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Perspektiven der Textilforschung

Date post: 05-Mar-2016
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Handlungsfelder für die Textilforschung der Zukunft Über das ganze Heft verteilt sind Denkanstöße zu neun für die Textilforschung in naher Zukunft besonders wichtigen Themenlandschaften: von A wie Architektur bis Z wie Zukunftsstadt.
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PERSPEKTIVEN 2025 Handlungsfelder für die Textilforschung der Zukunft
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Page 1: Perspektiven der Textilforschung

PERSPEKTIVEN 2025Handlungsfelder für dieTextilforschung der Zukunft

Page 2: Perspektiven der Textilforschung

In enger Zusammenarbeit mit einem „Zukunftslotsen“ haben rund 80 Un-

ternehmensmitarbeiter, Wissenschaftler und Studenten mit Blick auf das Jahr

2025 die neuen Leitthemen für die Textilforschung entwickelt. Die Themen-

felder mit Seitenangabe auf einen Blick:

Informationen zu den Basisthemen auf den Seiten 24/25.

PERSPEKTIVEN 2025

ARCHITEKTURS. 34/35

BEKLEIDUNGS. 6–9

ENERGIES. 18/19

ERNÄHRUNGS. 30–32

GESUNDHEITS. 20–23

MOBILITÄTS. 38/39

PRODUKTIONLOGISTIKS. 16/17

WOHNENS. 12–15

ZUKUNFTS-STADT

S. 36/37

�� Das Wichtigste zum Schluss: gebündelte For-schungsziele als Destillat aus 250 textilen

Visio nen. Sie sind Ergebnis der über einjährigenZu kunfts-„Reise“ des Textilforschungskuratori-ums in das Jahr 2025. Fazit: Für das nächste Jahr-zehnt erkannte Themenschwerpunkte müssen inden kommenden Jahren mit vorbereitenden For -schungs projekten auf den Weg gebracht werden.

ARCHITEKTURTextile Sensoren zur Online-Messung und Integration inTragwerken und Verkleidungen; Leichtbaustrukturennach bionischen Vorbildern; funktionale Faserbaustoffe,die auf Wärme, Kälte, Licht und Wasser reagieren; Re-cyclingkonzepte für Baumaterialien

BEKLEIDUNG Adaptive Materialien, die auf Feuchtigkeit, Hitze, Kälte,UV-Strahlung, Stoß bzw. Zug ansprechen und den Trä-ger schützen; Integration sensorischer Eigenschaften indie Faser zur Erkennung von Schadgasen, Chemikalienund biologischen Gefahrstoffen bzw. schädlicher Strah-lung sowie zur Erfassung der Vitalparameter des Trä-gers; energieerzeugende und -speichernde Fasern;Verbesserung des Tragekomforts durch steuerbare Iso-lation, Luftdurchlässigkeit; steuerbare Farbwechselfunk-tion für Fasermaterialien; Produktionstechnologien fürlokale, personalisierte, konsumentennahe Fertigung vonBekleidung

ENERGIEEntwicklung der textilen Solarzelle zur Serienreife (Fadenwird zur Zelle, Flächen sind druckbar); Speicherung elek-trischer Energie in der Faser; piezoelektrische Fasern mithöherem Wirkungsgrad; Fasern mit Energieerzeugungnach dem Vorbild der Natur (Photosynthese); Raumtem-peratur-Supraleiter in Faserform

ERNÄHRUNGFasermaterialien, die Wasser und Dünger speichern, überweite Strecken transportieren und gezielt freigeben;biotechnologische Faserproduktion; Träger-, Zuchtma te -

FORSCHUNGSZIELE NACH THEMENFELDERN

rialien für pflanzliche/tierische Zellen; selektive Filter -materialien mit sensorischen Eigenschaften zur Trinkwas-seraufbereitung; Geotextilien für Landwirtschaft in heuteunfruchtbaren Gebieten; textile Lösungen gegen Boden-erosion; Textilien zur Wassergewinnung in trockenen Ge-bieten; Ersatz von Kunststoffverpackungen durch textileMaterialien oder faserbasierte biologische Verbundma-terialien; textile Lösungen für Gemüse und Obstanbauan Gebäudefassaden und in „grünen“ Raumteilern

GESUNDHEITEntwicklung neuer biokompatibler Polymere und textilerFlächen (z. B. künstliche Muskeln); textilbasierte Sensorenzur Integration in Bekleidung, Heim- und Haus textilien;Herstellungsverfahren für räumliche Trägerstrukturen;Depot-Fasern mit pharmazeutischen Wirksubstanzenund kontrollierter Freigabekinetik; aktorische Materialienfür künstliche Muskeln; Funktionalisierung textiler Ober-flächen zur selektiven Abtrennung bioaktiver Schadsub-stanzen

MOBILITÄTRecyclingkonzepte für Verbundmaterialien zur sorten-reinen Auftrennung und Wiederverwendung; Kunst-stofferzeugung mit anschließender Weiterverarbeitungzu Fasern aus nachwachsenden Rohstoffen bzw. überbiotechnologische Produktionsverfahren; Funktions -integration in textile Flächen: Der Faden ist Sensor, me -cha nischer Aktuator und bekommt elektronischeFunk tionen, ist gezielt adressierbar, leuchtet, wärmt,kühlt, erzeugt Energie und speichert sie

PRODUKTION/LOGISTIKErweiterung der Nutzung nachwachsender Rohstoffe inVerpackungsmaterialien; neue biologisch abbaubare Po-lymere aus nachwachsenden Rohstoffen; textiles Proto-typing: 3D-Produktionstechnologien zur Verarbeitungvon faserbasierten Werkstoffen; neue Materialien fürleistungsfähigere und effizientere Textilmaschinen; An-lagentechnologien mit variablen Nutzungsmöglichkei-ten; zentrale, vollstufige Produktionskonzepte für kleineLosgrößen; neue Organisationsformen und Geschäfts-

modelle, um in dynamischen Netzwerken und Kleinst-fabriken zu entwickeln und produzieren; Weiterentwick-lung der IT-Unterstützung für Transparenz, Simulation,Koordination, Kommunikation, Wissensmanagement

WOHNENOberflächen-Funktionalisierung mit den Eigenschaftendauerhaft, haltbar und verschleißbeständig; lichtemittie-rende Textilien; reversible, steuerbare Farbwechsel effek -te; Beschattungstextilien mit einstellbarer Transparenz;Vertiefung des Forschungsfeldes Textil sensorik (Anzeigeder Dehnungsbelastung von Fasern, Erfassung der Be-lastungshistorie); schall- und temperaturdämmendeTextilien

ZUKUNFTSSTADT„Textile Erde“ für lokale Nahrungsmittelproduktion alsSpeicher für Nährstoffe und mit Fähigkeiten zur Just-in-Time-Bewässerung; Nahrungsmittelanbau auf Dächern,an Fassaden und in Gebäuden; lokales Recycling vonRohstoffen für Textilien (insbesondere leicht kompos-tierbare Materialien); Lichtleitsysteme für Gebäude; Bio-nik-Verständnis für Flüssigkeitstransport (waagerechtund senkrecht); textiler Leichtbau evtl. mit Bionik-Lösun-gen (Bambus, Schilf)

BASISTHEMENVerarbeitungstechnologien für nachwachsende Roh-stoffe; Konzeption geschlossener Produktionskreisläufe;recyclinggerechtes Produktdesign; Abbau- und Tren-nungsverfahren für Multi-Material-Mischungen in Pro-dukten; Erfahrungs- und Wissensmanagement in derAusbildung von Fachkräften

6–9

12–15

16/17

18/19

20–23

24/25

30–32

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Bilder Umschlagseiten vorn: Ohne Tunnelblick in die Zukunft – Eingang zum Energieforum Berlin | Aachen: Prüfung neuerFasern zum Einsatz in Lichtbeton | Eiskunstlauf-Weltmeister Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy mit LED-Kostümen

Mitglieder des Kernteams „Perspektiven 2025“ sowie Teilnehmer der Zukunftsworkshops und -seminare des FKT in Sachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen | Hunderte Ideenzettel als Ergebnis

Bilder Umschlagseiten hinten: Hans-Gerd Schmees stellt an einer 3D-Wirkmaschine in Denkendorf Gefäßprothesen her |Auffallend anders: Textilien mit drei Leuchtfarben | Textilforscherin Evi Held-Föhn begutachtet eine Zellkultur | Innovativ in die Zukunft mit Textilien aus Biomilchfasern

Page 3: Perspektiven der Textilforschung

EDITORIAL

Die zum freien Denken anregende Teammethodik finden Sie auf den Seiten 4 bis 5; dasInterview mit dem Zukunftsexperten Thomas Strobel auf den Seiten 10 und 11. Über dasganze Heft verteilt sind Denkanstöße zu neun für die Textilforschung in naher Zukunftbesonders wichtigen Themenlandschaften: von A wie Architektur bis Z wie Zukunftsstadt.Integriert in diese Beiträge, die künftig auf der FKT-Website inhaltlich sehr konkret unddetailliert fortgeführt werden sollen, sind textile Ideen und Sichtweisen von Expertenaus der Praxis. Auf den Seiten 26 und 27 werden 120 textile Lösungsmöglichkeiten vor-gestellt; auf den inneren Umschlagseiten am Ende der Broschüre der in mehreren Zu-kunftsworkshops herausdestillierte Forschungsbedarf entsprechend den Leitthemen. Mit Veröffentlichung dieser Broschüre ist die intensive, vielschichtige Teamarbeit an den„Perspektiven 2025“ längst nicht abgeschlossen. Wann und wo weiterführende Diskus-sionen dazu stattfinden, erfahren Sie per QR-Code auf der vorletzten Umschlagseite oderauf der Homepage des Textilforschungskuratoriums.

Wer verantwortungsvoll gestalten will, muss vorausschauend denken und handeln. Jedochstellt uns der Ausblick auf die nächsten 10, 15 Jahre naturgemäß vor große Fragezeichen.Was bleibt beim Alten, was entwickelt sich kontinuierlich und was sprunghaft weiter, wel-che neuen Rahmenbedingungen werden gelten? Eine Rückschau auf die letzten Jahre des20. und die ersten des 21. Jahrhunderts zeigt, dass externe Faktoren – hier vor allem inder globalen Dimension – vieles durcheinanderbringen können: Internetblase, 9/11, Klima -wandel, iPhone, Google samt GoogleEarth, Finanzmarktkrise, Rohstoffverknappung, Tsu-nami, Erdbeben in Japan, Atomausstieg, Euro-Unsicherheit usw. Wie also zielgerichtet und ergebnisorientiert in die Zukunft schauen? Diese Frage hat dieTextilforschung an einen industrieverbundenen Zukunftsforscher delegiert, der sich inseiner Projektrolle als „Zukunftslotse“ versteht.

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�� Bei Innovationen „made/created in Germany“ istdie Textilforschung mit neuen faserbasierten Ma-

terialien ein gefragter Problemlöser. Nicht nur die klas-sischen „Treiber“ wie Automotive und Luftfahrt greifenverstärkt auf neuartige Hightech-Werkstoffe aus Textilzurück: Auch Bioma terialien für die Medizin, leitfähigePolymere zur Herstel lung sensorischer oder lichtleitenderTextilien und nano modifizierte Hybridgarne für die Bau-teilfertigung sind gefragter denn je. Der Input dafür kommt zumeist aus den 16 interdiszipli -när aufgestellten deutschen Textilforschungsinstituten –mit 1.200 Textilern ein zumindest in Europa einmaligerKreativ-Cluster. Um nur zwei von vielen vergleichsweiseneuen Forschungsfeldern zu nennen: Gesundheitswirt-schaft und Medizintechnik. Noch vor wenigen Jahrenwaren textilmedizinale Forschungen im Wesentlichennur auf die Forscherteams in Denkendorf und Hohen-stein beschränkt; längst sind entsprechende Strukturenin Aachen und Dresden hinzugekommen.

Weil Technische Textilien mitbestimmend sind für Tem -po und Innovationsgrad auch in solchen Wachstums -feldern wie Windenergie, Leichtbau oder Umweltschutz,sind sie ein wichtiger Baustein der Hightech-Strategiedes Bundes – und werden von Bund, Ländern sowie aufeuropäischer Ebene entsprechend gefördert. Wo alsoführt die Reise hin? Welche Weichen müssen heute fürmorgen gestellt werden?Vor diesem Hintergrund reifte vor nicht ganz zehn Jahrenim Textilforschungskuratorium der Plan, die „strategi-sche und inhaltliche Ausrichtung der Textilforschung (zu)schärfen und für das nächste Jahrzehnt fortzuentwi-ckeln“. 2006 veröffentlichte das FKT seine damals vielbeachtete Broschüre „Perspektiven 2015“. Die darinfestgeschriebenen fünf Leitthemen Gesundheit, Mobili-tät, Sicherheit, Kommunikation und Emotionalität habendie Zukunftserwartungen in unserer Branche begreifba-rer gemacht und sich wie ein Handlauf bewährt.2012 war es deshalb höchste Zeit, den Blick auf denForschungsbedarf bis 2025 zu richten. Fast von Anfangan galt: Das Vorhaben sollte im Interesse größtmögli-

cher Akzeptanz professionell durch einen Zukunftsfor-scher mit Industrieerfahrung begleitet werden – in Zu-sammenarbeit mit einem ausgewählten Kernteam vonrund zehn Personen und der Mitarbeit von Wissen-schaftlern, Unternehmern, Verbandsvertretern und vorallem von Studenten – also den Menschen, die dieseZukunft dann erleben und mitgestalten werden. Die füruns alle überraschende Methodik des Zukunftsexpertender FENWIS GmbH, Thomas Strobel, hat dazu beigetra-gen, unser aller Denken zu beflügeln.

Im Namen der rund 80 an dieser Arbeit beteiligtenVorden ker möchte ich Ihnen die in der vorliegendenBro schüre als kompakte Übersicht verdichteten Er -kennt nisse empfehlen.

Dr. Klaus Jansen, Geschäftsführer Forschungskuratorium Textil e.V. (FKT)

TEXTILER STELLEN DIE WEICHEN

Page 4: Perspektiven der Textilforschung

„Geeignet für Regionen mit ausgereizten Flächen für dieNahrungsmittelproduktion“. Franz skizziert den Folge-nutzen: „Erdbeerdächer, Kartoffeln von Lärmschutzwän-den, Bürotürme mit eigener Salatproduktion“.

MITDENKENDE JACKEAuch die Messehalle für Bekleidung bietet für die Vo-rausschau der beiden zahlreiche Anknüpfungspunkte.„Das da drüben sollen also die Jacken der Zukunft sein;mein Vater trug solche Nullachtfünfzehn-Jacketts dochschon zur Jahrtausendwende“, stichelt Ben. Das Werbe-motto macht neugierig: „Noch müssen Sie auf den Stra-ßenverkehr selbst achten, inzwischen lassen Sie IhrJackett doch den nächsten Urlaub planen.“ Dass dieserSpruch im Jahr 2025 noch ziemliche Vision ist, erfahrendie beiden beim Nachhaken: „Von der Tendenz her istdas Ganze nicht falsch“, schmunzelt die PR-Chefin desUnternehmens. „Vorerst kommuniziert unsere Kleidungnur mit dem eigenen Auto, um die automatisierte Kli-matisierung im Innenraum zu steuern.“ Entwickelt werde derzeit eine Variante, die schon inSüdeuropa von besonderem Interesse sein dürfte, in-formiert die Gesprächspartnerin weiter: In vielen Teilender Erde seien durch den Klimawandel die Temperatur-unterschiede gewaltig angewachsen. Mit normaler Be-kleidung könne man diese nicht mehr ausgleichen,ohne dass die Menschen ständig schwitzen oder frie-ren. Die Neuentwicklung passe sich jedoch den ver-schiedenen Witterungslagen automatisch an. Steige dieTemperatur schnell an, reagiere die Jacke und senkeden Wärmegrad. So könne man sich in dieser textilen

Hülle – egal ob plus oder minus 30 Grad – immer wohl-fühlen. Der Zusatzclou: Jackenfutter und Stoffoberflächeseien aus einem selbstreinigenden Material – ähnlichwie die Sensorteppiche und Stimmungstapeten amNach barstand. Und tatsächlich: Der immer nagelneu wirkende textileWand belag nebenan unterstreicht durch diffuses Eigen-licht die momentane Stimmungslage mit entsprechendenFarben. Das Wandtextil ist zugleich auch eine hän gendeKlimaanlage, die von winzigen Wasseradern durchströmtwird. Auf Sichtweite die nächste Textilinnovation, die mitBlick auf die besonders trockenen Wüstengebiete dieserWelt aufhorchen lässt: 3D-Textilien mit Ablaufrille. Sokann aus dem nächtlichen Nebel küstennaher Trocken-zonen Trinkwasser gewonnen werden.

MITNAHME FAST IN ECHTZEITAm Messeausgang hält Ben seinen Freund an einer Di-gitalbox „Schneider 3.0“ zurück: „Ich muss noch schnelleine Business-Ausstattung für mich in Auftrag geben; indrei Tagen habe ich Buchpremiere.“ Ben betritt die Ver -mes sungskabine und diktiert dem Automaten: „Heller,selbstreinigender Sommeranzug mit Kommunikations-tool, Fliege und zwei Hemden mit Solarakku in korres -pon dierender Farbe.“ Nachdem er Muster und Designausgesucht, die Verwendung regionaler Naturfasern alsOption angegeben und den aktuellen Modevorschlagbestätigt hat, müssen jetzt nur noch Versandadresse undLieferzeit eingegeben werden. „Morgen 19.30 Uhr“. Nur24 Stunden von der Idee bis zur Auslieferung, fast rekord-verdächtig.

3Bilder von links: HighTex-Materialien für das Interieur von morgen – diffus leuchtend und mit sensorischen Fähigkeiten |Chemiefaser-Schnittproben zur Untersuchung im Raman-Mikroskop

�� Sonnabend, 22. November 2025. Ben undFranz besuchen die „T-TexFuture“, eine neue

Leitmesse für Textilneuheiten. Die 30-jährigenMänner arbeiten seit ihrer Studienzeit zusam-men. Der eine ist Philosoph, der andere hat sichauf Technikfolgenabschätzung spezialisiert. Diebeiden eint das Interesse an Technikgeschichteund Innovationsauswirkungen im Besonderen.

