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Paschke2000_Wortarten

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 Kriterien und Probleme der Definition von Wortarten Ein exemplarischer Vergleich von vier Referenzgrammatiken Peter Paschke
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© Peter PaschkePadova 2000

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1. Vorbemerkung.....................................................................................................................................52. Wort und Wortart ............................................................................................................................... 6

2.1. Zum Begriff des "Wortes"........................................................................................................62.1.1. Abgrenzung von benachbarten Wörtern .........................................................................62.1.2. Lexem, syntaktisches Wort, Wortform............................................................................7

2.2. Wortartdefinition: Kriterien, Probleme und Anforderungen..............................................82.2.1. Kriterien der Wortartdefinition.........................................................................................82.2.2. Probleme der Wortartdefinition........................................................................................ 92.2.3. Anforderungen an die Wortartdefinition.......................................................................10

2.3. Kriterien der Wortartdefinition in den vier untersuchten Grammatiken ........................11

2.3.1. Ulrich Engel: Deutsche Grammatik (2. Aufl., 1991)....................................................112.3.2. Gerhard Helbig/ Joachim Buscha: Deutsche Grammatik (14. Aufl. 1991) .............122.3.3. Elke Hentschel/Harald Weydt: Handbuch der deutschen Grammatik

(2. Auflage 1994)................................................................................................................132.3.4. Drosdowski u.a.: Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache

(5. Aufl. 1995) ....................................................................................................................153. Ausgewählte Probleme der Abgrenzung von Wortarten in vier Referenzgrammatiken ........17

3.1. Artikel oder Pronomen?..........................................................................................................17

3.1.1. Engel ...................................................................................................................................13.1.2. Helbig/Buscha...................................................................................................................193.1.3. Hentschel/Weydt ..............................................................................................................203.1.4. Duden-Grammatik............................................................................................................21

3.2. Adverb oder Adjektiv? ............................................................................................................223.2.1. Engel ...................................................................................................................................23.2.2. Helbig/Buscha...................................................................................................................23

3.2.3. Hentschel/Weydt ..............................................................................................................243.2.4. Duden-Grammatik............................................................................................................25

3.3. Modal- und Rangierpartikel, Modalwort, Satz- und Kommentaradverb.........................263.3.1. Engel ...................................................................................................................................23.3.2. Helbig/Buscha...................................................................................................................293.3.3. Hentschel/Weydt ..............................................................................................................303.3.4. Duden-Grammatik............................................................................................................32

4. Resümee..............................................................................................................................................3Bibliographie...............................................................................................................................................4

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1. Vorbemerkung

Eine Hausarbeit zum Thema "Wortarten" in einem Seminar zur Syntax1? Liegt die Definition von Wortarten bzw. –klassen nicht auf einer ganz anderen Ebene als die Analyse syntaktischer

Strukturen?

Natürlich handelt es sich bei Wortklassen und syntaktischen Funktionen prinzipiell um zwei

verschiedene Ebenen, die auseinanderzuhalten sind. Die Verwechslung von "Adverb" und

"adverbialer Bestimmung" (vgl.3.2) ist ein Beispiel für die Probleme, die aus einer mangelnden

Trennung entstehen. Gleichzeitig aber spielen syntaktische Kriterien bei der Wortartdefinition

eine große Rolle; grob gesagt sind Wortklassen oft dadurch definiert, daß ihre Elemente auf

bestimmte syntaktische Funktionen "spezialisiert" sind. Und in der Regel wird man von

Wortklassen erwarten, daß sie syntaktisch relevant sind, d.h. daß syntaktische Regeln auf sie

zugreifen können.

Es ist allerdings keineswegs so, daß gängige Grammatiken des Deutschen syntaktische

Kriterien bei der Wortklasseneinteilung in gleicher Weise berücksichtigen. Vielmehr wechseln die

Kriterien bzw. werden unterschiedlich gewichtet und die Resultate sind dementsprechendheterogen. Selbst Wortartbegriffe wie "Adjektiv", "Artikel", "Pronomen" werden in

verschiedenen Grammatiken nicht einheitlich definiert. Im Partikelbereich ist die terminologische

und inhaltliche Verwirrung eher noch stärker ausgeprägt.

