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Personalwirtschaft 2018 · Das Magazin für den Job HR Personalwirtschaft 10 2018 17,50 Euro G...

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www.personalwirtschaft.de Das Magazin für den Job HR Personal wirtschaft 10 2018 17,50 Euro G 21212 ISSN 0341-4698 Art.-Nr. 07720810 +++ Ausbildung: Vorgespräch zum DALK 2018 +++ Zoom: Whistleblower aus Sicht von HR +++ +++ Forschung: Die Illusion der KI +++ Blick von außen: Gerald Hüther über Würde +++ INKLUSIVE SONDERHEFTE: Arbeitsrecht Zeitarbeit HR Service Design WEG VON DER PROZESSDENKE, HIN ZUR KUNDENSICHT
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Page 1: Personalwirtschaft 2018 ·  Das Magazin für den Job HR Personalwirtschaft 10 2018 17,50 Euro G 21212 ISSN 0341-4698 Art.-Nr. 07720810

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+++ Ausbildung: Vorgespräch zum DALK 2018 +++ Zoom: Whistleblower aus Sicht von HR ++++++ Forschung: Die Illusion der KI +++ Blick von außen: Gerald Hüther über Würde +++

INKLUSIVE

SONDERHEFTE:

Arbeitsrecht

Zeitarbeit

HR Service Design

WEG VON DER PROZESSDENKE, HIN ZUR KUNDENSICHT

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EDITORIAL

Das Wörtchen „Design“ steht seit 1973 im Rechtschreibduden, und doch habenwir Deutschen seine Vielfalt bis heute nicht so recht durchdrungen. Denken wirhierzulande an Design, dann haben wir meist einen Hingucker vor Augen: das kühn geschneiderte Kleid, das sportliche Coupé oder das aufs Wesentlichereduzierte Technik-Gadget. Gutes Design ist in unserer Vorstellung meist dasErgebnis quasikünstlerischer Kreativprozesse genialischer Individuen.

In den USA wird der Begriff seit mindestens dreißig Jahren deutlich breitergedacht. 1988 veröffentlichte der Kognitionswissenschaftler Don Norman seinBuch „The Psychology of Everyday Things“ und entfaltete dort die Vision einerGestaltung, die sich an den Bedürfnissen und Handlungen des Nutzers orientiert.Für ein gutes Design brauchte es in dieser Logik keinen Geniestreich – sonderndie Fähigkeit, dem Anwender gut zuzuhören. Rasch war diese Denke von derreinen Produkt- auf die Prozess- und Servicegestaltung übertragen: Die Grundlagedessen, was wir heute Service Design, Design Thinking oder Human-CenteredDesign nennen, war geschaffen. Übrigens war es Don Norman, der in den Neun-zigerjahren den Bereich User Experience beim damals langsam wiedererstarkendenComputerkonzern Apple aufbaute. Der Rest ist Geschichte: Heute ist Apple daswertvollste Unternehmen der Welt, und im Business wollen alle von ihrer Zielgruppe lernen.

Das gilt auch für die Personalabteilungen, mit denen wir für die Titelstreckedieser Ausgabe (ab Seite 28) gesprochen haben. Im HR Service Design geht esdenn auch weniger um genialische Einzelleistungen als vielmehr darum, denunterschiedlichen Anspruchsgruppen zuzuhören: Wie sieht ein guter HR-Prozessaus Sicht von Geschäftsleitung, Mitarbeitern oder Bewerbern aus? Im Ergebnisgilt, was der chinesische Philosoph Laozi schon wusste: „Das Sichtbare bildet dieForm eines Werkes. Das Nichtsichtbare macht seinen Wert aus.“ Einem echtenHingucker müssen wir uns deshalb allerdings auch über 2500 Jahre später nichtverwehren.

Cliff LehnenChefredakteur

Vom Hingucken zum Hinhören

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INHALT

3 EDITORIAL Vom Hingucken zum Hinhören6 STILKRITIK Jetzt geht’s ums Ganze

HR & ICH

8 INTERVIEW Vorgespräch zum Deutschen Ausbildungsleiterkongress (DALK) 2018 12 ANALYSE Seniorexperten – aus dem Ruhestand ins Unternehmen15 AUS DER PRAXIS Organisationen wagen sich an holokratische Strukturen18 ZOOM Whistleblower oder: Wenn Mut und Moral bestraft werden20 PRAXISTRANSFER Was Arbeitnehmer von der digitalen Arbeitswelt erwarten22 CASE STUDY Bomag entwickelt praxisorientierte Leitlinien für Führung26 LEBENSLAUF Sebastian Lesch von Apollo-Optik im CV-Check

TITEL: HR SERVICE DESIGN

28 ANALYSE Wie HR sich konsequent auf seine Kunden ausrichtet31 PRAXISBEISPIELE Drei Unternehmen, die HR neu denken und gestalten36 INTERVIEW Professor Birgit Mager über Service Design für HR38 CASE STUDY Design Thinking bei Evonik Technology & Infrastructure

RECHT & POLITIK

42 ANALYSE Neuerungen im Schwerbehindertenrecht45 BAG & CO. Skurriles aus dem Gerichtssaal

TECHNIK & TOOLS

46 INTERVIEW Boris Ewenstein über das Talent-Schwungrad von Zalando48 ANALYSE Auf der Suche nach Tools für das Skill Management 51 UPDATE Software und Dienstleister für den Job HR

FORSCHUNG & LEHRE

52 STUDIE Zum Stand von Social Media im Personalmarketing56 ANALYSE Möglichkeiten und Grenzen künstlicher Intelligenz

EVENT & SZENE

58 SESSELWECHSEL HR-Personalien und die Geschichten dahinter60 BÜCHER Martina Eberl testet „Agile Evolution“

62 STELLENMARKT Aktuelle Jobs für Personalmanager64 HR BUZZWORD BINGO Die reinste Zerstörungswut: Disruption65 VORSCHAU Was Sie in der November-Ausgabe erwartet65 IMPRESSUM

66 BLICK VON AUSSEN Gerald Hüther über Arbeit und Würde

PERSONALWIRTSCHAFT 10_2018

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STILKRITIK

Jetzt geht’s ums GanzeUnternehmen tragen Verantwortung im Kampf gegen Hass, Hetze und Häme. Sie müssen

klare Kante zeigen – und zugleich mehr denn je Türen öffnen und Chancen bieten. VON CLIFF LEHNEN

u Für die entscheidenden Minuten in einem sportlichenWettkampf haben die Amerikaner den sprechenden Begriffder „crunch time“ erfunden. „Jetzt geht’s ums Ganze“, würdenwir (wie gewohnt etwas umständlicher, hier aber kaum wenigertreffend) sagen. In solch einer Phase braucht es ein starkesKollektiv und guten Teamgeist – und auch die ein, zwei heraus-ragenden Akteure im Team, die ein Spiel entscheiden können:die sogenannten „crunch time players“.

Es spricht einiges dafür, dass wir gesellschaftlich und politischgerade in die „crunch time“ gehen. Wir leben in einem Land,das sich an den politischen Rändern in beängsti-gender Geschwindigkeit radikalisiert. Der inden meisten westlichen Demokratien spür-bare Rechtsruck hat auch uns längst erfasst.Der Aufstieg der AfD hat die politischeKlasse in Deutschland in den vergangenendrei Jahren derart in die Enge getrieben,dass selbst der Innenminister postuliert,die Migration sei die „Mutter aller Pro-bleme“. Dabei müsste er es besser wissen:Das Thema Migration hat vielmehr die Pro-bleme des Landes – in der Bildung, im sozialenBereich, in der Infrastruktur – schonungslos offengelegt.Diese Gesellschaft driftet auseinander: rechts und links, armund reich, alt und jung, drinnen und draußen. Es ist ein System,das Langzeitarbeitslose, Enttäuschte, Zurückgelassene pro-duziert. Von einer vermeintlich sozialen Marktwirtschaft istnicht mehr viel übrig.

Das gesellschaftliche Nebeneinander wird mehr und mehrzum Gegeneinander. Die Folgen sind Verbitterung, Verrohung,Hass. Selten waren die Fronten so verhärtet, war die Rhetorik– im öffentlichen Raum, in den Medien, im Bundestag – sovernichtend. Gleichzeitig halten zu viele den Mund. Es ist keinleichter Spagat: Wir müssen klare Kante gegen Extremismusund Gewalt zeigen und dennoch mehr denn je Türen öffnen,Chancen bieten und Dialoge führen. Diese Verantwortunghaben wir alle. Je herausgehobener unsere Rolle, desto wichtigerist es, dass wir sie wahrnehmen. „Crunch time players“ sinddiejenigen, die aufstehen und klare Linien ziehen, die etwasbewegen – jedoch nicht konfrontativ, sondern inklusiv.

Unternehmer, Geschäftsführer und Personalleiter sind hierin besonderer Weise gefordert. Sie geben Richtung und Kulturin der Organisation vor. Ihr Wort hat Gewicht, und zwar

besonders dann, wenn es über die Satzbausteine der CSR-Broschüren und Diversity-Kodizes hinausgeht. Sie haben Ver-antwortung in zweierlei Hinsicht: Einerseits gilt es, gegen Ras-sismus, Populismus und Extremismus aufzustehen; andererseitsist es wichtig, konkrete Gegenangebote zu machen.

Es ist gut, dass sich etwa die Personalvorstände von Bayer undVW nach den Ereignissen von Chemnitz und Köthen deutlichpositioniert haben. Ebenso haben die führenden Wirtschafts-und Arbeitgeberverbände im Namen ihrer Mitglieder Farbebekannt. Und auch in zahlreichen KMU finden sich positive

Beispiele. So stärkt etwa die UhrenmanufakturNomos im sächsischen Glashütte ihren Mitar-

beitern bewusst den Rücken gegen rechteHetze und schult sie mit Faktenchecks undArgumentationshilfen gegen AfD-Pole-mik. Die Berliner Agentur TLGG orga-nisierte einen Betriebsausflug zum Kon-zert „Wir sind mehr“ in Chemnitz,

entwickelte ein Positionspapier und Pla-kate gegen rechts. (Was, liebe Personalent-

wickler, neben der klaren Positionierung unddem gesellschaftlichen Abstrahleffekt intern ver-

mutlich mehr Teambuilding-Wirkung hat als jederteuer eingekaufte Floßbau-Workshop.)

Es geht um so grundlegende Dinge wie Demokratie, Rechtsstaatund soziales Miteinander. Genauso wichtig ist deshalb diegesellschaftliche Prävention durch unternehmerisches Handeln.Integration gelingt immer noch zuerst über Arbeit. JedesUnternehmen, das Geflüchtete qualifiziert, ausbildet undbeschäftigt – ein durchaus nicht immer einfacher Weg –, trägtzur gesellschaftlichen Stabilisierung bei (im September warenüber 31 000 Geflüchtete in Ausbildung, 4000 mehr als im Vor-jahr). Und auch ein Unternehmen, das – wie etwa Rewe Dort-mund – gezielt Langzeitarbeitslose qualifiziert, übernimmtVerantwortung und beugt einer weiteren gesellschaftlichenSpaltung vor. Denn oft sind es erst Armut und Perspektivlo-sigkeit, die Hass und Extremismus schüren.

Wichtig ist, dass es nicht bei Sonntagsreden bleibt. „Crunchtime“ heißt, den Blick zu weiten, voranzugehen, Chancen zueröffnen und dabei auch ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen.All das, was erfolgreiche Unternehmer ohnehin schon tun. Undübrigens immer schon getan haben – nachzulesen im Leitbilddes „Ehrbaren Kaufmanns“ aus dem 12. Jahrhundert. p

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u Personalwirtschaft: Im Jahr 2017 ist bereits zum achtenMal in Folge die Zahl der Ausbildungsplätze, die nichtbesetzt werden konnten, gestiegen. Wen sollte dieseZahl am meisten beunruhigen: die Unternehmen, dieSchulen oder die Politik? Michael Gloss: Die Situation ist nicht ganz so dramatisch,wie sich das anhört. Es ist zwar besorgniserregend, wennfast 50 000 Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, aber dieduale Berufsausbildung ist nach wie vor zentrales Erfolgs-modell der deutschen Wirtschaft. Immerhin wurden imselben Zeitraum auch rund 523 000 Ausbildungsverträgegeschlossen. Aber es stimmt, die Zahl der Suchenden lagnoch höher, nämlich bei 603 500.

Viele Betriebe finden also keine Azubis, obwohl es mehrBewerber als offene Stellen gibt – ein systemischer Mis-match. Wie lässt sich dem begegnen?Udo Beckmann: Das ist eine gesamtgesellschaftlicheAufgabe, die alle Akteure fordert. Der Betrieb, den esbetrifft, muss sich die Frage stellen: Bin ich dort präsent,wo der direkte Austausch mit Jugendlichen möglich ist,also etwa im Rahmen von Berufsorientierungstagen an

Schulen? Mache ich meine Ausbildungsberufe derarterlebbar, dass ich Jugendliche in ihrer Lebenswelt abhole?Schule und Eltern sind als Erziehungspartner gefragt,wenn es darum geht, junge Menschen in ihrer Persön-lichkeitsentwicklung zu fördern, sowohl fachlich alsauch in Bezug auf grundsätzliche Tugenden wie etwaZuverlässigkeit, Beharrlichkeit und Fleiß. Die Politikwiederum muss ihrer Verantwortung nachkommen,erforderliche Bedingungen zu schaffen. Nur wenn Lehr-kräften erforderliche Ressourcen zur Verfügung stehen,kann Schule sich intensiv engagieren.

Beim Stichwort Politik sind wir bei Ihnen, Herr Rabe.Teilen Sie als Hamburgs Senator für Schule und Berufs-bildung diese Sichtweise?Ties Rabe: Ja, alle müssen helfen: Betriebe, Schulen, Elternund Politik. Denn es geht nicht nur darum, Wirtschafts-leistung und Wohlstand zu bewahren und auszubauen.Es geht auch um die Lebensperspektive zahlreicher jungerMenschen. Zudem haben wir die historisch einmaligeChance, die Dauerarbeitslosigkeit bestimmter Milieus zudurchbrechen. Da braucht es jetzt alle Kräfte.

Nachwuchsförderungauf der Höhe der ZeitWas brauchen Betriebe und Azubis heute, um Ausbildung erfolgreich zu gestalten? DieserFrage geht der Deutsche Ausbildungsleiterkongress (DALK) im November in Düsseldorfnach. Wir haben vorab mit drei Experten aus Wirtschaft, Schule und Politik diskutiert. INTERVIEW: CLIFF LEHNEN UND CHRISTOPH BERTRAM

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Schauen wir einmal genauer auf die Betriebe: Vielenehmen das Heft selbst in die Hand. Sie rekrutierenaktiv und bieten Azubis weit mehr als eine bloße Lehre.Worauf kommt es für erfolgreiches Ausbildungsmar-keting aktuell an?Gloss: Die Wahl eines Berufs oder Arbeitgebers ist fürJugendliche eine hochemotionale Entscheidung. Siestellen damit die Weichen für ihre berufliche Zukunftund einen Großteil ihres zukünftigen Lebens. Arbeit-geber sind daher gut beraten, sich selbst als attraktiverAusbildungsbetrieb zu präsentieren und digitale Infor-mationsangebote zu schaffen. Damit stärken sie ihreArbeitgebermarke und verbessern ihr Recruiting. Werseine Arbeitgeberangebote und Berufsbilder jenseitsvon austauschbaren Floskeln beschreibt und gute Ori-entierung zu den Anforderungsprofilen bietet, ist aufdem richtigen Weg.Rabe: Es gibt fast 300 Ausbildungsberufe in Deutschland –da fehlt vielen jungen Menschen der Überblick. Deshalbbraucht es Unternehmen, die auf junge Menschen zugehenund ihnen Wege in den Beruf erklären. Ausbildungsmes-sen, Schulpraktika, Ausstellungen in den Schulen undgutes Informationsmaterial, vor allem im Internet undin den sozialen Netzwerken, sind die richtigen Antwortenvieler Unternehmen.Beckmann: Allerdings haben Betriebe teils sehr unter-schiedliche Möglichkeiten und Voraussetzungen, abhängigvon ihrer Größe, Branche, Lage und vielen weiteren Fak-toren. Was aber den meisten erfolgreich rekrutierendenUnternehmen gemein ist: Sie zeigen Engagement. Sieunterstützen beispielsweise Schulen bei Berufsorientie-rungs- und Vorbereitungsangeboten, bieten Schülerprak-tika an und vieles mehr. Meine Erfahrung ist: Wenn einUnternehmen seine Azubis gleichermaßen fordert undfördert, ihnen fair und wertschätzend begegnet, dazu eineZukunftsperspektive aufzeigt, sie etwa bei erfolgreichemAbschluss übernimmt, spricht sich das unter Jugendlichenherum. Und kaum etwas überzeugt mehr als die persön-liche Empfehlung der Peergroup.

Man sagt der Generation Z eine gewisse Schnelllebigkeitnach. Inhalte, heißt es, würden immer schwerer vermit-telbar. Ist das eine Beobachtung, die Sie bestätigen kön-nen?Rabe: Nein, Inhalte sind nicht schwerer zu vermitteln alszu meiner Zeit. Ich glaube, da verklärt sich der Rückblickvon uns Älteren etwas. Auch in den 60er- und 70er-Jahrenwurde reichlich gestöhnt und geschimpft über wider-spenstige, faule und lernunwillige Lehrlinge. Wir vergessenoft: Ausbildung ist nicht nur fachliche Anleitung, sondernTeil eines Erziehungsprozesses. Auszubildende sind keineperfekten und fertigen Erwachsenen, sondern junge Men-schen, die nicht nur beruflich, sondern auch persönlichAnleitung und Orientierung brauchen.

Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE)

Michael Gloss, Geschäftsführer der Wolters Kluwer Deutschland GmbH und Veranstalterdes Deutschen Ausbildungsleiterkongresses (DALK)

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Ties Rabe, Senator für Schule und Berufsbildung der Freien und Hansestadt Hamburg

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Unsere Gesprächspartner

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Fakt ist aber: Kinder und Jugendliche wachsen heute ineiner medial völlig anders geprägten Welt auf, in derallerorts um ihre Aufmerksamkeit gerungen wird. DieJugend denkt digital und mobil. Ist das heute auch inder Ansprache und der Vermittlung von Wissen derKanal der Wahl?Gloss: Ich denke, hier muss man zwischen der Phase derBerufsorientierung und der Ausbildung selbst unterschei-den. Die Verlagerung auf digitale Geräte führt interes-santerweise zu mehr Tiefsinnigkeit in der Auseinander-setzung mit Themen der Berufsorientierung. JungeMenschen nehmen sich heute mehr Zeit dafür. Dennwährend nur ein Drittel der ehemaligen Azubi-Generationin seiner Bewerbungsphase täglich mehr als eine halbeStunde in die individuelle Berufsorientierung investierte,liegt der Anteil in der aktuellen Ausbildungsgenerationschon bei über der Hälfte.

Das allgemeine Vorurteil, dass die Digitalisierung zueiner oberflächlichen Auseinandersetzung mit Inhaltenführe, stimmt für die Berufsinformation also nicht?Gloss: Nein, es ist vielmehr so, dass digitale Möglichkeitenzu einer verdichteten und zeitlich intensiveren Auseinan-dersetzung mit Karrierethemen führen. Beginnen dieJugendlichen von heute, die mit Whatsapp, Snapchat undYoutube aufwachsen, dann allerdings eine Ausbildung,stoßen sie häufig auf andere Welten. Lernen mit neuenMedien? Meist Fehlanzeige! Das sollten wir in den Berufs-schulen ändern, auch aber in den Unternehmen selbst.Auf dem Deutschen Ausbildungsleiterkongress disku-tieren wir beispielsweise, wie es gelingen kann, entspre-chende Lernumgebungen und Lernmittel bereitzustellen.Beckmann: Noch wichtiger als der Kanal, den ich bei derAnsprache wähle, ist meiner Meinung nach die Frage,wie ich die Jugendlichen erreiche: Ich muss sie persönlichbegeistern! Das ist die wichtigste Währung, und es ist beider Generation Z nicht anders als zuvor bei den Genera-tionen X und Y. Dass mir heute und in Zukunft hierfürzusätzliche digitale Möglichkeiten zur Verfügung stehen,erweitert den Spielraum. Überzeugen muss ich aber, auchals Unternehmen, sowohl in der analogen als auch in derdigitalen Welt.

Viele junge Leute – und auch Eltern – tendieren heutezur Hochschulbildung, zahlreiche klassische Ausbil-dungsgänge werden akademisiert, Unternehmen bietenduale Studiengänge an. Wie begeistert man da Abituri-enten für eine klassische duale Ausbildung?Rabe: Ich sehe den Trend zur Hochschule mittlerweileskeptisch. Fast 30 Prozent scheitern im Studium.Die duale Ausbildung bietet dagegen ein hervorragendesNiveau und einen deutlich besseren Übergang von derAusbildung in den Beruf. Jahrelang wurde dieses Modellweltweit nicht richtig gewürdigt. Das hat sich endlich geän-

dert – dennoch bleibt der Trend zum Studium ungebro-chen. Deshalb brauchen wir eine bessere Aufklärung überdie Chancen und Risiken beider Wege, wir brauchen aberauch bessere berufliche Karrierechancen für Nichtakade-miker in den Unternehmen. Es geht nicht an, über denTrend zum Studium zu jammern und zugleich alle Füh-rungspositionen nur für Akademiker zu reservieren.Gloss: Unternehmen und Politik sind gleichermaßengefordert. Das fängt bereits in der Schule an. Die Berufs-beratung dort ist schlichtweg unzulänglich und die Ver-netzung von Schulen mit Unternehmen oftmals nichtvorhanden. Dazu kommen die mangelnde Durchlässigkeitdes Bildungssystems und das mäßige Image der Berufs-ausbildung. Viele junge Menschen erachten eine Ausbil-dung als trocken und langweilig. Unternehmen wiederummüssen sich im Hinblick auf Azubi-Marketing und Aus-bildungsinhalte deutlich besser positionieren.

Nicht nur die Zahl der Studienabbrüche, auch die Azubi-Abbrecherquoten in den Betrieben sind nach wie vorhoch – insbesondere in ohnehin schwierigen Branchenwie dem Bau oder der Gastronomie. Müssen sich dieUnternehmen verändern oder scheitert es an falschenErwartungen der Azubis?Gloss: Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte.Ein großes Problem ist sicherlich, dass viele Jugendlicheheute keine oder falsche Vorstellungen davon haben, wassie in der Ausbildung erwartet. Auf der anderen Seite fehltin einigen Unternehmen – gerade in den angesprochenenBranchen – oft eine gewisse pädagogische Expertise, umgut auszubilden. Neben einem entsprechenden Auswahl-prozess ist es daher umso wichtiger, dass die Unternehmenden Jugendlichen schon vor Ausbildungsstart Möglich-keiten zum Probearbeiten oder für ein Praktikum anbieten.Nur so kann man den jungen Leuten die tatsächlichenInhalte des Berufs und der Ausbildung näherbringen.Beckmann: Das stimmt. Schulabgänger wissen häufignicht, was sie in einer Ausbildung erwartet. Erwartungenund Realität klaffen dann mitunter auseinander. Hierhelfen Betriebspraktika im Vorfeld, Berufsorientierungs-kurse und weitere Maßnahmen in Kooperation mit denBetrieben. Aber auch die Unternehmen selbst müssensich hinterfragen: Wie fair behandle ich meine Azubis?Fördere ich sie adäquat oder sind sie für mich lediglicheine billige Arbeitskraft? Schaffe ich eine Vertrauenskulturund helfe ich bei Problemen? Meist sind es unter demStrich mehrere individuelle Faktoren, die letztlich zueinem Ausbildungsabbruch führen.

Wie schätzt die Politik das ein, Herr Rabe?Rabe: Es wäre zu einfach, nur einer Seite die Schuld zugeben. Natürlich müssen sich Unternehmen intensivum ihre Auszubildenden kümmern. Aber viele jungeMenschen haben auch falsche Vorstellungen. In einer

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freien Gesellschaft müssen wir mit solchen Verände-rungen rechnen. Hilfreich ist es, wenn die Schule inten-siver auf die Berufswelt vorbereitet. In Hamburg habenwir dazu das Pflichtschulfach Berufs- und Studienori-entierung eingeführt, damit sich junge Menschen früh-zeitig informieren und eine begründete und ernsthafteBerufswahl treffen können. Im Übrigen: Wir hättendurchaus genügend junge Menschen, die für eine Aus-bildung infrage kommen – wenn wir uns auch denjenigenzuwenden würden, die bislang nicht eingestellt wurden.Ich glaube, wir brauchen Konzepte, die über eine reinfachliche Ausbildung hinausgehen und auch daraufabzielen, Azubis sozial zu stabilisieren und erheblicheBildungsrückstände und Sprachprobleme zu über-winden.

Wagen wir einen Blick voraus: Wie sieht die Ausbildungder Zukunft aus? Wie wird der Megatrend Digitalisierungdie Ausbildung verändern?Gloss: In einem ersten Schritt wird sich die duale Berufs-ausbildung selbst deutlich weiter digitalisieren: Anlagen-mechaniker statten unsere Wohnungen schon heute mitsmarter Technik aus, Dachdecker nutzen Drohnen und soweiter. Die Digitalisierung wird die duale Berufsausbildungaber viel tiefergehend beeinflussen: Autonome Systemewerden ganze Berufe verändern und Teile der heutigenQualifikationen überflüssig machen. Alles, was eine Maschinebesser kann als ein Mensch, erledigt künftig die Maschine –schneller, verlässlicher, billiger und ermüdungsfrei. Kör-perliche Fähigkeiten werden künftig deutlich wenigergefragt sein. Die Unterteilung der Wirtschaft und Gesell-schaft in Kopfberufe und handwerkliche Tätigkeiten wirddurch die Digitalisierung und Robotisierung weniger wichtigund früher oder später sogar obsolet werden. Dadurchwird sich manches in Bildung und Ausbildung ändern.

Was wird sich im schulischen Bereich verändern müssen,Herr Beckmann?Beckmann: Schon heute haben vielfach Lernfelder starreLehrpläne ersetzt, um mit der fortschreitenden Entwicklungin vielen Berufen mithalten zu können. Diese Lernfelderbeziehen sich nicht mehr auf Fächer, sondern auf Tätig-keitsbereiche. Ändern sich Tätigkeitsbereiche, kann ent-sprechend nachgesteuert werden. Flexibilität und eine engeAbstimmung zwischen Ausbildungsbetrieben und Berufs-schulen werden in Zukunft noch wichtiger werden. Nurso kann gewährleistet werden, dass sich duale Ausbildungenin Theorie und Praxis aufeinander beziehen und mit denrealen Entwicklungen und Anforderungen standhalten.

Was können denn die Ausbildungsverantwortlichentun, um mit der Entwicklung schrittzuhalten? Wie gelingtes ihnen ganz persönlich, mit Trends wie Digitalisierungund Transformation mitzugehen?Gloss: Die schlechte Nachricht zuerst: Lebenslanges Lernenmacht auch vor HR- und Ausbildungsleitern nicht Halt.Die gute Nachricht: Wir beschäftigen uns intensiv damitund haben genau hierfür mit dem Deutschen Ausbildungs-leiterkongress – kurz: DALK – die größte Plattform für alleHR- und Ausbildungsverantwortlichen rund um die dualeBerufsausbildung geschaffen, von A wie Azubi-Gewinnungbis Z wie Zusammenarbeit zwischen Schulen und Ausbil-dungsbetrieben. Einen Schwerpunkt widmen wir in diesemJahr Management-, Führungs- und Kommunikationsstra-tegien. Die Teilnehmer lernen innovative Lösungsansätzefür den Fachkräftemangel kennen und entdecken konkreteStrategien, um qualifizierte Auszubildende zu finden, zumotivieren, zu entwickeln und langfristig zu binden. Undnatürlich kommt auch das Networking zwischen den über2000 Teilnehmern nicht zu kurz, sie können sich gegenseitigunterstützen und voneinander lernen. p

Der Deutsche Ausbildungsleiterkongress (DALK) 2018

Der Deutsche Ausbildungsleiterkongress (DALK) ist Deutschlands größter Fach-kongress für HR- und Ausbildungsverantwortliche. Bereits zum dritten Mal tref-

fen sich vom 21. bis 23. November in Düsseldorf mehr als 2000 Teilnehmer, um die

Ausbildung von morgen mitzugestalten, Ideen und Erfahrungen auszutauschen, die

Berufsausbildung zukunftssicher zu machen und innovative Lösungsansätze für den

drohenden Fachkräftemangel zu erhalten. Aus über 100 Vorträgen und Work-shops von mehr als 80 Topreferenten können sich die Besucher ihr individuelles

Kongressprogramm zusammenstellen. Als Moderatoren führen Nina Ruge und

Lothar Guckeisen durch das Programm.

„Der DALK steht dieses Jahr unter dem Motto: Duale Ausbildung geht in Führung“,

so Michael Gloss. „80 Topexperten wie KI-Professor Christoph Igel, Jugendfor-scher Klaus Hurrelmann und Medienprofi Thomas Feibel vermitteln unseren

Teilnehmern aktuelles Know-how und sofort anwendbare Lösungen für den

Arbeitsalltag. Und zusätzlich treffen sie auf dem DALK in diesem Jahr mit

Ranga Yogeshwar, Henry Maske, Olivia Jones, Arved Fuchs und Paul Breitnerwieder Persönlichkeiten, die wirklich jeder in Deutschland kennt.“

Termin: 21. bis 23. November 2018

Ort: Kongresszentrum CCD Düsseldorf

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.deutscher-ausbildungsleiterkongress.de

Der DALK ist ein Angebot der Wolters Kluwer Deutschland GmbH,

unter deren Dach auch die Personalwirtschaft erscheint.

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Page 12: Personalwirtschaft 2018 ·  Das Magazin für den Job HR Personalwirtschaft 10 2018 17,50 Euro G 21212 ISSN 0341-4698 Art.-Nr. 07720810

Rentner wissen mehr Immer häufiger kommen Unternehmen nicht mehr ohne erfahrene Mitarbeiter aus, die über das Rentenalter hinaus bleiben und ihr Wissen weitergeben.Jetzt gibt es sogar Online-Portale, auf denen sich Seniorexperten anbieten. VON LARA GOHR

u Ohne den Zahnriemen funktioniert kein Motor. DerRiemen, der auf kleine Rollen im Motor gespannt wird,setzt einen Prozess in Gang, an dessen Ende Kraftstoff inden Zylinder strömt. Das Auto fährt. Wer den Riemenfalsch einbaut, verursacht einen Motorschaden, der Tau-sende Euro kostet. Und genau das passierte Monteurenin Werkstätten weltweit jahrelang mit Zahnriemen undZubehör von Bosch. Teure unnötige Ausgaben für denKonzern, der die Motoren jedes Mal auf Garantie repa-rieren musste. Bis ein Mitarbeiter zum Telefon griff und Walter Kulpeanrief. Er suche jemanden, der sich hinsetze, um sich dieGarantiemeldungen einmal anzuschauen. Der 70-jährigeKulpe nahm sich des Projekts an und erkannte das Problemschnell: Die allgemeine Anleitung zur Montage war nichtdetailliert genug. Er stellte eine neue Checkliste mit Hin-weisen und Tipps zusammen – und innerhalb eines Jahreshalbierten sich die Garantiemeldungen.

