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perspektive21 - Heft 10

Date post: 25-Mar-2016
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Zukunftsregion Brandenburg
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Heft 10 April 2000 perspektive 21 Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik ZUKUNFTSREGION BRANDENBURG Mit Beiträgen von: Wilma Simon Stefan Rink Jörg Vogelsänger Dr. habil. Jochen Franzke Mark F. Watts Steffen Reiche Rolf Schneider Madeleine Jakob Andreas Büchner
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Page 1: perspektive21 - Heft 10

Heft 10 April 2000

perspektive 21Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik

ZUKUNFTSREGION

BRANDENBURG

Mit Beiträgen von:Wilma SimonStefan RinkJörg VogelsängerDr. habil. Jochen FranzkeMark F. WattsSteffen ReicheRolf SchneiderMadeleine JakobAndreas Büchner

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DDDDiiiieeee IIIImmmmpppplllloooossssiiiioooonnnnddddeeeessss CDU-Staats

Die „Blätter“ kosten im Abonnement 137,40 DM/107,40 DM. Bestellen Sie ein Probeabo – zwei aktuelle Hefte für 19 DM (keine automatische Ver-längerung) oder ein kostenloses älteres Probeheft: Blätter Verlagsgesellschaft Postfach 2831, 53018 BonnTel. 0228 / 650133, Fax 650251 e-mail: [email protected]: www.blaetter.de

Stellungnahmen von Sabine Berghahn ● Wilfried von Bredow ●

Wolfgang Fach ● Iring Fetscher ● Martin und Sylvia Greiffen-hagen ● Richard Herzinger ● Hans Joas ● Otto Kallscheuer ●

Arno Klönne ● Jürgen Kocka ● Ekkehart Krippendorff ● Christi-ne Landfried ● Claus Leggewie ● Peter Lösche ● Wilfried Loth● Andrei S. Markovits ● Mohssen Massarrat ● Klaus Naumann● Claus Offe ● Roland Roth ● Karen Schönwälder ● GesineSchwan ● Jürgen Seifert ● Kurt Sontheimer ● Ilse Staff ● Ger-hard Stuby ● Bodo Zeuner

Blätter fürdeutsche undinternationale

Politik

Weitere Themen in Heft 3'99: Der Fall Österreich. Debattenbeiträge von Balduin Winter, Ger-da Zellentin und Arthur Heinrich. ● Wolfgang Ehmke: Ausstiegsillusionen. ● ThomasGesterkamp: Neue Selbständige in der Medienbranche. ● Tobias Nickel: Wie ich lernte,die Börse zu lieben. ● Lothar Evers: Entschädigungskompromiß ohne Verantwortung.● Norbert Mappes-Niediek: Kroatien nach Tudjman.

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Interview

mit Matthias Platzeck,Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Potsdam . . . . . .Seite 3

Beiträge

Neue Herausforderungen für die Brandenburger Finanzpolitikvon Wilma Simon . . . . . . . . . . . . . .Seite 8

Das Raumordnerische Leitbildder dezentralen Konzentration –Richtschnur oder Korsett für dieLandesentwicklung?von Stefan Rink . . . . . . . . . . . . . . .Seite 23

Zusammenwachsen derRegionen durch Infrastrukturausbauvon Jörg Vogelsänger . . . . . . . . . .Seite 32

Brandenburg und dieEU-Osterweiterungvon Dr. habil. Jochen Franzke . . .Seite 36

London and the South Eastvon Mark F. Watts . . . . . . . . . . . .Seite 42

DIe Hauptstadtregion zurgemeinsamen Zukunftsregionentwickeln!von Steffen Reiche . . . . . . . . . . . .Seite 46

Realistische Utopievon Rolf Schneider . . . . . . . . . . . . .Seite 49

Wieviele Menschen werdenim Jahr 2010 inBerlin-Brandenburg leben?von Madeleine Jakob undAndreas Büchner . . . . . . . . . . . . . .Seite 56

INHALT

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ZUKUNFTSREGION

BRANDENBURG

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Liebe Leserinnen und Leser,

Berlin und Brandenburg sind aus derRandlage heraus. Mit dem Regierungsum-zug im Herbst vergangenen Jahres sindbeide Länder zur Hauptstadtregiongeworden und ins Zentrum gerückt.Wenn auch noch nicht überall realisiertwird, dass der Weg in die „Berliner Repu-blik“ unumkehrbar ist, macht sich in derHauptstadtregion etwas wie Aufbruch-stimmung bemerkbar. Sicherlich ist esdeshalb kein Zufall, dass seit wenigenMonaten wieder die Diskussion um einenerneuten Anlauf zur Länderfusion aufge-flammt ist. Die politische Klasse scheintlangsam den Schock vom Mai 1996 zuverdauen, als insbesondere die Branden-burger den Weg in ein gemeinsames Bun-desland Berlin-Brandenburg verweiger-ten. Der Mut, einen neuen Fusionsanlaufzu wagen und damit die Hauptstadtregiongemeinsam zu entwickeln, wächst wieder.Ob allerdings aus den Fehlern der Vergan-genheit gelernt worden ist, scheint ange-sichts des Streits um den Zeitpunkt eineserneuten Fusionsanlauf zweifelhaft.

Mit unserer zehnten Ausgabe der Per-spektive wollen wir einen Beitrag leisten,die Diskussion über die Zukunft derHauptstadtregion zu forcieren. Eine wich-tige Frage der Zukunftsgestaltung derLänder Berlin und Brandenburg ist die

Konsolidierung der Landesfinanzen.Brandenburgs Finanzministerin Dr.Wilma Simon stellt in ihrem Beitrag ihrKonzept vor. Welche Auswirkungen die Osterweite-rung der EU für die Hauptstadtregion hat,beleuchtet Dr. habil. Franzke von Univer-sität Potsdam. Brandenburgs SPD-Lan-desvorsitzender Steffen Reiche stellt seinKonzept für einen Neuanlauf zur Länder-fusion vor. Stefan Rink zieht eine Bilanzdes auch in Brandenburg umstrittenenKonzepts der „Dezentralen Konzentrati-on“. Unsere neuen RedaktionsmitgliederMadeleine Jakob und Andreas Büchner set-zen sich mit den Konsequenzen aus denabsehbaren demographischen Verände-rungen in der Gesamtregion auseinander.Ein besonderes Bonbon ist der Beitragvon Rolf Schneider, der im Vorfeld derFusionskampagne 1996 verfaßt wurde.Der geneigte Leser mag entscheiden, obdie Argumente in diesem Beitrag heutenicht noch genauso aktuell sind wie vorgut 4 Jahren....

P.S. Viele ältere Ausgaben der Perspektive21 sind mittlerweile vergriffen. Mit derbeigefügten Postkarte können aber nochdie Ausgaben 6 - 9 kostenlos nachbestelltwerden. Oder einfach per e-mail: [email protected].

VORWORT

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Die Bundesregierung sitzt jetzt in Berlin.Ändert das wirklich etwas für Brandenburg?

Für das Land Brandenburg ist der Regie-rungswechsel nach Berlin ein großerGewinn. Brandenburg ist damit in dasZentrum der bundesdeutschen Politikgerückt. Wir sind Hauptstadtregion, dieLage Brandenburgs an der Grenze zuPolen ist Herausforderung und Aufgabebei der gesamteuropäischen Entwicklung.Der anstehende Beitritt Polens und weite-rer mittel- und osteuropäischer Länderzur EU wird im Rahmen der deutsch-pol-nischen und insbesondere der branden-burgisch-polnischen Zusammenarbeitvorbereitet und unterstützt .

Brandenburg ist mit seiner Industrie- undGewerbestruktur, mit dem Reichtum anZeugnissen und Stätten der Kultur undWissenschaft, an Wald und Wasser, mitder Vielzahl an Naturschutzgebieten,Naturparks und Biosphärenreservaten derideale Partner für die europäische Metro-pole Berlin. Die Konzentration nationalerund internationaler Aufmerksamkeit aufdie Hauptstadt ist auch eine Chance zurWeiterentwicklung Brandenburgs undeine der besten Werbemaßnahmen fürunser Land. Das Interesse an Branden-burg und an der Landeshauptstadt Pots-dam ist z.B. an der wachsenden Zahlnationaler und internationaler Tagungenund Konferenzen ablesbar, die in Potsdamund im Land Brandenburg stattfinden.

INTERVIEW

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„ÜBERLEBEN GROSSER STÄDTEBEDEUTET AUCH SICHERHEITFÜR UMLANDGEMEINDEN.“

Ein Interview mit Matthias Platzeck,Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Potsdam

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Seit einigen Monaten wird wieder über dieFusion der Länder Berlin und Brandenburgdiskutiert. 1996 haben die Brandenburgerin-nen und Brandenburger in einer Volksabstim-mung die Fusion abgelehnt. Warum kam es zu dieser Ablehnung?

Es gab mehrere Gründe für diese Ableh-nung.Wir müssen konstatieren, dass wir es nichtvermocht haben, insbesondere der bran-denburgischen Bevölkerung die Vorzügeeiner Fusion der Länder Berlin und Bran-denburg zu verdeutlichen. Der Umfangder Veränderungen im persönlichen,familiären, im beruflichen, im sozialenUmfeld eines jeden einzelnen hat in denJahren von 1989 bis 1996 ein vorher niefür möglich gehaltenes Ausmaß umfasst.Es ist verständlich, dass da eine innereAbwehrhaltung gegen weitere Verände-rungen, deren objektive Notwendigkeitnicht klar nachvollziehbar war, eingenom-men wurde. Emotionen spielten außerdem eine großeRolle - alte Abneigungen gegen Ostberlin,das immer als Schaufenster der DDRbevorzugt wurde, und neue Abneigungengegen Westberlin, geschürt durch arro-gante Bemerkungen von Klaus Landows-ky, spielten bei der Stimmabgabe 1996auch mit.Und dann der Vorbehalt, sind wir schonstandfest genug, werden uns die Berlinerunterbuttern? Müssen wir die Schuldender Berliner am Ende mitbezahlen? All´dies gehörte zum Ursachengefüge.

Der Streit konzentriert sich gegenwärtig aufdie Frage, wann ein neuer Anlauf zur Län-derfusion gestartet werden kann.Können Sie überhaupt erkennen, dass ein neu-er Fusionsanlauf im Jahr 2004 oder im Jahr2009 eine größere Chance hätte als im Jahr1996? Hat sich die Einstellung der Branden-burgerinnen und Brandenburger zu einerFusion geändert?

Die ungeschminkten Diskussionen nachdem Scheitern des Fusionsanlaufes von1996 haben dazu beigetragen, dass ohneZeitdruck sofortiger Entscheidungsnot-wendigkeit wesentlich emotionsloser dieVor- und Nachteile angesprochen werdenkönnen. Die Entwicklungen im gesamteu-ropäischen Kontext, das verstärkte Hin-wenden auf Regionen, die auch im euro-päischen Zusammenhang identifizierbarund strukturell ausgewogen sein müssen,ist meines Erachtens zwischenzeitlich inBrandenburg wesentlich mehr in das all-gemeine Bewusstsein getreten. Das LandBrandenburg allein ist zu klein, und dahernicht in der Lage, sich langfristig allein zubehaupten. Durch den von mir unter-stützten Gedanken eines Nordstaates Ber-lin-Mecklenburg/Vorpommern-Branden-burg würde wesentlich mehr strukturelleAusgewogenheit entwickelt werden kön-nen. Dies würde auch die Fragen derZusammenarbeit mit unserem polnischenNachbarn positiv beeinflussen. Übrigens wirkt sich auch der Umzug derBundesregierung und deren steigendesAnsehen positiv auf die Bereitschaft, überdie Fusion nachzudenken, aus.

ÜBERLEBEN GROSSER STÄDTE BEDEUTET …Interview mit Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck

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Ich halte den Zeitplan von Steffen Reichein vielen Punkten für sinnvoll - überstürz-tes Handeln bringt uns nichts.

Unabhängig , ob es zu einer Fusion kommtoder nicht: Brandenburg ist zur Hauptstadt-region geworden. Davon profitiert insbesonde-re der sogenannte „Speckgürtel“, der engereVerflechtungsraum. Brandenburg will mit derPolitik der „Dezentralen Konzentration“ auchden äußeren Entwicklungsraum stärken. DieArbeitslosigkeit in der Prignitz, Uckermarkund Lausitz ist aber deutlich höher als im Ber-lin nahen Raum.Wenn Sie jetzt nach zehn Jahren Bilanz zie-hen, ist die Politik der „Dezentralen Konzen-tration“ nicht gescheitert?

Die Politik der dezentralen Konzentrationist nicht gescheitert. Die Einschätzung,dass man mit dezentraler Konzentrationdie Fragen der Arbeitslosigkeit, der Ent-wicklung der Infrastruktur schneller inden Griff bekommt, ist richtig. Ohne dieKonzentration auf die im Hinblick aufBerlin dezentralen Standorte hätte es dorteinen wesentlich größeren Zusammen-bruch auf dem Arbeitsmarkt gegeben unddie damit verbundene Talsohle wäre nochtiefer gelegen. Dennoch muss daraufgeachtet werden, dass die dezentrale Kon-zentration nicht und wider besseren wirt-schaftlichen Wissens Förderungen instrukturschwache Gebiete bringt, die auchbei besten Prognosen nicht zu selbsttra-genden Entwicklungen führen. Mit einerVerbesserung der Verkehrsverbindungenzwischen den Mittel- und Oberzentren,

mit einer Stabilisierung und Entwicklungder industriellen Kerne, der neuentstan-denen Wirtschaftsstandorte und mit einerkieselklaren Profilierung als Medienstan-dort, als Zentrum der Verkehrs-, Kommu-nikations- und Biotechnologie muss Bran-denburg seinen Kurs für jeden in der Weltklar erkennbar bestimmen. Falsche Eitel-keiten in Bezug auf die länderübergreifen-de Zusammenarbeit, z.B. im Medienbe-reich, sind fehl am Platz. Die Kooperationnach Norden und Süden muss ebensoselbstverständlich sein wie der wirtschaft-liche Handschlag über die Oder-Neiße-Grenze.

Bevölkerungsprognosen bis zum Jahr 2015zeigen, dass insbesondere die kreisfreien StädteBrandenburg, Frankfurt und Cottbus, aberauch die Landeshauptstadt Potsdam einendrastischen Bevölkerungsschwund erleidenwerden.Wie kann aus Ihrer Sicht die Überlebens-fähigkeit der großen Städte gewährleistet wer-den?

Um zu verhindern, dass die größerenStädte unseres Landes zu Sozialstationenwerden, müssen viele Räder sinnvollineinandergreifen. Zunächst müssen dieStädte alles tun, um aus sich heraus hand-lungsfähig zu bleiben und Attraktivität zuentwickeln.Dazu gehören die konsequente Konsoli-dierung der Haushalte, so unpopulär diesauf den ersten Blick auch sein mag, sowiedie zügige Reform der Verwaltungen hinzu ganz klar auf die Bürger orientierte

ÜBERLEBEN GROSSER STÄDTE BEDEUTET …Interview mit Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck

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Dienstleistungseinrichtungen genauso wieein Leitbild und eine daraus abgeleitetePrioritätensetzung, die die Potentiale undChancen der jeweiligen Stadt verdeutlicht.Prioritäten zu setzen, heißt nicht nur „ja“zu Vorhaben zu sagen, sondern auch„nein“ zu anderen - da liegt dann meistder Schwachpunkt. Auf der anderen Seite muss das Land denStädten das Dasein von Bildung, Kultur,von Arbeitsplätzen, von Wissenschaft undForschung etc. auch ermöglichen. Dazugehört neben der finanziellen Ausstattungauch eine konsequent durchgeführteGebietsreform. Diese Zukunftssicherungbedeutet nicht nur Überleben der großenStädte, sondern auch Sicherheit für diejeweiligen Umlandgemeinden. Der Aus-gleich, das gemeinsame Tragen vonLasten zugunsten der Bevölkerung wiez.B. Theater, Schwimmhallen, Sportstät-ten kann darüber ebenso gesichert werdenwie ein servicefreundliches Verfahren, z.B.bei der Nahverkehrsanbindung und demService der jeweiligen Verwaltungen. Hierwird mit Sicherheit die aktive Rolle derLandesregierung gefordert sein, da dieserProzess aus meiner Sicht ansonsten mitzuviel Kraft und Zeitaufwand zu schlep-pend vorangehen würde.

Noch einmal zurück zur Entwicklung derunterschiedlichen Regionen im Land Branden-burg. Es ist zu erkennen, dass im engeren Ver-flechtungsraum um Berlin sehr viele relativgut verdienende zuziehen, während die peri-pheren Regionen sehr stark unter Abwande-rung und Überalterung zu leiden haben.

Welche Konsequenzen wird das für die menta-le Entwicklung und Stimmung im Landhaben?

Es ist nicht auszuschließen, dass Stim-mungen wie „die da drinnen“ und „die dadraußen“ entstehen können. Bevölke-rungsrückgang im äußeren Entwicklungs-raum kann durch Politik gedampft, abernicht verhindert werden - sonst müssteman Freiheiten beschneiden, z.B. bei derWohnort und Arbeitsplatzwahl.Gute verkehrliche Anbindung der Zen-tren im äußeren Raum mit Schiene undStraße, die gezielte Förderung passenderAnsiedlungen und der Kommunikations-infrastruktur werden Beiträge sein, dieEntwicklung nicht dem Selbstlauf zuüberlassen.

Der Prozess der Osterweiterung der Europä-ischen Union kommt langsam in Bewegung.Die Politik betont insbesondere die Chancendieses Prozesses. In der Bevölkerung gibt esaber sehr viele Vorbehalte und Ängste.Welche Auswirkungen erwarten Sie fürBrandenburg durch den Prozess der Osterwei-terung?

Die Erweiterung der Gemeinschaft nachOsten ist für mich kein karitativer Akt,sondern liegt in unserem ureigenstenInteresse und außerdem - was wäre denndie Alternative?Abschottung o.ä. hält wohl niemand mehrfür ein erfolgversprechendes Mittel. FürBrandenburg selbst sind zügige Verhand-lungen, insbesondere mit unseren Nach-

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barn Polen, aber auch mit Tschechien undUngarn von direktem Vorteil. Ängste undSorgen, z.B. in Bereichen der Landwirt-schaft und des Arbeitsmarktes, müssenaufgenommen, offen besprochen und evtl.mit ja auch bei der Süderweiterung prak-tizierten Übergangsregelungen vermin-dert werden.

Die Effekte, die die Vergrößerung desMarktes, die der große Modernisierungs-bedarf im Osten, die in Sachen Sicherheitund Stabilität aber erzielt werden können,überwiegen mit Sicherheit temporäreSchwierigkeiten und Umgewöhnungspro-zesse auf einigen Sektoren.

ÜBERLEBEN GROSSER STÄDTE BEDEUTET …Interview mit Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck

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Matthias Platzeck ist Oberbürgermeistervon Potsdam und war bis 1998 als Umwelt-minister verantwortlich für Raumordnungund Landesplanung.

www.potsdam.de/stadtpolitik

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I. EinleitungDer Landeshaushalt steht unter einemunbestreitbaren Konsolidierungsdruck,der unterschiedlichste Gründe hat. Nebender Verschuldungsproblematik sieht sichBrandenburg – wie auch die anderen neu-en Länder - der unabweislichen Tatsachegegenüber, dass die Finanztransfers an dieneuen Länder langfristig kaum auf demderzeitigen Niveau verbleiben werden.Der Solidarpakt läuft mit dem Jahr 2004aus. Die prekäre Mittelknappheit öffentli-cher Kassen allerdings nur einnahmeseitigzu betrachten hieße, das Problem zu ver-kürzen; denn der finanzpolitische Hand-lungsspielraum wird auch durch Fehlbe-wirtschaftung auf der Ausgabenseite ein-geschränkt.