Aus der Erfahrung, daß fremdsprachlicher Deutschunterricht oder Lexikographie durchaus

nicht auf einer einheitlichen Wortklasseneinteilung aufbauen können2, ist das Interesse am Thema

der vorliegenden Hausarbeit entstanden. Sie möchte einen Einblick gewinnen/geben in

unterschiedliche Verfahren, in Kriterien und Probleme der Definition von Wortarten. Dazu wurden vier Grammatiken3 ausgewählt und kritisch miteinander verglichen:

Engel 1991: Deutsche Grammatik (2. Auflage) (zitiert alsEN )

1 Die vorliegende Arbeit entstand als Hausarbeit im Rahmen eines M.A.-Studiums am University College Dublin imStudienjahr 1999/2000 (Syntax-Seminar von Cliona Marsh)2 Konkret habe ich diese Erfahrung bei der Arbeit an einem Zusatzmaterial (Glossar, Funktionswortschatz, Wortfamilien) zu folgendem Lesekurs für Geisteswissenschaftler gemacht: Böhmer, Maria/ Zoepffel Tassinari,Ursula: Il tedesco scientifico. Wissenschaftsdeutsch. Corso di lettura, Rom: Bulzoni Editore 1997 (2. Auflage). Zieldieser Arbeit ist allerdings nicht die Lösung didaktischer oder lexikographischer Probleme, sondern dieBeschäftigung mit grundsätzlichen Problemen der Wortklassendefinition.3 Vollständige bibliographische Angaben im Literaturverzeichnis

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Helbig/Buscha1991: Deutsche Grammatik (14. Auflage) ( HB )

Hentschel/Weydt 1994: Handbuch der deutschen Grammatik (2. Auflage) ( HW )

Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache 1995 (5. Auflage) ( DU )Der Vergleich hat exemplarischen Charakter und beschränkt sich auf die Abgrenzung von

Artikel und Pronomen ( 3.1), die Unterscheidung von Adjektiv und Adverb ( 3.2) und die

Definition der sogenannten Modalpartikeln bzw. –wörter ( 3.3).

Zuvor aber sollen (in Kapitel2) einige Voraussetzungen geklärt werden. Dazu gehören der

Wortbegriff ( 2.1) und eine von der traditionellen Zehn-Wortarten-Lehre (und ihrer Kritik)

ausgehende Einführung in Kriterien und Probleme der Definition von Wortarten ( 2.2).

Schließlich wird (in2.3) dargestellt, wie die vier untersuchten Grammatiken auf einer allgemeinen

Ebene die Einteilung in Wortarten begründen.

2. Wort und Wortart

2.1. Zum Begriff des "Wortes"

2.1.1. Abgrenzung von benachbarten Wörtern

Die Rede von Wortarten oder –klassen4 setzt eigentlich voraus, daß man zunächst angibt, was

unter "Wort" zu verstehen ist. Engel (EN 15f.) zeigt, daß eine Definition wie "kleinste relativ

selbständige sprachliche Einheit mit eigener Bedeutung" sehr bald in Widersprüche führt. Es

leuchtet z.B. nicht ein, warum dem Futur-Hilfsverb "wird/ werden" mehr Selbständigkeitzuerkannt werden soll als dem Ablaut in einer Präteritumform. Die orthographischen

Konventionen (Zusammen- oder Getrenntschreibung) scheiden als alleiniges Kriterium aus, denn

es handelt sich z.T. um willkürliche Festlegungen (wie der durch die aktuelle Rechtschreibreform

bedingte Wandel belegt). Engel zitiert (und problematisiert) einige weitere Versuche, den Begriff

der Selbständigkeit zu präzisieren. Demnach wären Wörter, solche sprachlichen Einheiten, die a)

als Satzglieder fungieren können oder b) als Kern von Satzgliedern erscheinen können oder c)

4 Ich verwende Wortklasse und Wortart synonym. Die entsprechenden Termini in anderen Sprachen sind: engl. partsof speech , frz. parties du discours , lat. partes orationis , ital. parti del discorso.