Wertvolles Wissen sichern

Kulpe ist eigentlich viel zu alt, um noch bei Bosch zu arbei-ten. Aber auch 39 Jahre nach seinem ersten Arbeitstag beiBosch grübelt er im Homeoffice über Projekten, denn er

steht dem Konzern als Seniorenexperte zur Verfügung –als einer von 1600 im Pool der Registrierten. Das Technologieunternehmen meldet jährlich TausendePatente an. Um zu verhindern, dass Wissen in den Ruhe-stand verschwindet, gründete Bosch 1999 eine Tochter-gesellschaft, die Rentner für zeitlich befristete Projektezurück in den Konzern vermittelt. Dort können Fachbe-reiche im Konzern Unterstützung von ehemaligen Mit-arbeitern beantragen. Die Seniorenexperten haben imGegensatz zu voll eingebundenen Mitarbeitern genügendZeit, um grundsätzliche Abläufe und Prozesse zu analy-sieren und zu hinterfragen. Oft beraten sie auch jüngereMitarbeiter oder Teams. Sie geben Schulungen, haltenVorträge oder sind Mentoren für jüngere Kollegen.

Zu umtriebig für die Rente

Das Leben bei Bosch begann für den gebürtigen Pfälzerund studierten Maschinenbauer 1979. Damals war HelmutSchmidt Bundeskanzler, die USA erkannten erstmals dieVolksrepublik China offiziell als Staat an. Eigentlich warKulpe erleichtert, als er sich mit 63 Jahren in die Renteverabschieden konnte. Der Hobbypilot und seine Frauflogen zum Beispiel mit ihrem Flugzeug durch die Gegend.

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Aber schon nach zweieinhalb Jahren hatte er alles, was er sichfür die Zeit nach der Arbeit vorgenommen hatte, so sagt er,„abgearbeitet“. Als Technikfan Kulpe ein paar Monate später die Fachmesse„Automechanica“ besuchte, traf er am Bosch-Stand einenseiner ehemaligen Kollegen. Der erzählte, dass er trotz seinesAlters weiterarbeitete. Dann ermutigte er Kulpe, das dochauch zu probieren. „Schon sechs Wochen, nachdem ich michbei Bosch gemeldet hatte, bekam ich mein erstes Projekt“,erzählt er. „Ich konnte in meiner alten Abteilung wieder anfan-gen, weil dort eine Stelle übergangsweise frei war. Für michwar es eigentlich, als würde ich aus einem langen Urlaubzurückkehren.“ Dann fragten ihn auch noch andere Mitarbeiternach seiner Hilfe. Im Moment etwa arbeitet Kulpe an seinemdritten Projekt: Er überlegt, wie man die mechanische Motor-steuerung optimieren könnte. Dafür bekommt er ein Bera-tergehalt, das sich an seinem bisherigen Verdienst orientiert.Seine Arbeitszeit ist auf 80 Tage im Jahr begrenzt, der 70-Jährige arbeitet maximal ein paar Stunden pro Tag. So bleibtihm genug Freizeit für Hobbys und Enkelkinder.

Vermittlungsagenturen haben den Markt erkannt

Obwohl in Deutschland viele Unternehmen Mitarbeiter im Alter weiter beschäftigen, haben nur wenige spezielle Strukturen dafür geschaffen. Ein weiteres Beispiel neben Boschist Daimler. Der Konzern startete die Initiative im Jahr 2013.Für Spezialaufträge stehen seitdem 600 registrierte Rentnertemporär zur Verfügung. Aber auch ohne die Bemühungen des ehemaligen Arbeitgeberswissen viele Senioren, dass ihre Erfahrung Gold wert ist. Inden letzten Jahren ist für ihr Spezialwissen ein Markt ent-standen. Hoch Qualifizierte und alle, die sich dafür halten,bieten sich auf Online-Portalen als Berater an. Auf dem „Portal Erfahrung Deutschland“ sind beispielsweise 7500 vonihnen registriert. Daneben gibt es auch Vermittlungsagenturen,zum Beispiel für Spezialisten für Lieferanten der Automobil-industrie, Maschinen- oder Anlagenbauer.Sich externe Berater einzukaufen, macht aber meist nur Sinn,wenn das Unternehmen neue Geschäftsfelder erschließenwill und dafür kundige Leute braucht. „Meistens ist es wirt-schaftlicher, auf Experten mit unternehmensinternem Wissen

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„Personaler sollten versuchen, interneExperten über das Rentenalter hinaus zu beschäftigen, denn vielesind auf dem Zenit ihrer Schaffens-kraft, wenn sie das Unternehmeneigentlich verlassen sollen.“Leena Pundt, Wirtschaftspsychologin und Professorin für Human Resources,Hochschule Bremen

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zu setzen“, sagt Leena Pundt, Wirtschaftspsychologin undProfessorin für Human Resources an der HochschuleBremen. „Personaler sollten versuchen, interne Expertenüber das Rentenalter hinaus zu beschäftigen, denn vielesind auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft, wenn sie dasUnternehmen eigentlich verlassen sollen.“Pundt beschäftigte sich schon in ihrer Promotion damit,was ältere Menschen dazu motiviert, im Alter weiter zuarbeiten. Ein Ergebnis ihrer Forschung ist: Generativitätspielt eine große Rolle – die Freude daran, das eigeneWissen weiterzugeben und sich um zukünftige Genera-tionen zu kümmern. Daneben seien respektvolle Führung,ein ergonomischer Arbeitsplatz und planbare Arbeitszeiten

Voraussetzungen, um Senioren erfolgreich in der Firmazu halten. Walter Kulpe hat seinen Vertrag gerade um ein weiteresJahr verlängert. „Mir macht die Arbeit Spaß, ich fühlemich viel zu fit, um jetzt damit aufzuhören“, sagt er. Ersei hundertprozentig eingebunden, ob durch den E-Mail-Verteiler oder die Mitarbeiterzeitung. Der 70-Jährige kannjedes Projekt annehmen, auf das er Lust hat. „Es machteinfach Spaß, mit den anderen über meine Vorschlägezu diskutieren und die Ansichten der jungen Menschenzu erfahren.“

Das Gefühl, gebraucht zu werden

Im Fall von Mustapha Jebabli hat auch Geld eine Rollegespielt. Der Deutsch-Tunesier ist Zerspanungstechnikerund arbeitet bei der Samson AG in Frankfurt. Die Firmastellt unter anderem klassische Ventile und intelligenteMessregler her. Der heute 68-jährige Jebabli verlängerteseinen Vertrag bei der Firma immer wieder. Auch, umseinen drei Söhnen ein Studium ohne Nebenjob zu ermög-lichen. „Wenn man jung ist, will man ja auch Freizeithaben“, sagt er. Sein jüngster Sohn, studierter Maschi-nenbauer, hat gerade seine Masterarbeit bei Samsongeschrieben. Jebabli ist heute stellvertretender Vorsitzender desBetriebsrats. Damit ist er für die Mitarbeiter da, wennes Probleme gibt, zum Beispiel bei Kündigungen oderEinstellungen. Der Job sei stressig, sagt er, aber es macheihm Spaß, für die Menschen zu arbeiten. Er meint, dieAuszubildenden brauchten Leute mit Erfahrung, vondenen sie lernen könnten.

Großes Verantwortungsgefühl

Der Fachkräftemangel hat auch der Firma Samson in derVergangenheit zu schaffen gemacht. Deshalb bildet dieFirma nun selbst Mechaniker aus. Asa Lautenberg, Per-sonalerin bei Samson, kann sich vorstellen, auch Seniorenwieder zu mobilisieren: „Eine zusätzliche Betreuung durchSenioren könnte unsere Ausbildung perfekt ergänzen“.Sie denke an von Rentnern geführte Lehrwerkstätten oderan Generationentandems, bei denen einem Lehrling einerfahrener Mentor zugeordnet wird. Mustapha Jebabli sagt, er fühle sich für die 170 Azubisverantwortlich. „Ich gehe morgens in die Maschinenhallerunter und laufe meine Runde, rede mit den jungen Leu-ten und versuche, ihnen ein Gefühl für die Mechanikzu vermitteln.“ Selbst bei einer einfach wirkenden Auf-gabe wie dem Fräsen müsse man grundlegende Mechanikbegreifen, angefangen beim Satz des Pythagoras, sagter. Außerdem hilft der 68-Jährige den arabischen Leih-arbeitern regelmäßig mit Übersetzungen. Er sagt: „Ichwerde gebraucht.“ p

„Es macht einfach Spaß, mit den anderenüber meine Vorschläge zu diskutieren und dieAnsichten der jungen Menschen zu erfahren.“ Walter Kulpe, Rentner, arbeitet projektbezogen bei Bosch

Seniorexperten – Tipps für Personaler

Personaler müssen einiges beachten, wenn sie wollen, dass ältere Mitarbeiter demUnternehmen weiter zur Verfügung stehen. Leena Pundt, Wirtschaftspsychologinund Professorin für HR an der Hochschule Bremen, gibt Tipps:

• Allgemein sollten ältere Mitarbeiter sich wertgeschätzt fühlen. Ein guter Umgang

mit ihnen ist entscheidend für ihr Interesse, ihre Zeit wieder für das Unternehmen

einzusetzen.

• Ergonomische Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen sollten für ältere Mitarbeiter

ebenso Standard sein.

• Ansprechen sollte man die Kandidaten auf jeden Fall vor dem Ruhestand – solange

sie noch im Arbeitsrhythmus sind und mit den Gedanken in ihren Spezialgebieten. Über

Haustelefon oder Mail sind sie zudem leichter zu erreichen.

• Einen Pool kann man zum Beispiel nach dem Gießkannenprinzip aufbauen.Ein Jahr vor dem Ruhestand bekommt jeder eine Rundmail mit der Fragestellung

„Können Sie sich vorstellen weiterzumachen, ja oder nein?“. Aus „Ja“-Kandidaten baut

der Personaler eine Datenbank auf. Im Mittelstand lässt sich das noch gut mit einer

einfachen Excel-Tabelle erledigen.

• Eine andere Methode ist, gezielt Schlüsselpersonen anzusprechen, nachdem der

Personaler sich überlegt hat, welche Themen etwa in den nächsten fünf Jahren

strategisch wichtig für das Unternehmen sind. Vorgesetzte könnten dann mit darüber

entscheiden, wer angesprochen wird.

• Wenn dann das Rentenalter erreicht ist, kann man sich mit den Kandidatenmögliche Einsatzbereiche überlegen und Zeiten absprechen. Jeder braucht eine

möglichst individuelle Lösung. Dieser Aufwand lohnt sich, je eingespielter das

Prozedere wird.

• Ein Arbeitseinsatz muss zeitlich und thematisch immer festgesteckt sein. Der

Personaler muss vor jedem anderen Mitarbeiter rechtfertigen können, warum für eine

Aufgabe ein Rentner wiedereingestellt wird. Neben Beratung könnten Krankheits- oder

Elternzeitvertretung oder etwa spezifische Probleme mit alter Technik Gründe dafür sein.

• Ein guter Start ist wichtig, die ersten Matches müssen Menschen mit Projekten

zusammenführen, die sinn- und gewinnbringend für beide Seiten sind. Erfolg spricht

sich rum.

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HR & ICH ORGANISATIONSFORMEN

Das holokratische Unternehmen

u „Hierarchie, Anarchie, Holokratie“ ist ein Bonmot,das gerne benutzt wird, um die Sinnlosigkeit agilerOrganisationsstrukturen zu verdeutlichen. Und den-noch sind immer mehr Konzerne, Start-ups und Mit-telständler gewillt, sich von patriarchischen Führungs-formen zu verabschieden, und testen agile Modelle. Sonehmen laut einer Studie des PersonaldienstleistersHays und der Unternehmensberatung PAC agileMethoden einen hohen Stellenwert ein: Bereits zweiDrittel der befragten Firmen halten sie für wichtig und40 Prozent nutzen sie zu Teilen. Allerdings gibt esWiderstände: Konkurrenzdenken verhindert vernetztesHandeln (72 Prozent), das Tagesgeschäft beanspruchtzu viel Zeit (65 Prozent) und auch die geringe Akzeptanzbei den Mitarbeitern (55 Prozent) steht im Weg.Für Hays-Sprecher Frank Schabel sind drei Aspektewichtig: Zum einen benötigen Betriebe eine andere Artder Führung – eher einen Coach und Moderator, dernicht mehr fachlich führt. Zum anderen bedürfe eseiner hohen Flexibilität und ausgeprägten Lernkultur.

Drittens müsse in Unternehmen transparenter kom-muniziert werden. Die wichtigsten Aufgaben für dieFührungskräfte seien das Managen der Komplexität inder Kooperation (58 Prozent), heißt es im aktuellenHR-Report, eine neue Führungskultur (53 Prozent)und neue Vernetzungsformen (50 Prozent). „Es sindvor allem mentale und soziale Kompetenzen gefragt“,meint Schabel. Denn Vorgesetzte müssten in der Lagesein, kritische Mitarbeiter mitzunehmen, offen undwertschätzend zu reagieren und eine Feedback- undFehlerkultur zu entwickeln.

Ein Teil vom Ganzen

Stefan Kennerknecht, Vorstand und Co-CEO der Euro-pace AG, sieht „Wissensunternehmungen, in denendie Menschen das Wissen der Organisation halten“,als prädestiniert, um Hierarchien abzuschaffen und,wie in seinem Fall, die Holokratie einzuführen. Als Teileines börsennotierten Unternehmens, der Hypoport

Zurzeit probieren einige Unternehmen den Ansatz der Holokratie aus. In dieser Organisationsstruktur gibt es Rollen statt Stellenplänen, Kreise statt Hierarchien. Die Selbstorganisation der Mitarbeiter steht im Vordergrund.VON MICHAEL SUDAHL

Stefan Kennerknecht, Europace

Frank Schabel, Hays

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AG, will der Online-Marktplatz für Baufinanzierungenund Ratenkredite eines sein: schneller als die Konkur-renz. Langatmige Hierarchien und aufwendige Abstim-mungsschleifen stören da nur, wenn das Tagesgeschäfttechnische Innovation heißt. Doch wie funktioniert einUnternehmen mit 160 Mitarbeitern, in dem es keineArbeitsplatzbeschreibungen und Abteilungen mehrgibt, stattdessen Rollen, Kreise, Verantwortlichkeitenund einen übergeordneten Zweck? „Wie ein Organis-mus“, lautet Kennerknechts Antwort.Holokraten verstehen sich als Teil vom Ganzen (derBegriff Holokratie setzt sich zusammen aus altgriechisch„holos“ – vollständig, ganz – und „kratía“ – Herrschaft).Jeder Mitarbeiter nimmt verschiedene Rollen ein undbringt seine Kompetenzen in unterschiedlichen Kreisenein, siehe Info „So funktioniert Holokratie“. Allerdingssind Organismen anfällig. Wer einmal einen Infekthatte, weiß, dass schnell der ganze Apparat außer Gefechtgesetzt ist, obwohl nur ein paar Schnupfenviren im Sys-tem zirkulieren. „Ja“, bestätigt Kennerknecht, „jederim System kann ein mittleres Erdbeben auslösen.“ Dassei ein Risiko, wenn Hierarchien fallen. Aber ein über-schaubares. Er selbst habe das im eigenen Haus schongetan. Es dauerte nur wenige Tage, bis das System sichneu ausgerichtet hat und der Organismus wieder aufdie Beine kam. Fast wie bei einer Erkältung.Seither ist die Entwicklungsdynamik im Unternehmenwieder so, wie er sich das vorstellt. Was war geschehen?„Wir haben Kreise aufgelöst“, erzählt er. Danach muss-ten sich die Leute wiederfinden, Zuständigkeiten undVerantwortlichkeiten klären. So ein Beben kann man-chen erschüttern. Die Holokratie trennt zwar striktzwischen Rolle und Mensch, doch nicht jeder kannsich mal eben von seiner Rolle lösen.Die Identifikation ist oft hoch. Kritiker sehen genaudarin einen unmenschlichen Aspekt holokratischer

Systeme. Hinter den Rollen stecken Biografien undSchicksale. Es ist menschlich, sich über seine Aufgabe,seine Rolle, zu definieren. Deshalb sei es wichtig, Räumefür diese Bedürfnisse zu schaffen, so Kennerknecht.„Clean the Air“ heißt das in den Berliner Büroräumenvon Europace. Nach jedem holokratischen Meetinggibt es die Gelegenheit, die Luft emotional zu säubern.Größte Übung dabei: bei sich zu bleiben, aus der Ich-Position zu sprechen, Verantwortung für Handeln undGefühl zu übernehmen und Gesagtes sowie Gehörteszu reflektieren, ohne es persönlich zu nehmen. „DieWerkzeuge sind wichtig“, weiß Kennerknecht inzwi-schen. Und meint Kommunikationsprozesse an derHand zu haben, die eben nicht über den Menschenund seine Würde hinwegfegen, sondern Platz gebenfür Bedürfnisse und Wünsche.

Führung und Macht

Auch bei Bosch in Stuttgart testet man Formen derSelbstorganisation. 19 Personaler haben sich aufgemacht– Juristen und Ingenieure, Sozialpädagogen und Psy-chologen, Sportwissenschaftler und Kaufleute arbeitenseit einem Jahr in Eigenregie zusammen. Das klingtnach einem hippen Garagen-Start-up, doch Fachrefe-rentin Ruth Schulze stellt fest: „Selbstorganisationbraucht Führung und Macht.“ Allerdings seien Ansprü-che nicht mehr durch Posten zementiert, sondern inRollen geteilt. Teams wählen Rolleninhaber auf andert-halb Jahre. Danach werden die Karten neu gemischt. Für Routineaufgaben wie Lohnbuchhaltung oder Bewer-bungen-Scannen ist die kreative Wucht der Selbstor-ganisation nicht sinnvoll. Für Aufträge, die große Gestal-tungsräume und Kundenorientierung beinhalten oderschnell umgesetzt werden sollen, dagegen schon. Eben-falls für solche, deren Ziel noch nicht klar ist, etwa einFahrrad-Leasing für die Bosch-Mitarbeiter. Zusammenmit einem Sportwissenschaftler und einem Kaufmannhat Schulze eine Analyse erstellt und dadurch die Bedürf-nisse der Mitarbeiter besser verstanden. „Ich lerne viel“,begeistert sich die Referentin für diese Arbeitsstruktur,„wir haben einen sehr wertschätzenden Umgang, sindhoch motiviert und haben auch noch Spaß.“Früher wäre das Projekt von Abteilung zu Abteilunggewandert – an den Schnittstellen hätte es gehapert,weil sich keiner damit identifiziert hätte. In der Selbst-organisation haben die drei Kollegen das Fahrrad-Lea-sing zu ihrem Baby gemacht und mit Experten darangearbeitet. Das Feedback während des Prozesses kamviel schneller und führte zu effektiveren Reaktionen.Ergebnis: eine schnellere Lösung, die von den Mitar-beitern gut angenommen wird.Mit der neuen Organisationsform ändert sich der Ton.Holokratin Heike Schmidt fragt in ihrer Rolle als Mar-

Ruth Schulze, Bosch

So funktioniert Holokratie

Die Holokratie (auch: Holakratie) schafft Hierarchien fast völlig ab. Mitarbeiter übernehmen Verantwortung und organisieren sich selbst. Der US-Unternehmer Brian

Robertson gilt als Pionier der „Holocracy“. In der Holokratie nehmen Mitarbeiter Rollen ein,

die in organisatorischen Kreisen zusammengefasst werden. So kann es einen

Produktionskreis geben, in dem Kollegen für Entwicklung, Personalplanung, Beschaffung

und Lager zuständig sind. Die Kreise organisieren sich selbst und legen Zuständigkeiten

fest. Üblich ist, dass Mitarbeiter mehrere Rollen übernehmen und zu verschiedenen

Kreisen gehören. Außerdem kann jeder Mitarbeiter Rollen wechseln.

Damit die Kreise kommunizieren können, gibt es doppelte Verbindungen. Jeweils ein Vertreter eines Kreises wird in den nächsthöheren und -tieferen Kreis gesandt.Holokraten unterscheiden bei Besprechungen zwischen den operativen Treffen, die

den Alltag regeln, und Steuerungs-Meetings. Diese dienen dazu, Strukturen weiterzuent-

wickeln: Hier werden Zuständigkeiten verteilt, Kreise zusammengelegt und aufgeteilt.

Holokratie macht den Chef zwar nicht überflüssig, aber er wird nur noch bei kritischen

Fragen konsultiert. Das soll Freiräume schaffen, um Neues zu entwickeln.

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ketingverantwortliche bei Europace ihre Kollegen: Wasbrauchst du, um deine Rolle auszufüllen? Statt Mitar-beitern zu sagen, was sie zu tun haben, lässt sie dieseselbst entscheiden. „Das motiviert“, beobachtet Schmidtund merkt an, dass Meetings produktiver würden, weiles in ihnen nur noch ums Synchronisieren geht stattum „lautes Brüllen“. Wenn jeder Einwand gehört wirdund es ein klares Reglement zur Prüfung gibt, entstehtTransparenz. „Holokratie liefert Denk- und Herange-hensweisen, die ganz anders sind als jene, die ich inanderen Organisationen kennengelernt habe“, resümiertSchmidt.Wenn das Bitten um Zustimmung entfällt, entstehtFreiraum für jedermann. Das gefällt nicht allen. FührenUnternehmen selbstbestimmte Organisationsformenein, steigt mitunter die Fluktuationsrate. Bei Zappos,dem amerikanischen Zalando-Vorbild, verließ ein Fünf-tel der Mitarbeiter das Unternehmen, nachdem dieHolokratie eingeführt worden war.

Ein selbstverwalteter Organismus

Auch Rainer Brang hat sich in die 45-seitige Holo-kratie-Verfassung von Brian Robertson eingelesen.Für den Erfinder des Hörberts, einem MP3-Playeraus Holz für Kinder, ist das Regelwerk zu komplexfür den Alltag. Dennoch arbeitet seine Firma Winzkials selbstverwalteter Organismus. Ähnlich wie Euro-pace-Chef Kennerknecht hat sich der schwäbischeTüftler überlegt, wie die Firma funktionieren soll, inder er arbeitet und sich wohlfühlen will. Die Holokratiediente ihm als anschauliches Betriebsmodell. „Als mirklar war, dass es nicht um meine persönliche Präfe-renzen geht, sondern darum, ein Unternehmenzukunftsfähig zu machen, war die Selbstverwaltunggesetzt“, erinnert sich Brang, der es schätzt, dass eineFragekultur in seinem 20-Mitarbeiter-Unternehmenheranwächst. Um jährlich 10 000 Hörberts zu produ-zieren, müssen die Winzki-Teams miteinander reden.Will etwa die Produktion in der Vorweihnachtssaisonmöglichst keine Überstunden schieben, taktet sie dieAuslastung übers Jahr verteilt. Lager, Einkauf undFinanzen müssen dazu gehört werden. „Also fragendie Kollegen bei den jeweiligen Schnittstellen an“,erläutert Brang.Früher wäre dieser Wunsch auf seinem Tisch gelandetund er hätte nachgedacht, gerechnet, wieder nachge-dacht und wieder gerechnet und schließlich einsamentschieden. Jetzt übernehmen Mitarbeiter diese Denk-arbeit und tragen gefallene Entscheidungen, weil siesie verstehen und nicht aus Gehorsam. Wenn es kritischwird, müssen gemeinsam neue Prozesse entwickeltwerden. „Selbstfürsorge“ nennt das der gelernte Soft-wareentwickler. Die gestattet er sich, weil für den Chef

mehr Freiräume entstehen. Und gleichzeitig entstehteine Holschuld für die Mitarbeiter, weil jeder für seineUmgebung (eigen-)verantwortlich ist.Winzki ist seit der Gründung vor fünf Jahren schnellgewachsen. Aber auch Rainer Brang hat die Erfahrunggemacht, dass nicht jeder Bewerber sein eigener Chefsein will. Der Einstellungsprozess dauert daher einenganzen Tag lang. Potenzielle neue Mitarbeiter gehenin jeden Bereich und sprechen direkt mit den künftigenKollegen. Auch das gemeinsame morgendliche Früh-stück ist Teil des Kennenlernprozesses. Alle betroffenenKollegen werden anschließend gehört. Wenn aus Sichtder Firma nichts gegen den Kandidaten spricht, wirder gefragt, ob er den Deal „Freiheit gegen Verantwor-tung“ eingehen will.

Schwarmintelligenz und Digitalisierung

Schwarmintelligenz nennen das die Fachleute. Die willauch der Automobilhersteller Daimler nutzen. Unterdem Label Leadership 2020 soll ein Fünftel der weltweit285 000 Mitarbeiter künftig in Schwarmorganisationeneingebunden sein. Zwar ist Schwarm noch keine Holo-kratie. Und ein Chef ohne Krawatte und in Jeans, wieCEO Dieter Zetsche sich inszeniert, noch keine Abkehrvon der Hierarchie. Doch der Stuttgarter Autobauermacht eines deutlich: Digitalisierung und Elektrifizie-rung sind nicht mit herkömmlicher Arbeitsweise zuhaben. Personalvorstand Wilfried Porth sagt dann Sätzewie: „Wer sich mit diesen Themen beschäftigt, stelltfest: Da brauche ich an einigen Stellen andere Entschei-dungsprozesse, damit man schneller wird.“ Dabei gehees bei Daimler um recht simple Dinge wie Reisegeneh-migungen. Statt mehrerer Hierarchien seien nur nochder Reisende selbst und der direkte Vorgesetzte beteiligt.Dieses Prinzip – weniger Unterschriften und wenigerGenehmigungen – diskutiert der Konzern jetzt auchfür andere Prozesse. p

Rainer Brang, Winzki

Die Holokratie-Verfassung(„Holacracy Constitution“) finden Sie unter www.holacracy.org/constitution

Von der Hierarchie zur Selbstorganisation – was es für Holokratie braucht

• Bereitschaft: Chefs müssen sich auf neue Organisationsformen einlassen.

• Führungsrolle: Chefs, die bereit sind, traditionelle Ansprüche aufzugeben und in eine

neue Rolle hineinzuwachsen.

• Neue Definition: Die Führungskraft als Coach und Gestalter eines Rahmens.

• Klarheit: Soll es hundertprozentige Holokratie werden oder ein individuelles,

maßschneidertes Betriebssystem?

• Prototyp Implementierungskreis: Besetzt mit oberster Führungskraft, die Kriterien

festlegt, Prozess und Kreismitglieder begleitet, reflektiert und coacht.

• Hohe Fehlertoleranz: Ausprobieren und messen, was wie funktioniert.

• Durchhaltevermögen: Veränderung benötigt einen langen Atem und Geduld.

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uSolcher Mut ist aller Ehren wert. Als dem Polizisten SwenEnnullat und seinen Kollegen Mitte der 2000er-Jahre auffiel, dassdie Ermittlungsbehörden in Sachsen-Anhalt bei der Verfolgungrechtsextremer Straftaten nicht so genau hinschauen wollten,schlug er Alarm. Mit Erfolg: Unter großer medialer Anteilnahmeging ein Untersuchungsausschuss der Sache nach. Auch MargritHerbst und Martin Porwoll wollten ihre besorgniserregendenErkenntnisse nicht für sich behalten. Herbst war in den 1990er-Jahren als Fleischhygiene-Tierärztin in einem Schlachthof tätigund wies frühzeitig darauf hin, dass torkelnde Rinder Vorboteneines riesigen Futtermittelskandals sind, Stichwort BSE. AuchPorwoll, kaufmännischer Leiter einer Apotheke, ging im vergan-genen Jahr entschlossen an die Öffentlichkeit. Sein Chef, derApotheker, hatte jahrelang Krebspatienten mit einem von Glykoseoder Kochsalzlösungen gestreckten Medikament betrogen.

Der bittere Preis für Mut

Tun, was sich kaum jemand traut, Missstände ans Licht bringen,vorhersehbaren Widerständen hartnäckig die Stirn bieten: Solchunerschütterlicher Einsatz für das Gemeinwohl verdient größtenRespekt. Doch dafür müssen die Hinweisgeber oft bitter bezahlen,denn ihre Arbeitgeber greifen hart durch. Ennullat, nach einemDisziplinarverfahren zunächst versetzt, arbeitet heute nicht mehrals Polizist. Veterinärmedizinerin Herbst wurde fristlos gekündigt.Begründung: Sie habe wegen eines Interviews ihre Verschwie-genheitspflicht verletzt. Porwoll verlor ebenfalls seinen Job inder Bottroper Apotheke, legte aber Berufung ein und einigte sichvor dem Landgericht Hamm mit seinem Ex-Arbeitgeber aufeinen Vergleich. Danach wurde der Arbeitsvertrag aufgelöst under erhielt eine Abfindung über zehn Monatsgehälter. SeinemChef wurde inzwischen wegen Körperverletzung, Betrug undVerstoß gegen das Arzneimittelgesetz der Prozess gemacht. DasUrteil: zwölf Jahre Gefängnis.Ennullat, Herbst und Porwoll sind Whistleblower. Ohne Angstvor Einschüchterung durch Vorgesetzte und Kollegen decken

HR & ICH ZOOM

sie Skandale auf und sensibilisieren die Öffentlichkeit. Ihr per-sönliches Opfer ist jedoch groß. Denn zwar werden sie für ihrzivilgesellschaftlich vorbildliches Engagement mit dem jährlichvergebenen Whistleblower-Preis ausgezeichnet. So beispielsweiseEdward Snowden oder der inzwischen in Deutschland lebendetürkische Journalist Can Dündar, der nach einem Bericht überWaffenlieferungen des Geheimdienstes an islamistische syrischeMilizen einsitzen musste. Doch jenseits der zweifellos verdientenAnerkennung müssen Whistleblower oft zerbrochene Lebensläufe,Jobverlust, gesundheitliche Belastungen oder sogar Gefängnis-strafen in Kauf nehmen.

Die Mauer des Schweigens

In der Tat ist es um die Rechte von Hinweisgebern nicht gut bestellt.Kritiker vergleichen ihre Situation mit den Opfern der Mafia.Was sie auch tun, sie scheitern stets an der Mauer des Schweigens,der sogenannten Omertà. Wer sich an die Regeln hält, wird vonder Organisation gedeckt. Man bekommt die besten Anwälteund gehört weiter zur „Familie“. Wer auspackt, wird fallen gelassen.So zumindest ist Compliance, also die Einhaltung von nationalenund internationalen Gesetzen, Vorschriften und freiwilligenSelbstverpflichtungen sowie internen Richtlinien, worauf sichdie deutsche Wirtschaft nach zahlreichen Korruptionsskandalenverständigte, kaum zu verstehen. Doch dieser unerträglicheZustand könnte sich bald ändern, nachdem die Bundesregierungnun ein Gesetz vorgelegt hat. Primär soll es zum Schutz vonGeschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechts-widriger Nutzung und Offenlegung dienen. Tatsächlich räumtes auch Whistleblowern einen größeren Schutz ein. Und zwarist die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung eines Geschäfts-geheimnisses dann gerechtfertigt, wenn es der Aufdeckung einerrechtswidrigen Handlung dient. Dabei muss die Person in derAbsicht handeln, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen.Ein überfälliger Schritt in die richtige Richtung.

