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Philosophie – was ist das? A · 2015. 2. 10. · legenden Aspekte. In dem Sinne ist die...

Date post: 26-Jan-2021
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Untersuchen Sie, was in den Materialien dieser Doppelseite jeweils unter Philosophie verstanden wird, und tauschen Sie sich in Gruppen über ihr eigenes Verständnis von Philosophie aus. Philosophie – was ist das? A Unsere Philosophie: Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause. (LBS) Leica – eine Philosophie und kein Produkt (Leica) Die Krokodilosophie: ‚Funktion vor Mode‘ und ‚Qualität vor Preis‘! (Lacoste) Muss ein Philosoph aussehen wie ein Philosoph? – Muss eine Limousine aussehen wie eine Limousine? (AUDI) Hornbach hält bedingungslos an seiner Dauer- tiefpreisphilosophie fest. (Hornbach) Die Nationalelf muss ihre Philosophie überdenken Der Bundestrainer erklärte nach dem Spiel, dass sich die Mannschaft zwar ohne Niederlage für die kommende Weltmeisterschaft qualifiziert habe, je- doch die Defensive noch mit größerer Ernsthaftigkeit betreiben müsse. Wenn es ihr gelingt, die Abwehrarbeit als Teil der offensiven Philosophie zu begreifen, dann ist ihr in der Tat alles zuzutrauen, womöglich der WM-Titel.
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  • Untersuchen Sie, was in den Materialien dieser

    Doppelseite jeweils unter Philosophie verstanden

    wird, und tauschen Sie sich in Gruppen über ihr

    eigenes Verständnis von Philosophie aus.

    Philosophie – was ist das?

    A„Unsere Philosophie:Wir geben IhrerZukunft ein Zuhause.

    (LBS)

    „Leica – eine Philosophieund kein Produkt (Leica)

    „Die Krokodilosophie:‚Funktion vor Mode‘und ‚Qualität vor Preis‘!

    (Lacoste)

    „Muss ein Philosophaussehen wie einPhilosoph? –Muss eine Limousineaussehen wie eineLimousine? (AUDI) „

    Hornbach hältbedingungslosan seiner Dauer-tiefpreisphilosophiefest. (Hornbach)

    Die Nationalelf muss ihrePhilosophie überdenkenDer Bundestrainer erklärte nach demSpiel, dass sich die Mannschaft zwarohne Niederlage für die kommendeWeltmeisterschaft qualifiziert habe, je-doch die Defensive noch mit größererErnsthaftigkeit betreiben müsse. Wennes ihr gelingt, die Abwehrarbeit als Teilder offensiven Philosophie zu begreifen,dann ist ihr in der Tat alles zuzutrauen,womöglich der WM-Titel.

  • Philosophische Probleme, die in diesem Kapitel reflektiert werden:Womit setzen sich Philosophen eigentlich auseinander?Was macht eine philosophische Frage aus?Wie unterscheiden sich philosophische Fragen von Alltagsfragenund Fragen der Wissenschaft?

    EIGENART PHILOSOPHISCHEN FRAGENSUND DENKENS

    WAS HEISST ES ZU PHILOSOPHIEREN?

    „Höchste Qualitätals Philosophie.

    (Honda)

    Das Wort Philosophie leitet sich her von den altgriechischen Wörtern philos und sophia. Philos istder griechische Name für Freund, während sophia das Wissen bezeichnet.Der Begriff philosophos wurde gebildet in Abgrenzung zum sophos, d. h. zum Wissenden, der bean-sprucht, im Besitz der Wahrheit zu sein. Dagegen versteht sich der philo-sophos als ein Freund desWissens, d. h. als jemand, der sich um Erkenntnis bemüht. Er strebt nach Wissen, aber beansprucht,nicht endgültiges und vollständiges Wissen zu besitzen. Das Suchen nach Wahrheit, nicht der Be-sitz der Wahrheit kennzeichnet den Philosophen. Philosophieren heißt auf dem Wege sein. Fragensind in der Philosophie wichtiger als Antworten. nach Karl Jaspers, Einführung in die Philosophie (1953)

    Selbstdenken und Anleitung zum Selbstdenken –darin besteht die Aufgabe derer, die philosophieren.

    Annemarie Pieper, Selber denken (1997)

  • M1 Das Orakel von Delphi

    Das Orakel von Delphi, ein dem Gott Apollon geweihter Tempel,war die bekannteste Pilger- und Weissagungsstätte im antikenGriechenland. Dort saß die Priesterin Pythia über einer Felsspalteund wurde durch die daraus aufsteigenden Dämpfe in Tranceversetzt. Ihre Antworten auf die Fragen der Pilger galten alsWeissagungen des Gottes Apollon. Der Überlieferung zufolgewar über dem Eingang des Tempels von Delphi die Inschrift„Erkenne dich selbst“ angebracht.

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    Was tun Philosophen eigentlich?

    ihrem Wissen vom Staat, Dichter nach ihrerDichtkunst usw. Wenn sich diese Menscheneinmal auf ein Gespräch mit ihm eingelassenhatten, hatten sie rasch verloren, denn dannzeigte ihnen Sokrates, dass sie im Grundevon all dem nichts verstanden, wovon sie sodaherredeten.Auf diese Weise zog sich Sokrates den Hassvieler Bürger der Stadt zu. Dieser wurde nochdadurch gesteigert, dass er unter den jungenAthenern viele begeisterte Anhänger fand.Sie ließen sich von seinem Beispiel inspirie-ren und stellten ihrerseits das Althergebrach-te, von den Vätern Überlieferte in Frage.Um den lästigen Fragesteller loszuwerden,

    strengten seine Feinde schließlich einen Gerichtspro-zess gegen ihn an.In dem Prozess dachte Sokrates nicht daran, seineRichter milde zu stimmen und für sich einzunehmen.Vielmehr provozierte er sie, indem er die Rechtmä-ßigkeit der Anklage in Frage stellte und sein Handelndurch göttlichen Willen rechtfertigte: Sein FreundChairephon habe das Orakel des Gottes Apollon inDelphi befragt, ob jemand weiser sei als Sokrates.Pythia, die weissagende Priesterin, habe geantwortet,dass niemand weiser sei.Um die Behauptung zu überprüfen, habe er alle inAthen als weise geltenden Männer befragt und her-ausgefunden, dass der jeweils Befragte zwar glaubte,etwas zu wissen, es in Wahrheit aber nicht wusste.Dadurch sei er schließlich zu der Erkenntnis gekom-men, dass das Orakel recht habe:„Verglichen mit diesem Menschen bin ich doch wei-ser. Wahrscheinlich weiß ja keiner von uns beidenetwas Rechtes: aber er glaubt, etwas zu wissen, ob-wohl er es nicht weiß; ich dagegen weiß zwar auchnichts, glaube aber auch nicht, etwas zu wissen. Umdiesen kleinen Unterschied bin ich also offenbar wei-ser, dass ich eben das, was ich nicht weiß, auch nichtzu wissen vermeine.“ nach Platon: Apologie (4 Jh. v. Chr.)