Ihren gemeinsamen Forschungsgegenstand beschreibensie auf den elektronischen Visitenkarten, die als transpa-rente und selbsthaftende Thumbnail-Chips gerade inMode gekommen sind und sich beim Händeschütteln ge-genseitig auslesen.Die beiden Freunde stellen immer wieder fest, dass sichdas Leben der Menschen gerade in den vergangenendrei Jahrzehnten durch technologische Sprünge binnenkurzer Zeit verändert hat. Als Franz und Ben zur Weltkamen, steckte das Internet noch in den Kinderschu-hen. Smart phones, Preisscanner und Navigationsge-räte für jedermann waren noch nicht erfunden.Google, Facebook oder Twitter existierten noch nicht.Fernseher erinnerten an schwere Kisten; auf den Com-puterbildschirmen war noch jedes einzelne Pixel zu er-kennen.

MITWACHSENDE HERZKLAPPEAuf der Spezialmesse wollen die beiden die Technolo-gien für morgen aufspüren. Textilmaterial, so wissensie, „mischt“ inzwischen als Hightech-Werkstoff in jederBranche mit und ermöglicht dringend notwendige Inno-vationen. Bens kleiner Sohn zum Beispiel trägt eine mit-wachsende Herzklappe, die vor zwei, drei Jahren nurdeshalb auf den Markt kam, weil Mediziner und Textil-forscher fast ein Jahrzehnt lang dafür Hand in Hand ge-arbeitet hatten. Technische Textilien, so hatten es diebeiden Freunde schon vor einigen Jahren in ihrer ge-meinsamen Doktorarbeit herausgearbeitet, „haben inihrer Bedeutung für die Menschheit vergleichsweisemindestens die Hälfte des Potenzials der Dampfma-schine von James Watt“.

MITTEILUNGSBEDÜRFTIGES AUTOAm Messestand von DeChinCars, dem gerade gegrün-deten Mobilitätskonzern mit Sitz in Stuttgart, finden siean einem dreirädrigen E-ShareCar für den Stadtverkehreine neue Spur in die Zukunft. Die Außenhülle des fla-chen Vehikels besteht hauptsächlich aus superleichtentextilen Verbundteilen mit zwei hier erstmals präsentier-ten Lichteffekten. Die Seitenteile leuchten in den Farbender jeweilig vorgeschriebenen Geschwindigkeitszone.Wer etwa über das innerstädtische Limit von 30 km/hhinaus unterwegs ist, fällt als tiefrotes Auto sofort insAuge. Und: Momentan-Schriftzüge an der Fahrer- bzw.Beifahrertür signalisieren Mitfahrwilligen jeweils End-punkt und Fahrtroute der Tour. Erwähnenswert auchdie Sitzbezüge: Sie bestehen aus selbstreinigendemMa terial, das zusätzlich mit Sensoren bestückt wichtigeParameter des Fahrers für ein Mehr an Sicherheit auf -zeich net. Obendrein ist das Autodach mit dünnen Photo -voltaikzellen auf einer Textilschicht überzogen: Zu satz-strom für die Bordelektronik.Ihre nächste Station ist ein Erdbeerfeld. Franz spottet:„Läuft hier parallel gerade auch die ‚Grüne Woche‘?“Doch bei genauerem Hinsehen fällt den beiden auf, dassdie Erdbeerpflanzen statt in der Erde auf einer Art Mattewachsen. Die Pflanzenträger bestehen aus Textilmaterial,das Wasser und Nährstoffe transportiert, speichert unddosiert wieder abgibt. „Besser als Muttererde, leichterund so gar in den Tropen zu verwenden“, kommentiertder Hersteller. Die Matte lasse sich selbst auf Vertikalflä-chen anbringen und eigne sich besonders für niedrig undtief wachsende Obst- und Gemüsepflanzen. Ben notiert:

ERDBEERDÄCHER & SCHNEIDER 3.0

2 Textilbewehrte Gefäßprothese aus patienteneigenen Zellen

Page 5: Perspektiven der Textilforschung

MEGATRENDS & WECHSELWIRKUNGENBei allen Zukunftsszenarien – ob Mobilität, Gesundheit,Energie oder Architektur – stießen die Diskussions teil -neh mer auf übergreifend rahmensetzende Ent wick lun - gen. Denn es wurde schnell klar, dass sämtlicheZu kunfts über legungen von unumstößlichen Basisthe-men im Sinne von Megatrends flankiert werden, dielängst globale Handlungsfelder darstellen: Demografieund Anstieg der Weltbevölkerung, sich verknappendeRohstoffe, die effiziente Ressourcennutzung, Recycling,Wiederverwertung und geschlossene Stoffkreisläufesowie der Kli mawandel und die statistisch belegte Zu-nahme von Naturkatastrophen. Daran wird sich die Tex-tilforschung mit ihren Lösungsvorschlägen noch stärkerorientieren müssen. Analog gilt das auch für die sich europaweit andeutendeRückbesinnung auf regionale und lokale Wertschöp-fungskreisläufe. Da die Globalisierung inzwischen mitBlick auf Kosten, Ressourcen und Umwelt an mehrfacheGrenzen gestoßen ist, wird es mittelfristig eine stärkereOrientierung auf standortbezogene Produktion, Verwer-tung und Wiederaufbereitung zum Beispiel im Umfeldvon Ballungszentren geben. Das hat nicht nur für Ar-beitsmarkt, Verkehr, Lagerung, Warenströme, Entsor-gung usw. Folgen, sondern auch für den vermehrtenEinsatz zum Teil völlig neuer textiler Materialien und Pro-dukte für Produktion und Logistik.

BREITENWIRKUNG INKLUSIVEWeil sich neun für die Textilforschung relevante Zu-kunftslandschaften – Architektur, Bekleidung, Energie,Ernährung, Gesundheit, Mobilität, Produktion/Logistik,Wohnen, Zukunftsstadt – gegenseitig beeinflussen, istdavon auszugehen, dass bestimmte Textilinnovationenauch in andere Bereiche ausstrahlen. Dieser Domino -effekt deutet sich derzeit für Sensorteppiche an. So hatdie eigentlich für die Gesundheitswirtschaft zur Anwen-dung in Krankenhäusern und Pflegeheimen entwickelteInnovation mittlerweile auch das Potenzial zur Anwen-dung im Gebäudemanagement (Sicherheit), Wellbeingund Wohnbereich.

5Grafik: Den meisten textilnahen Ideen wurden in den Zukunftsworkshops gute Marktchancen attestiert (siehe mittleresenkrechte Spalte) – nach fünf bis zehn Jahren besonders in Nischen- und Massenmärkten

�� Wie nähert man sich dem Blick in die Zukunft,wenn man zunächst bis ins Jahr 2025

schauen will? Mit Erfahrungswissen und einemSchuss Fantasie sagen die einen, mit Loslassfak-tor und machbarem Wunschdenken die anderen.Die Textil forschung wollte bewusst einen anderenWeg gehen und versicherte sich bei ihrer Expedi-tion in die Zukunft professioneller Begleitung mitungewöhnlicher Denksystematik.

Die Methodik „Weit nach vorne springen und dann zu-rückblicken“ stammt ursprünglich aus den USA; Fach-leute sprechen dabei von Retropolation. Der heutige„Zukunftslotse“ Thomas Strobel verhilft mit seiner FirmaFENWIS GmbH vor allem Unternehmen mit Trendland-karten und Zukunftsbildern bei der Planung.

BAUCHGEFÜHL FÜR MORGENMit der Textilforschung wagte jetzt erstmals ein gesam-ter Branchenverband diesen Blick voraus. Methodischgestützte Zukunftsforschung, davon ist Experte und Mo-derator Strobel überzeugt, entwickelt schon heute das„Bauchgefühl für morgen“.Aus seiner Sicht ist die Zukunft „weniger ungewiss undbedrohlich, wenn wir uns vorausschauend auf denkbareHandlungsoptionen einstellen, schwerwiegende Verän-derungen und Entwicklungssprünge mit einbegriffen“.Wer die Zukunft nicht vordenke, betont er, könne sieweder zu seinem Vorteil beeinflussen noch sich voraus-schauend darauf einstellen. Mit anderen Worten: Sind

die großen Entwicklungslinien bzw. langfristigen Mega-trends bis in die Mitte dieses Jahrhunderts erkennbar,muss es in den nächsten Jahren auf dem Weg dahin be-reits Fortschritte geben. Da zahlreiche Projekte derTextil forschung (faserbasierte Materialien für die Trans-plantationsmedizin ebenso wie textilbewehrter Beton)fünf, zehn und mehr Jahre bis zur Praxisreife und -an-wendung benötigen, bleibt nicht mehr viel Zeit für ent-sprechende Weichenstellungen.

FREIHEIT FÜR 100 MRD. GEHIRNZELLENFür die Retropolation werden zunächst aus vorstellbarenZukunftsbildern Prämissen für das Jahr 2050 ermittelt,um dann mit diesem Zukunftswissen ins Jahr 2025 zu-rückzuspringen. Der Blick aus der Retropolation trifftdann auf die Erwartungen aus der Extrapolation (Hoch-rechnung und damit die dynamische Fortschreibung desbis dato Gewesenen). Das Verblüffende: Diese Vorge-hensweise befreit Menschen von ihren rationalen Filtern,was wann warum nicht machbar sein wird – aus heuti-ger Sicht. Strobel nennt das „Gedankenfreiheit für 100Milliarden Gehirnzellen“. Schritt zwei ist dann die „Rück-schau“ vom Jahr 2025 auf den Zeitraum bis heute – derBlick aus der Zukunft zurück in die Gegenwart. Was allesmuss in der Textilforschung passieren, damit in 10 bis15 Jahren neue Zukunftsmärkte für 2050 vorbereitetwerden? Im ersten Schritt galt es, unter Einbeziehung von Stra-tegieüberlegungen aus den einzelnen Branchen herausentsprechende Szenarien für das Jahr 2050 zu sammeln,auszuwerten und daraus „Prämissen für 2050“ zu do-kumentieren. Zugleich wurden auch neun textilrelevanteThemenlandschaften festgelegt. Damit war für die Ar-beit im zweiten Schritt mit Teilnehmern an fünf Zu-kunftsworkshops in Dresden, Aachen und Denkendorf,davon zwei mit Studenten aus gemischten Fachrichtun-gen, der Rahmen vorgegeben.

BEWERTUNG NACH MARKTPOTENZIALDer Blick auf das Jahr 2025 und dann zurück wieder aufdie Gegenwart lieferte in wechselnden Arbeitsgruppen

40 JAHRE VOR, 25 ZURÜCK

4 Grafik: Bestandteil der Retropolation ist der Blick zurück aus der Zukunft auf die Handlungsfelder und Einflussmöglichkeitenin der Gegenwart – Motto: Mit Forschungsprojekten heute schon die Weichen für morgen und übermorgen stellen

20502025

über 500 Zukunftsideen, in der Fasern, Textiltechnologienund neue Verbundmaterialien die Hauptrolle spielen. Zu-sammengefasst und verdichtet, liegen dank der Arbeits-gruppen 133 textilnahe Anwendungsideen und derenMarktpotenziale sowie 120 neue Anwendungsmöglich-keiten für Textilmaterialien vor. Die Textilideen wurden ineiner Umfrage nach ihrem vermutlichen Marktpotenzial(Massen-, Nischen- oder vernachlässigbarer Markt) undnach Zeithorizonten der Marktreife bewertet.

BESTE CHANCEN IN 5–10 JAHRENDieser Zukunftsanalyse zufolge fänden textile Verbund-materialien für Wasserleitungen oder Unfallschutzlösun-gen im Pkw-Innenraum bereits in weniger als fünf Jahrengroße Absatzmärkte, während die Zeit beispielsweise fürfunktionale Landschaftstextilien oder altersangepassteKleidung mit trägerspezifischer Funktionalität erst amEnde dieses Jahrzehnts anbräche. Beispiele für Nischen-märkte am Ende dieses Jahrzehnts sind textile Schalterin Gebäuden, textilgebundene Düngemittel oder auchFäden mit Photovoltaik-Funktionen. Ein eher geringesMarktvolumen für die nahe Zukunft wird demnach zumBeispiel für mitwachsende Bekleidung oder auch textileFahrbahnen erwartet. Eine weitere Aufgabenstellung nach den Workshops wares, die in der Zukunft „gefundenen“ neuen textilen Pro-blemlöser (von schwimmender Architektur für küsten-nahe Wohngebiete bis hin zur Stammzellenzüchtung zurEntwicklung eines leicht transplantierbaren Hautersatzes)nach Relevanz zu gewichten.

Bewertung der Marktpotenziale für textilnahe Ideen

Zeitachse< 5 Jahre 5–10 Jahre > 10 Jahre

FENWIS | Copyright 2012

Massenmarkt

Nischenmarkt

GeringesMarktvolumen

Page 6: Perspektiven der Textilforschung

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NACHHALTIGKEITIntelligente Nachnutzungvon Altkleidung und Pro-duktionsabfällen als Roh-stoffquelle zur Herstellungneuer textiler Produkte (z. B.Filter, Dämmstoffe, Füll-stoffe)

ENERGIEERZEUGUNGGewinnung von elektri-schem Strom aus Sonnen-licht und Bewegung zurFunktionsunterstützung vonSmart Textiles

EINZELFERTIGUNGAlternative Konfektionie-rungsmethoden wie Klebenund Laserschweißen alseine Voraussetzung für dieindividuell nach Nutzer-wünschen digital unter-stützte Einzelanfertigung inDeutschland/Europa

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

FUNKTIONALISIERUNG

�� Sensorintegrierte Bekleidung für Kommuni-kation zwischen Automobilen und Fußgän-

gern (Warnung vor Fahrzeugen bzw. Pas santen),Bekleidung ermöglicht Kommunikation mit allenVerkehrsteilnehmern für gesteuerten Stra ßen -verkehr

�� Energieerzeugung und Stromspeicherungim Textil

�� Intelligente Unterstützungsfunktionen (Ad -ap tionen) zur automatischen Anpassung an

Umgebung und Personenprofil (Luftdurchlässig-keit, Temperatur, Feuchtigkeit, Wohlbefinden)bzw. als motorischer Hilfsanzug (Exo-Skelett)zur Assistenz für Menschen im Alter oder mitBehinderungen

BERUFS-/ARBEITSSCHUTZ

�� Arbeitsunterstützende Bekleidung mit zu-sätzlich verfügbarer Kraft aus künstlichen

Muskeln; Integration von Kommunikations-, As-sistenz- und Warnfunktionen

INDIVIDUALISIERUNG

�� Vom Träger nicht wahrnehmbare Beklei-dung mit komfortgerechten Materialien

und Strukturen (Gewicht, Geräusch, Durchläs-sigkeit, Steifheit, Physiologie)

BEKLEIDUNGS -EIGENSCHAFTEN Mitdenkende Textilien sowohl für Freizeit-Funktions be klei dung und Arbeits(schutz) -be klei dung als auch fürden me dizinischen Einsatz

6 Forscher am ITV Denkendorf nutzen hochmoderne Technik und passen die Technologien den jeweiligen Produktinnovationenan – Flachstrickmaschine für Fullfashion

THEMENFELD BEKLEIDUNG

�� Bekleidung muss in Produktion und Nutzunghohe ganzheitliche Nachhaltigkeitskriterien

erfüllen; modische Akzente werden zukünftigvermehrt durch Applikationen und Individuali-sierung realisiert

�� Effiziente Einzelfertigung von Bekleidung onDemand und/oder nah am Point of Sale (3D-

Technologien für Design und Herstellung sowieintegrierte Technologien zur Funktionalisierung)ermöglicht die Realisierung individueller Kun-denwünsche fast in Echtzeit

PRÄMISSEN 2050

�� Intelligente Bekleidung gewährleistet Funk-tionen wie Monitoring und Kommunikation

und interagiert mit telemedizinischen Anwen-dungen und Sicherheitssystemen

�� Oberbekleidung kann elektrische Energie er -zeu gen; wesentliche Beiträge zum Energy

Har ves ting kommen aus integrierten Solarzellen -fa sern und der Umwandlung von Bewegung inStrom

�� Textilfunktionen wie Luftdurchlässigkeit, Iso-lationsfähigkeit und Wärmeerzeugung kön-

nen vom Träger gesteuert werden; Bekleidungunterstützt aktiv die Leistungsfähigkeit und Kör-perfunktionen

MONITORING/KOMMUNIKATION Integrierte Elektro nik in derBe kleidung zur Überwachungvon Vitalitäts parameternsowie zu Kom munikationund Datenaustausch u. a.im AutoEine Revolution für Modedesigner und Beklei-

dungshersteller steht bevor: In den nächsten Jahr-zehnten werden intelligente neue Stoffe Furoremachen, die auf konsequent ökologischer Basis er-zeugt werden können und mit definierter Absichtkommunizieren, vor Ozon- oder UV-Belastung war-nen oder sich selbst an klimatische Schwankungenanpassen. Die Rede ist von Textilien aus Naturfa-sern und biochemisch hergestellten Fäden, die wieandere Bekleidungsstoffe auch mit interaktivenOberflächen oder funktionselektrischen Elemen-ten aufgerüstet werden und so der bisherigentexti len Bekleidung neue zusätzliche Nutzwertegeben. Mit der massenhaften Verfügbarkeit von„Smart Textiles“ wird Kleidung über die Modeschie -ne hinaus bedürfnisnah für den Träger individuali-siert. Zudem sollen heute noch nicht ver fügbareTechnologien die Herstellung, Nutzung, Reinigungund das Recycling der Alltags- und Berufsbeklei-dung revolutionieren.