Whistleblower aus Sicht von HRMenschen, die sich an hohen ethischen Maßstäben orientieren, verdienenunsere Anerkennung. Doch beherzt gegen Unrecht in Unternehmen undBehörden einzuschreiten, ist für die Mutigen voller persönlicher Risiken.VON WINFRIED GERTZ

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Worum geht es?Wer Unrecht aufdeckt, verdient Schutz statt StrafeWhistleblower, die beispielsweise Korruption in Unter-

nehmen aufdecken und damit an die Öffentlichkeit gehen,müssen sich nicht allein der vollen Härte des Arbeitsrechts erwehren.Denn wer Interviews gibt und damit Loyalitätspflichten gegenüberdem Arbeitgeber verletzt, auf den wartet die fristlose Kündigung.Zwar versuchen Whistleblower, zunächst intern auf ihre Beobach-tungen hinzuweisen. Doch darauf reagieren Organisationen mangelsentsprechender Strukturen oft nicht angemessen. Und wer aufKündigungsschutz klagt, wird in höheren Instanzen zurückgewiesen.Zusätzlich werden Whistleblower auch zur Zielscheibe sozialerStigmatisierung. Kollegen diffamieren und mobben sie. DerenSorge ist, dass kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Lieber arran-giert man sich mit den Verhältnissen: Kadavergehorsam statt selbst-reinigende Reflektion.Laut Annegret Falter, Vorsitzende des Whistleblower-Netzwerkse.V., einer 2006 gegründeten Initiative zum Schutz von Menschen,die auf Rechtsbrüche am Arbeitsplatz hinweisen, stehen Whistle-blower vor dem Dilemma der „gespaltenen Loyalität“: Sie erfahrenin ihrem Arbeitsumfeld in Unternehmen und Behörden oft vonMissständen, von denen kein Außenstehender wissen kann. „Sieschulden ihrem Arbeitgeber Loyalität und Verschwiegenheit“,betont Falter. „Aber als Bürger einer Demokratie fühlen sie sichauch dem Gemeinwohl verpflichtet.“ Letztlich hängt es nicht zuletztvom Unternehmen ab, wie Whistleblower sich in dieser Zwickmühleverhalten.

Woran hakt es?Firmen nehmen Klagen und Reputationsverlust inKauf

Einer Umfrage des Whistleblower-Netzwerks zufolge verlorenzwei Drittel der Betroffenen nach der Enthüllung ihre Jobs oderwurden in den Ruhestand versetzt. Viele leiden bis heute untergesundheitlichen Problemen. Insbesondere in Deutschland seider Schutz von Whistleblowern zu gering ausgeprägt, kritisiertEU-Verbraucher-Kommissarin Věra Jourová. „Es gibt wederklare Meldewege, noch gibt es ausreichenden Schutz vor Ver-geltungsmaßnahmen.“ Deshalb hat sie eine Richtlinie vorgelegt,die bald auch in deutsches Recht umgesetzt werden soll. Unteranderem sieht diese vor, dass Arbeitgeber künftig beweisenmüssen, dass eine spätere Entlassung des Whistleblowers keinRacheakt sei. Falter geht das nicht weit genug. Sie fordert Unternehmen auf,Whistleblower nicht mehr wie Nestbeschmutzer zu behandeln,die den Betriebsfrieden stören und womöglich auch Arbeitsplätzegefährden. „Denn rechtzeitige interne Hinweise auf Missständekönnen das Unternehmen vor Strafen, Schadensersatzansprüchenoder Reputationsschäden bewahren.“ Ein deutlicher Fingerzeig

„Whistleblower stehenvor dem Dilemma dergespaltenen Loyalität

zwischen ihrem Arbeitgeber und dem

Gemeinwohl.“Annegret Falter,

Vorsitzende, Whistleblower-Netzwerk e.V.

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in Richtung HR. Vielleicht überlagert in Personalabteilungender juristische Aspekt alles andere – zum Nachteil demokratischerPrinzipien, die mehr und mehr eingefordert werden. WessenAnwalt ist HR eigentlich?

Worauf kommt es an? Ohne Kultur der Fairness laufen alle Maßnahmenins Leere

Um vor Mobbing und Vergeltungsmaßnahmen geschützt zuwerden, „brauchen Whistleblower einen Ansprechpartner, demsie unbedingt vertrauen können“, sagt Falter. Geht es nach deranstehenden EU-Richtlinie, müssen Unternehmen künftig einHinweisgebersystem einrichten, um vor externen Anzeigen beiBehörden oder gar vor öffentlichem Whistleblowing geschütztzu sein. Ein solches System sollte auch vertrauliche und anonymeMeldungen zulassen, mahnt die Richtlinie an. Insider empfehlen,hierzu Betriebsvereinbarungen abzuschließen, zumal demBetriebsrat laut Gesetz ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Mit-arbeiter und Führungskräfte sollten zudem geschult werden, sichrechtmäßig zu verhalten. Dazu gehört auch zu wissen, an wenman sich im Falle eines beobachteten Vergehens wendet.Aber auch das beste Hinweisgebersystem wird Falter zufolgenicht im Sinne des Unternehmens genutzt werden, solange der„tone from the top“ nicht stimmt. „Es kommt letzten Endes aufeine Unternehmenskultur des offenen und fairen Dialogs an“,fordert die Whistleblower-Vorkämpferin. Sollte HR sich tatsäch-lich für eine Kultur der Partizipation und des fairen Umgangsverwenden wollen, wie aus zahlreichen Unternehmen zu hörenist, wird der Umgang mit Whistleblowern womöglich zur Nagel-probe. p

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uAngesichts der jüngsten technologischen Fortschritteim Bereich der künstlichen Intelligenz ist die Debatteum die Auswirkungen der Digitalisierung auf denArbeitsmarkt voll entbrannt. Experten sagen einenmassiven Abbau von Arbeitsplätzen voraus und dis-kutieren die gesellschaftlichen Folgen. Aber welcheThemen treiben die Arbeitnehmer selber um? Wie neh-men sie die technologische Entwicklung in ihremeigenen Arbeitsumfeld wahr? Und was erwarten siepersönlich von der digitalen Arbeitswelt? Die neueeuropäische Gallup-Studienreihe „The Real Future ofWork“ („Die Arbeitswelt von morgen“), die viertel-jährlich mit jeweils einem anderen Schwerpunktthemaerscheinen wird, gibt darauf Antworten.

1Selbstbewusste Arbeitnehmer trotz neuer Tech-nologienFakt: Nur sieben Prozent der deutschen Arbeitnehmerhalten es für wahrscheinlich, dass ihr Job in den nächstenfünf Jahren durch Technologien wie künstliche Intel-ligenz oder Roboter ersetzt wird. Damit zeigen sich diedeutschen Beschäftigten deutlich selbstbewusster alsihre französischen oder britischen Kollegen (17 Prozentbeziehungsweise 13 Prozent). Das gilt auch in Hinblickauf die eigene Leistung. Nur jeder dritte Deutsche, aberrund zwei von drei Briten und Franzosen, rechnet

damit, dass mit dem technologischen Wandel auch dieAnforderungen an ihre Arbeitsleistung steigen wer-den.Transfer: Dass die Beschäftigten hierzulande so vielselbstbewusster in die digitale Zukunft blicken, liegtunter anderem daran, dass der Kollege Roboter fürviele deutsche Beschäftigte bereits heute eine Selbst-verständlichkeit ist. Mit 309 Robotern je 10 000 Beschäf-tigte liegt Deutschland weltweit auf Platz drei, hinterKorea (631 Einheiten) und Singapur (488 Einheiten).Das sieht in Frankreich und Großbritannien ganz andersaus: Beide Länder liegen bei der Roboterdichte im Mit-telfeld, Großbritannien hinkt dabei als einziges G7-Land sogar dem Weltdurchschnitt von 74 Einheiten je10 000 Beschäftigte hinterher (Quelle: InternationalerRobotik-Verband IFR 2017).

2 Deutsche brauchen Qualifizierung, bekommenaber wenig Training im UnternehmenFakt: Der Technisierungsgrad in Deutschland ist hoch.Und viele Arbeitnehmer sind Neuerungen gewohnt.Vier von zehn Arbeitnehmern (38 Prozent) berichtendavon, dass sich bei ihnen im Jahr 2017 Arbeitsmittelund Technik am Arbeitsplatz (Geräte, Arbeits- oderProduktionsprozesse) verändert haben. Am ehestenwird vermutet, dass durch die Veränderungen zukünftigdie Anforderungen an die Qualifikation (44 Prozent)zunehmen, die Produktivität steigt (38 Prozent) unddie Erwartungen an die Arbeitsleistung (33 Prozent)höher ausfallen werden.Transfer: Die Einschätzung, dass zukünftig die Quali-fikationsanforderungen anziehen werden, deutet darauf

Keine Angst vor Kollege RoboterDie Digitalisierung ist das mediale Schreckgespenst auf dem Arbeitsmarkt. Doch deutscheArbeitnehmer versetzt sie weitaus weniger in Angst und Schrecken, als man angesichts der jüngsten Schlagzeilen vermuten könnte, wie eine aktuelle Studie von Gallup zeigt.

Die Studie

Für die Untersuchung hat Gallup jeweils 1000 zufällig ausgewählte Arbeitnehmer ab 18 Jahren in den Ländern Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien im Februar

und März 2018 telefonisch interviewt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die Arbeitnehmer-

schaft in den jeweiligen Ländern.

HR & ICH PRAXISTRANSFER

20 Personalwirtschaft 10_2018

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hin, dass sich Arbeitnehmer durchaus bewusst sind,dass ihre derzeitige Qualifikation und ihr Erfahrungs-wissen an Bedeutung verlieren. Unternehmen sind dahergut beraten, eine unterstützende, fördernde Kultur zuschaffen – eine Kultur, die jedem einzelnen Beschäftigtenhilft, sich weiter zu qualifizieren und seine Stärken aus-zubauen. Allerdings: Nur 35 Prozent der Arbeitnehmerin Deutschland stimmten jüngst (2018) der Aussage„Ich habe das nötige Training erhalten, um gute Arbeitleisten zu können“ uneingeschränkt zu.

3 Leistungsbewertungen neu denken Fakt: Die Führungskultur in vielen deutschen Unter-nehmen ist ausbaufähig. Nur 45 Prozent der Arbeit-nehmer hierzulande erhalten überhaupt mindestenseinmal monatlich Feedback von ihrem Vorgesetzten.Und auch in den üblichen Jahresgesprächen stehen beiuns meist nur Gehaltsfragen und Beförderungsent-scheidungen im Mittelpunkt. Statt als Coach und Poten-zialentwickler treten Führungskräfte in Deutschlandihren Mitarbeitern gegenüber viel zu häufig als Leis-tungskontrolleure auf und bewerten sie vielfach anhandvon Kennzahlen, die sie nicht beeinflussen können.Lediglich 16 Prozent der Beschäftigten stimmen derAussage „Ich kann die Leistungskennzahlen, an denenich gemessen werden, selbst beeinflussen“ uneinge-schränkt zu.Transfer: Dass ein solches Performance Managementwenig zur Motivation beiträgt und die wenigstenBeschäftigten die eigene Leistungsbewertung für fairhalten, verwundert daher nicht. Nur jeder vierte Arbeit-nehmer (27 Prozent) stimmt der Aussage „Die Leis-tungsbeurteilungen, die ich erhalte, sind fair“ ohneWenn und Aber zu. Doch je mehr Qualifikation undKompetenz – auch im Umgang mit neuen Technologien– benötigt werden, desto wertvoller wird der einzelneMitarbeiter für das Unternehmen und desto wichtigerist es, Mitarbeiter an den Arbeitgeber zu binden – geradevor dem Hintergrund des demografischen Wandels,der zur Folge hat, dass es immer weniger potenzielleArbeitskräfte gibt.

AUTOR

Fazit: Die Unternehmen scheinen aufgrund der Digi-talisierung stärker zu leiden als ihre Mitarbeiter, dennsie sehen sich disruptiven Geschäftsmodellen, neuenglobalen Wettbewerbern und grundlegend verändertenProzessen ausgesetzt. Um in dem sich ständig wan-delnden Umfeld bestehen zu können, müssen Unter-nehmen beweglich bleiben und schnell reagieren. Vielesetzen daher auf dezentrale, flexible Strukturen undflache Hierarchien. Von den Mitarbeitern wird damiterwartet, dass sie mehr Verantwortung übernehmenund mehr Eigeninitiative zeigen. Um das leisten zukönnen, brauchen sie Führungskräfte, die sie entspre-chend coachen, hilfreiches Feedback geben und indi-viduelle Potenziale fördern. Wer Verantwortung über-nehmen soll, braucht Befähigung und Empowerment.Wer sich engagiert, muss für seine Leistung auch gewür-digt werden. Wer sich weiterentwickeln will und soll,braucht dafür Feedback, mit dem er tatsächlich etwasanfangen kann.Anders als komplexe Maschinen brauchen Menschendie Erfüllung ihrer emotionalen Bedürfnisse wie bei-spielsweise positives und konstruktives Feedback, dasGefühl bei der Arbeit eingebunden zu sein, sich per-sönlich weiterentwickeln zu können oder als Menschhinter der Arbeitskraft gesehen zu werden, um leis-tungsbereit und motiviert zu arbeiten. Dabei geht esnicht um die Pflege von Befindlichkeiten, sondernum die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Denndie kann nicht allein mit technologischen Innovatio-nen gesichert werden, sondern bedarf gut qualifizierterund talentierte Mitarbeiter, die mit Hand, Herz undVerstand bei der Arbeit sind. Die im Arbeitsumfelderlebte Führung entscheidet nachweislich darüber,wie leistungs- und wettbewerbsfähig Unternehmensind – von der Innovationskraft über die Kunden-orientierung bis hin zur Weiterempfehlungsbereit-schaft der eigenen Produkte und Dienstleistungen.Auch wenn die jüngste Gallup-Studie deutlich macht,dass die Arbeitnehmer hierzulande keine Angst vorRobotern haben, sollten sie nicht wie solche behandeltwerden. p

Marco Nink,

Regional Lead Research &

Analytics EMEA,

Gallup Deutschland, Berlin,

[email protected]

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HR & ICH FÜHRUNGSLEITLINIEN

Von hierarchischer zu kollegialer Führung: Durch einen aufwendigen Change-Prozess etablierte Bomag,Hersteller von Maschinen für den Straßenbau, Leitlinien für die Führung. Schlüssel für die erfolgreicheUmsetzung war eine konsequente Praxisorientierung.

Erfolgsrezept Praxis

u Begonnen hatte alles mit einem unangenehmenGefühl, das immer stärker wurde. Dies kam auf, wenndas Management der Bomag über die herrschende Füh-rungspraxis diskutierte. „In der Vergangenheit wurdeFührung bei uns zu wenig vermittelt, man war sich inmanchen Situationen, insbesondere in Konfliktsitua-tionen, selbst überlassen“, beschreibt Bomag-PräsidentRalf Junker die damalige Situation. Im Jahr 2016 dannsetzte die Geschäftsleitung das Thema Führung auf dieAgenda. Zwei Faktoren waren dafür ausschlaggebend:Das Unternehmen setzt – getrieben von der Produktion– auf Lean Management und auf Selbststeuerung derMitarbeiter bei Aufgaben und Arbeitszeiten. Hier istDialog auf Augenhöhe und verstärkte Teamarbeitgefragt, eine Umstellung von einem hierarchischenFührungsstil hin zu Kooperation und Mitsprache.

Zeitgemäße Führung notwendig

Dazu kommen die sich verändernden Ansprüche vonMitarbeitern und Bewerbern, die eine Weiterentwick-lung der Führungskultur im Unternehmen erfordern,wie Junker berichtet: „Die Anforderungen der jüngerenGeneration an einen ‚guten‘ Arbeitgeber, an eine zeit-gemäße Führung haben sich radikal verändert.“In Bewerbungsgesprächen gehören Themen wie Ver-einbarkeit von Familie und Beruf, flexible Arbeits-zeiten, Wunsch nach Feedback, Mitgestaltung undMitsprache sowie kooperative Zusammenarbeit mitt-lerweile zum Standard. „Angehende Führungskräftewollen eigene Ideen einbringen, in Entscheidungs-prozesse einbezogen werden und Verantwortungübernehmen. Zudem wünschen sie sich verbindliche

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23Personalwirtschaft 10_2018

Aussagen darüber, wie die Führungskräfte steuernund welche Werte sie leiten“, so der Präsident vonBomag. Ihre Führungskräfte müssen also unterschied-liche Interessen integrieren können und Diversitätausbalancieren, wie sie durch Betriebszugehörigkeit,Alter, ungeschriebene Gesetze oder unterschiedlicheKulturen gegeben ist. Die Zusammenarbeit im Unter-nehmen wird kooperativer, Hierarchien werden aufsnotwendige Maß reduziert, Teams formen sich flexibelund projektbezogen. Damit wandelt sich das Berufs-bild der Führungskraft: Führung wird nicht mehrnur funktions- oder hierarchiebezogen definiert, son-dern rückt als Haltung und eigene Profession in denMittelpunkt.

Transparente Projektstruktur, klare Rollenverteilung

Um die neuen Führungsleitlinien einzuführen, beschlossdie Geschäftsleitung, sich externe Unterstützung zuholen. Sie vertraute auf die Expertise und Erfahrungder Berater vom Institut Persönlichkeit+Ethik (Eigen-schreibweise: Institut persönlichkeit+ethik) aus Augs-burg, die als Impulsgeber, Moderatoren und Projekt-manager den Prozess steuerten. „Anfangs waren wiruns nicht sicher, wie wir ein derart komplexes Themabearbeiten können“, blickt Junker zurück. Seine Beden-ken wurden schnell zerstreut: In einer strukturiertenAuftragsklärung haben Geschäftsleitung und BeraterZiele und Rahmenbedingungen besprochen und ersteIdeen für den Weg zu einem veränderten Führungs-verständnis diskutiert. Im Frühjahr 2016 stand ein Pro-jektplan mit vier Phasen: „Entwerfen der Führungsleit-linien“, „Testen der Führungsleitlinien“, „Festlegen undverwirklichen“ und „Implementieren in die Prozesse“.Die Fäden des Projektes liefen beim fünfköpfigen Steue-rungsteam zusammen, das unter der Moderation derBerater den gesamten Prozess plante und begleitete.Um Führungskräfte und Mitarbeiter bei der Erstellungder Leitlinien bestmöglich einzubeziehen, benanntedie Geschäftsführung eine Resonanzgruppe aus elf Per-sonen unterschiedlicher Hierarchieebenen. Aufgabeder Resonanzgruppe war es unter anderem, zu Beginndes Prozesses die wesentlichen Führungsthemen derBomag zu identifizieren. Die Mitglieder der Resonanz-gruppe benannten unter anderem Strategie, Fehlerkul-tur, Werte, Kommunikation, Kritikfähigkeit und Mit-arbeiterführung als wesentliche Führungsthemen. Dieseflossen in die weitere konzeptionelle und inhaltlicheArbeit ein.Entlang des gesamten Projektverlaufs fing die Reso-nanzgruppe Stimmungen aus der Organisation ein. Siebrachte zudem immer wieder relevante Inhalte sowiekonstruktive Vorschläge zur Prozessgestaltung ein.

Leitlinien im Storytelling-Ansatz wirken praxisnah

Ausgestattet mit den von der Resonanzgruppe iden-tifizierten Themen entwickelte die zehnköpfigeGeschäftsleitung im Mai 2017 in einem zweitägigenWorkshop eine erste Fassung der Führungsleitlinien.Die Teilnehmer tauschten sich zu den Führungsthemenaus und trugen ihre Erfahrungen zusammen: Auf Basisdes Storytelling-Ansatzes, in dem implizites und expli-zites Wissen in Erzählungen gefasst wird, entstandenso prägnante Beispiele aus dem Führungsalltag, diedie Formulierung der Führungsleitlinien leiteten. „Aufdieser Basis fanden sich bereits am Ende des erstenWorkshop-Tages griffige Formulierungen. Am nächs-ten Morgen wurden diese reflektiert und diskutiert,mit gängigen Führungstheorien abgeglichen und über-arbeitet“, sagt Andreas Grabenstein, Geschäftsführervon Persönlichkeit+Ethik.Am Ende lag ein erster Entwurf, die sogenannte Beta-version der Führungsleitlinien, vor. „Eine wesentlicheErkenntnis des Workshops lautete: Zum Führenbraucht man Zeit! Außerdem wurde deutlich, dasswir uns stärker mit dem Thema Strategie befassenmüssen“, fasst Junker die beiden Tage zusammen.

• Balance zwischen „Sog“ und „Druck“ finden: Was motiviert Menschen, die eigene Komfortzone

zu verlassen und über den Tellerrand zu schauen? Die Aussicht auf einen erlebbaren Mehrwert.

Eine große Herausforderung im Projekt war es, die Organisation einerseits behutsam in Bewegung

zu bringen und dabei – bei derzeit hoher Produktionsauslastung – nicht zu überfordern.

• Mut zur Beteiligung: Wie lassen sich Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen und mit

unterschiedlichem Mindset für ein Vorhaben von dieser Tragweite gewinnen? Durch ernst gemeinte

Beteiligung, aktives Zuhören und Eingehen auf ihre Interessen und Bedürfnisse.

Die offene Haltung und das Engagement des Managements waren ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

• Zeit für Reflexion: Um gut zu führen, braucht es Zeit. Angesichts der aktuellen Aus- und Belastung

ist es eine entscheidende Herausforderung, sich die Zeit für Führung zu nehmen.

Wie kommen wir aus einem permanenten Problemlösungsmodus zur systematischen und

strategieorientierten Führungsarbeit? Hier brachten Führungskräfte viele Ansätze und Ideen ein.

Wo hat es im Projekt gehakt? STOLPERSTEINE

Die international tätige Bomag aus Rheinland-Pfalz gehört zurfranzösischen Fayat-Gruppe. Sie beschäftigt weltweit 2400 Mit-

arbeiter, davon 1600 am Hauptsitz in Boppard. Das 1957 gegrün-

dete Unternehmen ist Weltmarktführer auf dem Sektor der Ver-

dichtungstechnik und stellt Maschinen für die Erd-, Asphalt- und

Müllverdichtung, Stabilisierer/Recycler sowie Fräsen und Fertiger

her, die beispielsweise beim Bau von Straßen, Flughäfen und im

Landschaftsbau eingesetzt werden.

Bomag GmbH CASE STUDY

Foto

: Bom

ag G

mbH

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HR & ICH FÜHRUNGSLEITLINIEN

Personalwirtschaft 10_2018

„Probefahren“ mit den Führungsleitlinien

Im nächsten Schritt wurden alle Führungskräfte mitdisziplinarischer Verantwortung in den Prozess ein-bezogen. An sechs Workshops nahmen rund 120 Füh-rungskräfte teil. Zu Beginn jedes Workshops gaben dieTeilnehmer in einer soziometrischen Aufstellung denStatus quo wieder (siehe Abbildung 2): Haben wir eineeinheitliche Führungskultur? Sind Führungsleitliniennotwendig? Sind wir beim Thema Führung gut aufge-stellt? Wird sich die Führungskultur durch die Leitlinien

verbessern? Sie positionierten sich dazu auf einer Skalavon 0 (keine Zustimmung) bis 10 (absolute Zustim-mung). Bei jedem Workshop erläuterte zudem ein Mit-glied der Geschäftsleitung zu Beginn den Auftrag, mitder Betaversion zu arbeiten.Im Zentrum der Workshops standen die intensiveAuseinandersetzung mit dem Entwurf der Führungs-leitlinien und die Einbindung eigener Praxiserfah-rungen. Die Teilnehmer knüpften an ihre Erfahrungenan, überarbeiteten den Entwurf und brachten weitereIdeen ein. Dieser Praxisbezug ließ den Leitlinienpro-

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In Workshops wurden die Ergebnisse aus der jeweiligen Phase diskutiert, um daraus Verbesserungen für die nächste Phase abzuleiten.

Projektablauf des Change-Prozesses Abbildung 1

1. Entwerfen

März bis Mai 20171,1 2,1

Workshops Führungskonferenz

GL: In Kraft setzenGL:WorkshopAuftragsklärung

ZwischenauswertungBlick auf Führungskultur

1,2 1,3 1,4 1,5

Geschäftsleitung

Führungskräfte

Steuerungsteam

Resonanzgruppe

Mai bis Juli 2017 Zweites-Halbjahr 2017

2. Arbeiten und testen 3. Festlegen und verwirklichen

2,2 2,3 3,1 3,2 3,3

Das Ergebnis der soziometrischen Aufstellungen unterstrich den Bedarf von Führungsleitlinien (FLL).

Ergebnis der soziometrischen Aufstellungen zu Beginn der Workshops Abbildung 2

Prozent

Grad der Zustimmung

45

40

35

30

25

20

15

10

5

0

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

1. Einheitliche Führungskultur

3. Führung bei uns gut aufgestellt 4. Ich bin zuversichtlich, dass sich durch FLL die Führungskultur verbessert

2. FLL sind bei uns notwendig

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zess für viele plausibel und relevant werden. Am Endeder Workshops diskutierte wieder ein Mitglied derGeschäftsleitung die Ergebnisse mit den Teilneh-mern.Nach Abschluss der Workshop-Reihe sicherte die Reso-nanzgruppe deren Ergebnisse. Die Mitglieder verdich-teten und bereiteten gemeinsam mit der Geschäftsleitungdie finale Version der Führungsleitlinien auf.

Ausrollung auf der Führungskonferenz

Im September 2017 wurden die Führungsleitlinien aufeiner Führungskonferenz in einer Produktionshallevorgestellt und auf ihre Praxistauglichkeit hin geprüft.Junker plädierte vor 120 Teilnehmern für eine werte-basierte Führungskultur. Die Mitglieder der Resonanz-gruppe stellten die Führungsleitlinien vor. Sie habenin Interviews mit den Beratern von Persönlichkeit+Ethikden Bezug der Leitlinien zur Praxis durch eigene Bei-spielen veranschaulicht.Im zweiten Teil der Veranstaltung setzten sich die Teil-nehmer in einem World-Café, einer Großgruppenme-thode, an zehn Thementischen mit den Führungsleit-linien auseinander: Wie wirken die gelebtenFührungsleitlinien auf das Unternehmen? Was könnenwir selbst dazu beitragen, um sie zu leben? Was sinddie größten Herausforderungen? Wie sieht die Bomag-Führungskultur in zwei Jahren aus, wenn diese Leitlinienwirken? So beschäftigte sich jede Führungskraft an die-sem Nachmittag intensiv mit den Führungsleitlinien.Zum Abschluss der Konferenz bekannten sich alle Teil-nehmer mit ihrer Unterschrift sichtbar zu den Füh-rungsleitlinien.

Überprüfung und Überführung in die Praxis

Seit Januar 2018 läuft nun ein aufwendiger Review-Prozess:In Workshops, Praxisreflexionen und im Rahmen kolle-gialer Beratung tauschen sich die Führungskräfte überihre ersten Erfahrungen im Alltagsumgang mit den Leit-linien aus. Die Idee dahinter: Gegenseitig von guten Bei-spielen, guten Erfahrungen, guten Praktiken lernen, damitdie Führungsleitlinien kein Strohfeuer bleiben, das schnellverpufft, sondern ein Dauerbrenner werden, sodass daseigene Führungsverhalten immer wieder überprüft wird.Wieder ist die Geschäftsleitung in diesen Reflexionsprozessinvolviert, der bis zum Jahr 2020 andauern soll. Im Herbst2018 startet zudem ein Führungskräfte-Entwicklungs-programm, das inhaltlich an den Führungsleitlinien aus-gerichtet ist. Hier werden Themen in Workshops vertieftund beispielhafte Führungsinstrumente vermittelt.DieGeschäftsleitung und die Mitarbeiter der Bomag habensich intensiv mit dem Thema Führung auseinandergesetztund werden das weiter systematisch tun. Sie haben einZiel ausgemacht, das sie gemeinsam erreichen wollen:sich mehr Zeit für Führung nehmen! p

Dr. Daniel Dietzfelbinger,

Geschäftsführer, Institut

persönlichkeit+ethik, Augsburg,

[email protected]

Thomas Merfeld,

Geschäftsleitung Human

Resources, BOMAG GmbH,

Boppard,

[email protected]

AUTOREN

• Führungshandeln inszeniert sich innerhalb von Leitplanken. Die Führungsleitlinien bieten

konkrete Orientierung für Geschäftsleitung und Führungskräfte wie auch für die Mitarbeiter.

• Durch die Einbindung der Führungskräfte sowie der Resonanzgruppe entschied sich dieProjektleitung für ein praxisbezogenes Vorgehen. Die Führungsleitlinien greifen alltägliche

Themenfelder auf, die für die Organisation relevant sind.

• Die Führungskräfte haben sich aktiv und umfassend beteiligt. 90 Prozent von ihnen

arbeiteten in den Workshops mit. Das Unternehmen hat dabei viel über sich selbst gelernt und

lernt ständig weiter.

Was hat das Projekt gebracht? UNTERM STRICH

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HR & ICH LEBENSLÄUFE

„Der Mensch ist bequem und meidet den Schmerz“Als Psychologe erntet Personal- und Unternehmensentwickler Sebastian Lesch schon einmal skeptische Blicke. Doch vielleicht ist gerade das psychologische Wissen wichtig, um die goldene Mitte zwischen Ergebnis- und Mitarbeiterorientierung zu finden.

LEBENSLAUF

Sebastian LeschAbteilungsleiter Personalentwicklung, Apollo-Optik

PersonalienAlter: 41 Jahre, geb. in Beuthen, PolenFamilienstand: verheiratet

Ausbildung und Studium2001–2007 Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Arbeits- und

Organisationspsychologie, klinische Psychologie, Diplom-Psychologe

Beruflicher Werdegangseit 2015 Apollo-Optik Holding GmbH & Co. KG, Schwabach

Leiter Personalentwicklung (D-A), Mitglied der GrandVision Academy2009–2015 SBK Siemens-Betriebskrankenkasse, München Leiter Unternehmensentwicklung & Personalentwicklung Leiter Personalentwicklung, Fachexperte Führungskräfteentwicklung2009–2010 Dr. Thorsten Bosch AG, Schondorf am Ammersee Innendienstleiter und Projektleiter für Personalentwicklungsmaßnahmen2007–2009 Unternehmensberatung Schäfer, Stuttgart Trainer und Coach für Führungskräfteentwicklung und Change Management

PublikationenSebastian Lesch: Psychoblasen in der Wirtschaft. Irrungen und Wirrungen im Management. Wiesbaden 2011.

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Welche zentralen Lehren aus Ausbildung und Studiumhaben Ihnen im Berufsleben wirklich weitergeholfen? Die Psychologie bietet sehr viele praxisorientierte Ansätze inder Organisations- und Personalentwicklung, auch wenn ichdafür häufiger skeptische Blicke erhalte. So lautet für michein wenn auch provokativer Leitsatz: Der Mensch ist bequemund meidet den Schmerz. Daraus lässt sich viel ableiten undfür Gestaltung nutzen.

Gab es Irrwege oder Sackgassen, in die Sie geratensind?Richtige Sackgassen zum Glück nicht, aber nicht immerhaben die Rahmenbedingungen gestimmt, sodass ichmeine Konsequenzen daraus gezogen habe.

2011 haben Sie über die Irrungen und Wirrungen imManagement geschrieben. Hat sich seitdem etwasgetan? Welche Psychoblasen erkennen Sie im Jahre2018 im Bereich HR?Der Umgang mit Digitalisierung! Agiles oder digitalesFühren sind beispielhafte Produkte, die daraus entstan-den sind. Häufig erhalte ich auf Nachfrage fragwürdigeKonzepte, die oft auch nur auf bekannten Konzeptenberuhen. Agile oder offene Raumkonzepte sind eineweitere Blase für mich. Der Mensch ist ein sozialesWesen, auch in der digitalen Welt. Er sucht Vertraut-heit, Nähe und Orientierung. Das Gute ist, dass einigeUnternehmen daraus bereits gelernt haben und einenbesseren Mix finden.