    4 EIGENART PHILOSOPHISCHEN FRAGENS UND DENKENS

    M2 Ein Philosoph vor GerichtIm Jahr 399 v. Chr. fand in Athen ein Aufsehen erre-gender Gerichtsprozess statt. Der Steinmetz Sokrateswurde angeklagt, dass er „die Jugend verderbe unddie Götter, welche der Staat annimmt, nicht anneh-me, sondern Anderes, Neues, Daimonisches“. Wiekam es dazu?Statt dem von seinem Vater erlernten Beruf nachzu-gehen und einen ordentlichen bürgerlichen Lebens-wandel zu führen, trieb Sokrates sich den ganzen Tagin der Stadt herum und verwickelte die Menschendort in lange Gespräche – sehr zum Leid seiner FrauXantippe, mit der er deswegen öfter Streit hatte. Erfragte einen jeden, ob er auch wisse, wovon er rede:DenFeldherrnLaches, der ständigvonTapferkeit rede-te, fragte er, ob er wisse, was eigentlich Tapferkeit sei.Den Redner Gorgias belästigte er mit der Frage, wasdie Redekunst ausmache. Politiker fragte er nach

  • Weise besteht eine Chance zu verstehen, was dasGanze eigentlich soll. Beschäftigt man sich intensivmit Philosophie und ihren großen Fragen, dann lerntman, vermeintlich Selbstverständliches zu überprü-fen - eine Haltung, die übrigens hinter fast allen gro-ßen Errungenschaften der Menschheit steht. Hätteniemals jemand die Frage gestellt, wie wir überhauptzusammenleben sollten, wäre es auch niemals zurDemokratie und zur Idee freier Gemeinwesen ge-kommen. Hätte niemals jemand gefragt, wo wir unseigentlich befinden, wüssten wir noch nicht einmal,dass die Erde rund und der Mond nur ein herum-fliegender Stein ist. Für diese Behauptung wurdeder griechische Philosoph Anaxagoras noch wegenGotteslästerung angeklagt. Und Giordano Bruno, dergrößte italienische Philosoph, wurde als Ketzer ver-urteilt, weil er der Meinung war, es gebe Außerirdi-sche und das Universum sei unendlich.

    Warum es die Welt nicht gibt (2013)

    M3 Markus Gabriel: Was soll das Ganze?Markus Gabriel (geb. 1980) übernahm 2009 als jüngster Phi-losophieprofessor Deutschlands eine Lehrtätigkeit an der Uni-versität Bonn.

    Was soll dasGanze?Dies ist die philosophischeGrund-frage schlechthin. Eines Tages sind wir zur Welt ge-kommen, ohne zu wissen, woher noch wohin. Dannhaben wir uns durch Erziehung und Gewöhnung indie Welt hineingefunden. Und sobald wir uns einmalan die Welt gewöhnt hatten, vergaßen wir meist zufragen, was das Ganze soll. Was ist das eigentlich,die Welt?In unserem Leben ergeben unsere Begegnungen, un-sere Hoffnungen und Wünsche in der Regel Sinn. Ichsitze beispielsweise gerade in einem Zugabteil in Dä-nemark. Neben mir schreibt jemand eine SMS, derSchaffner geht auf und ab, und hin und wieder höreich eine Durchsage auf Dänisch. All dies ergibt Sinn:Denn ich reise nach Århus, eine Stadt im Norden Dä-nemarks, dabei benutze ich einen Zug und erlebe aufder Fahrt, was nun einmal zu einer Zugfahrt gehört.Nun stellen wir uns aber vor, ein außerirdisches We-sen, das sieben Meter zwanzig groß ist und aus einergrünen Flüssigkeit besteht, kommt auf die Erde undsteigt in denselben Zug ein. Diesem Wesen erschienealles wohl sehr merkwürdig, vermutlich sogar völ-lig unverständlich. Es kriecht durch die engen Gängemeines Abteils und wundert sich über all die neu-en Eindrücke (und ganz besonders über die haarigenTiere, die in den Nischen sitzen und verstört mit denFingern über einen kleinen Bildschirm wischen).Philosophen betrachten die Welt gewissermaßen wieAußerirdische oder wie Kinder. Alles ist immer wiedervöllig neu. Sie misstrauen fest verwurzelten Urtei-len, ja, sie misstrauen sogar den Wissensansprüchenvon Experten. Philosophen glauben zunächst einmalüberhaupt nichts. Darin folgen wir dem Vorbild einesgroßen philosophischen Helden: Sokrates [mit seinerAussage]: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ […]Dennoch kann man von der Philosophie sehr viel ler-nen, insbesondere kann man lernen, niemals zu ver-gessen, dass die Welt ganz anders sein könnte, alssie uns erscheint. Philosophie stellt alles ständig inFrage, auch die Philosophie selbst. Und nur auf diese

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    1 Erläutern Sie die Bedeutung der Inschrift alsphilosophischen Grundsatz. > M1

    2 Erklären Sie, wie es zur Anklage gegen Sokra-tes gekommen ist. Was lässt sich daraus überdas Tun eines Philosophen ableiten? > M2

    3 Erläutern Sie, was Selbsterkenntnis nach So-krates bedeutet. > M2

    4 Informieren Sie sich darüber, wie der Prozessdes Sokrates ausging und was weiterhin ge-schah. Erörtern Sie, warum Sokrates als „Pro-totyp eines Philosophen“ gilt.

