+ All Categories
Home > Documents > PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den...

PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den...

Date post: 01-Jan-2020
Category:
Upload: others
View: 12 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
15
6 INHALT Vorworte 8 I. Geschichte und Topographie 1. Geschichte Pergamons – ein Abriss 12 Hans-Joachim Gehrke 2. Lage und Stadtentwicklung des antiken Pergamon 21 Wolfgang Radt 3. Stadtraum und Städtebau im hellenistischen Pergamon 28 Felix Pirson 4. Die Wiederentstehung Pergamons als virtuelles Stadtmodell 36 Eric Laufer – Dominik Lengyel – Felix Pirson – Verena Stappmanns – Catherine Toulouse II. Herrscher und Hof 1. »Wohltaten und Geschenke« – Die Kulturpolitik der pergamenischen Herrscher 44 Hans-Joachim Schalles † 2. Bildnisse der Attaliden 48 Ralf von den Hoff 3. Mythos in der dritten Dimension – Zu Komposition und Interpretation der Herakles-Prometheus-Gruppe 57 Christiane Vorster 4. Die Basileia – Der Palastbezirk von Pergamon 64 Torsten Zimmer 5. Die ›Tänzerin‹ aus Palast V in Pergamon 68 Christiane Vorster 6. Hellenistische und frühkaiserzeitliche Mosaiken und Pavimente in Pergamon 72 Dieter Salzmann III. Heiligtümer und ihre Ausstattung 1. Das Heiligtum der Athena 82 Volker Kästner 2. Die Altarterrasse 92 Volker Kästner 3. Der Pergamonaltar als Palast des Zeus 106 Andreas Scholl 4. Die Altarterrasse als ›sakraler Ort‹ – Überlegungen zur Skulpturenausstattung des Altarplatzes 115 Mathias René Hofter 5. Der Dionysos-Tempel auf der Theaterterrasse im Lichte neuer Forschung 120 Martin Maischberger IV. Pergamenische Plastik 1. Pergamenische Skulpturen in ihrem Kontext 128 Johanna Fabricius 2. Hellenistische Skulpturen aus Pergamon 134 Christian Kunze 3. Pergamon und der hellenistische Klassizismus 143 Jörg-Peter Niemeier 4. Zur Polychromie pergamenischer Plastik. Vom Attalos-Porträt zur ›Athena mit der Kreuzbandägis‹ 150 Clarissa Blume-Jung 5. Die Sitzstatue der Kybele 160 Margrith Kruip 6. Sitzende Gewandstatuen als Zeugnisse weiblicher Kulte im hellenistischen Pergamon 164 Ina Altripp 7 7. Restaurierungsmaßnahmen an pergamenischen Marmorstatuen: Drei Fallbeispiele für Ergänzungen und Rekonstruktionen 172 Wolfgang Maßmann – Astrid Will – Nina Wegel V. Ausgrabung, Erforschung und Visualisierung 1. »Ein Werk, so groß und herrlich ... war der Welt wiedergeschenkt!« – Geschichte der Ausgrabungen in Pergamon bis 1900 182 Ursula Kästner 2. »Wo aber stand der Zeus-Altar, den zu suchen ich gekommen war?« – Die archivalische Dokumentation einer Ausgrabung 191 Johanna Auinger 3. »Die lustigen Zeiten sind dahin!« – Die Grabungen des 20. Jahrhunderts 196 Wolfgang Radt 4. Die Erstpräsentation der pergamenischen Funde im Alten Museum 202 Astrid Fendt 5. Museumsbauten für den Pergamonaltar in Berlin 205 Volker Kästner 6. »Die alte Herrlichkeit der Stadt des Attalos vor dem staunenden Blick emporzaubern« – Das Pergamon-Panorama von 1886 215 Ulrike Wulf-Rheidt † 7. Das Pergamon-Panorama von Yadegar Asisi 222 Stephan Oettermann 8. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst. Die Pergamon-Ausstellungen der Berliner Antikensammlung mit dem Panorama von Yadegar Asisi 228 Andreas Scholl 9. Pergamon in New York: Eine historische Zusammenarbeit 242 Seán Hemingway 10. Das Pergamonmuseum nach Abschluss seiner Generalsanierung und Ergänzung. Die Fortsetzung einer Erfolgsgeschichte 250 Martin Maischberger – Andreas Scholl VI. Objektkatalog 258 Literaturverzeichnis 308 Abbildungsnachweis und Konkordanz 319 PERGAMON MEISTERWERKE DER ANTIKEN METROPOLE UND 360°-PANORAMA VON YADEGAR ASISI BEGLEITBUCH ZUR AUSSTELLUNG
Transcript
Page 1: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

6

INHALT

Vorworte 8

I. Geschichte und Topographie

1. Geschichte Pergamons – ein Abriss 12Hans-Joachim Gehrke

2. Lage und Stadtentwicklung des antiken Pergamon 21Wolfgang Radt

3. Stadtraum und Städtebau im hellenistischen Pergamon 28Felix Pirson

4. Die Wiederentstehung Pergamons als virtuelles Stadtmodell 36Eric Laufer – Dominik Lengyel – Felix Pirson – Verena Stappmanns – Catherine Toulouse

II. Herrscher und Hof

1. »Wohltaten und Geschenke« – Die Kulturpolitik der pergamenischen Herrscher 44Hans-Joachim Schalles †

2. Bildnisse der Attaliden 48Ralf von den Hoff

3. Mythos in der dritten Dimension – Zu Komposition und Interpretation der Herakles-Prometheus-Gruppe 57Christiane Vorster

4. Die Basileia – Der Palastbezirk von Pergamon 64Torsten Zimmer

5. Die ›Tänzerin‹ aus Palast V in Pergamon 68Christiane Vorster

6. Hellenistische und frühkaiserzeitliche Mosaiken und Pavimente in Pergamon 72Dieter Salzmann

III. Heiligtümer und ihre Ausstattung

1. Das Heiligtum der Athena 82Volker Kästner

2. Die Altarterrasse 92Volker Kästner

3. Der Pergamonaltar als Palast des Zeus 106Andreas Scholl

4. Die Altarterrasse als ›sakraler Ort‹ – Überlegungen zurSkulpturenausstattung des Altarplatzes 115Mathias René Hofter

5. Der Dionysos-Tempel auf der Theaterterrasse im Lichte neuer Forschung 120Martin Maischberger

IV. Pergamenische Plastik

1. Pergamenische Skulpturen in ihrem Kontext 128Johanna Fabricius

2. Hellenistische Skulpturen aus Pergamon 134Christian Kunze

3. Pergamon und der hellenistische Klassizismus 143Jörg-Peter Niemeier

4. Zur Polychromie pergamenischer Plastik. Vom Attalos-Porträt zur ›Athena mit der Kreuzbandägis‹ 150Clarissa Blume-Jung

5. Die Sitzstatue der Kybele 160Margrith Kruip

6. Sitzende Gewandstatuen als Zeugnisseweiblicher Kulte im hellenistischen Pergamon 164Ina Altripp

7

7. Restaurierungsmaßnahmen an pergamenischen Marmorstatuen: Drei Fallbeispiele für Ergänzungen und Rekonstruktionen 172Wolfgang Maßmann – Astrid Will – Nina Wegel

V. Ausgrabung, Erforschung und Visualisierung

1. »Ein Werk, so groß und herrlich ... war der Welt wiedergeschenkt!« – Geschichte der Ausgrabungen in Pergamon bis 1900 182Ursula Kästner

2. »Wo aber stand der Zeus-Altar, den zu suchen ich gekommen war?« – Die archivalische Dokumentation einer Ausgrabung 191Johanna Auinger

3. »Die lustigen Zeiten sind dahin!« – Die Grabungen des 20. Jahrhunderts 196Wolfgang Radt

4. Die Erstpräsentation der pergamenischen Funde im Alten Museum 202Astrid Fendt

5. Museumsbauten für den Pergamonaltar in Berlin 205Volker Kästner

6. »Die alte Herrlichkeit der Stadt des Attalos vor dem staunenden Blick emporzaubern« – Das Pergamon-Panorama von 1886 215Ulrike Wulf-Rheidt †

7. Das Pergamon-Panorama von Yadegar Asisi 222Stephan Oettermann

8. An der Schnittstelle von Wissenschaft und Kunst. Die Pergamon-Ausstellungen der Berliner Antikensammlung mit dem Panorama von Yadegar Asisi 228Andreas Scholl

9. Pergamon in New York: Eine historische Zusammenarbeit 242Seán Hemingway

10. Das Pergamonmuseum nach Abschluss seiner Generalsanierung und Ergänzung. Die Fortsetzung einer Erfolgsgeschichte 250Martin Maischberger – Andreas Scholl

VI. Objektkatalog 258

Literaturverzeichnis 308Abbildungsnachweis und Konkordanz 319

PERGAMONMEISTERWERKE DER ANTIKEN METROPOLE UND360°-PANORAMA VON YADEGAR ASISIBEGLEITBUCH ZUR AUSSTELLUNG

Page 2: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

I. GESCHICHTEUND TOPOGRAPHIE

Page 3: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

Die fruchtbare Ebene im unteren Tal des Kaikos im nordwestlichenKleinasien lag ein wenig abseits der großen Verbindungslinien: Die Ha-fenplätze, die für die ägäischen Nord-Süd-Routen wichtig waren, lagenauf Abstand, wenn auch nicht zu weit. Und die großen Wege ins InnereKleinasiens, zu den Zentren Lydiens und Phrygiens und darüber hi-naus, die Flüsse Hermos und Maiandros, zogen weiter südlich dahin,wenngleich nicht unerreichbar. Im Becken selbst ragten einige markan-te und natürlich geschützte Hügel hervor, wo sich in der Eisenzeit Sied-lungszentren entwickelten, zunächst vor allem auf dem steilen Felsenvon Teuthrania, seit archaischer Zeit auch immer mehr auf dem eben-falls schroffen, aber im oberen Teil mehr Platz bietenden Burgberg vonPergamon, der schon im 6. Jh. v. Chr. eine befestigte Siedlung trug.

Die Bevölkerung dort und in der Umgebung war ganz offensicht-lich ziemlich gemischt, aus verschiedenen anatolischen Gruppen be-stehend, und entsprechend mit dem lydisch-phrygischen Hinterlandverzahnt. Wachsende Kontakte ergaben sich auch zu den Griechen, diesich den Aiolern zurechneten und die Hafenstädte bewohnten, vor al-lem die in der Nähe gelegenen Plätze Pitane und Kyme sowie die wei-ter nordwestlich vorgelagerte Insel Lesbos. So kam es ebenfalls zu kul-turellen Entlehnungen, wie etwa der Übernahme des aiolischen Alpha-bets in Phrygien, und zu einer allmählichen Integration der Region indie mythisch-historische Welt der Griechen, vor allem mit den Erzäh-lungen vom Herakles-Sohn Telephos, der aus Arkadien stammte undschließlich König von Teuthrania geworden sein soll. Diese Geschichtewar, wie uns attische Tragödien lehren, bereits im 5. Jh. ausgeprägt.

Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Perser hier, in ih-rem Grenzgebiet gegenüber den nach den großen Erfolgen von Ma-rathon und Salamis in den Küstenzonen dominierenden Athenern,einige ihrer emigrierten griechischen Kollaborateure ansiedelten undihnen die Herrschaft über bestimmte Plätze (und damit auch die da-raus zu ziehenden Einnahmen) übertrugen. In Pergamon sind jeden-falls noch um 400 v. Chr. die Nachkommen eines Gongylos von Ere-tria belegt. Die Bevölkerung blieb wohl gemischt, doch wird der grie-chische Einfluss zugenommen haben, gewiss auch dadurch, dass inder ersten Hälfte des 4. Jhs. in einem schon älteren Quell- und Was-serheiligtum der Kult des Heilgottes Asklepios etabliert wurde, nachdem Vorbild von Epidauros.