Welcher berufliche Wechsel war am bedeutsams-ten für Ihre Karriere?Der letzte Wechsel zu Apollo-Optik. Zum einen,weil ich dort eine größere Abteilung mit einer eigenen Führungsebene habe. Zum anderen aberauch weil es beweist, dass man sich sehr schnell auf eine neue Branche und deren Anforderungeneinstellen kann. Zuletzt kann ich auf internationalerEbene mit Kollegen zusammenarbeiten.

Welche Vision trägt Sie in Ihrer Arbeit – und persönlich?Ergebnis- und Mitarbeiterorientierung sind kein Wider-spruch. Ich habe viele Unternehmen kennenlernen dürfen,die mehr oder weniger aus einem der beiden Pole kommendsich auf den anderen Pol zubewegen wollen. Die Kunst ist es, diese Balance für eine neue Unternehmenskultur zu definieren und mit der gesamten Führungsmannschaftkonsequent zu gestalten.

Wie würden Sie Ihren Lebenslauf in drei Adjektivenumschreiben?Zielstrebig, mannigfaltig, konsequent

Was war Ihre prägendste Station und warum? Der Wechsel vom Personalentwickler zum Unterneh-mensentwickler. Das hat mein Rollenverständnis am stärksten innerhalb kürzester Zeit verändert und meinen Gestaltungsspielraum ebenso. Perspek-tivwechsel und Analysefähigkeit sind wesentlichanspruchsvoller, aber auch spannender.

Dieser Wechsel fand bei der Siemens-Betriebskran-kenkasse statt. Welchen Unterschied macht es inder täglichen Praxis, wenn beide Bereiche in einerHand liegen?Der Vorteil ist, dass man die Abhängigkeit von Men-schen, Prozessen und Strukturen besser aufeinanderabstimmen kann. Entscheidungsträger können dabeinicht nur dafür sensibilisiert, sondern auch zu einembewussteren Umgang mit diesen Bereichen angeregtwerden. Aktuelle Anforderungen an agile oder selbst-steuernde Organisationen lassen sich so ebenfalls bes-ser gestalten.

Sie haben auch klinische Psychologie studiert. Inwie-weit hilft Ihnen das in Ihrer Arbeit?Mir hilft natürlich mein Wissen zu Depressionen oderauch Burn-out sehr im Bereich betriebliches Gesund-heitsmanagement, betriebliches Eingliederungsmanage-ment oder auch im Umgang mit Extremfällen in derFührungskräfteentwicklung beziehungsweise imCoaching.

Gibt es auf Ihrem beruflichen Weg einen Mentor?Im Rahmen meines ersten Praktikums zu Studienzeitenhabe ich eine Beraterin kennen- und schätzen gelernt,mit der ich seitdem in Kontakt stehe. Der Austausch istimmer differenziert und sehr kreativ.

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TITEL HR SERVICE DESIGN

Seite 29 Analyse: Service Design für HR

Seite 31 Praxisbeispiel Innogy

Seite 32 Praxisbeispiel Paritätischer Wohlfahrtsverband Thüringen

Seite 34 Praxisbeispiel Österreichische Bundesbahnen (ÖBB)

Seite 36 Interview: Birgit Mager über bessere HR-Lösungen

Seite 38 Case Study: Design Thinking bei Evonik

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uWenn Juliane Amlacher eine Konferenz leiten soll, bringt siegerne mal die ein oder andere Packung Spaghetti und eine TüteMarshmallows mit. Denn bevor es richtig losgeht, dürfen dieTeilnehmer häufig erst einmal ein wenig basteln. „Baut einenTurm aus Spaghetti so hoch, wie es geht, und setzt einen Marshmal-low oben drauf“, lautet die Aufgabe.Mitunter blickt Amlacher dabei in irritierte Gesichter. Warumsoll man einen Nudelturm bauen, wenn es doch eigentlich darumgeht, eine neue Strategie für das Recruiting zu finden? Dochhinter dem auf den ersten Blick eher albernen Spiel steckt einausgetüfteltes Konzept. „Die Übung fördert von Anfang an das kreative Denken, außerdem lockert sie die Stimmung“, sagtAmlacher.Die Unternehmensberaterin hat sich auf Service Design spezia-lisiert. Bei diesem Ansatz geht es letzten Endes darum, alle Prozesseaus Kundensicht zu betrachten. Aus HR-Perspektive bedeutetdas: die eigenen oder zukünftigen Mitarbeiter als Kunden derPersonalabteilung zu sehen und daraus ihre ganz eigenen Bedürf-

nisse abzuleiten. Das Nudelspiel selbst ist nur ein kleiner Bausteindieser Methode, mit der sich inzwischen auch immer mehr Per-sonalabteilungen beschäftigen.

In der HR-Szene angekommen

Als Marc Stickdorn begann, sich mit dem Thema zu befassen,ahnte er nicht, dass er einmal mit Preisen überhäuft werdenwürde, geschweige denn mit Personalern zusammenarbeitenwürde. 2008 veröffentlichte er sein preisgekröntes Buch „This isService Design Thinking“. Seitdem gilt der in Innsbruck lebendeService Designer als Koryphäe auf dem Gebiet und die Methodeerlebte einen regelrechten Boom. „Inzwischen arbeite ich vielmit HR-Abteilungen zusammen“, sagt Stickdorn. Er glaubt, dasssich mit Service Design die Arbeit vieler Personalabteilungendeutlich verbessern lasse. Das fange beim Employer Brandingoder mit der Erwartung der Mitarbeiter an das Unternehmenan, gehe über eine Optimierung des Einstellungsverfahrens bis

Im Sinne der KundenBei vielen Mitarbeitern gilt HR als verstaubt, verkopft und klausuliert. Mit einer neuen Methode versuchen Personalabteilungen, die Sicht ihrer „Kunden“ einzunehmen und HR-Lösungen zu finden, die begeistern. Kann das gelingen?VON JAN SCHULTE

Der Begriff Service Design tauchte zum ersten Mal Ende der 1980er-Jahre auf. Die Idee

ist in den Managementabteilungen großer Unternehmen entstanden. Der Gedanke

dahinter: Wie können wir herausfinden, was genau der Kunde von uns möchte undwie müssen wir dahingehend unsere Dienstleistungen ändern? 1991 veröffentlich-

ten dann die Produktentwicklungs-Berater Bill und Gillian Hollins ihr Buch „Total

Design: Managing the Design Process in the Service Sector“. Es war das erste Werk

zum Thema Service Design. Anschließend griffen Akademiker die Methode auf und

entwickelten sie weiter. So gibt es zum Beispiel einen Lehrstuhl in Köln, den Service-

Design-Professorin Birgit Mager innehat. (Auf Seite 36 lesen Sie ein Interview mit ihr.)

Bei Service Design geht es um die Gestaltung von Dienstleistungen. Ziel des Design-

prozesses sind kunden- und marktgerechte Dienstleistungen. Unternehmen müssen

eben nicht bloß ihre Produkte gestalten, sondern auch ihre Services um die Produkte

und Angebote herum und das Nutzererlebnis. Auch Personalarbeit kann als Dienstleis-

tung für interne Kunden (Mitarbeiter und Führungskräfte, Geschäftsführung und

Betriebsrat) und externe Kunden (Bewerber) verstanden werden. Verwandte Begriffe

sind Customer Experience (CX), User Experience (UX) und Design Thinking. (cb + jas)

Worüber wir hier reden

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hin zu der Frage, wie man sich von Angestellten am besten wiedertrennen könne.Auch der Bundesverband der Personalmanager (BPM) hat unlängstbegonnen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Der Ansatz derKundenzentriertheit stehe vor allem für eine veränderte Grund-haltung in HR, sagte Präsidiumsmitglied Felicitas von Kyaw zuletztder Personalwirtschaft. (Auf www.personalwirtschaft.de lesen Sieein Interview mit Felicitas von Kyaw über die vierteilige „DesignChallenge“ des BPM: https://bit.ly/2NDocJn.) Die Welt aus Sichtder Zielgruppen zu sehen und damit Mitarbeiter als interne Kundenzu betrachten, sei ein Themenschwerpunkt für den Verband. „Dasist in gewisser Weise ein Paradigmenwechsel“, so von Kyaw. „Wir kommen als Personaler eher aus der Prozessdenke, doch wirkönnen als Personalwesen eine Organisation beziehungsweise dieMenschen in ihr dahingehend unterstützen, positive Erfahrungenzu machen und Erlebnisse zu gestalten.”

Die Methode hat sich bewährt

Bei Axel Springer setzte das Team HR Digital bereits zwischenAnfang 2016 und Ende 2017 Service Design im Rahmen vonkonzerninternen Beratungsprojekten ein. Der Mitarbeiter wurdezum Kunden der Personalabteilung. Weil das Team jedoch auf-grund einer Umstrukturierung aufgelöst wurde, wird die Methodezur Zeit nicht angewandt. „Da sich Service Design für uns aberbewährt hat, ist es durchaus denkbar, dass wir die Methode wiederbei uns verankern“, lässt Stefanie Burgert wissen. Sie ist seit 2014im Unternehmen und war eine Zeit lang als „Senior ProjectManager HR Service Design“ tätig. Seit Juni dieses Jahres leitetsie die übergeordnete Personalabteilung. Burgert und ihr Teamsollen dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter bei Axel Springer weltweitihr volles Potenzial entfalten können. „Wir unterstützen unsereeinzelnen Business Units bei ihren Problemen, versuchen zumBeispiel das Onboarding zu verbessern. Dafür griffen wir zuletztimmer wieder auch auf Service Design zurück“, sagt sie.So half Burgert mit ihrem Team zum Beispiel der @Leisure Group,eine interne Lern- und Weiterbildungs-Community aufzubauen.Unter der @Leisure Group sind Reiseveranstalter wie Belvillaund Ferienunterkunftsanbieter wie Casamundo, Dancenter undTraum-Ferienwohnungen.de vereinigt. Die Angestellten habenseit Mitte 2017 die Möglichkeit, eigenverantwortlich ihr Wissenzu erweitern. Sie können ihren Kollegen über die Plattform Artikelund Videos empfehlen und vorhandene Einträge ähnlich wie beiFacebook liken. Außerdem können Mitarbeiter, die auf einembestimmten Feld Experten sind, sich selbst als Trainer für ihreThemen anbieten.

Service Design – so funktioniert’s

Doch wie geht man beim Service Design genau vor und wie findetman heraus, welche Bedürfnisse die Mitarbeiter haben? „Grund-sätzlich gibt es vier große Kernaktivitäten“, erklärt Buchautorund Service Designer Marc Stickdorn. Diese Phasen teilen sichauf in Nachforschung, Ideenfindung, Protagonisierung und

Umsetzung. „Man sollte Service Design aber auf keinen Fall alslineare Phasen verstehen, die man nacheinander abhaken kann.Es geht vielmehr darum, zwischen den vier Kernaktivitäten hinund her zu springen“, erläutert er.

l Aktivität 1: Das BeobachtenZuallererst steht im Fokus, genau festzustellen, wie der Mitarbeiteretwas erlebt. Das können zum Beispiel der Ablauf eines Bewer-bungsgespräches, das Onboarding oder der Arbeitsalltag sein.Um das herauszufinden, helfen etwa Online-Umfragen, die Beglei-tung einzelner Kollegen, gezielte Interviews oder auch Rollenspiele,in denen man selbst die Position eines Mitarbeiters einnimmt.„Wichtig für die Personalabteilung ist, Schritt für Schritt jedeeinzelne Szene aus Mitarbeitersicht durchzugehen und zu hin-terfragen“, sagt Stickdorn. Außerdem sei es ratsam, verschiedenedieser Methoden anzuwenden, um ein umfassenderes Bild zugewinnen. Ist das erledigt, werden sogenannte „Personae“ ange-fertigt. Das sind letzten Endes Profile der verschiedenen Kun-dentypen, die sich aufbauen lassen wie ein Steckbrief. Darinzusammengefasst: die Bedürfnisse, Erwartungen oder Sorgen desjeweiligen Kundentyps. „Mit all den gewonnenen Informationenwird dann eine Customer Journey erstellt“, erklärt Stickdorn. Siebildet die Grundlage für Phase zwei.

l Aktivität 2: Die kreative IdeenfindungIn der nächsten Phase geht es darum, Lösungsansätze zu entwi-ckeln. „Schwierig ist oft, aus den etablierten Denkstrukturen aus-zubrechen und wirklich kreativ an die Sache heranzugehen.“ Dadie Arbeitsgruppen gemischt sind mit Vertretern verschiedenerAbteilungen und Hierarchiestufen, trauen sich möglicherweiseEinzelne nicht, auch mal Fehler zu machen. Deshalb sei es beson-ders wichtig, eine Fehlerkultur zu etablieren, mahnt Stickdorn.Dazu können Spiele, eben wie das Bauen eines Nudelturms,helfen. „Wenn die Stimmung nicht passt, traut sich keiner, Neuesauszuprobieren und dabei eventuell auch Fehler zu begehen“,sagt er. Deshalb hänge viel von einem guten Moderator ab.

l Aktivität 3: Die Protagonisierung„Wichtig ist, die Ideen möglichst schnell zu testen.“ Das funk-tioniert am besten, indem man eine Testgruppe kreiert. Tretendabei neue Probleme auf, geht es für dieses konkrete Szenariowieder zurück in die Phasen eins und zwei: beobachten, verstehenund neue Lösungsansätze entwickeln.

l Aktivität 4: Die UmsetzungHat in der Testgruppe alles funktioniert, heißt es als Nächstes,die neue Maßnahme für alle Mitarbeiter einzuführen. „Man kannService Design mit den Designprozessen von Produkten, wieeinem Auto zum Beispiel, vergleichen“, sagt Stickdorn. Das werdeauch immer wieder getestet, bevor es in den Verkauf gehe. „Genaudiese Sichtweise brauchen wir auch für Service-Design-Aspekte.“Zu oft komme es sonst vor, dass sich eine Abteilung etwas Neuesüberlegt, das für viele andere Mitarbeiter jedoch so nicht zugebrauchen ist.

TITEL HR SERVICE DESIGN

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uVor vier Jahren hat die Personalabteilung von Innogy ihrenService zur Betreuung der Mitarbeiter umgestellt. Die Beschäf-tigten sollen in Stufe null das Serviceportal der HR-Abteilungnutzen. Finden sie dort keine Lösung für ihr Anliegen, könnensie sich in der zweiten Stufe telefonisch an die Servicestelle derPersonalabteilung wenden. Kann ihnen auch dort nicht geholfenwerden, wird ihr Problem in der dritten Stufe an einen Fachex-perten weitergeleitet. Sollte auch dann noch keine Lösung gefun-den sein, gibt es noch zwei weitere Stufen: Das Problem kann andie sogenannten Kompetenzzentren, die für unterschiedlicheFachbereiche wie Personalentwicklung zuständig sind, oder anden zuständigen Business Partner übergeben werden, je nachdemwie komplex das Anliegen des Mitarbeiters ist.„Kern des Stufenmodells und der zentrale Einstiegspunkt füralle Innogy-Mitarbeiter ist das HR-Portal“, sagt Sandra Karl,Head of Customer Experience beim Essener Energieversorger.Deshalb haben sie und ihr Team Service-Design-Methodengenutzt, um das HR-Portal kundenfreundlicher zu gestalten.„Schneller zum Ziel“ war der zentrale Leitsatz. Durch eine Online-Umfrage fanden Karl und ihr Team heraus, dass 79 Prozent derNutzer das Portal hauptsächlich wegen Selfservices aufsuchten.„Dafür war unser Portal aber gar nicht ausgelegt“, sagt sie. Der

Fokus habe vor allem auf der Informationsbeschaffung undNeuigkeiten aus HR gelegen. Der Bereich mit den Selfserviceswar zwar vorhanden, optisch aber recht klein und nicht anwen-derfreundlich genug.

Selfservices in App-Optik

Um das zu verbessern, holte Karls Mannschaft 30 Mitarbeiter ineine abteilungs- und hierarchieübergreifende Testgruppe. Siewurden in die Ideenfindung eingebunden und waren die ersten,die die neue Plattform testen durften. Das Ergebnis: Die überar-beitete Plattform ist seit Januar 2018 in Betrieb. Die Navigati-onsleiste mit den Inhalten ist am Anfang ausgeblendet. Stattdessenfindet sich auf der Startseite eine Kachelübersicht mit verschie-denen Selfservices, ähnlich aufgebaut wie die App-Übersicht aufeinem Smartphone. Dazu gehören etwa das Abrechnen von Rei-sekosten, die bereitgestellte Lohnsteuerbescheinigung und eineWeiterbildungsrubrik. Führungskräfte haben zudem die Mög-lichkeit, Informationen über ihr Team wie zum Beispiel dieArbeitszeiten oder Reisedaten einzusehen. Außerdem könnensie Mitarbeiterprozesse wie eine Gehaltsanpassung oder Umgrup-pierung anstoßen. p

Ein neues Serviceportal

Wie können wir unseren Mitarbeitern bei der Lösung ihrer HR-bezogenen Anliegen besser helfen? Das fragte sich das Personalmanagement von Innogy. Herausgekommen ist ein überarbeitetes HR-Portal, das die Bedürfnisse der Mitarbeiter trifft.

Praxisbeispiel 1: Innogy

Sandra Karl

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Die Österreicher machen es vor

In Sachen Service Design hat sich besonders in Österreich vielentwickelt. „Mittlerweile geht es nicht mehr darum, einzelneProjekte mit Service Design voranzubringen, sondern eine neueForm von Zusammenarbeit und Kultur in die Unternehmen zubringen“, sagt Linda Kaszubski, Service Designerin aus Wien.Dabei würden strategisch relevante Projekte von den eigenenMitarbeitern in neuen agilen Teams über die Unternehmensbe-reiche hinweg mit der Methode bearbeitet. Service Design werdesomit schon im Rahmen der ganzen Organisationsentwicklungangewendet.Wie das funktionieren kann, haben die Österreichischen Bun-desbahnen (ÖBB) vorgemacht. Das Management machte sich

Gedanken, wie man Mitarbeiter langfristig motivieren könnte,im Unternehmen zu bleiben. Es galt, jungen Mitarbeitern eineneue Form der Ausbildung zu ermöglichen, abseits der klassischenExperten- und Leadership-Programme. „Ziel war es, junge Talentedadurch sichtbar zu machen und neue Perspektiven im Konzernzu ermöglichen“, sagt Yvonne Pirkner von den ÖBB.Vor sieben Jahren hat Österreichs größte staatliche Eisenbahn-gesellschaft angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen.Inzwischen gibt es ein Open Innovation Lab & Service DesignCenter unter Leitung von Pirkner. „In den vergangenen zweiJahren haben wir rund 5000 Mitarbeiter mithilfe von ServiceDesign zum Andersdenken angeregt, um mehr Drive zu gebenund Dinge schneller umzusetzen”, sagt Pirkner. Zudem beschäftigtder Konzern 80 gelernte Service-Design-Moderatoren, die ihren

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aus dem Service Design.Gemeinsam mit 47 Unterneh-men der Sozialwirtschaft orga-nisiert er zehn Workshops.Gefördert wird das ganze Pro-jekt vom Europäischen Sozial-fonds (ESF).

Freude an der Arbeit undWertschätzung

Zu den Workshops kommenVertreter des Projektverbundesund Führungskräfte der ein-

zelnen Unternehmen. Je nach Thema erstellen sie Personen-profile, entwickeln eine Kundenreise und versuchen, Lösungenzu entwickeln. „Ein Ergebnis ist, dass wir versuchen müssen,die Arbeit flexibler an die Bedürfnisse der Mitarbeiter anzu-passen“, sagt Diana Paschek. Sie ist beim Verband Sonder-beauftragte für Fachkräftesicherung und -gewinnung. Dazugehören klassische Teilzeitmodelle oder auch Elternzeiten.Doch auch die Digitalisierung spielt eine Rolle. Durch Com-puterprogramme und vernetztes Arbeiten lasse sich der Zeit-aufwand für die Dokumentationspflichten reduzieren, diefür die Branche typisch sind. Die Idee dahinter: „Unsere Mit-arbeiter sind die beste Werbung für den Beruf“, sagt Paschek.Hätten sie viel Freude an der Arbeit und erführen mehr Wert-schätzung, würden sie in ihrem Umfeld mehr darüber erzählenund so auch neue Mitarbeiter anwerben. p

Flexiblere Lösungen für die Mitarbeiter

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Thüringen möchte ein positiveres Bild der Pflegeberufevermitteln und die Arbeit in der Sozialwirtschaft attraktiver machen. Mit Service-Design-Methoden hat man neue Lösungen für flexiblere Arbeitsbedingungen entwickelt.

Praxisbeispiel 2: Paritätischer Wohlfahrtsverband Thüringen

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Diana Paschek

Kollegen helfen, neue Ideen zu entwickeln. (Mehr zu dem Ansatzbei den ÖBB finden Sie in Praxisbeispiel 3.)Für viele Unternehmenslenker und Führungskräfte steht jedochderzeit nicht eine Verbesserung der Personalarbeit an obersterStelle, sondern die Digitalisierung im eigenen Unternehmen.Doch gerade dabei sollte man Service Design auf jeden Fall mit-denken, findet Unternehmensberaterin Juliane Amlacher. VieleUnternehmen fühlten sich durch die sich verändernde Arbeitsweltunter Druck gesetzt. „Das Problem bei einigen Unternehmen ist,

dass ihre digitale Strategie einfach darin besteht, alles zu trans-formieren“, findet auch Service Designer Marc Stickdorn. Dabeisei die Digitalisierung ein guter Zeitpunkt, die eigenen Prozessezu hinterfragen.

Konsequente Kundensicht wird zur Normalität

Genau das hat die Deutsche Telekom gemacht. „Wir haben beider digitalen Transformation von Anfang an darauf geachtet, die

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uGerade der Sozialwirtschaft bereitet der Fachkräftemangelgroße Probleme. Seien es Pfleger im Seniorenheim oder Betreuerim Kindergarten – überall fehlt es an qualifizierten Leuten. Zugering die Bezahlung, zu abschreckend die Arbeitszeiten, zuanstrengend der Job, lautet die gängige Meinung, wenn es umPflegeberufe geht. Eine Ansicht, die Stefan Werner, Landesge-schäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Thüringen,nicht teilen kann. „Der Beruf wird in der öffentlichen Debatteviel zu negativ gesehen“, sagt er.Der Verband versucht deshalb, ein anderes Berufsbild zu ver-mitteln und gleichzeitig alles zu unternehmen, um das Recruitingzu verbessern. Dazu will Werner die Sichtweise, dass man in die-sem Beruf etwas für die Gesellschaft tut, mehr in den Vordergrundrücken. Um sich besser auf die Bedürfnisse zukünftiger Mitarbeitereinstellen zu können, setzt der Verband gezielt auf Methoden

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TITEL HR SERVICE DESIGN

Veränderte Denkweisen

Die Österreichischen Bundesbahnen setzen in vielen Bereichen auf Service Design. Die Methode ist inzwischen fest im Konzern verankert und fördert neue Denkweisen bei den Mitarbeitern, die für kreative Ideen und Innovationen sorgen.

Praxisbeispiel 3: Österreichische Bundesbahnen

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Bedürfnisse der Mitarbeiter nicht aus den Augen zu verlieren“,sagt Dr. Reza Moussavian. Er ist Leiter für den Bereich Digitaland Innovation im Personalressort und zuständig für das Inno-vation Lab, das bereits 2016 einen international anerkannten Ser-vice-Design-Award erhalten hat. Schon Ende 2012 fing man beider Telekom an, Service-Design-Methoden zu nutzen, und dasnicht nur in der HR-Abteilung.„Heute wollen auch andere Dax-Konzerne von uns wissen, wieman die Methode anwenden kann“, sagt Moussavian. Für sie hater vor allem einen Rat: „Einfach mal ausprobieren, viele Unter-nehmen gehen da viel zu kopflastig ran.“ Über die Jahre hat sichin der HR-Abteilung der Telekom ein fünfköpfiges Team ent-wickelt, das sich auf Service Design spezialisiert hat und Mitarbeitermit den Methoden vertraut macht. So gibt es ein Programm fürFührungskräfte, wie sie mit der neuen Arbeitsweise die Leistungihrer Abteilung verbessern können. „Das war 2017 unser belieb-testes und meistgebuchtes Seminar“, erzählt Moussavian.

Seit 2016 schulte das Team der internen Design-Academy nichtnur zahlreiche Führungskräfte, sondern insgesamt rund 20 000Mitarbeiter. Bereits 400 Projekte sind unternehmensweit seit2016 mit Methoden aus dem Service Design umgesetzt worden.Dazu gehört zum Beispiel die Entwicklung einer neuen Ser-vicekultur bei Shop-Mitarbeitern in Kroatien oder die Ent-wicklung einer App für virtuelles Lernen zu Präsentations-techniken. Zudem gibt es bei der Telekom 150 Service-Design-Coaches, die in verschiedenen Abteilungen sitzen und teilweisein Vollzeit nur noch Projekte organisieren und ihre Kollegenschulen.„Konsequent die Kundensicht einzunehmen und gerade auchdie eigenen Mitarbeiter als Kunden zu betrachten, hat bei unsdie Unternehmenskultur verändert“, sagt Moussavian. Entwickeltnun eine Abteilung ein neues Projekt, geht sie dort inzwischenganz von alleine mit Methoden aus dem Service Design ran. „Füruns ist das längst Normalität.“ p

Service-Design-Methoden nach den ersten Projekten weitergezielt gefördert.

Kulturwandel angestoßen

Neben den gut 5000 Mitarbeitern, die mit Service-Design-Methoden vertraut sind, gibt es zudem rund 80 Moderatoren,die solche Arbeitsgruppen leiten können. Zur Entwicklungneuer Ideen haben die ÖBB das besagte Open InnovationLab und Service Design Center eingerichtet.„Das Programm hat uns nicht nur innovationsfähigergemacht, sondern auch einen Kulturwandel angestoßen“,sagt Yvonne Pirkner. Was zuerst als HR-Projekt begonnenhabe, wurde so auf viele weitere Unternehmensfelder aus-geweitet. Ein Beispiel sind die neuen Zugtoiletten bei denÖBB. Mithilfe von Service Design wurde herausgefunden,dass die Kunden neben der Sauberkeit auch Atmosphäre aufden Zugtoiletten schätzen. Jetzt finden sich im Nahverkehr– und bald im Fernverkehr – WCs, die mit Almsee-, Berg-wiesen- und Weltraummotiven beklebt sind. p

u In Sachen Service Design gehören die Österreichischen Bun-desbahnen (ÖBB) zu den Vorreitern im deutschsprachigen Raum.Gemeinsam mit der Service Designerin Linda Kaszubski begannendie ÖBB vor sieben Jahren, Lehrgänge zu entwickeln, um daskreative Denken der Mitarbeiter zu fördern. „Das Team derzukünftigen Service Designer hat vom Management drei strate-gisch relevante Themen zur Bearbeitung bekommen“, sagt Kas-zubski. In Gruppen von sieben Teilnehmern wurde jeweils einThema bearbeitet. Die Ergebnisse wurden dann dem gesamtenTopmanagement präsentiert. Die Präsentation sei ein vollerErfolg gewesen, sagt Kaszubski.

Schnell, agil, unkompliziert

„Im Vordergrund stand von Anfang an, schnelles, agiles undunkompliziertes Denken zu fördern“, sagt Yvonne Pirkner, Lei-terin des Open Innovation Lab & Service Design Centers derÖBB. Die Mitarbeiter wurden darauf geschult, innovative Ideenzu entwerfen, Prototypen zu gestalten und eine radikale Kun-denperspektive einzunehmen. Die ÖBB haben das Arbeiten mit

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Guter Stoff: Mehr zum Thema Service Design

Die Bücher von Marc Stickdorn erklären das Thema Service

Design und regen und leiten an zum Gestalten von Dienst-

leistungen:

Stickdorn, M./Schneider, J.: This Is Service Design

Thinking. Basics – Tools – Cases, 7. Aufl.,

Amsterdam (NL) 2014

Stickdorn, M. et. al.: This is Service Design Doing.

Using Research and Customer Journey Maps to Create Successful Services,

Farnham (UK) 2017

Das Buch von Jörg Becker und anderen führt in den Bereich

der Dienstleistungsinnovation ein und stellt mit der

Quadromo-Methode einen praxistauglichen Ansatz für das

Service Design vor:

Becker, J.et al.: Service Design. Mit der Quadromo-Metho-

de von der Idee zum Konzept, Wiesbaden 2015

Dark Horse, eine Agentur für digitale Innovationen, kennt

sich bestens mit Methoden wie Design Thinking und Service

Design aus und hat ihr Wissen in Handbuchform geballt:

Dark Horse Innovation: Digital Innovation Playbook. Das

unverzichtbare Arbeitsbuch für Gründer, Macher und

Manager, Murmann Publishers GmbH 2016

• Eine Sammlung verständlicher Artikel zum Thema Service Design bietet das

Kreativbranchen-Magazin Page: https://bit.ly/2ETu64K

• Definitionen, Erläuterungen und Beispiele zu Design Thinking finden Sie auf

unserer Personalwirtschaft-Themenseite: pwgo.de/design-thinking

• Jede Menge Methoden und Werkzeuge für Designprozesse, insbesondere

für die Kommunikation, finden sich in dieser offen zugänglichen Sammlung:

www.servicedesigntools.org

• Service Designer vernetzen sich unter anderem auf dieser Plattform:

www.service-design-network.org

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u Personalwirtschaft: Frau Mager, welche typischen Fehlermachen Unternehmen, wenn sie ihre internen Prozesse wie auchihre Produkte und Dienstleistungen verbessern wollen?Birgit Mager: Das Hauptproblem ist oft, dass sie Lösungen ent-wickeln, ohne den Leuten zuzuhören, sowohl der Chef seinenMitarbeitern als auch die Kollegen untereinander – und natürlichden Kunden. Dazu kommt ein weit verbreitetes Silo-Denken.

Das heißt?Man fokussiert sich auf seine eigene Abteilung und sucht kaumbereichsübergreifend nach Lösungen. Für die Problemlösung istes unterdessen essenziell, den Fokus auf die sogenannte CustomerJourney zu legen, also immer im Hinterkopf zu behalten, wieKunden etwas erleben. Dabei kann der Kunde aus Sicht des Per-sonalers auch ein Bewerber sein.

Wie geht es aus Sicht des Service Designs richtig?Als Service Designer machen wir zuerst eine Bestandsaufnahme.Wir identifizieren also die relevanten Akteure, beobachten sieim Alltag und versuchen, ein tiefgreifendes Verständnis für ihreBedürfnisse und Erfahrungen zu bekommen. Erst dann beginnenwir mit den Veränderungen.

Das klingt ähnlich wie beim Design Thinking. Sind ServiceDesign und Design Thinking ein und dasselbe?Nicht ganz. Die grundsätzlichen Ansätze ähneln sich in demSinne, dass wir vom Kunden her denken. Allerdings fokussiertsich Design Thinking mehr auf Produkte, während Service Designdas Augenmerk auf Dienstleistungen legt. Die Bereiche nähernsich aber an, man lernt voneinander und inspiriert sich gegen-seitig.