Page 7: Perspektiven der Textilforschung

�� Den Konsumenten interessiert in den nächsten Jah-ren neben dem Preis nicht mehr nur die Ökologie,

sondern auch die ökonomische und soziale Verantwor-tung „hinter“ den modischen Kollektionen. NatürlicheMaterialien und ein zunehmender Sinn für Nachhaltig-keit sind Trend; Modekollektionen legen auf „grüne“Textilien mit sozialverträglichem Hintergrund immermehr Wert. Das Volumen der dafür eingesetzten Textil-fasern wird weiter anwachsen. Das sich schon heute an-deutende Faserdefizit ist ein Problem, mit dem sich dieBranche zunehmend auseinandersetzen muss. DieMarktsituation bietet daher für alternative Fasern einegute Ausgangsposition. Im Fokus von Forschung und In-dustrie stehen ebenfalls verstärkte Anstrengungen beimTextilrecycling sowie der Verwertung von bisher nichtnutzbaren Faserrohstoffen. Spätestens in zehn Jahren muss ein finanziell kostspieli-ger Entwicklungsaufwand betrieben werden, um Faser -innovationen auf den Markt zu bringen. Die neuenFasern ver einen die Vorteile von natürlichen und indus-triellen Fasern, sind unter Umständen bakterienhem-mend, passen sich dem Klima an und sind für Allergikerbesonders verträglich. Es ist davon auszugehen, dassalter native Fasern einen deutlichen Marktaufschwungerleben werden. Im Unterschied zu heute müssen Tex-tilien in Zukunft zudem weitaus mehr leisten. Smart-Tex-tiles-Mate rialien als Bestandteil der Kleidung werdenzu nehmend positive Effekte auf den Körper und die Ge -

sundheit des Trägers haben. Für die Textilindustrie bleibtdie Entwicklung nachhaltiger Produkte und Lösun genweiterhin bedeutsam; Innovationen sind für die Zu-kunftssicherung der Branche wichtige Wachstumsträger.

Anke Domaske, Geschäftsführerin Qmilch GmbH,www.qmilk.eu

�� In unserem Segment Arbeitsschutzbekleidung seheich auf jeden Fall zwei große Themen, die uns in

Zukunft weiter beschäftigen werden – Material undUm welt schutz. Die Bereitstellung und Verwendungmög lichst schadstofffreier Gewebe, die dem KundenSicher heit und Qualität garantieren, haben im Unterneh-men oberste Priorität. Wir erwarten dazu in nächsterZeit weitere, strengere Vorschriften und Regularien.Auch aus diesem Grund werden wir spezielle Schutzbe-kleidung weiterhin in Deutschland produzieren. Natürlichspielt auch bei uns die Entwicklung multifunktionalerStoffe eine Rolle. Hier forschen wir in Zusammenarbeitmit Textilinstituten und bringen neue Erzeugnisse aufden Markt, die die Bedürfnisse und Anforderungsprofileunserer Abnehmer optimal erfüllen. Umweltschutz undsoziale Verantwortung sind weitere Herausforderungen.Sauber und mit Blick auf die nahe Zukunft nach höchstenUmweltstandards zu produzieren, wird über kurz oderlang zum Muss für Hersteller.

Silke Kamps, Präsidiumsmitglied von GermanFashion, Geschäftsführerin Rofa-Bekleidungswerk GmbH& Co. KG

www.rofa.de

Meinungen zur Marktentwicklung

9Bild oben rechts: Bei Prüfung der „Durchstichfestigkeit“ eines Stoffes wird elektronisch die dazu notwendige Kraft ermittelt

�� Textilien sind die zweite Haut des Menschen.Diese gelungene und über die Jahrhunderte

evolutionär weiterentwickelte Symbiose erlaubtan der Schwelle zur Funktionsintegration in dieBekleidung anscheinend in nächster Zeit (noch)keine großartigen Umsatzsprünge.

Entsprechend unspektakulär fiel die Marktbewertungvon insgesamt 24 textilen Ideen aus. Exakt die Hälfteder Vorschläge, so die Teilnehmer an den Zukunftswork-shops, sei in den nächsten fünf bis zehn Jahren eher eineBereicherung für den Nischen- als für den Massenmarkt.Was also deutet sich bis zum Ende dieses Jahrzehnts aufdem Beklei dungs sektor an?

Im Nischenmarkt könnten sich Textilien mit Nutzwert-plus durchsetzen: selbstreinigende Berufsbekleidung,Textilien mit Zusatzfunktionen für Klimatisierungswir-kungen, Sicherheit und Komfort, Kommunikation undEnergiegewinnung. Auch die Individualisierung und kon -sumentennahe Produktion hinsichtlich Schnitt, Designund Material scheint ebenso greifbar wie die Bereitstel-lung von Fasermaterialien mit vom Träger einstellbarerIsolationswirkung (Luftvolumen). Auch werden denther misch quellenden Materialien für den reversiblenHitzeschutz gewisse Marktchancen eingeräumt; ebensoadaptiven Systemen für Schutztextilien.Vor allem die großen Themen Material, Produktion undRecycling beeinflussen den Massenmarkt – von Opti-

mierung des Produktlebenszyklus und digital gestützterHerstellung bis hin zur weiteren Reduzierung des Flä-chengewichts (Materialeinsparung) sowie zu adaptiver,altersangepasster Kleidung u. a. mit Monitoringfunktion.Um den mannigfaltigen Ansprüchen an die Kleidungder nächsten Jahre gerecht zu werden, müssen diemeisten Textilforschungsinstitute tief in ihre jeweiligenTechnologie-Baukästen greifen. Schwerpunkte dabeisind Faserentwicklung (nachwachsende Rohstoffe undPolymere), Maschinentechnik, Produktion (Konfektion)und Smart Textiles. Allein für den komplexen BereichReinigung/Wiederaufbereitung vorrangig von Berufs -be kleidung kommen 18 (!) mögliche Aktionsfelder inBetracht. Technologiemodule dafür sind u. a. Reini gungs - methoden mit Mikroorganismen, Tieftemperaturen, En-zymen, neuen Lösungsmitteln, thermisch spaltbarenTensiden und Stoßwellen, die spezifische Fleckenbe-handlung innerhalb von Standardwäschen oder mitBlick auf die Detektion von Keimen entsprechendeSchnelltests.

BEKLEIDUNGSIDEENBereicherung für Nischenmärkte

8 Bilder von links: Die Mode wird individueller und funktionaler – vielleicht lassen sich in einem Jahrzehnt auch die Farbenje nach Stimmung „einstellen“ | Berufs- und Schutzbekleidung profitiert besonders von den Stoffinnovationen der Zukunft –UV-Verträglichkeit, sensorbasierte Warnfunktionen im Textil und gewebte Kommunikationstools inklusive

THEMENFELD BEKLEIDUNG THEMENFELD BEKLEIDUNG

Page 8: Perspektiven der Textilforschung

und unser Bauchgefühl vertrauen, laufen wir Gefahr, dieVergangenheit in die Zukunft fortzuschreiben. Diese Denke – Extrapolation genannt – bewährt sich beirelativ kontinuierlichen Entwicklungen, etwa dem Be-völkerungswachstum. Schon beim Telefon funktioniertdas Ganze nicht mehr. Warum? Weil 80 Jahre zwischendem hölzernen Wandtelefon bis zum schwarzen Bakelit - tele fon aus Wirtschaftswunderzeiten liegen und nur 40Jah re von dort bis zum iPhone, das keinen klassischenHörer mehr benötigt und ansonsten fast alles kann –auch tele fonieren. Mit bloßer Extrapolation, alsoerfahrungs basier tem Wissen, ist so ein technischerQuantensprung nicht voraussagbar. Deshalb ist es bei kurzen Produktlebenszyklen, sich wan-delnden Märkten und neuen Randbedingungen rund umKlimawandel, Ressourcenknappheit, Nachhaltigkeit usw.vorteilhafter, sich in eine komplett andere Zukunft zu ver-setzen. Das wird durch Retropolation erreicht. Damit kön-nen wir die Restriktionen der Gegenwart ausblenden undzugleich analysieren, wie die Bedürfnisse dieser neuenZukunft mit unserer Gegenwart verknüpft sein könnten.Wer hat diese Methode erfunden? Diese Methodik war Bestandteil meiner früheren Tätig-keit im Innovationsmanagement der Siemens AG undstammt aus den USA. Retropolation als Systematikhabe ich für die aktuellen Fragestellungen meiner Auf-traggeber aus Wirtschaft, Forschung und Verwaltungweiterentwickelt und später stärker auf begleitendeMo deration und Gruppenarbeit angepasst.

Wie verwerten z. B. Hersteller von technischen Tex-tilien diese jetzt vorliegenden Informationen?Unternehmen haben natürlich die Möglichkeit, aus un-seren Arbeiten mit dem FKT Teile ihrer Strategieplanungabzuleiten. Die bis jetzt vorliegenden Ergebnisse be-schreiben zunächst vor allem Einflüsse und Möglich -keiten. Im wichtigen Folgeschritt käme es darauf an,daraus für Unternehmen konkrete Handlungsoptionenabzuleiten und entsprechende Maßnahmenpläne in Ge-schäftserfolge umzusetzen. Die Voraussetzungen fürUnternehmen, weiteren Nutzen aus den Vorarbeitendes FKT zu ziehen, sind außergewöhnlich günstig. Eine letzte Frage: Warum eigentlich irren soge-nannte Experten so oft, wenn es um die Voraus-schau geht?Diese Irrtümer sind ehrlicherweise weniger den Fachleu-ten als der Arbeitsweise unseres Gehirns im Allgemeinenzuzuschreiben. Überall da, wo wir Experten sind, neigenwir dazu, Informationen, die unsere Denkweise bestäti-gen, erfreut aufzunehmen und widersprüchliche Infor-mationen dagegen auszublenden oder sie zumindest alsstörend zu empfinden. Das hat sich im Erfahrungslernender Menschheit lange Zeit bewährt, passt aber leidernicht mehr besonders gut zur heutigen Veränderungs-geschwindigkeit unserer Umgebung. Die Folge davonist, dass von Einzelpersonen schwache Signale für Ver-änderungen nur schwer wahrgenommen werden undParadigmenwechsel selten frühzeitig erkannt werden.

www.fenwis.de

11Bilder von links: Sensorteppiche und -matten sind branchenübergreifend überall dort einsetzbar, wo Schrittmuster oderein Sturz aus dem Bett Aussagewert haben – in der Altenpflege, im Gebäudemanagement oder als Einbruchssicherung | 3D-Abstandstextil mit antimikrobieller Funktion für leichte und „federnde“ Oberflächen

�� Eine Forschungsbranche hat sich der Zukunftgestellt – und beim Nachdenken über Trends

und Märkte von morgen und übermorgen be-wusst losgelassen von gängigen Denkweisen.Wissenschaftlich und methodisch geleitet wurdedie Zeitreise von einem der renommiertesten ge-schäftsnahen Zukunftsforscher, dem Miterfinderder sogenannten Zukunftslandkarten. Fragen an den zeitweiligen FKT-Coach ThomasStrobel, Ge schäfts führer der FENWIS GmbH:

Die Textilforschung schaut gespannt in die Zu-kunft – Ausnahme oder Regel?Aus meiner Erfahrung mit Zukunftslandkarten ist dieseDenkweise eher in Konzernen und fortschrittlichen Mit -tel stands-Unternehmen verbreitet. Gerade auch in Zeitenspürbarer Zukunftsunsicherheit sind mehr Menschenoffen, mit Zukunftslandschaften als Navigationshilfe „vor -aus schauend zu fahren“. Aus meiner Sicht ist das For -schungskuratorium Textil, das für seine angeschlossenenInstitute, Fach- und Regionalverbände sowie die Unter -neh men jetzt längerfristige Zukunftsperspektiven er ar -bei tet hat, ein innovativer Vorreiter unter den Ver bän den.Wie sehen Zukunftslandkarten aus?Wer Trends in Zukunftsbildern mit Zukunftsmärkten undGeschäftsoptionen verarbeitet, kann frühzeitig sich an-bahnende Veränderungen, aber auch mögliche Paradig-menwechsel, mit ihren vielen Chancen und Risikenerkennen. Trendsammlungen, die wir mit verschiedenenTeams aus Textilforschern, Unternehmern und Studen-ten in Workshops an insgesamt fünf Orten diskutiert,erstellt und klassifiziert haben, flossen in eine gemein-same Zukunftslandkarte ein. Noch im Diskussionspro-zess ist bei allen Teilnehmern Erstaunliches passiert, dasauch durch die Hirnforschung bestätigt wird. Erst dieKombination verschiedener Sichtweisen und Zeitschie-nen öffnet unsere subjektiven Filter, die sonst immerkenntnis- und erfahrungsbasiert einschränkend wirken:„Das geht, das kann nicht gehen …“. Für Zukunftsbilderbedeutet das, dass damit Barrieren fallen, die gewohn-ten Erwartungen und Ergebnisse infrage gestellt werden

können und es im Denken plötzlich Freiraum für Zu-kunftsbilder gibt. Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Zusam-menarbeit mit dem FKT?Besonders beeindruckt hat mich die Offenheit der Be-teiligten, sich der Aufgabenstellung „Zukunftsperspek-tiven 2025“ mit einer neuartigen Vorgehensweisegemeinsam zu stellen. Deshalb haben die Gruppenar-beiten an den Themenlandschaften neben fruchtbarenDiskussionen als Ergebnis auch eine wirklich große Zahldokumentierter Ideen geliefert …Neun Themenlandschaften, 133 textilnahe Ideen,120 Lösungsvorschläge in Textil – und gut ein JahrTeamarbeit. Wie wurde das Material schließlichaufbereitet? Aus Zukunftsbildern für 2050 wurden von den Mitglie-dern des Kernteams dokumentierte Prämissen erarbeitet,die in die Bearbeitung der Themenlandschaften eingeflos-sen sind. Alle gesammelten Ideenkarten aus den Work-shops wurden erfasst und verdichtet, um sie anschließendnach einer breiten Expertenbewertung priorisieren zukönnen. So liegen uns heute für neue attraktive Anwen-dungsfelder insgesamt über 250 Vorschläge vor.Ihre Methodik hat verblüfft: Erst machen Sie einengroßen Zeithorizont für 2050 auf, dann gehen Siewieder auf 2025 zurück.Dieser auf den ersten Blick ungewohnte Zeitsprung hatdas Ziel, alle Beteiligten zusammen zum Perspektiven-wechsel anzuregen. Solange wir auf unsere Erfahrungen

INTERVIEWForschungsbedarf mit Marktrelevanz

10 Zukunftsforscher Thomas Strobel gab über ein Jahr lang Navigationshilfe für die „Reise“ in das Jahr 2025

Page 9: Perspektiven der Textilforschung

13

LICHTNeue, aktive Beleuchtungs-konzepte für blendfreiesFlächenlicht an Fußböden,Wän den und Decken; Be-schattungs- und Vorhang sys - teme zur Energie erzeugungund -speicherung

ASSISTENZAmbient Assisted Living(selbstbestimmtes Lebendurch innovative Technik)

EINRICHTUNGLanglebige, umzugsresis ten -te, standardisierte Leichtbau-Möbel für häufigeren Woh -nungs-/Stand ort wech sel –Individualität des Wohnensfindet in der Mö bel ober flä -che mit wechselnder Farbe,Helligkeit und Haptik statt;intelligente Speicherung vonKörperprofilen für individuel-len Sitz- und Liegekomfort

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

EINRICHTUNG

�� Selbstreinigende und pflegearme Möbel-und Polsterbezüge sowie entsprechend

ausgerüstete Heimtextilien (Tapeten, Teppiche,Vorhänge): elektrochrome Textilflächen zurstimmungs- und nutzungsabhängigen Einstel-lung von Farben und RaumszenarienASSISTENZ

�� Monitoring von Wohlbefinden und Gesund-heit in der häuslichen Umgebung durch

Smart Textiles; einfache textile Schalter; textileHilfsmittel bzw. textilmedizinische Therapie-möglichkeiten LICHT

�� Intelligente Lichtleitsysteme zur Verteilungund Nutzung des Tageslichts in der Woh-

nung; automatischer Sonnenschutz u. a. durchVorhänge, die auf Lichteinfall ansprechen;Textilien zur Simulation von Sonnenauf- oder-untergangLUFT/KLIMA

�� Pflanzliche Klimaregulatoren auf textilenTrägern; grüne Raumteiler oder Wände; ge-

ruchsentfernende und aromatisierende Textil-beläge

LUFT/KLIMAEnergieeinsparung durchRaumtemperatur von 16° C;Personenabhängige Wohl-fühltemperatur über beheiz -te Kleidung, Sitzflächen undHeiztapeten mit Infrarot -strah lung

12 Hypermoderner Wohnraum mit licht- und wärmeregulierender Glasfassade und sicherlich zahlreichen Innovationen ausdem Heimtextilbereich

THEMENFELD WOHNEN

�� Aspekte von Licht und Farbgestaltung sindin die Raumausstattung integriert; Lichtstim-

mungen in Räumen können vom Benutzer ge-steuert werden

�� Wärme wird vielfach dort bereitgestellt, wosie – wie auf Sitz- und Liegeflächen – gerade

ge braucht wird; der Wärmegrad richtet sich nachdem subjektiven Wärmeempfinden der Bezugs-person, das als individuelles Komfortparameter-Profil beispielsweise in einem Smartphonege speichert ist

�� Regenerative Energie sichert die Grundver-sorgung ohne fossile Brennstoffe

PRÄMISSEN 2050

�� Displays mit spezifischen Steuerungsfunktio-nen sind überall integriert: im Fenster- und

Spiegelglas, in Tischplatten, Heimtextilien, Be-kleidungsoberflächen sowie in textilen Wand-und Bodenbelägen

�� Wichtige Funktionen der sich immer stärkerüberlappenden Wohn- und Arbeitsbereiche

lassen sich standardmäßig optimal steuern undregeln (z.B. energiesparende und über den Wet-terbericht vorausschauende Klimatisierung)

GEBÄUDESchallschutz und Akustik -opti mie rung, Schnellwech-selsysteme für Wand- undBodenbeläge, variableRaum aufteilung inkl. Küchen und Nasszellen

WAND/BODENMultifunktionale Wandober-flächen als Displays für Bilder; Wände mit wechselndenMo tiven und Farbstimmun-gen, Integration von Bedien-elementen

In der Mitte des Jahrhunderts hat jeder Haushalteinen unsichtbaren Mitbewohner: ein intelligentesTechniksystem, das den Menschen in vielfältigerWeise assistiert. Es übernimmt die Nachbestel -lungen für den Kühlschrankinhalt ebenso wieangeneh me Beleuchtung und sparsames Energie -mana gement und überwacht getimte Aufträge:Selbstreinigung des Inventars samt Bodenbelägenund Fenstern etwa oder die Umstellung des Be-leuchtungsambientes von privat auf repräsentativ.In den Haushalten haben Wände, Tische und Heim-textilien die Funktionen von TV und Computerübernommen. Menschen mit Behinderungen undältere Bewohner greifen auf Roboterhilfe zurück.Leuchtteppiche mit Sensoren sind multifunktional:Sie leiten bei Sturz ein Alarmsignal weiter, könnennach definierter Berührung wie ein Klavier Musikerklingen lassen oder in wechselnden Wohlfühl-farben einen Raum stimmungsvoll illuminieren.