    5 Untersuchen Sie, wie Gabriel die Tätigkeit einesPhilosophen bestimmt. > M3

    6 Stellen Sie sich vor, Sie werden von jemandem,der nicht am Philosophieunterricht teilnimmt,gefragt, was Philosophie ist. Beantworten Siedie Frage auf der Grundlage der Doppelseiten 1und 2.

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    WAS HEISST ES ZU PHILOSOPHIEREN?

    Hinweis auf Unterrichtsmedien (zu A2):• Youtube: Die Verteidigungsrede des Sokrates,gesprochen von Werner Kraus (Ausschnitt von 2:57-6:40)

    • ZDF-Fernsehspiel ([email protected]):Kümmert euch nicht um Sokrates, von Josef Pieper, 1979(Ausschnitt von 3:40-5:34)

  • Fragen über Fragen

    6 EIGENART PHILOSOPHISCHEN FRAGENS UND DENKENS

    M1 Was uns alles angeht

    1. Wie spät ist es gerade?

    2. Was kostet das neue iphone?

    3. Warum ist der Himmel blau?4. Wie können wir wissen, ob unser Wissen richtig ist?

    5. In welchem Kino läuft der neue Film mit Brad Pitt?

    6. Gibt es einen Gott?

    7. Wo bekomme ich den günstigsten Handy-Vertrag?

    8. Was ist der Tod?

    9. Wie kommt es zu einer Sonnenfinsternis?

    10. Welches T-Shirt steht mir besser?

    11. Warum gibt es Tag und Nacht?

    12. Wann sollen wir uns heute Nachmittag treffen?

    13. Warum fliegen manche Vögel im Winter in den Süden?

    14. Sind unserer Erkenntnis Grenzen gesetzt?

    15. Auf welchem Bahnsteig fährt der Zug nach Berlin ab?

    16. Hat das Universum einen Anfang?

    17. Wie lange dauert die Fahrt nach München?

    18. Hat die Zeit einen Anfang und ein Ende?

    19. Wie ist es zum Ersten Weltkrieg gekommen?

    20. Wie hieß der erste Präsident der Bundesrepublik Deutschland?21. Was ist Freiheit?

    22. In welchem Beruf kann ich das meiste Geld verdienen?

    23. Was geschieht, wenn das Erdklima um 30° C ansteigt?

    24. Was ist Wahrheit?

    25. Welchen Einfluss hat die Abholzung der Regenwälder auf das Klima?

    26. Gibt es ein Leben nach dem Tod?

    27. Wie versorgen sich Fische mit Sauerstoff?

    28. Warum beschreibt die Erde eine Bahn um die Sonne?

    29. Hat das Leben einen Sinn?

    30. An welchen Universitäten kann ich mein Wunschfach studieren?31. Was ist die Seele?

    32. Welches Mittel hilft am besten gegen Kopfschmerzen?

    33. Womit kann man fossile Energieträger ersetzen?

    34. Wie finde ich den Weg zum Bahnhof?

    35. Mit welcher Geschwindigkeit breitet sich Licht aus?

    36. Wo liegt eigentlich Mobutu?

    37. Warum fällt ein Apfel immer nach unten?

    38. Warum gibt es hellhäutige und dunkelhäutige Menschen?

    39. Wer ist der erfolgreichste Formel-1-Fahrer?

    40. Welche Rechte hat ein Mensch?

    41. Wie heißt der aktuelle Torschützenkönig der Bundesliga?

    41. Wie heißt der aktuelle Torschützenkönig der Bundesliga?

    42. Wie weit darf der Staat die Freiheiten der Bürger beschränken?

    43. Welcher Song steht in dieser Woche an der Spitze der Charts?

    44. Welche Verpflichtungen haben wir anderen gegenüber?

    45. Warum gefriert Wasser bei O° C?

  • M2 Bernt Plickat: „Das ist ja nuneine philosophische Frage!“

    Sie selber haben sicherlich auch schon Gesprächssitu-ationen erlebt, in denen mit der Redefloskel „Das istja nun eine philosophische Frage“ oder „Das ist ebenmeine Philosophie“ jede weitere Klärung kontrover-ser Standpunkte abgebrochen wurde.Überzeugen Sie sich selbst. Kein Gesprächspartner,der Ihren Standpunkt noch so heftig attackiert, wirdauf Ihren Einwurf, dies sei eben eine philosophischeFrage, mit einem prompten „nein“ reagieren. Sie ha-ben ihn hiermit aus seinem Konzept gebracht. […]Mit diesem Argumentationstrick, und deswegen wirder so gerne von der argumentativ schwächeren Seitebenutzt, finden viele Streitgespräche doch noch einscheinbar harmonisches Ende. Keine Seite verliert ihrGesicht. […]Mittels des Zauberwortes „Philosophie“ ist zwar keineEinigung in der Sache erreicht […], aber die Unlösbar-keit des Problems mit den vorliegenden Argumentenmuss sich gegenseitig zugestanden werden. […] Mitdem Hinweis auf eine eigene Philosophie glaubt man,der Verpflichtung, sich zu rechtfertigen, enthoben zusein. Die „Philosophie“ einer Handlungsweise, einesUnternehmens, einer politischen Partei, eines Autos… – wird vorausgesetzt – sei eben das, was man nichthinterfragen könne.

    Kleine Schule philosophischen Fragens (1992)

    1 Suchen Sie sich in Arbeitsgruppen zehn Fragenheraus, die Sie besonders interessieren und dis-kutieren Sie mögliche Antworten. > M1

    2 Ordnen Sie die Fragen den Bereichen Alltag,Wissenschaft und Philosophie zu. Nach welchenKriterien haben Sie die Zuordnung vorgenom-men? > M1

    3 Erläutern Sie die dargestellte Verwendung desBegriffs „philosophische Frage“. > M2

    4 Beurteilen Sie, ob die Einschätzung Plickatsauf die von Ihnen aus M1 zusammengestelltenphilosophischen Fragen zutrifft. > M1/M2

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    WAS HEISST ES ZU PHILOSOPHIEREN?

