgeoisie, im Stefans-dom? Das alles gab es in Ansätzen und Versuchen,die konsequente Durchführung scheiterte amLegalismus, in dem die Arbeiter erzogen wordenwaren.

Durften die Arbeiter zu den Waffen greifen? (Hal-ten wir uns nicht mit den Überlegungen der sozial-demokratischen Führer auf. Die waren vor, währendund nach dem Aufstand dagegen.) Der Zeitpunkt hät-te nicht später sein dürfen – der Aufstand war einGebot der Stunde! Innenpolitisch war die Spaltungder Bourgeoisie auszunutzen. Und in den Augen derbreiten Massen war der Bankrott der bürgerlicheDemokratie offensichtlich.

Chance des SiegesDer Aufstand hatte die Chance des Sieges nach

allem, was hier ausgeführt wurde.Eine wichtige Frage gibt es aber noch in die-

sem Zusammenhang: Hätte die österreichische Ar-

MG-Stellung im Karl-Marx-Hof

K 306 Stellung des Arbeiters in der Gesellschaft 39

Nach 1945. Die österreichische Sozialdemokratie ging die 2. Republik vehement an.Sie verpasste sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Namen „Sozialistisch“. (Erstmit dem leibhaftigen Banker Vranitzky als Vorsitzendem kehrte man 1991 reuig zum„Sozialdemokratisch“ zurück.) Die Klassenzusammenarbeit wurde kultiviert wie nirgendssonst. Das war die bürgerliche Lehre aus dem Aufstand. Die äußere Form war der Pro-porz: jeder sozialdemokratische Funktionsträger hatte an seiner Seite einen schwarzenVize und umgekehrt. Eine permanente Große Koalition also, natürlich auch unter Krei-sky. Politische Menschen wissen, was daraus wird. Anfangs Vertrauen in die „Genos-sen Direktoren“ in der verstaatlichten Industrie und in der Regierung – das war der sogenannte „Österreichische Sozialismus“. Dann Niedergang der Gewerkschaften, Ent-wöhnung vom Kampf, letzen Endes Enttäuschung und politische Abstinenz der Arbei-terklasse, das waren die Folgen. Nur so konnte Haider, ein deutschnationaler Demago-ge, ein Aufsteiger aus einem Nest im Salzkammergut, Stimmen bei den Arbeitern sam-meln und Regierungen stürzen.

beiterklasse ihre Macht, einmal errungen, vertei-digen können?

Betrachten wir die außenpolitische Situation.Eine Atempause für die siegreiche österreichischeArbeiterklasse wäre möglich gewesen. Ein raschesZusammengehen der Nachbarländer war eher un-wahrscheinlich. In Frankreich war soeben ein gro-ßer Sieg gegen den Faschismus errungen worden!Am 12. Februar war ein faschistischer Putschdurch eine Millionendemonstration niederge-schlagen worden. Zwischen den faschistischenRegimen in Italien und Deutschland herrschtengroße Widersprüche. Und Hitler war nicht kriegs-bereit, sondern schaute gerade auf internationaleReputation.

Nicht zu vergessen sind die revolutionärenArbeiterbewegungen in ganz Europa! Das Signaldes Februar hatte auf sie einen Verstärkungseffekt.Und da war noch die große Sowjetunion.

Aus heutiger Sicht ist festzustellen, dass dergrüne Faschismus Dollfuß’ die Aufgabe der Nie-derwerfung und der Entwaffnung der österreichi-schen Arbeiterklasse löste. Das brauchte der Hit-lerfaschismus vier Jahre später nicht mehr zu er-ledigen: Am 12. März 1938 marschierte die Hit-lerwehrmacht in Österreich ein. Sieben Jahre „Ost-mark” folgten. Am 1. April schon rollte der ersteTransport ins KZ Dachau. Also: Dollfuß schossden Weg frei für Hitler!

Dass er dann ausgedient hatte, hat der Nazi-putsch am 25. Juli 1934 gezeigt. Der Putsch selbstscheiterte nach Stunden, doch Dollfuß wurde inseinen Regierungsräumen von einem braunenMordkommando erschossen.

Der Februar 1934 hatte große internationaleBedeutung. Er war ein Signal für die Arbeiterklas-se der kapitalistischen Welt: Es ist möglich, gegenden Faschismus zu kämpfen!