Page 10: Perspektiven der Textilforschung

�� Nach den intensiven Marktrecherchen, die ichweltweit für meine Auftraggeber und nun auch für

meine eigenen Stoff-Kollektionen durchführe, steht fürmich außer Frage: In Zukunft rücken der Mensch undseine Umwelt und nicht mehr der bloße Konsumentund damit der höchstmögliche Profit in den Mittel-punkt. Umdenken ist angesagt. Der Käufer zum Beispiel von Dekostoffen will sich zu-nehmend mit dem Produkt identifizieren, um damit sei-nen eigenen Ruhepol in den heimischen Wänden zufinden. Beim Material wird er vermehrt auf den „be -sonderen Griff“ und beste Pflegeeigenschaften achten,verstärkt auch ökologische Gesichtspunkte und sozial-verantwortliche Herstellung hinterfragen. Wer in einigenJahren Heimtextilien erwirbt, wird zudem neue innova-tive Eigenschaften schätzen lernen. Dann sind Textilienmehr als nur Dekomaterial, sie bieten als sinnvollen Ne-beneffekt ggf. auch Beleuchtung, Klimatisierungen oderSchallschutz. Modische Trendfarben sind in Zukunft se-kundär zu bewerten, da wir in einer Zeit leben, in derschon heute farblich alles Trend ist und individuell kom-biniert wird. Wichtig ist, dass Material, Funktionalitätund Farbe ein perfektes Ganzes ergeben sowie Ge-schmack und den gewünschten Nutzwert des Kundentreffen.

Claudia Hagn, Claudia Hagn Textile Designer,

www.hagn-design.de

Meinungen zur Marktentwicklung

15Bilder von links: Bettwäsche von heute und morgen ist und bleibt für Designerin Claudia Hagn hochwertig, elegant undzeitlos | Textilbetonverstärkung mit Carbongeflecht zur Erhöhung der Biegetragfähigkeit an einer denkmalgeschütztenKonstruktion

�� Für alle zehn Textilideen zur Wohnwerterhö-hung gibt es gute bis sehr gute Verwertungs -

chancen im Nischen- bzw. Massenmarkt.

Das interne Ranking in den Zukunftsveranstaltungen desFKT attestierte folgenden Vorschlägen besonders guteMarktpotenziale: selbstreinigende bzw. besonders pfle-gearme Bezugsstoffe sowie entsprechend ausgerüsteteHeimtextilien für Wand und Boden (Tapeten, Teppiche);gute Nischenchancen haben Textilinnovationen zur Si-tuationserfassung in der Lebensumgebung – beispiels-weise intelligente Hilfsmittel für ältere Menschen aufBasis von Smart Textiles.

Das Gros der Ideen hat demnach ein etwas niedrigeresMarktvolumen, auch wenn die sich dahinter verbergen-den Innovationen zum Teil spektakulär daherkommen.Besonders zu nennen in diesem Zusammenhang: elek-trochrome Textilien für stimmungsabhängig einstellbareFarben und Raumszenarien im Wohnbereich, textileSchalter und intelligente Lichtleitsysteme zur Verteilungvon Tageslicht sowie geruchsentfernende Textilmateria-lien und pflanzliche Klimaregulatoren für die „eigenenvier Wände“ auf textilen Trägern.

�� Textile Materialien werden in Zukunft unser Lebens-und Wohnumfeld sowohl im Innen- wie im Außen-

bereich mehr und auf andere Weise als heute mitgestal-ten. Neben dem rein dekorativen Aspekt, der heute

zumeist im Vordergrund steht, sind dann vor allem dietechnischen Eigenschaften zukünftiger Wohn- und Ar-chitekturtextilien gefragt. Für Außenanwendungen sinddas textile Kombinationen aus gezieltem Luft-, Feuchte-und Wärmetransport sowie eine intelligente Lichtlen-kung und UV-Abschirmung. Textiloberflächen werdenzugleich auch Schutz gegenüber Pollen und Insektenbieten oder in Verbindung mit textiler Sensorik gar alsAlarmanlagen fungieren.In Wohn- und Arbeitsbereichen werden Komfort undAmbiente eine zunehmende Rolle spielen. Schalldämp-fung, Lichtsteuerung und -verteilung sind Aufgaben, diein der modernen Architektur neue Lösungsansätze be-

nötigen. Auch hier empfehlen sich wiederum neuartigeTextilmaterialien.Die ETTLIN AG hat in einem neuen Geschäftsfeld textileLösungen für die genannten Themen entwickelt und bie-tet völlig neue Konzepte mit einer Symbiose aus Funk-tion und Ästhetik an. So ermöglicht ETTLIN lux/SmartGlas eine neuartige Form der Wandgestaltung mit Licht,während Lichtdecken ambiente Stimmung in Waschräu-men, Spa- und Wellnessbereichen erzeugen. Mit einerweiteren Innovation – der Integration von Schalldämp-fung und flächiger Lichtgestaltung in extrem flacher Bau-weise – stoßen wir branchenübergreifend Türen fürZukunftsmärkte auf.

Dr.-Ing. Oliver Maetschke, Vorstand ETTLIN AG,www.ettlin.de

MARKTBEWERTUNGGutes Potenzial für Wohntextilien

14 Bilder von links: Wohntextilien bekommen in den nächsten Jahrzehnten mannigfaltige Zusatzfunktionen – die Fähigkeit,Stimmungen durch diffuses Licht auszudrücken bzw. orientierend zu leuchten, sind nur zwei davon | Eine „aufhellende“Übergardine oder Lichttapete kann zusätzliche Raumtiefe vermitteln

THEMENFELD WOHNENTHEMENFELD WOHNEN

�� Ein großer Vorteil bei der Verwendung von textilenBewehrungen liegt in der Korrosionsbeständigkeit

und der gleichzeitig hohen Festigkeit der Fasermateria-lien. Durch die oberflächennahe Positionierung könnendeutlich leichtere und schlankere Bauteile produziertoder Verstärkungen mit sehr geringen Abmessungenausgeführt werden. Auch in ökologischer Hinsicht birgttextilbewehrter Beton große Vorteile: Es werden nichtnur Rohstoffe geschont, sondern auch bei Herstellung,Transport und Rückbau Energie gespart und wenigerCO2 freigesetzt. Es gibt jetzt nach dieser neuen Techno-logie erste größere Sanierungen und Verstärkungsmaß-nahmen an Bauwerken. Um hohe Qualitätsstandards im gesamten Prozess rundum das Thema textilbewehrter Beton und den Transferder Forschungs- und Anwenderergebnisse zu gewähr-leisten, wurde 2009 von der TU Dresden und namhaftenUnternehmen aus dem Bereich Textilbeton der VerbandTUDALIT e.V. gegründet. Er sieht ein großes Zukunfts-potenzial für den Einsatz textiler Betonbewehrungen,besonders im Bereich Instandsetzung und bei der Ver-stärkung bestehender Bauwerke. Ein weiterer Schwer-punkt in der Zukunft dürfte der Neubau mit textilenBauelementen aus Betonfertigteilwerken sein. Aktuellarbeitet unser Verband an einem Strategiepapier „Tex-tilbeton im Bauwesen 2030“.

Roy Thyroff, Geschäftsführer TUDALIT e.V., www.tudalit.de

Page 11: Perspektiven der Textilforschung

16 17

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

DOKUMENTATION

�� Erfassung des ökologischen Fußabdrucksentlang der gesamten textilen Wertschöp-

fungskette; nachvollziehbare Fortschrittsbe-richte für nachhaltige Ablaufverbesserungen ENTWICKLUNG

�� Recyclinggerechtes Design für Textilien (mithalt-, trenn- und zugleich wieder ver wend -

ba ren Materialbestandteilen) inklusive Techno -lo gien zum Entfärben; Ressourceneffizienz durchComputersimulation und Zeitgewinn durch Mo-dellierung textiler Herstellungsprozesse MASCHINEN

�� Einheitliche Schnittstellen und Formate inden Produktionsabläufen; hohe Variabilität

und Nutzung der Anlagen; neuartige Leichtbau-roboter „Soft Robotics“ mit Bauteilen aus faser -basierten Werkstoffen; selbstlernende Maschi-nen und AnlagenPRODUKTIONSVERFAHREN

�� Werkstoffaufbau mit textiler Grundstruktur(3D-Verfahren für Bauteileherstellung), die

nicht spanend zum Beispiel durch Laser-Härtungbearbeitet werden; Übergang von dezentralerzu zentraler Produktion mit digitalem Work-flow; automatische Vorortproduktion: Das be-stellte Kleidungsstück kommt fertig aus derMa schine; selbstoptimierende textile ProzesseVERPACKUNG

�� Textile Nahrungsmittelverpackungen schüt-zen Lebensmittel vor dem Verderben: luft-

und flüssigkeitsdicht, kühlend, antibakteriell,Großbehälter für Regenwassersammlung und-aufbereitung bzw. für Trinkwassertransporte

PRODUKTDESIGN ist recyclinggerecht und er - mög licht eine vollständi geWie derverwendung derWerk stoffe; Fertigung vonhyb riden Bauteilen; com pu -ter un ter stützte, skalenüber-greifende Simulation in der

Konstruktion, automatisierte Steue rung von Produktionsan-lagen und direkte Kommunika tion mit den Kunden optimie-ren Material einsatz und Prozessabläufe

Produktion und Logistik: in Zukunft vor allem energieeffizienter, ressourcenschonender und näher am Point of Sale

THEMENFELD PRODUKTION/LOGISTIKVERPACKUNGEN aus textilen Materialien sindleicht, wiederverwendbaroder ökologisch abbaubar;erdölbasierte Werkstoffewerden durch nachwach-sende Rohstoffe und Biopo-lymere ersetzt

MASCHINEN und Anlagen sind variabelnutzbar und auf Energie-und Materialeffizienz ge-trimmt; Leichtbauwerk-stoffe aus Textil ersetzen inVerarbeitungstechnologienklassische Werkstoffe

Umweltkonform, ressourcenschonend, recyc ling - gerecht. Diese drei Stichworte bestimmen imJahr 2050 weitestgehend auch die Herstellungvon HighTex-Materialien und Bekleidung. LangeTransportwege innerhalb von Herstellungspro-zessen „rechnen“ sich immer weniger; deshalbsitzen die Akteure der Wertschöpfungsketten inräumlicher Nähe zueinander. Direkt am Point ofSale werden Produkte nach Maß und in eherkleineren Losgrößen, wenn nicht sogar als Einzel -stücke, erzeugt. Für bestimmte Fertigungspro zes - se (Ersatzteile und kleinere Losgrößen) kom men3D-Drucker (Fabber) zur Anwendung. Recycling-gerechtes Design von Faserverbundwerkstoffenund anderen Textilerzeugnissen ermöglicht diesortenreine Wiederverwendung von Rohstoffenam Ende eines Produktlebens. Es entstehen wei-testgehend geschlossene Wertstoffkreisläufe, indenen Ressourcen nicht verbraucht sondern ge-nutzt werden. Die Texti l industrie dokumentiertlückenlos, wie energie- und materialeffizienteProduktionsverfahren die Umwelt schonen unddie Unternehmen ihrer sozialen Verantwortunggerecht werden.

PRODUKTION in geschlossenen Wert -schöp fungsketten nahe demEndkunden macht Transpor -te über weite Strecken fastüberflüssig; logistische Ab-läufe sind auf lokale Produk-tion und kürzere Lagerzeiten

optimiert; 3D-Produktionsverfahren ermöglichen die indivi-dualisierte Herstellung am Point of Sale

Page 12: Perspektiven der Textilforschung

19

GROSSKRAFTWERKEwandeln Wind, Wasser oderBiomasse auf textilen Trä-gern in Energie um. Leicht-bau-Elemente in Wind- oderWasserkraftanlagen passenihre Oberflächen optimal denStrömungsverhältnissen an

ENERGIEERZEUGUNG Gebäude nutzen regenera-tive Quellen (Sonne, Wind,Biomasse, Erdwärme) zurEr zeugung von elektrischemStrom und Wärme. TextileFlächen an Fassaden undDächern sind zugleich Solar-zellen, Sonnenkollektorenund intelligent steuerbareBeschattung

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

SÄMTLICHE VORSCHLÄGE BETREFFENDIE ENERGIEERZEUGUNG:

�� Einsatz textiler Solarzellen an Fassaden undAutodächern, deren Fäden Photovoltaik-

Eigenschaften besitzen

�� Textiles Trägermaterial zur Erzeugung vonBiomasse und Biobrennstoffen

�� Strömungssegel für Gezeitenkraftwerkeaus faserbasiertem Material

�� Flexibles, evtl. lichtdurchlässiges textilesGrundgewebe für aufgedruckte Solarzellen

�� Flugdrachen bzw. Segel in der oberen Luft-schicht zur Energiegewinnung

�� Textile, photovoltaisch aktive Fahrbahnenmit Energieausbeute (Umwandlung der Ab-

rollbewegung von Reifen in elektrischen Strom)

�� Textiler „Muskel“ aus Textilwerkstoffen alsEnergiespeicher

VERKEHRSWEGE werden zum Kraftwerk undwandeln mechanische, durchFußgänger und Fahrzeugeverursachte Kräfte in elektri-sche Energie um

18 Die umweltkonforme Energieerzeugung und zugleich die radikale Absenkung des Energieverbrauchs sind zwei derMenschheitsherausforderungen – futuristische Energiequellen nicht ausgeschlossen

THEMENFELD ENERGIE

Der Atomausstieg mit Abschaltung der letztenAtomkraftwerke in Deutschland liegt fast 30 Jahrezurück. In der Mitte des Jahrhunderts geht dervollständige Ersatz fossiler Kraftwerke durch Groß-anlagen zur regenerativen Energieerzeugung ausWind, Sonne, Gezeiten, Erdwärme und Biomassein die Endphase. Klimafolgen wie der Anstieg desMeeresspiegels und ungezählte Unwetterkata-strophen in dichter Folge zwingen zu drastischerVerringerung der CO2-Emission über die Energie-erzeugung hinaus auch in Industrie, Verkehr, Land-wirtschaft und in Gebäuden. Neue Möglichkeitender Energiespeicherung gehen einher mit Techni-ken zur verlustarmen Übertragung über weite Dis-tanzen. Die stabile Energieversorgung auch imErgebnis eines intelligenten, länderübergreifendenStromnetzes gleicht Verbrauchsspitzen aus und in-tegriert dezentrale häusliche Kleinkraftwerke.