    46. Warum schwimmt Holz auf dem Wasser?

    47. Kann ein Rechtsbruch manchmal richtig sein?

    48. Wie lassen sich Donner und Blitz erklären?

    49. Ist Selbsttötung ein Verbrechen?

    50. Was geschieht, wenn Igel Winterschlaf halten?

    51. Was muss ich noch auf meine Einkaufslisteschreiben?

    52. Darf man Menschen töten, die töten?

    53. Bei welcher Bank bekomme ichden besten Zinssatz für mein Geld?

    54. Macht Geld glücklich?

    55. Welche Partei soll ich wählen?

    56. Was ist Gerechtigkeit?

    57. Wie funktioniert eigentlich ein Computer?

    58. Was ist Wirklichkeit?

    59. Warum schlafen wir?

    60. Gibt es eine Weltformel?

    61. Soll ich mir lieber eine helleoder eine dunkle Jeans kaufen?

    62. Muss man immer die Wahrheit sagen?

    63. Gibt es Leben auf dem Mars?

    64. Darf man Menschen klonen?

    65. Wann beginnen in diesem Jahr die Sommerferien?

    66. Möchtest du lieber Kaffee oder Tee?

    67. Darf man für den Frieden Kriege führen?

    68. Wo finde ich in diesem Supermarkt die Sonderangebote?

    69. Was ist dunkle Materie?

    70. Was bedeutet eigentlich SOS?

    71. Was geht im Erdkern vor?

    72. Muss man Vorschriften und Befehle immer befolgen?

    73. Kann Leben künstlich erzeugt werden?

    74. Warum sterben Lebewesen?

    75. Darf man immer seine Interessenauf Kosten anderer durchsetzen?

  • M1 Bernt Plickat: Philosophie und AlltagBernt Plickat, promovierter Philosoph undVerfasser von Unterrichtswerken, ist im pri-vaten und beruflichen Bildungsbereich tätig.

    Philosophie ist das konsequente Wei-terfragen, vor allem das Stellen derWarum-Frage gegenüber Positionen

    und Handlungsweisen, die gewöhnlich nicht weiterbefragt werden. […]Bei der Koordinierung des Tagesablaufs, bei der Zube-reitung des Frühstücks, dem Einhalten zeitlicher Vor-gaben, dem Vorwärtskommen im Verkehr, der Rou-tine der Arbeit sind kritische Überlegungen in Bezugauf die Richtigkeit und Angemessenheit, nach derletzten Begründbarkeit eher hinderlich. Beim Blickauf die Uhr, um schnell die aktuelle Zeit zu erfah-ren, sind Gedanken darüber, ob Zeit eigentlich immergleichmäßig fortschreite und was Zeit überhaupt sei,überflüssig. Beim Telefonieren sind Erwägungen dar-über, inwiefern die Stimme am anderen Ende der Lei-tung noch dieselbe sei wie beim Empfangen direk-ter Schallwellen und was eigentlich die Entität ei-ner Stimme ausmache, eher abträglich. Wichtig istvor allem, dass die Verständigung zufriedenstellendfunktioniert.Wir können leben – und die meisten tun es –, ohneuns philosophisch mit den üblichen Handlungsab-läufen, den ärgerlichen Pflichten des Alltags undunseren praktisch bewährten Kenntnissen auseinan-derzusetzen. Philosophisches Nachdenken ist darü-ber hinaus häufig unbequem und nicht von Erfol-gen gekrönt, die sich materiell niederschlagen. Diephilosophische Betrachtung von Handlungsweisenund Standpunkten ist nie um Fragen verlegen, wohlaber – und dies ist oft schwierig zu ertragen – umzufriedenstellende Antworten. Wir können weit mehrskeptisch in Frage stellen und einfach wissen wol-len, als wir uns selber oder andere uns beantwortenkönnen. Diese von uns selbst angeregte Ungewissheitzu ertragen fällt vielen schwer. Wer allerdings ein-

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    Fragen des Alltags, der Wissenschaften und der Philosophie

    mal die Freude des Entdeckens, des fruchtbaren, er-hellenden Nachfragens erlebt hat und dadurch neueEinsichten und Weltsichten gewonnen hat, wird vomBann des philosophischen Fragens nicht mehr losge-lassen werden. Kleine Schule philosophischen Fragens (1992)

    M2 Thomas Nagel: Philosophie undWissenschaftThomas Nagel (*1937), Professor für Phi-losophie in New York, ist einem breiterenLeserkreis durch seine leicht verständlicheEinführung in die Philosophie mit demTitel Was bedeutet das alles? bekannt ge-worden.

    Die Philosophie unterscheidet sicheinerseits von den Naturwissenschaften und ande-rerseits von der Mathematik. Im Unterschied zu denNaturwissenschaften stützt sie sich nicht auf Expe-rimente und Beobachtungen, sondern allein auf dasDenken. Im Unterschied zur Mathematik kennt siekeine formalen Beweisverfahren. Man philosophierteinzig, indem man fragt, argumentiert, bestimmteGedanken ausprobiert und mögliche Argumente ge-gen sie erwägt, und darüber nachdenkt, wie unsereBegriffe wirklich beschaffen sind.Das Hauptanliegen der Philosophie besteht darin,sehr allgemeine Vorstellungen in Frage zu stellen undzu verstehen, die sich ein jeder von uns tagtäglichmacht, ohne über sie nachzudenken. Ein Historikermag fragen, was in einem bestimmten Zeitraum derVergangenheit geschah, doch ein Philosoph wird fra-gen: „Was ist die Zeit?“ Ein Mathematiker wird dasVerhältnis der Zahlen untereinander erforschen, dochein Philosoph fragt: „Was ist eine Zahl?“ Ein Physikerwird fragen, woraus die Atome bestehen und was fürdie Schwerkraft verantwortlich ist, doch ein Philo-soph wird fragen, woher wir wissen können, dass esaußerhalb unseres eigenen Bewusstseins etwas gibt.Ein Psychologe mag untersuchen, wie ein Kind eineSprache erlernt, doch ein Philosoph fragt eher: „Wasist dafür verantwortlich, dass ein Wort eine Bedeu-tung hat?“ Jeder kann sich fragen, ob es unrecht ist,