Ein Ruck ging durch die deutsche Arbeiterklas-se. Die Entschlossenheit der Antifaschisten inDeutschland und in anderen Ländern wurde ge-stärkt.

Mit großem Interesse verfolgte das linke Spa-nien den Februarkampf. Viele Schutzbündler, diefliehen mussten, fanden über Tschechoslowakeiund Sowjetunion den Weg in die InternationalenBrigaden. Dort halfen sie mit, die republikanischeRegierung in Madrid gegen die Francofaschistenzu verteidigen.

In Österreich selbst hat der Kampf der öster-reichischen Arbeiter die faschistische Diktatur inihrer Festigkeit von Anfang an erschüttert. Sowurde der weitgehende Mieterschutz auch nach

dem Februar 1934nicht angetastet!

Die Nazis konntenaus dem Aufstand kei-ne unmittelbaren Vor-teile ziehen. Mit ihrerdemagogischen „Rä-cher”-Propaganda hat-ten sie keinen Erfolgbei den Arbeitern. Ein„Bayerischer Hilfs-zug”, der aus dem Nazi-reich anreiste und mitGulaschkanonen amKarl-Marx-Hof auf-fuhr, wurde von denEinwohnern mit Ver-achtung behandelt.

An Jahrestagenschwingen sich die Ge-schichtsschreiber auf,die sich den Heldenmut der Februarkämpfer un-ter den Nagel reißen, um im nächsten Atemzugzu erklären: ein Sieg war unmöglich! Denen sollBela Kun entgegen gehalten werden. Er war ei-ner der Führer der ungarischen Räterepublik, einKommunist. Wir verdanken ihm die vorliegendeAnalyse des Februaraufstands. Bela Kun: „EinSieg ist unmöglich ohne vollen ideologischenund politischen Sieg über den Opportunismusder Sozialdemokratie ... Eine der wichtigstenVoraussetzungen des Sieges der Arbeiterklassewurde in diesem Kampf geschaffen.”

Die österreichischen Arbeiter sind nicht be-siegt worden! Eine Niederlage geht aufs Konto derSozialdemokratie. Die Arbeiter hatten einen gro-ßen politischen Sieg über die Sozialdemokratieerrungen.

Otto Bauer sprach im Exil von der „Katastro-phe”: Richtig, die österreichische Sozialdemokra-tie ist zusammengekracht und eine Menge Illusio-nen über das schmerzlose Hinüberwachsen in denSozialismus wurden begraben. Die österreichi-schen Arbeiter haben in den vier Tagen des Auf-stands ganze Jahrgänge der Schule des Klassen-kampfs durchgemacht.

Nach den Februartagen gab es keine depressi-ve Stimmung unter den Arbeitern. Ganze Schutz-bundeinheiten traten in die KPÖ ein, linke Sozi-aldemokraten brachten ihren Einfluss in die Ar-beitermassen mit. An den Häuserwänden erschiendie Losung: „Wir kommen wieder!”

Peter Willmitzer

Literatur:

- Bela Kun: Die Februarkämpfe inÖsterreich und ihre Lehren. Ver-lagsgenossenschaft ausländischerArbeiter in der UdSSR. Moskau– Leningrad 1934

- Georgi Dimitroff: Brief an dieösterreichischen Arbeiter,März/April 1934. GesammelteSchriften.

- Georgi Dimitroff: Bericht am 7.Weltkongress der kommunisti-schen Internationale 1935.

- Arnold Reisberg: Feburar 1934 -Hintergründe und Folgen. Glo-bus-Verlag Wien 1974.

- Maimann/Mattl (Hrsg.): DieKälte des Februar. Österreich1934 – 1938. Junius Verlag u.Verlag der Wiener Volksbuch-handlung. Begleitbuch zur Aus-stellung 1984.

- Oskar Maria Graf: Die gezähl-ten Jahre. Roman. dtv, 1980.

- Anna Seghers: Der Weg des Ko-lomann Wallisch. Erzählung

- Anna Seghers: Der Weg durchden Februar. Roman

- KAZ 222: Tanz am Rande desReiches. Österreich und der deut-sche Imperialismus. Sept. 1991

- KAZ 295: Die deutsche Buberl-partie. Haider will heim insReich. Mai 2000.

Streuzettel nach dem12. Februar 1934


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