ENERGIESPEICHERTextilien speichern in ihrergroßen Oberfläche elektri-sche Energie oder als künst-licher Muskel mechanischeEnergie

Page 13: Perspektiven der Textilforschung

21

GESUNDHEITSSCHUTZ Smart Textiles in Bekleidungund Fußböden zur interakti-ven Vitalüberwachung bzw.Signalgebung (automatisier-

ter Notruf); antimikrobielle Textilien zur Verhinderung noso-komialer Infektionen (Krankenhauskeime)

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

MEDIZIN

�� Allergien und mikrobiologische Gefährdun-gen als Herausforderung zur Entwicklung

neuer Fasern und textiler Produkte wie Pollen-und Schadstofffilter sowie Mund- und Atem-schutz; textile Strukturen für Regenerations -medizin; Garne mit bioaktiven ÜberzügenMONITORING

�� Elektrisch (hoch)leitfähige Garne; sensori-sche Funktionstextilien zur Steuerung/Sta-

bilisierung des Wohlbefindens (Autofahrer,ältere Menschen, Risikogruppen)SCHUTZ

�� Textile Filter für Flüssigkeiten und Gase zurAbtrennung bioaktiver Substanzen (Blut-

verunreinigungen, Legionellen in Wasser, Bak-terien in Klimaanlagen, typische Erreger inKrankenhäusern); keimtötende OberflächenASSISTENZ

�� Angepasste Bekleidung für die Bedürfnisseälterer und kranker Menschen (Fallschutz,

Mobilitätsunterstützung, Medikamentenver-sorgung)MEDIKATION/THERAPIE

�� Bekleidung, Manschetten und Bandagenmit einstellbarem Bewegungswiderstand

oder vordefinierten Winkeln für angepasstesFitness-Training, Muskelaufbau oder zu Heil-zweckenIMPLANTATE

�� Gewebestrukturen für das Tissue Enginee-ring (Polymerentwicklung) als Grundlage

zur Züchtung von künstlichen Organen undmenschlichen „Ersatzteilen“

BEWEGUNGSTHERAPIE Außenaktivierung zur An re gung von Bewegungbei Reha-Maßnahmen,Gym nas tik, Kraft- und Fitness-Training. GezielteBe weglichkeitsbegrenzung und Stützung von Gelenkengewährleistet die korrekteHaltung und beschleunigtden Heilungsprozess

20 Die Zeit ist längst schon angebrochen für neuartige diagnostische Möglichkeiten durch medizinische Bildgebung – nach Stentsund Herniennetzen werden bald schon weitere textile Implantate den OP-Alltag bestimmen

THEMENFELD GESUNDHEIT

�� Alterskrankheiten sind entsprechend der hö-heren Lebenserwartung der Bevölkerung ge-

stiegen, womit der Bedarf an Therapie, Pflege,Betreuung und geeigneten Wohnmöglichkeitenrasant zunimmt

�� Altersbedingte Kernthemen im Gesundheits-bereich sind: gesund altern, Mobilität erhal-

ten, chronische Krankheiten heilen, Gewebe undOrgane regenerieren

PRÄMISSEN 2050

�� Neue Möglichkeiten der Gesundheitsüber-wachung durch Kleidung mit Sensorik sind

weit verbreitet und verbunden mit telemedizini-schen Applikationen

�� Individuelle, personalisierte Medikamentesteigern die Wirkung von Therapien und ver-

ringern gleichzeitig die Nebenwirkungen

�� Nachgezüchtete und künstliche Ersatzteileund Organe sind jetzt Standard in der Ge -

sund heitsversorgung

IMPLANTATE Entwicklung von Knochen-,Bänder-, und Sehnenersatzsowie von Nervenfasern aufBasis textiler Strukturen;Stammzellenzüchtung auftex tilen Trägermaterialien für

leicht transplantierbaren Hautersatz sowie für endoskoptaug-liche Implantate

THERAPIE Therapeutische Textilien ge -ben kontrolliert pharmazeuti-sche Wirkstoffe ab. Sen sorischunterstützt, wird die gezielteDosierung innerhalb des Kör-pers (Implantate), über dieHaut und auch in der Wund-versorgung möglich

Fast jeder kennt inzwischen einen Hundertjährigenin seiner unmittelbaren Umgebung. Und: Subjektivempfunden ist für viele mit 75 das Rentenalternoch längst nicht erreicht. In 40 Jahren steht jeder,der Krankenkassenbeiträge sparen will, freiwilligunter „Beobachtung“. Sensorbasierte Textilien mitder Fähigkeit zur Datenübermittlung an Ärzte oderKrankenkassen erfassen den momentanen Ge-sundheitsstatus. Wer Sport treibt, sich gesund er-nährt und nicht raucht, dem werden Boni bei denBeiträgen eingeräumt. Die Medizin hat sich rasantentwickelt. Die Wundversorgung beispielsweisewird durch Drug-Delivery-Verbände mit gezielterWirkstoffabgabe revolutioniert; Implantate mitMedikamentendepots oder für Ersatz von Muskeln,Sehnen, Bändern sowie künstliche Gelenke be -stehen aus faserbasierten Strukturen. MenschlicheOrgane und andere „Körperbauteile“ werden in -zwi schen massenhaft auf geeigneten Trägern auspatienteneigenen Zellen gezüchtet. Mit der höhe-ren Lebensdauer der Bevölkerung kommen vielfäl-tige Lebenshilfen auf den Markt, die die Mobilitätim Alter und die Folgen des Alterns in den eigenenvier Wänden erleichtern.

MONITORING Sensorische Bettwäsche fürÜberwachung und Diagno -se der schlafspezifischenKörperfunktionen wie Re-gelmäßigkeit der Atmung,

des Herzschlages und Optimierung der Schlafzyklen bei Un-regelmäßigkeiten oder Schnarchen

Page 14: Perspektiven der Textilforschung

�� Für nur wenige textile Hauptforschungsrich-tungen ist der Zukunftsbedarf mit seinen

mannigfaltigen Einsatzfeldern bereits so klarum ris sen wie für die Leichtbauthematik mitFaser ver bundwerkstoffen (Flugzeugindustrie,Automobilbau) und die Gesundheitsforschungder Textilinstitute.

Vier der größten Institute – in Denkendorf, Hohenstein,Aachen und Dresden – haben bereits vor Jahren auf die

sich abzeichnenden Anwendungsfelder mit eigenen in-terdisziplinären Forschungsbereichen reagiert; dass dortBiotechnologen und Mediziner in Projekten direkt mitTextilern zusammenarbeiten, ist selbstverständlich. Wei-tere Einrichtungen wie Institute in Greiz oder Chemnitzbereichern mit ihren spezifischen Erfahrungen medizini-sche Forschungsprojekte.Die 14 in der Zukunft „gesammelten“ textilnahen Ideenzu diesem Themenfeld bedienen Massen- und Nischen-märkte im Verhältnis 4:10. Der Bedarf dafür zeichnet sichjeweils erst im Zeithorizont zwischen 5 und 15 Jahren ab.Als massenmarkttauglich wurden in den Zukunfts work -shops des FKT u.a. folgende Vorschläge eingestuft: DieFaserentwicklung für textile Filter gegen Allergene undmikrobielle Gefährdungen sowie Forschung und Bereit-stellung feinster hochleitfähiger Garne zur automati-schen Verarbeitung. Geringere Marktvolumina habendemnach zunächst solche gesundheitsunterstützendenInnovationen wie textile Drug-Delivery-Systeme für dieArzneimittelabgabe innerhalb des Körpers, Sensorbe-kleidung zur Erfassung der Vitalparameter von älterenMenschen und Risikogruppen oder auch (re)aktiveFunktionstextilien zur Unterstützung des Wohlbefindensfür Autofahrer (u.a. Massage bei Müdigkeit).

Um diese Bedarfsansprüche erfüllen zu können, mussdie Textilforschung im interdisziplinären Austausch aufein ganzes Arsenal hochspezifischer Technologien zu-rückgreifen. Ein Technologiescouting hat für die medizi-nische Anwendungsforschung der Textilinstitute alsBasis bisher 19 Verfahren gesammelt. Allein für dieWundversorgung und die Implantatentwicklung sinddas jeweils bis zu sieben, die ohne Ausnahme Experten-wissen, Erfahrung sowie hochleistungsfähige Labor- undSpezialtechnik voraussetzen.

�� Was haben Teppiche oder Bodenbeläge mit Kran-kenhaus, Altenpflege und Gesundheitswirtschaft zu

tun? Sie sind durch die Integration textiler Elektroniküber den eigentlichen Nutzungszweck hinaus längstmultifunktional geworden. Bis zu 32 kapazitive Nähe-rungssensoren pro Quadratmeter in einem nur zwei Mil-limeter dünnen textilen Underlay machen nahezu jedenhandelsüblichen Bodenbelag zu einem universell einsetz-baren Bodensensor. Mit ausgeklügelten Analyseverfah-ren der Sensordaten kann erkannt werden, ob Personenauf dem Boden stehen, liegen oder wie schnell sie sichin welche Richtung bewegen. Ein solcher Sensorteppichschaltet Licht, öffnet automatische Türen oder signali-siert unbefugtes Betreten.Im Pflegebereich gibt dieser intelligente Boden Sturz-alarm, übernimmt Aktivitätsmonitoring und informiertdas Personal über Rufanlagen und Funksysteme, wennsturzgefährdete oder demente Bewohner ihr Bett oderdas Zimmer verlassen. Durch den demografischen Wan-del und eine höhere Lebenserwartung werden mehrMenschen als je zuvor ein sehr hohes Alter erreichen.Damit nehmen zwangsläufig Demenz und andere chro-nische Erkrankungen zu. Schon heute müssen inDeutschland mehr als 750.000 Personen stationär ge-

ERHEBLICHES POTENZIAL FÜR MEDIZINTEXTILIEN

22 Bilder von links: Verbandproduktion auf Hochtouren – der Sektor ist innovativer denn je | Seidenbasierte Gefäßprothesemit integriertem Wirkstoffdepot hält Adern länger offen | Kreuzband-Ersatz aus den Hohenstein Instituten | FaserbasierteMedizinprodukte sind besonders kompatibel zu den körpereigenen Bausteinen wie Muskeln, Nerven und Fettgewebe

pflegt werden. Die Sozialsysteme in Europa stehen vorder großen Herausforderung, immer mehr pflegebedürf-tige Menschen versorgen zu müssen. Regierungsinitia-tiven zielen auf neue Systeme zur Pflegeunterstützungab. Ich schätze das europäische Marktvolumen für sol-che Sensorfußböden, wie wir sie produzieren, allein fürden Pflegebereich schon auf ca. 100.000 m² im Jahr.

Christl Lauterbach, Managing Director Future-Shape GmbH,

www.future-shape.com

�� Als weltgrößter Hersteller elastischer Spezialtexti-lien für die Medizin arbeiten wir heute mit Textilin-

stituten und Industriepartnern intensiv an neuenProdukten und damit den Marktchancen von morgen.Wo die Reise hingeht, zeigen die jüngsten Entwicklun-gen, die für künftige Innovationen wiederum die Grund-lage sind. Unser eher evolutionäres Segment, das kaumInnovationssprünge wie andere Branchen kennt, hat inden letzten Jahren mit einigen Neuheiten aufwartenkönnen. Von uns wurden neue elastische Bindentypenmit ebenfalls neuen textilen Strukturen zum Beispiel fürdie Kompressionstherapie bei Beinleiden entwickelt. DerMarkt hat diese Neuerungen trotz der ebenfalls boo-menden elastischen Stützstrümpfe, um bei den Beinenzu bleiben, angenommen; Tendenz steigend. Inzwischen vielfältig angewandt werden transdermaletherapeutische Systeme (TTS) – Pflaster mit Wirkstoff.

So mancher Raucher hat sich sein Laster dank des Ni-kotinpflasters abgewöhnen können. Aber auch für dieTherapie von Sportverletzungen kamen spezielle ther-moplastische Bandagen – eine besondere Version dersogenannten Castverbände – zur effektiven Immobili-sierung von Körperteilen auf den Markt. Motto: Gipswar gestern. Von solchen Textilinnovationen profitierenPatienten durch verbesserte Trageeigenschaften unddas medizinische Personal durch leichtere und schnellereHandhabung.

Zusammen mit Textilforschern u. a. aus Denkendorf,Greiz und Bönnigheim richten wir den Blick nach vorn.Bei weiterhin großer Nachfrage nach klassischen Wund-auflagen, Salbenkompressen, TTS-Pflastern sowie Pflas-terbinden, -rollen und -strips zeichnen sich neueEntwicklungsschwerpunkte ab, darunter wirkstoffdo-tierte Fasern, Verbandmaterialien mit textilen Elektro-nikkomponenten oder auch Textil-/Kunststoffverbunde.Auch im nächsten Jahrzehnt, da bin ich mir sicher, wirdunser 1903 in Wolfstein/Reinland-Pfalz gegründetesUnternehmen mit Produktionsstätten inzwischen inQingdao (China) und Coimbatore (Indien) als Qualitäts-hersteller und Innovationsmotor weiterhin entschei-dende Fortschritte mitbestimmen.

Dr. Gerhard F. Braun,Geschäftsführer KARL OTTO BRAUN GmbH & Co. KG,

www.kob.de

Meinungen zur Marktentwicklung

23Bilder von links: Sensorteppiche geben in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen nicht nur Sturzalarm, sondern öffnenin Kombination mit sicherheitsrelevanten Anwendungen auch Türen | Binden und Bandagen vom laufenden Band – vonden Textilinnovationen „dahinter“ profitieren Patienten und medizinisches Fachpersonal gleichermaßen

THEMENFELD GESUNDHEITTHEMENFELD GESUNDHEIT

Page 15: Perspektiven der Textilforschung

25

DEMOGRAFIEDurch die demografischeEnt wicklung nimmt derPfle gebedarf stark zu. Eskommen vollkommen neuePfle gehilfsmittel, etwa inForm von Assistenzrobo-

tern gerade für Privathaushalte, auf den Markt. Die Alters-gesellschaft benötigt zudem neue Technologien zurUnterstützung älterer und pflegebedürftiger Menschen inden eigenen vier Wänden: künstliche Muskeln, Exo-Skelette,Handhabungs- und Mobilitätshilfen

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

RECYCLING

�� Ressourceneffizienz durch mehrfache Nutz-barkeit textiler Materialien; recycelte Tex-

tilien werden durch modernste Verfahren inneue Produkte überführt ROHSTOFFE

�� Technologien zur Verwendung nachwach-sender Rohstoffe zur Fasergewinnung; Er-

satz von erdölbasierten Hightech-Fasern durchwassersparenden Anbau heimischer Faserpflan-zen und ggf. auch durch Tierhaare und biotech-nologisch gewonnene FasernUMWELT

�� Schaffung sauberer Fischgründe durch tex-tile Müllfänger im Meer, Management für

Schadstoffe in und Schadstoffemissionen ausTextilien SICHERHEIT

�� Schutztextilien für Menschen (Beruf, Frei-zeit), Fahrzeuge, Gebäude gegen Umwelt-

katastrophen und Gewalt

24 Beim Blick in die Zukunft müssen schon heutige Projekte die „ganz großen Themen“ wie Demografie, Klimawandel, Ressourcenverknappung berücksichtigen

BASISTHEMENUMWELTNeue, wiederverwertbare Fa - sermaterialien schonen dieUm welt: geringerer Verbrauchvon Wasser und Energie beider Produktion; re duzierterTransport- und Logistikbedarfaufgrund regionaler und loka-ler Kreisläufe

KLIMAWANDELTextile Solarzellen und ande -re faserbasierte Innovatio-nen zur CO2-vermeidendenEnergieerzeugung; textileBöschungsmatten als Pflan-zenträger für Dämme (Pe-gelanstieg der Meere) underosionsgefährdete Hänge

Die Menschheit nähert sich 2050 mit schnellenSchritten der Zehn-Milliarden-Marke; auf der Erdelebt dann ein Drittel mehr Menschen als 2012.Zwei-Kind-Familien sind Standard, ebenso die Do-minanz der über 60-Jährigen auf dem Planeten.Deswegen steht das Gesundheits- und Sozialwe-sen nicht nur im Vereinigten Europa unter demStichwort Altersgesellschaft vor enormen Heraus-forderungen. Alle Menschen können ausreichendmit Lebensmitteln, Wasser, Energie, Bekleidungusw. versorgt werden. Ökologischer Fußabdruck,CO2-Ausstoß und virtueller Wasserverbrauch sindu.a. Messlatten, an denen keine Regierung undkein Hersteller vorbeikommen. „One-Planet-Rules“,international anerkannte Regeln der UN, sorgen inGebieten mit knappen Lebensgrundlagen für einenfairen Ausgleich und beugen so bewaffneten Aus-einandersetzungen vor.Die Wegwerfgesellschaft ist passé. Alternativroh-stoffe ersetzen Erdölprodukte. Recycling, Wieder-verwertung und Transportvermeidung habeneinen enormen Stellenwert bekommen. Nachhal-tige Ressourcennutzung geht inzwischen vor -ver-brauch. Letzterer gefährdet folglich auch nichtmehr die Regenerationsfähigkeit der Erde. Weilspätestens in den 20er und 30er Jahren diesesJahrhunderts global die richtigen Weichen gestelltwurden, fällt die Steigerung des Material- undEnergieverbrauchs wesentlich flacher aus als heutenoch prognostiziert. Konsequentes Produktdesignals Voraussetzung für eine durchgängige und au-tomatische Wertstofftrennung hat sich ebensodurchgesetzt wie die Mehrfachnutzung von Bau-teilen über einen Lebenszyklus hinaus.

RECYCLINGDie weitestgehend automa-tisierte Recyclingwirtschaftwird mit Technologien undKonzepten zur einer derHauptrohstoffquellen. Tex-tile Verbundwerkstoffe undandere Materialmischungen

werden unter Einsatz mechanischer, chemischer und biolo-gischer Verfahren getrennt und recycelt. Spurenelemente,seltene Erden und Edelmetalle werden ebenso wiederge-wonnen wie Faserbestandteile aus Textilbeton

SICHERHEITIn der Freizeit und währendder Arbeit schützen Spezial -tex tilien den Menschen vorgefährlichen Einflüssen undGewalt

PRODUKTIONEnergieeffiziente Produktionmit Reduktion von Schad -gas emissionen. Biologi sie -rung industrieller Herstel-lungsprozesse

Page 16: Perspektiven der Textilforschung

WOHNEN 18 Vorschläge für Assistenz, Einrich-tung, Energiegewinnung, Gebäude,Licht, Klima, Wand/Boden u. a.: Mö -

bel helfen beim Aufstehen durch Aufrichten oder An-heben des Körpers; langlebige, umzugsresistente,standardisierte Leichtbau-Möbel für häufigeren Woh-nungs-/Standortwechsel; Schnellwechselsysteme fürBoden- und Wandbeläge durch Textilverbindungen,Klettverschlüsse; nach Nutzungsszenarien umschaltbareBöden von glatt bis flauschig

ZUKUNFTSSTADT 14 Vorschläge zu Agrar, Gebäude,Ver- und Ent sor gung, Emission, Ener-giegewinnung, Verkehrssteuerung,

Wasser, Assistenz, darunter: feuer resistente, hitzebe-ständige und/oder selbstlöschende Textilien für neueAnforderungen im Brand- und Flammschutz; Lichtleit-systeme für Räume und unterirdische Gebäudeteile;textile Fahrbahnbeläge mit Displayfunktion zur Reali-sierung tageszeit- und verkehrsmengenabhängiger, fle-xibler Fahrbahnmarkierungen; Smart Textiles zurÜberwachung und Unterstützung, ggf. Teilautomatisie-rung des Individualverkehrs

BASISTHEMEN Sieben Ideen zu Demografie, Recyc-ling u. a.: wachsender Bedarf an Tech -nologien zur Unterstützung alter

Men schen im Alltag (künstliche Muskeln, Exo-Skelette,Gehhilfen, Handhabungsgeräte); gentechnische Lösun-gen für Organismen, die Verbundwerkstoffe recycelnkönnen; Nachteile bei der Trennung und Rückgewin-nung von Materialmischungen, Compounds und Ver-bundwerkstoffen durch neuartige Verfahren minimieren

27Bild im Hintergrund: Textilmaterialien als Werkstoff nehmen in ihrer Bedeutung weiter zu – sie entstehen mit modernsterTechnik wie dieser Abstandswebmaschine

�� Zu Beginn des Jahrzehnts zeichnet sich in derVor aus schau in allen für die Textilforschung

relevanten Themenfeldern Problemlösungsbe-darf ab. In der Energie wirtschaft wird beispiels-weise nach leistungsfähigen Speichermediengesucht. Werden diese „Super-Caps“ eines Tagesvielleicht aus faserbasierten Materialien gefer-tigt? Die Workshopteilnehmer listeten exakt 120solcher potenziellen Anwendungsmöglichkeiten„in Textil“ auf.