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sich jederzeit von ihrer sprachlichen Umgebung trennen lassen. Aber in jedem Fall ergeben sich

Widersprüche; denn jede der vorgeschlagenen Definitionen grenzt sprachliche Elemente aus, die

traditionell als Wörter verstanden werden. Engel konstatiert schließlich, daß alle

Definitionsversuche bisher erfolglos geblieben sind, ist aber der Ansicht, daß die Probleme nur

Randbereiche betreffen und die Rede vom "Wort" sich gleichwohl auf einen breiten Konsens

stützen kann. Hinsichtlich der Isolierung des einzelnen Wortes innerhalb des Satzverbandes bzw.

der Lautkette möchte ich es bei diesem Befund belassen.5 Abschließend sei angemerkt, daß alle

vier untersuchten Grammatiken, die Klassifikation von (orthographisch) mehrgliedrigen

Ausdrücken – Engel spricht von "komplexen Wörtern" – wieein wenig(EN 542),was für einer(HB

253),wer auch immer(HW 228),manch ein (DU 305) als Mitglieder von Wortklassen zulassen.

2.1.2. Lexem, syntaktisches Wort, Wortform

Der Wortbegriff läßt sich aber noch in anderer Weise problematisieren. Handelt es sich z.B.

bei fliegen, fliegt, flog, geflogen um ein Wort oder um vier verschiedene Wörter? Im Rahmen der

Wortartenlehre wird hier nur ein Wort angesetzt, d.h. es werdenLexeme , nicht Wortformen (Lexe)

klassifiziert. Linke u.a. (1996: 55-59) definieren danebensyntaktische Wörter ; darunter verstehen sie

"jede spezifische grammatische Ausprägung eines Wortes" (57); so sind nicht nur die o.a. vier

Formen von "fliegen" verschiedene syntaktische Wörter, sondern auch fliegen (Infinitiv), fliegen (1.

Person Plural Präsens Indikativ), fliegen (3. Pers. Pl. Präs. Ind. ). EineWortform kann also verschiedene

syntaktische Wörter repräsentieren. Bei Linke u.a. entspricht die Wortform der Ausdrucksseite

(signifiant) des sprachlichen Zeichens. Die Inhaltsseite (signifié) des syntaktischen Wortes umfaßt

neben den semantischen Merkmalen die morphosyntaktischen Informationen. Beim Lexem

dagegen sind die flexivischen Variationen neutral gesetzt, d.h. es ist ein Paradigma verschiedener

syntaktischer Wörter mit demselben lexikalischen Morphem (signifiant)6. Auf der Inhaltsseite des

Lexems gibt es neben den semantischen Merkmalen also keine syntaktischen Informationen;

Linke u.a. postulieren aber eine "Wortartprägung", "eine gewisse 'Veranlagung' zur Ausdifferen-zierung nach bestimmten morphosyntaktischen Merkmalen" (Linke u.a. 1996, 57 und 59). Ohne

eine solche Annahme wäre es z.B. schwierig, fürSpiel und spielen (mit identischem lexikalischem

Morphem und gleicher Bedeutung) zwei verschiedene Lexeme anzusetzen, ein Nomen und ein

Verb.

5 Zum selben Problemkreis vgl. den Artikel "Wort" im Metzler Lexikon Sprache (Glück 1993: 692f.) sowieHentschel/Weydt (HW 13f)6 Da es unpraktisch wäre, ein Lexem als Menge von syntaktischen Wörtern (oder auch nur mit allen Wortformen)anzuführen, benutzt man konventionalisierteZitierformen , im Deutschen etwa den Infinitiv bei Verben oder denNominativ Singular bei Nomen.

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Festzuhalten bleibt an dieser Stelle: In der Grammatik werden prinzipiell nicht Wortformen

oder syntaktische Wörter, sondern Lexeme nach Wortarten klassifiziert. Um unterschiedliche

Lexeme handelt es sich nicht nur, wenn Bedeutungsunterschiede vorliegen, sondern (bei

identischem lexikalischem Morphem) auch dann, wenn eine unterschiedliche morphosyntaktische

Veranlagung zu beobachten ist. Im Abschnitt2.2.2 werden wir sehen, daß es bei unflektierbaren

Wörtern u.U. notwendig ist, diese "Veranlagung" völlig von morphologischen Aspekten zu lösen

und als "syntaktische Verwendbarkeit" zu fassen, wenn gleichlautende (homonyme), aber

verschiedenen Wortklassen angehörende Lexeme unterschieden werden sollen.