Darüber hinaus haben im Bereich der Pla-nung, Erstellung und Finanzierungöffentlicher Leistungen viele der von deröffentlichen Hand wahrzunehmendenAufgaben einen Komplexitätsgraderreicht, der mit dem hergebrachtenInstrumentarium der öffentlichen Verwal-tung und des kameralistischen Finanzwe-sens allein nicht zu bewältigen ist. Bei-spielhaft zu nennen sind hier große Infra-strukturprojekte wie Flughäfen, aber auchdie gesamte Umgestaltung der Verwal-tung hin zu modernen und bürgerorien-tierten Dienstleistern. Speziell in den neu-en Bundesländern muss dabei auf vielenGebieten ein immer noch immenserNachholbedarf realisiert werden, obwohlsich die staatlichen Refinanzierungsmög-

THEMA

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NEUE HERAUSFORDERUNGENFÜR DIE BRANDENBURGER

FINANZPOLITIK

von Wilma Simon

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lichkeiten etwa durch die erforderlichesteuerliche Entlastung von Unternehmenund privaten Haushalten durch die Ein-kommen- und Unternehmensteuerreformab 2001 weiter verschlechtern werden. Das Ziel des Beitrags besteht darin, dieaktuellen und zukünftigen Herausforde-rungen für die Brandenburger Finanzpoli-tik darzustellen und das Bewusstsein fürdie bevorstehenden Aufgaben zu schärfen.Dabei werden Probleme des Landes erör-tert, die zum Teil als typisch brandenbur-gisch, überwiegend jedoch als symptoma-tisch für die neuen Bundesländer angese-hen werden können und von daher auchein allgemeines Dilemma der gesamtdeut-schen Finanzpolitik beschreiben.

II. Ausgangssituation in BrandenburgNach Gründung des Landes im Herbst1990 waren die Startbedingungen Bran-denburgs ähnlich ungünstig wie die deranderen neuen Länder. Das Erbe derDDR umfasste vor allem verrottete Infra-struktursysteme, marode Städte und Dör-fer, eine hohe Umweltbelastung undflächendeckend nicht wettbewerbsfähigeWirtschaftsstrukturen. Der Zustand imOsten Deutschlands wurde maßgeblichdadurch verursacht, dass die Grundversor-gung der Bevölkerung nur bei einergleichzeitigen Vernachlässigung des volks-wirtschaftlichen Sachkapitals sicherge-stellt werden konnte. Diese jahrzehnte-lang praktizierte Verschleißwirtschaft hat

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überall tiefgreifende und deutlich sichtba-re Spuren hinterlassen. In Brandenburg kam als weitere Startbe-dingung eine extrem ungünstige Sied-lungsstruktur mit unzähligen Klein- undKleinstgemeinden erschwerend hinzu.Zudem waren die wenigen großen Indus-triebetriebe häufig eine Folge von Stan-dortentscheidungen der Planbürokratieund deswegen nicht in ein Netzwerkgewachsener regionaler Produktionsstät-ten eingebettet. Gerade die Großbetriebewirkten zum Teil wie industrielle Fremd-körper in einer sonst sehr ländlichenUmgebung. Auf der anderen Seite warensie in der Regel weit und breit die einzigenBetriebe mit einem nennenswerten

Beschäftigungspotenzial, von denen dasWohl ganzer Regionen abhing.Als Startbedingung von großem Vorteilfür Brandenburg war sicherlich das Zen-trum Berlin im Herzen des Landes. Dieshat von Beginn an die Gründung undAnsiedlung von Betrieben in Brandenburgerleichtert und wichtige Absatzmöglich-keiten für Brandenburger Produktegeschaffen. Dabei profitiert Brandenburgdavon, dass das in West-Berlin ansässigeGewerbe als Folge der Berlinförderung invielen Fällen zentrumsuntypisch war undaus diesem Grund ins Umland verlagertwurde. Umgekehrt kann Brandenburgwesentliche Freizeit- und Erholungsfunk-tionen für die Berliner Bevölkerung anbie-

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ten, was auch das Angebot tourismusori-entierter Dienstleistungen erleichtert.Ganz wichtig war natürlich auch dieHauptstadtentscheidung zugunsten Ber-lins, wodurch sich auch die ChancenBrandenburgs als hauptstadtnaher Wohn-und Gewerbestandort und als Naherho-lungsgebiet weiter verbessert haben. Trotz der Synergieeffekte, die durch einearbeitsteilige Kooperation zwischen Ber-lin und Brandenburg genutzt werden kön-nen, darf nicht übersehen werden, dassBrandenburg mehr ist als das BerlinerUmland. Unter den neuen Bundesländernist Brandenburg mit Abstand das flächen-mäßig größte. Von daher erfasst die Aus-strahlungskraft Berlins mit den damit ver-bundenen positiven Effekten nur einenrelativ kleinen Teil des Landes. Dergrößere Teil Brandenburgs wird vomHauptstadtboom nur wenig berührt, unddeswegen ergeben sich hier natürlichbesondere Spannungsfelder der Landes-entwicklungs- und Strukturpolitik. Zu Beginn der 90‘er Jahre war die finanz-politische Strategie der Landesregierung,Brandenburg in seiner Leistungsfähigkeitso schnell wie möglich an das Niveau derwestdeutschen Länder heranzuführen.Dies war nur möglich durch eine rascheModernisierung und Erneuerung derInfrastruktursysteme, um die Vorausset-zungen für eine selbsttragende wirtschaft-liche Entwicklung möglichst schnell zuschaffen. Von daher hat die erste Landes-regierung bereits im Jahr 1991 eineumfassende Investitionsoffensive gestar-tet. Aus dem Landeshaushalt sind in den

Anfangsjahren extrem hohe Beträge füröffentliche Investitionen und Investitions-förderung bereitgestellt worden. DieInvestitionsquoten lagen in diesen Jahrenregelmäßig über 30 Prozent. In der zweiten Hälfte der 90‘er Jahre wur-de die investitionsorientierte Haushalts-politik fortgesetzt, wegen engerer Finan-zierungsspielräume allerdings auf etwasniedrigerem Niveau. Seitdem betragen dieinvestiven Ausgaben Brandenburgs je Ein-wohner aber immer noch das Dreifachedes in den westdeutschen Flächenländernerreichten Niveaus. Die Investitionsquotekonnte immerhin auf einem Niveau vonrd. 25 Prozent stabilisiert werden. Seit 1991 sind aus dem Landeshaushalt fürinvestive Zwecke insgesamt mehr als 46Mrd. DM ausgegeben worden. Das ist jeEinwohner die stolze Summe von rd.18.000 DM. Damit liegen wir mit an derSpitze der neuen Länder. Diese Mittelwurden schwerpunktmäßig vor allem dorteingesetzt, wo die Defizite der öffentli-chen Leistungserstellung am größtenwaren und wo für die Entwicklung Bran-denburgs die größten Multiplikatoreffektezu erwarten waren: in der wirtschaftsna-hen und sozialen Infrastruktur.

III. Bewertung der wirtschaftlichenEntwicklungDie neun Jahre, die seit der Gründung derneuen Länder verstrichen sind, sinddurchaus ein angemessener Zeitraum, umdie Ergebnisse dieses enormen finanzpoli-tischen Kraftakts einer Bewertung zuunterziehen. Hier kann das Land Bran-

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denburg insbesondere bei der wirtschaftli-chen Entwicklung - gerade auch im Ver-gleich zu den anderen neuen Ländern -beachtliche Erfolge vorweisen. DieModernisierung der überwiegend veralte-ten Infrastruktur, die Ansiedlung auchinternational wettbewerbsfähiger Betrie-be, die Gestaltung einer leistungsfähigenHochschul- und Forschungslandschaft,der Aufbau eines modernen Sozial- undGesundheitswesens, die ausreichende Ver-sorgung der Bevölkerung mit Wohnraum,die Revitalisierung der Städte undGemeinden und die Schaffung eines zeit-gemäßen Schulsystems sind in den ver-gangenen Jahren sichtbar vorangebrachtworden. Diese Fortschritte spiegeln sich auch beimBruttoinlandsprodukt und den Pro-Kopf-Einkommen der Erwerbstätigen in Bran-denburg wider: Seit 1995 weist Branden-burg (außer in 1998) durchweg die höch-sten Wachstumsraten aller neuen Bundes-länder auf. Aufgrund dieser hohen wirt-schaftlichen Dynamik hat sich das Brut-toinlandsprodukt Brandenburgs seit 1991mehr als verdoppelt. Die Wirtschaftslei-stung je Einwohner lag 1998 mit einemBetrag von rd. 30.130 DM deutlich überden Ergebnissen der anderen vier neuenLänder. Entgegen der landläufigen Mei-nung ist also nicht Sachsen oder Thürin-gen, sondern Brandenburg das wirtschaft-lich stärkste unter den neuen Ländern.Die hohen investiven Aufbauleistungendes Landes konnten nur zu einem Teil auslaufenden Einnahmen finanziert werden.Gut die Hälfte des investiven Finanzbe-

darfs wurde dagegen durch die Aufnahmevon Krediten gedeckt. Dieses Verhältnisist aus einer betriebswirtschaftlichenSichtweise sicher nicht ungewöhnlich. Zuberücksichtigen ist allerdings, dass öffent-liche Investitionen in der Regel nicht ren-tierlich sind und sich von daher auch nichtselbst finanzieren. Lehrbuchmodelle, indenen solche Selbstfinanzierungseffekte ingeschlossenen Volkswirtschaften darge-stellt werden, können auf kleine undextrem importabhängige Länder wieBrandenburg nicht übertragen werden,zumal sich die laufenden Einnahmen auf-grund der im Länderfinanzausgleich wirk-samen Mechanismen unabhängig von derEntwicklung des eigenen Steueraufkom-mens immer gleichgerichtet mit denender anderen Länder bewegen.In den ersten Jahren lagen die Kreditfi-nanzierungsquoten im Landeshaushalt beijeweils über 20 Prozent. Dies sind Größe-nordnungen, die selbst bei rasch wachsen-den Steuereinnahmen nicht dauerhaft auf-rechtzuerhalten gewesen wären. EineHauptursache für die rasch anwachsendeVerschuldung des Landes war die zugeringe Dotierung des Fonds „DeutscheEinheit“, der bis 1994 die wichtigste Ein-nahmequelle der neuen Länder war. DieZuweisungen aus dem Fonds warengemeinsam mit den sonstigen Einnahmenzwar ausreichend zur Finanzierung derlaufenden Ausgaben, der immense investi-ve Aufwand konnte damit jedoch nichtabgedeckt werden.Mit dem Auslaufen des Fonds „DeutscheEinheit“ Ende 1994 lag die Gesamtver-

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schuldung Brandenburgs bereits über demNiveau der westdeutschen Flächenländer,ohne dass eine annähernd vergleichbareAusstattung an Infrastruktur erreicht wor-den wäre. Aus diesem Grund hat die Lan-desregierung ab 1995 einen zukunftsori-entierten finanzpolitischen Kurs einge-schlagen, mit dem die Investitionskraftund gleichzeitig die finanzielle Hand-lungsfähigkeit des Landes dauerhaft gesi-chert werden sollten. Kern dieser Strate-gie war eine nachhaltige Reduzierung derjährlichen Neuverschuldung. In einem ersten Schritt wurde die Netto-kreditaufnahme zunächst von 4,4 auf 3Mrd. DM abgesenkt. Danach sollte dieNeuverschuldung bis zum Jahr 1999

schrittweise bis auf 1 Mrd. DM zurückge-führt werden. Dies war ein äußerst ambitioniertes undehrgeiziges Ziel, das in diesem Umfangund in diesem Tempo von keinem anderenBundesland angestrebt worden ist. DieLandesregierung war dennoch zuversicht-lich, das hohe Investitionsniveau halten zukönnen, indem der erforderliche Konsoli-dierungsaufwand im wesentlichen aus demZuwachs bei unseren Steuereinnamenerbracht werden sollte. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. DieEinnahmen aus Steuern und Länderfinan-zausgleich sind im Jahr 1999 nicht – wie in1995 erwartet – kontinuierlich auf15 Mrd. DM angestiegen. Im Gegenteil:

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Im vergangenen Jahr (1999) standenlediglich 13 Mrd. DM zur Verfügung, wasin etwa dem Niveau von vor fünf Jahrenentspricht. Das bedeutet im Ergebnis, dassdie gesamtstaatlichen Steuereinnahmenüber einen Zeitraum von fünf Jahrennahezu stagniert haben.Auch andere finanzrelevante Entwicklun-gen verliefen durchaus nicht im Sinne derFinanzministerin. Bei den gesetzlichenVerpflichtungen des Landes mussten inerheblichem Maß Mehrbedarfe abgedecktwerden. Zugleich sind für landespolitischeSchwerpunkte wie die Wirtschafts- undForschungsförderung oder die Sicherstel-lung der Erstausbildung mehrfach zusätz-liche Mittel bereitgestellt worden. Auchbei den tarifbedingten Personalausgaben

musste im vergangenen Jahr tiefer in dieTasche gegriffen werden als ursprünglichvorgesehen war. Trotz dieser extrem schwierigen Rahmen-bedingungen wurden bisher alle Etappen-ziele bei der Reduzierung der Nettokre-ditaufnahme erreicht. Im abgelaufenenJahr 1999 wurde – wie mittelfristig geplant- gut 1 Mrd. DM aufgenommen. Obwohldiese Reduzierung der Nettokreditauf-nahme bereits als Erfolg gewertet werdendarf, ist das Ziel noch lange nicht erreicht.Nach wie vor wird der Landeshaushaltvon einem immensen Schuldenberg undden daraus resultierenden Zins- und Til-gungsraten in Höhe von jährlich knapp1,5 Mrd. DM belastet.

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IV. Schuldenstand und Aufgabenpro-blematikBrandenburg hat unter den neuen Län-dern trotz der bisherigen Konsolidie-rungserfolge der vergangenen Jahre diehöchste Vorbelastung durch Haushalts-kredite. Die Pro-Kopf-Verschuldung desLandes liegt nach wie vor an der Spitze imOsten. Sie betrug Ende 1999 fast 9.700DM, Sachsen liegt als Bestes der neuenLänder bei knapp der Hälfte. Dies führtim Ländervergleich zu einer extremhohen Schuldendienstbelastung Branden-burgs von derzeit fast 1,4 Mrd. DM proJahr, das sind umgerechnet fast 4.000 DMpro Tag. Es werden also bereits mehr als 7Prozent der Gesamtausgaben für Zinszah-lungen aufgewandt, ohne damit auch nureine Mark zu tilgen. Auch der Vergleich zu den westdeutschenFlächenländern bestätigt den dringendenHandlungsbedarf zur Reduzierung derzusätzlichen Neuverschuldung in Bran-denburg. Zum Ende des Jahres 1998waren nur Schleswig-Holstein und dashaushaltsnotleidende Saarland je Einwoh-ner höher verschuldet als Brandenburg,wobei diese Länder im Bereich der Perso-nal- und konsumtiven Sachausgaben einewesentlich günstigere Struktur aufweisenund auch im Bereich der Infrastrukturaus-stattung deutliche Vorteile haben.Das Haushaltsvolumen lag in Branden-burg in den letzten Jahren jeweils etwa bei19 Mrd. DM. Damit konnte zwar diehohe Ausgabendynamik früherer Jahregestoppt werden, trotzdem hat Branden-burg immer noch ein um fast 50 Prozent

höheres Niveau als westliche Flächenlän-der. Mit diesem überdurchschnittlichenVolumen wird in erster Linie die Finan-zierung des hohen Investitionsbedarfssicher gestellt. Daneben bestehen gegen-über den alten Ländern aber auch in ein-zelnen nichtinvestiven Bereichen finanzi-elle Mehrbedarfe. Abgesehen von denZinsen trifft das zum Beispiel für dieLehrkräfte zu. Aufgrund der relativ hohenGeburtenraten in der DDR liegen dieSchülerzahlen in Brandenburg wie auch inden anderen neuen Ländern erheblichüber den vergleichbaren westdeutschenWerten. Da die Schüler einen Anspruchauf eine Schulbildung auf bundesdeut-schem Niveau haben, muss von Seiten desLandes ein entsprechendes Schüler-Leh-rer-Verhältnis sichergestellt werden. Daswird sich in den nächsten Jahren aberzunehmend normalisieren und entspre-chende Anpassungen bei den Lehrerzah-len nach sich ziehen.Der zweite Bereich, in dem erheblicheMehrbedarfe geschultert werden müssen,ist der kommunale Finanzausgleich. DieSteuerkraft der Kommunen liegt derzeitbei weit weniger als 50 Prozent des west-deutschen Niveaus. Zugleich haben dieKommunen aber bei der Gewährleistungder örtlichen Daseinsvorsorge ein ähnli-ches Leistungsspektrum zu erfüllen wiewestdeutsche Gemeinden. Aufgrund derNachholbedarfe bei der kommunalenInfrastruktur dürften die finanziellen Bela-stungen der ostdeutschen Kommunensogar überdurchschnittlich ausfallen.Die Kommunen sind staatsorganisatorisch

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den Bundesländern zugeordnet und vondaher obliegt es auch den Ländern, denKreisen und Gemeinden eine angemesse-ne Finanzausstattung zu sichern. In Bran-denburg ist das Land sogar durch die Ver-fassung verpflichtet, durch einen kommu-nalen Finanzausgleich dafür zu sorgen,dass die Gemeinden ihre Aufgaben erfül-len können. Im Ergebnis bedeutet dies,dass nahezu ein Fünftel des Haushaltsvo-lumens unmittelbar vom kommunalenFinanzausgleich aufgezehrt wird. Darüberhinaus gewährt das Land Brandenburgseinen Kommunen noch eine Reihe von inder Regel zweckgebundenen Zuweisun-gen, durch die häufig die Durchführunggrößerer kommunaler Projekte erstermöglicht wird. Alles in allem fließen fast40 Prozent der Ausgaben des Landes inkommunale Hände.Solange die Relation von Einnahmen undAusgaben relativ stabil bleibt, ist diesehohe Ausgabenbindung kein besonderesProblem. Anders sieht es dagegen aus,wenn auf der Ausgabenseite zusätzlicheunerwartete Mehrbelastungen entstehenoder wesentliche Einnahmepositionenwegzubrechen drohen. In Brandenburgwird derzeit mit beiden Problemengekämpft.Im Bereich der Ausgaben zeichnen sichderzeit drei große Problemfelder ab:

1. Entwicklung der PersonalausgabenIm Landeshaushalt sind derzeit rd. 63.000Stellen für Landesbedienstete ausgewie-sen. Die jährlichen Personalausgabeneinschließlich Personalnebenkosten

belaufen sich auf knapp 5 Mrd. DM, dasist etwa ein Viertel der Gesamtausgabendes Landes. Ohne eine Veränderung desPersonalbestands wären auf absehbareZeit überdurchschnittlich stark anwach-sende Personalausgaben unvermeidbar.Der BAT-Ost und damit korrespondie-rend die Beamtenbezüge liegen derzeit bei86,5 % des Westniveaus. Aufgrund desgegenwärtig sehr starken Drucks, auch beiden Löhnen und Gehältern im öffentli-chen Dienst weitere Schritte in RichtungOst-West-Angleichung zu unternehmen,ist mit erheblichen Problemen zu rech-nen. Der Druck hat sich sicher infolge desUmzugs der Bundesregierung nach Berlinnoch einmal erhöht, weil in der ehemalsgeteilten Stadt die durch die derzeitigeRegelung hervorgerufenen Zufälligkeitenbesonders offenkundig werden. Die voll-ständige Angleichung an das Westniveauwürde den Landeshaushalt dauerhaft umrd. 750 Mio. DM pro Jahr belasten. Hinzukommt der Mehraufwand, der aufgrundder jährlichen linearen Tarifanpassungentsteht.

2. SchuldendienstBei den Ausgaben für Zinsen sind wir auf-grund der hohen Gesamtverschuldung desLandes bei einem Jahresbetrag von knapp1,4 Mrd. DM angekommen. Zumindest inden beiden kommenden Jahren werdenweitere Nettokreditaufnahmen zum Aus-gleich des Landeshaushaltes erforderlichwerden, was den Zinsaufwand dauerhaftweiter erhöhen wird. Darüber hinausbesteht bei der nun schon seit mehreren

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Jahren andauernden Niedrigzinsphase dielatente Gefahr eines Anstiegs der Kapital-marktzinsen. Eine Erhöhung der durch-schnittlichen Verzinsung der Kapital-marktverbindlichkeiten des Landes umeinen Prozentpunkt würde im Landes-haushalt mit jährlichen Mehrausgabenvon 250 Mio. DM zu Buche schlagen.