Mit dem Alexanderzug kam die gesamte Region unter makedoni-sche Kontrolle. Das feste und gut zu kontrollierende Pergamon wurdenun der Sitz der persischen Aristokratin Barsine. Sie war seit 333v. Chr. eine Zeitlang mit Alexander liiert und hatte ihm (wohl 327)einen Sohn namens Herakles geboren. In ihrem goldenen Käfig aufdem Burgberg von Pergamon wurden Mutter und Sohn schließlichin den Wirren der Diadochenkriege ermordet (309). Mit ihnen lässtsich wohl die Errichtung des wichtigsten pergamenischen Tempels,der Athena Polias, womöglich auch die Einrichtung zugehöriger Kult-spiele, der Panathenäen, in Verbindung bringen. Sollte das zutreffen,dann hätten wir hier einen deutlichen Bezug auf die Mythistorie: He-rakles, Namenspatron des jungen Prinzen, bot sich als Stammvateran, und Athena war die stete Beschützerin von Telephos’ Mutter Augegewesen, in einer in Athen wohl bekannten Geschichte. Zugleich wä-re das winzige Pergamon – Athena Polias war die Stadtgöttin derAthener mit dem Sitz auf der Akropolis und die Panathenäen ihrHauptfest – ganz in die Nähe des einst mächtigen und nun immernoch höchst prestigeträchtigen Athen gerückt worden. Jedenfalls sinddiese Bezüge, zum Stammvater Herakles und zum ruhmvollen Athen,eine Leitlinie im Selbstverständnis und in der Repräsentation der per-gamenischen Herrscher geworden.

Denn dass der wenig bedeutende Festungsplatz aus dem Wind-schatten der Geschichte heraustrat und zu einem glanzvollen Zen-trum der Antike wurde, verdankte sich zunächst den Fähigkeiten ei-nes Mannes und weiterhin entsprechenden Kompetenzen seinerNachfolger und deren Solidarität: Philetairos (ca. 343–263 v. Chr.)war der kinderlose Sohn eines Makedonen namens Attalos, den eswie viele nach Anatolien verschlagen hatte, nach Tieion an der Süd-küste des Schwarzen Meeres, und einer Einheimischen, der Paphlago-nierin Boa. Ihm war von seinem Vorgesetzten, dem Diadochen Lysi-machos, nach der großen Schlacht von Ipsos (301), der erbeuteteSchatz in Höhe von 9 000 Talenten (das ist ein Äquivalent von rund225 Tonnen Silber) anvertraut worden, den er auf seinem strongholdin Pergamon hütete, zunächst loyal, aber nicht um jeden Preis. Alssich die Stimmung in Kleinasien zunehmend gegen den greisen Kö-nig Lysimachos wandte und wohl auch sein Bruder Eumenes in Kon-flikt mit dessen dritter Frau Arsinoe geriet, schloss sich Philetairos Se-leukos I. Nikator an, der seinen Konkurrenten Lysimachos besiegte(281), wenig später aber ermordet wurde (280).

Seine neue Loyalität bewahrte Philetairos auch dessen Sohn An-tiochos I. gegenüber, dem er die sterblichen Überreste seines Vaterszukommen ließ. Auf diese Weise zum Seleukidenreich gehörend und

13

Abb. 1: Paris, Bibliothèque Nationale de France, Département des Monnaies, Médailles et Antiques, Acq. 1983. 248: Tetradrachme mit dem Porträt Eumenes’ II., Pergamon, 166–159 v. Chr.

Geschichte Pergamons – ein AbrissHans-Joachim Gehrke

Page 4: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

28

Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ihren Bann, die mit der raumgreifenden Wir-kung eines dreidimensionalen Bildwerks vergleichbar ist: »Wie eine edleSkulptur noch im Zerstörungszustande die großen Grundlinien ihrerSchönheit, die Phantasie des Beschauers genußvoll anregend, bewahrt, sodieser Ruinenplatz in seiner von der Natur vorgezeichneten, hauptsäch-lich unter Eumenes II. gestalteten Gesamtheit«1 (Abb. 1–2). Das Lob desStadtbildes von Pergamon, hier vorgetragen durch Alexander Conze, denSpiritus Rector der ersten Phase der Ausgrabungen, lässt sich bis in antikeZeit zurückverfolgen. So pries Aelius Aristides, Rhetor des 2. Jhs. n. Chr.und mehrfacher Kurgast im Asklepieion von Pergamon, die Stadt als»[…] von jeder Seite herrlich anzusehen, geradezu ein einsamer Gipfelder Provinz« (Aristides, hieroí lógoi 23,13 p. 35 [Keil]). Diese Wirkung ver-dankt Pergamon einer besonders glücklichen Verbindung von Architek-tur und Natur, die im Wesentlichen bereits im 2. Jh. v. Chr. vollendet war.Der 330 m hohe Stadtberg, ein südlicher Ausläufer des Pindasosgebirges,aber von diesem durch einen flachen Sattel getrennt, bietet mit einem aus-gedehnten Gipfelplateau und einem in seinem oberen Abschnitt relativflach abfallenden Südhang ideale Voraussetzungen für die Anlage einergut zu verteidigenden Höhensiedlung. Dieses Bild bot Pergamon dem an-tiken Betrachter bis zum Anfang des 2. Jhs. v. Chr. Erst mit der Erweite-rung der Stadt bis an den Fuß des Berges – ein Werk des mächtigsten derAttaliden und Erbauers des Großen Altars Eumenes’ II. – entstand das ein-drucksvolle Ensemble, das seine Wirkung durch die architektonischeÜberformung selbst steilster Hanglagen mit Terrassen erzielte. Sie trugenBauten wie das hellenistische Gymnasion, das Theater mit seiner langenPromenade oder den Großen Altar. Der so gestaltete Stadtkörper war vonweithin sichtbar und musste neben dem rauhen Pindasosgebirge im Nor-den und dem kargen Kula Bayırı (dt. gelblich-brauner Hügel) im Südenwie eine Skulptur vor einer Naturkulisse gewirkt haben (Abb. 1).

Bevor wir uns der Frage nach der übergeordneten städtebaulichenPlanung des 2. Jhs. v. Chr. zuwenden, sollen zunächst einige Grundzügeder räumlichen Organisation der Stadt beschrieben werden. Sie betref-fen die Lebenspraxis ihrer Bewohner und sind somit für das historischeVerständnis des »Großstadt-Individuums«Pergamon2 von wesentlicherBedeutung. Weiter unten wird dann zu zeigen sein, wie das Stadtbildund die binnenräumliche Strukturierung der hellenistischen Metropolein einem Entwurf zusammenliefen.

Hierarchisierung des Raumes

Eines der hervorstechendsten Merkmale des pergamenischen Stadtbil-des ist die herausgehobene Position der Basileia (dt. königlicher Bezirk,

s. Beitrag Zimmer), also der königlichen Residenz mit den Palästen,militärischen Anlagen und dem Heiligtum der Stadtgöttin Athena aufdem Gipfelplateau des Stadtberges. Wulf Raeck hat diese Situation tref-fend charakterisiert: »Wie die Ritterburg über dem mittelalterlichenStädtchen, thront der Herrscherpalast über der Wohnstadt von Perga-mon – dort, wo auf der Akropolis der autonomen griechischen Polisdie Götter als übergeordnete Instanz ihre Tempel haben. So scheintdie Topographie der Hauptstadt die sozialen Strukturen von Herr-schern und Beherrschten abzubilden«3. Es stellt sich also die Frage, obder räumlichen Organisation Pergamons ein hierarchisches Prinzipzugrunde lag. Die nähere Betrachtung des Verhältnisses zwischen Ba-sileia und Zivilstadt scheint dies zu bestätigen. So erhebt sich der kö-nigliche Bezirk nicht nur über der Stadt der Bürger, sondern ist durcheine eigene Befestigungsmauer von dieser abgetrennt (Abb. 3). In denunruhigen Zeiten des Hellenismus ist eine solche fortifikatorischeMaßnahme zunächst Ausdruck des Bedürfnisses nach möglichst opti-maler Sicherung des Zentrums der Macht, dem auch die Anlage vonKasernen und Arsenalen im Bereich der Basileia zuzuschreiben sind.Darüber hinaus hatte die Befestigungsmauer aber noch eine symboli-sche Bedeutung, die in ihrer Wirkung auf Bewohner und Besucher derStadt kaum zu unterschätzen ist: Erst die gebaute Grenze zwischen derZivilstadt und den Anlagen auf dem Gipfelplateau machte diese ar-chitektonisch zur Basileia. Denn die Bauten allein, d. h. das Heiligtumder Stadtgöttin, einzelne militärische Anlagen sowie mehrere großePeristylhäuser – die als Wohnungen der Herrscher zwar zu Palästenwurden, sich ihrem Aufbau nach aber nicht von den Häusern reicherBürger unterschieden – gehörten auch zum architektonischen Reper-toire anderer hellenistischer Städte. Wir können also festhalten, dassdie Befestigungsmauer der Basileia wesentlich zur Wahrnehmung Per-gamons als Residenzstadt beigetragen haben muss.

Eine Hierarchisierung des städtischen Raums in ›oben‹ und ›unten‹wird in Pergamon von der Morphologie des Stadtberges vorgegebenund scheint von der erhabenen Position der Basileia bestätigt zu wer-den. Es fragt sich allerdings, ob das Prinzip der Hierarchisierung die ge-samte Strukturierung des Raumes durchdrungen hatte. Wie stand es umdas räumliche Verhältnis unterschiedlicher Funktionsbereiche zueinan-der, wie z. B. Wohnen, Handel und Gewerbe, Religion und Kult, Kulturund Sport, Militär und Verteidigung? Und lässt sich in der Verteilungunterschiedlicher Standards von Wohnbauten eine soziale Segregationbeobachten? Diese Fragen gilt es zu beantworten, da funktionale undsoziale Zonierung evidente Hinweise auf ein hierarchisch gegliedertesStadtgebiet wären.

Stadtraum und Städtebau im hellenistischen PergamonFelix Pirson

Funktionale und soziale Zonierung?

Versucht man im Plan des freigelegten Stadtgebietes von Pergamon un-terschiedliche Funktionsbereiche zu kartieren, wird schnell deutlich,dass es keine gezielte funktionale Zonierung des Stadtgebietes gegebenhat. So finden sich beispielsweise Bauten wirtschaftlicher Zweckbestim-mung in unmittelbarer Nähe und vermutlich sogar innerhalb der Basi-leia, und auch andere Lebensbereiche wie ›Religion und Kult‹ oder ›Kul-tur und Sport‹ sind mehr oder weniger gleichmäßig über das gesamteStadtgebiet verteilt. Dieses Bild behält auch in Anbetracht der Beobach-tung seine Gültigkeit, dass sich im Funktionsplan von Pergamon dreisignifikante Konzentrationen homogener Nutzungen ausmachen las-sen: Militär und Verteidigung auf der Oberburg, Handel und Gewerbeentlang der Hauptstraße und eine Gruppierung von Heiligtümern amSüdhang des Stadtberges oberhalb des Gymnasions (Beitrag Radt Abb.1). Diese Konzentrationen sind jedoch nicht das Produkt einer geziel -ten, primär auf die Schaffung segregierter Funktionsbereiche abzielen-den Planung. Vielmehr standen offenbar ganz praktische Bedürfnisse,wie die militärische Sicherung des Herrschersitzes oder die Nähe vonHandel und Gewerbe zu den Hauptverkehrswegen, im Vordergrund.Im Fall der Heiligtümer dürften kultspezifische Erwägungen und dieSuche nach exponierten Bauplätzen für repräsentative Stiftungen aus-schlaggebend gewesen sein. Während die funktionale Zonierung desStadtgebietes also kein übergeordnetes Ziel der hellenistischen Städte-planer gewesen sein kann, müssen wir doch davon ausgehen, dass diezuletzt beschriebenen funktionsspezifischen Zonen von den Bewoh-nern und Nutzern der Stadt wahrgenommen wurden. Denn die Exis-tenz primär wirtschaftlich oder kultisch geprägter Bereiche und die be-

sondere militärische Sicherung der Oberburg sind evidente räumlichePhänomene, die sowohl den Charakter einer Stadt als Lebensraum prä-gen, als auch die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissemanifestieren und damit zugleich zu deren Stabilisierung beitragen.