ARCHITEKTUR 20 Vorschläge zu den SchwerpunktenDach/Fassade, Gebäudedesign/ Ma-terial, Sicherheit, Monitoring, Instand-

setzung und Ver-/Entsorgung, darunter: adaptiveGebäudehüllen für neue Bauweisen und Eigenschaftenvon Häusern; Bioklimatisierung an Außenwänden mitselbstständiger Regelung für grüne Architektur; Wohn-zelte und mobile Wohncontainer; Modulbauweise mitLeichtbauelementen; mobile Raumstrukturen für verän-derliche Standorte

BEKLEIDUNG 13 Hinweise zu Funktionalisierung,Energieerzeugung, Produktion, Indi-vidualisierung und Recycling, so:

adaptive, „mitdenkende“ Bekleidung für hohe Funktio-nalität und Tragekomfort; Integration von Komponentenfür Kommunikation, Informationszugang und Datenaus-tausch; alternative Konfektionierungsmethoden wie Kle-ben, Laserschweißen; intelligente Nachnutzung vonAltkleidung zur Herstellung von Filtern

ENERGIE Elf Anregungen für Energieerzeugungund -speicherung, u. a.: Solarzellenoder Solarthermie-Kollektoren für

Dächer und Fassaden auf textiler Grundlage; Gewebe -struktur als Basis für künstliche Photosynthese – CO2

plus Sonnenlicht liefert O2 plus Biomasse; Energiespei-

cher „Super-Caps“ – große Oberfläche für hohe Spei-cherkapazität mithilfe faserbasierter Werkstoffe

ERNÄHRUNG Elf Empfehlungen zur Nahrungsmit-telproduktion und Trinkwassergewin-nung, darunter: Fasergewinnung aus

dem Meer zum Ersatz von Anbauflächen; Dachbegrü-nung zur dezentralen Lebensmittelgewinnung nahe amVerbraucher; Trinkwasserverbesserung am Point of Usestatt in Flaschen abgefülltes Wasser, z. B. durch textileWasserfilter

GESUNDHEIT Elf Hinweise rund um Implantate,Therapie, Monitoring und Schutz,zum Beispiel: Stammzellenzüchtung

auf textilen Trägermaterialien; Knochen-, Bänder- undSehnenersatz auf Basis textiler Strukturen; Medikamen-tendosierung in implantierten Depots über Smart -phones; sensorische Bettwäsche für die Überwachungund Diagnose der schlafspezifischen Körperfunktionen

MOBILITÄT Elf Szenarien für Assistenz und Fahr-zeugbau, darunter: Ortungssystemefür orientierungslose oder orientie-

rungsschwache Menschen mithilfe von Smart Textiles;Überwindung von Treppenstufen und Höhenunterschie-den wie bei Buseinstieg durch Hubfunktion mit Pneu-matiktextilien wie Hubkissen; pflegeleichte undselbstreinigende Sitzbezüge für Car-Sharing; selbstrepa-rierende Werkstoffe für Kratzer und Beulen

PRODUKTION/LOGISTIK Vier Ideen für Verfahren und Verpa-ckungen, so: vollautomatische Textil-produktion am Point of Sale, darunter

3D-Druck, -Weben, -Stricken, -Wir ken und -Flechten;kompostierbare (Mehrweg-)Verpackungen aus nach-wachsenden Roh stoffen

TEXTILE LÖSUNGSMÖGLICHKEITEN

26

Page 17: Perspektiven der Textilforschung

„Lieber in die Zukunft mitAufwand als Auf-

wand ohne Zukunft.“Dr. Klaus Jansen

29Bild im Hintergrund: Nicht nur für Schutzhandschuhe – die thermoplastische Punktbeschichtung von Textilfasern wirdüberall dort eingesetzt, wo es um Abrieb- und Grifffestigkeit, das Absorbieren von Flüssigkeiten oder Reflexionen geht

�� Die Textil- und Modeindustriegehört zu den innovativsten

und kreativsten Wirtschaftsberei-chen. Ihre Zukunftsfähigkeit be-ruht auf Überlegenheit bezüglichEffizienz und Innovation. Dazu tra-gen die enge Zusammenarbeit mitder Textilforschung und die Ver-netzung der Branche mit anderenWirtschaftszweigen und Techno-logiegebieten bei.

Mehr als andere Werkstoffe ist Textil in der Lage, Bei-träge für die nachhaltige Gestalt der Welt von morgenzu liefern. Gesellschaftliche Megatrends, wie der demo-grafische Wandel einhergehend mit wachsenden Aus-gaben des Gesundheitswesens, global wachsendeMobilitätsbedürfnisse, die Reduzierung von Treibhaus-gasen, der forcierte Einsatz erneuerbarer Energien, einesaubere Umwelt und ressourcenschonende Produktionund Produkte werden zu textilen Treibern. Die Textilfor-schung ist Impulsgeber, um neueste Forschungserkennt-nisse erfolgreich in innovative Produkte umzusetzen.Denn die Hightech-Felder von heute sind die Volumen-märkte von morgen. Besondere Potenziale zur Eindämmung globaler Um-weltprobleme bieten Faserverbundwerkstoffe für denLeichtbau, denn Gewichtsverminderung senkt den Ener-gieverbrauch. Aus gutem Grund spricht man davon,dass Carbon der Stahl des 21. Jahrhunderts werdenkann. Der Weg zur Massenanwendung ist vorgezeichnet.Die Herausforderungen liegen in der Preissenkung, derVerfügbarkeit der notwendigen Fasern und der Auto -ma ti sierung des Herstellungsprozesses, insbesonderein neuen Verfahren zum Recycling dieser Compounds.Forschung und Entwicklung tragen dazu bei, kosten-günstigere alternative Fasertypen zu entwickeln undentscheidende Prozessautomatisierungen zu erreichen.

Dr. Wolf-Rüdiger Baumann, Hauptgeschäftsführer Gesamtverband der deutschen

Textil- und Modeindustrie (t+m)www.textil-mode.de

�� Die Zeit ist reif für Leichtbau-strukturen aus stark belast-

baren Verstärkungstextilien. Daswar vor genau 30 Jahren einzentraler Gründungsgedanke un-seres in Saer beck (Westfalen) an -sässigen Unternehmens, dessensechs Mitarbeiter damals das Er-fahrungswissen der textilen Flä-chenproduktion mit einbrachten.Unsere erste Innovation: Armie-rungsflächen aus vernähten Gelegen. Heute sind die vergleichsweise leichten carbon- bzw.glasfaserverstärkten Kunststoffe (CFK bzw. GFK) aus demAlltag nicht mehr wegzudenken und beflügeln so man-che technische Zu kunftsträume. Das Interieur in öffentli-chen Verkehrsmitteln besteht aus diesen Materialienebenso wie die bis 60 Meter langen Windrad-Rotoren,erste Pkw-Komplettkarossen oder Flügel und Rumpf-schalen von Flugzeugen. Letztere sind gegenüber Kon-struktionen aus Aluminium 50 Prozent leichter undermöglichen enorme Treibstoffeinsparungen.

Bedarf und Anwendungsmöglichkeiten für kunststofffa-serverstärkte Bauteile wachsen auch aufgrund steigen-der Energiepreise seit Jahren rasant. Auch deshalb undweil wir mit der Textilforschung über Deutschland hinausauf enger Tuchfühlung sind, ist die SAERTEX-Gruppe mitüber 1.000 Mitarbeitern an zehn Standorten und achtLändern auf diesem Gebiet weltweit führend.Gemeinsam mit Industriepartnern und Forschern entwi-ckeln wir für unterschiedliche Einsatzfelder gerade dienächste Generation von Gelegen – von hochfest bist ul-trasteif: Für den Fahrzeug- und Schiffbau sind das bei-spielsweise feuerfeste Materialien aus Glasfasern, diesogar später schmelzen als Stahl. Die Raumfahrt erwartetvon uns ein hyperleichtes Bauteilmaterial, das auch fürden Flugzeugbau interessant ist.

Bruno Lammers, Geschäftsführer SAERTEX GmbH & Co. KG,

www.saertex.de

HIGHTEX ALS PROBLEMLÖSER

28

„Ich beschäftigemich nicht mit dem,was getan worden

ist. Mich interessiert,was getan werden

muss.“ MarieCurie

„Ich denke vielan die Zukunft, weildas der Ort ist, woich den Rest meinesLebens zubringenwerde.“ Woody

Allen

„Die Antwortenzu unseren Proble-men kommen ausder Zukunft und

nicht von gestern.“ Frederic Vester

„Die Lebenskrafteines Zeitalters

liegt nicht in seinerErnte, sondern in seiner Aussaat.“

Ludwig Börne

„Unsere Haupt-aufgabe ist nicht, zuerkennen, was unklarin weiter Entfernungliegt, sondern zu tun,

was klar vor unsliegt.“ Thomas

Carlyle

„Jetzt sind dieguten alten Zeiten,nach denen wir unsin zehn Jahren zu-rücksehnen.“ Peter

Ustinov

ZUKUNFT & GEGENWARTKurz und bündig zitiert

Page 18: Perspektiven der Textilforschung

31Bei der Erzeugung und Verarbeitung von Nahrungs- und Lebensmitteln spielen textilbasierte Lösungen – vom „Ackerboden“aus nährstoffangereicherten textilen Pflanzenträgern für den Einsatz in Agrar-Hochhäusern bis zu adhäsionsarmen Gär-tüchern für Großbäckereien – eine zunehmende Rolle

ERNÄHRUNGSKONZEPTELebensmittel aus dem Algen -reichtum der Meere und über Zellwachstum gezüchtetesFleisch bereichern immerhäu fi ger den Speiseplan

ANBAUFLÄCHEN Nachhaltige Sicherung undErweiterung landwirt schaft -licher Produktionsflächenauf dem Land, in Städtenund auf dem Meeresboden

WASSERTrinkwassergewinnung(Regen, Brauchwasser, Meer,Nebel, Kondensat), Nutzung und Wiederaufbereitunghaben in allen Weltregioneneinen gleich hohen Stellen-wert

30

THEMENFELD ERNÄHRUNG

�� Vegetarische Lebensmittel sichern die Grund -versorgung der Bevölkerung. Fleisch wird

mit gezüchtetem Zellgewebe künstlich produ-ziert; Functional Food ergänzt die Nahrung umgesundheitsfördernde Aspekte

�� Größere Anstrengungen zur Gewinnung vonTrinkwasser aus nachhaltigen Quellen sind

erfolgt (Regenwasser, Brauchwasser, Meerwas-ser); die effiziente Trinkwasserverfügbarkeitdurch Beseitigung von Rohrleitungsverlustenund wirtschaftlichen Transport und Logistik istumgesetzt

PRÄMISSEN 2050

�� Erschließung neuer landwirtschaftlicher Pro-duktionsflächen in bisher unfruchtbaren Ge-

bieten, im Meer (Aquafarming) oder in Städten(Vertical Farming); neue Sorten steigern die Nah-rungsmittelproduktion um 60 Prozent

�� Durch einen effizienteren Umgang mit Le-bensmitteln lassen sich die verfügbaren Ka-

lorien pro Person um fast 50 Prozent steigern;2010 dagegen verdarb noch ein Drittel aller Le-bensmittel oder landete ungenutzt auf dem Müll

Nur 50 Jahre nach der Jahrtausendwende ist dieErdbevölkerung um drei weitere Milliarden an-gewachsen. Können die dann 9,2 Mrd. Erdbewoh-ner noch ausreichend versorgt werden? „Allewerden satt“, prognostizieren Landwirtschafts -ex perten. „Ja, aber...“, warnen Klima folgen -forscher angesichts der Tatsache, dass dieland wirtschaftliche Nutzfläche nicht nur durchausufernde Mega-Städte zu sehends kleinerwird. Vielmehr lässt vor allem der anhal-tende Klimawandel die Ackerflächenschrump fen. Stichworte dazu sindregionaler Wassermangel, vor an -schrei tende Verwüstung heutigerAnbauflächen, Missernten, Flä-chenbrände, Überflutungen,der unaufhaltsame Anstieg desMeeresspiegels und starke Ero-sion. Auf diese Widrigkeitenreagiert die Weltgemeinschaftnach Masterplan und geschlossen.Innovationen im Anbau und der Ver-arbeitung von Lebensmitteln spielenim Kampf um die Erhaltung der Lebens-grundlagen eine wesentliche Rolle.

LEBENSMITTEL -PRODUKTIONInnovationen und ressour -cen s parende Technologienfür Effizienzsprünge beiProduktion, Logistik undNahrungsmittelverwertung

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

NAHRUNGSMITTELPRODUKTION

�� Dachbegrünung zur dezentralen Lebens mit -tel gewinnung (Gemüse) nahe am Verbrau-

cher, Gewächshäuser mit autarker Energiever-sorgung und geschlossenem Wasserkreislauffür Wüstengebiete; verstärkte Algen- und Chi -tin nutzung für Lebensmittel; Fasergewinnungals Ersatz von Anbauflächen für Baumwolle oderBiosprit aus dem Meer; Nutzung der Spektral -verschiebung von Solarstrahlen für verstärktesPflanzenwachstum in Gewächshäusern und beiVertical-Farming-Lösungen

TRINKWASSER

�� Wasserrückgewinnung mit effektiven, ein-fachen Aufbereitungssystemen für Haus-

halte und Siedlungen; Ernte von Tau und Nebelals massenhafte Methoden der Wassergewin-nung in wasserarmen Regionen; Trinkwasserbe-reitstellung am Point of Use (statt in Flaschenabgefülltes Wasser das örtlich vorhandene Was-ser durch textile Filter aufbereiten); Module zurenergiearmen Meerwasserentsalzung auf derGrundlage von Textilstrukturen; Entwicklungvon Sensoren u. a. für Hormone, Desinfektions-mittel, Medikamente zur gezielten Beseitigungdieser Eintragsstoffe beim Klärprozess mithilfetextiler Filter

Page 19: Perspektiven der Textilforschung

�� Kaum eine Branche hat bisher so intensiv indie Zukunft geschaut wie die Textilbranche.

Der mo de rier te Diskussions- und Kreativitäts -pro zess, an dem Institutsleiter und Unterneh -mens geschäfts führer ebenso beteiligt waren wieFor scher, Studenten und Vertreter von Verbands-und Fachgruppen, gibt im Ergebnis drei Anregun-gen zu den Stichworten Sachkunde, Motivationund Kommunikation.

• Das strukturiert aufgearbeitete Material- und die Er-kenntnisfülle zu neun Themenfeldern gibt Instituten undUnternehmen wie ein Kompass für eine Zukunftsland-karte zusätzliche Orientierung bei der Fortführung not-wendiger Strategiediskussionen. • Die Tatsache, dass über 80 Akteure jetzt mit neuemmethodischem Wissen und ggf. auch mehr Spaß an dieAbleitung von Zukunftserfordernissen gehen, ist wich-tiger Motivationsfaktor für die Einbeziehung weitererMitarbeiter in diesen Prozess. • Die vorliegende Broschüre und die „dahinter“ im In-ternet liegende Material-, Fakten- und Ideensammlungbietet Anknüpfungspunkte für Wissensaustausch undKommunikation weit über die Textilbranche hinaus.

Wie bewertet der Vorstandsvorsitzende des For -schungs kuratoriums Textil e. V. die neuen Er -kennt nisse? Fragen an den Unternehmer KlausHuneke:

Mit Blick auf das nächste Jahrzehnt muss die Tex-tilforschung etliche Weichen stellen …… ja, und einige davon recht bald. Das ist mir nach denZukunftsszenarien unseres Verbandes noch bewusstergeworden. In der globalen Welt bleiben Wertschöpfungund Arbeit nur dann am Standort Deutschland, wennwir vor allem in den Unternehmen selbst mehr auf For-schung und Innovation setzen. Da viele Impulse überFörderprojekte kommen, sollten Bund und Länder mit-telfristig über eine zukunftsorientierte Steigerung derFördermittel nachdenken.

Die „Perspektiven 2025“ liegen auf dem Tisch, wosehen Sie unternehmerische Chancen? Wir werden als FKT über die Ergebnisse des Projekts vorallem die uns angeschlossenen Fach- und Regional -verbände und damit zahlreiche Firmen informieren. DieTextilunternehmen selbst sollten in den vielen jetzt vor-liegenden Ideen jedoch Gestaltungschancen für sich er -ken nen. Durch die methodisch wirkungsvoll begleitete„Rückschau“ aus dem Jahr 2025 auf die Gegenwart hatdas jeweilige Management vor Ort exzellente Möglich-keiten, in weiterführenden Projekten geschäftsnahe Sze-narien und wertvolle Impulse für Innovationen sowieneue Umsatzsteigerungen abzuleiten.

Das FKT hat sich auch dem Wissenstransfer ver-schrieben. Was muss besser laufen? Wir sind dort besonders erfolgreich, wo wir von Anfangan den Dialog mit der Wirtschaft, der Politik und wegender Interdisziplinarität mit anderen Branchen suchen.Über alle Köpfe hinweg entwickelte Hightech-Textilien,die keinen realen Bedarf bedienen, kann sich heute kei-ner mehr leisten. Andererseits müssen wir auch auf in-ternationaler Ebene das „Gras wachsen hören“ – also inBrüssel in den wichtigen Arbeitskreisen vertreten sein,uns mehr in internationale Netzwerke einbringen undstärker mit Textilforschern von anderen Kontinenten anneuen Gemeinschaftsprojekten arbeiten. Wie geradeLetzteres gestaltet und finanziert werden könnte, stehtfast noch in den Sternen.