3. Langfristig wirksame Verbindlich-keitenSeit einigen Jahren erfreuen sich verschie-dene Alternativen zur klassischen Haus-haltsfinanzierung bei der Durchführungöffentlicher Investitionsvorhaben einergewissen Beliebtheit. Der Vorteil solcherModelle ist sicher darin zu sehen, dass

dringend notwendige öffentliche Vorha-ben früher und zum Teil auch kostengün-stiger fertig gestellt werden können als beidem traditionellen Verfahren. Die Ent-scheidung für solche Maßnahmen wirdsicher auch dadurch erleichtert, dass dieunmittelbare Haushaltsbelastung im Ver-hältnis zum Wert der zu erstellenden Pro-jekte relativ gering ist. Der Hauptnachteilist allerdings, dass häufig eine langjährigeVorbelastung zukünftiger Haushalte inKauf genommen und von daher finanzpo-litische Entscheidungsspielräume erheb-lich eingeengt werden.In Brandenburg haben wir uns z. B. beider Durchführung des staatlich geförder-ten Wohnungsbaus für ein Finanzierungs-

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modell außerhalb des Haushalts entschie-den. Mit Hilfe dieser Konzeption ist estatsächlich gelungen, eine angemesseneWohnraumversorgung der Bevölkerunginnerhalb eines relativ kurzen Zeitraumsin den Griff zu bekommen. Die Schatten-seite dieses Erfolgs sind außerhalb desLandeshaushaltes aufgelaufene Verbind-lichkeiten von 14 Mrd. DM, die übereinen Zeitraum von mindestens 15 Jahrendurch nahezu gleichbleibende Anmutetenfinanziert werden müssen. Im Ergebniskönnte selbst durch eine ersatzlose Strei-chung aller Wohnungsbaumaßnahmenkurz- und mittelfristig keine nennenswer-te Entlastung des Landeshaushalteserreicht werden.

V. EinnahmeentwicklungAuf der Einnahmeseite des Landeshaus-halts zeichnen sich derzeit zwei großeRisiken ab:

1. Steuerreform Das weitreichende Steuerreformpaket derBundesregierung setzt wichtige Signalefür die positive Entwicklung von Wachs-tum und Beschäftigung in Deutschlandund bringt sowohl für Investoren als auchfür Arbeitnehmer erhebliche Verbesserun-gen. Nach dem derzeitigen Stand derDinge werden im Zeitraum bis 2005gegenüber 1998 insgesamt Entlastungenüber 70 Mrd. DM erreicht. So wichtigweitere Reformschritte für die Zukunfts-fähigkeit Deutschlands sind, so schmerz-haft sind die finanziellen Einschnitte, diedem Land Brandenburg daraus erwach-

sen. Allein aus der geplanten Unterneh-mensteuerreform werden jährliche Steu-erausfälle für das Land in Höhe von bis zu250 Mio. DM erwartet. Ausfälle in einersolchen Größenordnung stellen dieFinanzpolitik in Anbetracht der sowiesostark angespannten Haushaltslage vor sehrernste Herausforderungen. Hinzu kom-men die Effekte aus dem beabsichtigtenVorziehen der Einkommensteuerreform,die den Landeshaushalt gerade im Jahr2001 – wenn den Ländern nicht nochKompensation auf der Einnahmeseitegewährt wird, mit 300 bis 400 Mio. DMbelasten werden.

2. Auslaufen des Solidarpaktes IBrandenburg erzielt einen ganz maßgebli-chen Anteil seiner nicht zweckgebunde-nen Einnahmen aus den im Solidarpakt Ifestgelegten Regularien zum bundesstaat-lichen Finanzausgleich. Die Steuereinnah-men des Landes allein reichen für eineangemessene Finanzierung der Ausgabenbei Weitem nicht aus. Sie decken nichteinmal die Hälfte des aktuellen Finanzbe-darfs ab. Erst durch die Einnahmen, dieaus dem horizontalen Länderfinanzaus-gleich, den Ergänzungszuweisungen desBundes und den Leistungen nach demInvestitionsförderungsgesetz Aufbau Ostfließen, kann ein verfassungsgemäßerHaushalt aufgestellt werden. Derzeit wirdein Viertel des gesamten Haushaltsvolu-mens aus den auf den Regelungen desSolidarpakts I beruhenden Einnahmenfinanziert. Ein großer Teil dieser Einnahmen – rd. 3

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Mrd. DM – war von Beginn an über einenZeitraum von 10 Jahren, d. h. bis zum Jahr2004 zeitlich befristet. Seit dem Urteil desBundesverfassungsgerichts zur Verfas-sungsmäßigkeit des bundesstaatlichenFinanzausgleichs vom 11. November 1999ist bekannt, dass der gesamte bundesstaat-liche Finanzausgleich bis spätestens zumJahr 2004 auf eine neue Grundlage gestelltwerden muss. Da bei der Neugestaltung des bundes-staatlichen Finanzausgleichs sehr unter-schiedliche Interessen aufeinander prallen,kann heute unmöglich eingeschätzt wer-den, wie die zukünftigen Regelungen ein-mal aussehen werden und welche Maß-nahmen für den Solidarpakt II zugunstender neuen Länder vereinbart werden. Feststeht nur, dass der Ausgang der nun zuführenden Verhandlungen für die neuenLänder, die allesamt Steuerdeckungsquo-ten von unter 50 % aufweisen, mit gravie-renden Haushaltsrisiken verbunden ist. Eswäre deswegen mehr als fahrlässig davonauszugehen, dass nach dem Jahr 2004 allesso bleibt wie es ist.Vor diesem Hintergrund dürfen die skiz-zierten Haushaltsrisiken nicht einfach nurzur Kenntnis genommen und gehofft wer-den, dass alles schon nicht ganz soschlimm kommen wird. Dies würde inner-halb kurzer Zeiträume dazu führen, dassder gesamte Konsolidierungsbedarf zula-sten der Investitionen erbracht würde,weil dort die größte Manövriermassesteckt. Dies wäre zwar der unkomplizier-teste und der am schnellsten umzusetzen-de Weg zur Schließung von Haushalts-

löchern. Nur: Im Interesse des Landes istes der falsche Weg, weil er den sowiesoschon langwierigen Aufholprozess nochweiter verzögert. Dem muss entgegenge-wirkt und entsprechende Vorsorge getrof-fen werden.

VI. Finanzpolitische StrategieDie finanzpolitische Strategie geht davonaus, dass 1. die überproporzionale finanzielle Aus-stattung der neuen Länder auf dem der-zeitigen Niveau nur bis zum Jahr 2004definitiv gesichert ist und2. innerhalb dieses Zeitraums die verfüg-baren Mittel vorrangig für strukturverbes-sernde Maßnahmen bereitgestellt werdenmüssen.Dies setzt zunächst einmal voraus, dasskonsumtive Ausgaben, insbesondere fürPersonal und Schuldendienst striktbegrenzt werden müssen. Aus diesemGrund hat die Landesregierung beschlos-sen, die Anzahl der Stellen in der Landes-verwaltung von derzeit 63.000 bis zumJahr 2005 auf 55.000 zu reduzieren. Paral-lel dazu müssen viele der derzeitigen Ver-waltungsstrukturen noch stärker aufEffektivität getrimmt werden, um die Lei-stungsfähigkeit der Verwaltung auchzukünftig sicherzustellen. Zum Zweiten hat die Landesregierungbeschlossen, die Nettokreditaufnahme biszum Jahr 2002 auf »Null« abzusenken.Damit ist vor allem die Erwartung ver-bunden, den besorgniserregenden Anstiegder Zinsausgaben zu stoppen und mittel-fristig den Anteil des Schuldendienstes an

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den Gesamtausgaben des Landes wiederdeutlich zurückzuführen. Ohne diesenSchritt wird es nicht gelingen, die finanz-politische Handlungsfähigkeit dauerhaftzu erhalten. Ob dieses ehrgeizige Zielerreicht wird, hängt nicht zuletzt von derEinnahmenseite ab. Umfangreiche Steu-erentlastungen ohne Gegenfinanzierung,wie derzeit von der Bundesregierunggeplant, erschweren natürlich den Defizit-abbau. Die bereits aufgezeigten Haushaltsrisikenund die stufenweise Rückführung derNettokreditaufnahme erfordern erhebli-che Einsparungen, um dauerhafte Rah-menbedingungen für ausgeglichene Haus-halte zu schaffen. Die Möglichkeiten,zumindest einen Teil der erforderlichenKonsolidierungsbeiträge über steigendeEinnahmen zu erbringen, sind dagegensehr begrenzt. Aufgrund der im bundes-staatlichen Finanzausgleich wirksamenAusgleichsmechanismen ist eine expansiveEntwicklung des gesamtstaatlichen Auf-kommens die zentrale Voraussetzung füreine Verbesserung der eigenen Einnahme-situation. In einer rein fiskalischenBetrachtungsweise sind aufgrund derbereits feststehenden zukünftigen Steue-rerleichterungen und der noch ausstehen-den Stufen der Steuerreform zumindestdie kurz- und mittelfristigen Perspektivenalles andere als günstig.Das Konsolidierungspotenzial durch diein vergangenen Jahren üblichen globalenHaushaltskürzungen ist weitgehend aus-gereizt. Beispielsweise liegen die sächli-chen Verwaltungsausgaben in Branden-

burg je Einwohner bereits zwischen 30und 70 DM unter dem Niveau der ande-ren neuen Länder. Auch die sonstigenkonsumtiven Sachausgaben können auf-grund bestehender rechtlicher Bindungennicht entscheidend reduziert werden. Beiden Investitionen werden in erheblichemUmfang Drittmittel gebunden, sowohl beider Mittelbeschaffung beim Bund und derEU als auch durch Anreizung privaterInvestitionen, so dass Kürzungen in die-sem Bereich doppelt schmerzlich wären. Aus diesen Gründen geht an einer struktu-rellen Entlastung der Ausgabenseite desLandeshaushaltes kein Weg vorbei. DieLandesregierung hat zur Vorbereitungeines entsprechenden Haushaltsstruktur-gesetzes einen umfangreichen Maßnah-menkatalog beschlossen. Kernpunkte sindneben der bereits erläuterten Reduzierungder Personalausgaben eine leistungsorien-tierte Umgestaltung der Forstverwaltung,eine Absenkung von Leistungsstandardsbei den Kindertagesstätten sowie eineRückführung der Betriebskostensubven-tionierung im öffentlichen Personennah-verkehr. Daneben wurde eine umfangreiche Palet-te von Einzelmaßnahmen erarbeitet, dievor allem auf eine effizientere staatlicheAufgabenwahrnehmung abzielen. Dazugehören auch ein Outsourcing von Aufga-ben und die Ausgliederung von Teilen derVerwaltung in betriebswirtschaftlicharbeitende Landesbetriebe bis hin zur Pri-vatisierung.Mittel- bis langfristig wurde ein Entla-stungsvolumen von nahezu 900 Mio. DM

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ins Auge gefasst. Das sind etwa 5 Prozentdes Haushaltsvolumens. Dabei wurden dieInvestitionen weitgehend aus den Konso-lidierungsüberlegungen ausgeklammert,so dass im Ergebnis nicht nur die finanzi-elle Leistungsfähigkeit des Landesgestärkt, sondern auch die Ausgabenstruk-tur nachhaltig verbessert wird.

VII. SchlussfolgerungenAngesichts der heutigen Lage muss dieModernisierung des Staates schnell voran-getrieben werden. Allerdings ist die Kriseder öffentlichen Haushalte nicht mehrdurch herkömmliche Methoden zu bewäl-tigen. Obgleich lineare Kürzungen undsogenannte Giftlisten des Finanzministe-riums in modernen Steuerungskonzeptennicht vorgesehen sind, werden sie heutenoch gebraucht. Worum es aber wirklich geht, ist dieEntwicklung einer neuen Denkweise:»Zukunft modernes Brandenburg«.

Dies bedeutet:1. Betriebswirtschaftliche Steuerung deröffentlichen Haushalte:Nicht mehr Einnahmen/Ausgaben undstrikte Verbuchung nach Haushaltsjahren,sondern Kosten/Erträge und Bilanzenschaffen zukünftig die entscheidungsrele-vanten Informationen. Dazu gehören ineinem ersten Schritt Rücklagenmodelle,die den Einrichtungen mehr Flexibilitätgeben.2. Kosten- und Leistungsrechnung imöffentlichen Dienst schafft die Vorausset-zung zur Identifikation von Bereichen, die

im privaten Sektor kostengünstiger erle-digt werden können. Schon heute ist klar: Kürzungen in Ein-zelbereichen führen bei haushaltsstruktu-rellen Verwerfungen nicht weiter. Zukünf-tig müssen ganze Bereiche definiert wer-den, die nicht mehr staatlich oder kom-munal gefördert oder betrieben werdensollen. Weg von der Subventions- oderVollkaskomentalität!3. Bei den Mitarbeitern muss unterneh-merisches Denken und Kostenorientie-rung gefördert werden. Auch der soge-nannte hoheitliche Bereich darf sichzukünftig nicht völlig losgelöst von Wirt-schaftlichkeit bewegen. Dazu gehört auchdie kräftige Begrenzung oder besser nochAbschaffung des im Ausland teilweise völ-lig unbekannten und antiquierten öffentli-chen Dienstrechts einschließlich desBerufsbeamtentums. Kleine und flinkestaatsnahe oder lediglich im staatlichenAuftrag handelnde Agenturen erledigendort Aufgaben, die bei uns in den Ministe-rien liegen. Wenn die Aufgaben erledigtsind, verschwinden auch die Agenturenvom Markt oder werden völlig umgestal-tet. 4. Schwerpunktsetzung in einem moder-nen Brandenburg bedeutet auch die kon-sequente Nutzung moderner Datenverar-beitungstechnik; dies ist nebenbeibemerkt die unabdingbare Voraussetzungeiner funktionierenden Kosten-Leistungs-Rechnung und aller betriebswirtschaftli-chen Steuerungsmodelle. 5. Und schließlich geht es um die größtenHerausforderungen für die nächsten Jah-

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re: Wenn durch steuerpolitisch gewollteMaßnahmen (wie gerade von der Bundes-regierung beschlossen) eine dauerhaftniedrige Steuerquote erreicht wird – ins-besondere auch niedrigere Unternehmen-steuern -, dann fordert es die Ehrlichkeit,auch einen niedrigeren Ausgabenpfadanzusteuern.Konkret: Konsequente Streichung vonSubventionen für Unternehmen und auchhier im Osten. Es kann doch nicht auf dieDauer so weiter gehen, dass jeder Unter-nehmer erst einmal fragt, wieviel Zuschüs-se (z. B. im Rahmen der Gemeinschafts-aufgabe »Regionale Wirtschaftsförde-rung«) er vom Staat kassieren kann, bevorer investiert. Die Gesellschaft muss sich entscheiden:Will sie einen modernen, effizienten undmarktwirtschaftlich denkenden Staatssek-tor? Dann muss sie aber auch bereit sein,auf lieb gewordenes Versorgungsdenkenzu verzichten. Und das gilt natürlich auchund insbesondere für Unternehmer. An dieser modernen Form der Umgestal-tung des Staates führt kein Weg vorbei.Die jüngste Entwicklung im Fall Mannes-

mann/Vodafone zeigt doch schlaglichtar-tig, dass der internationale Wettbewerbmit aller Härte auch nach Deutschlandgreift. Es ist die wichtigste Aufgabe dasLand dafür fit zu machen. Die Vorbereitungen des Haushaltsstruk-turgesetzes befinden sich z. Zt. in derEndphase. Der Gesetzentwurf sollgemeinsam mit dem Doppelhaushaltsent-wurf 2000/2001 in drei Wochen von derLandesregierung beschlossen werden. Inden vorbereitenden Gesprächen dazu, vorallem aber in öffentlichen Äußerungenvon Interessenverbänden und in der Dar-stellung in den Medien ist einmal mehrdeutlich geworden, dass nahezu alle beab-sichtigten Sparmaßnahmen nur gegenmehr oder weniger hohe Widerständedurchsetzbar sind, vor allem dann, wenndie Sicherheit von Arbeitsplätzen oderArbeitsbedingungen von Landesbedien-steten unmittelbar berührt wird.Auch in Zukunft wird viel Kraft und einegroße Portion Stehvermögen aufgebrachtwerden müssen, um die ZukunftsfähigkeitBrandenburgs weiter voranzubringen.

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Wilma Simon ist Finanzministerin des Landes Brandenburg.

www.brandenburg.de/land/mdf

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Alle 2 bis 3 Jahre wiederholt sich das glei-che Ritual. Einer oder mehrere Wirt-schaftsexperten treten auf und brandmar-ken das raumordnerische Leitbild derdezentralen Konzentration als Überbleib-sel aus längst vergangener staatsdirigisti-scher Zeit. Die von diesen Experten favo-risierten Alternativen heißen „Förderungvon Wachstumspolen” oder - wie in deraktuellen Diskussion - „vorausschauendeRegionalpolitik”. Das Ziel dieser Vorstößeist es, insbesondere die Wirtschaftsförde-rung auf das Umland von Berlin zu kon-zentrieren. Der dadurch ausgelöste Wirt-schaftsboom bleibt - so zumindest hofftman - nicht auf den Speckgürtel von Ber-lin beschränkt, sondern breitet sich nachund nach über das ganze Land aus.

Der wiederkehrenden Forderung nacheiner Veränderung oder gar Abschaffungdes raumordnerischen Leitbilds wirdpostwendend vehement widersprochen -von anderen Wirtschaftsexperten, vonFachleuten für Raumordnung und vonPolitikern aus den ländlichen Regionen.Die Verteidiger des geltenden Leitbildsbetonen die politische Verpflichtung,gleiche Lebensverhältnisse in allen Lan-desteilen herzustellen und widersprechenenergisch dem Vorwurf, die wirtschaftli-che Entwicklung in Brandenburg sei mitden Mitteln der Raumordnung gebremstworden. Was ist dezentrale Konzentration? War-um wurde dieses Leitbild entwickelt?Wie leitet es das Regierungshandeln und

THEMA

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DAS RAUMORDNERISCHELEITBILD DER DEZENTRALEN

KONZENTRATION –RICHTSCHNUR ODER KORSETT

FÜR DIE LANDESENTWICKLUNG?

von Stefan Rink

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welche Beiträge zur Entwicklung desLandes gehen auf sein Konto?

Ursprung und Inhalt der dezentralenKonzentrationDie abrupte Einführung der Marktwirt-schaft in Ostdeutschland hat auch in Bran-denburg zu einem drastischen Struktur-wandel geführt. Das Niveau der wirt-schaftlichen Aktivität sank rapide, indu-strielle Produktionsstandorte mußten auf-gegeben werden oder überlebten nur nacheiner durchgreifenden Rationalisierung.Die brandenburgische Landwirtschaftund der Braunkohleabbau in der Lausitzverloren stark an Bedeutung. Bereits imersten Jahr nach der Wirtschafts- undWährungsunion war das Produktionsvo-lumen in der Industrie um ein Drittelgeschrumpft; 50.000 von ursprünglich180.000 Beschäftigten in der Landwirt-schaft und 60.000 von 300.000 Beschäftig-ten in der Industrie hatten ihre Arbeit ver-loren.Der wirtschaftliche Kollaps löste erhebli-che und bis heute anhaltende Wande-rungsbewegungen von der Peripherie desLandes in den Ballungsraum Berlin aus.Das wachsende Ungleichgewicht zwi-schen beiden Landesteilen war Anlass,nach einem raumordnerischen Leitbildfür die Gesamtregion Berlin-Brandenburgzu suchen. Dies geschah auf der Grundla-ge der Verfassung des Landes Branden-burg, die in Artikel 44 formuliert: DasLand gewährleistet eine Strukturförderungder Regionen mit dem Ziel, in allen Landestei-

len gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedin-gungen zu schaffen und zu erhalten. Einegemeinsame Regierungskommission derLänder Berlin und Brandenburg legteschließlich Ende 1992 die Eckwerte fürein gemeinsames Landesentwicklungspro-gramm vor, darunter das Leitbild derdezentralen Konzentration.Der Raumordnungsbericht definiert dasLeitbild der dezentralen Konzentrationwie folgt: Der Siedlungsdruck auf großeStadtregionen soll auf umliegende, zum Kernder Stadtregion dezentral liegende Entla-stungsorte gelenkt und dort konzentriert wer-den. Damit werden einerseits Entwicklungs-impulse auf die Zentren und ihre Verflech-tungsbereiche erwartet, andererseits soll damitder Zersiedelung des Landschaftsraumes ent-gegengewirkt werden. Der Entwicklungs-druck auf das Berliner Umland soll so -konzentriert auf Entwicklungsschwer-punkte - teilweise in die Fläche des Landesgelenkt werden. Entscheidend für die Aus-wahl der Schwerpunktorte sind die vor-handenen Arbeitskräfte- und Infrastruk-turangebote. Gleichzeitig werden beson-dere Probleme wie ehemalig militärischgenutzte Areale oder monostrukturierteindustriell-gewerbliche Schwerpunkteberücksichtigt (siehe Grafik).Seit 1993 hat das Leitbild Eingang in dieRessortpolitik der Landesregierunggefunden. Infrastrukturinvestitionen, derEinsatz von Wirtschaftsfördermitteln unddie Ansiedlung von Behördenstandortenwurden auf die räumlichen und sachlichenSchwerpunkte des Leitbilds konzentriert.