„Anstöße geben, um eingefahrene Denkweisen zu überwinden“Birgit Mager ist Professorin für Service Design und bringt einen HR-Hintergrundmit. Im Interview erklärt sie, wie Service Design funktioniert und wie es Personalernhelfen kann, bessere Lösungen zu finden.INTERVIEW: LARS-THORBEN NIGGEHOFF

Das Personalwesen gilt häufig als angestaubt und prozessori-entiert. Neue Ansätze sind gefragt. Wie kann Service Designdabei helfen, zum Beispiel im Recruiting?Zunächst dadurch, dass man die Kommunikationsprozesse ver-bessert. Das geht schon bei Kleinigkeiten los: Im Bewerbungs-prozess kann man mit den Bewerbern regelmäßig Kontakt halten,das hilft schon. Es geht darum, die Kandidatenreise durch denProzess angenehmer zu gestalten. Der Bewerber soll das Gefühlbekommen: Wir haben auf dich gewartet.

Und im Vorstellungsgespräch?Nehmen Sie den öffentlichen Dienst: Da sind oft ein halbes Dut-zend Leute oder mehr am Bewerbungsverfahren beteiligt undsitzen mit im Gespräch. Da muss man aufpassen, dass der Bewerbersich nicht übermannt fühlt. Eine natürliche Gesprächsatmosphäreist ebenfalls wichtig. Wenn der Personaler die ganze Zeit nurseinen Fragebogen abarbeitet und sich darauf Notizen macht, istdas nicht gut. Da hilft es, die Bewerber vorab zu informieren,wer dabei sein wird und warum. Und mit digitalen Technologienkann man ganz einfach den Prozess der Dokumentation opti-mieren und Kontakt mit den Kandidaten halten.

Viele Köche verderben also den Brei.Das stimmt so pauschal natürlich nicht. Aber die Abstimmungzwischen den einzelnen Beteiligten und ihren Bereichen ist enormwichtig, nicht nur im Personalwesen. Das ist ein Feld, in demwir immer wieder Nachholbedarf beobachten.

Die Arbeit von Personalmanagern beginnt nicht erst, wennMenschen sich bewerben. Was kann man tun, um potenzielleMitarbeiter auf sich aufmerksam zu machen?

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Um der sogenannte Employer of Choice zu werden, muss manheutzutage aktiv werden. Das erklären wir auch den Unternehmen,die wir beraten. Wenn sie Hochschulmarketing betreiben, gehtes darum, die Studenten zu begeistern, etwa mit Aktivitäten undkreativen Prozessen, die einen Bezug zur Branche haben.

Hat der klassische Infostand also ausgedient?Auch das kann funktionieren, solche Dinge hängen von der jewei-ligen Firma ab. Letztendlich ist hier das Gleiche wie im Bewer-bungsprozess wichtig: eine gewisse Regelmäßigkeit in der Kom-munikation. Nur einmal auftauchen und sich vorstellen, dasreicht nicht mehr. Man muss bei den Menschen präsent bleibenund sich interessant machen.

Viele Prozesse in Unternehmen sind aufgrund von Vorschriftenund Guidelines so entstanden. Da gibt es doch kaum die Fle-xibilität, um die nötigen Änderungen zu implementieren.Aber man kann durchaus hinterfragen, ob eine Vorschrift sinnvollist oder ob sie die Mitarbeiter nur unnötig einengt. Das kann jakeiner wollen. Schließlich muss gesichert sein, dass die Mitarbeiterihre Arbeit gerne machen. Nur durch ein gutes Mitarbeitererlebniskann man dafür sorgen, dass am Ende auch das Ergebnis stimmt.

Eine engere Zusammenarbeit, das Überdenken von Vorschriften:Ist das klassische Top-down-Management aus Sicht des Service Designs eher kontraproduktiv?

Um die Abschaffung von Hierarchien geht es nicht, sondern umhierarchieübergreifende Zusammenarbeit. Freiräume sind aberfast immer wünschenswert. Dadurch entsteht eine gewisse Durch-lässigkeit, die vor allem positive Effekte hat.

Wie kann die Personalabteilung das im Arbeitsalltag umsetzen?Indem man den Mitarbeitern die Chance zur Entfaltung gibtsowie Anstöße, um eingefahrene Denkweisen zu überwinden.Und indem man kundenzentriert und bereichsübergreifend arbei-tet. Man kann zum Beispiel interdisziplinäre Workshops durch-führen. Und wenn HR seine Prozesse unter Service-Design-Gesichtspunkten überarbeitet, ist es sinnvoll, diese Sichtweiseden Mitarbeitern zu vermitteln. Dann können sie dieses Denkenauch in ihrem Bereich umsetzen.

Wie verändert die Digitalisierung die Arbeit der Service Desi-gner?Als ich 1995 angefangen habe, bedeuteten Dienstleistungen meist,dass der Kunde physisch anwesend war. Das sieht heute natürlichganz anders aus, die Welt der Dienstleistung hat sich extrem ver-ändert. Viele Services werden heute und in Zukunft auch oderausschließlich über digitale Kanäle erbracht.

Aber gerade in Kommunikationsfragen vereinfachen digitaleDienste doch vieles, oder?Ja, aber man darf nicht den Fehler machen, analoge Prozesse ein-fach eins zu eins in digitale zu übersetzen. Stattdessen sollte mandie Gelegenheit nutzen und Prozesse überarbeiten, damit sie imdigitalen Zeitalter für alle Beteiligten angenehmer werden.

Wer nutzt diese Chancen denn schon aktiv?Ein Vorreiter ist hier sicher die britische Regierung. Seit vielenJahren ist Service Design dort die Richtlinie für die Entwicklungdigitaler Services. Dabei geht es um die digitale Transformation,aber natürlich auch um andere Prozesse. Mittlerweile arbeitenin der Verwaltung 900 Service Designer. Die Überarbeitung derProzesse hat dazu geführt, dass sowohl die Mitarbeiter als auchdie Bürger sie jetzt als angenehmer empfinden. Bei ähnlichenProjekten, etwa in Irland, konnten wir ähnliche Effekte beob-achten.

Durch den Siegeszug digitaler Kanäle gibt es immer wenigerAnlass, direkt mit Menschen zu sprechen. Führt das nicht geradeim Kontakt mit Bewerbern und Mitarbeitern dazu, dass ihnender persönliche Umgang fehlt?Eine komplette Übertragung in die digitale Welt ist nicht das,was wir als Service Designer anstreben. Eine gute Multichannel-Strategie ist viel erfolgversprechender. Die Dehumanisierung derDienstleistungswelt und die abnehmende Bedeutung der per-sönlichen Kontakte sind aber Realitäten, mit denen wir arbeitenmüssen. p

Zur Person:

Professor Birgit Mager ist seit 1995 Lehrstuhlinhaberin für Service Design

an der International School of Design in Köln, die erste Professur dieser Art in

Europa. Außerdem ist sie Mitbegründerin und Präsidentin des International

Service Design Network. Zuvor war Mager unter anderem als Leiterin

der Personal- und Organisationsentwicklung bei der Muehlens KG und in

vergleichbarer Position bei Hewlett Packard tätig.

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Lernen neu gedachtDie Evonik Technology & Infrastructure GmbH hat ihre Personalarbeit kundenorientierter aufgestellt. In einem Projekt nach dem Design-Thinking-Ansatz sind innovative Lösungen für dieLern- und Entwicklungslandschaft der Zukunft entstanden.

uDie Evonik Technology & Infrastructure GmbH istTeil von Evonik und liefert integrierte Servicedienst-leistungen rund um den Betrieb chemischer Produk-tionsanlagen. Als Serviceunternehmen ist der Erfolgin besonderem Maße vom Know-how seiner Mitar-beiter abhängig. In der Folge hat das Unternehmeneinen hohen Bedarf an innovativen Weiterbildungs-angeboten für Führungskräfte und Mitarbeiter. Beson-dere Herausforderung hier: Die verschiedenen Ent-wicklungsmöglichkeiten müssen mit Blick auf die

TITEL HR SERVICE DESIGN

Service Design und Design Thinking

Service Design und Design Thinking verbindet eine gemein-same Denkweise: Man denkt und entwickelt Lösungen vomKunden her. Auch die Methoden ähneln sich. Allerdings kommt

Design Thinking vor allem aus der Produktentwicklung, während

Service Design zunächst auf die Gestaltung von Dienstleistungen

zielt. Es geht jedoch noch weiter: Service Design befasst sich mit

allen Aspekten des Kundenerlebnisses und der Wertschöpfung,

also auch mit Produkten und internen Prozessen.

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unterschiedlichen internen Kundengruppen ein hohesMaß an Individualität aufweisen. Mitarbeiter aus dertechnischen Instandhaltung haben andere Bedürfnisseals solche aus der Verfahrensentwicklung. Berufsein-steiger benötigen ein anderes Angebot als erfahreneFührungskräfte et cetera.Neben den wichtigen Themen Weiterbildung undEntwicklungsförderung ist auch der Faktor Wissens-verlust ein entscheidender Auslöser. Mitarbeiter sam-meln zum Teil über viele Jahre Know-how, Erfahrungund Expertenwissen an, das aber zum Beispiel aufgrunddes demografischen Wandels verloren geht. Weiterhinstrebt Evonik Technology & Infrastructure danach,wirksame Initiativen zu implementieren, um den Wis-senstransfer zu optimieren.

Zukunftsorientiertes Lernen und Entwickeln

In einem Projekt zur zukunftsorientierten Gestaltungder Lern- und Entwicklungslandschaft hat sich dasUnternehmen gemeinsam mit der Unternehmensbe-ratung Kienbaum der Herausforderung gestellt, in einemdynamischen und partizipativen Prozess wirksam adres-sierte Entwicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeiterzu erarbeiten und zu implementieren, um so die Per-sonalentwicklung und das Wissensmanagement kun-den- und zukunftsorientiert aufzustellen.Diese Kunden- und Zukunftsorientierung bildet dasZentrum einer sehr aktuellen und deutlich allgemei-neren Herausforderung, vor der Unternehmen, so auchEvonik Technology & Infrastructure, heute stehen.Häufig wird in diesem Zusammenhang von der VUCA-Welt gesprochen, die sich durch ihre Volatilität, Unsi-cherheit, Komplexität (englisch: complexity) und Mehr-deutigkeit (ambiguousness) auszeichnet. In dieserVUCA-Welt müssen Unternehmen ihre Strategiezielevon der Maximierung des Shareholder Values auf dieMaximierung der Kundenzufriedenheit übersetzen.Dies ist nur möglich, wenn starre hierarchische Struk-turen zugunsten selbstorganisierter, agiler Teams abge-schafft werden und die Bürokratie dynamischeren Vor-gehensweisen weicht. Damit geht auch ein Wertewandeleinher: Die Qualität von Arbeit wird nicht mehr aus-schließlich mittels Effizienzmaßen gemessen, sonderndurch ein breites Set an Kriterien, wie zum Beispieldie Innovativität und Disruptivität, bewertet.Dieser Entwicklung unterliegen nicht nur Unterneh-men als Ganzes, sondern auch Abteilungen, die Servicesfür interne Kunden anbieten. Insbesondere die HR-Abteilungen stehen vor einer großen Herausforderung.Sie müssen ihrer neuen Rolle gerecht werden, indemsie die Zufriedenheit ihrer Kunden maximieren undgleichzeitig die Wirkung auf das Geschäft erhöhen.

Von ihnen wird erwartet, dass sie einerseits ihre Rolle als digitalerInnovator, Talent- und Kulturmanager erfüllen und innovativeProdukte und Services anbieten. Andererseits müssen sie aucheine Vorbildfunktion bezüglich agiler, selbstorganisierter Arbeits-weisen wahrnehmen.

Ein interdisziplinäres Team

Die Grundstruktur für das Projekt bildete ein aus vier Schrittenbestehender Design-Thinking-Prozess (siehe Abbildung 1). Imersten Schritt führte Kienbaum teilstrukturierte Interviews mit

Als integraler Bestandteil von Evonik unterstützt die EvonikTechnology & Infrastructure GmbH Kunden auf ihrem Wachs-tumskurs durch verlässliche Technologie- und Infrastruktur-Dienstleistungen. Kunden können an Evonik-Standorten welt-

weit auf das Serviceangebot und Know-how von Technology &

Infrastructure zurückgreifen. Mit Kompetenz, fachlicher Exzellenz

und Kreativität schaffen etwa 8400 Mitarbeiter die Plattform für

die Lösungen von morgen. Das Unternehmen betreibt 13 Stand-

orte in Deutschland und im belgischen Antwerpen.

Evonik Technology & Infrastructure CASE STUDY

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TITEL HR SERVICE DESIGN

Personalwirtschaft 10_2018

Repräsentanten aller Stakeholder- und Kundengrup-pen. Dies diente zum einen der gezielten Analyse desStatus quo der bestehenden Personalentwicklungs-initiativen und zum anderen der Erfassung von Pro-blemen und Bedürfnissen hinsichtlich der Lern- undEntwicklungslandschaft bei Evonik.Auf Basis der Interviewergebnisse und in Zusammen-arbeit mit den Projektverantwortlichen bei Evonikwurden Steckbriefe, sogenannte Personae, von jeweilseinem Repräsentanten aus fünf internen Kunden-gruppen erstellt. So entwickelte das Team beispielsweisedie Persona für einen 59-jährigen Elektromeister ausder Produktion mit Migrationshintergrund oder einen27-jährigen Verfahrenstechniker. Detailliert wurdenBiografien, Arbeitsinhalte, Lernherausforderungen

und Bedürfnisse sowie persönliche Merkmale erar-beitet, aber auch Fragen zum Lernverhalten diskutiert.Was ist mir beim Lernen wichtig? Schnelligkeit, Inhalte,Modernität oder Flexibilität. Wo konsumiere ich Lern-inhalte bevorzugt? Am PC oder Smartphone, im Aus-tausch auf der Arbeit oder in Trainings?Insgesamt nahmen zwölf Personen an dem Design-Thinking-Workshop teil. Wichtig bei der Zusammen-stellung des Teams war die interdisziplinäre, aber auchdemografisch diverse Zusammenstellung, sodass einrepräsentativer Querschnitt gewährleistet war. NebenVertretern der HR-Abteilung nahmen unter anderemauch Techniker, Ingenieure und Naturwissenschaftler,vom Geschäftsführer bis zur Fachkraft, an dem Work-shop teil. In diesem zweiten Schritt wurden die aus-

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Das Projekt gliederte sich in vier klare Schritte, mit denen man vom Status quo zu neuen, innovativen Lern- und Entwicklungsmaßnahmen gelangte.

Die Prozessschritte Abbildung 1

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Im Workshop entwickelten die Teilnehmer in einem fünfschrittigen Design-Thinking-Prozess neue Lösungen für eine optimierte Personalentwicklung und ein besseres Wissensmanagement.

Der Design-Thinking-Prozess Abbildung 2

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gewählten Personen in einem Kick-off-Webinar mit-einander sowie mit den definierten Personae vertrautgemacht. Sie erhielten vorbereitende Informationenzu aktuellen Trends, die das Lernen und die Entwick-lung in Unternehmen beeinflussen, und Fallbeispielebezüglich Personalentwicklungs- und Wissensma-nagementinitiativen anderer Unternehmen.

Kreativität fördern

Der dritte Projektschritt bestand in der Konzeptionund Durchführung eines zweitägigen Design-Thin-king-Workshops mit den ausgewählten Teilnehmern.Diese erhielten zu Beginn eine Einführung in den Pro-zess (siehe Abbildung 2), die Prinzipien und die Metho-den und wurden danach von Kienbaum bei der Umset-zung des Prozesses unterstützt. Mithilfe der Steckbriefewurden zunächst die Bedürfnisse der Personae definiertsowie zu lösende Probleme formuliert. Dabei kamenunter anderem die Methoden „Empathy Maps“ sowie„User Stories“ zum Einsatz. Auf Basis dessen fandeine Phase der kreativen Ideenfindung statt, in derexplizit jegliche Rahmenbedingungen ausgeblendetwerden sollten, um die Kreativität zu fördern.In einer Konsolidierungsphase wurden die Ideenzunächst geclustert und abgeglichen, um danach inKleingruppen die Erarbeitung zweier Ideen je Personain Form von Prototypen zu beginnen. Dazu wendetendie Teilnehmer unterschiedliche Methoden an. Sowurden beispielsweise User Canvas für die KategorienWissensvermittlung, überfachliche Entwicklung, fach-liche Entwicklung, Methoden, Digitalisierung, Kun-denorientierung, Diversity, Leadership, Lernerlebnis,Karriereperspektiven und Lernzeit erstellt. Aber auchSkizzen, Storyboards oder Service-Blueprints kamenzum Einsatz. Ziel war es, die Ideen zur Befriedigung der Kunden-bedürfnisse aufzugreifen und in Form einer umsetz-baren Maßnahme zu konkretisieren. Besonders wertvollbewies sich die Testing-Phase, zu der interne Kundenaus unterschiedlichen Bereichen der Evonik Technology& Infrastructure eingeladen und um ihr Feedback zuden Prototypen gebeten wurden, die darauf aufbauendoptimiert und finalisiert wurden.Als Ergebnis entwickelten die Teilnehmer unter ande-rem Ideen für eine Veranstaltungsreihe, die Impuls-vorträge zur Wissensvermehrung und -vernetzung mitMittagspausen kombiniert, für ein Hospitationspro-gramm zum Perspektivwechseln sowie für eine audio-visuelle Wissensdokumentation. Weitere Vorschlägewaren eine Online-Plattform, auf der die Mitarbeiterihre eigene Entwicklung besser im Blick behalten undgezielter steuern können, oder Multifunktionsräume,die dank moderner Ausstattung und unterschiedlicher

Nutzungsflächen Raum für Kollaboration und Inno-vation bieten. Im finalen Projektschritt wurden diesePrototypen hinsichtlich ihrer kurz- beziehungsweiselangfristigen Umsetzbarkeit und ihrer Wirkung bewer-tet. Abschließend war Kienbaum beratend zu dennächsten Schritten zur Implementierung der Maßnah-men tätig.

Kundenzentrierung und Innovation

Mit dem Design-Thinking-Ansatz hat die Evonik Tech-nology & Infrastructure innovative Maßnahmen zurOptimierung der Lern- und Entwicklungslandschaft,die passgenau auf die Bedürfnisse und Probleme derverschiedenen internen Kundengruppen abzielen, ent-wickelt und die ersten Schritte zur Implementierungunternommen. Auf diese Weise konnte sich die HR-Abteilung als Vorreiter in Bezug auf Kundenzentrierungund Innovation positionieren und einen wichtigenWertbeitrag zur Zukunftsfähigkeit des Gesamtunter-nehmens leisten. Alle Teilnehmer von Evonik Tech-nology & Infrastructure erweiterten ihr Methoden-wissen und können dieses zukünftig für ihreAbteilungen nutzen. p

Claudia Grusemann-Schmidt,

HR Business Partner, Evonik

Technology & Infrastructure GmbH,

Essen, claudia.grusemann-schmidt@

evonik.com

Jens Bergstein, Director, Kienbaum

Consultants International GmbH,

Berlin, jens.bergstein@

kienbaum.de

AUTOREN

• Eine besondere Herausforderung innerhalb des Projekts lag in der Vielfalt und derregionalen Verteilung der Workforce des Unternehmens. TI ist ein weltweit agierendes

Unternehmen, dessen 8400 Mitarbeiter verschiedenste Positionen – vom Techniker bis zum

Geschäftsführer – bekleiden. Die für die verschiedenen Anforderungen entwickelten Personae

wurden innerhalb gemeinsamer Workshops validiert, um sicherzustellen, dass diese höchste

Qualitätsstandards erfüllen.

• Alle Kundenvertreter zeitgleich zu einem entsprechenden Workshopzusammenzubringen, war ebenfalls eine besondere Herausforderung innerhalb desProjekts. Hier ließ das Projektteam jedoch besondere Sorgfalt walten und nahm

Verzögerungen in Kauf, weil die Personae ein zentrales Element der zu entwickelnden

Lernlandschaft darstellen.

Wo hat es im Projekt gehakt? STOLPERSTEINE

• Customer Centricity: Mithilfe des partizipatorischen Ansatzes wurden die „Kunden“ der

Personalentwicklung und ihre individuellen Bedürfnisse in den Mittelpunkt gestellt. So wird

die erwartete Akzeptanz der gemeinsam mit Kienbaum entwickelten Lern- und

Entwicklungslandschaft sichtbar gesteigert.

• Personae: Die entwickelten Steckbriefe repräsentieren konkret die verschiedenen

Kundengruppen innerhalb der Belegschaft, ihre Lernherausforderungen und Bedürfnisse und

sind darüber hinaus unternehmensweit anwendbar.

• Konkrete Formate: Die interdisziplinär erarbeiteten Maßnahmen, wie zum Beispiel

Impulsvorträge zur Wissensvermehrung (sogenannte Brainsnacks), Hospitationsprogramm und

audiovisuelle Wissensdokumentation, zahlen direkt auf Vernetzung, Kollaboration und

Innovationsfähigkeit der TI-Mitarbeiter ein.

Was hat das Projekt gebracht? UNTERM STRICH

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42 Personalwirtschaft 10_2018

Neues im SchwerbehindertenrechtDas Bundesteilhabegesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen hat einige wesentliche Neuerungen gebracht. Von hoher praktischer Bedeutung fürArbeitgeber sind Änderungen bei der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung.

uDie Regelungen des bereits Ende Dezember 2016verkündeten Bundesteilhabegesetzes (BTHG) tretenin unterschiedlichen Reformstufen in Kraft, wobeizuletzt seit dem 1. Januar 2018 die zweite Reformstufegilt. Das Gesetz bezweckt, die Lebenssituation vonMenschen mit Behinderungen im Sinne einer größerenTeilhabe und Selbstbestimmung zu verbessern. Darüberhinaus sollen mit dem BTHG auch Zielsetzungen derEnde März 2009 in Deutschland in Kraft getretenenUN-Behindertenrechtskonvention erfüllt werden, wieetwa die verbesserte Teilhabe von Menschen mit Behin-derungen an der Gesellschaft.Für Arbeitgeber hervorzuhebende Neuerungen durchdas BTHG sind insbesondere die neu geregelte Betei-ligungspflicht der Schwerbehindertenvertretung (SBV)vor einer Kündigung schwerbehinderter oder gleich-gestellter Arbeitnehmer sowie die Neugliederung desNeunten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IX).

Die Schwerbehindertenvertretung

Die Schwerbehindertenvertretung hat die Aufgabe, dieEingliederung schwerbehinderter oder gleichgestellterArbeitnehmer in den Betrieb sowie deren Interessenim Betrieb zu fördern und beratend und helfend zurSeite zu stehen. Sie ist kein Organ des Betriebsrates,sondern eine selbstständig bestehende Interessenver-tretung. Sofern in einem Betrieb mindestens fünf nichtnur kurzzeitig beschäftigte Schwerbehinderte bezie-hungsweise ihnen gleichgestellte Menschen beschäftigtsind, ist eine solche Vertretung zu wählen. Gewählt

werden eine Vertrauensperson und wenigstens einStellvertreter.

Beteiligung bei allen Kündigungen

Eine für das Kündigungsrecht bedeutsame Neuerungdes BTHG ist das seit dem 30. Dezember 2016 geltendeBeteiligungserfordernis der Schwerbehindertenvertre-tung. Eine ohne vorherige Beteiligung der SBV durch-geführte Kündigung eines Schwerbehinderten oderGleichgestellten ist unwirksam. Die Regelung hierzufindet sich in § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (vormals biszum 31. Dezember 2017 in § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).Der Arbeitgeber hat die SBV in allen Angelegenheiten,die einen Einzelnen oder die schwerbehinderten Men-schen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfas-send zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzu-hören. Mit dieser Formulierung geht die Regelungdeutlich über den Anwendungsbereich einer Kündigunghinaus und umfasst beispielsweise auch personelle Ein-zelmaßnahmen, wie die Versetzung und Ein- oderUmgruppierung. Vor allem umfasst die Bestimmungaber alle Kündigungsarten (ordentliche wie außeror-dentliche Kündigung) vom ersten Tag der Beschäftigungan. Damit sind auch Kündigungen während der War-tezeit erfasst sowie Kündigungen in Kleinbetrieben,die nicht dem Anwendungsbereich des Kündigungs-schutzgesetzes unterliegen. Dort wird die neue Regelungaber praktisch kaum Relevanz haben, weil in Kleinbe-trieben üblicherweise der Schwellenwert für die Wahlder Schwerbehindertenvertretung (mindestens fünf

RECHT & POLITIK BUNDESTEILHABEGESETZ

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nicht nur kurzzeitig beschäftigte Schwerbehindertebeziehungsweise ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer)nicht erreicht sein wird.

Inhalt der Unterrichtung

Inhaltlich verlangt die Regelung, dass der Arbeitgeberdie Schwerbehindertenvertretung vor einer Entschei-dung (zum Beispiel über den Ausspruch einer Kün-digung) unverzüglich und umfassend unterrichtet undanhört. Diese frühe Einbindung soll gewährleisten, dassdie Schwerbehindertenvertretung noch Einfluss auf dieWillensbildung des Arbeitgebers nehmen kann. DieBeteiligung hat also umgehend zu erfolgen – spätestenszeitgleich mit der etwaigen Anhörung des Betriebs-rates.Welche Informationen der Arbeitgeber der Schwerbe-hindertenvertretung im Rahmen der „umfassenden“Unterrichtung zur Verfügung stellen muss, lässt dasGesetz offen. Im Ergebnis sollten Arbeitgeber die glei-chen Grundsätze wie bei der Anhörung des Betriebsratesbeachten, um die Unterrichtungspflicht möglichst sicherzu erfüllen – denn der Betriebsrat muss im Rahmenseiner Anhörung letztlich auch in die Lage versetzt wer-den, prüfen zu können, ob die Kündigung eventuellungerechtfertigt aufgrund der Behinderteneigenschaftdes Arbeitnehmers erfolgt. Dieser Maßstab sollte sodannfür die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretunggenügen. Im Ergebnis sollte der Arbeitgeber die Schwer-behindertenvertretung damit insbesondere über diePerson des Arbeitnehmers, die Art der Kündigung,etwaig notwendige Sozialdaten sowie Gründe der Kün-digung informieren. Arbeitgebern ist zu empfehlen,die Unterrichtung aus Beweisgründen schriftlich vor-zunehmen.

Anhörung der Schwerbehindertenvertretung

Zusätzlich ist eine Anhörung der Schwerbehinderten-vertretung erforderlich. Der Schwerbehindertenver-

tretung ist daher Gelegenheit zur Stellungnahme ein-zuräumen. Welche Fristen für eine Stellungnahme derSchwerbehindertenvertretung gelten, lässt die neueRegelung vermissen. Es ist zu empfehlen – in analogerAnwendung der Regelungen zur Anhörung des Betriebs-rates im Betriebsverfassungsgesetz – auf die Wochenfristbei ordentlichen Kündigungen sowie die Dreitagesfristbei außerordentlichen Kündigungen abzustellen, inner-halb derer die Vertretung Stellung nehmen kann. Aufdie Fristen zur Stellungnahme sollten Arbeitgeber aus-drücklich hinweisen, um diese auch sicher in Gang zusetzen. Eine etwaige zu kurze Anhörungsfrist könnenArbeitgeber freilich am sichersten vermeiden, indemsie auf eine abschließende Stellungnahme der Schwer-behindertenvertretung bestehen.Der Arbeitgeber hat die Entscheidung über die Auf-rechterhaltung oder Nichtaufrechterhaltung des Kün-digungsentschlusses unverzüglich (so bald wie möglich)mitzuteilen. Bei Aufrechterhalten des Kündigungsent-schlusses sollte die Mitteilung mit dem Hinweis erfolgen,dass die Entscheidung unter dem Vorbehalt der Zustim-mung des Integrationsamtes steht.Das Verhältnis der Anhörung der Schwerbehinderten-vertretung zur Betriebsratsanhörung ist oben bereitskurz angerissen worden: Zeitlich sollte die Anhörungspätestens zeitgleich mit der etwaig notwendigenBetriebsratsanhörung erfolgen. Aber in welchem Ver-hältnis steht die Anhörung der Schwerbehindertenver-tretung zu der bekanntermaßen vor Ausspruch derKündigung eines schwerbehinderten Menschen bezie-hungsweise gleichgestellten Arbeitnehmers nötigenBeteiligung und Zustimmungseinholung des Integra-tionsamtes? Arbeitgeber sollten die Anhörung derSchwerbehindertenvertretung immer vor Beteiligungdes Integrationsamtes vornehmen. Denn das Integra-tionsamt hat im Rahmen der von ihm durchzuführen-den pflichtgemäße Ermessensausübung auch die Zweckedes SGB IX, behinderungsbedingte Nachteile auszu-gleichen, zu berücksichtigen. Es ist daher nicht zu erwar-ten, dass das Integrationsamt einer Kündigung

Page 44: Personalwirtschaft 2018 ·  Das Magazin für den Job HR Personalwirtschaft 10 2018 17,50 Euro G 21212 ISSN 0341-4698 Art.-Nr. 07720810

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RECHT & POLITIK BUNDESTEILHABEGESETZ

Personalwirtschaft 10_2018

zustimmt, wenn die nach dem SGB IX zwingend erfor-derliche Beteiligung der betriebsinternen Schwerbe-hindertenvertretung nicht bereits durchgeführt wordenist.

Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung

Wie die Betriebsratswahlen finden auch die Wahlender Schwerbehindertenvertretung regelmäßig alle vierJahre statt. Die nächsten Wahlen stehen vom 1. Oktober2018 bis zum 30. November 2018 an. Sollte bereits eineWahl der Schwerbehindertenvertretung außerhalb desgesetzlich festgelegten Zeitraums vom 1. Oktober biszum 30. November stattgefunden haben, erfolgt dienächste Wahl erst in dem auf die Wahl folgenden nächs-ten Zeitraum der regelmäßigen Wahlen, sofern dieAmtszeit der Schwerbehindertenvertretung zum Beginndes für die regelmäßigen Wahlen festgelegten Zeitraumsnoch nicht ein Jahr betragen hat. Wie erwähnt, wirddie Vertretung in Betrieben mit mindestens fünf nichtnur kurzzeitig beschäftigten Schwerbehinderten gewählt.Sollten Betriebe weniger als fünf schwerbehinderteMenschen beziehungsweise Gleichgestellte beschäftigen,können für die Wahl Betriebe mit räumlich nahe lie-genden anderen Betrieben des Arbeitgebers zusam-mengefasst werden. Der Arbeitgeber entscheidet überdie Zusammenlegung nach Erörterung mit dem zustän-digen Integrationsamt (§ 177 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGBIX). Die Regelungen zur Wahl der Schwerbehindertenver-tretung hat der Gesetzgeber ähnlich der Wahl desBetriebsrates ausgestaltet. Teilweise finden auch dieRegelungen des Betriebsverfassungsgesetzes entspre-chende Anwendung (zum Beispiel die Vorschriftenüber die Wahlanfechtung, den Wahlschutz oder dieWahlkosten). Die eigentlichen Details zum Ablauf derWahl finden sich in der Wahlordnung der Schwerbe-hindertenvertretung.

l Wahlberechtigung und WählbarkeitWahlberechtigt sind alle in dem Betrieb beschäftigtenschwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Mitar-beiter. Dabei kommt es nicht darauf an, welches Alterdie Beschäftigten haben oder wie lange deren Betriebs-zugehörigkeit ist. Wählbar sind alle in dem Betriebnicht nur vorübergehend Beschäftigten, die am Wahltagdas 18. Lebensjahr vollendet haben und dem Betriebseit sechs Monaten angehören. Sofern der Betrieb weni-ger als ein Jahr existieren sollte, besteht die Wählbarkeitungeachtet der sechsmonatigen Zugehörigkeit.

l Wahlverfahren und Ablauf der WahlWie auch bei der Betriebsratswahl gibt es unterschied-liche Wahlverfahren: das förmliche Verfahren und das

vereinfachte Verfahren. Das förmliche Wahlverfahrenfindet Anwendung, wenn im Betrieb insgesamt min-destens 50 Wahlberechtigte beschäftigt sind oder derBetrieb (wenn weniger als 50 Wahlberechtigte beschäf-tigt werden) aus räumlich weit auseinanderliegendenTeilen besteht. Es sieht vor, dass zunächst ein Wahl-vorstand zu bestellen ist. Dieser bereitet die Wahl vorund ist für die Durchführung der Wahl verantwortlich,welche er unverzüglich einzuleiten hat. Auch beschließtder Wahlvorstand (nach Erörterung mit der Schwer-behindertenvertretung, dem Betriebsrat und demArbeitgeber), wie viele stellvertretende Mitglieder derSchwerbehindertenvertretung angehören sollen. DerArbeitgeber hat den Wahlvorstand bei der Erfüllungseiner Aufgaben zu unterstützen. So hat er ihm bei-spielsweise alle für die Anfertigung der Liste der Wahl-berechtigten, welche für die Durchführung der Wahlbenötigt wird, erforderlichen Auskünfte und notwen-digen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.Die Wahl im vereinfachten Wahlverfahren findet stattin Betrieben mit weniger als 50 wahlberechtigten schwer-behinderten Menschen, sofern der Betrieb nicht ausräumlich weit auseinanderliegenden Teilen besteht. Imvereinfachten Wahlverfahren gibt es keinen Wahlvor-stand, sondern die Schwerbehindertenvertretung wirdin einer zuvor einberufenen Wahlversammlung unmit-telbar gewählt. Zu der Wahlversammlung werden allewahlberechtigten Beschäftigten eingeladen. Vor Durch-führung der Wahl beschließt die Wahlversammlungzudem mit einfacher Stimmenmehrheit, wie viele stell-vertretende Mitglieder zu wählen sind. In beiden Wahl-verfahren werden die Vertrauensperson und der oderdie Stellvertreter nach den Grundsätzen einer geheimen,unmittelbaren Mehrheitswahl gewählt.

Änderungen im Blick halten

Arbeitgeber, die schwerbehinderte Menschen oder die-sen Gleichgestellte beschäftigen, sollten sich mit denbereits in Kraft getretenen Änderungen durch dasBTHG – im Zuge dessen der Gesetzgeber nicht nurneue Regelungen geschaffen, sondern auch eine Neu-strukturierung des SGB IX vorgenommen hat – ausei-nandersetzen. Dies erleichtert eine Orientierung anden für Arbeitgeber im Rahmen der Personalarbeitwesentlichen Regelungen. Sollte im Betrieb eine Schwer-behindertenvertretung existieren, sind vor Aussprucheiner Kündigung zwingend die Regelungen zur Betei-ligung der Vertretung zu beachten. Ansonsten ist dieKündigung unwirksam. Mit den für Herbst anstehendenWahlen rückt die Schwerbehindertenvertretung noch-mals mehr in den Vordergrund, sodass es sich lohnt,die wesentlichen Grundsätze zur Wahl der Schwerbe-hindertenvertretung zu kennen. p

Dr. Jörg Puppe,

Rechtsanwalt,

Osborne Clarke, Köln,

joerg.puppe@

osborneclarke.com

AUTOR

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Der skurrile Fall des Monats

Rumblödeln, bis der Arzt kommtBei einem Sturz vom Kita-Klettergerüst bricht sich ein vierjähriger Junge den Arm – und verklagt daraufhin die gesetzlicheUnfallversicherung auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls.VON DAVID SCHAHINIAN

Der Kläger und seine Angehörigen stützten sich auf dieArgumentation, dass zum Unfallzeitpunkt noch vieleKinder und Eltern im Garten gewesen seien. Zudemseien noch Bratwürste verkauft worden. Für sie klare

Indizien, dass das Fest noch nicht been-det war. Für die Richter nicht: Sie ent-schieden, dass weder ein Arbeits- nochein Wegeunfall vorliegt. Zur Begrün-dung hieß es, dass Veranstaltungen vonKindertageseinrichtungen nur unterdem Schutz der gesetzlichen Unfallver-

sicherung stehen, wenn die Kinder die Obhut der Ein-richtung noch nicht verlassen haben.Der Junge habe aber mit der Abholung durch die Muttergenau dies bereits erlaubt getan. Eine abweichende Ver-teilung der Obhutspflicht werde durch die konkreteAusgestaltung des Festes nicht gerechtfertigt. Vielmehrsei eine deutliche Zäsur zu erkennen gewesen: Das Festwar auch für Externe geöffnet. Zudem gebe es einegrundsätzlich bestehende Zugangsmöglichkeit in denGarten durch den Hintereingang im normalen Kinder-gartenbetrieb. Darüber hinaus wurden nicht abgeholteKinder weiter innerhalb des Gebäudes betreut. Wennman das alles zusammennimmt, hätten die Eltern nichtmehr von einer fortbestehenden Obhutspflicht der Kitaausgehen dürfen. Ein Wegeunfall wurde von den Rich-tern ebenfalls verneint, weil der versicherte Weg vonund zur Tagesstätte an der Außentür der Einrichtungbeginne und ende.Dass Kinder klagen, kommt oft vor – und immer wiederauch mal vor Gericht. Mitunter ist es sogar nötig. Etwaim Falle einer jungen Mutter, die vor Jahren einen One-Night-Stand hatte. Von dem beteiligten Mann warenihr lediglich der Vorname und eine Handynummerbekannt. Sie verklagte den Telefonanbieter auf Heraus-gabe der Daten, unterlag jedoch vor Gericht. Späterklagte das seinerzeit vierjährige Kind selbst – und gewannden Prozess vor dem Amtsgericht Bonn. Sein Auskunfts-anspruch ergebe sich aus dem verfassungsrechtlichgeschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Dazuzähle auch das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenenAbstammung. Das überwiege das Recht auf Wahrungdes Datenschutzes. p

u Blödeln, witzeln, Faxen machen, dass vor Quatschdie Balken krachen. Das ist nur ein kleiner Auszug ausdem Portfolio des Clowns Dudel-Lumpi aus dem bran-denburgischen Hoppegarten. Eine Art Hoppegartenmit Klettergerüst hatte auch die Kin-dertagesstätte vorzuweisen, die Dudel-Lumpi als Attraktion für ihr Kinderfestengagierte. Die Balken krachten, Gottsei Dank, nicht vor Quatsch. Es müssenandere Gründe gewesen sein, die zumSturz eines vierjährigen Kindes vomKlettergerüst führten. Die Folgen waren ganz und garnicht lustig: Der Bub brach sich den Arm – und er ver-klagte die gesetzliche Unfallversicherung auf Aner-kennung eines Arbeitsunfalls. Das Sozialgericht (SG)Leipzig hatte über die Klage des Vierjährigen zu ent-scheiden: Es wies das Begehren ab.Um 16 Uhr hatte die Mutter den Jungen aus der Gruppeabgeholt. Dann war sie mit ihm durch den Hinterein-gang in den Garten zum Kinderfest gegangen. In derSatzung der Kita heißt es, dass bei Veranstaltungenmit Elternbeteiligung den Erziehungs- oder Personen-sorgeberechtigten die Aufsichtspflicht obliegt. DasUnglück geschah eine Viertelstunde nach dem ange-kündigten Ende des Festes, während die Mutter amAusgang wartete. Nun wird es ernst: Die Frage war, ob die Aufsichtspflichtzum Zeitpunkt des Sturzes bereits auf die Mutter über-gegangen war. So sah es die gesetzliche Unfallversi-cherung und verneinte das Vorliegen eines Arbeits-unfalls.

Bratwurstverkauf noch im Gange

Der Vierjährige klagte dagegen, weil im Falle einerAnerkennung nicht die gesetzliche Krankenversiche-rung mit den auf das Notwendige und Wirtschaftlichebeschränkten Heil- und Hilfsmitteln aufkommenwürde, sondern die gesetzliche Unfallversicherung,berichtet die Leipziger Volkszeitung. Letztere zahlegegebenenfalls auch eine Verletztenrente. Bei einemSturz mit Wirbelsäulenverletzung und Rollstuhl könnedies von entscheidender Bedeutung sein.

Dass Kinder klagen,kommt oft vor – undimmer wieder auch

mal vor Gericht.

Urteil des SG Leipzigvom 27. Februar 2018, veröffentlicht am 5. Juli 2018 (Az.: S 23 U 168/17)

Urteil des Amtsgerichts Bonnvom 8. Februar 2011 (Az.: 104 C 593/10)

RECHT & POLITIK AUS DEM GERICHTSSAAL

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u Personalwirtschaft: Zalandos neue Strategie im Per-formance Management ist Teil des sogenannten TalentFlywheels, des Talent-Schwungrads. Was sind die Grund-züge dieser Strategie?Boris Ewenstein: Im Prinzip geht es um einen relativ neuenGedanken bei uns: verschiedene Bausteine der talentori-entierten Personalprozesskette so miteinander zu verzahnen,dass dieses Gesamtmodell wie ein Schwungrad funktioniert,das mehr Synergien schafft als jede HR-Einzelkomponentefür sich.

Welche Komponenten sind beteiligt und wie funktioniertIhr Schwungrad für das Talent Management?Unser ganzheitlich konzipiertes Talent Flywheel umfasstfünf zentrale HR-Prozesse, beginnend beim Recruitingüber Performance Management, Learning sowie WorkforceManagement und People Analytics. Herzstück all dieserElemente ist unsere zentrale Talent-API. Das ist eine Schnitt-stelle, in der 40 von uns definierte Fertigkeiten – bei unsCapabilities genannt – enthalten sind. Die Talent-API ver-zahnt alle Prozesse miteinander. Wie bei anderen Schnitt-stellen auch handelt es sich um eine Art Interface, daszulässt, dass verschiedene Anwendungen sozusagen mit-einander reden, dass Daten hin und her fließen oder dassverschiedene Applikationen Zugang zu Daten erhalten.

Was erhoffen Sie sich davon?Ziel ist es, mit diesem Schwungrad eine leistungsfähigereund flexiblere Organisation zu schaffen. Die in der Talent-API enthaltenen Fertigkeiten erlauben es, in praktisch jederdenkbaren Kombination die Anforderungen für jeden Mit-

arbeiter in jeder Position und für jede Jobfamilie zusam-menzustellen.

Was war ausschlaggebend dafür, ein neues Performance-Modell entwickeln zu wollen?Wir hatten zuvor ein Performance Management, das daraufabzielte, die Leistungen und Potenziale eines Mitarbeitersnur durch den unmittelbaren Fachvorgesetzten zu erfassen.Die Bewertungen waren so homogen, dass die Mitarbeiterbeispielsweise bei der Zielerreichung im Schnitt nur einigeProzentpunkte auseinanderlagen. Eine wirkliche Differen-zierung fehlte. Wir wollten uns von dieser Scheingenau-igkeit trennen und nützlicheres Feedback für die Mitarbeiterdurch mehrere Personen erheben. Außerdem wollten wirvon der regelmäßigen Datenerfassungssaison im Rahmender Mitarbeitergespräche weg und kontinuierliches Feed-back als dauerhaften Prozess einleiten. Deshalb machtenwir uns vor drei Jahren auf den Weg, etwas ganz Neues,das Talent Flywheel, zu entwickeln, von dem eben ein Bau-stein unser neues Performance Management ist.

Woran hakt es denn im konventionellen PerformanceManagement?Nahezu jedes etwas größere und moderne Unternehmenverfügt über Performance-Modelle. Manche Firmen habenfür jeden Mitarbeiter das gleiche, manche haben hoch-komplexe Modelle für jede Spielart unterschiedlicher Job-familien. Teilweise wird in den Unternehmen auch bereitskontinuierlich Feedback erhoben, aber selten zum syste-matischen Teil des Performance Managements gemacht,sondern häufig rein als Entwicklungs-Feedback genutzt.

„Wir wollten uns von der Scheingenauigkeit trennen“Bei der „Unleash“ im Oktober in Amsterdam stellenPersonaler aus ganz Europa neue Konzepte für HR vor.Einer davon ist Boris Ewenstein, SVP People andOrganization bei Zalando. Uns hat er vorab das neuePerformance Management des Online-Versandhändlerserklärt.INTERVIEW: ULLI PESCH

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TECHNIK & TOOLS UNLEASH AMSTERDAM 2018

Page 47: Personalwirtschaft 2018 ·  Das Magazin für den Job HR Personalwirtschaft 10 2018 17,50 Euro G 21212 ISSN 0341-4698 Art.-Nr. 07720810

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Und was ist bei Ihrem Ansatz anders?Im Talent Flywheel beruhen die Performance-Modelle aufden individuellen Profilen, die aus den Capabilities für allefünf HR-Bereiche gleichermaßen gelten und die zwischendiesen durchlässig und ineinander überführbar sind. DasPerformance-Modell hat im Kern vier universelle, zeitloseZalando-Capabilities, die übergreifende Dimensionen wieTeam- und Umsetzungsfähigkeit oder Feedback-Kulturbeschreiben und für alle gelten. Darunter gibt es einigefunktionale, jobfamilienspezifische Fertigkeiten, die unshelfen, jeden Job abzubilden: von den Kollegen in der Krea-tivfunktion bis zu denen in der Buchhaltung, in der stra-tegischen Planung oder in der Führung ganzer Geschäfts-bereiche.

Bitte erläutern Sie einmal genauer, was es in Ihrem TalentManagement mit dem kontinuierlichen Feedback aufsich hat.Im Zentrum unseres gesamten Talentsystems steht sehrdetailliertes Feedback, das es unseren Mitarbeitern ermög-licht, zu reflektieren, wo man eigentlich entlang der einzelnenDimensionen steht. Daran entwickelt man sich weiter,damit kommt man auf die nächste Karrierestufe und kannbefördert werden. Daran wird das Gehalt bestimmt, derLernbedarf und so weiter. Das ist ein zentraler Mechanismus.Noch halten wir uns an Beurteilungszeiträume. Aber unserZiel ist es, durchweg kontinuierliches Feedback zu etablieren.

Das Performance Management beginnt bei Ihnen schonbeim Recruiting. Inwiefern?Bereits dort können wir das Framework, das in der Talent-API definiert wurde, anwenden und bestimmen, was nach-her im Performance Management, im Learning, im Work-force Planning und in Analytics relevant sein wird. ImGrunde genommen geht es uns darum, dass wir schon imersten Schritt, bei der Einstellung, ein genaues Profil iden-tifiziert haben. Alle Mitarbeiter, die am Einstellungsprozessbeteiligt sind, werden entsprechend der relevanten Capa-bilities gebrieft, sodass alle wichtigen Elemente des späterenPerformance-Prozesses für diese Rolle auf der jeweiligenStufe abbildbar und einzuordnen sind. Außerdem erlaubtdas uns, den neuen Mitarbeiter an der richtigen Stelle inunser Vergütungsschema einzugliedern ...

… und damit Unmut anderer Mitarbeiter zu vermeiden,die sich möglicherweise benachteiligt fühlen?Genau. Mit diesem Effekt kämpfen viele Firmen, beispiels-weise wenn neue Mitarbeiter mit höherem Gehalt einsteigenoder wenn langjährige Mitarbeiter nicht so schnell nachvorne schreiten wie ein Neuzugang. Unser System ist trans-parent und fair, weil es immer auf denselben Capabilitiesfür jede Jobfamilie, Position und jeden ausgewählten Kar-riereweg aufbaut. Nur so können wir sicherstellen, dassdie Erwartungen ab der Einstellung klar sind: Woran wird

die Person gemessen und was heißt zum Beispiel hohe Per-formance? Wir haben uns bemüht, das Konzept von Fairnessbei der Art und Weise der Leistungsbewertung umzusetzenund sehr transparent und objektiv zu gestalten. Laut unsererletzten Mitarbeiterbefragung hat sich die Wahrnehmungder Mitarbeiter, dass sie fair für ihren Arbeitseinsatz vergütetwerden, um 60 Prozent verbessert.

Nutzt Zalando eine Software zur Unterstützung des Konzepts?Als Digitalunternehmen wollten wir natürlich eine tech-nologiebasierte Lösung für unser Performance Management.Diese Software haben wir selbst entwickelt. Sie nutzt alsstrukturelle Grundlage die Talent-API und erlaubt, dassmehrere Kollegen Feedbacks geben können. Damit entstehteine relevante Bewertung, die passgenau für den jeden ein-zelnen Mitarbeiter und sein Performance-Modell ist. DiesesFeedback und die Ergebnisse der Vergleichsgruppe kannjeder Mitarbeiter später in konsolidierter, automatisierterForm auf einem Diagramm ansehen. Ziel ist, dass sich dieseFunktion bei neuen Daten dynamisch aktualisiert.

Das Thema People Analytics ist in vielen Unternehmenzu einem wichtigen Bestandteil des Personalmanagementsavanciert. Auch in Ihrem Ansatz?Ja, im letzten Schritt des Flywheels geht es um People Ana-lytics. An jedem Element entstehen Daten, mit- und unter-einander korreliert und gepaart mit Stamm-, Vergütungs-daten oder Daten aus Mitarbeiterbefragungen. Das lässtfür uns sehr interessante Analysen zu. Zum Beispiel: Wassind die Kombinationen aus Fertigkeiten, die letztlich zusehr starker Performance führen? Welche Frühwarnsignalegibt es, dass es mit der Leistung vielleicht nicht klappenwird? Oder: Welche Indizien sind die stärksten für einewahrscheinliche Beförderung? Im Retention Managementist es schon länger geläufig, die Risiken für das Verlassenvon Mitarbeitern zu untersuchen. Wir beginnen nun lang-sam, Predictive Analytics auch umzusetzen. p

„Becoming a Talent Flywheel –Notes from the Frontlines“Vortrag von Boris Ewenstein,24.10.2018, 11.40 bis 12 Uhr,Raum D201

Die „Unleash“ Amsterdam 2018

In diesem Jahr findet die Unleash World Confe-

rence & Expo, nach Angaben des Veranstalters

die weltgrößte HR-Kongressmesse, am 23. und24. Oktober wieder im RAI-KongresszentrumAmsterdam statt. Auf der 2017 von „HR Tech

World“ zu „Unleash“ umbenannten Veranstal-

tung trifft sich das internationale Top-Personal-

management, um sich über die aktuellsten

Trends für die Zukunft der Arbeit und über neues-

te Technologien für HR zu informieren. Als Keynote Speaker sind unter anderem der buddhistische

Mönch Matthieu Ricard, die international bekannte Psychotherapeutin Esther Perel und der

Autor Andrew Keen („The Internet is Not the Answer“) geladen.

www.unleashgroup.io/amsterdam

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Lange vernachlässigtDas Skill Management stand lange im Schatten des Talent Managements. Erst allmählichkommen Lösungen auf, die Klarheit über die im Unternehmen vorhandenen Kompetenzen bringenund eine Planung künftig gefragter Kompetenzen erlauben.VON ULLI PESCH

u Für Unternehmen ist es wichtig zu wissen, über wel-che Kompetenzen und Qualifikationen ihre Mitarbeiterverfügen. Wie sonst könnte man sie mit den richtigenAufgaben betrauen und beurteilen, ob man sie mit denpassenden Kompetenzen in ein Projekt entsendet oderwer welchen Kollegen ersetzen kann? Bisher erfassenjedoch nur wenige Organisationen systematisch dievorhandenen Skills. Im Bewerbungsprozess werdenzwar alle Zertifikate, Kurse und Qualifikationen abge-fragt. Aber diese auch in einer Skill-Datenbank ablegen?Meist Fehlanzeige. Unternehmen wissen nur selten,welche Potenziale in ihnen schlummern und wie siediese ohne Aufwand ausfindig machen, wenn sie siebenötigen.

Zertifikate waren gestern

Weil niemand mehr auch nur annähernd die Entwick-lungen der nächsten fünf Jahre vorhersehen kann, ver-lieren Zertifikate allerdings enorm an Bedeutung. NachErfahrung von Tine Schlaak, Expertin für Mitarbeiter-schulungen beim Online-Lernanbieter Udacity, könnenviele Unternehmen kaum noch einschätzen, welche Skills

mittelfristig benötigt werden. „Aufgrund der extremenEntwicklungsdynamik wird es auch zunehmend schwie-riger, strategische Entwicklungsziele zu definieren“, soSchlaak. Bernd Wiest, Senior Sales Consultant bei Time-4-you, geht noch einen Schritt weiter: „Angesichts desFachkräftemangels wird es so kommen, dass sowohlQuereinstiege als auch unternehmensinterne Karrierenwichtiger werden als formale Abschlüsse.“Claudia Crummenerl, Expertin für Executive Leadershipund Change bei Capgemini, sieht es ähnlich: „Die neuenHerausforderungen sind die Geschwindigkeit und derUmfang, mit denen sich die Anforderungen an die Mit-arbeiter ändern.“ Die bestehenden Strukturen seien oftzu behäbig, um mit dem Wandel Schritt zu halten,geschweige denn, ihn zu unterstützen. „Darüber hinausbilden die bestehenden Trainingsformate die zukünf-tigen Bedarfe häufig nur unzureichend ab.“

Noch kein ideales Tool

Skill Management gibt es zwar seit Jahrzehnten, aberdas Aufkommen der Talent-Management-Anbieterund schließlich die Cloud und künstliche Intelligenz

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Wie Unternehmen von Quereinsteigern und neuen Karrierewegen profitierenkönnen, lesen Sie in der Titelstrecke unserer Septemberausgabe und auf www.personalwirtschaft.de inder Rubrik Personalentwick-lung > Talent Management.

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(KI) haben zuerst Lösungen für andere Anforderungengeschaffen. Skill Management geriet lange nicht in denFokus. „Darum bietet der Markt bislang noch kein idea-les Tool für diesen Bereich“, sagt OrganisationsexperteKai Reinhardt, Professor für Unternehmensführungan der HTW Berlin. Christoph Kull vom Softwarean-bieter Workday beobachtet zudem, dass viele Unter-nehmen oft noch ein eher rudimentäres, informellesund intuitives Skill Management betreiben. Warumdas so ist, erklärt der Vertriebs- und MarketingleiterDACH so: „Die HR-Software ist generell fragmentiert,sie bedient sich aus verteilten Datensilos und veralteteLegacy-Systeme erschweren es Personalern, die für eineffektives Skill Management nötigen Informationenzusammenzutragen.“ Das sieht auch Thomas Faust, HCM-Experte bei De-loitte, so. Die Mehrzahl der Unternehmen nutze zurzeitnoch die Standardanwendungen, die mit HCM-Soft-warelösungen geliefert werden. „Meist werden die Kom-petenzmodelle in diesen Lösungen abgebildet“, so Faust,„die dann in der Regel auch im jährlichen Performance-Review-Prozess genutzt und aktualisiert werden.“ Nochhäufiger fänden sich inzwischen auch Möglichkeiten,individuelle Skills in Freitextfeldern einzufügen.Manche Unternehmen sind mittlerweile in der Lage,ihre Jobfamilien mit Skills zu hinterlegen und dieseauszuwerten. „Deshalb ist es im Vorfeld zunächst wich-tig, dass Personalverantwortliche Kompetenzen undKompetenzlücken in ihrem Unternehmen identifizie-ren“, sagt Christian Zöhrlaut, Director Products CentralEurope beim Softwarehaus Sage. „Gleichzeitig solltensie unternehmensweite und über Manager kaskadierteZiele, die mit Zeitrahmen und entsprechenden Priori-täten in einer solchen Datenbank hinterlegt sein müss-ten, transparent definieren.“

Problemfall Skill-Datenbank

Idealerweise wird Skill Management heute nicht nurin einige HR-Bereiche integriert, sondern steht auchin Lösungen für die Projekt- und Unternehmensplanung

zur Verfügung. Ebenso finden sich etliche Schnittmen-gen mit dem Learning und Talent Management. Inneueren Lösungen können Kompetenzen durchEmployee- oder Manager-Selfservices eingegeben wer-den, ebenso sind Bewertungen und Kommentare mög-lich. Schnittstellen zu Performance-Management-Pro-zessen sind üblich. Außerdem lassen sich Dokumente,zum Beispiel Zertifikate, an die Skill-Profile anhängenund bei einigen Systemen kann man nach Mitarbeiternmit bestimmten Skills suchen.Die meisten Softwareanbieter für Talent-Lösungenhaben das Skill Management als eigenes Modul oderzumindest als Funktion integriert. Intelligente Algo-rithmen unterstützen heute den Abgleich von Skillsund darauf aufbauend die Auswahl benötigter Mitar-beiter. Marc Stoffel, CEO von Haufe-Umantis, ist indes-sen überzeugt: „Die aktuell am Markt verfügbaren Toolsgreifen zu kurz. Themen wie Peer-Feedback oder Mit-arbeiterentwicklung werden meist isoliert betrachtet,statt sie in die Anwendung zu integrieren.“ So sei esschwer möglich, eine kontinuierliche und realistischeSkill-Datendank zu erhalten. Aus diesem Grund, soStoffel, entwickle Haufe aktuell ein eigenes Ökosystem,das genau diesen starren Silostrukturen entgegen-wirke.

Aus der Praxis

Julia Kotrba, Personalreferentin bei der Know-howAG aus Stuttgart, kennt die großen Unterschiede inverschiedenen Branchen im Umgang mit Skill Manage-ment. „Jedes Unternehmen, jede Führungskraft, jederProjektmanager hat sich wohl in den vergangenenJahren ein eigenes System geschaffen, um die ver-schiedenen Skills der Mitarbeiter zu erkennen und zuverwalten“, sagt sie. In der Tat: Beim SoftwareherstellerAckee beispielsweise funktioniert das Skill Manage-ment über eine Gitternetz-Organisationsstruktur.Jedes Team hat einen Teamleader, der für die beruflicheWeiterentwicklung der Mitglieder verantwortlich ist.In wöchentlichen Meetings teilen die Teammitglieder

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Gesuchte Soft Skills Abbildung

Die gefragtesten Soft Skills sindzugleich auch am schwersten zufinden. Für die Studie wurden rund20 000 Arbeitgeber in 42 Ländernbefragt. Die Ergebnisse beziehensich auf Deutschland, Österreichund die Schweiz.

69 %Problemlösungskompetenz

Kommunikation

Organisation

Kundenorientierung

Zusammenarbeit

Führung

Management

am schwersten zu findenGefragteste Soft Skills

35 %

33 %

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29 %

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67 %

86 %

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ihr Know-how und diskutieren Best Practices, die siebei den jeweiligen Projekten anwenden wollen. Darüberhinaus hat, als zweiten Bestandteil der Gitternetz-struktur, jedes Projekt einen Projektmanager, derTeammitglieder für das Projekt bestimmt und für dieProjektabwicklung zuständig ist. Allerdings nutztAckee keinerlei Softwaretools für das Skill Manage-ment. „In unserem Fall ist das beste Tool eine Tafelbeziehungsweise ein Whiteboard in unserem Bespre-chungsraum“, verrät Dr. Josef Gattermayer, Mitgrün-der und CIO.Die Rheinmetall AG setzt seit 2010 im Talent und SkillManagement auf ET-Web von Lumesse. Anfang desJahres wurde in der Schweiz die Nachfolgelösung Em-power in Betrieb genommen. Im Januar 2019 soll sieauch in den Niederlassungen und Tochterunternehmenin Deutschland und Österreich einsatzfähig sein. Mar-tina Borghoff, die bei der Rheinmetall für die Einführungder neuen Lösung zuständig ist, erklärt, wie das SkillManagement im Unternehmen umgesetzt werden soll:„Der Fachvorgesetzte und der Mitarbeiter führen jeweilseine Skill-Fit-Gap-Analyse durch. Die Ergebnisse trägtder Fachvorgesetzte händisch ins System ein.“ Empowersoll dann automatisiert eine oder mehrere Schulungs-oder Trainingseinheiten vorschlagen, die der jeweiligeMitarbeiter buchen könne. „HR sorgt im Hintergrunddafür, dass die entsprechenden Schulungen im Trai-ningskatalog möglichst umfassend zur Verfügung ste-hen.“

Alte und neue Anbieter

Skill Management ist nicht mehr nur Thema für dieetablierten HCM- und Talent-Management-Software-anbieter. Das zeigen verschiedene Global Player wieGoogle, Microsoft oder Amazon, die ihre Geschäftsfelderin Richtung Weiterbildung und Personalentwicklungerweitern. Ein typisches Beispiel ist aktuell Linkedin,das inzwischen mit der Kompetenzerfassung und -aus-wertung sowie mit Online-Videos den gesamten Recrui-ting- und Talent-Management-Prozess automatisiertfür jeden Einzelnen anbietet und klassisches HR über-flüssig macht.Laut Deloitte finden Eigenentwicklungen kaum nochstatt. Am häufigsten, so die Experten, seien SAPHCM und Successfactors sowie die Workday-Lösun-gen zu finden. In Deutschland weit weniger verbreitetsei Oracle. Ganz selten fänden sich noch Lösungenvon Perbit und ähnlichen kleineren Unternehmen.Auch einige Start-ups wie Can Do versuchen, sichmit neuen Ansätzen vom Kuchen ein Stück abzu-schneiden. Andere kooperieren über eigene Markt-plätze mit Anbietern, die spezielle Skill-Manage-ment-Lösungen anbieten, so etwa Cornerstone, über

deren Marktplatz Kunden mit dem Skill-Manage-ment-Anbieter Farna zusammenarbeiten können.Viele Organisationen gehen beispielsweise schon voneiner Lernbibliothek zu Abonnements von Lernin-halten über.Der Skill-Management-Markt teilt sich nach Ansichtder meisten Experten in vier Kernbereiche auf: Talent,Learning Management, Performance Managementsowie HR Analytics. Die wesentlichen Player verteilensich laut dem Learning-Anbieter Skillsoft wie folgt indiesen Segmenten:l Talent Management: SAP Successfactors, Talentsoft,

Ultimate Software, Sum Totall Learning Management: Cornerstone on Demand,

Lumesse, Linkedin Learning/Lynda.com, Netdimen-sions, Sum Total

l Performance Management: SAP Successfactors, SASInstitute, ADP, Sum Total Systems

l HR Analytics: Workday, Oracle (HCM), SAP Suc-cessfactors, ADP sowie Sum Total

Die aktuellen Trends

Nach Ansicht der Deloitte-Experten geht der Trendim Skill Management klar in Richtung Erfassung indi-vidueller Skills. Diese Skills können dann mit den Kom-petenzanforderungen abgeglichen werden, um Defizitebei den Mitarbeitern aufzudecken. Anschließend kön-nen individualisierte Entwicklungsempfehlungen aus-gesprochen werden. Letzteres, ein automatisiertes, digi-tales Learning und Development Management, ist einweiterer Trend. Laut Deloitte gelingt das jedoch nurmithilfe von Big Data und KI.Auch die Auswertung von externen Arbeitsmarktdatenund die Ausschreibung von Stellen in Kombinationmit internen Skill-Daten sind inzwischen möglich.Zukünftig könnte der Prozess durch die Nutzung vonBlockchain-Anwendungen noch sicherer werden unddie Employee-Selfservice-Komponente stärken. Viel-leicht verwalten wir alle eines Tages unsere Skills,Kompetenzen und Dokumente in der Blockchain –Xing und Linkedin haben ja bereits unsere Informa-tionen.„In ein paar Jahren werden HR-Abteilungen keine star-ren Kompetenzmodelle mehr entwickeln“, meint Orga-nisationsexperte Kai Reinhardt von der HTW Berlin.„Schon heute nutzen erfolgreiche Firmen intelligenteTools, die im Arbeitsprozess der Mitarbeiter integriertsind und Daten dazu erfassen, ob ein Mitarbeiter oderein Manager kompetent genug ist, um das zu tun, waser tun soll.“ Diese Werkzeuge würden immer besserund intelligenter und lieferten schon bald schnellereund kosteneffizientere Ergebnisse, als jedes starre Kom-petenzmodell es vermag. p

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TECHNIK & TOOLS UPDATE

Software und Dienstleister für den Job HR

Der Marktplatz für Technik, Tools und Arbeitshilfen. Hier stellen wirneue Softwarelösungen, Anbieter und Dienstleister für HR vor.