    8 EIGENART PHILOSOPHISCHEN FRAGENS UND DENKENS

  • Ist es aber so, dann kann es vorkommen und kommtwirklich vor, dass die Philosophie sich mit denselbenGegenständen befasst, mit welchen auch andere Wis-senschaften zu tun haben. Worin unterscheidet sichdann Philosophie von dieser Wissenschaft? Die Ant-wort auf diese Frage lautet, dass sie sich ebensowohldurch ihre Methode wie auch durch den Gesichts-punkt unterscheidet. Durch ihre Methode — weil derPhilosoph sich den Gebrauch keiner unter den vielenMethoden der Erkenntnis verbietet. Es ist zum Bei-spiel nicht wie ein Physiker verpflichtet, alles auf diesinnlich beobachtbaren Phänomene zurückzuführen[…]; er kann auch die Einsicht in das Gegebene ge-brauchen und anderes mehr.Anderseits unterscheidet sich die Philosophie vonden anderen Wissenschaften durch ihren Gesichts-punkt. Wenn sie nämlich einen Gegenstand in Be-tracht zieht, sieht sie ihn immer und ausschließlichsozusagen vom Standpunkt der Grenze, der grund-legenden Aspekte. In dem Sinne ist die Philosophieeine Grundlagenwissenschaft. Dort, wo andere Wis-senschaften stehenbleiben, wo sie, ohne weiter zufragen, Voraussetzungen annehmen, fängt der Philo-soph erst an zu fragen. Die Wissenschaften erkennen— er fragt, was ist das Erkennen; die andern stellenGesetze auf — er stellt sich die Frage, was ein Gesetzsei. […] Somit ist auch die Philosophie eine radikaleWissenschaft in dem Sinne, dass sie auf die Wurzelngeht, und tiefer als irgendeine andere: dass sie dort,wo die andern zufrieden sind, weiterfragt und weiter-forschen will. Was ist Philosophie? (1979)

    sich ohne eine Eintrittskarte ins Kino zu schleichen,doch ein Philosoph wird fragen: „Was macht etwaszu einer rechten oder unrechten Handlung?“Wir könnten unser Leben nicht führen, würden wirunsere Vorstellungen von der Zeit, den Zahlen, vonWissen, Sprache, Recht und Unrecht nicht die meisteZeit unhinterfragt voraussetzen; in der Philosophiejedoch machen wir diese Dinge zum Gegenstand derUntersuchung. Wir sind bemüht, unser Verständnisder Welt und unserer selbst ein Stück weit zu ver-tiefen. Dies ist offensichtlich nicht leicht. Je grund-legender die Ideen sind, die wir zu erforschen ver-suchen, um so weniger Werkzeug haben wir hierfürzur Verfügung. Nur weniges darf angenommen odervorausgesetzt werden. Die Philosophie ist daher eineetwas schwindelerregende Tätigkeit, und nur wenigeihrer Ergebnisse bleiben langfristig unangefochten.

    Was bedeutet das alles? (1990)

    M3 Joseph M. Bochenski:Philosophie - eine Grundlagenwissenschaft

    Der Dominikaner Joseph Maria Bochenski(1902–1995) lehrte Philosophie und Logikan der Universität Freiburg in der Schweiz.

    Sehen wir uns die Geschichte derPhilosophie an [...], so finden wirimmer und immer wieder, dass der

    Philosoph die Wirklichkeit zu erklären versucht hat.Erklären heißt aber, den zu erklärenden Gegenstandvernünftig — mit Hilfe des Verstandes — zu deuten.[...] In ihrem Wesen ist die Philosophie immer eineLehre, eine Wissenschaft gewesen.Ist es aber so, dann drängt sich wieder die Frage auf:Eine Wissenschaft von was? Die Körperwelt wird durchdie Physik, die Welt des Lebens durch die Biologie, je-ne des Bewusstseins durch die Psychologie, die Gesell-schaft durch die Soziologie erforscht. Was bleibt fürPhilosophie als Wissenschaft? Was ist ihr Gebiet? [...]Es sieht also so aus, als ob man die Philosophie wedermit den Spezialwissenschaften gleichsetzen noch aufein besonderes Gebiet einschränken sollte. Sie ist ingewissem Sinne eine Universalwissenschaft, ihr Ge-biet ist nicht wie jenes anderer Disziplinen auf etwasBeschränktes, Bestimmtes eingeschränkt.

    1 Analysieren Sie arbeitsteilig die Bestimmungendes Philosophierens in Abgrenzung von Alltagund Wissenschaft. > M1-M3

    2 Stellen Sie auf einem Plakat zusammenfassenddar, wie sich philosophische Fragen von Fragendes Alltags und Fragen der Wissenschaft unter-scheiden. > M1-M3

    3 Überprüfen Sie Ihre Einteilung der Fragen dervorhergehenden Doppelseite anhand der aufdem Plakat dargestellten Unterscheidungskri-terien.

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    WAS HEISST ES ZU PHILOSOPHIEREN?

  • Kleine Schule philosophischen Fragens

    EIGENART PHILOSOPHISCHEN FRAGENS UND DENKENS

    METHODENKOMPETENZ: Philosophische Fragen stellenDer erste Schritt auf dem Weg des Philosophierens und Voraussetzung dafür, überhaupt Antworten zuerhalten zu können, ist es, philosophische Fragen zu stellen bzw. Probleme zu formulieren. Philosophenbenötigen eine „Fragen- bzw. Problemaufspürkompetenz“.Philosophische Fragen und Probleme existieren nicht neben oder über den Fragen und Problemen desalltäglichen Lebens, sondern verbergen sich in diesen und lassen sich aus diesen herleiten.Daher gilt es, an die Fragen und Probleme des alltäglichen Lebens anzuknüpfen und weiter zu fragen:• Auf welche allgemeinen Fragen und grundsätzlichen Probleme verweist eine konkrete Einzelfrage

    oder ein alltägliches Problem? (Frage nach dem Allgemeinen, Grundsätzlichen)• Was bedeutet das eigentlich? Wie ist das zu verstehen? (Frage nach der Bedeutung)• Warum ist das so? Wie lässt sich das begründen? (Frage nach Ursachen und Gründen)• Ist das richtig und angemessen? (Frage nach der Richtigkeit und Angemessenheit)• Ist Anderes oder Neues denkbar? (Frage nach Alternativen)

    Oft stellen sich Antworten auf solche Fragen als vorläufige Antworten heraus, die weitere philosophischeFragen aufwerfen.