RAUMORDNERISCHES LEITBILD …von Stefan Rink

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Das Leitbild aus ökonomischer SichtBefürworter und Gegner des raumordne-rischen Leitbilds verfolgen gleiche theore-tische Konzepte, obwohl sie anderesbehaupten. Den Argumenten liegt in derRegel eine Theorie der Wachstumspolezugrunde. Nach dieser Theorie setztRegionalentwicklung an Regionen mitWachstumsvorsprüngen an. Diese beste-

hen, weil eine hoheBevölkerungskonzen-tration, eine großewachstumsstarke,dominierende Firmabzw. die räumlicheKonzentration von sol-chen Firmen das regio-nale Wachstum inGang setzen. Da solcheRegionen aufgrundihrer Attraktivität neueFirmen und qualifizier-te Fachkräfte anziehen,verfestigen sich dieWachstumsvorsprüngegegenüber anderenRegionen. Der Politikwird geraten, Wachs-tumspole besonders zufördern. Denn wenn inihnen die Gewerbege-biete ausgelastet sindund Fachkräfte knappwerden, schwappt dieWachstumsdynamikauf angrenzendeRegionen über. Für die Kritiker des

Leitbilds der dezentralen Konzentrationsind Berlin und sein Umland der einzigeWachstumspol. Eine vorrangige Förde-rung ist notwendig, um im weltweitenWettbewerb der Regionen zu bestehen.Die Befürworter des Leitbilds argumen-tieren kleinräumiger. Sie sehen auch in derPeripherie des Landes Wachstumspole.Außerdem konstatieren sie regionale Pro-

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bleme wie z.B. die Bewältigung des Struk-turwandels im Lausitzer Braunkohlere-vier, die nicht durch die Ausstrahlung derEntwicklungsdynamik aus dem BerlinerUmland gelöst werden können. Mit fol-genden ökonomischen Argumentenbegründen sie ihre Ablehnung einer nurauf den Ballungsraum Berlin ausgerichte-ten Regionalpolitik:Erstens: Wenn die Politik durch einseitigeFörderung des Berliner Raums die Bevöl-kerungswanderung dorthin unterstützt,dann wird die in der Peripherie vorhande-ne und zum Teil erst in den 90er Jahrenentstandene Infrastruktur entwertet, wasvolkswirtschaftlich auf eine Kapitalver-nichtung hinausläuft. Gleichzeitig muß imBerliner Raum verstärkt Infrastruktur(Gewerbegebiete, Straßen, Kindergärten,Schulen) neu entstehen. Zweitens: Das von lokaler Nachfrageabhängige Gewerbe wie Einzelhandel undHandwerk wandert mit der Bevölkerung.Durch Bevölkerungszuwachs ausgelösteswirtschaftliches Wachstum im BerlinerUmland kommt somit einer Verlagerungwirtschaftlicher Aktivitäten innerhalb derRegion Berlin-Brandenburg gleich. Volks-wirtschaftlich ist es wenig sinnvoll, durcheinen Verzicht auf die Anwendungraumordnerischer Instrumente einen ver-stärkten Zuzug in den Ballungsraum Ber-lin herbeizuführen. Drittens: Wenn die Bevölkerungsentwick-lung im Berliner Raum nicht gelenkt wird,dann steigen die Kosten der Infrastruktur.Wenn Wohngebiete überall und nichtgebunden an zentrale Verkehrstrassen ent-

stehen, dann müssen zusätzliche Straßengebaut werden, auf denen die Pendler ausdem Umland in die Stadt gelangen können.Beispiele aus den USA zeigen, dass dieInfrastrukturkosten pro Kopf in einer nichtdurch Raumordnung beeinflusste Entwick-lung auf das Zehnfache steigen können.

Fallbeispiel: WirtschaftsförderungDie Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserungder regionalen Wirtschaftsstruktur” (GA)wurde unmittelbar nach der Wirtschafts-und Währungsunion das wichtigste wirt-schaftspolitischen Instrument in Ost-deutschland und ist es bis heute geblieben.Denn die Investoren kamen nicht wieerhofft in Scharen. Marode Infrastruktur,hohe Arbeitskosten, ungeklärte Eigen-tumsverhältnisse, Altlasten etc. drücktendie erwartete Rendite von Investitionen.Die GA, aus der Zuschüsse für betriebli-che Investitionen und für Infrastrukturm-aßnahmen gezahlt werden, setzte wir-kungsvoll an diesen Schwachstellen an.Die Gemeinschaftsaufgabe ist ihremWesen nach ein Instrument der Regional-politik. Durch sie sollen auch innerhalbder Bundesländer regionale Standortnach-teile ausgeglichen werden. Dazu erarbeitetjedes Land eine eigene Förderkulisse, dieregional abgestufte Fördersätze vorsieht.In Brandenburg entwickelte sich die För-derkulisse in drei Phasen:In der ersten Phase 1991 und 1992 wurdedie Förderung nach der Strukturschwächeder Regionen gewährt. In Berlinnähewaren die Fördersätze niedrig, in der Peri-pherie hoch. Doch trotz höchster Förder-

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sätze investierten nur wenige Unterneh-men in der Peripherie. Im BerlinerUmland, an industriellen Kernen und ansonstigen Orten mit Wachstumschancenwaren die Fördersätze jedoch niedriger alsin vergleichbaren Standorten in den neuenBundesländern.In der zweiten Phase bis 1995 wurde dieListe besonders förderungswürdiger Stan-dorte deshalb unsystematisch ergänzt.Schnell wurde klar, dass eine sinnvolleFörderkulisse wirtschaftlich und wissen-schaftlich begründet sein mußte. Das ersteLeitbild sah eine Förderung des Städte-kranzes Neuruppin, Eberswalde, Frank-furt (Oder), Lübbenau/Luckau, Cottbus,Jüterbog/Luckenwalde und Brandenburgvor. Daraus ist im Wege der Verfeinerungdas Leitbild der dezentralen Konzentrati-on entstanden. Doch auch diese Förderkulisse erwies sichals wenig transparent und zu unflexibel.Das Land glich fördertechnisch einemFlickenteppich. Eine ökonomischeBegründung für die vielen unterschiedli-chen Fördersätze war nicht möglich. ImBerliner Umland wurden für unterschied-liche Investitionsarten auch wenig attrak-tive Fördersätze von 3% oder 5%gewährt, die den Antragsaufwand kaumlohnten. Abweichungen von den festge-legten Fördersätzen waren nur mit größ-tem Aufwand erreichbar.Bis 1996 wurde das Förderkonzept vonWirtschaftsminister Dreher gründlichüberarbeitet: danach konnte grundsätzlichjeder Betrieb an jedem Ort in Branden-burg die Höchstförderung erhalten, wenn

bestimmte Bedingungen erfüllt wurden,z.B. die Schaffung von Frauenarbeitsplät-zen, Ausbildungsplätzen oder Investitio-nen in Innovationen. Das Land unter-schied nur noch zwischen Schwerpunktor-ten in der Peripherie (A-Orte) und imBerliner Umland (B-Orte). Alle anderenOrte wurden zu „C-Orten”. DieGewährung der Höchstförderung war inden Schwerpunktorten der Peripherie ameinfachsten. Die Auflagen waren höher inden Schwerpunktorten des BerlinerUmlands und am höchsten dort, wo keineSchwerpunktorte definiert waren.Mit der 1996 entwickelten und bis heutegeltenden Förderkulisse war es möglich,flexibel auf die Standortpräferenzen vonInvestoren zu reagieren. Es zeigte sich,dass Investoren mit nicht auf den Bal-lungsraum Berlin ausgerichtetem Markt-konzept durchaus für Ansiedlungen in derPeripherie des Landes gewonnen werdenkonnten. Investoren dagegen, die dieNähe zu Berlin suchten, erhielten die glei-chen Förderbedingungen wie in allenanderen ostdeutschen Zentren.Nach neun Jahren Wirtschaftsförderungläßt sich feststellen, dass:• 75% der 13 Mrd. DM GA-Mittel in denAußenräumen des Landes platziert wor-den sind. • die brandenburgische Wirtschaft zwarim Jahr 1999 eine Verschnaufpause einge-legt, in den vorangegangenen vier Jahrenaber das höchste Wirtschaftswachstumaller Länder erreicht hat.• die Brandenburger weiterhin das höch-ste Inlandsprodukt in Ostdeutschland (je

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Einwohner und Erwerbstätigem) erwirt-schaften. • namhafte Unternehmen sich berlinferneStandorte suchten: u.a. ABB in Cottbus,MAN TAKRAF in Lauchhammer, Sam-sung Corning in Tschernitz, Lafarge inVetschau, Cargo Lifter in Brand, Toleram,Polyamid 2000 und La Seda in Premnitz,Hoechst in Guben, Pneumant in Fürsten-walde, Haindl und DEA/VEBA inSchwedt. • die Zeit der Ansiedlungen auch in derPeripherie Brandenburgs nicht beendetist: Wirtschaftsminister Fürniß kündigteim Februar 2000 die Förderung vonErweiterungsinvestitionen bei der BASFSchwarzheide an und unterschrieb eineAnsiedlungsvereinbarung mit der italieni-schen Gruppo Bonazzi in Schwedt.

Ergebnisse und AusblickMit der 1996 formulierten GA-Förderku-lisse verfügt die Wirtschaftspolitik überein transparentes und flexibles Instrumentzur Gewährung von Investitionszuschüs-sen für gewerbliche Unternehmen undInfrastrukturprojekte. Das raumordneri-sche Leitbild hat seitdem die wirtschaftli-che Entwicklung in Brandenburg nichtgebremst, sondern unterstützt. Es magEinzelfälle gegeben haben, in denenAnsiedlungen durch unflexibles Agierender Raumordnungsbehörden erschwertworden sind. Eine pauschale Diskriminie-rung des Leitbilds kann daraus jedochnicht abgeleitet werden.Dass die Wirtschaftspolitik Wachstums-

pole auch in strukturschwachen Regionenunterstützen sollte, hat mittlerweile auchStaatsregierung Sachsens erkannt. Siescheint nunmehr zu einer Abkehr der För-derung von Leuchttürmen in Leipzig,Chemnitz und Dresden bereit. Wirt-schaftsminister Schommer versprachgegenüber dem Handelsblatt, mehr Geldin bislang strukturschwache Regionenfließen zu lassen. Auch abgestufte Förder-sätze seien denkbar (Handelsblatt,24.2.2000, S.15).Die Regionalpolitik auf der Grundlage desraumordnerischen Leitbilds hat den Pro-zess des „Auseinanderdriftens„ der Lan-desteile gedämpft. Entgegen den Befürch-tungen Anfang der 90er Jahre verzeichnenzwei Drittel der brandenburgischenGemeinden im ländlichen Raum Zuwan-derungsgewinne. Jedoch geht diese positi-ve Entwicklung auf Kosten der Städte. Im Berliner Umland wurde der Prozessder Suburbanisierung durch dieRaumordnung positiv beeinflusst. DieHälfte aller befürworteten Planungen fürWohnungsbauten konzentriert sich aufpotenzielle Siedlungsbereiche, die weni-ger als ein Zehntel der Gesamtfläche aus-machen. So können die siedlungsnahenLandschafts- und Naturräume erhaltenund als Regionalparks entwickelt werden.Trotz dieser positiv zu bewertendenErgebnisse verschärft sich das Ungleich-gewicht zwischen dem Berliner Umlandund der Peripherie. Zum raumordneri-schen Leitbild der dezentralen Konzentra-tion gibt es daher keine Alternative. Um

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der Entwicklung der vergangenen JahreRechnung zu tragen und um die Wirk-samkeit der Regionalpolitik auch künftigsicherzustellen, sollten folgende Hand-lungsempfehlungen beherzigt werden:Erstens: Die Planungsphilosophie mussdauerhaft durchgehalten werden. In derWirtschaftsförderung ging dem heuteangewandten Förderkonzept ein langerLernprozess voraus. Die Phase der konse-quenten Umsetzung dieses Konzepts istsomit zu kurz, um ein abschließendesUrteil über Erfolg und Misserfolg zu fäl-len. Einschneidende Änderungen amLeitbild der Raumordnung setzen erneutein Lernprozess in Gang. Während diesesLernprozesses mit ungewissem Ausgangwird eine erhebliche Unsicherheit beiallen Handelnden - auch bei den umwor-benen Unternehmen - auftreten. Unsi-cherheit über wirtschaftspolitische Rah-menbedingungen ist jedoch ein minde-stens ebenso großes Investitionshemmniswie die vermeintliche Gängelung vonInvestoren durch eine Raumordnungs-behörde.Zweitens: Vorhandene Mittel müssen vor-rangig für Entwicklungsvorhaben inWachstumspolen eingesetzt werden. EinBeispiel hierfür liefern sog. Ansiedlungsi-nitiativen. 1998 wurde in Zusammenarbeitmit dem Chemieunternehmen BASFSchwarzheide eine solche Initiativebegonnen. Das Großunternehmen schafftgemeinsam mit der Wirtschaftsförderge-sellschaft und den örtlichen Verwaltungengünstige Rahmenbedingungen für diechemische Produktion. So verbilligen sich

Investitionsvorhaben für weitere Unter-nehmen der Branche im Vergleich zuanderen Standorten. Eine wesentlicheVoraussetzung dieses Ansatzes, der suk-zessive auf andere Standorte wie Schwedt(chemische Industrie) und Wittenberge(Holzindustrie) übertragen wird, bestehtdarin, das die Region sich darauf verstän-digt, finanzielle Mittel für die Gewährungvon Investitionszuschüssen und den Aus-bau der wirtschaftsnahen Infrastrukturvorrangig an solchen Standorten einzuset-zen.Drittens: Die Städte im Land Brandenburgbenötigen stärkere Unterstützung. Hierzuist ein ganzes Bündel von Maßnahmennotwendig. Ein Finanzausgleichsgesetz istnotwendig, damit die Städte auch weiter-hin Funktionen für das jeweilige Umlandwahrnehmen können. Die regionalenEntwicklungszentren müssen als Infra-strukturschwerpunkte ausgebaut werden.Stadt-Umland-Kooperationen sind not-wendig. So können Städte und lagebegün-stigte Gemeinden vereinbaren, gemein-sam für ein Gewerbegebiet der Gemeindezu werben und einen Teil der daraus resul-tierenden Steuereinnahmen an die Stadtzu überweisen. Zwischen Gewerbegebie-ten im Umland und Städten können Pen-dellinien eingerichtet werden, um dieNachfrage nach Wohngebieten außerhalbvon Städten zu begrenzen.

RAUMORDNERISCHES LEITBILD …von Stefan Rink

Stefan Rink ist Referent für Wirtschaft,Mittelstand und Technologie derSPD-Landtagsfraktion.www.brandenburg.de/spd/spd-fraktion/

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DIE HAUPTSTADTREGIONBERLIN-BRANDENBURG

„PERSPEKTIVEN DERFINANZPOLITIK“

Diskussionsveranstaltung mit Finanzministerin Dr. Wilma Simon

undProfessor Hans-Georg Petersen

am Mittwoch den 19. April 2000

im Universitätskomplex PotsdamGriebnitzsee

Haus 1, Raum 215

Eine Veranstaltung von

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EINLADUNG

perspektive 21Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik

Page 33: perspektive21 - Heft 10

In der politischen Arena Brandenburgs werden momentan der Entwurf zum Haus-haltsstrukturgesetz und der damit verbundene Doppelhaushaltsentwurf 2000/2001heiß diskutiert.Der Landeshaushalt steht unter enormen Konsolidierungsdruck, dennoch sind vieleMenschen mit der vorgesehenen Sparpolitik nicht einverstanden. Im aktuellen Heftder „Perspektive 21“ stellt die Brandenburger Finanzministerin Frau Dr. WilmaSimon die aktuellen Bedingungen und Perspektiven der Brandenburger Finanzpolitikvor.Anknüpfend daran möchten wir mit ihr und Hans–Georg Petersen, Professor fürFinanzwissenschaften an der Universität Potsdam diskutieren.Welche Chancen, aber auch Risiken verbergen sich hinter der aktuellen Sparpolitik?Hierbei gilt es vor allem die Finanzlage des Landes Brandenburg unter die Lupe zunehmen und zu hinterfragen, auch im Hinblick auf eine mögliche Fusion mit Berlin.Diese und andere Fragen sind Schwerpunkte unserer Diskussionsrunde zu der wirherzlich einladen.

PROGRAMM

19.00 Uhr Begrüßung und Eröffnung19.05 Uhr „Perspektiven der Brandenburger Finanzpolitik“

Frau Dr. Wilma Simon,Ministerin für Finanzen des Landes Brandenburg

19.25 Uhr Diskussionsrunde:„Hauptstadtregion Berlin - Brandenburg“-Chance oder Risiko für das Land Brandenburg?Diskussionsgäste: Frau Dr. Wilma Simon, Finanzmini-

sterin des Landes BrandenburgProfessor Hans-Georg Petersen,Professur für Finanzwissenschaften der Universität Potsdam

Moderation: Klaus Ness, Landesgeschäftsführer derSPD Brandenburg

21.00 Uhr Ende der Veranstaltung

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EINLADUNG

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Chancen und Perspektiven durch dieBahnreformEs gibt kaum einen Politikbereich der soim Interesse der Öffentlichkeit steht, wiedie Verkehrspolitik. Von Entscheidungenim Verkehrsbereich sind die Bürgerunmittelbar betroffen. Weiterhin hängenvom Ausbau der Infrastruktur in einerRegion unmittelbar die Entwick-lungschancen ab. Am Beispiel des Schie-nen-Personennahverkehrs in der RegionBrandenburg/Berlin soll dies verdeutlichtwerden.Bereits im Jahr 1991 entstand beim SPD-Landesverband Brandenburg die Ideeeines gemeinsam mit Berlin zu ent-wickelnden Regionalbahnnetzes.