Ein ähnlich facettenreiches Bild ergibt sich hinsichtlich einer etwai-gen sozialen Differenzierung innerhalb der Wohnarchitektur Perga-mons. Während die Basileia und eine kleine Gruppe aufwendiger Peris-tylhäuser westlich der Unteren Agora (Beitrag Radt Abb. 1) eine solcheTendenz nahelegen, hat die ausgedehnte Stadtgrabung am Südrand derhellenistischen Altstadt ein ganz anderes, nämlich ein stark durchmisch-tes Bild ergeben (Abb. 4). Zwischen verschiedenen Lagen im Stadtgebiet– Basileia, Altstadt und Neustadt westlich der Unteren Agora – bestan-den also durchaus Unterschiede in der Größe der Häuser und ihrer Aus-stattung ebenso wie im städtebaulichen Anspruch und in der sozialenDurchmischung. Dass dies im Fall der Paläste als der ›Krone‹ pergame-nischer Wohnarchitektur durchaus hierarchische Gründe hatte, liegt aufder Hand. Der Unterschied zwischen dem Bereich der Stadtgrabungund dem Viertel westlich der Unteren Agora reflektiert hingegen dieveränderten städtebaulichen Ansprüche zwischen Alt- und Neustadtund spricht zudem für die hohe Attraktivität von Parzellen nahe den öf-fentlichen Zentren der hellenistischen Neustadt.

Nach dem bisher Gesagten können wir festhalten, dass das Bedürfnisnach sozialer oder funktionaler Segregation als Faktor bei der städtebau-lichen Gestaltung des hellenistischen Pergamon keine wesentliche Rollegespielt haben kann. Das bedeutet freilich nicht, dass es keine Unterschie-de in der Nutzung oder der Wertigkeit einzelner städtischer Lagen gege-ben hätte. Diese Differenzen sind jedoch das Ergebnis einer Vielzahl von

29

Abb. 1: Pergamon. Ansicht des Stadtberges von Süden

Page 5: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

Faktoren, wie z. B. das besondere Sicherheitsbedürfnis der Herrscher, daswirtschaftliche Potential belebter Verkehrswege oder die Attraktivität vonWohnlagen in der Nähe der Zentren des öffentlichen Lebens. Sie sindaber nicht Ausdruck eines übergeordneten Willens zur Segregation. Die-ser Negativbefund führt zu der Frage, ob und in welcher Form das helle-nistische Stadtbild Pergamons räumlich gegliedert war und was dies fürdie Wahrnehmung der Stadt durch ihre Bewohner bedeutete.

Gliederung des Stadtraumes

Stadtmauern boten nicht nur Schutz vor Feinden, sondern waren auch»Schale und feste Haut des Stadtkörpers, der durch sie Grenze und da-mit Gestalt erhält, anstatt sich amorph zu verlieren«4. Damit trugen Be-festigungsanlagen wesentlich zur Wahrnehmung der Städte als archi-tektonische Ensembles bei. Neben der Erzeugung von Zusammenge-hörigkeit und Geschlossenheit konnten sie aber auch ein Stadtgebietgliedern. Pergamon liefert mit der Mauer der Basileia dafür ein promi-nentes Beispiel, das wir weiter oben bereits kennengelernt haben. NachErrichtung des großen neuen Stadtmauerrings im Rahmen der helle-nistischen Stadterweiterung unter Eumenes II. hatte die ältere, sog. Phi-letairische Mauer aus spätklassischer oder frühhellenistischer Zeit ihrefortifikatorische Bedeutung eingebüßt und wurde dementsprechendstellenweise abgetragen und überbaut oder auch als Stützmauer ge-

nutzt (Abb. 5). Ihre Reste blieben jedoch für den aufmerksamen Be-trachter als Reminiszenzen einer älteren Stufe der Stadtentwicklung er-kennbar, zumal sich an ihrer Grenze auch das Straßensystem änderteund der Verlauf der Hauptstraße in seinem oberen Abschnitt die Linieder Philetairischen Mauer nach innen versetzt wiederholt. Für die Dif-ferenzierung zwischen Alt- und Neustadt blieb die Mauer also auchnach ihrer Aufgabe als Befestigung von Bedeutung.

Im Gegensatz zu den Stadtmauern liegt die primäre Funktion des in-nerstädtischen Straßen- und Wegenetzes nicht in der Abgrenzung, son-dern in der Herstellung von Verbindungen. Dennoch sind auch Wege-netze und Straßensysteme geeignet, zu Trägern räumlicher Differenzie-rung innerhalb eines Stadtgebietes zu werden. Für das Gebiet der Ober-stadt bzw. der hellenistischen Altstadt liegt eine verlässliche Rekonstruk-tion der Wegeführung vor (Beitrag Radt Abb. 1). Es handelt sich um einSystem aus mehreren, in einem Abstand von 60–70 m annähernd parallelgeführten Gassen, die von Quergassen im rechten Winkel gekreuzt wer-den. Das Bemühen um einen rasterförmigen Aufbau ist unverkennbar,doch zeigen zahlreiche Abweichungen von einem echten Raster, dass un-terschiedliche Vorgaben durch das Gelände oder ältere Wegeführungenberücksichtigt worden sind. Die Gassen, die hangaufwärts getreppt sind,erreichen in der Regel Breiten von nur 2 m, d. h. es konnten nicht einmalzwei beladene Lasttiere aneinander vorbei geführt werden5.

I. GESCHICHTE UND TOPOGRAPHIE

30

Abb. 2: Pergamon. Neue computergestützte Rekonstruktion des Stadtberges. Ansicht von Südwesten

Stadtraum und Städtebau im hellenist ischen Pergamon

31

Abb. 3: Pergamon. Neue computergestützte Rekonstruktion des Stadtberges. Blick von Südosten auf den Haupteingang der Basileia (»Burgtor«)

Abb. 4: Pergamon. Neue computergestützte Rekonstruktion des Stadtberges. Blick von Süden auf den Bereich der Stadtgrabung

Page 6: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

KOPFLEISTE

48

Annähernd 150 Jahre lang waren die Attaliden Herren von Perga-mon. Stabilität und Bedeutung ihrer Herrschaft stehen jedoch im Ge-gensatz zu unseren geringen Kenntnissen über ihre Bildnisrepräsen-tation. Ein Grund für diesen Befund sind die Repräsentationsprakti-ken der Attaliden selbst: Sie setzten zwar das Bild des Philetairos, derihre Macht begründet hatte, auf ihre Münzen, bis auf eine Ausnahmebeanspruchte dies aber kein weiteres Familienmitglied für sich – einSonderfall unter den hellenistischen Königshäusern. Mit den Münz-porträts fehlt uns auch eine zuverlässige Methode zur Identifikationrundplastischer Attalidenbildnisse. Für eine typologisch-ikonographi-sche Gruppenbildung wären sie, wie bei den Ptolemäern, als Korrek-tiv notwendig. Fragwürdig wird diese Methode, wenn die Kriteriender Benennung von Kopf zu Kopf wechseln oder eine relativ unklare›Familienähnlichkeit‹ postuliert wird. Eine solche an den Profillinienbenannter Porträts festzumachen, könnte erst auf der Grundlage vonReihenuntersuchungen weiterer Herrscherbildnisse zu tragfähigenErgebnissen führen. Diese Methode ist zudem aus Vorstellungen zumKopierverfahren römischer Kaiserbildnisse hervorgegangen. Eine Ver-breitung echter Bildnistypen ist jedoch für hellenistische Herrschernicht nachzuweisen. Deshalb scheidet auch die dritte Methode einersystematisch-typologischen Benennung nach Frisurtypen aus. So pro-blematisch die Situation ist, sie beleuchtet ein Grundphänomen: Hel-lenistische Herrscher griffen anders als die römischen Kaiser offenbarnicht durch normative Modelle aus dem Herrschaftszentrum in dasdurch die Städte dominierte Spiel von Ehrungen für sie ein. Für Eh-renstatuen genutzte Kopien kaiserlicher Bildnisköpfe bezeugten Kon-sens und Akzeptanz. Ehrungen hellenistischer Herrscher hingegendienten, so scheint es, im agonalen und pluralen Wettbewerb von Kö-nigen, Städten und Stiftern der Heraushebung von Differenz – zumalalle Porträts immer anhand von Inschriften, nicht unbedingt durchphysiognomische Charakteristika identifizierbar waren.

Der Ausgangspunkt für valide Aussagen zur attalidischen Bildnis-repräsentation wird somit durch das schmale Corpus sicher benenn-barer Bildnisse und epigraphisch-literarisch überlieferter Porträtskonstituiert. Ziel einer solchen minimalistischen Sicht ist eine belast-bare Klärung der Porträtikonographie der Attaliden, die ihre Bildnis-repräsentation zu bewerten erlaubt.

Textzeugnisse liefern Hinweise auf eine Vielzahl von Attalidensta-tuen in Kleinasien und Griechenland. Wir kennen an die 40 derartig

nachgewiesene Bildnisse: nicht nur Porträts derjenigen Herrscher, diesich seit der Annahme des Titels durch Attalos I. in den Jahren 237–233 v. Chr. basileus nannten, sondern auch ihrer Vorgänger Philetairosund Eumenes I. sowie von Familienangehörigen und Ehefrauen. Siewurden bisweilen nach dem Tod aufgestellt, Porträts der Könige al-lerdings auch vor deren Regierungsantritt (›Prinzenbildnisse‹). Wirdürfen also sowohl mit posthumen Statuen von Attaliden rechnen alsauch mit solchen ohne Königskennzeichnung durch das Diadem.

Die ältesten schriftlich bezeugten Attalidenbildnisse gehören indie erste Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. Bildnisse der Zeit nach dem Endeder Dynastie sind nicht sicher bezeugt. Allerdings reparierte manauch danach noch vorhandene Statuen, ja stellte sogar im 2. und 3. Jh.n. Chr. in Kleinasien neue Bildnisse von Attaliden her.

Unter den epigraphisch belegten Porträtstatuen attalidischer Zeit1

dominieren solche von Eumenes II. und Attalos II. Auffällig ist die re-lativ große Zahl von Porträtgruppen mit zwei oder mehr Attaliden:Herrscher und Angehörige, bisweilen unter Einschluss mythischerVorfahren und Heroen. Solche ›Familienmonumente‹ bezeugen einegenealogisch-dynastische und mythologische Legitimation. Sie fin-den sich in Pergamon selbst, in panhellenischen Heiligtümern, aberauch – kaum mehr als lokal bedeutsam – im phrygischen ApameiaKibotos. Einzelstatuen von Attaliden streuen relativ weit auf demgriechischen Festland, den Inseln und Kleinasien. Auf Delos standenmindestens fünf Attalidenstatuen oder -gruppen, in Delphi etwagleich viele, kaum weniger in Athen. In Heiligtümern (Abb. 2) undim öffentlichen Raum der Städte traten als Stifter lokale Gruppenoder Stadtgemeinden auf, die dadurch zumeist ihre Dankbarkeit fürerwiesene Wohltaten bezeugten, aber auch hochrangige Einzelperso-nen. Die Bildnisse sind also keine reinen Propagandainstrumente derHerrscher. Relativ oft aber fungierten Mitglieder der Herrscherfamilieselbst als Stifter, und zwar in Pergamon und andernorts. Hierbei zieltedas mehrfach knappe Formular der Inschrift – »X stellte [die Statuedes/der] Y auf, seine/n Mutter/Vater/Bruder« – wiederum auf die dy-nastische Genealogie ab (Abb. 3). Man war also weit über den eigenenHerrschaftsraum hinaus anerkannt, visuell präsent und internationalals Herrscherfamilie erkennbar.

In Pergamon stellte das alte Athena-Heiligtum den Brennpunktattalidischer Porträtrepräsentation dar. Neben den bekannten Sieges-monumenten standen hier eine Gruppe von Statuen des Philetairos,seines Bruders (?) und einer weiteren Persönlichkeit, die anlässlichvon Wagensiegen im früheren 3. Jh. v. Chr errichtet worden war2, so-dann eine Weihung des Menogenes aus dem 2. Jh. v. Chr.3, die Statuen

49

Bildnisse der AttalidenRalf von den Hoff

Abb. 1: Porträt Attalos’ I. (Kat. 37)

Page 7: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

der Apollonis und Attalos’ I., Stratonikes und Eumenes’ II. sowie vondessen Brüdern Attalos (II.), Philetairos und Athenaios umfasste, einStatuenpaar Eumenes’ II. und seines Bruders Attalos (II.)4, Einzelsta-tuen Eumenes’ I.5 und Attalos’ I.6, von denen letztere der Feldherr Epi-genes nach den Galliersiegen gestiftet hatte, sowie BildnisseAttalos’ II.7, im 2. Jh. v. Chr. nach Siegen durch die Achaier dediziert,und seiner Mutter Apollonis8. Daneben gab es im Athena-Heiligtumnoch eine Reihe heute nicht mehr benennbarer königlicher Porträts9.Weitere Bildnisse waren auf dem Burgberg aufgestellt10.