PRÄMISSEN 2025: Kompass für unternehmerische Chancen

33

�� Auch die textilen Lösungsansätze für diesesSegment wurden in den FKT-Workshops be-

wertet. Obwohl Herausforderungen und der In-novationsbedarf rund um das Thema Ernährunggroß sind, zeichnen sich für die insgesamt achtskizzierten Ideenvorschläge kaum kurzfristigeMarktchancen ab.

Industrieexperten sehen allerdings in jeweils fünf biszehn Jahren durchaus Bedarfs- und damit Umsatzpo-tenzial. Zwei Vorschläge sind demnach für den Massen-markt inte ressant: textile Irrigationssysteme aufVliesbasis für den Kapillartransport von Wasser, Nähr-stoffen und Dünger an die Pflanzenwurzeln sowieAgrarteppiche für den bodenunabhängigen Pflanzen-anbau. Eher Nischenmarktcharakter wird solchen Pro-jektideen wie textilen Gewebestrukturen für das TissueEngineering (Grundlage für künstliches Fleisch), textilgebundenen Düngemitteln zur kontinuierlichen Pflan-zenversorgung und textilen Wassertanks zum Trink-wassertransport attestiert.

MEINE MARKTSICHT

�� Textile Herausforderungen im Hightech-Themen-feld Ernährung ergeben sich insbesondere für den

Primärbereich, d.h. für die landwirtschaftliche Erzeu-gung von Lebensmitteln, z.B. textile Strukturen für denbodenunabhängigen Pflanzenbau oder zur Meerwas-serentsalzung. Im Bereich der industriellen Lebensmit-

telbe- und -verarbeitung, in dem der von mir geleiteteForschungskreis der Ernährungsindustrie tätig ist, fälltdie Zuständigkeit für die Entwicklung und den Einsatzneuer technischer Textilien vor allem auf die Zulieferin-dustrie, d.h. auf den Nahrungsmittel- und Verpackungs-maschinenbau. Die Lebensmittelindustrie benötigtbeispielsweise unter dem Stichwort „Hygienic Design“ständig neue textile Materialien mit besseren und vorallem funktionaleren Oberflächeneigenschaften.

Wünschenswert sind zum Beispiel Gärtücher für denBackwarenbereich mit geringerer Adhäsion und besse-ren Möglichkeiten zur Reinigung bzw. mit selbstreini-genden Fähigkeiten. Die Textilforschung kann auch dazubeitragen, die Standzeiten von Filtersystemen in der Ge-tränkeindustrie zu verbessern und damit Kosten für dieLebensmittelproduzenten zu sparen. Auch die Suchenach produktionsgeeigneten Textilsystemen ohneWechselwirkungen mit Lebensmittelinhaltsstoffen bleibteine ständige Herausforderung. Last but not least gehtes auch um den Einsatz neuer Textilien zur Klimatisie-rung von Produktions- oder Sterilräumen der Lebens-mittelindustrie, zum Beispiel um Gewebeschläuche, diesich durch eine bessere Sterilisierbarkeit und gleichmä-ßigere Temperierbarkeit des Materials auszeichnen.

Dr. Volker Häusser, Geschäftsführer Forschungskreis Ernährungsindustrie e.V. (FEI),

www.fei-bonn.de

Überschaubare Marktvolumina

32 Bilder von links: Hauswände, Dächer, steile Böschungen und Lärmschutzwände – mit vergleichsweise leichtem „Unter-bau“ bzw. Bewässerungsmatten aus Textil rückt sogenanntes Vertical Farming in nicht mehr allzu große Ferne | AusGärtnereien schon heute nicht mehr wegzudenken: wasserabweisende Bodenmatten aus strapazierfähigem Gewebe

THEMENFELD ERNÄHRUNG

Page 20: Perspektiven der Textilforschung

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ENERGIEERZEUGUNGMix aus Wind (Kamin wir -kung hoher Gebäude), Pho -to voltaik, Abwasser (Tem pe-ratur, Strömung), Tempera-turunterschieden und Druck(stark frequentierte Boden-flächen)

WASSERWassergewinnung aus Regenund Nebel; Aufbereitungdurch Einsatz leis tungs fähigerFiltersysteme

BAUMATERIALTextilbewehrter Beton in tra - genden und nicht tragen denStrukturen, verstärkter Ein-satz nachwachsender Roh - stoffe und von Mem bra nenin Innenarchitektur und Ge-bäudedesign (Adaption anAußeneinflüsse, Funktionsin-tegration)

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

�� Geotextilien: funktionale Landschafts- undGeotextilien

�� Innenarchitektur: recycelbare Bodenbelägeauf textiler Grundlage

�� Fassade/Dach: Textilbewehrungen für neueDach- und Fassadenkonstruktionen

�� Gebäudedesign: architektonisch an spre -chen de Gebäudegestaltung mittels Textil-

beton für tragende Strukturen

�� Innenarchitektur: flexible Architektur mittexti len Trennwänden, Raumteilern zur be -

darfs ge rechten Raumaufteilung bzw. Wechselzwi schen Büroraum und Freizeitnutzung; trans-portable Membranwände mit multifunktionalenEigenschaften (einstellbare Transparenz, Isola-tion von Wärme und Schall)

�� Material: gewebte Wand als Verschalungs-element; textile Membranen mit Funktions-

integration und Anpassungsfähigkeit

�� Monitoring: textile Sensoren zum Erkennenvon Feuer (Hitze, Rauchentwicklung), Un -

dich tigkeiten, Wasserschäden, Gas und Ver-schleiß

�� Ver- und Entsorgung: Entwicklung kleintei-liger, vielfältiger Passivhaus-Versorgungs-

systeme unter Einsatz biegeschlaffer und steiferTextilkomponenten; Wärmeregulation mit bi-funktionalen Textilien; Wärmeverteilung in Ge-bäuden über textile Wandsysteme

SANIERUNGNutzungsverlängerung alterBauwerke ohne optischeVer änderung (dämmen, ver-stärken, instandsetzen, ener -ge tisch optimieren) samtIntegration energie erzeu gen - der Maßnahmen in Wän de,Fassaden, Decken und Moni-toring u.a. von Ge bäu des -chäden über Sensoren

34 Textile Stadiondächer, Fassaden, Abschattungen und Bewehrungen – für Architektur und Bauwesen ist das Thema Textilbereits heute ein Innovationsmotor

THEMENFELD ARCHITEKTUR

�� Trinkwasser und Brauchwasser (Grauwasser)werden in getrennten Versorgungssystemen

bereitgestellt und bereits mehrfach genutzt

�� Weitere Zunahme bei der Verwendung na-türlicher Baustoffe; der Einsatz von Rohstof-

fen wurde durch textile Bewehrung in Beton undneue Dämmmaterialien gegen Wärme und Schallstark reduziert

PRÄMISSEN 2050

�� Plusenergiehäuser sind Standard und Pflichtbei Neubauten; jedes Gebäude muss mehr

Energie gewinnen, als es selbst verbraucht

�� Neben Fassaden und Lärmschutzwändenwer den selbst stark frequentierte Fußboden-

und Fahrbahnbeläge zur Energiegewinnung ge-nutzt (Energy Harvesting)

NUTZUNGSKONZEPTEModulare Leichtbauteile fürWände und Decken (au ßen/in nen) ermöglichen, Räu me inGröße und Funktion zu än-dern; Schall-, Wärmeisolation,Durch sichtigkeit von Wändenund Fenstern ist steuerbar

KLIMATISIERUNGWärme-, Kälteverteilung inGe bäuden über Wände, De -cken, Textilien; Glasfassadenregulieren Licht-, Wär me ein -fall; natürliches Licht wird analle Stellen im Gebäude ge-leitet

Textilien sind für Architektur und Bauwesen wich-tige Innovationsgaranten. Was sich heute schon anPrestigebauten wie Stadien, Flughäfen und Unter-nehmenszentralen andeutet, ist längst Stan dard:der Einsatz hochfester und zudem leichter Glas-bzw. Kohlenstoff-Faserverbünde für optisch auffäl-lige Fassaden, durchsichtigen und großflächigenWetterschutz bzw. für in tel li gen te Abschattungen.

Die herkömmliche Stahlbe wehrung im Betonwurde durch Faser ver stär kun gen ersetzt. DieserMassenwerkstoff ermöglicht neue, aus der Bionikabgeleitete ar chitektonische Ausdrucksformen mitzudem sparsamem Materialeinsatz und guter Re-cyclingfähigkeit. Gebäude mit Dämmmaterialienaus nachwachsenden Rohstoffen sind Energieer-zeuger und erhalten zunehmend auch Funktionenzur Nahrungsmittelproduktion. Textile Lichtleiterbringen Tageslicht z. B. in Tiefgaragen ein; textileOberflächen leuchten zur Orientierung.

Page 21: Perspektiven der Textilforschung

37

VER- UND ENTSORGUNGSonnen- und Lichtleitsys teme erhellen Häuserschluchten,rückwärtige Räume und unterirdische Gebäudeteile

GEBÄUDE Paradigmenwechsel auf demBau: Traditioneller Betonwird durch Textilbeton ersetzt; ent sprechendeFertigungs stät ten für textileBe weh run gen expandieren

EMISSION Der Lärmpegel in der Groß-stadt von morgen ist deut-lich geringer als heute, weilGeräte, Maschinen undVerkehrsmittel wesentlichgeräuscharmer sind; neuar-tige Lösungen für die Luft-reinhaltung haben ebensoEinzug gehalten wie Tech-

niken zur Reduzierung von Ozon, Feinstaub, Smog undSchadgasen. Verkehrsbedingte Emissionen wie Lärm undStaub werden u. a. durch geräuschabsorbierende Flüster-beläge auf den Fahrbahnen gemindert

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

GEBÄUDE

�� Feuerresistente, hitzebeständige und/oderselbstlöschende Textilien für neue Anforde-

rungen im Brand- und FlammschutzAGRAR

�� Geotextilien als Ersatz für Ackerkrume mitBewässerungs- und Düngeeigenschaften

sowie als Pflanzenträger�VER-/ENTSORGUNG

�� Textile Behälter u. a. zum Trinkwassertrans-port

INFRASTRUKTUR

�� Textilhaltige Fahrbahn-Flüsterbeläge und Ab - schattungstechnologien einschließlich UV-

Schutz für Gehwege, Spielplätze und Freiflächen

36 Futuristische Gebäudeformen, Vertikaltürme mit Agrarfunktion, Fahrbahnen zur Energieerzeugung – Gewebtes, Geflochtenesund Gesticktes in intelligenten Produkten und Leichtbauteilen sind prägend für die Stadt der Zukunft

THEMENFELD ZUKUNFTSSTADT

�� Intelligente und vernetzte Verkehrssystemevon Mikromobilität bis Fernverkehr kommu-

nizieren mit den Verkehrsteilnehmern für dieSteuerung des Reiseablaufs

�� Verkehrswege und Fahrbahnen haben inte-grierte Anzeigeelemente für verkehrsabhän-

gige Steuerung von Fahrspurbreiten, Fahrt-richtungen und Nutzungsrechte

�� Die autonome Riesenstadt ist Selbstversor-ger mit kurzen Wegen, geschlossenen Roh-

stoffkreisläufen und einem hohen Anteil vonlokalem Recycling

PRÄMISSEN 2050

�� In bisher unbewohnten Gebieten Asiens undAfrikas entstanden neue Riesenstädte. Kenn-

zeichen sind u.a. moderne Infrastruktur, Ressour-ceneffizienz und Nachhaltigkeit

�� Städte aus dem 19. und 20. Jahrhundert sa-nieren ihre Infrastruktur: Wasser-Abwasser-

Kreisläufe, Verkehrswege, Energieversorgung;zudem entsteht zunehmend lokale Wertschöpfung

�� Immer mehr setzt sich in Städten der Grund-satz „Benutzen statt besitzen“ durch. Aus

Produktkauf werden Miet- und Sharingmodelleu. a. für Autos, Elektrofahrräder, Heimwerker-Maschinen

WASSER Zum lokalen Wasserma na -ge ment gehören die Frisch -was ser ge winnung überKonden sationsflächenebenso wie die Wasser- undAbwasseraufbereitung fürRegen- und Brauchwasser

VERKEHR Intelligente Verkehrsleitsys - te me allerorten mit Flucht-weg-Management,Per sonenstromlenkung beiMassenveranstaltungen undVerkehrsmittel-Koordinationin Spitzenzeiten

Wer nachts im Langstreckenflieger in RichtungAmerika oder Asien sitzt, sieht heute schon Lich-termeere in schneller Abfolge: Großstädte undBallungszentren mit jeweils mehreren MillionenEinwohnern. Der „Run“ auf die Städte nimmt wei-ter zu. Bevölkerungsreiche Metropolen der Zu-kunft – Mega-Cities genannt – sind künftig nochgrößer und noch zahlreicher auf der Landkarte ver-treten. Obwohl jeweils Heimat für AbermillionenMenschen, nehmen in diesen Ballungsräumen In-dividualisierung und Flexibilität zu. Diese Trendswerden von funktionalen Textilmaterialien unter-stützt, Wohlfühlkomfort inklusive. FaserbasierteWerkstoffe sind dann auch fester Bestandteil kom-munaler Automatisierungslösungen für die Infra-struktur sowie intelligenter Kommunikations- undLogistiksysteme.

AGRAR Zunehmend vertikale Land-wirtschaft in extra dafürkonzipierten Hochhäusernbzw. offene Nahrungsmit-tel-Anbauflächen zur Versor -gung von Mensch und Tier

Page 22: Perspektiven der Textilforschung

39Vorgarn zur Herstellung von Kohlefasern

TEXTILNAHE IDEEN 2025(Nach Relevanz der Themen geordnet: zunehmen-der Abstand zur Gegenwart, Marktgröße fallend)

FAHRZEUGBAU

�� Komfortsteigerung für Insassen durch tex-tile Lösungen, z. B. für Sitze (Anpassbarkeit

an persönliches Körperprofil, komfortsteigern -de Wärmeregulierung, integrierte Massage -funk tion)

�� Textiles Licht im Innenraum sorgt für einAmbiente, das individuelle Farbwelten und

-szenarien durch den Benutzer ermöglicht

�� Textilverbundsysteme zur Gewichtsreduk-tion bei Fahrzeugen mit Energieeinsparung,

besserer Beschleunigung und geringeren Emis-sionen bei Abgas und Schadstoffen

�� Unfallschutz bei Fahrzeugen durch textile Lö-sungen außen am Fahrzeug, darunter Air bag

für Fußgänger und Radfahrer/Motorradfahrer

VERKEHRSMITTEL

�� Textile Transportbänder für Gehsteige undFußwege in und zwischen Gebäuden, z. B.

auf Flughäfen, auf Bahnhöfen und in Einkaufs-zentren

�� Verbesserung des Treibstoffverbrauchs unddes Flugverhaltens von Flugzeugen durch

Flügeloberflächen mit integrierten Aktuatoren

�� Nicht federnde und energievernichtendeFangzäune an Straßenrändern als textile Al-

ternative zu Leitplanken, die Beschädigungendes Fahrzeuges vermeiden

38 Mobil und möglichst CO2-arm in die Zukunft: Verkehrsmittel mit Außenhüllen aus hochfesten Glas- bzw. Carbonfaserkunst-stoffen verhelfen Solar- und Wasserstoff-Antriebskonzepten zum Durchbruch

THEMENFELD MOBILITÄT

Der Verkehr der Zukunft muss wieder fließen –vor allem stauärmer, umweltkonformer, ressour-censchonender und dazu auch koordinierter. Trans port mittel wie Elektrofahrräder und Klein -fahr zeuge, die vorwiegend von Sharing-Gesell-schaften zur Nutzung bereitgestellt werden, sindneben Bussen, Bahnen, Flugzeugen Teil eines ver-netzten Verkehrsmanagementkonzeptes. Wer Ver-kehrsmittel nutzen will, erhält für Anmietung undAuswahl per Smartphone entsprechende Assis-tenz. In Ballungsräumen verkehren emissions-arme bzw. -freie (Güter-)Züge; auf Langstreckenmöglicherweise Großraumflugzeuge für 1.000und mehr Fluggäste. Vor allem innerstädtischeVerkehrsströme werden rechnergestützt gelenkt,um Staus und Streckenüberlastungen zu vermei-den; Parkmöglichkeiten werden zugeteilt. Wegender Umorientierung auf eher lokale und regio-nale Produktions-, Nutzungs- und Verwertungs-kreisläufe hat die Zahl der Lkw auf den Straßendrastisch abgenommen. Fossile Brennstoffe alsTreibstoff der Mobilität gehen zur Neige und wer-den aus regenerativen Quellen ersetzt.