Zukunftsweisend wurde es Zielnetz 2000genannt. Kernpunkte des Konzeptes sinddie Durchbindung der wichtigsten Regio-nalexpresslinien durch Berlin und dieschnelle Anbindung der Zentren des äuße-ren Entwicklungsraumes.Die Realisierung wurde jedoch erst durchdie von der EU beschlossene Bahnstruk-turreform möglich. In der BundesrepublikDeutschland wurde dies untersetzt durchdas Regionalisierungsgesetz. Hier ist fest-geschrieben, dass die Bundesländer abdem 01.01.1996 verantwortlich sind fürdie Bestellung des Schienen-Personen-nahverkehrs. Dazu zählen Regionalbah-nen, Regionalexpress und die S-Bahn.Vorher wurden diese Leistungen zentral

THEMA

ZUSAMMENWACHSEN DERREGIONEN DURCH

INFRASTRUKTURAUSBAU

von Jörg Vogelsänger

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durch den Bund bestellt. Dies führte nichtnur zu Meinungsverschiedenheiten zwi-schen Bund und den Ländern, sondernauch dazu, dass der Schienen-Personen-nahverkehr im Jahr 1993/94 seinen Tief-punkt bezüglich der Fahrgastzahlenerreicht hatte.Die Trendwende in Brandenburg wurdebereits mit dem Fahrplan 1994/95 einge-leitet. In Abstimmung mit Bund und Bahnwurde zum Fahrplanwechsel im Mai 1994der erste Abschnitt des Regionalexpress-1eingeweiht. Dieser Vorgriff auf die Lan-desverantwortung für den Schienen-Per-sonennahverkehr war sicherlich nur durchdas vorhandene Zielnetz 2000 möglich.Von diesem Zeitpunkt ging es im Stun-dentakt von Frankfurt/Oder und Fürsten-walde direkt nach Berlin-Ostbahnhof. Dassollte jedoch nur der Anfang sein.Das Land Brandenburg ist seit 1996 in derVerantwortung den Schienen-Personen-nahverkehr zu gestalten. Wir müssendabei die uns zur Verfügung stehendenMittel aus dem Regionalisierungsgesetz soeffektiv wie möglich einsetzen. Dies sindimmerhin rund eine dreiviertel MilliardeDM jährlich, alles Mittel der Steuerzahler.Somit wurde nicht jede Leistung imSchienen-Personennahverkehr im LandBrandenburg weiterhin bestellt. Das führ-te zu erheblichen öffentlichen Diskussio-nen. Jedoch ohne ein entsprechendesFahrgastaufkommen läßt sich der relativteure Schienen-Personennahverkehr ge-genüber dem Steuerzahler kaum rechtfer-tigen. Wichtig war bei diesen schmerzli-chen Entscheidungen, dass weiterhin ein

entsprechendes Verkehrsangebot imöffentlichen Personennahverkehr vorge-halten wird. Dabei unterstützt das LandBrandenburg den SPNV-Ersatzverkehrerheblich. Das ist im Sinne der Nutzerund natürlich auch der Landkreise, die fürden straßengebundenen ÖPNV verant-wortlich sind.Der Schienen-Personennahverkehr istinsbesondere bei schnellen, direkten undvertakteten Verbindungen konkurrenz-fähig. Seit dem Jahr 1996 kam es durch dieschrittweise Umsetzung des Zielnetzes2000 zu deutlichen Steigerungen derFahrgastzahlen. Ein Quantensprungerfolgte mit dem Fahrplanwechsel1998/99. Anbei eine Tabelle bezüglich derFahrgastzahlen. Trotz Anfangsschwierig-keiten ist die Stadtbahndurchbindung einvoller Erfolg. Im Jahr 1991 war es nocheine Vision, seit 1998 ist es Wirklichkeit.Städte wie Angermünde, Brandenburg(Havel), Eberswalde, Frankfurt/Oder,Fürstenwalde oder Lübben haben einedirekte Verbindung ins Berliner Zentrum,zum Alex oder Zoo. Besser noch, viele die-ser Städte sind schneller mit der BerlinerCity verbunden, als viele Gemeinden mitS-Bahn-Anschluss im sogenannten enge-ren Verflechtungsraum. In einer gutenhalben Stunde ist man von Brandenburg(Havel) am Bahnhof Zoo, eine knappedreiviertel Stunde braucht man von Ost-bahnhof nach Eberswalde. Damit wächstunsere Region Brandenburg/Berlin nichtnur zusammen, sondern auch Unterschie-de zwischen engerem Verflechtungsraumund äußerem Entwicklungsraum werden

ZUSAMMENWACHSEN DER REGIONEN …von Jörg Vogelsänger

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kleiner. Dabei machen wir nicht an derLandesgrenze halt. Der Regionalexpress-1führt alle 2 Stunden bis Magdeburg undmit dem RE-3 hat auch Dessau eine direk-te Verbindung nach Berlin. Mit dem Fahr-planwechsel 2000/01 gibt es übrigens auchwieder eine Direktverbindung Cottbus -Dresden mit dem Lausitz-Express. Eben-falls zwischen Cottbus und Leipzig wirddas Angebot verbessert.Im Werbeslogan heißt es „Berlin ist 24hgeöffnet„. Dies kann nun auch von denBrandenburgern genutzt werden. Mitdem Fahrplan 2000/01 werden auf denwichtigsten von Berlin ausgehendenStrecken zusätzliche Züge im Nachtver-kehr am Wochenende angeboten. Dabeiist der Fahrplan mit S-Bahn und BVGabgestimmt. Der Verkehrsverbund Ber-lin/Brandenburg wird zum Standortfak-tor.Die Einführung des Verbundtarifs am 01.April 1999 war kein Aprilscherz, sondernein sehr erfolgreiches Projekt. Maßstabsind auch hierbei die Fahrgastzahlen. Sostiegen nach Angaben des Verkehrsver-bundes seit dem 01.04.1999 die Fahrgast-zahlen beim:

Damit wird deutlich, dass die RE-Liniennicht Konkurrenz zur S-Bahn sind, son-dern das Gesamtsystem gestärkt wird.Die Bestellung von Verkehrsleistungen istdie eine Seite der Entwicklung. Genausowichtig sind Investitionen in die Schiene-ninfrastruktur. Wichtigstes Projekt hierbeiist der Bau des Nord-Süd-Tunnels durchdie Berliner City und der Bau eines zen-tralen Umsteigebahnhofes, dem LehrterBahnhof. Berlin bekommt damit zumersten Mal in seiner langen Eisenbahnge-schichte einen Zentralbahnhof. Damitwird das alte System der Kopfbahnhöfeendgültig ersetzt. Das sorgt auch für neuePerspektiven im Regionalverkehr. Mit derFertigstellung des Nord-Süd-Tunnels inBerlin werden sich die Fahrzeiten aus demNorden und dem Süden nochmals deut-lich verringern. Insbesondere in denLandkreisen Barnim, Oberhavel, Ucker-mark und Teltow-Fläming werden sichdamit verbesserte Perspektiven im Bahn-verkehr erschließen.Weiterhin muss in Brandenburg erheblichin die regionalen Schienennetze investiertwerden. Auf vielen Nebenstrecken sindmitunter nur durchschnittliche Reisege-

ZUSAMMENWACHSEN DER REGIONEN …von Jörg Vogelsänger

RE 1 zwischen Frankfurt/Oder und Berlin 15 %

RE 4 zwischen Nauen und Berlin 10 %

RE 2 zwischen Berlin und Cottbus 8 %

RB 21 zwischen Griebnitzsee und Golm 5 %

RB 22 zwischen Berlin-Schönefeld und Potsdam 5 %

S-Bahn Berlin GmbH über 4 % .

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schwindigkeiten von 40 km/h fahrbar.Damit ist die Schiene nicht konkurrenz-fähig. Die jahrzehntelange Vernachlässi-gung von Infrastrukturinvestitionen zuDDR-Zeiten erfordert mindestens einendreistelligen Millionenbetrag für denSchienenwegeausbau. Derzeit im Bausind der Prignitz-Express und die Schar-mützelsee-Bahn Fürstenwalde-Bad-Saa-row-Beskow. Dies darf erst der Anfangsein, weitere Projekte sind dringend not-wendig. Insbesondere gilt es auf die zügigeUmsetzung der Projekte zu drängen.Investitionen betreffen natürlich auch dieFahrzeuge. Der rote Regionalexpress ist

zu einem Markenzeichen der Regiongeworden. Weitere Doppelstockwagensind bestellt und werden mit Förderungdes Landes Brandenburg angeschafft.Dies ist schon deshalb notwendig, da viel-fach der Regionalexpress an seine Kapa-zitätsgrenzen stößt. Ein besserer Beleg füreine erfolgreiche Bahnpolitik gibt es nicht. Brandenburg ist Eisenbahnland. Die Nut-zer und die Regionen Brandenburg profi-tieren von der Neugestaltung des Schie-nen-Personennahverkehrs in Berlin undBrandenburg. Die Umsetzung des Ziel-netz 2000 trägt zum Zusammenwachsenunserer Region bei.

ZUSAMMENWACHSEN DER REGIONEN …von Jörg Vogelsänger

Fahrgastzählung Regionalverkehr (ohne S-Bahn) (Quelle: DB Region)

Aus-/Einsteiger pro Tag jeweils Juni bis September 1997, 1998, 1999

Bahnhöfe 1997 1998 1999

Fürstenwalde 4.650 6.249 6.169Erkner 1.545 1.701 3.635Angermünde 1.390 1.450 1.720Luckenwalde 920 780 1.040Eberswalde 3.220 3.490 3.360Potsdam Stadt /Hbf 7.130 7.780 8.300Potsdam Wildpark/Park Sanssouci 470 500 1.040Falkensee 1.660 2.020 2.420

Jörg Vogelsänger ist Mitglied des Branden-burgischen Landtages und VerkehrspolitischerSprecher der SPD-Landtagsfraktion. Er istVorsitzender des Unterbezirkes Oder-Spree.www.spd-brandenburg.de/ub/los.html

Page 38: perspektive21 - Heft 10

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Deutschland hat ein großes Interesse ander Aufnahme mittel- und osteuropäischerStaaten in die EU.1 Drei Gründe sinddafür maßgebend:1. Die westeuropäische Werte-, Sicher-heits- und Wohlstandsgemeinschaft hatdie moralische Verpflichtung zur Aufnah-me jener Staaten im Osten Europas, diedurch die Geschichte daran gehindertwurden, den Weg der europäischen Eini-gung von Anfang an mitzugehen (sieheCharta von Paris 1990). Jede andere Ent-scheidung würde Europa (und zwar Ost-sowie Westeuropa) nachhaltig schaden.Deutschland hat als (neben Österreich)diesem Raum am nächsten gelegenes EU-Land und aus historischen Gründen einebesondere Verantwortung, den Prozessder Umwandlung der westeuropäischenIntegrationsgemeinschaft in eine gesam-teuropäische voranzutreiben.2. Deutschland ist daran gelegen, keineneue soziale, wirtschaftliche oder sicher-

heitspolitische Trennlinie in Europa entste-hen zu lassen, weder an Oder und Neißenoch am Bug und Pruth. Frieden undSicherheit aller Europäer sind dauerhaftnur gewährleistet, wenn auch die Polen wiealle anderen Völker in Mittel- und Osteu-ropa in Frieden und Sicherheit leben kön-nen. Die geplante Osterweiterung der EUist der richtige Weg, um dies zu erreichen.Sie soll zugleich zur wirtschaftlichen, sozia-len und politischen Stabilisierung der mit-tel- und osteuropäischen Staaten beitragen. 3. Die EU-Osterweiterung besitzt aucheine beachtliche wirtschaftliche Dimensi-on. Europa wird einen zukunftsträchtigenMarkt mit über 100 Millionen Menschenintegrieren. Von diesem Markt könnenkünftig wichtige Impulse für die ökonomi-sche Dynamik der europäischen Integrati-on ausgehen. Eine Reihe von Beitrittskan-didaten, insbesondere Polen, Ungarn, Slo-wenien und Estland, haben eine bemer-kenswert positive Bilanz der wirtschaftli-

THEMA

BRANDENBURG UND DIEEU-OSTERWEITERUNG

von Jochen Franzke,Universität Potsdam

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chen Transformation seit 1990 vorzuwei-sen.Die Aufnahme neuer mittel- und osteu-ropäischer Mitglieder in die EU in dennächsten Jahren ist allerdings – entgegendem ersten Anschein – keineswegs ausge-macht. In einer Reihe von EU-Ländern,die auch geographisch weiter vom OstenEuropas entfernt liegen, werden anderepolitische Prioritäten bevorzugt. Vorallem aber die strukturelle Verknüpfungder Aufnahme neuer Mitglieder mit derReform der EU-Institutionen und ihrerArbeitsweise (die »Vertiefung«) könntedie EU-Osterweiterung weiter verzögernoder gar zum Scheitern bringen.2 Dasbedeutet: nicht nur die Beitrittskandidatenmüssen ihre »Hausaufgaben« machen(sprich den acquis communautaire inihren Ländern umsetzen), sondern auchdie EU und deren Mitgliedsstaaten müs-sen hinsichtlich der inneren Strukturre-form endlich zu Ergebnissen kommen.Die laufende Regierungskonferenz istdaher zum Erfolg verurteilt, um einenüberarbeiteten Amsterdamer Vertragrechtzeitig auf den Weg zu bringen.Heftig gestritten wird gegenwärtig umden möglichen Beitrittstermin der EU-Kandidaten. Dies ist keine akademischeDiskussion, den eine solche Terminierungmacht politisch durchaus Sinn. Erstens -so lehren die Erfahrungen der Diplomatie- sollte, wer politische Visionen realisierenwill, Fristen setzen. Nur damit könnenVerhandlungen vor einer zeitlichen»Drohkulisse« geführt und damit evtentu-ell beschleunigt werden. Zweitens sind

verbindliche Terminzusagen für die Bei-trittskandidaten von außerordentlicherBedeutung. Ohne diese würde der Druck,tiefgreifende Reformen mit weitreichen-den wirtschaftlichen und sozialen Konse-quenzen durchzuführen, deutlich nachlas-sen. Wachsende innenpolitische Instabi-lität unserer Nachbarn im Osten wäre dieFolge. Profitieren würden vor allem dienationalistischen Kräfte. Drittens würdedie Festlegung eines Termins allen Versu-chen einen Riegel vorschieben, den Pro-zeß der Ausweitung der EU nach Osten inletzter Minute doch noch zu stoppen oderauf die lange Bank zu schieben. Ex-Bundeskanzler Kohl hatte den Polenden EU-Beitritt für das Jahr 2000 verspro-chen und damit große Illusionen geweckt.Gegenwärtig ist das Jahr 2003 imGespräch. Eine weitere Verzögerung desBeitritts wenigstens einiger der mittel-und osteuropäischen Staaten vertrüge dieIdee eines einheitlichen Europas kaum. Essollte nicht vergessen werden, daß derpolitische Umbruch in diesen Staatenbereits vor über zehn Jahren erfolgt ist.Diese Völker eine weitere unbestimmteAnzahl von Jahren »vor der europäischenTüre« warten zu lassen, bildet eine nichtzu unterschätzende psychologische Bela-stung auf deren weiterem „Weg nachEuropa”. Das window of opportunitykönnte sich wieder schließen, wenn dieEuropabegeisterung der Eliten und derBevölkerung spürbar zurückgeht. ErsteAnzeichen einer solchen Entwicklung sindnicht zu übersehen. Schließlich wartennicht nur in Polen und Ungarn ausgespro-

BRANDENBURG UND DIE EU-OSTERWEITERUNGvon Jochen Franzke

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chen europafeindliche Kräfte darauf,unter Nutzung der anhaltenden Unzufrie-denheit über die bisherigen Ergebnisseder Transformation unter weiten Teilender Bevölkerung, endlich ihre Chance fürdie Regierungsübernahme zu bekommen.Welche Konsequenzen eine solche Ent-wicklung haben könnte, hat nicht zuletztdie Regierungszeit Meciars in der Slowa-kei gezeigt.Aber auch in Deutschland - täuschen wiruns nicht – besteht kein ein Konsens überdie EU-Osterweiterungspolitik. Dieantieuropäischen Positionen des bayeri-schen Ministerpräsidenten Stoiber wieauch unhaltbaren Forderungen von Ver-triebenenfunktionäre an die Beitrittskan-didaten belasten die Beziehungen zu mit-telost- und osteuropäischen Staaten. Esdeutet sich an, daß diese Fragen sicherauch in den bevorstehenden Wahlkämp-fen (z. B. zur Bundestagswahl 2002) eineRolle spielen könnten.

Brandenburg und die EU-Osterwei-terungDie Frage der EU-Osterweiterung istnatürlich eine Frage der deutschenAußenpolitik und fällt damit in die Kom-petenzen des Bundes. Europapolitik istseit vielen Jahren jedoch zugleich Innen-politik und berührt die Interessen derLänder. Gerade für die an mitteleuropäi-sche Staaten grenzenden deutschen Län-der – darunter Brandenburg - haben einstarkes Interesse dran, an der EU-Oster-weiterung als politischer Gestaltungsauf-gabe aktiv mitzuwirken.

Alle drei oben genannten Dimensionender EU-Osterweiterung werden auch vomLand Brandenburg mitgetragen. Für dieBrandenburger - wie für alle Ostdeut-schen, die im Zuge der Vereinigung aufder EU beitraten - ist dies auch eine Frageder Solidarität mit den Menschen östlichvon Oder und Neiße, die unter den Fol-gen der Teilung Europas immer nochstark zu leiden haben. Die politische undwirtschaftliche Dimension der EU-Oster-weiterung besitzt für Brandenburg alsGrenzland zu diesem Raum natürlichbesondere Bedeutung.Brandenburg hat in den zehn Jahren seiteiner Wiederbegründung als Land eineMenge getan, um die Zusammenarbeitmit seinen östlichen Nachbarn zu ent-wickeln. Im Rahmen seiner Möglichkeitenleistet es einen aktiven Beitrag zur Heran-führung dieser Staaten an die EU. Nun-mehr kommt es darauf an, die bis zumEU-Beitritt verbleibende Zeit zu nutzen,um sich auf die dann grundlegend verän-derten Bedingungen politischen einzustel-len. Dabei kommt es darauf an, diesenWandel – bei allen heute bereits erkenn-baren unausweichlich auftretenden Pro-blemen - als historische Chance zubetrachten.Für das Land Brandenburg ist die EU-Osterweiterungsproblematik vor allemmit der Perspektive seiner Kooperationmit Polen verbunden.3 Wenn unser Nach-barland Mitglied der EU wird, ändern sichdie Rahmenbedingungen dieser Zusam-menarbeit grundlegend. Brandenburgselbst wird von einer solchen Entwicklung

BRANDENBURG UND DIE EU-OSTERWEITERUNGvon Jochen Franzke

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wesentlich profitieren, da es ihm damitmöglich werden wird, sich aus seinergegenwärtigen EU-Randlage zu befreien. Was kann das Land Brandenburg, waskönnen seine Politiker konkret tun, umden Prozeß der EU-Osterweiterung zuunterstützen und damit verbundenenInteressen des Landes zu sichern? WelcheVeränderungen wird die EU-Osterweite-rung für die Menschen im Land mit sichbringen und wie können sie auf diese Ver-änderungen vorbereitet werden? Im fol-genden stelle ich einige Thesen vor, diezur Diskussion dieser Fragen beitragenund anregen sollen:1. Brandenburg wirkt – wie alle Bundes-länder - an der Erarbeitung eines zweiten,weitergehenden Amsterdamer Vertragesmit. In diesem Prozeß kann es viel dazubeitragen, daß die innere Reform der EUerfolgreich und rechtzeitig abgeschlossenund die EU-Osterweiterung nicht verzö-gert wird. 2. Die Idee der »deutsch-polnischenInteressengemeinschaft«4 sollte stärkerregional definiert und ausgestaltet werden.Dazu bestehen bereits viele gemeinsameGremien und Initiative in der Region, dieBrandenburg (natürlich auch Berlin) unddessen benachbarte polnische Wojewod-schaften umfaßt.5 Was offensichtlich fehlt,ist ein gemeinsames Leitbild, wie sichunsere Region - nach dem Beitritt Polensals Region innerhalb der EU - entwickelnsollte. Vielleicht wäre es an der Zeit, eineZukunftkommission ins Leben zu rufen,die den politischen und wissenschaftlichenSachverstand auf beiden Seiten der Gren-

ze zusammenfaßt und die das Ziel verfol-gen sollte, ein intelligente Zukunftsvisionfür unseren Raum zu entwerfen. Weiterreichende Ideen, die in letzter Zeitin Polen diskutiert werden, definieren die-sen Raum sogar größer. Dies laufen daraufhin aus, im Rahmen der künftig erweiter-ten EU einen polnischen-deutschen»Oder-Verband« zu schaffen. In der Regi-on zwischen Berlin, Rostock, Stettin,Warschau und Krakau könnten gemeinsa-me Strukturen z. B. im Schul- und Bil-dungssektor geschaffen werden.6 Bran-denburg sollte an solche Initiativenanknüpfen.3. Spezielle Überlegungen sind hinsicht-lich der künftigen Entwicklung derZusammenarbeit im deutsch-polnischenGrenzgebiet erforderlich. Die Grenze anOder und Neiße ist weiterhin eine derschwierigsten Grenzen in Europa. Sie isteine tief gehende sprachliche und mentaleGrenze, in gewisser Weise eine konfessio-nelle Grenze. Sie ist die Grenze in derWelt mit dem steilsten Lohngefälle.7 DieEU-Osterweiterung wird langfristig dazubeitragen, dieses Gefälle abzubauen. Dieswird umfassende Anpassungsprozesse aufbeiden Seiten von Oder und Neiße erfor-dern. Wenn sich die EU-Außengrenze beieiner Mitgliedschaft Polens nach Ostenverlagert, wird sich zugleich der trennen-de Charakter dieser Grenze vermindern.Negative Auswirkungen des Grenzregimewerden spürbar nachlassen (Verkehrs-staus, Zollkontrollen, Flüchtlinge). Aller-dings werden sich dann auch die finanzi-ellen Grundlagen der grenzüberschreiten-

BRANDENBURG UND DIE EU-OSTERWEITERUNGvon Jochen Franzke

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Dr. habil Jochen Franzke ist Sozialwissen-schafter an der Universität Potsdam, Wirt-schafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät.www.uni-potsdam.de/u/ls_verwaltung/index.htm

den Zusammenarbeit neu definiert wer-den müssen.4. Eine stärkere öffentliche Diskussion umdie Auswirkungen der EU-Osterweite-rung auf die Menschen in Brandenburg istdringend erforderlich. Dies ist vor allemeine Aufgabe der Parteien und Verbändeim Land wie natürlich der Institutionenfür politische Bildung. Unübersehbarsteht ein Teil der Brandenburger gegen-wärtig einem Beitritt Polens zur EUablehnend oder skeptisch gegenüber.8Dies ist ein deutliches Zeichen fehlendenSelbstvertrauens. Es zeigt auch, daßpolenfeindliche Vorurteile in unseremLand noch weit verbreitet sind.Viele Ängste brandenburgischer Arbeit-nehmer verbinden sich mit der Öffnungder Grenze für polnische Arbeitskräfte,die im Zuge des EU-Beitritts auch aufdem brandenburgischen ArbeitsmarktFreizügigkeit genießen würden. In derLandwirtschaft und im Handwerk sindÄngste vor der Konkurrenz aus demOsten Europas weit verbreitet. Diese Äng-ste sollen ernst genommen werden. Siewerden sicher in den Beitrittskonditionenauch ihren Niederschlag finden.9 Aller-dings macht es wenig Sinn, zu verschwei-gen, dass der Region schmerzhafte Verän-derungen bevorstehen. Die Erweiterungder Europäischen Integrationsgemein-

schaft nach Osten ist auch Teil der Globa-lisierung, vor der Abschottung wenig hilft. Wichtig für Brandenburg wird sein, wie esdem Land gelingt, von den möglichenWachtumsgewinnen einer EU-Osterwei-terung zu profitieren.10 Die Chancendafür stehen nicht schlecht. Die EU-Osterweiterung wird die Zugangsmög-lichkeiten brandenburgischer Unterneh-men zu den dortigen Märkten verbessern.Die Export in diesen Raum wird weiteransteigen. Es wachsen die Chancen fürInvestitionen mittel- und osteuropäischer,vor allem polnischer Firmen (mit entspre-chenden neuen Arbeitsplätzen) in unse-rem Land.Zur notwendigen öffentlichen Diskussiongehört – nicht nur in Brandenburg, aberauch hier - auch die Frage, wie die vertrie-benen Deutschen und die Polen dauerhaftausgesöhnt werden können. Die künftigeEU-Mitgliedschaft unseres östlichenNachbarn bietet auch den Vertriebenenund ihren Nachkommen neue Chancen,wenn sie wirklich zur Aussöhnung bereitsind.Betrachten wir die bevorstehende Erwei-terung der EU nach Osten als Chance füralle in der Oder-Neiße-Region lebendenMenschen, gemeinsam ihre Zukunft zusichern.