2.2. Wortartdefinition: Kriterien, Probleme und Anforderungen

2.2.1. Kriterien der Wortartdefinition

Die klassische Zehn-Wortarten-Lehre unterscheidet Substantiv/Nomen, Verb, Adjektiv,

Artikel, Pronomen, Adverb, Konjunktion, Präposition, Numerale und Interjektion. Linke u.a.

(1996: 73ff) zeigen, daß diese Einteilung auf semantischen, morphologischen und syntaktischen

Kriterien beruht. Die Wortklasse Numerale z.B. ist durch das semantische Kriterium der Zahl

definiert. Daß aber Million als Substantiv,verdreifachen als Verb unddoppelt als Adjektiv gewertet

werden, beweist, daß – wenigstens bei den sog. Hauptwortarten – morphologische (und darüber

vermittelt syntaktische) Gesichtspunkte im Vordergrund stehen: Substantive sind nach Numerus

und Kasus flektierbar, Adjektive zudem nach dem Genus, Verben nach Person, Numerus,

Tempus und Modus. Damit wird zugleich bestätigt, daß Lexeme klassifiziert werden, denn nur

diese (nicht etwa syntaktische Wörter) sind morphosyntaktisch neutral und daher "flektierbar",

d.h. in syntaktische Wörter bzw. die entsprechenden Wortformen (Lexe) überführbar. Bei

morphologisch "armen" Lexemen wie Präpositionen, Konjunktionen und Adverbien beruht die

Klassifikation dagegendirekt (d.h. nicht über morphologische Merkmale vermittelt) aufsyntaktischen Kriterien: Konjunktionen z.B. verknüpfen Satzteile und Teilsätze; Präpositionen

stehen vor nominalen Wortgruppen; Adverbien können als Satzglieder fungieren. Ein solches

Klassifikationsverfahren kann, da es auf der Verteilung von Lexemen im Satz beruht, als

distributionell bezeichnet werden. Damit sind jene drei Kriterienkomplexe benannt, die – wenn

auch in je unterschiedlicher Auswahl und Rangfolge – der Wortklasseneinteilung immer wieder

zugrunde gelegt werden:semantische, morphologische und syntaktisch-distributionelle Kriterien . In welcher

Weise dies in den hier untersuchten vier Grammatiken der Fall ist, sehen wir in Abschnitt2.3und

in Kapitel3.

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2.2.2. Probleme der Wortartdefinition

Nicht nur die Kriterien, auch ein immer wiederkehrendes Grundproblem der Wortklassen-

definition läßt sich gut am Beispiel der Zehn-Wortarten-Lehre verdeutlichen. Es geht darum, wie

gleichbedeutendeund gleichlautende Wörter mit unterschiedlichen syntaktischen Funktionenklassifiziert werden. Linke u.a. (1996: 75f) erwähnenseit und während , die sowohl "präpositional"

als auch "konjunktional" verwendet werden. Gewöhnlich werden solche Wörter "doppelt

geführt" (ebd., 75), d.h. sowohl als Konjunktionen wie als Präpositionen. Wenn man davon

ausgeht, daß Gegenstand der Wortartklassifizierung Lexeme sind, ergibt sich daraus nach Linke

u.a., daß sich Lexeme durch ein Merkmal wie "syntaktische Verwendbarkeit" unterscheiden

können. Damit hätten wir auf der Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens neben den semantischen

Merkmalen eine zweite Kategorie etabliert, die – unabhängig vom Potential zurmorphosyntaktischen Ausdifferenzierung, das bei unflektierbaren Wörtern ja gar nicht gegeben

ist – Lexeme allein aufgrund ihrer Verwendung im Satz voneinander abzugrenzen vermag. Linke

u.a. bieten allerdings auch eine alternative Interpretation an: "Man könnte aber auch sagen, dass

es nur jeweils ein Lexemseit oder währendgibt, dass es dazu aber je zwei gleichlautende

(homonyme) syntaktische Wörter gibt. In diesem Fall würden sich die syntaktischen Wörter

gegenüber den Lexemen durch ein zusätzliches Merkmal 'syntaktische Verwendbarkeit'

auszeichnen." (Linke u.a. 1996: 75). Diese Lösung hätte freilich den Nachteil, daß der

Gegenstand der Klassifizierung nach Wortarten kein einheitlicher mehr wäre: teils syntaktische

Wörter wie im vorliegenden Fall, teils Lexeme z.B. bei Substantiven, Adjektiven, Verben – es sei

denn, man wollte bei den Flektierbaren je nach Kasus, Numerus, Person und Tempus ebenfalls

verschiedene (syntaktische) Wörter ansetzen.