Anbietermarkt

Investcorp Technology Partners akquiriertSoftgarden Der internationale Investor Investcorp Technology Part-ners hat das auf digitale Recruiting-Prozesse spezialisierteBerliner Unternehmen Softgarden gekauft. Mithilfe desneuen Besitzers erhofft sich die Berliner Softwareschmiedeeine Ausweitung der Software-as-a-Service-Angebote unddie Festigung der eigenen Marktposition. Es wird keinepersonellen Veränderungen bei Softgarden geben – dieGründer, CTO Stefan Schüffler und CEO Matthias Heese,sind weiterhin als Doppelspitze für das Unternehmenaktiv. Sie hatten das Unternehmen im Jahr 2005 als Spin-off der Universität des Saarlandes gegründet.www.softgarden.de

Arbeitsverträge

Unterschrift per App von ZenjobDas Personalvermittlungsunternehmen Zenjob hat mit Sign-me eine App entwickelt,die es ermöglichen soll, Arbeitsverträge viaSmartphone zu unterzeichnen. Dazu müssensich die Nutzer von Zenjob, Studenten aufder Suche nach Nebenjobs, registrieren undeinmalig über das Sign-me-Portal verifizieren. Unter Verwendungeiner persönlichen TAN werden die Arbeitsverträge im Anschlussdirekt unterschrieben und an den Arbeitgeber gesendet. Dank der Zwei-Faktor-Authentifizierung entspricht die qualifizierte elektronische Signatur den EU-Vorgaben und ist somit auch recht-lich als Ersatz einer handschriftlichen Unterschrift zugelassen.www.zenjob.de

Mehr Anbieter von Technik, Tools und

Dienstleistungen für HR finden Sie in

unserem Anbieterverzeichnis:

www.pwgo.de/anbieter.

ELO Solution Day 2018Wir digitalisieren Ihre Personalprozesse

Kostenlos anmelden unter:www.elo.com/solutiondays

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Mit Kundenvortrag zur digitalen Personalakte

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FORSCHUNG & LEHRE STUDIE

Personalwirtschaft 10_2018

Social Media: Noch immer in der PubertätSocial-Media-Personalmarketing ist den Kinderschuhen längst entwachsen, aber noch immer nichtausgereift. Stattdessen wird wild pubertiert und teils erfolgreich, teils erfolglos ausprobiert.

uDie Durchdringungsrate von Social Media hat inden letzten zwei Jahren nochmal leicht zugenommen.Solche Mitmachmedien werden 2018 von fast allenUnternehmen in der Studie genutzt (95 Prozent). Deut-

lich zugenommen gegenüber 2016 hat insbesonderedie Nutzung des bilddominierten Portals Instagram. Auf der Liste der Nutzungsgründe steht ganz oben dieSteigerung der Unternehmensbekanntheit bei poten-ziellen Mitarbeitern (77 Prozent). Direkt dahinter folgtdie Generierung von Bewerbungen auf offene Stellen(74 Prozent). Dieser Aspekt hat in den letzten vierJahren deutlich an Relevanz gewonnen (plus 20 Prozentgegenüber 2014). Ebenfalls sehr bedeutend sind derAufbau beziehungsweise die Stärkung der Arbeitge-bermarke (72 Prozent) und die aktive Suche und Anspra-che potenzieller Mitarbeiter (Active Sourcing 50 Pro-zent). Auch die Nutzungsintensität von Social Media hatnochmal zugenommen. Im Recruiting nutzen 42 Pro-zent solche Medien intensiv oder fast ausschließlich(gegenüber 30 Prozent in 2016), weitere 25 Prozent inmoderatem Ausmaß. Im Employer Branding liegt dieNutzungsintensität mit 31 Prozent beziehungsweise 38Prozent im Vergleich etwas niedriger.

Studie kompakt

Forschungsfragen:Wie und wie intensiv werden soziale Medien im Personalmarketing eingesetzt? Welche

Erfolge werden damit erzielt? Welche Relevanz haben weitere „Digital HR“-Themen?

Forschungsansatz:Seit 2010 wird der Status quo des Social-Media-Einsatzes kontinuierlich im Rahmen

einer Online-Befragung an der Hochschule RheinMain erhoben. Das besondere Merkmal

ist die gleichzeitige Betrachtung und Gegenüberstellung von Unternehmens- und

Kandidatenseite. In 2018 haben 322 Personen teilgenommen (31 Prozent Unternehmens-

vertreter, 42 Prozent Fach- und Führungskräfte und 27 Prozent Studierende). In Summe

liegen seit 2010 über 2300 vollständig auswertbare Datensätze vor.

Forschungsergebnisse: Die Studienreihe liefert regelmäßig einen Blick auf den aktuellen Stand des Social-Media-

Einsatzes im Personalmarketing. Zusammengefasst zeigen die Studienergebnisse einen

kontinuierlichen, aber immer langsamer werdenden Reifeprozess.

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53Personalwirtschaft 10_2018

Fest etabliert, aber nicht die Patentlösung

Im Gesamtbild zeigt sich deutlich, dass Facebook, Twit-ter, Xing und Co. eine (sehr) wichtige Rolle, aber mehr-heitlich nicht die „erste Geige“ im Employer Brandingund Recruiting spielen. Zwar werden die diversen So cial-Media-Plattformen häufig genutzt, aber dieKarrie re-Webseite und Jobbörsen sind auch in 2018nach wie vor die dominanten Kanäle. Dies gilt sowohlfür die Suche der Kandidaten nach Arbeitgeberinfor-mationen und Jobs als auch für die Aktivitäten derUnternehmen im Hinblick auf Employer Branding undRecruiting. Social Media haben sich zwar fest im Per-sonalmarketing-Portfolio etabliert, sind aber für dieMehrheit der Unternehmen – und Ausnahmen gehörennatürlich auch zu dieser Regel – nicht die Patentlösung.Ohne adäquate Inhalte und Nutzungsweisen sowieeinen auf die Zielgruppe abgestimmten Maßnahmenmixsind die Erfolgsaussichten gering.

Unternehmen aktiver als Kandidaten

Konsistent zu den Ergebnissen der früheren Studien,aber durchaus konträr zur landläufigen Meinung, zeigensich einige Befunde zur Nutzungsintensität sozialerMedien. Denn entgegen der weitverbreiteten Annahme,dass man soziale Medien unbedingt nutzen muss, wennman die Vertreter der Generationen Y und Z erreichenwill, zeigen die Studienergebnisse, dass Studierendediese Plattformen für Arbeitgeber- und Jobthemensogar weniger häufig als Fach- und Führungskräftenutzen. Ebenfalls durchaus überraschend: Die untersuchtenUnternehmen sind in Summe aktiver und breiter auf-gestellt als die Kandidaten. Arbeitgeber nutzen deutlichmehr Personalmarketing-Kanäle als die potenziellenBewerber. Hier sollten die Unternehmen überprüfen,ob sie nicht unnötig breit aufgestellt sind und ihreKräfte besser und zielgruppengerechter bündeln sollten.Gerade für KMU mit kleinem Budget gilt: Lieber wenigerKanäle nutzen, aber diese richtig, als in diversen Medienminimal präsent zu sein.

Leichte Erfolgszunahme aus Unternehmenssicht

Im Hinblick auf den Erfolg des Social-Media-Einsatzeszeigt die Studienreihe einen kontinuierlichen, aberlangsamer werdenden Reifeprozess (siehe Abbildung1). Im Hinblick auf die Erreichung der Employer-Bran-ding-Ziele sprechen nun 40 Prozent von einem hohenoder mittleren messbaren Erfolg, beim Recruiting sindes mittlerweile 45 Prozent. Die in Abbildung 1 darge-stellte zeitliche Entwicklung gibt einen guten Eindruck

davon, dass der Social-Media-Einsatz alles andere alsein Selbstläufer ist. Wenn (fast) alle aktiv sind, hilft dasolympische Motto „Dabei sein ist alles!“ sicherlich nichtweiter.

Viele Aktivitäten verpuffen beim Kandidaten

Auch die Befragung der Kandidaten zeigt, dass nachwie vor viele Aktivitäten „verpuffen“. Der EmployerBranding Funnel in Abbildung 2 verdeutlicht dies. Nur53 Prozent der Kandidaten sind überhaupt Employer-Branding-Aktivitäten in Social-Media-Kanälen aufge-fallen und nur gut die Hälfte kann sich an das konkreteUnternehmen erinnern. Auch wenn für immerhin gutzwei Drittel dieser Kandidaten das Unternehmendadurch als Arbeitgeber attraktiver geworden ist, sindes in der Gesamtheit letztlich nur 18 Prozent, für dieüberhaupt ein Unternehmen durch Social-Media-Akti-

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Im Hinblick auf den Erfolg des Social-Media-Einsatzes zeigt die Studienreihe einen kontinuierlichen,aber langsamer werdenden Reifeprozess.

Nur der Hälfte der befragten Kandidaten (53 Prozent) sind Employer-Branding-Aktivitäten inSocial-Media-Kanälen aufgefallen.

1 Mittelwert aus Unternehmensbekanntheit & Arbeitgebermarke 2 Mittelwert aus Bewerbungen generieren & Active Sourcing3 Erfolg = Hoher oder mittlerer messbarer Erfolg

Haben Sie seit Einführung Ihrer Abbildung 1Social-Media-Aktivitäten messbare Erfolge erzielt?

Employer Branding1

Erfolg 20103

Erfolg 20143

Erfolg 20163

Erfolg 20183

Recruiting2

28 %

35 %39 % 40 %

21 %

43 % 44 % 45 %

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Employer Branding Funnel Abbildung 2

Sind Ihnen bisher Social-Media-Aktivitäten von Unternehmenaufgefallen, die darauf zielen,das Unternehmen als Arbeitge-ber attraktiver zu machen?

n = 221n = 117 n = 60

Erinnern Sie sich an einspezielles Unternehmen(oder mehrere)?

Ist dieses Unterneh-men für Sie dadurchals Arbeitgeber attrak-tiver geworden?

Weiß nicht 24 %

Nein23 % Nein

49 % Ja51 %

Nein 33 %

Ja67 %Ja

53%

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FORSCHUNG & LEHRE STUDIE

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vitäten an Arbeitgeberattraktivität gewonnen hat. Dasist durchaus erschreckend und zeigt noch deutlichesOptimierungspotenzial.Ein ähnliches Bild präsentiert der Active Sourcing Fun-nel in Abbildung 3. Hier zeigt sich insbesondere imHinblick auf die professionelle Ansprache von Studie-renden und Absolventen deutlicher Optimierungs -bedarf. Obwohl in den letzten zwei Jahren mehr Studierende persönlich über Social-Media-Kanäle angesprochen wurden (38 Prozent versus 31 Prozentin 2016) und die aktive Ansprache – solange sie nichtüber primär für private Aktivitäten genutzte Social-Media-Netzwerke (wie Facebook) erfolgt – von denKandidaten auch mehrheitlich begrüßt wird, kam esnur bei wenigen zu einer ernsthaften Auseinanderset-zung mit dem Jobangebot. Und bei keinem einzigender befragten Studierenden und Absolventen kam eszum Abschluss eines Arbeits- oder Praktikumsvertrages.Hier stellt sich die Frage, ob lediglich die aktuelle Anspra-chepraxis schlecht oder Active Sourcing für Studierendegenerell kein geeigneter Recruiting-Kanal ist.

Candidate Experience optimierbar

Ein deutliches Optimierungspotenzial zeigt die Studieauch beim Thema Candidate Experience. Obwohl auch2018 wieder über 80 Prozent der befragten Unternehmeneiner konsistenten und ganzheitlichen Bewerbererfah-rung an allen Kontaktpunkten eine hohe oder gar sehrhohe Bedeutung beimessen, sind die Social-Media-Aktivitäten – nach übereinstimmender Aussage derKandidaten und der Unternehmen selbst – nur beijedem dritten Unternehmen auch tatsächlich auf einekonsistente und ganzheitliche Candidate Experienceabgestimmt (siehe Abbildung 4). Hier sind erschre-

ckenderweise gegenüber 2016 keine Verbesserungenerkennbar. Problem erkannt bedeutet also noch nicht,dass die Gefahr auch gebannt ist. Hier muss scheinbareffektiver gearbeitet werden.

Deutsche Bahn als Best Practice

Wie in den vorherigen Studien wurde auch diesmalwieder nach Best-Practice-Unternehmen gefragt. Hier-bei wurde sowohl von den Unternehmen als auch denKandidaten die Deutsche Bahn am häufigsten genannt.Insbesondere die Aktivitäten rund um die Kampagne„Willkommen, Du passt zu uns“ kamen sowohl bei derZielgruppe als auch den Konkurrenten an. Währendsich aus Unternehmenssicht zumindest die DeutscheTelekom über die Jahre relativ konstant auf einem Top-Platz halten konnten, zeigt sich ansonsten sowohl imJahresvergleich als auch zwischen Kandidaten undUnternehmen eine relativ hohe Varianz. Das heißt, dieHalbwertzeit von Social-Media-Aktivitäten ist scheinbarrelativ gering und nicht alles, was in Personalerkreisengroße Resonanz erfährt, kommt in gleicher Weise beiden Zielgruppen an.

Divergierende Meinungen zu Robot Recruiting

Neben der Analyse des Status quo des Social-Media-Einsatzes analysiert die Studienreihe regelmäßig weitereaktuelle Themen der Digitalisierung des Personalma-nagements („Digital HR“). In 2018 wurde dabei inten-siver der Frage nachgegangen, inwieweit der Recrui-ting-Prozess zukünftig durch künstliche Intelligenzverändert wird (Stichworte: Robot Recruiting, DataDriven Recruiting) und wie die Kandidaten dazu stehen.Die oberen Balken in Abbildung 5 zeigen sehr deutlich,dass die Personaler in den Unternehmen relativ klareine weitere Zunahme des Digitalisierungsgrades erwar-ten. So glauben beispielsweise 79 Prozent, dass in dennächsten fünf Jahren smarte Algorithmen eingesetztwerden, um passende Kandidaten bei Xing, Linkedinoder an anderer Stelle im Internet zu identifizieren.Immerhin 38 Prozent gehen davon aus, dass die Eigen-schaftsprofile von erfolgreichen Mitarbeitern als Grund-lage für automatisches Matching von Bewerbern genutztwerden. Und 15 Prozent erwarten gar, dass (Prescree-ning-)Interviews teilweise eigenständig durch sprach-gesteuerte digitale Assistenten durchgeführt werden.Ob diese Einschätzungen realistisch, zu hoch oder zuniedrig sind, wird die Zukunft zeigen.Ungefähr die Hälfte der befragten Personaler in denUnternehmen glaubt, dass trotz neuer Technologienbeziehungsweise gerade weil die Technik ihnen einige

Mehr zum Thema

Knabenreich, H.: Mit Chatbots zurperfekten Candidate Experience,2018,https://personalmarketing2null.de/2017/07/chatbots-recruiting-candi-date-experience/.

Petry, T./Jäger, W. (Hrsg.): DigitalHR – Smarte und agile Systeme,Prozesse und Strukturen im Per-sonalmanagement, Freiburg, 2018

Petry, T./Schreckenbach, F./Lenz,A.: Social Müdia? (Ergebnisse derSocial Media PersonalmarketingStudie 2016), in: Personalwirt-schaft 7/2016, S. 24-26.

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Die Erfolge im Active Sourcing sind relativ überschaubar – nur in seltenen Fällen mündete die Kontaktaufnahme in einen Job.

Frage: Wurden Sie schon einmal persönlich über Social Media angesprochen?

(n = 87 für Studenten und n = 134 für Fach- & Führungskräfte)

Wurden Sie schon einmal persönlich Abbildung 3über Social Media angesprochen?

Es kam zur Kontaktaufnahme

Ernsthafte Auseinander-setzung mit Jobangebot

Jobverhand-lungen

Jobangebote Jobannahme

Schritt 1 Schritt 2 Schritt 3 Schritt 4 Schritt 5

Studenten

Fach- & Führungskräfte

38 %

66 %

9 %

37 %

5 %

19 %

3 %11 %

0 %5 %

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55Personalwirtschaft 10_2018

Teilaufgaben abnimmt und dadurch Zeit „freischaufelt“,die Interaktion mit (potenziellen) Kandidaten mensch-licher, das heißt persönlicher wird. In diesem Fall wäreein solches Robot Recruiting auch für immerhin dieHälfte der Kandidaten akzeptabel. Ansonsten sehensowohl Studierende als auch Fach- und Führungskräfteeine weitere Digitalisierung im Recruiting eher skeptisch(siehe untere Balken in Abbildung 5).Von daher legen die Befunde der Studie nahe, beimThema Robot Recruiting immer auch die Akzeptanz

der Zielgruppen mit zu berücksichtigen. Dies sollteaber keinesfalls als Feigenblatt gegen jedwede weitereDigitalisierung des Recruiting-Prozesses verwendetwerden. Denn erstens wird nicht jeder interne Prozess-schritt von den Zielgruppen wahrgenommen, zweitensentsteht Akzeptanz häufig erst durch (positives) Erlebenund begleitende Kommunikation und drittens zähltletztendlich der Outcome, das heißt die Anzahl undQualität der eingestellten Mitarbeiter unter adäquaterBerücksichtigung der dafür notwendigen Kosten. p

AUTOREN

Prof. Dr. Thorsten Petry, Professor

für Unternehmensführung,

Media Management, Hochschule

Rhein-Main, Wiesbaden,

[email protected]

Florian Schreckenbach,

Geschäftsführer, Talential, Köln,

florian.schreckenbach@

talential.com

Henner Knabenreich, HR-Blogger

personalmarketing2null,

Wiesbaden,

[email protected]

Quel

le: P

etry

, 201

8

Candidate Experience (Bedeutung versus Umsetzung) Abbildung 4

Bedeutung für Unternehmen Umsetzung (Unternehmenssicht) Umsetzung (Kandidatensicht)

Sehr hoch

Hoch

Mittel

Gering

Gar nicht

51 %

33 %

12 %

4 %

0 %

Trotz der erkannten (sehr) hohen Bedeutung der Candidate Experience ist deren Umsetzung auch 2018 nach wie vor nur mittelmäßig.

Fragen: „Wie hoch ist für Sie im Personalmarketing und Recruiting die Bedeutung einer konsistenten und ganzheitlichen Candidate Experience (die Erfahrungen, die ein Bewerber während des

gesamten Bewerbungsprozesses sammelt – vom Erstkontakt bspw. über die Stellenanzeige bis zum Antritt der Stelle)?“ (n = 97), „Wie stark sind Ihre Social-Media-Personalmarketing- und

Recruiting-Aktivitäten auf eine konsistente und ganzheitliche Candidate Experience abgestimmt?“ (n = 97) und „Haben Sie aus Ihren bisherigen Erfahrungen den Eindruck, dass die Unterneh-

men darauf bedacht sind, den gesamten Bewerbungsprozess – vom Erstkontakt bspw. über die Stellenanzeige bis zum Antritt der Stelle konsistent und stimmig zu gestalten?“ (n = 219)

Vollständig

Ausgeprägt

Mittel

Gering

Gar nicht

8 %

26 %

41 %

22 %

3 %

Ja

Eher ja

Mittel

Eher nein

Nein

8 %

28 %

40 %

20 %

4 %

Quel

le: P

etry

, 201

8

Robot Recruiting (Unternehmenserwartung versus Kandidatenakzeptanz) Abbildung 5

Smarte Algorithmen zur Kandidaten-Identifikation im Internet

Bewerberinteraktion stark über Videokommunikationsmittel

Smarte Algorithmen zur Jobbörsen- & Medienauswahl

Persönlichere Interaktion trotz/wegen Technik

Alternative Jobvorschläge durch erweitertes automatisiertes Matching

Automatisches Matching auf Basis von Eigenschaftsprofilen erfolgreicher MA

Auswahlprozess stark von Algorithmen & KI geprägt

Bewerberinteraktion stark über Chatbots

Jobsuche & Bewerbung mittels Sprachsteuerung

Persönlichkeitsanalyse auf Basis von Sprachkonstrukt, Stimme, Tonlage etc.

(Prescreening-)Interviews durch sprachgesteuerte digitale Assistenten

... keine der Aussagen zutrifft.

79 %

Während die Unternehmen an eine weiter zunehmende Digitalisierung im Recruiting glauben, sehen die Kandidaten dies eher skeptisch.

Fragen: „Welchen der folgenden Aussagen stimmen Sie im Hinblick auf die nächsten 5 Jahre zu? Ich erwarte, dass ...“ (Unternehmen n = 101), „Als Interessent(in)

für eine Stelle finde ich es akzeptabel, wenn...” (Kandidaten n = 221)

21 %

67 %35 %

50 %nicht gefragt

49 %47 %

42 %56 %

38 %26 %

37 %4 %

30 %12 %

30 %6 %

18 %2 %

15 %5 %

3 %22 %

Unternehmen

Kandidaten

Unternehmen

Kandidaten

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56

FORSCHUNG & LEHRE INTERNATIONAL

Personalwirtschaft 10_2018

Die Illusion der Künstlichen Intelligenz

uDer derzeitige Hype um das Thema künstliche Intel-ligenz (KI) ist ebenso vielfältig wie facettenreich: Industrie4.0 und das Internet der Dinge, die Auswirkungen aufdie Arbeitswelt, auf Tätigkeitsprofile und Qualifikati-onsbedarfe. Ständig werden neue Potenziale aufgezeigt,doch führen sie am Ende auch zu einer höheren Gesamt-produktivität? Zusammen mit Andrew McAfee hat Erik Brynjolfsson,Professor am MIT Massachusetts Institute of Technology,das wegweisende Buch „The Second Machine Age: Wiedie nächste digitale Revolution unser aller Leben verän-dern wird“ verfasst – mittlerweile ein weltweiter Bestseller.In dem Working Paper „Artificial Intelligence and theModern Productivity Paradox: A Clash of Expectationsand Statistics“ geht Brynjolfsson nun gemeinsam mitseinem MIT-Kollegen Daniel Rock und Chad Syversonvon der University of Chicago den Auswirkungen derkünstlichen Intelligenz auf Produktivität und Realein-kommen auf den Grund.

Das neue Produktivitätsparadox

Folgt man den Statistiken, so war das Produktivitäts-wachstum in allen OECD-Staaten in den vergangenenzehn Jahren nicht einmal halb so hoch wie in der Dekadedavor. In den USA stagnieren die Realeinkommen seitEnde der 1990er-Jahre. In Deutschland sind sie seit 1991zwar um 15 Prozent gestiegen, ohne dass jedoch dieunteren Einkommensklassen davon profitieren konnten.Offensichtlich ist der technologische Fortschritt nichtin der statistischen Realität angekommen?Die Forscher untersuchen vier mögliche Gründe: über-zogene Erwartungen, statistische Messfehler, Umver-teilungseffekte sowie zeitliche Verzögerungen in derUmsetzung. Ereilt die künstliche Intelligenz das gleicheSchicksal wie Kernenergie und Überschallflugzeug? Kön-nen Statistiken den wirklichen Nutzen neuer Techno-logien erfassen, solange sie sich allein an monetären Grö-ßen orientieren? Werden die Gewinne einzelnerPionierunternehmen durch die Restrukturierungskostenzahlreicher Unternehmen überkompensiert?

Am Ende der Analyse wird deutlich, dass es letztendlichder Faktor Zeit ist, den neue Technologien für eine weiteVerbreitung benötigen. Hinzu kommt die Notwendigkeitergänzender Innovationen, die das volle Potenzial einerTechnologie erst erschließen und Produktivitätswachstumgenerieren. So nutzten 30 Jahre nach Einführung derElektrizität die Hälfte der amerikanischen Produktions-unternehmen diese noch nicht. Der wirkliche Schub kamdann mit der Reorganisation der Arbeits- und Geschäfts-prozesse, die für viele etablierte Unternehmen jedoch eineHürde darstellte, da sie an Bewährtem festhalten wollten. In dem Spannungsfeld von Informationstechnologie,Mitarbeiterqualifikation und Unternehmensorganisationbeziehungsweise -kultur sehen Brynjolfsson und seineKollegen auch aktuell die größte Herausforderung. Sieillustrieren dies am Beispiel des Online-Handels. In den1990er-Jahren Gegenstand eines ähnlichen Hypes wiegegenwärtig die künstliche Intelligenz lag sein Anteil1999 bei 0,2 Prozent und nähert sich erst heute nachmehr als 20 Jahren der Zehn-Prozent-Marke.Während die Kapitalmärkte Erwartungen abbilden undder ökonomischen Realität vorauseilen, basieren nationaleStatistiken auf den Daten der Vergangenheit und sinddaher keine validen Indikatoren für das künftige Pro-duktivitätswachstum, so die Autoren.Analog zur Entwicklung von Elektrizität und Verbren-nungsmotor sehen sie für die künstliche Intelligenz eben-falls eine positive Zukunft, unter der Maßgabe von Komplementärinvestitionen in Mitarbeiter undGeschäftsprozesse. Allerdings handelt es sich auch hierwieder überwiegend um immaterielle Investitionen, diesich nicht in den Unternehmensbilanzen niederschlagen. Fazit: Ein Working Paper, das die Entwicklung derkünstlichen Intelligenz gesamtwirtschaftlich betrachtet,in eine interessante historische Perspektive setzt undvielfältige Impulse für die Zukunft vermittelt.

Der Mensch bewertet und entscheidet

Nicht die volkswirtschaftlichen Implikationen, sonderndie Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf das

Mehr zum Thema

Das Working Paper „ArtificialIntelligence and the Modern Productivity Paradox“ stehtauf der Website des NationalBureau of Economic Research(NBER) zum kostenfreienDownload bereit:http://www.nber.org/chapters/c14007.pdf.

Weitere Informationen und Materialien zum Thema KI finden sich auf der Website der von Erik Brynjolfsson undAndrew McAffee geleitetenMIT-Initiative on the DigitalEconomy: http://ide.mit.edu/.

Ajay Agrawal, Joshua Gans &Avi Goldfarb: PredictionMachines, Harvard BusinessReview Press 2018.

Auf der Website zum Buchhttp://www.predictionmachi-nes.ai finden sich zahlreicheweiterführende Materialien –insbesondere ergänzende Artikel sowie Präsentationender Autoren.

Die klassische Ökonomie versagt, wenn es um neue Technologien geht und immaterielle Faktoren in den Vordergrund treten. Managementprofessor Karlheinz Schwuchow präsentiert Ursachen und erläutert Perspektiven künstlicher Intelligenz im Spannungsfeld von Prognose und Bewertung.

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einzelne Unternehmen sind Gegenstand des Buches„Prediction Machines: The Simple Economics of Arti-fical Intelligence“. Die Autoren Ajay Agrawal, JoshuaGans und Avi Goldfarb, allesamt als Strategie- bezie-hungsweise Marketingprofessoren an der Rotman Schoolof Management der Universität Toronto tätig, lieferneine ökonomische Analyse der Potenziale und Einsatz-felder. Dabei gehen sie zunächst auf die Datenprognoseund die Entwicklung der künstlichen Intelligenz ein.Anschließend betrachten sie Entscheidungsprozesseund die Notwendigkeit der Bewertung von Handlungs-alternativen. Die entsprechenden Werkzeuge sowie derorganisatorische und strategische Kontext künstlicherIntelligenz sind Gegenstand der weiteren Ausführungen,die mit einem gesamtgesellschaftlichen Ausblick enden.Im Mittelpunkt stehen Entscheidungen unter Unsi-cherheit, die mittels künstlicher Intelligenz auf einerbesseren und kostengünstigeren Grundlage getroffenwerden können. Vorhandene Daten werden mittelslernfähiger Algorithmen verarbeitet, neue Informationenauf der Grundlage von Kausalitäten und Korrelationenerzeugt. IT-Programme zur Prognose künftiger Ent-wicklungen eröffnen vielfältige Perspektiven in einemdynamischen und immer komplexeren Umfeld – von

der Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls über dieVorhersage des Wechselrisikos von Mitarbeitern oderKunden bis hin zur Nachfrageentwicklung für bestimmteProdukte.Zahlreiche Beispiele aus der Unternehmenspraxis illus-trieren die Chancen, aber auch die Risiken künstlicherIntelligenz. Dabei wird deutlich, wie wichtig es ist, zwi-schen Datenanalyse, Diagnose und Prognose einerseitssowie Entscheidung andererseits zu differenzieren. JedeEntscheidung setzt eine Bewertung der Handlungsal-ternativen voraus. Hier sind nach wie vor menschlicheIntelligenz und Urteilsvermögen gefordert, vor allemwenn es um ethische Fragen, Emotionalität und Krea-tivität geht. Es sind diese komplementären Fähigkeiten,denen sich das Personalmanagement verstärkt widmensollte, so das Fazit der Autoren.Agrawal, Gans und Goldfarb ist mit „Prediction Ma-chines“ eine wissenschaftlich fundierte, aber dennochgut lesbare Einführung in die Thematik gelungen. Weit-gehend frei von technologischem Ballast vermittelt dasBuch ein umfassendes Gesamtverständnis und ermög-licht es dem Leser, eine eigene Bewertung der Mög-lichkeiten und Grenzen künstlicher Intelligenz vorzu-nehmen. p

Prof. Dr. Karlheinz Schwuchow,

CIMS Center for International

Management Studies,

Hochschule Bremen,

karlheinz.schwuchow@

hs-bremen.de

AUTOR

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Page 58: Personalwirtschaft 2018 ·  Das Magazin für den Job HR Personalwirtschaft 10 2018 17,50 Euro G 21212 ISSN 0341-4698 Art.-Nr. 07720810

58 Personalwirtschaft 10_2018

uPersonalwirtschaft: Google gilt nicht nur in Sachen Personalpolitikals eines der innovativsten Unternehmen. Was veranlasste Sie, zurZeit-Verlagsgruppe zu wechseln?Frank Kohl-Boas: Nachdem ich bisher stets für ausländische Toch-tergesellschaften gearbeitet habe, wollte ich in einem nationalen Unter-nehmen eine Gesamtverantwortung für die Personalpolitik überneh-men. Dabei war es mir wichtig, ein Managementteam zu finden, daseinen Teil des Wandels, den uns die Digitalisierung abverlangt, nochbewältigen muss, ihn ernsthaft angeht und dabei um die entscheidendeBedeutung der Unternehmenskultur und des Umgangs mit Mitar-beitern weiß – und daher dem Personalressort eine strategische Rollezuspricht.