In der Wohnstadt stellte das Gymnasion, das im frühen 2. Jh.v. Chr. von Eumenes II. gestiftet wurde, den zweiten bedeutenden Ortvisueller Präsenz der attalidischen Herrscher dar. Hier ist eine Statu-engruppe des Philetairos mit Bildnissen Eumenes’ II. und Attalos’ III.

bezeugt11, deren Nukleus nicht vor Erbauung des Gymnasions ent-standen sein kann, dann aber erweitert wurde. Diodoros Pasparos ver-anlasste nach Zerstörungen in den Mithridatischen Kriegen die Re-paratur dieser Bildnisse. Basen für Bronzestatuen Attalos’ I. bzw. II.und Attalos’ III. wurden ebenfalls im Gymnasion gefunden12. In-schriftlich nachgewiesen ist (mindestens) eine Statue Attalos’ III., dieein Gymnasiarch stiftete; sie war vergoldet und überlebensgroß (te-trapechys = vier Ellen groß)13. Im Gymnasion haben sich weiterhinzwei Statuenbasen gefunden, die vorgeben, älter zu sein als das Bau-werk selbst: Die eine trug ein Bildnis Eumenes’ I. (?), das von seinemVater Philetairos gestiftet worden war, und die andere dasjenige Atta-los’ I., gestiftet von dessen Vater Eumenes I. (Abb. 3)14. Ihr Inschriften-formular ist identisch. Man fragt sich, ob hier ältere Statuen in Zweit-

II. HERRSCHER UND HOF

50

Abb. 2: Istanbul, Archäologisches MuseumInv. 3239: Basisplatte einer Statue Attalos’ II.,gestiftet vom Demos der Milesier, aus demApollon-Heiligtum von Didyma

Abb. 3: Basis einer Bronzestatue Attalos’ I.von der oberen Terrasse des Gymnasions inPergamon

rechte Seite: Abb. 4a–d: Porträtkopf Attalos’ I. (Kat. 37) ohne Lockenkranz

Bildnisse der Attal iden

51

Page 8: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

Das Athena-Heiligtum (Abb. 1) ist schon aufgrund seiner markantenLage auf einem Felssporn an der Südwestecke der Akropolis als einerder ältesten und wichtigsten Kultplätze der antiken Stadt anzusehen.Die wenigen Ruinen, die der heutige Besucher davon auf dem Berg-plateau noch vorfindet, lassen dies kaum noch erahnen1.

Der Bau von mittelalterlichen Befestigungsmauern und Kirchenhat die Architektur des in der hellenistischen Königszeit glanzvollausgestatteten Heiligtums am Ort auf wenige Mauerzüge reduziert.So mussten die Bauten und Denkmäler des Temenos anhand derim weiteren Umkreis verstreuten Spolien mühsam rekonstruiertwerden (Abb. 2). Am Westabhang mit der Theaterterrasse sowie amSüdabhang bis hin zur Altarterrasse fand man die meisten Inschrif-ten und Bauglieder des Heiligtums. Vieles war auch in der türki-schen Festungsmauer der Akropolis und ihren Türmen sowie in derfrühbyzantinischen Mauer am Südhang verbaut. Im westlichen Hof-abschnitt des Heiligtums hatte eine byzantinische Kirche mit denumgebenden Gräbern den Athena-Tempel weitgehend zerstört. Nurin der Nordostecke, geschützt durch den hier ansteigenden Felsen,wurde bei den Ausgrabungen im 19. Jahrhundert noch eine um-fangreiche Schutthalde mit Teilen der hellenistischen Hallenarchi-tektur und zahlreichen Bruchstücken der zugehörigen Waffenreliefsgefunden.

Zu den ältesten Anlagen des heiligen Bezirkes gehört neben demAthena-Tempel und seinem Altar2 an der Südwestspitze die vom Fun-dament einer späthellenistischen Anlage (›Südhalle‹) überbaute Phi-letairische Mauer am Südrand (Abb. 3). Auch die hellenistische Ter-rassenmauer im Westen dürfte einer älteren Linienführung folgen,während im Nordosten das ansteigende felsige Gelände eine natürli-che Begrenzung bildete. Der Zugang kann von Anfang an nur imSüdosten gelegen haben. Mehrere Zisternen in den Anbauten derhellenistischen Nordhalle und unter dem hellenistischen Hofpflastergehen ebenfalls auf eine ältere Bebauung des Areals zurück, wie wahr-scheinlich auch der in den Fels getriebene Treppentunnel, der an derWestseite des Tempels oberhalb des Theaters mündet3.

Eine erste archäologisch fassbare Ausbaustufe zum zentralen Hei-ligtum der Attalidenresidenz fällt in die Regierungszeit Attalos’ I. Da-mals entstanden das Rundmonument im Zentrum des Hofes und dieersten Langbathren parallel zur philetairischen Südmauer. Sie trugen

als monumentale Basen die Bronzestatuen der Siegesdenkmäler desKönigs und seines Heerführers Epigenes.

Während das Rundmonument für den Sieg des Königs über dieTolistoagier an den Quellen des Kaikos (234/33 v. Chr.)4 aufgrund derFelsabarbeitungen und der in der Apsis der byzantinischen Kircheam gleichen Ort verbauten Werkstücke sicher lokalisiert werdenkann, wurden die Inschriften der übrigen Bathren – des großenSchlachtendenkmals und des Epigenes-Anathems – in der türkischenMauer am Südrand und in der frühbyzantinischen Mauer verbaut ge-funden.

Diese mit Weihinschriften bedeckten Marmororthostaten lassensich aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die westlichen Abschnitteeiner lang gestreckten Fundamentzone vor der alten Südmauer ver-teilen5. Einige kleinere würfelförmige Basen6 aus der Zeit Attalos’ I.,deren Inschriften sich auf dieselben militärischen Aktionen beziehenwie die großen Monumente, wurden bei der späteren Neugestaltungdes Bezirkes unter Eumenes II. umgesetzt, da sie den Neubauplänenoffenbar im Wege waren7. Sie können aus diesem Grunde nur im Os-ten oder Norden des Temenos aufgereiht gewesen sein. Die Lang -bathren und kleineren Sockel sind insgesamt aber etwas jünger alsdas zentrale Rundmonument und lassen sich, wie Robert Wenningfeststellte, in die Zeit nach 223 v. Chr. datieren8. Schließlich werdenfür den Kult und die Aufstellung der älteren Inschriftstelen auch Hal-lenbauten existiert haben.

Der Hauptzugang zum Athena-Heiligtum Attalos’ I. muss wegender oben beschriebenen Topographie des Geländes an derselben Stel-le gelegen haben wie das jüngere Propylon. Reste von der Nordwest-ecke eines Stufenbaues unter dem Pflasterniveau des eumenischenEingangsbaues lassen bereits auf ein einfaches Propylon an dieserStelle schließen. Mit diesem Ausgangspunkt ergäbe sich bereits in derfrühen Königszeit entlang der Südmauer des Heiligtums ein von Sie-gesdenkmälern gesäumter Weg, der direkt zum Altarplatz des Athe-na-Tempels führte.

Die Mitte des Hofes dominierte das Rundmonument Attalos’ I.(Abb. 4), für das wie für die meisten Statuenbasen der dunkle, blau-graue Marmor von der nahe gelegenen Insel Lesbos verwendet wur-de9. Es erhob sich über drei Stufen aus jeweils 16 Blöcken. Die beidenunteren Stufen sind ca. 25 cm hoch und haben einen Auftritt von23,5 cm. Darauf folgt eine größere dritte, 38,5 cm hohe und 38 cmtiefe Stufe. Der sich darüber erhebende zylinderförmige Sockel hatteeinen Durchmesser von 3,15 m und bestand einschließlich eines nichtmehr erhaltenen Fußprofils aus sechs Steinlagen. Die abwechselnd

83

Das Heiligtum der AthenaVolker Kästner

Abb. 1: Athena-Heiligtum, Blick von der Bibliothek zum Fundament des Athe-na-Tempels

Page 9: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

135

Die reichen Skulpturenfunde aus Pergamon, die ab den späten 70erJahren des 19. Jahrhunderts nach Berlin verbracht wurden, markierenzugleich den Beginn der Erforschung und Entdeckung der hellenis-tischen Kunst als einer eigenständigen Kunstepoche. Als im Jahr 1886die ersten Fragmente des großen Gigantenkampffrieses des Perga-monaltars (und weitere pergamenische Skulpturen) im Rahmen einerJubiläumsausstellung der königlichen Akademie der breiteren Öf-fentlichkeit zugänglich gemacht wurden, bedeutete dies für Publi-kum und Wissenschaft eine Sensation. Die Besucher sahen sich mitoffensichtlich sehr qualitätvollen antiken Skulpturen konfrontiert,die dem gewohnten Bild von klassischer griechischer Kunst, wie mansie etwa in den hochklassischen Skulpturen des Parthenon verwirk-licht sah, keineswegs entsprachen. Von Merkmalen wie ›edler Einfalt‹und ›stiller Größe‹, wie sie Johann Joachim Winckelmann als Kenn-zeichen vorbildhafter griechischer Kunstwerke betrachtete, konntehier beim besten Willen nicht mehr die Rede sein. Im Gegenteil: DieDramatik und Drastik des dargestellten Geschehens, das laute Pathos,die lebensnahe, sinnliche Präsenz der Figuren und die illusionisti-schen Effekte der Darstellung, die den Betrachter unmittelbar undaffektgeladen in ihren Bann zu ziehen suchen – alle diese Merkmaleerinnerten die Zeitgenossen unwillkürlich an die Kunst des Barock,an Skulpturen von Bernini oder Gemälde von Rubens, die folglichin der antiken Kunst, zumindest an bestimmten Orten und zu be-stimmten Zeiten, eine gewisse Entsprechung zu finden schienen.

Noch während der Ausgrabung in Pergamon notierte Carl Hu-mann, der Entdecker der Altarskulpturen: »Wir haben nicht ein Dut-zend Reliefs, sondern eine ganze Kunstepoche, die begraben und ver-gessen war, aufgefunden.« Der triumphale Unterton dieser Bemer-kung wie überhaupt die – trotz einzelner kritischer Stimmen – en-thusiastische Bewunderung, die den Skulpturen des Pergamonaltarsnun entgegengebracht wurde, beruht wesentlich auf einem allgemei-nen Geschmackswandel, der sich zu dieser Zeit zu vollziehen beginnt.Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts war man des strengen klas-sizistischen Formenkanons Winckelmann’scher Prägung müde ge-worden und suchte auf verschiedenen Gebieten nach neuen Aus-drucksmöglichkeiten. Dabei erfuhr auch die Formenwelt des Barockwieder eine erhöhte Wertschätzung – gut zu verfolgen etwa an derEntwicklung der Fassadengestaltung Berliner Mietshäuser der zwei-

ten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit ihrer zunehmenden und baldüberbordenden Verwendung neobarocker Dekorelemente. Die Zeit-umstände waren für eine positive Aufnahme der pergamenischen Al-tarskulpturen überaus günstig, die Bildwerke waren im richtigen Mo-ment der Öffentlichkeit bekannt geworden.