Linke u.a. (1996:75) gehen auch auf die problematische Unterscheidung von Adjektiv und

Adverb in der Zehn-Wortarten-Lehre ein (vgl. unten Abschnitt3.2). Daß Wörter wieschön einmal

als Adjektiv ( Sie hat schönes Haar ), einmal als Adverb ( Sie singt schön ) klassifiziert werden, beweise –

so Linke u.a. –, daß die Ebene der Lexeme (mit ihren "prinzipiellen Möglichkeiten" der

syntaktischen Verwendbarkeit) verlassen worden sei und man sich auf die Ebene der

Klassifizierung von syntaktischen Wörtern begeben habe. M.E. ist diese Einschätzung nicht

zwingend. Wenn nämlich fürseit und während zwei Lexeme (mit unterschiedlicher syntaktischer

Verwendbarkeit) akzeptiert werden, ist nicht einzusehen, wieso es nicht auch zwei (homonyme)

Lexemeschön geben soll (ein Adjektiv und ein Adverb), zumal nicht alle Adjektive auch "adverbial

verwendet" werden können (z.B.ander-, besonder- ), eine Klassifizierung als Adjektiv also nicht in

jedem Fall die syntaktische Verwendbarkeit "als Adverb" mit einschließt. Damit ist nicht gesagt,

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daß eine solche Lösung opportun ist, aber sie ist theoretisch möglich. Wenn sie letztlich nicht

befriedigt, liegt es wohl daran, daß Homonymie im traditionellen Verständnis eine

Differenzierung nach semantischen Merkmalen (wenn nicht gar das Fehlen gemeinsamer

semantischer Merkmale7 ) voraussetzt.

Dagegen würde in Fällen wie den hier präsentierten die Zuweisung zu einer einzigen Wortart

dazu führen, daß ein Teil der relevanten syntaktischen Information verloren ginge. Um es an

einem weiteren Beispiel zu verdeutlichen: In den beiden Sätzen Jedoch wir müssen das Ergebnis noch

einmal prüfen und Jedoch müssen wir das Ergebnis noch einmal prüfen ist kein Bedeutungsunterschied

zwischen den beiden Vorkommen von jedoch zu erkennen. Nach syntaktischen Kriterien aber

fungiert jedoch einmal als erststellenfähiges Adverb (Rangierpartikel usw. ), das andere Mal als

außerhalb des Satzverbandes stehende Konjunktion (Konjunktor o.ä.). Wir haben also die Wahl,zwei homonyme (aber nicht semantisch, sondern nur syntaktisch unterscheidbare) Lexeme jedoch

anzusetzen oder ein einziges Lexem jedoch (entweder Adverb oder Konjunktion), wobei ein Teil

der syntaktischen Information unterschlagen wird.

2.2.3. Anforderungen an die Wortartdefinition

Hier wird deutlich, daß sich die Wortartenlehre im Spannungsfeld widerstreitender

Anforderungen bewegt. Jedes konkrete Wortexemplar sollte z.B. möglichst nur einer Wortklassezugeordnet werden können, gleichzeitig aber sollten relevante Informationen über das

syntaktische Verhalten nicht vorenthalten werden. Die Lösung kann im Ansetzen homonymer

Lexeme mit unterschiedlicher syntaktischer Verwendbarkeit liegen, was aber wiederum dem

Bestreben entgegensteht, Homonyme nur bei klaren Bedeutungsunterschieden zuzulassen.

Die Wortartenlehre sollte möglichst mit einem einheitlichen Kriterium operieren oder doch

wenigstens ein festes Leitkriterium bestimmen, denn bei wechselnden Kriterien besteht die

Gefahr, daß die Klassen nichtdistinktiv sind, sondern sich überschneiden (vgl. oben das Problem

der Numeralia). Eine Misch-Klassifizierung könnte aber auch dazu führen, daß die

Klassenbildung nichtexhaustiv ist, also einzelne Lexeme gar keiner Klasse zugewiesen werden

können (Linke u.a. 1996: 76).