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    M1 Bernt Plickat: Einen Sitzplatz anbieten

    Angenommen, Sie beobachten, wie in einem voll besetzten Bus ein älterer Herr zusteigtund sich nach einem Sitzplatz umschaut. Vor ihm sitzen zwei Kinder. Das eine bleibt sit-zen, das andere steht auf und bietet dem älteren Herrn seinen Sitzplatz an. Der PhilosophBernd Plickat zeigt im folgenden Text, zu welchen philosophischen Fragen eine solchealltägliche Situation Anlass geben kann.

    Soll man im Bus, in der Bahn aufstehen, wenn ältere Leute keinen Sitzplatz finden?

    Wer hilfsbedürftig und schwach ist – könnte sofort geantwortet werden –, bedarf natürlichder besonderen Rücksichtnahme. Dieser Verhaltensgrundsatz findet nun sicherlich auchbreite Anerkennung.

    Aber ist Alter allein ein Äquivalent für [gleichbedeutend mit] Hilfsbedürftigkeit undSchwäche, kann hier nachgefragt werden. Bedeutet Alter automatisch das Angewiesen-sein auf allgemeine Rücksichtnahme? – Wohl kaum, denn Bedürftigkeit ist nicht immermit Alter gleichzusetzen. Warum soll Alter also zu Privilegien berechtigen, könnte argu-mentiert werden. Denn über eine Fahrkarte verfügen doch wohl alle Fahrgäste, und füralle gilt, wer zuerst einsteigt, hat die Möglichkeit der Platzwahl. Warum nicht auch für diedie Älteren? Warum soll außerdem gerade das Alter Vorrang vor anderen die Menschenunterscheidenden Merkmalen haben? […]

    Wäre es nicht viel nützlicher für die Wirtschaftskraft einer Gesellschaft, wenn immer dieBerufstätigen dieses besondere Anrecht auf einen Sitzplatz hätten? Unter dem Aspektder Folgenabwägung könnte man sogar den Schülern und Studenten dieses besondereVorrecht einräumen, denn je ausgeruhter diese lernten, desto größer wäre schließlich derNutzen für zukünftige Zeiten.

    Frage nach derAngemessenheitdes Kriteriums Alter

    Frage nachAlternativen

    Frage nach demGrundsätzlichen

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  • WAS HEISST ES ZU PHILOSOPHIEREN? 11

    Sollen wir also unseren Kindern noch beibringen aufzustehen? Wenn ja, warum dann ei-gentlich nur unseren Kindern? […] Wie groß muss eigentlich der Altersunterschied sein,damit der Altere vom Jüngeren einen Platz einfordern darf? Soll der 50-Jährige für den60-Jährigen aufstehen?

    In aller Regel – und nur dies soll hier verdeutlicht werden – handeln wir in einer solchenSituation, ohne groß darüber nachzudenken, warumwir eigentlich so handeln. Wir tun das,was man eben tut. Wir unterstellen, dass das, was man tun soll, schon richtig sei.

    Aber handeln wir wirklich richtig und gut, wenn wir oft gar nicht wirklich wissen, warumwir eigentlich so handeln und nicht anders? Genügt es, einer gesellschaftlich geprägtenRollenerwartung zu entsprechen, um für sich in Anspruch nehmen zu können, das Richti-ge getan zu haben? Sich mit dem Verweis auf Sitte und Gebrauch herauszureden ist zu ein-fach. Denn nicht alle Sitten und Gebräuche verdienen, wie selbstverständlich übernommenzu werden. […]Wenn wir – entgegen den vorgebrachten Argumenten – nun für uns befinden, das Aufste-hen für Ältere sei Ausdruck der besonderen Achtung gegenüber diesen Mitmenschen unddeshalb gerechtfertigt, dürfen wir dann jemanden verurteilen, der nicht aufsteht? Verdientunsere Überzeugung Vorrang vor der entgegengesetzten eines anderen? Wir können unsin unserem […] Verhalten auf das alte biblische Gebot, die Eltern [= die Älteren] zu ehren,berufen. Aber haben nur wir Argumente auf unserer Seite? Auch für die entgegengesetzteHandlungsweise gibt es gute Gründe. Argumente allein – müssen wir uns eingestehen –machen eine bestimmte Verhaltensweise noch nicht zu einer guten Verhaltensweise. Es gibtfast immer auch gute Argumente für eine andere. Kleine Schule philosophischen Fragens (1992)

    Frage nach derAngemessenheitdes Kriteriums Kinder

    Frage nachden Gründen

    ANWENDUNG

    M2 Bernt Plickat:Geschwindigkeitsübertretung

    Sie fahren mit Ihrem Auto im Stadtverkehr. Dievorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit beträgt 50km/h. Alle anderen fahren schneller […].[U]m nicht den fließenden Verkehr und damit dieanderen Verkehrsteilnehmer zu behindern – wasnach der Straßenverkehrsordnung zu vermeiden ist– und zu riskanten Überholmanövern zu veranlas-sen, [könnten Sie] sich der überhöhten Geschwin-digkeit der übrigen anpassen.

    Kleine Schule philosophischen Fragens (1992)

    1 Vollziehen Sie nach, wie Plickat von einemAlltagsbeispiel ausgehend zu philosophischenFragen kommt. > M1

    2 Diskutieren Sie Antwortmöglichkeiten auf dieim Text gestellten Fragen Plickats. > M1

    3 Stellen Sie nach dem Vorbild von M1 philoso-phische Fragen zum Fallbeispiel und diskutie-ren Sie diese. > M2

    4 Suchen Sie geeignete aktuelle Presseberichteoder Fallbeispiele aus dem Alltag und leiten Siedaraus philosophische Fragen ab.

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    Frage nach derRichtigkeit,Angemessenheit: …

    Frage nach demAllgemeinen,Grundsätzlichen: …

    Frage nachAlternativen: …

    Frage nach denGründen: …

  • M1 Jay F. Rosenberg: Philosophieren –eine Tätigkeit der Vernunft

    Der US-amerikanische Philosoph Rosenberg (1942-2008), Pro-fessor an der Universität von Nord-Carolina, ist einer breiterenLeserschaft durch seine Schrift Philosophieren – ein Handbuchfür Anfänger bekannt geworden.