Wenige Jahre vor Entdeckung der pergamenischen Skulpturen ge-lang es Heinrich Brunn, einige altbekannte Bildwerke aus römischenSammlungen durch eine Kombination mit antiken Schriftquellen alsrömische Kopien nach Vorbildern der pergamenischen Kunst wahr-scheinlich zu machen. Es geht dabei zum einen um die sog. Gallier-gruppe Ludovisi (Abb. 1. 4) sowie um den sog. Sterbenden Gallierim Kapitol (Abb. 6), die, wie wir heute aufgrund von Basen- und In-schriftenfunden vermuten können, auf Bronzestatuen zurückgehen,die als Werke eines Bildhauers namens Epigonos einst ein großes,langgestrecktes Siegesdenkmal König Attalos’ I. im Athena-Heiligtumvon Pergamon schmückten. Das Denkmal (in der Forschung als die›Großen Gallier‹ bezeichnet) wurde in den Jahren zwischen etwa 233und spätestens 223 v. Chr. zur Erinnerung an die Siege des Königsüber die Gallier (ca. 233 v. Chr.) und andere auswärtige Gegner er-richtet. Bei dem zweiten, von Heinrich Brunn mit Pergamon verbun-denen Skulpturenkomplex (den ›Kleinen Galliern‹) handelt es sichum insgesamt neun leicht unterlebensgroße Figuren ehemals ausdem Palazzo Madama in Rom, in denen sterbende bzw. unterliegendeGiganten, Amazonen, Perser und Gallier zu erkennen sind. Sie gehenauf ein von Pausanias (Helládos periegesis 1,25,2) bezeugtes Weihge-schenk eines Königs Attalos von Pergamon auf der Akropolis vonAthen zurück, in dem die Siege der Götter über die Giganten, derGriechen über die Amazonen, der Athener über die Perser undschließlich der pergamenischen Könige über die Gallier in Form un-terlebensgroßer Bronzefiguren dargestellt und vergleichend neben-einandergestellt waren. Der Stil der erhaltenen Werke wie auch his-torische Erwägungen legen nahe, dass es sich bei dem Stifter um At-talos II. handeln dürfte. Obwohl dieses Weihgeschenk in Athen auf-gestellt war, lassen sich die dort aufgestellten Figuren wohl doch der›pergamenischen Skulptur‹ zurechnen. Zumindest im Fall der etwagleichzeitigen Gebäudestiftungen pergamenischer Könige nachAthen kann nachgewiesen werden, dass man sich darum bemühte,in den Architekturformen und der Bautechnik erkennbar die eigene,pergamenische Bautradition zur Schau zu stellen.

Die aufsehenerregenden Skulpturenfunde aus Pergamon selbstsowie die kurz zuvor von Heinrich Brunn vorgenommenen Zuwei-sungen schienen nun keinen Zweifel mehr zu erlauben, dass Perga-

Hellenistische Skulpturen aus PergamonChristian Kunze

Abb. 1: Rom, Museo Nazionale Romano im Palazzo Altemps, 8608. ›Gallier-gruppe Ludovisi‹

Page 10: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

mon ein herausragendes Zentrum der hellenistischen Bildhauerkunstgewesen ist und dass insbesondere der ›barocke‹ Stil des Hochhelle-nismus hier zu seiner höchsten Blüte geführt worden sei. So verwun-dert es nicht, dass in der Folgezeit weitere bedeutende Skulpturenhellenistischen Stilcharakters mit Pergamon verbunden worden sind:so etwa die Statue des ›Barberinischen Fauns‹ in der Münchner Glyp-tothek (Abb. 2), die in der Modellierung des Körpers und der Haa-re dem ›Sterbenden Gallier‹ im Kapitol nahesteht, oder die ›JunoCesi‹ (Abb. 3), die in der Gewandwiedergabe ihre engsten Entspre-chungen in den weiblichen Marmorstatuen von der Altarterrasse(Kat. 20–28) zu finden schien. Selbst der nachweislich von Bildhau-ern aus Rhodos geschaffenen Laokoon-Gruppe im Vatikan wurdenun unter Hinweis auf vergleichbare Figuren des Gigantenkampf-frieses von Pergamon zumindest eine Verbindung mit dem ›perga-menischen Kunstkreis‹ unterstellt.

Solchen Zuschreibungen stehen wir heute skeptisch gegenüber.Sicherlich falsch ist die aufgrund der oben skizzierten Forschungsge-schichte verständliche Vorstellung, dass der ›hellenistische Barockstil‹insgesamt ein spezifisch pergamenisches Phänomen gewesen sei. DieVorliebe für die Gestaltung dramatischer und momenthafter Szenen,das Bemühen um eine lebensnahe, ›realistische‹ Gestaltung wie auchdie Neigung zu gesteigertem Pathos und affektiver Wirkung, dies allessind Merkmale, die sich in der gesamtgriechischen Kunst spätestens

ab dem frühen 3. Jh. v. Chr. deutlich abzuzeichnen beginnen – langebevor Pergamon sich überhaupt zu einem bedeutenderen Kunstzen-trum hätte entwickeln können. Die ökonomischen und machtpoliti-schen Voraussetzungen dafür waren in Pergamon im Grunde erst mitder Annahme des Königstitels durch Attalos I. um 233 v. Chr., in Folgedes Sieges über die Gallier und den daran anschließenden Gebietsge-winnen, gegeben, aber auch danach ist das pergamenische Königtumeher eine Macht mittleren Ranges geblieben.

Aber auch generell ist, bezogen auf die hellenistische Skulptur,die Annahme von distinkten Kunstlandschaften bzw. Kunstzentren,die jeweils eigenständige Wege verfolgten und miteinander konkur-rierten, kaum mehr aufrechtzuerhalten. Bei Bildwerken von eher be-scheidenem handwerklichen Niveau lassen sich zwar manchmaldurchaus gewisse lokale Merkmale im Sinne räumlich begrenzterProvinzialismen erkennen. Die anspruchsvollen, herausragendenBildwerke scheinen jedoch in ihrem Stilhabitus im gesamten grie-chischen Kulturraum einem recht einheitlichen künstlerischen Kon-

IV. PERGAMENISCHE PLASTIK

136

Abb. 3: Rom, Musei Capitolini, 731. ›Juno Cesi‹

Abb. 2: München, Glyptothek, FW 218. ›Barberinischer Faun‹

zept zu folgen; ein Nebeneinander von deutlich unterscheidbaren,vielleicht lokal begrenzten Konzeptionen konnte auf diesem Gebietbislang nicht nachgewiesen werden. Dieser Befund ist kaum erstaun-lich, wenn man die Arbeitsweise und die Marktlage von namhaftenKünstlern der Zeit betrachtet. Wie wir dem reichen Bestand an er-haltenen Bildhauersignaturen entnehmen können, waren die bekann-ten Bildhauer der Zeit für unterschiedlichste Auftraggeber an ver-schiedensten Orten der griechischen Welt tätig. Ein bezeichnendesBeispiel ist etwa ein Bronzebildhauer des späteren 3. Jhs. v. Chr. na-mens Thoinias von Sikyon, der in der uns erhaltenen antiken Kunst-literatur nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Von diesem Thoiniassind zwei Statuen aus Sikyon selbst (darunter eine Porträtstatue fürden makedonischen König Philipp V.), zwei Statuen im Heiligtumvon Oropos (Böotien), darunter eine Reiterstatue, sowie weitere Sta-tuen in Tanagra und Delos bezeugt – und schließlich schuf er in Per-gamon die Statue eines tanzenden Satyrs, die gleichermaßen demGott Dionysos und dem König Attalos I. geweiht war. Es ist zu ver-muten, dass solche Werke international gefragter Auftragskünstlervon lokalen Künstlern gründlich studiert und nachgeahmt wordensind. Der Gang der Entwicklung der hellenistischen Skulptur stelltsich somit als ein komplexes und auch geographisch weit verzweigtesGeflecht von Übernahmen, Aneignungen und Weiterentwicklungendar, das in seinen vielfältigen Verästelungen aufgrund der lückenhaf-ten Erhaltung kaum mehr nachverfolgt werden kann. Das Konzeptder eigenständigen Entwicklung ›nationaler Kunstschulen‹ wird die-sem Befund jedenfalls nicht gerecht.

Was Pergamon betrifft, so ist, nebenbei bemerkt, festzuhalten, dassnach unserer Kenntnis kein Bildhauer aus Pergamon jemals eine Kar-riere wie diejenige des Thoinias erreicht hat. Bis heute ist keine einzigeSignatur eines pergamenischen Bildhauers außerhalb von Pergamonselbst nachweisbar. Ein Exporterfolg scheint somit der ›pergameni-schen Skulptur‹ in der Antike nicht vergönnt gewesen zu sein.

Wenn wir im Folgenden einige Skulpturen aus Pergamon näherbetrachten, so muss man folglich bedenken, dass wir die Eigenartendieser Werke zwar benennen können, sie aber im Wesentlichen alsMerkmale des allgemeinen Zeitstils verstehen müssen, während mög-liche lokalspezifische Elemente uns mangels überregionaler Ver-gleichsmöglichkeiten weitgehend verschlossen bleiben. Abgesehenvon dem formal wenig signifikanten Porträt des DynastiegründersPhiletairos, das uns durch eine Marmorkopie aus einer römischenVilla überliefert ist (Kat. 5.7), sind nach wie vor die ›Großen Gallier‹die ältesten nachweisbaren Skulpturen aus Pergamon (Abb. 1. 4. 6).Sie schmückten, wie bereits ausgeführt, ein langgestrecktes Sieges-denkmal Attalos’ I., das verschiedene, in einzelnen Abschnitten chro-nologisch aufgereihte Siege des Königs aus den Jahren von 233 bis223 v. Chr. feierte (Fränkel 1890, 24–29 Nr. 21–28; Abb. 5). Dargestelltwaren lediglich die besiegten bzw. sterbenden Gegner des Königs,nicht aber die Sieger selbst. Die dort aufgestellten Bronzefiguren wa-ren, wie die ungewöhnliche, fast museal anmutende Signaturformelbezeugt, Werke eines Bildhauers namens Epigonos (Epigonou erga).Dieser Epigonos erscheint noch auf vier weiteren Signaturen, aus-schließlich aus Pergamon, und scheint demnach in der Regierungs-zeit Attalos’ I. der bevorzugte ›Hofbildhauer‹ des pergamenischenKönigshauses gewesen zu sein. Der Umstand, dass er in keiner seinerSignaturen sein Ethnikon (die Angabe seiner Herkunft) nennt, kann

– muss aber nicht – dafür sprechen, dass er aus Pergamon stammtoder zumindest aufgrund seiner Verdienste das pergamenische Bür-gerrecht erhalten hat. Über die Voraussetzungen seiner künstlerischenMeisterschaft, seine Verbindungen mit anderen führenden Bildhau-ern der Zeit, bei denen er gelernt haben könnte, sind wir nicht un-terrichtet.

Die durch römische Kopien überlieferten Gallierfiguren bezeugenjedenfalls die vollendete Meisterschaft des Bildhauers und zählen zuden raffiniertesten Werken der hellenistischen Bildhauerkunst. Die›Galliergruppe Ludovisi‹ zeigt einen jungen gallischen Krieger, der,wenn man zunächst die rechte Flanke der Gruppe betrachtet, zu ei-nem bedrohlichen, direkt auf den Betrachter zielenden Schwerthiebauszuholen scheint (Abb. 1). Folgt man dann der Torsion des Körperszur Vorderansicht der Gruppe hin (Abb. 4) und überwindet dabeidie Blickbarriere des emporgestreckten, schwertführenden Armes, soschlagen die Erwartungen des Betrachters in ihr Gegenteil um: DerAngriff des Galliers gilt nun seinem eigenen Leben. Kraftvoll stößt er

Hellenist ische Skulpturen aus Pergamon

137

Abb. 4: Rom, Museo Nazionale Romano im Palazzo Altemps, 8608. ›Gallier-gruppe Ludovisi‹

Page 11: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

Mit einer ersten großen monographischen Sonderausstellung zumantiken Pergamon und dem Nachleben der Kunst dieser hellenisti-schen Metropole in der Neuzeit wurden 2011/12 die jahrzehntelan-gen wissenschaftlichen Bemühungen der Antikensammlung derStaatlichen Museen zu Berlin um die pergamenischen Antiken erst-mals wie unter einem Brennglas gebündelt. Die museale Präsentati-on1 im Pergamonmuseum und das Begleitbuch2, dessen veränderteNeuauflage hier vorliegt, stellen die Summe einer Vielzahl archäolo-gischer und restauratorischer Einzelaktivitäten dar, wobei hier beson-ders an die vollständige Restaurierung beider Friese des Pergamonal-tars in den Jahren 1994 bis 2004 zu erinnern ist3.