Ein gutes Beispiel für distinktive Klassenbildung nach einheitlichem Kriterium ist die "Fünf-

Wortarten-Lehre" nach Hans Glinz (vgl. Linke u.a. 1996: 76f), die nach rein morphologischen

Gesichtspunkten Verben, Nomen, Adjektive, Begleiter/Stellvertreter des Nomens und Partikeln7 vgl. Glück 1993: 251 Stichwort "Homonymie" und 474 Stichwort "Polysemie"

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unterscheidet. Dabei ist freilich in Kauf zu nehmen, daß sich über die syntaktischen

Eigenschaften der als unflektierbar definierten "Partikeln" kaum etwas aussagen läßt. Dieser

Umstand muß als Nachteil bewertet werden, denn die Wortartenlehre soll einerseits eine von der

Syntax unabhängige Analyseebene etablieren (sonst wäre sie überflüssig), zum anderen soll sie

etwas über die syntaktische Verwendbarkeit von Wörtern (Lexemen) aussagen; die Bildung von

Wortklassen zielt letztlich auf Regeln, die angeben, wie man aus Wörtern korrekte Sätze bildet.

2.3. Kriterien der Wortartdefinition in den vier untersuchten Grammatiken

2.3.1. Ulrich Engel: Deutsche Grammatik (2. Aufl., 1991)

Engel (EN 17-20) präsentiert und kommentiert zunächst die üblichen Verfahren zur

Bestimmung von Wortklassen: das flexematische Verfahren (vgl. oben das Glinz'sche Modell)

habe den Nachteil, die – grammatisch besonders interessanten – unveränderlichen Wörter (die

Partikeln) nicht weiter zu differenzieren. Beim distributionellen Verfahren sieht Engel die

Schwierigkeit, daß "in die meisten Distributionsrahmen auch andere Wörter eingesetzt werden

können" (EN 17). Als Beispiel führt Engel den Distributionsrahmen für Substantive ein, in den

auch ein verbaler Infinitiv eingesetzt werden kann. Engel will in dem angeführten Beispielsatz

Euer Reden stört das Wort Reden offenbar nicht als Nomen klassifizieren.8 Das semantische

Verfahren schließlich unterstellt – so Engel – "daß jeder Wortklasse per se eine bestimmte

Bedeutung zukomme." (ebd.) Am Beispiel vonSchönheit , das ebenso eine Eigenschaft oder Be-

schaffenheit ausdrückt wie viele Adjektive, und von Aufstieg , auf das das semantische Merkmal

"Vorgang" ebenso zutrifft wie auf entsprechende Verben, zeigt Engel die Fragwürdigkeit des

semantischen Verfahrens auf.

Seinem eigenen Klassifikationsvorschlag legt Engel einen "erweiterten Distributionsbegriff"

zugrunde; er geht von den "Stämmen" der Wörter aus und zählt dann, neben den

herkömmlichen Kontextelementen (also benachbarten Wörtern), auch Flexionsendungen zur

Umgebung. So gelingt es ihm, morphologische (flexematische) und syntaktische Kriterien unter

dem gemeinsamen Oberbegriff der "Distribution" zusammenzufassen. Engel klassifiziert also

Lexeme, die auf der Ausdrucksseite durch "Stämme" – d.h. durch lexikalische Morpheme als den

gemeinsamen materiellen Bestandteilen der im Lexem zusammengefaßten syntaktischen Wörter9

8 Engel gelingt dies bei seinem eigenen Verfahren dadurch, daß erreden zunächst als Verb aus der Menge aller Wörter"ausfiltert", so daß sich ein Nomen-Test erübrigt.9 vgl. oben 2.1.2. bzw. Linke u.a. 1996: 57

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- repräsentiert sind, indem er ihre Wort-Syntax, also ihre Überführbarkeit in syntaktische Wörter

bzw. die entsprechenden Wortformen, mit zum distributionellen Rahmen zählt. Auf diese Weise

gelangt er zu 16 Wortklassen: Verben, Nomina, Determinative, Adjektive, Pronomina, Präpo-

sitionen, Subjunktoren, Konjunktoren, Adverbien, Modalpartikeln, Rangierpartikeln,

Gradpartikeln, Kopulapartikeln, Satzäquivalente, Abtönungspartikeln sowie einer Partikel-Rest-

klasse. Für jede Klasse wird eine Testfrage angegeben (z.B. "Ist konjugierbar?" für die Klasse der

Verben), deren positive Beantwortung die Zuweisung zur entsprechenden Wortklasse bedingt.