    Irgendwann einmal verspürt jeder einen gewissenImpuls. Gewöhnlich taucht er als ein Gefühl, als einStaunen oder als Beunruhigung auf, und oft genugverwandelt er sich in eine vage, aber anregende Fra-ge: Dauern Raum und Zeit immer fort? Was ist, wennes keinen Gott gibt? Was, wenn es einen gibt? Bin ichwahrhaft frei? Ist jemals etwas wirklich richtig oderfalsch? Gibt es absolute Wahrheiten? Gibt es wirklichso etwas wie gute Kunst? Und natürlich: Was ist derSinn des Lebens? Gerade darin liegt ein Impuls fürphilosophische Tätigkeit. Mit dem Staunen beginntdie Philosophie, sagt Aristoteles.Wenige Leute gehen jedoch über diesen Punkt hinaus.Aus einem recht einfachen Grund: Sie wissen nicht,wie sie darüber hinausgehen könnten. […] Schließlichgeht der Augenblick vorbei, oder man lässt ihn vor-beigehen. Irgendwie ist die Frage abgetan, ist zurück-gestellt, verworfen oder verdrängt. Und doch könnteein Gefühl zurückbleiben – das frustrierende Gefühl,dass dies sicherlich wichtige Fragen sind, Fragen mitwichtigen Antworten. Wenn man nur wüsste, wieman sie finden kann.Ein aktiver Philosoph ist unter anderem jemand, dersich bemüht, sie zu finden. Ein Teil der Arbeit einessolchen Philosophen besteht darin, über derartigeGefühle hinauszugelangen und solche Fragen in dieReichweite der Tätigkeit der Vernunft zu bringen, sievom Herzen in den Verstand zu verlagern. Ein Teilder Aufgabe des Philosophen besteht darin, aus sol-chen Fragen etwas zu machen, worüber man nach-denken kann – und dann darüber nachzudenken. Da-für brauchen die Philosophen sowohl eine allgemeineStrategie – eine Methode – als auch besondere Takti-ken, nämlich spezifische Techniken, um jene Metho-

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    Nach Antworten suchen

    de anzuwenden. Das tun sie. Philosophie ist demnacheine Tätigkeit der Vernunft mit eigener Strategie undeigener Taktik, mit eigener Methode und Technik. […]Der grundlegende Punkt ist […], dass philosophischeAuffassungen oder Positionen durch Argumente ge-stütztwerdenmüssen.Mit „Argument“meine ichnichtetwas unbedingt Kritisches oder Kontroverses (ob-wohl Philosophen ebenso negativ und streitsüchtigsein können wie jeder andere). Argumentation ist imweitesten Sinne einfach das Angeben von Gründenfür Überzeugungen. Wenn es eine Grundregel philo-sophischen Arbeitens gibt, dann die, dass jede An-sicht, wie abwegig sie auch sein mag, zur Diskussiongestellt werden kann, vorausgesetzt nur, ihr Befür-worter bemüht sich, sie angemessen durch Argumentezu sichern. Philosophieren – ein Handbuch für Anfänger (1984)

    M2 Aljoscha Schwarz / Roland Schweppe:Philosophisch diskutieren

    Die beiden Münchener Autoren Aljoscha Schwarz (*1961) undRoland Schweppe (*1962) wollen mit ihren Büchern die Phi-losophie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

    Ob nun in Talkshows oder auf Partys – überall (undüber alles) wird diskutiert. Ergebnisse dieser Diskus-sionen sind allerdings nur schwer zu erkennen. Wo-ran liegt das? Sind viele Menschen nicht in der Lage,„richtig“ zu diskutieren? Was wäre „richtiges“ Disku-tieren?Der Philosoph diskutiert, weil er die Diskussion alsbesten oder zumindest einen guten Weg zur Erkennt-nisgewinnung ansieht. Einmal erfährt er in derDiskus-sion die Gedankengänge anderer und die Kraft ihrerArgumente – es ist ja gut möglich, dass der andereetwas weiß, das er nicht weiß; zum anderen versuchter in der Diskussion, die Plausibilität seiner Theorienfestzustellen. Wenn sich seine Vorstellungen in derDiskussion nicht halten lassen, gibt er sie gerne auf.Das Gespräch mit Andersdenkenden ist eine ziemlichgute Methode, die Kraft eigener und fremder Argu-mente zu prüfen. Dabei kann es dem Philosophen

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  • M3 Jostein Gaarder: Die Jagd nach derWahrheit als Kriminalgeschichte

    Der norwegische Schriftsteller Jostein Gaarder (geb. 1952) istvor allem durch seinen philosophischen Roman Sofies Welt be-kannt geworden.

    Im Grunde können wir gar nicht so viele verschiede-ne philosophische Fragen stellen. Wir haben bereitseinige der wichtigsten gestellt. Aber die Geschichtezeigt uns viele unterschiedliche Antworten auf jedeeinzelne Frage, die wir gestellt haben.Es ist also leichter, philosophische Fragen zu stellen,als sie zu beantworten.Auch heute muss jeder Einzelne seine Antwortenauf diese Fragen finden. Wir können nicht im Lexi-kon nachschlagen, ob es einen Gott oder ein Lebennach dem Tod gibt. Das Lexikon sagt uns auch nicht,wie wir leben sollen. Lesen, was andere Menschengedacht haben, kann aber trotzdem eine Hilfe sein,wenn wir uns unser eigenes Bild im Leben und derWelt machen müssen.Die Jagd der Philosophen nach der Wahrheit lässtsich vielleicht mit einer Kriminalgeschichte verglei-chen.Manche halten Andersen für den Mörder, andereNielsen oder Jepsen. Einen wirklichen Kriminalfallkann die Polizei vielleicht plötzlich eines Tages klä-ren. Es ist natürlich auch denkbar, dass sie das Rätselnie lösen kann. Trotzdem hat das Rätsel eine Lösung.Auch wenn es schwer ist, eine Frage zu beantworten,ist es also vorstellbar, dass die Frage eine – und nureine – richtige Antwort hat. Sofies Welt (1991)