Vor dem Beginn der seit dem Jahr 2000 geplanten Generalsanie-rung und Ergänzung des Pergamonmuseums, die am 2. Januar 2013

in Angriff genommen wurde, nutzte die Antikensammlung die Gele-genheit, ihre umfassenden Bestände zur Archäologie Pergamons erst-mals in einer großen Ausstellung zu präsentieren und deren archäo-logische Erforschung für ein breites Publikum zu dokumentieren. Diein enger Zusammenarbeit mit dem Berliner Architekten und Panora-makünstler Yadegar Asisi organisierte und von ihm und seinem Büroauch gestaltete Schau war vom 30. September 2011 bis zum 30. Septem-ber 2012 im Nordflügel sowie den drei großen Architektursälen desPergamonmuseums zu sehen4. In unmittelbarer Nähe des Pergamon-altares bot sich, ergänzt und erläutert durch das 25 m hohe und 104 mlange Rundbild von Asisi5 im Ehrenhof des Museums (Abb. 2) (s. Bei-trag Oettermann), ein im besten Sinne des Wortes ganzheitlicherBlick auf eine der großen Metropolen der klassischen Antike. Nichtnur die Ausstellung, gerade auch das Panorama selbst, stellten denVersuch dar, einen langen Forschungsprozess punktuell zu verdichtenund einem großen Publikum zu veranschaulichen. So ging der eigent-lichen künstlerischen Bildfindung durch Asisi ein langer Recherche-

229

An der Schnittstelle von Wissenschaft undKunst. Die Pergamon-Ausstellungen derBerliner Antikensammlung mit dem Panorama von Yadegar AsisiAndreas Scholl

Abb. 1: Pergamon. Meisterwerke der antiken Metropole und 360°-Panoramavon Yadegar Asisi, Plakatmotiv 2018

Abb. 2: Berlin. Pergamonmuseum mit Panoramarotunde während der Ausstellung ›Pergamon – Panorama der antiken Metropole‹ 2011/12

Page 12: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

Die Pergamon-Ausstellungen der Berl iner Ant ikensammlung mit dem Panorama von Yadegar Asis i

231

und Dokumentationsprozess vor an, in den zahlreiche Wissenschaftlereingebunden waren6 und der 2017/18 mit der Überarbeitung des Bil-des und der Hinzufügung neuer Szenen seine Fortsetzung fand. Mitüber 1,5 Millionen Besuchern aus aller Welt war der ersten Perga-mon-Schau von 2011/12 in ihrer genau einjährigen Laufzeit ein groß-artiger Erfolg beim Publikum beschieden. Allein das Panorama zogüber 900.000 Besucher an, und natürlich hoffen wir, an diesen enor-men Erfolg mit der neuen Ausstellungshalle zwischen Bodemuseumund Kupfergraben anknüpfen zu können.

Die große Resonanz des Publikums auf die Kombination von ar-chäologischer Sonderausstellung und Panoramabild hatte uns schon2011 auf die Idee gebracht, das auch finanziell äußerst aufwendigeGesamtprojekt während der baubedingten Teilschließung des Perga-monmuseums an einem Ort in unmittelbarer Nähe der BerlinerMuseums insel zu verstetigen. Es sollte ein eigenes Gebäude errichtetund damit die lange Schließzeit – vor allem des Altarsaales – für un-sere Besucher aus aller Welt überbrückt werden. Von vornherein warklar, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihre StaatlichenMuseen zu Berlin dieses ambitionierte Vorhaben nicht aus Eigenmit-teln würden realisieren können. Es bedurfte entweder potenter Spon-soren oder eines privaten Investors, um die Finanzierung zu sichern.Dass ein Investor schließlich gefunden und das Gebäude des BerlinerArchitekturbüros spreeformat (Sebastian Steffin, Alexander Zech)(Abb. 3) nach einer städtebaulichen Ideenskizze Asisis mitsamt derkolossalen, jetzt 30 m hohen Panoramarotunde in nur 14-monatigerBauzeit von Januar 2017 bis Februar 2018 errichtet werden konnte,ist auf Seiten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor allem demehemaligem Finanzchef der Stiftung, Joachim Rau, zu verdanken.

Die jahrelange, ausgesprochen mühsame Genese des Projektes botder Antikensammlung die Zeit, ihr Ausstellungskonzept in Ruhe zuentwickeln und viele wichtige Restaurierungen pergamenischer Bild-werke durchzuführen. Auch konnten Yadegar Asisi und sein Büro mitder Planung und Realisierung weiterer Panoramen in Deutschlandund Europa wertvolle Erfahrung im Umgang mit diesem nicht nurkünstlerisch wiederbelebten, sondern mit den technischen Möglich-keiten unserer Zeit regelrecht neu-erfundenen Medium der Massen-unterhaltung des 19. Jhs. gewinnen. Für Asisi bedeutete das erste Per-gamon-Panorama im Ehrenhof des weltberühmten Museums in derMitte Berlins fraglos den Durchbruch zu internationaler Bekanntheit.Neben den eher peripher gelegenen ›Gründungsstandorten‹ amStadtrand von Leipzig und Dresden mit ihren prächtigen Ziegel-Ga-sometern des späten 19. Jhs. kamen seither Berlin/Check Point Charly,Pforzheim, Lutherstadt Wittenberg, Hannover und Rouen in Nord-frankreich als neue Standorte hinzu. Nunmehr können die mit gro-ßem künstlerischen, technischen und finanziellen Aufwand geschaf-fenen Panoramen7 an weit voneinander entfernten Standorten ge-zeigt und eine wirtschaftlich tragfähige Basis entwickelt werden, dennAsisi finanziert die meisten seiner Projekte komplett aus eigener Ta-sche. Bis dato sind folgende Panoramen in der zeitlichen Reihenfolgeihrer Entstehung und ohne die Wiederauflagen zu nennen:

8848 EVEREST 360° (Leipzig 2003–2005), ROM CCCXII (Leipzig2005–2008), 1756 DRESDEN Dem Mythos auf der Spur (Dresden2006–2011), AMAZONIEN Yadegar Asisis Zauberbild der Natur(Leipzig 2009–2011), PERGAMON Panorama der antiken Metropole(Berlin 2011–2012), DIE MAUER Das asisi Panorama zum geteiltenBerlin (Berlin, seit 2012), LEIPZIG 1813 In den Wirren der Völker-

V. AUSGRABUNG, ERFORSCHUNG UND VISUALISIERUNG

230

Abb. 4: Yadegar Asisi, 360°-Panorama 2018, Ausschnitt: Bildhauerwerkstatt

Abb. 3: Pergamon. Das Panorama, Außenperspektive, Visualisierung 2018 durch spreeformat architekten GmbH

Page 13: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

Die ionischen Säulenpfeiler standen hinter derFrontkolonnade über der Altartreppe. Zwischenkurzen Zungenmauern mit Antenpfeilern bilde-ten sie den Eingang zum Altarhof. Die winkelför-mige Anlage der Anten lässt darauf schließen, dassder Bauplan des Altars eine peristylartige Pfeiler-stellung auch im Innenhof vorsah, die dann abernicht mehr ausgeführt wurde. Säulenpfeiler traten zuerst im makedonischenProfanbau auf. In Pergamon wurden sie für Exe-dra-Räume im Gymnasium und bei den Hallen-stiftungen in Athen in den oberen Frontkolonna-den verwendet.

Schrammen 1906, 50–60; Büsing 1970, 54 f.; Kästner, V. 1986, 30Nr. 31; Rumscheid 1994, Bd. 1, 310  f.; Heilmeyer 1997, 185Nr. 37.

V.K.

Kat. 5 Zwei Fragmente von der

Weihinschrift des Großen Altars

in Pergamon

Im Turm östlich des Burgtores verbaut und beimAbbruch des mittelalterlichen Aufbaus 1883 frei-gelegt175–160 v. Chr.Marmor; B. (A) 55,6 cm; (B) 63,7 cmBerlin, Antikensammlung SMB, IvP 69 A, B (Pe 1.179, Pe 1.180)

Die beiden Bruchstücke gehören aufgrund ihrerAbmessungen und Gestalt (Gliederung der Vor-derseite in drei Fascien und schmale glatte Soffiteauf der Unterseite) zu den Architraven der äuße-ren Hallen des Großen Altars. Auf ihnen sind Teileder Weihinschrift erhalten, die an der Ostseite desAltars angebracht war, wo sie von antiken Besu-chern sofort nach Betreten des heiligen Bezirkeswahrgenommen wurde. Nord- und Südseite schei-den als weniger repräsentativer Orte dagegen ausund eine Anbringung über der Freitreppe im Wes-ten ist nicht möglich, da dort schmalere Architra-ve verwendet wurden.

Die Inschrift bestand aus großen sorgfältig ausge-führten Buchstaben auf der mittleren Fascie derArchitravblöcke. Fragment (A) ist seitlich, oben so-wie auf der Rückseite gebrochen und enthält Res-te der Buchstabenfolge „…ΣΙ[Λ]ΙΣΣ…“, woraus

die Formulierung „ΒΑΣΙΛΙΣΣΗΣ“, „der Königin“,zu erschließen ist. Fragment (B), ist links und obengebrochen und besitzt noch die rechte Stoßfläche.Hier sind die Buchstaben „…Σ ΑΓΑΘ…“ erhalten,was sich zu „… [ΓΕΓΕΜΕΝΟΙ]Σ ΑΓΑΘ[ΟΙΣ]…“,„(wegen erhaltener) Wohltaten“, ergänzen lässt. ImVergleich mit anderen Weihinschriften der Attali-den und nach zeitgenössischer Konvention kanndaraus folgender Inhalt rekonstruiert werden: Kö-nig Eumenes (II.), (Sohn) des Königs Attalos (I.)und der Königin Apollonis, (hat diesen Altar) we-gen erhaltener Wohltaten den Göttern Zeus undder siegbringenden Athene (geweiht). Hypothe-tisch bleiben die Namen der Götter, denen die Stif-tung galt. Das besondere Gewicht, das den Darstel-lungen von Zeus und seiner Tochter Athena imOstfries der Gigantomachie verliehen wurde undSäulenkapitelle mit Darstellungen von Blitzbün-deln unter der Weihinschrift lassen aber vermu-ten, dass diese beiden Götter, besonders aber Zeus,als Adressaten der Weihung anzusehen sind.

Fränkel 1890, 54 f. Nr. 69; Kästner, V. 1986, 31 Nr. 35; Rumscheid1994, Bd. 1, 36; Heilmeyer 1997, 188 f. Nr. 39.

V.K.

Kat. 6 Poseidon, Akroterfigur vom Dach des

Großen Altars

Pergamon, 1879 an der Nordseite des Altarfunda-mentesUm 160 v. Chr.Marmor, aus zehn Fragmenten zusammenge-setzt; H. 133 cmBerlin, Antikensammlung SMB, AvP VII 149

Der bärtige Gott ist schreitend mit vorgestelltemlinken Fuß dargestellt. Sein mit einem überge-schlagenen Zipfel um die Hüfte geschlungenerMantel ist quer über den Rücken zu seiner linkenSchulter geführt, von wo er herabfallend den lin-ken Oberarm bedeckt und dann effektvoll in ho-hem Bogen zurückgeweht wird. Dieses Motiv desvom Wind aufgeblähten flatternden Gewandstof-fes ist charakteristisch für die Figuren auf dem Al-tardach, hier aber besonders ausgeprägt. Das Ge-wand lässt die muskulöse Brust frei. Der fehlenderechte Arm war erhoben und mit einem Dübelangestückt. Der linke herabhängende und leicht

angewinkelte Arm ist dagegen bis auf die gebro-chene Hand vollständig. Eine Einarbeitung im Be-reich des Unterarmes könnte von einem ehemalseingezapften Delphin herrühren. Der Blick desvon langem, strähnig gewelltem Haupthaar ge-rahmten bärtigen Kopfes folgt dem vorgestrecktenrechten Arm, der sich wahrscheinlich auf einenDreizack stützte. Die Plinthe ist bis auf ein kleines Stück des rechtsunten aufliegenden Manteltuches modern. Einegrößere Partie des zurückwehenden Mantels istabgebrochen. Die nach Motiv und Kopfbildungzu den Vatergöttern gehörende Skulptur kann we-gen der mitgefundenen Tritonfiguren als Poseidongedeutet werden. Sie ist in der Ausführung diequalitätvollste Akroterfigur.

Winter 1908, 165–167 Nr. 149; Thiemann 1959, 66 ff.; Heres1986, 55 Nr. 94; Simon 1994, 452 Nr. 35; Grassinger u. a. 2008,110 f.; Picón – Hemingway 2016, 197 f. Nr. 117 (V. Kästner).

V.K.