BRANDENBURG UND DIE EU-OSTERWEITERUNGvon Jochen Franzke

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1 Kandidaten aus diesem Raum sindPolen, Ungarn, Tschechien, Slowenien,Estland sowie die Slowakei, Rumänien,Bulgarien, Lettland und Litauen. Die EUführt seit 1999 mit der ersten Gruppe Bei-trittsverhandlungen und will diese mit derzweiten Gruppe in diesem Jahr aufneh-men.2 Welche Konsequenzen für die EU-Osterweiterung die Isolierung der neuenösterreichischen Mitte-Rechts-Regierungdurch die EU haben könnte, bleibt abzu-warten. Aber die Ratifizierung der Bei-trittsverträge durch Österreich könnte zueinem Druckmittel in dieser Auseinander-setzung werden und damit den Erweite-rungsprozeß in Gefahr bringen.3 Als zweiter Schwerpunktstaat für Bran-denburg in diesem Raum hat sich in denvergangenen Jahren Rußland herauskri-stallisiert.4 Dieser Begriff wurde 1990 von damali-gen polnischen Außenminister Skubisze-wski geprägt und dient den deutsch-polni-schen Beziehungen seither als konzeptio-nelle Grundlage.5 Die territorial vergrößerten Wojewod-schaften verfügen seit der Gebietsreformvom 1.1.1999 über größere Kompetenzen.6 siehe gemeinsamer Artikel des deutschenAußenministers Fischer und des polni-schen Außenministers Geremek »Europaist unsere letzte Utopie«; in: DERTAGESSPIEGEL, 17.2.2000.

7 Nach einer ILO-Studie verbessert einMigrant, der diese Grenze von Osten herüberschreitet, seinen Lohn um den Faktorelf. (siehe FAZ, 2.3.2000)8 Nicht vergessen werden sollte, dass auchauf der polnischen Seite solche Ängsteverbreitet sind, hier insbesondere vordeutschen Rückübertragungsansprüchensowie vor einem Ausverkauf an das »deut-sche Kapital«. Es ist auch eine Aufgabe fürBrandenburg, solche Ängste ernst zu neh-men und sich mit ihnen auseinanderzuset-zen.9 z. B. durch Übergangsfristen z. B. bezüg-lich der Freizügigkeit polnischer Arbeit-nehmer zumindestens in bestimmtenWirtschaftszweigen.10 Es gibt gegenwärtig sehr unterschiedli-che Szenarien über die wirtschaftlichenFolgen der EU-Osterweiterung, darunterauffallend viele pessimistische. Ich geheeher von einem optimistischen Szenarioaus und stützte mich dabei auf ChristianKeuschnigg (Universität des Saarlandes)und Wilhelm Kohler (Universität Linz),die in einer jüngst veröffentlichten Unter-suchung für die EU-Kommission davonausgehen, dass die EU-Osterweiterung zuvolkswirtschaftlichen Nettogewinnen ins-besondere in Frankreich, Großbritannien,Deutschland und Österreich führen wird.Sie schätzen die Wachstumsgewinne alleinaus der ersten Runde der EU-Osterweite-rung auf 0,4 bis 0,5% des BIP. (siehe FAZ,25.10.1999)

BRANDENBURG UND DIE EU-OSTERWEITERUNGvon Jochen Franzke

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Before my election to the European Par-liament five years ago I served as a Coun-cillor on a local planning authority wor-king with colleagues of all parties to strikethe right balance between meeting hou-sing needs and conserving the countrysi-de. It was not any easy job and I alwaystried desperately to encourage the provi-sion of affordable housing to meet localneeds developed in such away that wouldnot kill the goose that laid the golden egg– namely the rich countryside the we areprivileged to be the guardians of this partof Britain. In fact this has been the regional planningchallenge for the best part of a century inthe UK to plan for town and country. Theindustrial revolution began in Britain andurbanisation began with it. Cities likeLondon which were up until the begin-ning of the 19th Century collections of vil-

lages began to rapidly urbanise as thepopulation grew and rural areas depopula-ted. This urbanisation process threw up newproblems. Although it provided a workfor-ce to meet the growing demands of indu-stry it led to acute public health problemsand undermined the delicate balance inthe countryside between agriculture andconservation. Prior to the industrial revolution rural lifein Britain was hard and life expectancy wasshort, it was far from the romantic view ofthe countryside. However, a certain balan-ce existed between market towns and villa-ges and the establishment and the workingclasses. An equilibrium, almost unchan-ged since the end of the English Civil Warin 1660. Not democratic by any means,but not feudal either. That civil war ended the despotic rule of

THEMA

LONDONAND THE SOUTH EAST

von Mark F. Watts

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the monarchy and unleashed the forces ofenterprise which fostered trade, invest-ment and discovery creating the conditi-ons for industrial revolution.That revolution smashed the old orderand paved the way for the new in waysunthinkable to the ruling classes in thebeginning of the 19th Century. The biggest challenge became publichealth and public order. Although theseproblems were manageable in rural Britainin Britain’s cities they became quite unma-nageable. Poor living standards, squalor,lack of clean water, poor sanitation and anunhealthy diet coupled with appallingworking conditions fanned the flames ofdissent but more importantly for indu-strialists undermined the ability of labourto produce. Therefore, the public health movementgrew coupled with the development oflocal government in the form of publicworks boards and Poor Law boards tokeep the workers healthy (up to as point)and divided. The provision of basic infra-structure ironically created fresh problemsas transport improved and ultimately elec-tricity became the main source of power.For example the growth of the railwayscreated a new stage, namely counter-urba-nisation. The cities grew outwards, densi-ties fell and the countryside was eroded.In the 1920s so great was the problem thatit became a central concern of Govern-ment. Electric power in particular hadfreed many industries and were attractedto the huge consumer market of Londonwhich, at the same time, provided skilled

and versatile workers and a good distribu-tion centre not just for Britain but for theEmpire and beyond. A ‘Green Belt’ was advocated to be desig-nated around London. A girdle of openspace would check the growth of Londonand control the forces of counter urbanisa-tion. In 1935 the Labour controlled Lon-don County Council put forward a sche-me which owed much to Lord Morrisonof Lambeth. (The Great Grandfather ofcurrent Labour Minister Peter Mandels-on). The Green Belt Act of 1938 and the Townand Country Planning Act 1947 were theresult. London was not the only city tohave green belt designation. Birmingham,Leeds and Sheffield closely followed Lon-don’s lead.It was perhaps the defining planning deci-sion and marked an historic compromiseand consensus which prevails to this day.Namely development is to be focused inthe cities and the countryside is to be pro-tected. This at the time represented amajor intrusion of the state in the decisi-ons of private individuals and whole indu-stries but it suited the working classes inthe city and the middle classes in rural Bri-tain. It aimed not just to regenerate thecity and protect the country but toengineer a reduction in the gap betweenrich and poor, particularly through theprovision of better housing. The aim of fostering counter urbanisationwas however not always effective as deve-lopment jumped the green belt and deve-lopers just simply refused to invest in the

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LONDON AND THE SOUTH EASTvon Mark F. Watts

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city. In particular whilst the suburbs pros-pered the inner city declined. The 1947Act also nationalised almost all planningdecisions but it was essentially a negativetool and the resources to allow local aut-horities to encourage and facilitate deve-lopment were never up to the scale of thejob.Fifty years on the situation has hardlychanged and 1938 and 1947 Act, althoughup-dated, still define the relationship bet-ween City and countryside, between Lon-don and the South East. It was never a fully effective settlement astowns around London continued toexpand sometimes as a result of Govern-ment policy. In addition the developmentof local Government divided Londonfrom the surrounding counties, partlybecause London was more left inclinedthan the surrounding Conservative ruralareas, villages and towns. So even in the hay days of the British plan-ning system in the 1960s London secureda Greater London Council (GLC) torepresent inner city and suburban Lon-don, but the south east outside of Londonwas Governed at a local level by hundredsof smaller councils. Regional planning wasalmost impossible.To make matters in the 1980s MargaretThatcher abolished the Labour run GLCand London was governed once again bycity wide boards and 33 individualBorough Councils. She also seriouslyundermined the whole planning processand promoted a more laissez-faire regimewhich eroded the Green Belt concept.

Whilst the new Labour Government isrestoring local democracy to London withthe creation of a new Greater London Aut-hority and a Mayor for the first time for theentire metropolis, the surrounding areas ofSouth East England remain outside. Not a satisfactory solution but one whichrecognises the historic development oftown and country and the political realities.However, the new Government whilst notseeking to undermine the historic compro-mise mentioned earlier is trying to bolsterit. To once again foster inner city growth –a renaissance of city life – whilst protectingthe countryside. The previous Governments laissez-faireapproach seriously undermined our abilityto plan in a rational, sustainable way. Thelack of strong planning guidance coupledwith their obsession with overturning localplanning decisions at appeal underminedthe very essence of local democracy. That is why the recent announcement bythe British Deputy Premier, John Prescott,of a more responsive approach to housingneeds in the area is to be welcomed. The region outside London continues tounder perform economically and undoub-tedly the planning problems encounteredare a key factor. If we are to realise ofregional aim of becoming one of the mostprosperous regions in Europe we must, forexample, tackle housing as a matter ofurgency. We must be able to exploit astrategic location – between the threeworld cities of London, Paris and Brussels.And we must do that in an affordable andsustainable way.

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The approach of the last Government tolet developers decide was without questiona disaster, allowing developers to pick thebest greenfield sites first, and leave derelictor difficult sites to go under used . The old‘predict and provide’ approach gave usurban sprawl, out-of-town shopping andpepper-pot development. The DeputyPrime Ministers announcement kills thatapproach stone dead. Instead we have a new, more flexibleapproach which will conserve greenfieldland and improve the quality and design ofhousing developments. In future localCouncils must give priority to recyclingpreviously developed sites and empty pro-perties. Brownfield first, greenfield lastwill be the new planning law.60% of new homes will have to be on bro-wnfield land. This approach takes intoaccount the need to provide affordablehousing in towns and villages and the desi-re to protect he countryside by makingbetter use of brownfield sites. All local councils and local people willhave more say, more often. Afer brownfield development, the mostsustainable way to develop is to build townextensions. He is therefore proposing the

examine the potential for high quality, wellplanned development in Milton Keynesand Ashford. This will be subject to furt-her studies and extensive consultation. However, John Prescott’s proposals arejust that - proposals -and he has launcheda massive public consultation exercise. Perhaps at last the people of our regionwill be able to shape the future of theircommunities. Ironically they still encoun-ter many of the problems that were famili-ar in 19th century Britain. Poor housingand inadequate public health for the urbanpoor and isolation and social exclusion forthe rural poor. Whilst planning had undoubtedly been auseful instrument in regenerating the cityand preserving the countryside it has failedin one of its aims, namely to tackle thedivide between rich and poor in urban orrural Britain.

More information can be obtained on theDETR Website athttp://www.planning.detr.gov.uk E:mail me your views [email protected].

LONDON AND THE SOUTH EASTvon Mark F. Watts

Mark F. Watts ist und Mitglied des Europä-ischen Parlaments für Südostengland und derLabour Party.

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Die Region Berlin-Brandenburg ist soattraktiv wie seit Jahrzehnten nicht mehr.Diese Attraktivität entsteht nicht alleinedurch den Regierungsumzug, sonder auchaus den eigenen Potenzialen der Region.Die einzigartige Chance, diese Potenzialezusammenzufassen, Kräfte, Gelder undRessourcen zu bündeln, um Synergien zuerzielen, muss genutzt werden. Es muss aber auch aus den Fehlern von1996 gelernt werden. Richtig ist, dassobjektive Gründe eine Fusion der LänderBerlin und Brandenburg fast zwingenderfordern. Wichtig ist aber auch, dassBefürchtungen, Ängste und Vorbehalteabgebaut werden. Dieses erreichen wirnur dadurch, dass ein umfangreicher, nichtüberstürzter, gelebter und gut vorbereite-ter gesellschaftlicher Dialog über die Ziel-prämissen einer Fusion angeregt wird.

Vorschläge von gestern taugen nichtimmer für morgen. Jetzt muss ein wirklichneuer Vorschlag auf den Tisch. In derSache muss dieser von Brandenburg kom-men, also dem Land, an dem die Fusion1996 scheiterte. Die Politik muss erneutum die Zustimmung für dieses großartigeund ambitionierte Projekt werben. UmZustimmung wirbt man, indem man einengeeigneten Weg vorschlägt. Durch wel-ches Instrumentarium ein solcher Wegund der mit ihm einhergehende Diskus-sionsprozess organisiert wird, orientiertsich im Wesentlichen an der Einschätzungüber die Breitenwirkung. Für uns Sozialdemokraten ist eine Enque-te-Kommission Berlin-Brandenburg, inder Abgeordnete, Vertreter von Gewerk-schaften, Unternehmerverbänden, Kir-chen, den kommunalen Spitzenverbän-

THEMA

DIE HAUPTSTADTREGION ZURGEMEINSAMEN

ZUKUNFTSREGION ENTWICKELN!

- Vorschläge für den Weg zu einem gemeinsamen Land -

von Steffen Reiche

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den, Kirchen und andere SachverständigeAnsprüche an ein gemeinsames Land undeinen Staatsvertrag über eine Länder-neugliederung formulieren, der geeigneteWeg. Durch ihn werden große Teile derBevölkerung erfasst und können sichschon frühzeitig an der Diskussion überdie Ziele einer Fusion und deren Ausge-staltung beteiligen.

Folgende Themen müssen Schwerpunktein der Debatte über das neue gemeinsamLand sein:

ZeitablaufDie Zeitpunkte für die Bildung einesgemeinsamen Landes sind seit dem 1999synchronisierten Legislaturperiodenimmer zu den Wahlzeitpunkten gegeben -also 2004, 2009, 2014. Das Jahr 2004 istnicht nur nach Einschätzung der SPD ein-deutig zu früh und seit der Berliner Koali-tionserklärung darüber hinaus ein unmög-licher Zeitpunkt geworden, da die not-wendige Konsolidierung des BerlinerHaushaltes bis dahin noch nicht so weitfortgeschritten ist, wie es notwendig wäre.Ein zu später Zeitpunkt - also 2014 - wür-de unsere Region aber in das Hintertref-fen geraten lassen. Deshalb ist das Jahr2009 aus unserer Sicht das geeignete Jahr,die beiden Länder Berlin und Branden-burg in ein gemeinsames Land aufgehenzu lassen.Im Jahr 2007 sollte - um einen genügen-den zeitlichen Vorlauf gewährleisten zukönnen - eine Volksabstimmung über eine

gemeinsame Berlin-Brandenburger Ver-fassung und einen neuen Vertrag zurLänderneugliederung erfolgen. Bis dahinwissen die Menschen nicht nur technisch,welche Schritte man zum gemeinsamenLand gehen muss und wie das Land, dieHauptstadt und die Flagge heißen bzw.aussehen, sondern sie bestimmen auchden Rahmen, in dem man ab 2009 zusam-menlebt.Aber noch ein anderen Grund spricht fürdiesen Zeitpunkt: Im November 2009werden 20 Jahre Mauerfall gefeiert wer-den. In diesem Jubiläumsjahr eine weitereOst-West-Vereinigung abzuschließen,hätte hohen symbolischen Wert für dieHerstellung auch der inneren Einheit.

VerfassungEin gemeinsamer Verfassungsentwurf istunabdingbare Vorraussetzung für eineFusionsentscheidung. Hierbei bildet derVerfassungsentwurf von 1996 einen Ori-entierungsrahmen. Der damalige Entwurfmuss aber grundlegend überarbeitet undan die neuen Verhältnisse angepasst wer-den. Insbesondere muss er den Menschendie Befürchtungen nehmen, dass eineLänderneugliederung zu Disparitätenzwischen den Regionen führt. Vielmehrmüssen sich schon aus der Verfassung her-aus die Chancen und Potentiale einesgemeinsamen Landes für die Bevölkerungableiten lassen.Die Grundlagen für den Verfassungsent-wurf müssen in der Enquete-Kommissiongelegt werden.

HAUPTSTADTREGION ZUR ZUKUNFTSREGION ENTWICKELNvon Steffen Reiche

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HaushaltspolitikDie Länder Berlin und Brandenburg hat-ten für 1999 ein vergleichbares Niveau derNettokreditaufnahme vereinbart. Diesesmuss auch für einen neuen Fusionsanlaufgelten. Es muss einer verbindliche Verein-barung darüber getroffen werden, bis2009 in beiden Länder die Nettoneuver-schuldung auf 0 zu fahren haben und mitdem Schuldendienst begonnen zu haben.Brandenburg wird dieses bereits 2002umgesetzt haben.

Angleichung der LebensverhältnisseEin sozial zweigeteiltes Land ist politischnicht gewollt und birgt - wie nicht zuletztdie Erfahrungen der Wiedervereinigungzeigen - erhebliche Gefahren für dasZusammenwachsen der Region. Ver-gleichbare Lebensverhältnisse, was insbe-sondere auch Arbeitszeit und Einkommenbetrifft, sollen bis 2009 erreicht sein. Esmüssten von heute an jährlich nur 1 Pro-zent strukturelle Anpassungsschritteunternommen werden, bis auf 2 Jahre, wozum Schlussspurt ein doppelt hoherBetrag zumutbar und auf Grund derAngleichung der Arbeitsproduktivität unddes Steueraufkommens auch finanzierbarsein müsste.

abgestimmte LandesplanungBis zur Fusion der Länder Berlin undBrandenburg muss die Zusammenarbeitauf Regierungs- und Verwaltungsebene,wie im Kabinett verabredet, weiter inten-siviert werden. Schon heute bieten sich

vielfältige Anknüpfungspunkte fürgemeinsames Regierungshandeln in wich-tigen Feldern der Landespolitik. Beispiel-haft seien hier nur die Bereiche Bildungund Hochschule, Kultur, Innenpolitik undWirtschaft genannt.Die Anfänge sind insbesondere durch einegute Arbeit des Koordinierungsrates zuverstärken und dadurch, dass sozusagenparteinah die sozialdemokratischen Bil-dungs-, Arbeits- und Sozial- bzw. Stadt-entwicklungs- und Planungsverantwortli-chen (Reiche-Böger, Schöttler-Ziel, Strie-der-Meyer/Birthler) zusammenarbeiten.Parteiübergreifend ist das gemeinsameInteresse an einer Haushaltskonsolidie-rung zu organisieren (Simon-Kurth).