    nicht darum gehen, die eigene „Meinung“ durchzu-setzen – nicht, wenn ihm an neuen Erkenntnissengelegen ist.Nicht das Bestätigen von Theorien bringt Neues,sondern das Widerlegen. Bei vielen Menschen löstes etwas Befremden aus, wenn man sie auffordert,ihre eigenen Argumente zu widerlegen: schließlichhat man ja eine Anschauung deshalb, weil die Argu-mente, die einem zur Verfügung stehen, eben auf dieeigene Anschauung zu deuten scheinen. Das klingtziemlich vernünftig, doch hat es in der Praxis einenHaken. Eine Meinung über ein bestimmtes Thema istmeist schon vorhanden, wenn man das erste Mal voneinem Thema hört: nennen wir diese Meinung Theo-rie A. [Alle Argumente, die diese Theorie bestätigen,werden akzeptiert, auch wenn sie falsch sind, alle wi-dersprechenden Argumente werden für falsch erklärt,auch wenn an ihnen etwas Richtiges ist. So kommtman kommt nicht zu neuen Erkenntnissen.]Sucht man nun nicht nach bestätigenden Aussagen,sondern nach widersprechenden, werden sich schnellneue Erkenntnisse einstellen. Das heißt natürlichkeinesfalls, dass dann einfach die entgegengesetzteTheorie übernommen wird. Der „Gegner“ liefert Ar-gumente, die mehr oder weniger stichhaltig sein kön-nen, aber auf jeden Fall auf Probleme und Schwach-stellen von Theorie A hinweisen, Schwachstellen, dieman selbst zuvor von seinem eigenen Standpunktaus nicht erkennen konnte.Bevor man mit anderen Menschen diskutiert, ist esmeist sehr sinnvoll, zunächst einmal mit sich selbstzu diskutieren. Vielleicht haben Sie schon einmal voreiner Diskussion Argumente für Ihre Position gesam-melt und dabei einen inneren Dialog geführt, bei demSie versuchten, auf mögliche Angriffe zu reagieren.Wechseln Sie doch einmal die Perspektive: VersuchenSie aktiv, Argumente für die Gegenposition zu fin-den – und versuchen Sie nicht gleich, sie zu widerle-gen. Spielen Sie den Advocatus Diaboli [Anwalt desTeufels], versuchen Sie, alle Ihnen zugänglichen Argu-mente für die Gegenposition zu finden. Dann ist wirk-lich klar, wo die Stärken und Schwächen beider Posi-tionen liegen — und Sie können sich eine fundiertereMeinung bilden. nach: Anleitung zum Philosophieren (2003)

    1 Untersuchen Sie arbeitsteilig die jeweils emp-fohlenen Maßnahmen, um Antworten auf phi-losophische Fragen zu finden, und bewertenSie diese. > M1/M2

    2 Erstellen Sie ein Plakat mit Regeln für das Phi-losophieren. > M1/M2

    3 Erläutern Sie Gaarders Auffassung, dass sichnicht alle philosophischen Fragen beantwortenlassen. Gehen Sie dabei auf den Vergleich derPhilosophie mit einem Kriminalfall ein. > M3

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    WAS HEISST ES ZU PHILOSOPHIEREN?

  • Wissen kompakt

    Die Disziplinen der Philosophieund ihre GrundfragenDie Grundfragen der Philosophie lassensich bestimmten Disziplinen zuordnen.Die folgende Darstellung orientiert sichan den Disziplinen der Philosophie, diein philo – Einführungsphase behandeltwerden und lässt sich erweitern.

    14 EIGENART PHILOSOPHISCHEN FRAGENS UND DENKENS

    Probleme

    Eine Frage ist an sich noch kein Problem, kannaber ein Problem werden. Eine Frage stellt keinProblem dar, wenn ich die Antwort kenne oderweiß, wie ich zu einer Antwort kommen kann.Fragen werden dann zu Problemen, wenn aufeine Frage, die mich angeht und bedrängt, keineAntwort gegeben werden kann oder nicht abseh-bar ist, wie ich an eine Antwort kommen kann.Dann wird das der Frage zugrunde liegende In-teresse nicht befriedigt; das, was mich bedrängt,kommt nicht zur Auflösung.

    Fragen

    Fragen sind immer auf Antworten bezogen. EineFrage ist einerseits durch Offenheit charakterisiert(eine Antwort steht noch aus), andererseits richtetsie das Denken auf eine mögliche Antwort aus(sie gibt dem Denken eine Richtung vor). Somit istsie Bedingung dafür, überhaupt eine Antwort zuerlangen. Ohne Frage keine Antwort.Eine Frage richtet sich darüber hinaus in der Re-gel auf einen Sachverhalt, der mich angeht. Ichbin an einer Antwort interessiert; ich spüre einenDrang, eine Antwort zu suchen, weil für mich et-was davon abhängt.

    PRAKTISCHE PHILOSOPHIE

    Ethik PolitischePhilosophie

    Was sollich tun?

    Wozu brauchenwir einen Staat?

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  • 15WAS HEISST ES ZU PHILOSOPHIEREN?

    PHILOSOPHIE

    METAPHYSIK

    RationaleKosmologie

    Hat die Welteinen Anfang?

    RationaleTheologie

    ExistiertGott?

    RationalePsychologie

    Ist die Seeleunsterblich?

    THEORETISCHE PHILOSOPHIE

    Erkenntnis-theorie

    Wie kommen wirzu Erkenntnissen?

    Anthro-pologie

    Was ist derMensch?

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    > >Fragen des Alltags und der WissenschaftDiese Fragen entstehen immer in konkreten Hand-lungszusammenhängen (etwa die Frage nach derUhrzeit im Zusammenhang mit dem Bemühen,pünktlich an einem bestimmten Ort zu sein, oderdie Frage nach der Ursache von etwas in einemkonkreten Forschungszusammenhang). Das Inter-esse am Sachverhalt schwindet, wenn der alltäg-liche Handlungszusammenhang nicht mehr gege-ben oder der experimentelle Nachweis für einenKausalzusammenhang erbracht ist.

    Philosophische Fragen

    Sie richten sich nicht auf Konkretes, sondern vondiesem ausgehend auf Allgemeines. So kann diealltägliche Frage nach der konkreten Uhrzeit zurFrage führen, was überhaupt Zeit ist, die wissen-schaftliche Frage nach der Ursache von etwasKonkretem zur Frage, ob alles eine Ursache hat.Insofern ist philosophisches Fragen ein Weiter-fragen von alltäglichen und wissenschaftlichenFragen. Philosophen fragen da weiter, wo fürMenschen im Alltag und für Wissenschaftler inder Forschung eine Sache erledigt ist. Das Nach-denken über diese philosophischen Fragen löst inder Regel neue Fragen aus.


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