Kat. 7 Triton vom Dach des Großen Altars

Pergamon, 1879 an der Nordseite des Altarfunda-mentesUm 160 v. Chr.Marmor; H. mit Plinthe 91 cmBerlin, Antikensammlung SMB, AvP VII 166

Erhalten ist der Torso einer unterlebensgroßenMarmorskulptur eines Triton – eines Fabelwesensmit menschlichem Oberkörper und fischschwanz-artigem Unterleib –, dessen Oberkörper schrau-benartig nach links gedreht war. Die Figur ruhtauf einer fast vollständig erhaltenen, dünnenStandplatte von eiförmigem Umriss. Der nackte,in der Vorderansicht nach links gedrehte, musku-löse Oberkörper zeigt nur geringe Ausbrüche amHals und am Ansatz des rechten Armes. Der rech-te, erhobene Arm und der Kopf sind nicht erhal-ten. Sie waren separat gearbeitet und angestückt.Der fehlende Arm, dessen Hand vielleicht einSteuerruder hielt, war mit einem Dübel befestigt,und der nach rechts gedrehte Kopf mit einem kräf-tigen quadratischen Zapfen im Hals eingesetzt.Der linke Arm trägt in der Beuge eine geschraubteund geriefelte Trompeten-Muschel. Ein zackigerKranz kurzer Flossenspitzen trennt in Hüfthöheden Oberkörper vom gebogenen Fischschwanz.

OBJEKTKATALOG

261

Der Pergamonaltar (Kat. 1–11)

Kat. 1 Ionisches Säulenkapitell (Typ A) vom

Großen Altar

Pergamon, alter GrabungsfundHellenistisch, 2. Viertel 2. Jh. v. Chr.Marmor; H. 15 cm, B. (Polster) 34,2 cm, Abstandder Volutenaugen 37 cm, unterer Dm. 34,5 cmBerlin, Antikensammlung SMB, V 4.2-247 (Pe 1.140)

Erhalten ist etwa die Hälfte eines Säulenkapitellsvom kleinasiatisch-ionischen Typus mit einer Glie-derung der Polsterseite in vier tiefe parataktischeKehlen, die von dünnen Rundstäben gesäumt wer-den. In den Zwickeln zwischen den unten rundschließenden Kehlen sitzen zierliche Lotosblüten.Neben dem Exemplar mit unter dem Polsterdurchlaufendem Echinuskyma gibt es auch sol-che, an denen der Eierstab auf die Kapitellfrontenbegrenzt ist. Dieser Kapitelltyp mit seiner Variantewurde in großer Zahl am Altarplatz gefunden. Ergehörte zusammen mit einer ebenfalls traditio-nell-kleinasiatischen Säulenbasis, monolithen io-nisch kannelierten Säulenschäften und dem ioni-schen frieslosen Gebälk zu den äußeren Hallen anden drei Langseiten des Großen Altars.

Schrammen 1906, 34; Kästner, V. 1986, 29 f. Nr. 26–27; Bammer1974; Picón – Hemingway 2016, 200 Nr. 121 (V. Kästner).

V.K.

Kat. 2 Ionisches Säulenkapitell (Typ B) vom

Großen Altar

Pergamon, alter GrabungsfundHellenistisch, 2. Viertel 2. Jh. v. Chr.Marmor; H. 15,2 (19) cm, B. (Polster) 32,2 cmBerlin, Antikensammlung SMB, V 4.2-274 (Pe 1.144)

Das Fragment gehört zu einem weiteren Kapitell-typ (B) der Altarhallen. Das Volutenpolster ist hiernach attischem Vorbild durch ein Band (Balteus)in der Mitte zusammengeschnürt, das über diePolsterstirn bis zum Abakus hinaufgezogen ist.

Das Band ist zwischen seitlichen Rundstäben miteinem konvexen Schuppenband geschmückt. Seit-lich wird es von kleinen Akanthusblättern ge-säumt, aus denen schmale hohle Blattzungen her-vorwachsen, die an den Polsterenden rund ab-schließen. Der Abakus ist ebenfalls mit einem io-nischen Kymation verziert. Dieser Kapitelltyp (B),der mit seinem dekorierten Volutenpolster eineraktuellen Tendenz zur weiteren ornamentalenAusgestaltung des attischen Typus in Kleinasien(Säulenkapitelle des Artemistempels von Magne-sia am Mäander) entspricht, wurde im Altarsaaldes Museums für die Säulenreihe über der Altar-treppe verwendet. Dies könnte auch dem antikenZustand entsprechen, wobei sich die Frage an-schließt, ob bei diesen Säulen dann auch entspre-chend ›modernere‹ Säulenbasen zuzuweisen wä-ren.

Schrammen 1906, 34; Kästner, V. 1986, 30 Nr. 28; Rumscheid1994, Bd. 1, 306; Heilmeyer 1997, 180 Nr. 33; Picón – Heming-way 2016, 201 Nr. 122 (V. Kästner).

V.K.

Kat. 3 Ionisches Säulenkapitell mit

Blitzbündeln vom Großen Altar

Pergamon, alter GrabungsfundHellenistisch, 2. Viertel 2. Jh. v. Chr.Marmor, aus drei Fragmenten zusammengesetzt;H. 14,8 cm, B. (Polster) 34,4 cmBerlin, Antikensammlung SMB, V 4.2-153 (Pe 1.158)

Das etwa zu drei Vierteln erhaltene Kapitell ent-spricht im Aufbau dem Typ (B) der Säulenkapitel-le der Altarhallen. Die Volutenpolster sind aber alsBlitzbündel gestaltet (Typ C): Beiderseits des glat-ten konvexen Balteus, der hier nur bis zur Polster-stirn reicht, treten unter einem Kranz aus glatten

halbrunden Schuppen gedrehte ›Donnerkeile‹ her-vor, zwischen denen stilisierte Flammen nach au-ßen züngeln. Die Blitzbündel sind ein Attribut desWettergottes Zeus, so dass hier eine direkte An-spielung an den Gott vorliegen wird, dem der Al-tar geweiht war. Derartige symbolhafte Darstellun-gen sind in hellenistischer Zeit noch selten (Kapi-tell in Aigai), treten dann aber verstärkt in der kai-serzeitlich-römischen Baukunst auf. Neben demDübelloch auf der Oberseite ist die VersatzmarkeΠΒ erhalten.

Schrammen 1906, 34; Kästner, V. 1986, 30 Nr. 29; Heilmeyer1997, 182 Nr. 35; Picón – Hemingway 2016, 201 f. Nr. 123 (V.Kästner).

V.K.

Kat. 4 Ionisches Säulenpfeilerkapitell vom

Großen Altar

Pergamon, alter GrabungsfundHellenistisch, 2. Viertel 2. Jh. v. Chr.Marmor; H. 14,3 cm, B. 62,2 cmBerlin, Antikensammlung SMB, V 4.2-264 (Pe 1.214)

Das etwa dreieckige Kapitellfragment ist die linkeEcke eines ionischen Säulenpfeilerkapitells. Erhal-ten ist die Frontseite außer der rechten Volute so-wie die linke Polsterseite nicht ganz bis zur Mitte.An der Unterseite ist der obere Abschluss des Säu-lenpfeilers mit angearbeitet. Diese Säulenpfeilerbestanden aus zwei Dreiviertelsäulen, die durchein schmales Pfeilerstück miteinander verbundenwaren. Sie hatten eine attische Basis und standenauf Postamenten (Säulenstühlen). Das zugehörigeKapitell war aus zwei ionischen Volutenkapitellenzusammengesetzt, deren aneinanderstoßendePolsterhälften asymmetrisch über dem Pfeilerkerngedehnt wurden. Die Kapitellfront wirkt mit ei-nem Miniaturperlstab unter dem Echinuskyma -tion sowie relativ kleinen Voluten sehr zierlich.Der abschließende dünne Abakus hat ein Profilaus lesbischer Welle und einem dünnen Plättchen.An der Polsterseite treten beiderseits des ge-schuppten Gurtbandes schmale wellige Akanthus-blätter hervor, die auch die Polsterstirn überde-cken. An der Innenseite sind die Akanthusblätterstärker gedehnt. Hier wachsen schmale Lanzett-blätter hervor, die jeweils in der Mitte der Polster-seite spitzbogig enden.

260

Kat. 1

Kat. 3

Kat. 2

Kat. 4 Kat. 5a Kat. 5b

Page 14: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

Die beiden Szenen können als Vermählung derAuge mit dem siegreich aus der Schlacht gegenTeuthras’ Feinde zurückkehrenden Telephos unddie Wiedererkennung von Mutter und Sohn imBrautgemach gedeutet werden. Die plötzlich auf-tauchende, von den Göttern gesandte Schlangetrennte beide und verhinderte so den Inzest. Wahr-scheinlich kann die Szene rechts mit dem nichtausgestellten Fragment ANT-Inv. TI 98, das die lin-ke Schulter und Haarlocken einer Frau (Auge) so-wie die Schwanzspitze einer Schlange zeigt, er-gänzt werden.

Platten Nr. 22–24

Kampf einer Amazone gegen Griechen

(Nireus tötet Hiera, die Gemahlin des

Telephos)

ANT-Inv. TI 50 (aus sechs verbrannten Fragmen-ten zusammengesetzt); 52–53 (Plattenoberteilund rechtes Randstück); 54–56 (6 aneinanderpas-sende Bruchstücke und zugewiesenes Bein aus 4Fragmenten)An der Nordseite (Nr. 22) und der Südostecke(Nr. 24) des Altarfundaments sowie in der byzan-tinischen Mauer (23) gefunden.Nr. 22: H. 98,5 cm; B. 55 cm; Nr. 23: H. 158 cm;B. 82,5 cm; Nr. 24: H. 110 cm, B. 70 cm

Die drei Plattenfragmente lassen sich zu einerAmazonen-Kampfgruppe zusammenstellen. Vonder linken Platte ist nur das abgeplatzte Relief ei-

nes nach links zurückweichenden Griechen mitBrustpanzer und Helm erhalten. Er deckte sichmit einem erhobenen Schild gegen einen Angriffvon oben, der von einer Amazone auf der rechtsanschließenden Platte ausgeht. Von dieser mittle-ren Platte existiert nur das obere, sehr beschädigteDrittel mit einem nach rechts gerichteten Pferde-kopf und Bruchspuren der Amazone sowie demRelief der erhobenen Streitaxt. Ein ehemals zuge-wiesener Amazonentorso mit rechter entblößterBrust (Inv. TI 51) wurde wegen nicht passendenMotivs 1994 wieder entfernt. Auf dem darunterangesetzten rechten Randstück ist ein linker Armmit Mantel dargestellt, dessen Hand dem Pferd indie Zügel zu greifen scheint. Dieses Motiv ergänztder Torso eines von rechts angreifenden nacktenKriegers in Rückenansicht. Von ihm ist auch nochein Teil des zurückwehenden Helmbusches erhal-ten. Das ebenfalls von hinten gesehene Beinfrag-ment wurde wegen des passenden Bewegungsmo-tivs angesetzt. Es hat keinen direkten Kontakt mitdem Reliefstück und wurde auch an anderer Stellegefunden.

Die Szene entspricht dem üblichen Kompositions-schema einer traditionellen Amazonenkampf-gruppe im griechischen Kampfrelief. Sie wird alsKampf der Gemahlin des Telephos, der AmazoneHiera, in der Schlacht am Kaikos gegen die grie-chischen Invasoren interpretiert. In diesem Kampfwird Hiera von Nireus getötet.

Platte Nr. 51

Aufbahrung der in der Schlacht am Kaikos

gefallenen Hiera

ANT-Inv. TI 22 (mit einem gestückten Kopffrag-ment)Das Plattenstück wurde 1888 in der frühbyzanti-nischen Mauer gefunden.H. 107 cm, B. 71 cm.

Erhalten ist ein großes Stück von der rechten un-teren Plattenecke mit zwei jungen Männern vordem Kopfende einer Kline. Die beiden Männertragen kniehohe in der Hüfte gegürtete Chitoneund auf der rechten Schulter mit Fibeln geknüpfteMäntel. Der Linke nähert sich mit einem vorgehal-tenen Kasten. Der zweite Jüngling steht halb hin-ter dem Kopfende der Kline. Von der auf der Klineliegenden Gestalt ist nur ein Teil des Kopfes mitlocker herabhängenden langen Locken zu erken-nen. Danach scheint es sich um eine weibliche Fi-gur zu handeln.Die Szene wurde als Aufbahrung (Prothesis) derim Kampf gegen die Griechen gefallenen Hiera ge-deutet. Für das Begräbnis der Amazone und Ge-mahlin des Telephos wurde eine Waffenruhe zwi-schen den Kämpfenden vereinbart.