PRÄMISSEN 2050

�� Mobilität basiert auf der Vernetzung unter-schiedlicher Verkehrsmittel in integrierten

Mobilitätskonzepten

�� Verkehrsströme werden in gesamtheitli-chen Verkehrskonzepten unter Berücksich-

tigung aller Verkehrsmittel für Nah- undFernverkehr (Smart Traffic, Smart Cars, SmartMobility) gesteuert

�� Intelligente Assistenten ermitteln vomStart- zum Zielpunkt für definierte Nutzer-

prioritäten (schnell oder billig) die passendeVerbindung von Verkehrsmitteln und führendie notwendigen Reservierungen aus

�� Transportmittel werden überwiegend be-darfsgetrieben gemietet und nach Nutzung

berechnet

�� Verkehrsmittel sind getrennt in Elektromo-bilität für Kurzstrecken und Hybridantriebe

für längere Strecken. Innenstädte sind durchreine Elektromobilität emissionsfrei

�� Bewegungsdaten aller Verkehrsteilnehmerwerden genutzt für eine Durchsatzoptimie-

rung des Gesamtsystems Verkehr, für Park -raum management und für die Auslastung vonLadestationen

�� Der Flugverkehr nutzt inzwischen zu über40% Biokraftstoffe; Blue Petroleum aus

Algen ist die entsprechende Energiequelledafür

ASSISTENZTextilien unterstützen Be-weglichkeit und entlastenden Menschen bei Arbeit,Fortbewegung und dem Umgang mit Behinderungen

LEICHTBAUMATERIALIEN(CFK, GFK) werden in Auto,Bahn, Schiff, Flugzeug eben -so eingesetzt wie leis tungs -optimierte hybride Struk tu-ren aus Metall, Glas, Carbonund Kunststoff. Materialver-bünde bestehen vermehrt

aus Naturfasern und biobasierten Werkstoffen. Die Kompositedetektieren ih ren „Gesundheits“-Zustand; die Wiederverwen-dung durch sortenreine Auftrennung in Ursprungskomponen-ten ist üblich

AUSSENHÜLLENvon Verkehrsmitteln sindaus adaptiven, faserbasier-ten Werkstoffen. Das spartGewicht, reduziert Geräu-sche, schützt Fußgänger, er-möglicht Formänderungen(Aerodynamik, Reibung)

FAHRZEUGMATERIALIENsind an Multinutzerkonzepteangepasst. Sitzbezüge sindverschleißfrei, schmutzab- wei send und selbstreinigend. Farbanpassungen nachdem individuellen Nutzer-empfinden sind möglich

KOMFORT/ASSISTENZFahrzeuginnenräume unterstützen den Nutzerund passen sich an indivi-duelle Bedürfnisse an(Farbe, Licht, Sitzposition,Temperatur, Entertain-ment). Funktionsflächen

sind weit verbreitet (Wärme, Kühlung, Licht, Bedienele-mente). Gleichzeitig detektieren Sensoren Vitalparameterdes Fahrers, reagieren auf Risikosituationen und erhöhenso die Sicherheit der Insassen

Page 23: Perspektiven der Textilforschung

�� Was vor dem moderierten Blick auf diekommenden Jahrzehnte kaum mehr als in-

telligentes Wortspiel war, ist nach der über einJahr dauernden Reise der Textilforschung in dieZukunft jetzt für eine ganze Industriebranche alsMotto greifbar geworden. Eine Zukunftsreise mit Nutzwertcharakter für alle Ak-teure rund um Technische Textilien, Bekleidung undHeimtextilien. In der Bewertung des Forschungskurato-rium Textil e.V. hat das Projekt „Perspektiven 2025“…… die begrenzte Froschperspektive – ein Frosch imBrunnen kann den Himmel nur als helle Scheibe erken-nen – in einen holistischen Panoramablick auf die Zukunftverwandelt;

… durch breite Einbindung von Unternehmern, Forschernund Vertretern der jungen Akademikergeneration zu viel-fältigen und neutral bewerteten Erkenntnissen geführt; … durch die professionelle Moderation das Gruppen-wissen der Projektbeteiligten nutzbar gemacht und denAbgleich mit verfügbaren Zukunftsvisionen wie High -tech-Strategie des Bundesministeriums für Bildung undForschung sowie Zukunftsstudien unterschiedlicherBran chen ermöglicht; … eine Wissensbasis geschaffen, die es jedem Unterneh-men fortan erlaubt, aus diesen Vorarbeiten selbstständigoder mit Expertenbegleitung eine firmenspezifische Stra-tegie für Innovation und Geschäftsentwicklung abzuleiten.

ZUKUNFTSNAVIGATION MIT GREIFBAREM PRAXISNUTZEN

40

Die hoch spezialisierten Textilforschungsinstitute reagie-ren mit neuen Schwerpunktsetzungen zeitnah auf An-forderungen und Impulse aus der Praxis. Das war, wie

nachfolgende Themenauswahl zeigt, in den vergange-nen 20 Jahren so und wird in dieser Dynamik auch inden nächsten Jahren so fortgesetzt.

TEXTILINSTITUTE MIT STÄNDIG NEUEN THEMEN

„DAS DENKBARE MACHEN STATT DAS MACHBARE DENKEN!“

SÜD

1990 Luftspinnen (ITV)1998 Künstlicher Hautersatz (ITV)2000 Keramikfasern (ITCF)2001 Verbundblech Stahl/Textil (ITV)

UV-härtbare Inkjetdrucktinte (ITCF)2003 Textile Aktorik (ITV) 2006 Hinterleuchtete Textilien (ITV)2008 Umweltfreundliche

Celluloseregeneratfasern (ITCF)Farbsensor zur Abwasserkontrolle (ITCF)SolarTex-Jacke (HIT)

2009 Textil-Besiedlung mit Stammzellen (HIT)2010 3D-Reihen-Bodyvermessung (HIT)2011 Schwimmanzug mit

Mikroblaseneffekt (HIT)Stammzellen auf 3D-Implantaten/Fettzellen (HIT)

2012 Energieautarkes textiles Gebäude (ITV)Supermikrofasern (ITCF)

OST

1995 Textilleichtbau (ITM)Lyocellfasern (TITK)

1996 Textilelektronik (TITV)2000 Leuchttextilien (TITV)

Wurzelnahe Bewässerungsmatte (STFI)

2004 Biomedizintechnik/Medizintextilien(ITM) Explosionssicherer textiler Transportbehälter (STFI)

2005 Temperaturregelnde Mikrokompositfaser (TITK)

2006 Carbonfaser-Vliesstoff (STFI)2012 Feuerfest-Vlies (TITK)

NORDWEST

1990 3D-Textilverstärkung (ITA)1991 Textile Depotstrukturen (DTNW)1992 Textilbeton (ITA/ITM/STFI)1996 Transluzenter Beton (ITA)1997 Sol-Gel-Verfahren für multi-

funktionelle Dünnschichten (DTNW)1999 Technische Textilien mit katalytischen

Eigenschaften (DTNW)2003 Taylored Reinforcement

Structures (ITA)2004 Textile Solarzelle (DTNW)2005 CFK-Druckkalotte für A 380 (FIBRE)2006 Polymere Heizelemente (DTNW)

FIBRE (Faserinstitut Bremen), DTNW (Deutsches Textilforschungszentrum Nord-West, Institutan der Universität Duisburg-Essen, Krefeld), HIT (Hohenstein Institut für Textilinnovationen,Bönnigheim), ITA (Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen University), ITM (Institut fürTextilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik TU Dresden), ITV (Institut für Tex-til- und Verfahrenstechnik, Denkendorf), STFI (Sächsisches Textilforschungsinstitut an der TUChemnitz), TITV (Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland, Greiz), TITK (Thüringisches In-stitut für Textil- und Kunststoff-Forschung, Rudolstadt)

FORTSETZUNG IM INTERNET

Die Materialfülle hinter den „Perspektiven 2025“ ist be-eindruckend und von den Ergebnissen her nützlich – zumBeispiel für Unternehmen, die daraus Rückschlüsse für ihrejeweilige Strategie ziehen wollen. Dass diese Broschüreauch im Internet unter www.textilforschung.de fortgesetztwird, hat neben dem Transparenz gedanken hinsichtlichHeran gehen und Methodik vor allem eine Ursache: Die vonden zeitweiligen Teams erarbeiteten und nach ihren Markt-potenzialen bewerteten Ergebnisse sind wichtige Bau-

steine für den Wissenstransfer in die Praxis. Mit ihnen die Zukunft zu „bauen“, um imSprachbild zu bleiben, ist Anliegen des Textilforschungskuratoriums, das in den 60 Jahren

seines Bestehens vordringlich die Überleitung von Forschungsergebnissen in die mittel-ständische Praxis unterstützt. Das virtuelle Projekt „Perspektiven 2025“ verfügt nach Neugestaltung der Homepage2013 über einen öffentlichen sowie über einen passwortgeschützten Bereich. Allgemeinzugänglich sind u. a. Projektdokumentation und -ablauf, Hintergrundinfos zur Zukunfts-forschung, ausgewählte Zukunftsfelder inklusive sämtlicher textiler Ideen und textilerProblemlösungsvorschläge. Zugleich werden aktuelle Termine für Zukunftsworkshopsdes Forschungskuratoriums Textil angekündigt und retrospektiv über die Ergebnisse vor-angegangener Veranstaltungen informiert. Im Passwortbereich finden Sie Links zu weit über 50 Zukunftsstudien als Materialgrund-lage für die Vorausschau auf Textilien der Zukunft und ausführliche Informationen zujeder der neun Themenlandschaften. Verfügbar sind auch die zugehörigen Themenlistenund Bewertungen hinsichtlich Relevanz und Marktpotenzial sowie Dokumente und Foto -material zum Download.

Page 24: Perspektiven der Textilforschung

In enger Zusammenarbeit mit einem „Zukunftslotsen“ haben rund 80 Un-

ternehmensmitarbeiter, Wissenschaftler und Studenten mit Blick auf das Jahr

2025 die neuen Leitthemen für die Textilforschung entwickelt. Die Themen-

felder mit Seitenangabe auf einen Blick:

Informationen zu den Basisthemen auf den Seiten 24/25.

PERSPEKTIVEN 2025

ARCHITEKTURS. 34/35

BEKLEIDUNGS. 6–9

ENERGIES. 18/19

ERNÄHRUNGS. 30–32

GESUNDHEITS. 20–23

MOBILITÄTS. 38/39

PRODUKTIONLOGISTIKS. 16/17

WOHNENS. 12–15

ZUKUNFTS-STADT

S. 36/37

�� Das Wichtigste zum Schluss: gebündelte For-schungsziele als Destillat aus 250 textilen

Visio nen. Sie sind Ergebnis der über einjährigenZu kunfts-„Reise“ des Textilforschungskuratori-ums in das Jahr 2025. Fazit: Für das nächste Jahr-zehnt erkannte Themenschwerpunkte müssen inden kommenden Jahren mit vorbereitenden For -schungs projekten auf den Weg gebracht werden.

ARCHITEKTURTextile Sensoren zur Online-Messung und Integration inTragwerken und Verkleidungen; Leichtbaustrukturennach bionischen Vorbildern; funktionale Faserbaustoffe,die auf Wärme, Kälte, Licht und Wasser reagieren; Re-cyclingkonzepte für Baumaterialien

BEKLEIDUNG Adaptive Materialien, die auf Feuchtigkeit, Hitze, Kälte,UV-Strahlung, Stoß bzw. Zug ansprechen und den Trä-ger schützen; Integration sensorischer Eigenschaften indie Faser zur Erkennung von Schadgasen, Chemikalienund biologischen Gefahrstoffen bzw. schädlicher Strah-lung sowie zur Erfassung der Vitalparameter des Trä-gers; energieerzeugende und -speichernde Fasern;Verbesserung des Tragekomforts durch steuerbare Iso-lation, Luftdurchlässigkeit; steuerbare Farbwechselfunk-tion für Fasermaterialien; Produktionstechnologien fürlokale, personalisierte, konsumentennahe Fertigung vonBekleidung

ENERGIEEntwicklung der textilen Solarzelle zur Serienreife (Fadenwird zur Zelle, Flächen sind druckbar); Speicherung elek-trischer Energie in der Faser; piezoelektrische Fasern mithöherem Wirkungsgrad; Fasern mit Energieerzeugungnach dem Vorbild der Natur (Photosynthese); Raumtem-peratur-Supraleiter in Faserform

ERNÄHRUNGFasermaterialien, die Wasser und Dünger speichern, überweite Strecken transportieren und gezielt freigeben;biotechnologische Faserproduktion; Träger-, Zuchtma te -

FORSCHUNGSZIELE NACH THEMENFELDERN

rialien für pflanzliche/tierische Zellen; selektive Filter -materialien mit sensorischen Eigenschaften zur Trinkwas-seraufbereitung; Geotextilien für Landwirtschaft in heuteunfruchtbaren Gebieten; textile Lösungen gegen Boden-erosion; Textilien zur Wassergewinnung in trockenen Ge-bieten; Ersatz von Kunststoffverpackungen durch textileMaterialien oder faserbasierte biologische Verbundma-terialien; textile Lösungen für Gemüse und Obstanbauan Gebäudefassaden und in „grünen“ Raumteilern

GESUNDHEITEntwicklung neuer biokompatibler Polymere und textilerFlächen (z. B. künstliche Muskeln); textilbasierte Sensorenzur Integration in Bekleidung, Heim- und Haus textilien;Herstellungsverfahren für räumliche Trägerstrukturen;Depot-Fasern mit pharmazeutischen Wirksubstanzenund kontrollierter Freigabekinetik; aktorische Materialienfür künstliche Muskeln; Funktionalisierung textiler Ober-flächen zur selektiven Abtrennung bioaktiver Schadsub-stanzen

MOBILITÄTRecyclingkonzepte für Verbundmaterialien zur sorten-reinen Auftrennung und Wiederverwendung; Kunst-stofferzeugung mit anschließender Weiterverarbeitungzu Fasern aus nachwachsenden Rohstoffen bzw. überbiotechnologische Produktionsverfahren; Funktions -integration in textile Flächen: Der Faden ist Sensor, me -cha nischer Aktuator und bekommt elektronischeFunk tionen, ist gezielt adressierbar, leuchtet, wärmt,kühlt, erzeugt Energie und speichert sie

PRODUKTION/LOGISTIKErweiterung der Nutzung nachwachsender Rohstoffe inVerpackungsmaterialien; neue biologisch abbaubare Po-lymere aus nachwachsenden Rohstoffen; textiles Proto-typing: 3D-Produktionstechnologien zur Verarbeitungvon faserbasierten Werkstoffen; neue Materialien fürleistungsfähigere und effizientere Textilmaschinen; An-lagentechnologien mit variablen Nutzungsmöglichkei-ten; zentrale, vollstufige Produktionskonzepte für kleineLosgrößen; neue Organisationsformen und Geschäfts-

modelle, um in dynamischen Netzwerken und Kleinst-fabriken zu entwickeln und produzieren; Weiterentwick-lung der IT-Unterstützung für Transparenz, Simulation,Koordination, Kommunikation, Wissensmanagement

WOHNENOberflächen-Funktionalisierung mit den Eigenschaftendauerhaft, haltbar und verschleißbeständig; lichtemittie-rende Textilien; reversible, steuerbare Farbwechsel effek -te; Beschattungstextilien mit einstellbarer Transparenz;Vertiefung des Forschungsfeldes Textil sensorik (Anzeigeder Dehnungsbelastung von Fasern, Erfassung der Be-lastungshistorie); schall- und temperaturdämmendeTextilien

ZUKUNFTSSTADT„Textile Erde“ für lokale Nahrungsmittelproduktion alsSpeicher für Nährstoffe und mit Fähigkeiten zur Just-in-Time-Bewässerung; Nahrungsmittelanbau auf Dächern,an Fassaden und in Gebäuden; lokales Recycling vonRohstoffen für Textilien (insbesondere leicht kompos-tierbare Materialien); Lichtleitsysteme für Gebäude; Bio-nik-Verständnis für Flüssigkeitstransport (waagerechtund senkrecht); textiler Leichtbau evtl. mit Bionik-Lösun-gen (Bambus, Schilf)

BASISTHEMENVerarbeitungstechnologien für nachwachsende Roh-stoffe; Konzeption geschlossener Produktionskreisläufe;recyclinggerechtes Produktdesign; Abbau- und Tren-nungsverfahren für Multi-Material-Mischungen in Pro-dukten; Erfahrungs- und Wissensmanagement in derAusbildung von Fachkräften

6–9

12–15

16/17

18/19

20–23

24/25

30–32

34/35

36/37

38/39

Bilder Umschlagseiten vorn: Ohne Tunnelblick in die Zukunft – Eingang zum Energieforum Berlin | Aachen: Prüfung neuerFasern zum Einsatz in Lichtbeton | Eiskunstlauf-Weltmeister Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy mit LED-Kostümen

Mitglieder des Kernteams „Perspektiven 2025“ sowie Teilnehmer der Zukunftsworkshops und -seminare des FKT in Sachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen | Hunderte Ideenzettel als Ergebnis

Bilder Umschlagseiten hinten: Hans-Gerd Schmees stellt an einer 3D-Wirkmaschine in Denkendorf Gefäßprothesen her |Auffallend anders: Textilien mit drei Leuchtfarben | Textilforscherin Evi Held-Föhn begutachtet eine Zellkultur | Innovativ in die Zukunft mit Textilien aus Biomilchfasern

Page 25: Perspektiven der Textilforschung

ImpressumForschungskuratorium Textil e. V. Reinhardtstraße 12–14, 10117 Berlin www.textilforschung.deRedaktion: Checkpoint Media®

Grafik: Heike Unger

Fotoquellen

U 3/4: FKT (73), CHT R. BEITLICH, DITF-MR, DWI, EURATEX, Heimbach, Hohenstein, ITA, ITV (2), ITM, SGL Kümpers; T. Strobel; TITV, t+m, VDMA ||

06photo (Digistock) S. 16/1 || blueximages (Digistock) S. 38/1 || BMW S. 3/1, 39/2 || D. Bühn (Digistock) S. 38/2) || E. Dmitry (Digistock) S. 30/1 ||

ETTLIN S. 12/3, 13/4, 14 1-3 || FEI S. 32/1 || Fotolia S. 8/3 || A-M Fuhr U 8/2, S. 8/1 || Future Shape S. 23/1-2, 34/2 || H. Götz (Digistock) S. 19/1 || C.

Hagn Design S. 15/1-2 || GERMENS art fashion U 2, S. George S. 25/2 || Globetrotter (Digistock) S. 32/2 || D. Happes (Digistock) S. 37/3 || Heimbach

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S. 2; 20/2, 22/2, 29, 37/1 || ITV S. 25/3/5, 34/1 || ITV/Q. Chen U 2/1, U 8/1, S. 3/2, 6/1, 7/2-4, 17/2 || 21/3, 27, 39/1/3/5 || M. Jacobi (Digistock) S. 36; B.

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Das Forschungskuratorium Textil e. V. ist in enger Zusammenarbeit mit dem Gesamtverband der deutschen Textil- und Mo-deindustrie e. V. tätig und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e. V. (AiF).


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