Welche Parallelen, welche Unterschiede sehen Sie in der Personal-arbeit der Zeit-Verlagsgruppe im Vergleich zu Google?Die Verlagsgruppe ist ein Unternehmen, bei dem das gedruckte WortTeil seiner DNA ist. Gleichzeitig zeigt der frühe und nachhaltigeAufbau von Zeit online, die Entwicklung des Selfassessment-ToolsBOA (Berufsorientierung für Absolventen) und von Academics (demStellenmarkt für Wissenschaft und Forschung) sowie die Beteiligungan E-Fellows auch die Weitsicht und den unternehmerischen Mutdes Managements, in digitale Produkte zu investieren. Es erfordertviele Führungsqualitäten, beide Teile des Geschäfts zu führen. Hierist gute Personalarbeit im besonderen Maße gefordert. Wir habendas Potenzial der Digitalisierung bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.Das weiß und fordert auch mein Team, zumal ich erwarte, dass wirüber unsere Abteilung hinaus zum Treiber und Anstifter für denWandel werden. Dazu müssen wir uns auch von einer derzeit inTeilen des Teams bestehenden Allzuständigkeit weiter spezialisieren,um mit den Entwicklungen Schritt zu halten.

Welche Chancen bietet die neue Aufgabe für Ihre Weiterentwick-lung?In meiner Zeit als HR Business Partner war ich maßgeblich für dieSchnittstelle zu den Führungskräften verantwortlich, aber eben nichtfür die Aufgaben, die von den Shared Service Centers und den Centersof Expertise erbracht wurden. Das ist nun anders. Es motiviert michungemein, die Roadmap für die Personalfunktion in Anlehnung anunsere Unternehmensentwicklung zu etablieren, daran anknüpfenddas eigene Team zu entwickeln, aber auch mit den Führungskräftendie Organisation insgesamt weiterzubringen und sie letztlich mit denrichtigen Talenten zu versorgen.

Personalarbeit wird immer digitaler. Wie beurteilen Sie Software-tools und künstliche Intelligenz in HR?

Es kommt auf die richtige Balance an. Bei einem Recruiting-Prozessohne jegliche menschliche Interaktion wäre ich sehr skeptisch. DieNutzung von KI im Rahmen der Vorauswahl von Bewerbungen, derEinsatz von Applicant-Tracking-Systemen und videobasierten Inter-views, Gamification im Assessment oder Edutainment beim Lernenfinde ich sinnvoll und bereichernd. Vor allem dann, wenn es hilft,unbewusste Vorurteile zu reduzieren oder Verhalten zu fördern, ohnejemanden zu manipulieren.

Es heißt oft, man müsse Mitarbeiter auf dem Weg der Digitalisierungmitnehmen. Aber wie und wohin eigentlich?Ich denke, um Menschen mitzunehmen, braucht man zum einen einNarrativ. Zum anderen muss man hinreichend konkret werden underklären, worum es im jeweiligen Kontext geht und was das für denEinzelnen bedeutet. Mein Team wird beispielsweise durch die Ein-führung eines Employee Self Services viele administrative Tätigkeitenan die Mitarbeiter zurückgeben können. Dadurch haben wir mehrZeit für Maßnahmen in der Personal- und Organisationsentwicklungoder im betrieblichen Gesundheitsmanagement.

Bevor Sie am 1. August Ihre neue Stelle antraten, haben Sie ein Sab-batical eingelegt. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gesammelt?2016 konnte ich an einer sechswöchigen Fortbildung in den USAteilnehmen. Damals ging es mir um das Lernen und um Horizont-erweiterung. Dieses Mal hatte ich kein bestimmtes Ziel. Es war eineMöglichkeit, zwischen sonst gleitenden Übergängen von einem altenin einen neuen Job etwas Abstand zu Arbeitsroutinen zu finden undmir Zeit für Privates zu lassen. Ich habe mich mit Kollegen getroffen,ein paar Freunde und Familienangehörige besucht, Zeit gefunden,Bücher und lange Artikel in einer Wochenzeitung zu lesen, in Hausund Garten gewirkt. Die längere Auszeit hat mir die Möglichkeitgeboten, das Weniger-ist-mehr-Prinzip neu zu beleben, und in diesemPunkt war es ein voller Erfolg. (ds) p

EVENT & SZENE SESSELWECHSEL

Frank Kohl-Boas leitet HR bei der Zeit-Verlagsgruppe

„Treiber und Anstifter für den Wandel“Frank Kohl-Boas ist seit 1. August Leiter Personal und Recht der Zeit-Verlagsgruppe. Der 49-Jährige war zuvor mehrere Jahre bei Google tätig, zuletzt als Head of HR Business Partner.

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u Personalwirtschaft: Sie sind bereits seit2001 bei der Fraport AG. Wie sind Sie anIhre neue Aufgabe als ZentralbereichsleiterinPersonal für Führungskräfte In- und Auslandherangegangen?Claudia Briem: Der Einstieg in die neue Auf-gabe verlief sehr smooth, gerade weil ich dieTop-Führungskräfte, die Strukturen und Pro-zesse bereits gut kenne und über ein sehr gutesNetzwerk verfüge. Die ersten Monate habeich bewusst genutzt, um in den intensivenDialog mit meinen Stakeholdern, meinen Füh-rungskräften und Beschäftigten im Bereichzu gehen. Das Ergebnis dieser Gespräche sowiemeine Ideen für eine Neuausrichtung desübernommenen Bereichs sind in meine Stra-tegie eingeflossen. Diese Einzelgespräche, dieich zusätzlich zu dem Tagesgeschäft geführthabe, waren natürlich sehr zeitintensiv. Ichdenke jedoch, dass es gut investierte Zeit war,um den Bereich neu auszurichten und somitauch für die Herausforderungen der Zukunftneu aufzustellen.An welchen Aufgaben arbeiten Sie momentankonkret?Derzeit beschäftigen mich, wie andere Unter-nehmen auch, die Themen Digitalisierung,agiles Arbeiten und Führen und Veränderungder Unternehmenskultur. Im Kern geht esum die Frage, welche neue Führungskulturund Skills wir benötigen und welche Skills wirweiter ausbauen und stärken sollten, um in

Zukunft weiterhin so erfolgreich zu sein. Dazugehört auch, die Rolle von HR neu zu denkenund zu einem noch stärkeren Impulsgeberund Innovationstreiber zu werden. Eine sehrspannende Zeit, die wir derzeit erleben undmitgestalten dürfen.Sie verfügen über eine berufsbegleitendeAusbildung als Wirtschaftsmediatorin undCoach. Warum haben Sie diese absolviert?Neben den rechtlichen und organisatorischenAspekten ist Personalarbeit für mich im Kernauch Coachingarbeit. Es geht darum, beiSchwierigkeiten oder neuen Herausforderun-gen zusammen mit dem Beschäftigten bezie-hungsweise der Führungskraft Lösungen zufinden und sie bei der Umsetzung zu unter-stützen. Zugleich geht es darum, die Füh-rungskraft im weiteren Sinne zum Coach ihresTeams zu entwickeln. Das ist meiner Meinungnach am besten möglich, wenn auch die HR-Bereichsleitung über eine entsprechende Coa-chingausbildung verfügt und diesen Füh-rungsansatz konsequent lebt. Bei stärkerenKonflikten sind die Lösungsansätze und Tech-niken sehr hilfreich, die im Rahmen einerMediationsausbildung vermittelt werden. Siehelfen oft mehr als das klassische HR-Instru-mentarium.Sie sind in Asien und Südamerika aufge-wachsen und betreuten für die Fraport zahl-reiche Auslandsprojekte. Inwiefern helfenIhnen diese Erfahrungen?Die in Asien und Südamerika gesammeltenErfahrungen sind mehr als hilfreich für meineaktuelle Aufgabe. Die Zeit in Singapur hatmich bezüglich Disziplin, Leistungskultur undeinem ständigen Verbesserungs- und Inno-vationswunsch geprägt. Aus Südamerika habeich die Kommunikationsfreude und Empathiemitgebracht. Ich denke, dass bei meiner aktu-ellen Aufgabe die Mischung zwischen diesenAspekten sehr hilfreich ist. (ds) p

Nachgefragt bei Claudia Briem

„Personalarbeit ist auch Coachingarbeit“Claudia Briem begann ihre berufliche Laufbahn bei der Fraport AG und blieb dem Flughafenbetreiber bis heute treu.Seit Januar ist sie Senior Vice President HR Top Executives.

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SESSELWECHSEL-TICKER

+++ Christian Mack ist seit dem 18. JuniGeschäftsführer und Arbeitsdirektor beiDemag Cranes & Components. Der 45-Jährigefolgte beim Anbieter von Industriekranen und Krankomponenten auf Peter Pohlner, der das Unternehmen verlassen hat. +++

+++ Seit dem 1. September ist Harald SpeckMitglied der Geschäftsführung und Arbeitsdi-rektor der SKF GmbH. Der 55-Jährige folgtebeim Wälzlagerkonzern als Arbeitsdirektorauf Martin Johannsmann, Vorsitzender derGeschäftsführung, der die Position ein Jahrlang interimistisch innehatte. +++

+++ Florian Kötting ist seit Anfang Septem-ber Leiter des Zentralbereiches Personal undArbeitsrecht bei den Grillo-Werken. Die Position beim Metall- und Chemieindus-trieunternehmen wurde neu geschaffen. In seiner Funktion berichtet Kötting direkt an die Geschäftsführung. +++

+++ Seit dem 25. Juni dieses Jahres ist VeraTermühlen-Enger Head of Human Resourcesbei Outfittery. Die 38-Jährige berichtet beimPersonal-Shopping-Service-Unternehmen für Männer direkt an Chief Executive OfficerJulia Bösch. +++

+++ Sabine Peters hat die Leitung des Personalbereichs der TX Logistik AG über-nommen. Die 52-Jährige trat ihre Stelle beim Eisenbahnlogistikunternehmen am 1. September an. +++

+++ Spätestens zum 1. Januar 2019 wird Sabine Jaskula Personalvorständin undArbeitsdirektorin bei ZF Friedrichshafen.Außerdem wird die 60-Jährige beim Auto-zulieferer das Ressort Recht übernehmen und für den Bereich Compliance zuständigsein. Damit zieht erstmals eine Frau in denVorstand des Konzerns ein. +++

+++ Auf www.personalwirtschaft.definden Sie unter der Rubrik Der Job HR >Szene laufend ausführliche Personalien aus der Branche. +++

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60 Personalwirtschaft 10_2018

Agile Evolution

Transformation Schritt für Schritt Anhand eines Praxisbeispiels beschreiben die Autoren des Buches „Agile Evolution“, wie in einem agilen Evolutionsprozess innovative Dienstleistungen und Produkte entstehen.Martina Eberl hat für uns die Alltagstauglichkeit dieser Anleitung gecheckt.

Marko Lasnia/Valentin Nowotny: Agile Evolution.Eine Anleitung zur agilenTransformation,Business Village 2018, 304 Seiten, 29,95 Euro

Macht das Buch mit seiner Aufmachung, Haptikund visuellen Gestaltung Spaß?Das DIN-A5-Format macht das Taschenbuch, trotzder 300 Seiten, sehr handlich. Mehr als zehn ganzseitigabgedruckte Zitate und die großen Kapitelüberschriftenund Aufzählungen lockern den Text angenehm auf.Ein breiterer Seitenrand zur Buchmitte hin würde dasLeseerlebnis noch verbessern. Von den grafischen Dar-stellungen war ich ein wenig enttäuscht, die dreizehnSchwarz-Weiß-Illustrationen und -Kästen erinnern andie 1990er-Jahre. Zu so einem zukunftsweisenden Themawürde eine modernere Aufmachung besser passen.

Ist die Gliederung schlüssig? Die Autoren Nowotny und Lasnia schildern in der Ein-führung, warum sich die agile Transformation lohnt.Es folgen die ersten Schritte auf dem Weg dorthin undagile Methoden, wie Scrum und Canvas, werden erklärt.Die vier Kapitel enden jeweils mit einem Blick in einFamilienunternehmen, das ein neues CRM-System ein-führen möchte. Der Juniorchef entschließt sich, dieseAufgabe als agiles Pilotprojekt umzusetzen. In Formeines Businessromans wird das agile Vorgehen für dieLeser beschrieben. Im Text tauchen Schlagworte auf,wie zum Beispiel Lean Startup, Holocracy oder Manage-ment 3.0, die teilweise erst später oder gar nicht erklärtwerden. Wer mit diesen Begriffen noch nicht vertrautist, ist vermutlich für ein Stichwortverzeichnis oderFußnoten und Angaben zu weiterführender Literaturdankbar. Eine echte Bereicherung wären ein Glossarund eine Zusammenfassung der Buchinhalte, etwa inForm von Graphic Recording. Bonus: Als Leser erhältman Zugang zu einer Website und erfährt dort, wiedas Buch entstanden ist. Auch Materialien könnenheruntergeladen werden. Spannend ist, dass die Autorendie Geschichte des Beispielunternehmens auf der Web-site kontinuierlich weitererzählen möchten.

Ist es möglich, mittendrin einzusteigen und gege-benenfalls einzelne Aspekte herauszuziehen, odermuss man das Buch von vorne bis hinten lesen, umetwas damit anfangen zu können?Obwohl die Einblicke in die fiktive Firma auf den vor-herigen Geschehnissen aufbauen, können insbesonderedie theoretischen Inhalte einzeln gelesen werden. EineErleichterung für das Querlesen wäre eine deutlichereKennzeichnung der Passagen des Businessromans plusein Stichwortverzeichnis.

Ist das Buch gut verständlich und haben Sie esgerne gelesen?Mit der fiktiven Geschichte schlagen die Autoren gutnachvollziehbar die Brücke zwischen Theorie undPraxis. Dieser Storytelling-Ansatz gefällt mir sehr gut,so liest sich das Buch leicht und flüssig. Vor allem inder Einführung werden zahlreiche Aspekte aufgeführt.Hier hätte ich mir prägnantere Aussagen gewünscht,zum Beispiel bei den Gründen für eine agile Transfor-mation oder der Schilderung, was agiles Denken aus-macht.

Welche Elemente haben das Buch praxisorien-tiert gemacht? Hat Ihnen etwas gefehlt?Durch den Businessroman erlebt man als Leser, wiedie vorher erklärten Methoden und Konzepte in derPraxis implementiert werden, wie sich die neue vonder bisherigen Arbeitsweise unterscheidet und wie sichein agiles Mindset entwickeln kann. So lernt man aufkurzweilige und anschauliche Weise. Die Entwicklungenin dem fiktiven Unternehmen wirken sehr realitätsnah.Hier spürt man die praktische Erfahrung der Autoren.Besonders spannend ist, wie die unterschiedlichen Cha-raktere mit den Veränderungen umgehen. Die Auflis-tung der Stolperfallen und die Schilderungen, welcheSchwierigkeiten und Widerstände auftreten können,

EVENT & SZENE BÜCHER IM PRAXISTEST

Page 61: Personalwirtschaft 2018 ·  Das Magazin für den Job HR Personalwirtschaft 10 2018 17,50 Euro G 21212 ISSN 0341-4698 Art.-Nr. 07720810

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BUCH-TIPPS

Crashkurs PersonalentwicklungDieser Leitfaden orientiert sich an derBeratungspraxis der Autoren, diedem Leser anhand von Arbeitshilfenim Buch selbst als auch online denEinstieg in den ThemenkomplexPersonalentwicklung vereinfachenwollen. Die Autoren stellen Inhalte,Methoden, Herangehensweisen und Instrumente fürdiesen Bereich der Personalarbeit vor. Das ThemaPersonalentwicklung wird breitgefächert veranschaulicht,ohne dabei an Tiefe zu verlieren. Experten werden hierwenig Neues erfahren, Berufseinsteiger und Interessiertekommen jedoch auf ihre Kosten. Sven Grund/Michael Hess/Wolfgang Weiss: Crashkurs Personalentwicklung.Mitarbeiter fördern und binden, Haufe 2018, 34,95 Euro

Freiheit für ManagerDie beiden Topmanagement-Beraterinnen Dorothea Assig undDorothee Echter lassen über zwanzigJahre Berufserfahrung in dieses Buchüber ihre weltweit anerkannteManagementlehre einfließen. Das„Ambition Management“ beschreibtihren ganz eigenen Ansatz in derPersonalführung, in dem Kontrollmechanismen,Regelungs- und Sicherheitswahn abgeschafft werden undindividuelle Freiheit den Erfolg verspricht. Außerdemliefert das Buch Antworten auf viele gegenwärtige Fragenim Personal- und Unternehmensmanagement. Dorothea Assig/Dorothee Echter: Freiheit für Manager. Wie Kontrollwahn den Unternehmenserfolg verhindert, Campus 2018, 34,95 Euro

30 Minuten: Wie Personaler tickenDie Handreichung von Hans-GeorgWillmann aus der 30-Minuten-Reihevon Gabal wendet sich zwar anBewerber, ist sicher aber auch für Personaler selbst interessant. Der Karrierecoach gibt darin Tipps,um sich in die Welt der HRlerhineinversetzen zu können und eine Bewerbung zum Erfolgzu bringen. Er beschreibt die Sichtweise von Personalernbei der Mitarbeitersuche, nennt Erfolgsfaktoren für dieperfekte Bewerbung und bietet Empfehlungen für dasJobinterview. Ein Glossar zur Sprache der Personalerrundet das schmale Werk ab.Hans-Georg Willmann: 30 Minuten. Wie Personaler ticken, Gabal 2018, 8,90 Euro

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GASTREZENSENTIN

Martina Eberl ist Personalentwicklerin in einem großen mittelständischen Unternehmen.

fand ich sehr hilfreich. Interessant wäre eine Vertiefung, wie manmit diesen umgeht.

In welchen Bereichen Ihrer täglichen Arbeit kann Ihnen dasBuch ganz konkret nutzen?Das Buch vermittelt Grundlagenwissen zu agilen Methoden, Wertenund zur Haltung. Da es aus dem Softwarebezug gelöst wurde, ist esfür Unternehmen anderer Branchen gut nutzbar. Als Leserin wurdeich zur Beobachterin und erhielt einen Eindruck davon, warum sichdiese Veränderungen lohnen, wie agile Arbeitsmethoden eingeführtwerden können und welche Rahmenbedingungen dafür notwendigsind. Für ein eigenständiges Anwenden der Praktiken und Methodenoder um die Organisation durch die agile Transformation zu führenwürde mir das Buch nicht ausreichen. Das scheinen die Autoren auchso zu sehen: Denn sie empfehlen an mehreren Stellen, externe Beraterund Trainer zur Unterstützung ins Boot zu nehmen und sich eineregelmäßige „Bluttransfusion von außen“ zu holen. Da sie selbstBerater sind, müssen sie das ja auch tun ...

Abschließendes Fazit: Löst das Buch sein Nutzenversprechenein und würden Sie es weiterempfehlen?„Eine Anleitung zur agilen Transformation“ – diesen Untertitel findeich mutig. Lässt sich Agilität in einer Organisation durch einen fertigenBauplan entwickeln? Die Autoren weisen gleich zu Beginn daraufhin, dass sie keine universelle Blaupause anbieten, was sie in meinenAugen glaubwürdig macht. Vielmehr ist es ihr Ziel, umsetzbare Teil-schritte zu schildern, auf denen basierend dann eine individuelleLösung entwickelt werden kann. Das ist ihnen gelungen: Sie liefernAnregungen, die helfen, Agilität im Unternehmen auszubauen undzu entwickeln. Durch die Geschichte des Unternehmens gelingt esden Autoren, die Veränderungen anschaulich zu schildern. MeinFazit: Als leichten Einstieg in das Thema Agilität und als Anregungfür mögliche Schritte auf den Weg in die Agilität finde ich das Buchgut geeignet und empfehlenswert. p

Page 62: Personalwirtschaft 2018 ·  Das Magazin für den Job HR Personalwirtschaft 10 2018 17,50 Euro G 21212 ISSN 0341-4698 Art.-Nr. 07720810

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STELLENMARKT

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63Personalwirtschaft 10_2018

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HR BUZZWORD BINGO

Darwinismus ist die Rede – Survival of the Fittest. Apocalypsenow, wie bei den Sauriern. Damals haben schließlich auch diekleinen Nager überlebt, weil sie sich den Lebensbedingungenanpassen konnten. Hätten die großen Urtiere dereinst schon vonDisruption gehört, wäre ihnen ihr Schicksal womöglich erspartgeblieben.

Wie soll nun der Homo sapiens 4.0 mit der drohenden Zerstö-rungsgefahr umgehen? Na, selbst zum Angreifer werden! Fressenoder gefressen werden, lautet die Devise. Besser ist es daher, wennman „ganz vorne als Täter dabei“ ist, hört man von Beraterseite(die Businesssprache wird immer rüder). Manchmal reicht esaber noch nicht, Täter zu sein. Unternehmen wird geraten, sich– falls nötig – selbst zu kannibalisieren. Nun berichtet ja die Psy-chologie von seltenen Fällen der Autokannibalisierung, in denenMenschen … na, lassen wir das lieber.

Wie auch immer, mit „Disruptive Thinking“ sollen Unternehmeneinen „Wertewandel“ vollziehen: weg von Perfektionismus, hinzu Schnelligkeit. Der Käufer darf bei der Ausreifung der Inno-vationen ja mitmachen, kostenlos. Das nennt man Kundenori-entierung. Woher Unternehmen die Ressourcen für die Umstel-lung der Produktionsprozesse nehmen sollen, wird nicht gesagt.Womöglich schneiden sie sich tatsächlich versehentlich ins eigeneFleisch – Disruption der ungewollten Art.

Und was ist mit HR? Ach, die Spezies Personaler wird sowiesowegkannibalisiert. Sie könnte sich aber, sagt man, neue Hand-lungsfelder erschließen, indem sie auf die strategische Entwicklungdes Unternehmens einwirkt (nennt man das nicht HR BusinessPartner?), für Nachhaltigkeit und mehr Menschlichkeit sorgt.Die nötigen disruptiven, agilen, kreativen, innovativen Mitarbeitermüssen sie ja nicht mehr selbst rekrutieren.

Übrigens, sollten Sie demnächst mal wieder eine Nachricht ausdem Tierreich lesen à la „Schlange frisst ausgewachsenen Platz-hirsch“, denken Sie dran: Auch Sie kann es treffen. p

uEines Sommerabends beobachtete ich in Süditalien ein Natur-schauspiel: Eine Gottesanbeterin und eine Echse, beide ungefährgleich groß, hatten sich gegenseitig als Beute auserkoren. Nachqualvollen Stunden gewann die Gottesanbeterin. Öfter kommtes ja vor, dass die Großen die Kleinen fressen, auch in derWirtschaft. Doch in der digitalisierten Welt kann jeder zumFeind werden, heißt es, vor allem die kleinen Start-ups, die maleben aus dem Nichts Beta-Apps auf den Markt werfen, die jederKonsument sofort haben will. Bedroht sind vor allem die großen,etablierten Firmen aller Branchen, die über Nacht und ohne Vor-warnung zerstört werden können.

Seit ein paar Jahren lehrt das Buzzword Disruption die Unter-nehmen das Fürchten. Dabei wird der Begriff oft einfach mitDigitalisierung oder Innovation gleichgesetzt. Und es wird sogetan, als sei es völlig neu, dass Unternehmen geänderte Kun-denbedürfnisse und die Konkurrenz im Auge haben müssen.Zu den kleineren Risiken der wirtschaftlichen Dynamik gehörtdie „Verzwergung“ bis zur Bedeutungslosigkeit, zu den größerendie völlige Zerstörung. Alles ist eine Frage des Überlebens, einWettlauf gegen die Zeit, denn es gilt schnell zu reagieren, sonstdroht man gar kannibalisiert zu werden. Selbst von digitalem

Appetite for DestructionHeute schon disruptiv gedacht? Wenn nicht, wird’s aber Zeit, denn sonst tun es andere und Sie sind weg vom Fenster. Disruption gehört zu den großen Bedrohungendieser Tage, glaubt man den vielen Mahnern.VON UTE WOLTER

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Unsere Topthemen im November

TITEL Deutscher Personalwirtschaftspreis 2018

Die HR-Macher des Jahres Das Publikum und die Jury haben entschieden: Aus über 70 Einreichungenzum Deutschen Personalwirtschaftspreis 2018 wurden die HR-Macher desJahres ermittelt – in sechs Kategorien von Recruiting, Talent Management,BGM, HR-Organisation bis Leadership und Ausbildung. Wir stellen dieGewinner, den Gesamtsieger und die erfolgreichen Projekte ausführlichvor und zeigen die Highlights vom Tag der Preisverleihung.

SPECIAL HR-Outsourcing

Etabliert und akzeptiert Datenschutz, technische Innovationen, Fachkräftemangel – welche Trendsbestimmen den Outsourcing-Markt in den kommenden Jahren? WelcheLösungen und Dienste sind künftig gefragt? Fakt ist: HR-Outsourcing istinzwischen etabliert und akzeptiert, und zwar unabhängig von Brancheund Unternehmensgröße. In unserem Special analysieren wir künftigeEntwicklungen und wagen einen Blick in die Zukunft.

SONDERHEFT E-Recruiting

Von Robotern, Games und Empathie Unsere aktuelle Recruiting-Studie hat gezeigt: Bei Recruitern und Unter-nehmen herrscht nicht nur Zurückhaltung, sondern auch Unkenntnis überdie Möglichkeiten des Data Driven Recruitings. Auch KI im Recruiting ist in aller Munde und beliebtes Thema auf Podien oder in Blogs, aber imTagesgeschäft noch nicht angekommen. Unser Sonderheft E-Recruitinginformiert über Trends und liefert neue Ideen.

Die nächste Ausgabe der Personalwirtschaft erscheint am 31. Oktober 2018.

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Deutschland GmbH. Wir bitten freundlich um Beachtung.

PERSONALWIRTSCHAFT 11_ 2018

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Personalwirtschaft 10_201866

BLICK VON AUSSEN

uGern nutzen HR-Manager die Erkenntnisseder Hirnforschung zur Optimierung ihrer Personalentwicklungsmaßnahmen. Dass dasmenschliche Gehirn zeitlebens lernfähig ist unddass kein Mensch das in seinem Gehirn ange-legte Vernetzungspotenzial jemals ausschöpft,sind ja auch wirklich bahnbrechende Entde-ckungen. Das Problem ist nur, dass jenes injedem Mitarbeiter angelegte Potenzial nur vomIndividuum selbst, nicht aber von seiner Füh-rungskraft entfaltet werden kann. Potenzialent-faltung findet nur statt, wenn der oder die Ein-zelne es selber will. Dazu kann man niemandenüberreden oder gar zwingen – allerdings kannman einladen, ermutigen und inspirieren. Das wiederum kann nicht gelingen, wenn derbetreffende Mitarbeiter zum Objekt der Erwartungen, Beleh-rungen, Bewertungen oder Maßnahmen des Personalentwicklersgemacht, wenn er als eine Humanressource betrachtet und auchso behandelt wird. Natürlich ist das ein unwürdiger Umgang mitMitarbeitern. Wer die Erkenntnisse der Hirnforscher ernst nimmtund sein Unternehmen für die Herausforderungen von Globa-lisierung und Digitalisierung fit machen will, wird umdenkenmüssen. Kurzfristig kann – wie sich vor allem in manchen Unternehmenund auch in der Politik zeigt – Anstandslosigkeit, also ein völligwürdeloses Verhalten von Führungskräften und Managern, eineerfolgreiche Strategie sein, um Einfluss, Macht, Besitz und eigeneVorteile sowie Gewinne auf Kosten anderer zu erreichen. Lang-fristig aber werden im 21. Jahrhundert nur solche Unternehmenerfolgreich sein, deren Mitarbeiter bereit sind, sich mit all ihrenKompetenzen, ihrer Kreativität und Umsicht einzusetzen – ineigener Verantwortung und mit Eigenmotivation für ihre Firma.Das aber machen sie nur dann, wenn sie sich dort auch wirklichwohlfühlen, weil sie gesehen, ernst genommen und wertgeschätztwerden: als Mensch. Als Subjekt, nicht als Ressource. Um das im Gehirn angelegte Vernetzungspotenzial entfaltenund zu außergewöhnlichen Leistungen weiterentwickeln zu kön-nen, brauchen wir Menschen ein Gefühl und ein Bewusstseinunserer eigenen Würde. Mitarbeiter und auch Führungskräftemüssten die Erfahrung machen können, dass es gemeinsambesser geht als gegeneinander. Interessanterweise hat unser Gehirn

längst eine Lösung gefunden, um sich trotz desdurch die Schädeldecke begrenzten Wachstumszeitlebens weiterentwickeln zu können: nichtdurch Vermehrung der Anzahl an Nervenzellensondern durch die Ausweitung und Verbesse-rung ihrer Verknüpfungen – also durch diefortwährende Optimierung ihrer Beziehungen.Auch in Unternehmen ist Weiterentwicklungzu jedem Zeitpunkt möglich, durch eine güns-tigere Art des Umgangs miteinander, durchintensivere, einander unterstützende, einanderermutigende und inspirierende Beziehungenaller Akteure, auch der Führungskräfte undPersonalmanager. Dazu bedarf es einer Unter-nehmenskultur, in der alle voneinander lernenund in der jeder Einzelne spürt, dass er gebraucht

wird und einen wichtigen Beitrag leisten kann. Das gelingt aber selten. Denn die Mitarbeiter haben in der Ver-gangenheit zu viele ungünstige Erfahrungen im Umgang mitihren Führungskräften, oft aber auch miteinander, gemacht. Unddie haben Spuren in ihren Gehirnen hinterlassen, sind zu sehrfesten – aber leider ungünstigen – Überzeugungen, Einstellungenund Haltungen geworden, die nun ihr Verhalten bestimmen.Auflösen lassen sich diese nur durch günstigere Erfahrungen.Die aber kann man nicht erzwingen, trainieren oder anordnen.Mit etwas Kompetenz lassen sich aber geeignete Rahmenbedin-gungen herstellen, innerhalb derer solche Erfahrungen sehr wahr-scheinlich werden. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dassniemand in einem Unternehmen die Erfahrung machen muss,dass sie oder er zum Objekt der Interessen und Absichten, derErwartungen und Belehrungen, der Bewertungen und Maßnah-men anderer gemacht wird. Dass die Mitarbeiter sich wieder alsgestaltende Subjekte erleben dürfen und nicht als verwalteteObjekte. Nur dann kann das Wunder geschehen, dass alle eingemeinsames Anliegen verfolgen, das sie miteinander verbindetund unterschiedliche Interessen wieder zusammenführt.Mit einem Gehirn, in dem jede Nervenzelle und Region ihreInteressen auf Kosten anderer zu verwirklichen versucht, könntenwir keinen einzigen Tag überleben. p

„Zur Potenzialent -faltung können Sie

niemanden überreden.Aber Sie können dazu

einladen.“

Wo bleibt die Würde?Unternehmen können von der Hirnforschung viel lernen – wenn sie ihre Mitarbeiter wirklich

ernst nehmen. Doch oft machen sie sie zum Objekt ihrer Erwartungen und Bewertungen.VON GERALD HÜTHER

PROF. DR. GERALD HÜTHER ist Neurobiologe, Autor und seit 2015 Vorstand der Akademie

für Potentialentfaltung. Sein jüngstes Buch „Würde“ ist im Frühjahr erschienen.

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