OBJEKTKATALOG

273

Platte Nr. 16

Telephos werden von Auge Waffen überreicht

ANT-Inv. TI 32 (aus drei Fragmenten zusammen-gesetzt)Das Hauptstück und ein große Bruchstück vomrechten Plattenrand wurden nicht weit vonein -ander in der frühbyzantinischen Mauer westlichdes Burgwegs gefunden.H. 117 cm; B. 95 cm

Die Platte ist über den Köpfen der Figuren gebro-chen und an der rechten unteren Ecke fehlt eingrößeres rechteckiges Stück. Das Relief zeigt zweiGruppen von jungen Männern beiderseits einerSzenengrenze. Am linken Rand sieht man zweihintereinander gestaffelte nach links gewandteJünglinge. Da der hintere eine phrygische Mützeträgt, wird es sich um Kleinasiaten aus dem Ge-folge des mysischen Königs Teuthras handelnDer vordere trägt Fellstiefel, einen knielangenChiton mit Hüftgürtung und langen Ärmeln so-wie einen über die Schulter lang herabhängen-den Mantel. Beide bilden das rechte Ende einerSzene, das außerdem im Hintergrund durch ei-nen Pfeiler markiert wurde. Nach rechts folgt ei-ne Gruppe von drei jungen Kriegern. Der erste istim Profil nach rechts dargestellt und trägt einenhellenistischen Helm. Bekleidet ist er außerdemmit einem knielangen Chiton mit kurzen Är-meln, der an der Hüfte gegürtet ist, und einemlang im Rücken herabfallenden Reisemantel. Dervor ihm stehende Jüngling ist barhäuptig in Vor-deransicht und mit geschulterter Lanze darge-stellt. Der über seiner rechten Schulter mit einemFibelknopf zusammengehaltene Mantel hängtvorn bis zu den Knien herab. Er wendet seinenKopf mit leichter Drehung nach links zu seinem

Nachbarn. Vor den beiden steht am Plattenrandein nach rechts agierender Krieger mit Brustpan-zer. Zusammen mit der nicht ausgestellten rechtenAnschlussplatte Nr. 17, die zwei von rechts entge-genkommende Frauen mit Waffen zeigt, wurdediese Szene als Waffenübergabe interpretiert. Da-nach erhält Telephos von Auge die Waffen für denKampf gegen die Feinde des Teuthras. Die voran-gegangene Szene mit den Männern in kleinasiati-scher Tracht könnte die Ankunft des Telephos inMysien dargestellt haben. Das Relief gehört zumOstfries, in dem die Abenteuer und Kämpfe desTelephos nach seiner Ankunft in Mysien geschil-dert werden.

Platten Nr. 20–21

Vermählung des Telephos mit Auge und

Wiedererkennung von Mutter und Sohn

ANT-Inv. TI 36 (mit fünf anpassenden kleinerenFragmenten), TI 37 (mit einem angestücktenArmfragment)Platte Nr. 20 wurde vor der Ostfront des Altar-fundamentes gefunden, das Armfragment vonPlatte 21 vor dessen Nordfront. Nr. 20: H. 125 cm; B. 97 cm; Nr. 21: H. 92 cm; B.71,9 cm

Von Platte Nr. 20 ist das Unterteil mit den Relief-figuren bis auf die unteren Ecken erhalten. Vomanschließenden Relief Nr. 21 ist nur die obere

Hälfte vorhanden, wobei die Darstellungen nurnoch in den Umrissen zu erkennen sind und dasAbschlussprofil fehlt.Die erste Platte zeigt zwei sich nach links bewe-gende Gestalten. Eine junge verschleierte Frau mitgeneigtem Kopf wird anscheinend vorwärts ge-drängt von einem bärtigen Manne, der in ähnli-cher Schrittstellung hinter ihr steht und die rechteHand von unten an ihren linken Unterarm legt.Die Frau trägt einen Chiton und ist außerdem ineinen Mantel gehüllt. Dieser ist fest um den Unter-leib geschlungen und außerdem über Schulternund Kopf gezogen. Links vor ihr steht auf einemhohen Pfeiler die archaistische Statuette einer Göt-tin (vergleichbar der Athena auf der Rückseite ei-nes Goldstaters aus Pergamon, geprägt nach 336 v.Chr.). Sie ist frontal mit eng nebeneinanderstehen-den Füßen und einem Chiton mit unter der Brustgegürtetem Überfall abgebildet. Der Chiton istvorn so gerafft, dass in der Mitte ein Faltensteg nie-derfällt. Ein ehemals angestücktes und eventuellzugehöriges Bruststück zählt zu den Verlagerungs-verlusten. Der flache Pfeilerrest an ihrer linkenSeite scheint einen Naiskos anzudeuten, in demdie Statuette aufgestellt war. Ein weiterer Pfeileram rechten Plattenrand begrenzt die Szene. Vorihm ist in flachem Relief noch das reich verzierteBein einer sich anschließenden Kline zu sehen.Die folgende Platte zeigt vor einem im Hinter-grund aufgehängten Vorhang die Umrisse einesvor einer Schlange nach links ausweichendenMannes.

272

Kat. 11, Platte Nr. 16

Kat. 11, Platten Nr. 20–21 Kat. 11, Platten Nr. 22–24 Kat. 11, Platte Nr. 51

Page 15: PERGAMON - Michael Imhof Verlag · 2018-11-06 · 28 Die antike Metropole Pergamon schlägt den Betrachter mit einer archi-tektonischen Plastizität in ih ren Bann, die mit der raumgreifenden

schienene Publikation über die Palastbauten vonPergamon. Nach dem Vorwort Theodor Wie-gands sind die Aquarelle »von den Malern M.Lübke und Steinhauer nach den in Berlin befind-lichen Originalstücken hergestellt worden«. Die-ses Aquarell diente offenbar als Vorlage für dieRekonstruktion des Alexandersittichs im Mosaik,das bis 2014 im Telephos-Saal des Pergamonmu-seums lag.

Kawerau – Wiegand 1930, Vorwort Taf. XV; Kriseleit 2000, 27Abb. 23; Kästner 2008, 164 Nr. 59 mit Abb. S. 84. – Zum Origi-nal: Kawerau – Wiegand 1930, 58–63; Salzmann 1995, 108–110; Kriseleit 2000, 24–27 Abb. 21. 22; Picón – Hemingway2016, 130 Nr. 35 (U. Kästner).

U.K.

Kat. 46 Rankenfries

Max Lübke oder Steinhauer, o. J.Aquarell, teils lackiert, mit Bleistift-Bemerkun-gen; H. 29,5 cm, B. 42,2 cmBerlin, Antikensammlung SMB, Archiv, P 376

Dieses Aquarell gibt ein Stück des Rankenfrieseswieder, der das Hephaistion-Mosaik in dem Ban-kettraum des Palastes V auf der Akropolis von Per-gamon umrahmt. Unter dem Doppelflechtbandbiegen sich Akanthus- und Weinranken mit fastplastisch erscheinenden Trauben, Blüten und ein-gerollten Ranken, zu denen sich eine Heuschreckegesellt. Das originale Mosaik (Mos. 70) stammt ausder Zeit kurz vor der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. DasAquarell zeigt minutiös die Mosaiksetzung undgibt auch kleine Beschädigungen (Risse, Verset-zungen) wieder. Auch diese Vorlage wurde offen-bar für die Restaurierung des Mosaikbodens ver-wendet, das heute im Hellenistischen Saal des Per-gamonmuseums liegt.

Kawerau – Wiegand 1930, Taf. XVII; Kästner 2008, 164 Nr. 60mit Abb. S. 85. – Zum Original: Kawerau – Wiegand 1930,58–61. 63–65; Salzmann 1995, 103–107; Kriseleit 2000, 17–23 Abb. 14; Picón – Hemingway 2016, 130 f. Nr. 37 (U. Käst-ner).

U.K.

Kat. 47 Mosaikfragment mit Künstler-

signatur

Max Lübke oder Steinhauer, o. J.Aquarell, teils lackiert, mit Notizen; H. 30,5 cm,B. 39 cmBerlin, Antikensammlung SMB, Archiv, P 375

Das Aquarell eines unregelmäßigen Mosaikfrag-ments auf dunklem Grund zeigt ein an dreiEcken mit Wachs befestigtes Stück Pergament,

dessen vierte Ecke aufgebogen ist, mit der Signa-tur des Künstlers Hephaistion: ΗΦΑΙΣΤΙΩΝΕΠΟΙΕΙ (Hephaistion hat [es] gemacht). DasMosaikfragment stammt wie Kat. 46 vom He-phaistion-Mosaik aus dem Bankettraum des Pa-lastes V von Pergamon, das 1886 gefunden wur-de.

Kawerau – Wiegand 1930, Taf. XIX; Kästner 2008, 164 Nr. 61mit Abb. S. 85. – Zum Original: Kawerau – Wiegand 1930, 58–61. 63–65; Salzmann 1995, 103–107 Taf. 17, 2; Kriseleit 2000,17–23; Picón – Hemingway 2016, 130 Nr. 36 (U. Kästner).

U.K.

OBJEKTKATALOG

305

Kat. 44 Rekonstruktion des Mosaikbodens im

Altargemach des Palastes V

Anonym, o. J.Papier, Bleistift und Wasserfarben; H. 75,0 cm, B.60,0 cmBerlin, Antikensammlung SMB, Archiv, P 537

Die Dokumentation des gesamten erhaltenenMosaikbodens (Kat. 43) ist wahrscheinlich kurznach der Auffindung 1886 angefertigt worden.Die erhaltenen Teile des großen Mosaiks sind far-big ausgeführt; Fehlendes ist grau und in Umris-sen ergänzt. Zwischen zwei gegenständig ange-ordneten opulenten Fruchtgirlanden befindensich drei Felder, von denen eines die erhaltenenReste des Alexandersittichs zeigt (s. Kat. 45). Inden beiden oberen Feldern befinden sich Reste ei-ner tragischen sowie einer komischen Maske. DieAussparung im Fußboden zwischen den Maskenwar für ein Bema oder einen Altar bestimmt. Auf-grund der Maskendekoration muss das Mosaik zueinem Kultraum für Dionysos Kathegemon ge-hört haben.Im Telephos-Saal des Pergamonmuseums war biszur Schließung der vordere Teil des Mosaiks nachdieser Zeichnung mit einer Girlande und den dreiFeldern rekonstruiert. Nachgrabungen in den Jah-ren 1989 und 1990 in Pergamon brachten das Er-gebnis, dass ursprünglich nur zwei Emblematavorhanden waren, zwischen denen sich eine wei-tere bildliche Darstellung befand.

Kawerau – Wiegand 1930, Taf. XII; Salzmann 1995, Taf. 20; Käst-ner 2008, 164 Nr. 62 mit Abb. S. 84. – Zum Original: Kawerau– Wiegand 1930, 58–63 Texttaf. XXIV; Salzmann 1995, 108–110;Kriseleit 2000, 24–27.

U.K.

Kat. 45 Alexandersittich

Max Lübke oder Steinhauer, o. J.Aquarell, teilweise lackiert, mit Bleistiftnotizen;H. 41 cm, B. 48,3 cmBerlin, Antikensammlung SMB, Archiv, P 378

Das Aquarell zeigt ein Emblem des Mosaiks ausdem Altargemach des Palastes V von der Akropo-lis zu Pergamon (Kat. 43). Dargestellt ist ein Ale-xandersittich (Palaeornis torquatus), der an seinemgrünen Gefieder mit rotem Halsband und einemrotbraunen Fleck an der Schulter erkennbar ist.Die aus Asien stammenden Edelsittiche waren inder Antike nach den Feldzügen Alexanders be-kannt geworden und galten sicher als kostbarerBesitz und Statussymbol. Die Zeichnung veran-schaulicht deutlich durch die angegebenen Mo-saiksteine die erhaltenen Teile und die auf dunk-lem Grund ergänzten Bereiche an Kopf undBrust des Vogels. Dieses Aquarell und die folgen-den waren auch Druckvorlagen für die 1930 er-

304

Kat. 44

Kat. 45

Kat. 47

Kat. 46


Recommended