Die Sozialdemokraten aus Berlin undBrandenburg sollte die Chance für einenneuen Fusionsanlauf aktiv wahrnehmenund politisch gestalten. Gleichzeitig müs-sen sie sich aber auch der Verantwortunggegenüber den Bürgern bewusst sein, die-se mit einbeziehen und sie auffordern, ander Gestaltung des neuen Landes mitzu-wirken. Eine Länderneugliederung, dievon unten mitgetragen und mitverantwor-tet wird, wird auch eine breite Zustim-mung und Engagement in Berlin undBrandenburg erfahren.

HAUPTSTADTREGION ZUR ZUKUNFTSREGION ENTWICKELNvon Steffen Reiche

Steffen Reiche ist Landesvorsitzender derSPD Brandenburg und Minister für Bildung,Jugend und Sport des Landes Brandenburg.www.brandenburg.de/land/mbjs

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Wir wollen es zugeben: Wenn die Fusionder zwei Bundesländer Berlin und Bran-denburg bei den bevorstehenden Volksab-stimmungen scheitern sollte, ginge ansch-ließend die Welt nicht unter. Die beidenSubjekte würden weiterhin nebeneinanderexistieren, sie würden sich gelegentlichden Weg versperren, und in allen entspre-chenden Entscheidungsgremien, von derLänderministerpräsidentenkonferenz biszur Assoziationsrunde der einzelnen Fach-minister, würden sie jeder ihr schwachesStimmchen erheben, um, wie bisher, eineneher bescheidenen Einfluß geltend zumachen.Selbst die erhofften Einsparungen im Ver-waltungsapparat, die von den Fusionsbe-fürwortern ständig hervorgekehrt werdenund die in der Tat, angesichts gähnenderLöcher in den öffentlichen Haushalten,ein triftiges Argument bedeuten, würden,so behaupten es jedenfalls die Fusionsgeg-

ner, wohl bloß bescheiden ausfallen, undangesichts des Umstands, daß alle büro-kratischen Apparate in der modernenWelt nach dem Parkinsonschen Gesetz zueiner ständigen Vergrößerung ihrer selbsttendieren, würden sie schon bald wiederaufgezehrt sein.Ich fürchte, dies alles trifft in etwa so zu.Mit der Rechnung des sprich-wörtlichenMilchmädchens ist das Zusammengehender beiden Territorien bloß ungenügendbegründbar.Von größerem Gewicht scheint mir da dasArgument der Ansiedlungsmanager. Manweiß, die einzelnen Länder der Bundesre-publik Deutschland verstehen sich vorran-gig als Agenturen und Maklerbüros füranstehende industrielle Investitionen. Imeinen und anderen Fall hat dies spekta-kuläre Erfolge gezeitigt. Die früher ärmli-che und einigermaßen rückständigeAgrarregion Bayern wurde durch solche

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REALISTISCHE UTOPIE

von Rolf Schneider

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Art inständiger Bemühung binnen bloßanderthalb Jahrzehnten zu jener blühen-den HighTech-Landschaft, die sie heuteist, und im benachbarten Württembergverhalten sich die Dinge ebenso. Wenngegenwärtig ein Investor im BerlinerRaum unternehmerische Neugierdeäußert, treten ihm die beiden interessier-ten Bundesländer als erbitterte Konkur-renten gegenüber. Berlin kann dabei miteinem Reservoir an vergleichsweise besserausgebildetem Arbeitspersonal, Branden-burg mit seinen ungleich niedrigerenBodenpreisen argumentieren. Jeder dieserunzweifelhaften Vorzüge wird durch dieKonkurrenzsituation alsbald zunichtegemacht, wogegen bei einer administrati-ven Einheit in solchen Fällen viel vernünf-tiger und angemessener verhandelt wer-den könnte. Berlin liegt heute an der Peripherie. Vonseinem östlichen Stadtrand bis zur polni-schen Staatsgrenze an der Oder sind eseben siebzig Kilometer, von seinem west-lichen Stadtrand bis zur belgischen Staats-grenze sind es hunderte, und gleich meh-rere deutsche Schicksalsflüsse müssendabei überquert werden: die Elbe, dieWeser und der Rhein. Die gegenwärtigeRandlage der größten deutschen Stadt isteines von vielen melancholischen Ergeb-nissen des Zweiten Weltkriegs, und siewird, sehen wir von ein paar rechtsradika-len Narren ab, durch niemanden mehrernsthaft in Frage gestellt.Daß Hauptstädte in der geographischenMitte des von ihnen aus verwalteten Terri-toriums liegen, ist keinesfalls die Regel:

Washington, St. Petersburg und selbstLondon beweisen das Gegenteil. Den dreizitierten Orten ist freilich auch gemein-sam, daß ihre periphere Situation vonBeginn an vorgegeben und, da es sichdabei um Flußmündungen mit wichtigenSeehäfen handelte, auch gewollt war. AlsBerlin eine Hauptstadt wurde, befand essich völlig im geographischen Zentrumerst des preußischen, später des Deut-schen Reiches. Es wußte mit dieser Situa-tion logistisch umzugehen, da es von ihrseit jeher geprägt war, als Verkehrsknoten-punkt und als kulturelles Zentrum.Dergleichen kam der Stadt mit ihrer nunvöllig anderen geopolitischen Lage mehroder weniger abhanden, und es blieb dannauch nicht bloß bei dieser einen Beschädi-gung. Die andere, spektakulärere, geschahihr durch die deutsch-deutsche Nach-kriegspolitik, da sie erst virtuell, dannhöchst sinnfällig geteilt wurde und jededer beiden an Größe und Gewicht soungleichen Stadthälften hernach eine ganzunterschiedliche Entwicklung antrat.Besonders die drei Westsektoren lebtennach einem ziemlich unruhigen Einstandals Blockadeobjekt und Gegenstandsowjetischer Eroberungsbegierden überlange Zeit ein nicht unkomfortables Son-derdasein.Das wurde teuer alimentiert. Die BonnerBundesrepublik entrichtete Milliardenzah-lungen, die den Stachel im Fleisch deskommunistischen Ostens scharf undlebendig hielten. Zudem konnte sie sichdadurch für ihr schlechtes Gewissen inSachen ostelbischer Angelegenheiten

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einen beruhigenden Ablaß erkaufen. DieGelder flossen in Industrien, die sonstabgewandert wären, in Wohnungen, diereichlich und ansehnlich gebaut wurden,und ernährten einen Kulturbetrieb, der soüppig und aufwendig im gesamten übrigenLand kein Beispiel fand. Die Halbstadtwurde ein Eldorado für Nachtschwärmerund anarchistische Aussteiger, da die inDeutschland sonst überall gültige polizeili-che Sperrstunde hier nicht stattfand. West-berlin hatte keine Bundeswehr und kannteauch keinen Dienst dortselbst, hingegenbot es mit dem bröselnden PlebejerbezirkKreuzberg eine urbanistische Nische fürjegliche Form von alternativem Dasein.Seit dem Viermächte-Abkommen über dieStadt war ihr Westen nicht mehr ernstlichbedroht. Die Furcht vor roter Umklam-merung und Inbesitznahme wurde zueiner ritualisierten Äußerlichkeit, mit dersich vor allem werbewirksame Effekteerzeugen ließen, bevorzugt bei den zahl-reichen Besuchern aus aller Welt. Als einsonderbares soziales Biotop lebte dieHalbstadt mitsamt ihren Bewohnern ihrprivilegiertes Dasein bis zum Fall derinnerstädtischen Mauer.Da wurde ihr offenbar, daß Gewohnheitenenden können und sich Privilegien wiederzurücknehmen lassen.West-Berlin mußte sich zurück in dieNormalität bequemen, und die erfuhr sieüberwiegend als Benachteiligung und Ein-buße. Die meisten Gelder flossen nichtmehr. Die Industrien verließen die Stadtnun doch. Größere Zuwendungen, sofernsie erteilt wurden, gingen vorwiegend in

den Osten. West-Berlin begann sich alsein Hauptopfer der deutschen Wiederver-einigung zu empfinden und produziertdeswegen hauptsächlich schlechte Laune.Die Fusion von Berlin und Brandenburghat ihre massivste Ansammlung von Geg-nern unter anderem hier, und zumal inden konservativen Villenvororten rundum den Wannsee und Grunewald herrschtdie Angst, man könne in dem roten Meerder Mark Brandenburg unrettbar versin-ken. Es handelt sich bei diesem Gefühl umeine aus Ignoranz und mangelnder Flexi-bilität genährte Schimäre. Es müßte näm-lich bloß die Rechnung angestellt werdenhinsichtlich der Bevölkerungsstärken:Berlin hat vier Millionen Einwohner,Brandenburg eben zweieinhalb. Der Ein-fall, daß gerade die gewünschte und ver-suchte Fortexistenz der insularen Künst-lichkeit sich als ruinös erweisen könnte,vor allem für die Betreiber, scheint nochniemandem gekommen.Das Biotop ist vom Ende bedroht. Es kannSterben heißen oder Trans-mutation. Fürszweite steht allein die Vereinigung.Berlin hat fast keinerlei historische Erfah-rungen als Stadtstaat. Dies macht dengewichtigen Unterschied etwa zu denHansestädten Hamburg und Bremen, diedamit erfolgreich und folgenreich über dieJahrhunderte kamen, die daraus ihrSelbstwertgefühl bezogen, ihre demokra-tischen Regularien und ihre kulturelleIdentität. Zudem kommen neuerdingsdeutliche Tendenzen auf, die mit demPrinzip Stadtstaat notwendig verbundeneKleinteiligkeit baldestmöglich zu beenden

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und in einer allgemeinen Gebiets- undVerwaltungsreform eine administrativeAusgeglichenheit anzustreben. Sollte aus-gerechnet das deutsche Bundesland Ber-lin, das bar aller hanseatischen Erfahrun-gen ist und demnächst sowohl das zentraleParlament als auch die gesamtdeutscheExekutive beherbergen wird, in diesemStatus fortfahren können? Als Dienstlei-stungskoloß, als Verwaltungs- und Reprä-sentationsriese, dem der natürliche wirt-schaftliche Stoffwechsel mit einer produ-zierenden Industrie überwiegend abhan-den kam, drohten ihr alle Monstrositäteneines urbanen Wasserkopfs.Den von Berlin entfernteren Gebieten derMark Brandenburg droht das genaueGegenteil, nämlich eine schleichendeDevastierung.Brandenburg ist armselig, Brandenburg istarm. Die Landschaft, bestimmt von dengeologischen Hinterlassenschaften derletzten Eiszeit, besteht hauptsächlich ausBinnenseen und Sand. Die Wälder habenals Vorzugsgewächse die Kiefer und dieBirke. Das Land ist dünn besiedelt. DieAgrarwirtschaft, die betrieben wurde undteilweise noch betrieben wird, läßt ihreUrsprünge in der Latifundialorganisationdes preußischen Landadels erkennen. Siewar eher extensiv als intensiv, denn dieBöden waren meistens schlecht. Ambesten gedieh der Erdapfel, den man auchvergären und brennen konnte. Der billig-ste Fusel im wilhelminischen Deutschlandwar der in brandenburgischen Destillerienerzeugte Kartoffelschnaps.

Das gewöhnliche brandenburgische Dorfbesteht aus einer langen Durchgangs-straße, von der ein paar Querwege abge-hen. An den Rändern hocken langge-streckte und niedrige Siedlerhäuser mitSatteldach. Den Dorfmittelpunkt bildeteine aus Feldsteinen errichtete Kirche,und dann gibt es noch das Gutshaus, aus-gestattet mit spätbarockem oder klassizi-stischem Zierat. Meist ist es ziemlich ver-fallen, wofür es gleich zwei Ursachen gibt:Der Staat DDR nutzte dergleichen erbar-mungslos als Verwaltungsgebäude oderKindergarten und tat für den Erhalt über-haupt nichts. Zusätzlich zeigte und zeigtsich die Bausubstanz so miserabel, weil sieso billig war. Die ostelbischen Landjunkerhatten für die höheren Formen feudalerRepräsentation kein Geld, und sofern siedoch welches hatten, verjuxten sie es lie-ber am Spieltisch oder bei der Parforce-jagd und spendierten es nicht etwa für dieKultur.Dies alles hat sich in sechs Nachwendejah-ren fast überhaupt nicht verändert, undwenn kein kräftiger Adrenalinstoß erfolgt,wird es auch künftig dabei bleiben. KeinZweifel besteht, daß man sich aus uralterRoutine mit den Zuständen derart abge-funden hat, daß man sie als gottgegebenund jegliche Veränderung, wie die Fusionsie brächte, als Unglück empfindet. Esherrscht eine geheimnisvolle, den Betei-ligten kaum bewußte Symbiose mit denFusionsgegnern in den West-Berliner Vil-lenvororten. Man kann sie entwederrespektieren oder bekämpfen. Jene aus derclasse politique, die sie respektieren,

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fürchten in aller Regel bloß um ihre bis-lang gesicherten politischen Pfründe.Nur recht selten ist in der Fusionsdebatteein Argument zu vernehmen, dasgeschichtliche Erinnerungen beschwört,indem es die Vereinigung zu einer ver-suchten Restitution des alten Preußenerklärt.Preußen, das weiß man, ist der derzeitlebendigste Untote der europäischenGeschichte. Fortwährend wird inzwischenpreußischer Geist beschworen, preußischeTugenden werden gerühmt, preußischeUntugenden verdammt, und ein beson-ders bizarrer Gedanke lautet, der einzigwirkliche Verlierer des Zweiten Weltkrie-ges sei Preußen gewesen.Diese hübsche These verdankt sich zweiAmateurhistorikern, Sebastian Haffnerund Wolf Jobst Siedler. Sie kamen schonvor einem Vierteljahrhundert damit aufden Markt. Seit 1990 sitzt Deutschlandeindeutig unter den Gewinnern des Kal-ten Krieges, und da der bekanntlich indirekter Fortsetzung des Zweiten Welt-krieges verlief, hat Deutschland diesengleich noch mitgewonnen.Unter den Verlierern aber, angeführt vonden Russen, befindet sich der StaatPreußen. Während das übrige Deutsch-land, wie es Siegern zukommt, entweder inseinen alten Beständen fortexistiert oder,wie Bayern und Württemberg, mitbeträchtlichen Landgewinnen arrondiertwurde, sieht sich Preußen diminuiert aufdie Grenzen der Mark Brandenburg zurhochmittelalterlichen Zeit von Albrechtdem Bären. Sämtliche unwiederbringli-

chen deutschen Landverluste im Ostenbetreffen ehedem preußisches Territorium.Dies alles geschah in der Konsequenz vonBeschlüssen, die auf der Konferenz derdrei alliierten Siegermächte vom 17. Julibis zum 2. August 1945 im PotsdamerSchloß Cecilienhof gefaßt worden sind.Damals entschied man unter anderem,den Staat Preußen als Hort des deutschenMilitarismus und der imperialen Aggressi-on für immer zu zerschlagen. Keine ande-re Übereinkunft der Siegermächte betref-fend das unterlegene Deutschland wurdeso angelegentlich befolgt. Der Beschlußist dennoch oder eben deshalb Wirklich-keit geworden und geblieben, und ob manihn heute aufheben könne und dürfe, isteine durchaus bedenkenswerte Frage.Was aber war denn eigentlich Preußen,und was sind die Antriebe seines histori-schen Vampirismus?Der Name, man weiß es, kam von einerindogermanischen Völkerschaft, den Pru-zzen. Sie saß im Baltikum und ähnelte inSprache, Religion und Kultur den Litau-ern und den Letten. Ihr Siedlungsgebietfiel unter die Eroberungen des Deut-schritterordens, dessen letzter Hochmei-ster ein Hohenzoller war. Nach dessenAbtritt gerieten die Herrschaftsansprüchean dessen nächsten Verwandten, der dieBrandenburger regierte.Als der Sohn des barocken KurfürstenFriedrich Wilhelm in einem Anfall vonabsolutistischem Geltungswahn nach derKönigswürde gierte, nahm er die Krönungauf borussischem Gelände vor. Er über-nahm den dortigen Territorialnamen in

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seinen Regententitel und nannte sichnicht brandenburgischer, sondern preußi-scher König.Bereits sein Enkel war dann jenes außeror-dentliche Talent, das jede feudale Dyna-stie, sofern sie nur lange genug regiert,irgendwann einmal hervorbringt. Neuer-dings ist es wieder üblich, von Friedrichdem Großen zu reden, woran ich persön-lich nicht teilnehmen mag, da dieserMensch so genialisch wie furchtbar war.Sein glänzender Intellekt wurde relativiertdurch Zynismus, Menschenverachtung,Blutdurst, und die Stellung, in die er seinLand hineinkartätschte, war mit dem mas-senhaften Elend seiner und anderer Lan-deskinder erkauft. Was er hinterließ, warfreilich unzweifelhaft eine europäischeGroßmacht.Sie hat die Erschütterungen und Niederla-gen, die ihr im Verlauf der folgendenanderthalb Jahrhunderte widerfuhren,irgendwie sämtlich bewältigen können, umim Zweifelsfalle gar noch daran zu wach-sen. Sie wurde die Hegemonialmacht desdeutschen Kaiserreiches von 1871, undselbst in der ersten deutschen Republikwar sie mit dem Staat so gut wie identisch.Preußens Erfolge waren stets militärische.Das gilt nicht bloß für die in den schlesi-schen oder dänischen Kriegen blutigerfochtenen Territorial-gewinne, sondernaußerdem für die innere Organisation, diebevorzugt der Vorbereitung des Militäri-schen diente und deren Strukturen mitjenen des Heeres entweder identischwaren oder von daher ihre Vorbilder bezo-gen. Das beginnt schon mit dem Kurfür-

sten Friedrich Wilhelm, der sich anstelleder bis dahin üblichen Söldnerarmeen einstehendes Heer schuf Es geht weiter mitdem Kantonsystem des Soldatenkönigs,mit der Unterordnung von Landwirtschaftund Manufaktur unter die Heeres-bedürf-nisse, mit der unbedingten Verpflichtungdes Landadels zum Offiziersberuf, mit derAdaption von Volksheer und Ievde en masse,beides Errungenschaften der Französi-schen Revolution, über die konservativePreußenmonarchie bis hin zu jener Vor-form des totalen Krieges, die der preußi-sche Industrielle Rathenau den Deutschenzum Ende des Ersten Weltkrieges verord-nete. Preußen war immer der Staat, dersich eine Armee hielt.Das innere Ordnungsprinzip einer Armeeist der Gehorsam, die übliche Anweisungist der Befehl. Beider Vorzug ist die Strin-genz, also der geringe Reibungsverlustund die Unmittelbarkeit, ihr Nachteil istdie unbedingte Subordination mit demEffekt der schleichenden Entmündigung.Alles, was gemeinhin als preußischeTugenden rubriziert wird, erweist sich alseine direkte Ableitung militärischenBrauchtums.Es gibt recht verschiedene Definitionendieser Tugenden, und niemals decken siesich völlig, was auf ein schwammigesUngefähr hinausläuft. Die Pflichterfül-lung wird fast überall erwähnt, dazu nochGeradlinigkeit, Gehorsam, Unbestech-lichkeit, Sparsamkeit, seltener Toleranz.Ein Vorzugswort ist Dienen. Ein niemalsgenannter Begriff ist Humor. Dies allesergibt einen möglicherweise ziemlich auf-

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geklärten Militarismus, doch Militarismusbleibt es.Ich selbst bin ein Anhänger des Zusam-menschlusses von Berlin und Branden-burg. Zugleich bin ich, schon wegen mei-ner sächsischen Herkunft, dann nochwegen meines grundsätzlichen Pazifismus,kein Preußenanhänger. Befinde ich michin einem Widerspruch?Wenn wir, wie immer wieder und rechtensgeschieht, zur größten Errungenschaft(und zum Erfolgsgeheimnis) der Bundes-republik Deutschland ihre zutiefst zivileGesellschaft erklären, schließt dies einenbesinnungslosen Rückgriff auf Preußensamt seinen vermeintlichen Tugendenzunächst einmal aus. Nun hat die militäri-sche Unbedingtheit in den nichtmilitäri-schen Bezirken des öffentlichen und priva-ten Lebens von Preußen Folgen gezeitigt,denen selbst Pazifisten zuneigen können.Es gehören dazu das gute Funktionierengroßstädtischer Organismen und jeneabstrahierende Geistigkeit, die sich etwain Schleiermachers Theologie äußert.Auch das, was man Kunst in Preußen nen-nen kann (und was hauptsächlich Kunst inBerlin ist), also die Architektur Knobels-dorffs, die Musik Mendelssohn-Bar-tholdys, die Salonkultur der Rahel Varn-hagen, die Belletristik zwischen Fouqué,Kleist und Georg Heym wären hier zunennen, wobei nicht unterschlagen sei,wieviel zutiefst leidvolle Reibung an

preußischer Unbedingtheit da allemalmitschwingt. Als Alibi für das PrinzipPreußen taugt es nicht. Immerhin gehörtes zu jenen Traditionen, die das Territori-um hervorbrachte und auf die sich jetztunbedenklich zurückgreifen läßt.Der Zusammenschluß der territorialenZwerggebilde Berlin und Brandenburg zueinem mittelgroßen Bundesland ist diewundersame Chance zu einem Preußen,das es, übereinstimmend mit dem deut-schen Zeitgeist, so unaggressiv noch nie-mals gab. Es wäre der Nachvollzug dessen,was die größere Bundesrepublik bereitsbeispielhaft vorgab. Es wäre das Ziel, aufdas die beiden gründlich erschüttertenLandschaften, aus denen es zusammen-wüchse, sich zubewegen könnten. Entge-gen der Meinung des von mir sonst sehrgeschätzten österreichischen Bundeskanz-lers Franz Vranitzky, Visionen seien aus-schließlich eine Sache für die Psychiatrie,bin ich fest davon überzeugt, daß kollekti-ve Existenzen, wie sie Staaten und Ländernun einmal sind, eines ideellen Stimulansbedürfen, einer realistischen Utopie, ebeneiner Vision, um in einem Prozeß ständi-ger Selbstvergewisserung ihre Zukunftsinnvoll zu bestimmen und zu formen.Das Bruttosozialprodukt allein macht dasnicht. Das Ziel eines zutiefst friedlichenund zivilen Preußen wäre etwas, das unse-re gemeinsamen Anstrengungen gewißlohnt.

REALISTISCHE UTOPIEvon Rolf Schneider

Rolf Schneider ist Schriftsteller undPublizist.

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Im Osten Deutschlands sind seit 10 Jahrendramatische Bevölkerungsbewegungen zubeobachten, die auch in den nächsten Jah-ren noch anhalten werden. Hiervon ist dieRegion Berlin-Brandenburg in besonde-rem Maße betroffen. Im Land Brandenburg lebten am 30.Juni1999 2,59 Millionen Menschen. Davonhatten 898.000 Einwohner ihren Wohn-sitz im engeren Verflechtungsraum Ber-lin-Brandenburg.Verschiedene Prognosen über die Bevöl-kerungsentwicklung für das Land Bran-denburg gehen davon aus, dass es bis 2010ein leichtes Ansteigen der Bevölkerung auf2,65 bis 2,73 Millionen Einwohner geben

wird. Dagegen wird in Berlin mit einemAbsinken der Bevölkerung bis 2010 zurechnen sein. 1998 lebten 3,46 MillionenMenschen in der Hauptstadt, für 2010wird jedoch mit einer Bevölkerungszahlvon nur noch 3,30 bis 3,37 Millionen Ein-wohnern gerechnet.Die Einwohnerzahl in der Gesamtregionhält sich also bis zum Jahr 2010 stabil.Jedoch sind in einzelnen Regionen sehrunterschiedliche Bevölkerungsentwick-lungen zu beobachten. Aus dem Ausland ergibt sich für Berlin einWanderungsgewinn von 200.000 Men-schen, für Brandenburg von etwa 150.000.Dagegen wird die räumliche Binnenwan-

THEMA

WIEVIELE MENSCHEN WERDENIM JAHR 2010 IN

BERLIN-BRANDENBURG LEBEN?Die Demographische Entwicklung

in Berlin und Brandenburg und ihre Folgen

von Madeleine Jakob und Andreas Büchner

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derung aus anderen deutschen Bundeslän-dern für Brandenburg leicht negativ, fürBerlin positiv ausfallen.Insgesamt ist im Jahr 2010 mit einerGesamtbevölkerung in der Region Berlin-Brandenburg von rund 6 Millionen Men-schen zu rechnen, ein mit dem Bundes-land Hessen vergleichbarer Wert.

1. Brandenburg

1.2. Bevölkerungsentwicklung in den Regionen

Seit Beginn der neunziger Jahre ist imLand Brandenburg eine regional sehr dif-ferierende Bevölkerungsentwicklung auf-fällig, Es ist absehbar, dass dieser Trend inden nächsten Jahren weiter anhalten wird.Während die Bevölkerung im BerlinerUmland weiter wächst, setzt sich dagegender Bevölkerungsrückgang in den periphe-ren Regionen fort. Nach einer Prognosedes Brandenburger Landesamt für Daten-verarbeitung und Statistik (LDS) geht dortdie Bevölkerung in den nächsten Jahrenum 200.000 Einwohner zurück. Generell ist ein Trend „raus aus den Städ-ten“ zu beobachten, der in den nächstenJahren nachlassen wird. Es ist festzuhal-ten, dass die Bevölkerungsgewinne in vie-len Kommunen im engeren Verflech-tungsraum eindeutig durch Zuwanderun-gen aus Berlin zu erklären sind. Profitie-ren können auch Ämter, die an größereStädte angrenzen. Der Landkreis Pots-dam-Mittelmark, für den der größteBevölkerungszuwachs prognostiziert wird,

schöpft nicht nur aus Wanderungsgewin-ne aus Berlin, sondern auch aus Potsdamund der Stadt Brandenburg. In einigenÄmtern ist die Einwohnerzahl in den letz-ten Jahren um mehr als 50% angestiegen.Eine Ursache dafür dürfte auch ein„Nachholbedarf“ sein, da der Traum vomeigenen Haus im Grünen vor 1990 nichtverwirklicht werden konnte. Mit der Zeitist hierbei ein gewisser Sättigungsgrad zuerwarten und die hohe Wanderungsge-winne der vergangenen Jahren werdensich nicht fortsetzen.Für die Entwicklung der Gesamtbevölke-rung bleibt die Wanderungsbilanz ent-scheidend, weil die natürliche Bevölke-rungsbewegung negativ ist und auch inZukunft sein wird. Städte mit den höch-sten Wanderungsverlusten haben auch diestärksten Verluste in der Gesamtentwick-lung aufzuweisen. Das sind einerseitsStädte, die zu DDR-Zeiten ein großesBevölkerungswachstum zu verzeichnenhatten, wie zum Beispiel die ehemaligenBezirkshauptstädte und Industriestandortemit einem hohem Anteil komplexen Woh-nungsbaus wie beispielsweise die StadtSchwedt. Andererseits sind davon auchOrte betroffen, beispielsweise Wittenber-ge, die schon zu DDR-Zeiten eine ungün-stige Altersstruktur und einen Bevölke-rungsrückgang aufwiesen. Gleichzeitighält der bereits zu DDR-Zeiten auffallenddramatische Bevölkerungsrückgang in denländlichen Gemeinden unvermindert an,die nicht vom Zuzug aus den großenStädten profitieren können.

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1.2. Natürliche Bevölkerungsent-wicklung

Die neunziger Jahre waren durch einenrapiden Rückgang der Geburtenzahlengekennzeichnet. Sie lagen auf einem niegekannten Tiefstwert. Mittlerweile ist eineleichte Erholung bei den Geburtenzahlenzu beobachten, die weiter anhält, jedochnicht wieder die Werte von vor 1990erreicht. Selbst die Geburtenzahlen vor1990 konnten die Sterbezahlen nicht voll-ständig ausgleichen, deshalb wird auch inZukunft der Saldo der natürlichen Bevöl-kerungsentwicklung negativ sein. DieseTendenz trifft auf alle Regionen gleicher-maßen zu, obwohl das Minus zum Beispielin der Prignitz oder der Uckermark höherausfällt als im Berliner Umland. Die Ent-wicklung der Geburtenzahlen ist jedoch

schon seit längerem rückläufig. Waren zurVolkszählung am 01.01.1971 noch 22,6%der DDR-Bevölkerung jünger als 16 Jahre,so sank dieser Anteil bis zum Jahresende1981 auf 18,8 % ab. Zwischen der wirtschaftlicher Entwicklungund den Geburtenzahlen zeichnet sich eineKorrelation ab. Die niedrigsten Geburten-zahlen werden in den Regionen des LandesBrandenburg erwartet, die von derArbeitslosigkeit besonders betroffen sind.Dies lässt sich dadurch begründen, dassgerade junge Menschen dem Arbeitsplatz-angebot hinterher ziehen. Für das Jahr2010 prognostiziert das LDS beispielswei-se in Wittenberge einen Anteil der unter16jährigen von nur 8,1% gemessen an derEinwohnerzahl, für Falkensee dagegen von14,1%.

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Hingegen kann man davon ausgehen, dassdie Zahl der Menschen über 65 Jahrenkontinuierlich zunehmen wird. 2015 wirdjeder fünfte Einwohner im Land Branden-burg über 65 Jahre alt sein, in der StadtBrandenburg sogar jeder Vierte. Einer-seits wird dies verursacht durch steigendeLebenserwartung, niedrige Geburtenzah-len und der Tatsache, dass vor allem jungeMenschen häufiger ihren Wohnort wech-seln und Ältere dagegen in der Heimatbleiben. Deshalb zeichnen sich Städte mitden höchsten Wanderungsverlusten, wiezum Beispiel Schwedt durch stark anstei-gende Seniorenzahlen aus. In Städten mitden niedrigsten Kinderzahlen wie Wit-tenberge oder Lübbenau werden 2015sogar 3 von 10 Einwohnern über 65 Jahrealt sein.Dabei darf nicht vergessen werden, dassdiese Entwicklung in den kreisfreien Städ-ten und berlinfernen Landesteilen drama-tischer ausfällt als im engeren Verflech-tungsraum um die Stadt Berlin.

2. Berlin

Prognosen für die Bevölkerungsentwick-lung sind umso schwieriger, je mehr Ein-flussfaktoren hinzu kommen. Dies trifftauch auf Berlin zu. Hier ist vor allem dieZahl der Ausländer nur schwer vorherseh-bar, weil neben einer anderen Altersstruk-tur und Geburtenrate auch politischeRahmenbedingungen wie beispielsweiseein mögliches Einwanderungsgesetz oderdie unsichere politische und wirtschaftli-

che Situation in anderen Staaten die Pro-gnose erschweren.Trotzdem weisen die Prognosen des Sena-tes und des Statistischen Landesamtesübereinstimmend für Berlin einen leichtenBevölkerungsrückgang aus. Dieser wirdhauptsächlich durch die natürliche Bevöl-kerungsentwicklung der deutschen Bevöl-kerung und die Migration in das Umlandverursacht.Auf Grund der Prognosen ist absehbar,dass bis 2010 65.000-70.000 mehr Berli-ner sterben als geboren werden. DieSenatsverwaltung für Stadtentwicklunggeht davon aus, dass 184.000 Berlinermehr in das Umland abwandern als nachBerlin ziehen werden, die Hauptstadtjedoch in der Bilanz betrachtet 70.000Menschen aus anderen Bundesländerngewinnen wird.Die Zahl der Ausländer wird sich weitererhöhen, einerseits durch ein positivenWanderungssaldo von etwa 200.000 bis2010, andererseits durch höhere Gebur-tenzahlen. Somit erhöht sich der Auslän-deranteil von derzeit 12,5% auf etwa 15%der Einwohner.Ähnlich wie im Land Brandenburg wirdder Anteil der Menschen über 65 deutlichsteigen, jedoch mit einem Wert von 18%(heute 14,5 %) an der Gesamtbevölkerungnicht die Dimensionen wie in weiten Tei-len Brandenburgs erreichen. Hierbeisteigt in bemerkenswerter Weise derAnteil der über 65jährigen unter den Aus-ländern. Innerhalb Berlins ergeben sich Bevölke-rungsverschiebungen von den inneren

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Altbaubezirken wie Prenzlauer Berg undWedding zu den Schwerpunkten desWohnungsbaus in Pankow und Weißen-see. Die Bezirke mit einem hohen Anteilkomplexen Wohnungsbaus können dage-gen wider Erwarten ihre Einwohnerzahlhalten.

3. Welche Folgen hat die Einwohnerentwicklung ?

Die Bevölkerungsent-wicklung verursachteine Vielzahl vonProblemen, die gelöstwerden müssen. Einer der Bereiche,der unmittelbar vonder Bevölkerungsent-wicklung betroffenist, ist der Bildungs-sektor. Gemeinden,die durch hohe Wan-derungsgewinnegekennzeichnet sind,vor allem im BerlinerUmland, haben auchhöhere absolute Kin-derzahlen zu ver-zeichnen als zum heu-tigen Zeitpunkt. Diesbedeutet, dass dieKapazitäten der vor-handenen Schulennicht ausreichen. Im Gegensatz dazusteht der Trend inweiten Teilen des

äußeren Entwicklungsraumes. Dort isttraditionell die Bevölkerungsdichte nied-rig, es gibt eine Vielzahl von Klein- undKleinstgemeinden. Das Zurückgehen derEinwohnerzahlen bedeutet gleichzeitigauch ein weiteres Absinken der Bevölke-rungsdichte. Schon heute haben vieleSchüler im ländlichen Raum weiteAnfahrtswege zu ihren Schulen. Aufgrundder sinkenden Zahlen der Kinder - die

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niedrigen Geburtenzahlen der neunzigerJahren wirken sich erst jetzt in denGrundschulen und in den nächsten Jahrenin den weiterführenden Schulen aus -müssen weitere Schulen geschlossen wer-den und Fahrtwege für Schüler werdensich vergrößern. So wird eventuell beiweiterführenden Schulen die Einrichtungvon Internaten zu erwägen sein.Steigende Einwohnerzahlen im Berliner

Umland bedeuten auch erhöhten öffentli-chen Investitionsbedarf in dieser Regionbeispielsweise für die Infrastruktur. Imäußeren Entwicklungsraum müssen dage-gen beispielsweise Eisenbahnstrecken aufihre Wirtschaftlichkeit überprüft werden.Dabei sollten neue Verkehrswege in derPrignitz oder der Uckermark vor demHintergrund der Effizienz überdacht wer-den. Dadurch wird das Konzept der

„Dezentralen Kon-zentration“ beeinflus-st.Die Bevölkerungsent-wicklung wirkt sichauch in großen Maßeauf die Finanzausstat-tung der Kommunenaus. Sinkende Ein-wohnerzahlen bedeu-ten niedrigere Steuer-einnahmen und Lan-deszuweisungen. Derfinanzielle Hand-lungsspielraum, dernotwendig ist, umInvestitionen vorzu-bereiten, aber auchein attraktives Ange-bot an freiwilligenLeistungen für dieEinwohner bereitstel-len zu können, wirdimmer geringer. Die-se sind jedoch not-wendig, um dieAttraktivität der ein-zelnen Kommunen so

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zu gestalten, dass dies einen positiven Ein-fluss auf die Wanderungsbilanzen hat.Dort, „wo nichts los ist“, investiert kaumein Unternehmen, ziehen die Bewohnernoch schneller weg. Hierbei besteht alsodie Gefahr in einen Teufelskreis zu gera-ten.Gemeinden mit Einwohnergewinnen pro-fitieren durch höhere Steuereinnahmen,zumal davon auszugehen ist, dass eherbesser Verdienende zuziehen. Auch erhal-ten sie, wenn die Vergabepraxis so beibe-halten wird, mehr Landeszuweisungen. Das heißt, wirtschaftlich erfolgreicheKommunen im Berliner Umland profitie-ren, weniger erfolgreiche Kommunen imäußeren Entwicklungsraum verlieren. Esgibt also eine gegenläufige Entwicklung,die Kluft zwischen „reichem“ Speckgürtelund „armer“ Peripherie wird immergrößer. Das Konzept der „DezentralenKonzentration“ wird in seiner Wirksam-keit in Frage gestellt. Der Siedlungsdruckwird nicht in dezentral liegenden Entla-stungsorte gelenkt, sondern konzentriertsich auf das Berliner Umland und die andie größeren Städte angrenzendenGemeinden. Die Regionalen Entwick-lungszentren des Städtekranzes und äuße-ren Entwicklungsraumes verlieren mehrEinwohner durch Migration als andereStädte dieser Landesteile, für die wie bei-spielsweise Forst oder Templin mituntersogar positive Wanderungsbilanzen pro-gnostiziert werden. Impulse gehen alsonicht von den Entwicklungszentren, son-dern von anderen Städten in diesem Raumaus.

Es muss darauf geachtet werden, dass dieVorzüge des Berliner Umlandes mit sei-nen Seen, seinen Wäldern und seiner ein-maligen Parklandschaft nicht durchWohnparkanlagen zerstört werden. Bishersind nur Einzelfälle wie die Bebauung amGlienicker Horn in Potsdam zu verzeich-nen. Der Wunsch nach einer schönenWohnumgebung, beispielsweise nacheinem Wassergrundstück besteht.

4. Fazit

Die Hauptstadtregion Berlin-Branden-burg weist große Bevölkerungsverschie-bungen auf und dieser Trend wird bis2010 anhalten. Im Gegensatz zu anderenTeilen Ostdeutschlands wird diese Ent-wicklung entscheidend von Berlin und sei-ner Hauptstadtfunktion beeinflusst,dadurch bleibt die Bevölkerung in Berlin-Brandenburg auch in den nächsten Jahrenkonstant. Während die periphere Gebietein Brandenburg wie andere ostdeutscheRegionen Bevölkerungsverluste zu ver-zeichnen haben, steigt die Bevölkerung imBerliner Umland weiter an. Dies wird vorallem durch Migration verursacht, da dienatürliche Bevölkerungsentwicklung trotzeiner Erholung der Geburtenzahlen nega-tiv bleibt. Grundsätzlich wird in den näch-sten Jahren mit deutlich mehr Alten undweniger Jungen zu rechnen sein, dasDurchschnittsalter der Bevölkerungnimmt weiter zu.Die auseinander fallende Entwicklung derBevölkerung in Brandenburg und somitauch die daraus resultierenden Probleme

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setzen sich fort. Dies stellt die Landespoli-tik vor eine große Herausforderung,zumal einige Folgeerscheinungen derBevölkerungsentwicklung heute nochnicht absehbar sind. Aufgabe der Politikerinnen und Politikerbeider Länder wird es sein, Rahmenbedin-gungen zu schaffen, die erwünschte Ver-änderungen herbeiführen bzw. uner-wünschte verhindern.Es ist damit zu rechnen, dass ein erhebli-cher Investitionsbedarf in Bereichen deröffentlichen Infrastruktur zu verzeichnensein wird und zwar speziell für Landestei-le Brandenburgs, die von einem Zuzugaus Berlin profitieren werden. Des wei-teren kann davon ausgegangen werden,dass auf Grund der rückläufigen Tendenzbei Kindern und Jugendlichen, sowie derAbnahme der Geburten bis 2010 Schulenund Kindereinrichtungen schließen müs-sen beziehungsweise es nicht mehr mög-

lich sein wird, Kindertagesstätten auf-recht zu erhalten, vornehmlich im ländli-chen Raum.In diesem Zusammenhang wird es unab-dingbar sein, schulpflichtigen Kindernund Jugendlichen größere Anfahrtswegezuzumuten.Von der finanzieller Seite betrachtet, führtdie Bevölkerungsentwicklung in denGemeinden zu einer Gefährdung ihrerfinanziellen Selbständigkeit. Hinzu kommtes zu einem Mehrbedarf an Sozial- undBetreuungsdiensten für Senioren. Daher wird es Aufgabe der Landespolitiksein, Chancen zu nutzen und die sich ausder Bevölkerungsentwicklung ergebendenProbleme zu bekämpfen. Um der Gefahreiner auseinander fallenden Entwicklungzwischen dem Großraum Berlin und derPeripherie entgegenzutreten, steht die Lan-desregierung vor einer großen Aufgabe.

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Madeleine Jakob und Andreas Büchnerstudieren Politikwissenschaften an der Univer-sität Potsdam.www.brandenburg.de

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Das Raumordnerische Leitbildder dezentralen Konzentration –Richtschnur oder Korsett für dieLandesentwicklung?von Stefan Rink

Zusammenwachsen derRegionen durch Infrastrukturausbauvon Jörg Vogelsänger

Brandenburg und dieEU-Osterweiterungvon Dr. habil. Jochen Franzke

London and the South Eastvon Mark F. Watts

Die Hauptstadtregion zur gemeinsamen Zukunftsregion entwickeln!von Steffen Reiche

Realistische Utopievon Rolf Schneider

Wieviele Menschen werdenim Jahr 2010 inBerlin-Brandenburg leben?von Madeleine Jakob und Andreas Büchner


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