Nur – und darin liegt das Besondere des Engelschen Ansatzes – wenn die Antwort negativ

ausfällt, wird das Wort den nachfolgenden Tests unterzogen. D.h., wenn z.B. das Wortreden

bereits als Verb "ausgefiltert" wurde, wird der nachfolgende Nomen-Test nicht mehr durch-

geführt (vgl. das anschauliche Flußdiagramm, EN 18).10 Dadurch gelangt Engel, im Unterschied

zu anderen Grammatikern, zu hochgradigdistinktiven Wortklassen. Auch Engel kann zwar nicht vermeiden, daß ein bestimmtes Wort den Definitionen verschiedener Wortklassen entspricht,

aber durch eine feste Reihenfolge von Wortarttests und die Grundregel, daß das Wort nur der

ersten Wortklasse mit positivem Testergebnis angehört, kann er Doppelzuweisungen verhindern.

Von dieser strikten Vorgehensweise kennt Engel nur eine Ausnahme: "Eine Reihe homographer

Wörter sind – im Gegensatz zu dem soeben Gesagten – mehreren Wortklassen zuzuweisen,

wenn sie deutlich unterscheidbare Bedeutung aufweisen". (EN 19)

2.3.2. Gerhard Helbig/ Joachim Buscha: Deutsche Grammatik (14. Aufl. 1991)

Helbig/Buscha (HB 19-21) teilen den Wortschatz der deutschen Sprache durchgängig nach

syntaktischen Kriterien in Wortklassen ein. Morphologische Kriterien werden als ungeeignet

angesehen, weil sie nur auf flektierende Wortarten anwendbar sind; semantische Kriterien

scheiden nach Helbig/Buscha aus, weil nicht alle Wörter einen "direkten Wirklichkeitsbezug"

aufweisen. Da aber alle Wortarten bestimmte syntaktische Funktionen im Satz ausüben, erweist

sich das syntaktische Prinzip als eines, das durchgängig und einheitlich angewandt werden kann.Helbig/Buscha bestreiten dabei nicht, daß die aufsyntaktischem Wege gefundenen Wortklassen

zusätzlich bestimmte morphologische und semantische Eigenschaften haben (die in den jewei-

ligen Kapiteln der Grammatik beschrieben werden). Grundlage des syntaktischen Verfahrens

sind Distributionsrahmen ("Substitutionsrahmen"), die aber teilweise durch transformationelle

Tests ergänzt werden, weil sich bei identischen Oberflächenstrukturen nur so bestimmte

Unterschiede erfassen lassen. Helbig/Buscha erläutern dies am Beispiel der beiden Sätze:1. Der

10 Da Engel in der Klassifizierung von Stämmen/ lexikalischen Morphemen ausgeht, ist unklar, wie er beigleichlautenden Stämmen überhaupt zu verschiedenen Wörtern gelangen kann, z.B. beispielen/Spiel , laufen/Lauf usw.

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Vater kam schnell zurück und 2. Der Vater kam gesund zurück. Aufgrund der

Nominalisierungstransformation ( 1a. das schnelle Zurückkommen, 1b. der gesunde Vater ) wird

schnellals Adverb gewertet und gesund als Adjektiv. Aufgrund ihres syntaktischen Verfahrens

gelangen Helbig/ Buscha zu einer von der Schulgrammatik abweichenden Einteilung der

Wortklassen. Auffällig ist z.B., daß die Pronomina keine eigene Klasse bilden, sondern (vgl.

Inhaltsverzeichnis EN 8) als Teilmenge der "Substantivwörter" gewertet werden. Insgesamt

ermitteln Helbig/Buscha 10 Wortklassen (EN 5-12): die vier Haupt-Wortklassen Verben,

Substantivwörter, Adjektive und Adverbien sowie die sechs "Funktionswörter"-Klassen

Artikelwörter, Präpositionen, Konjunktionen, Partikeln, Modalwörter und Satzäquivalente. Dem

Pronomen es und den Negationswörtern sind aus praktisch-didaktischen Gründen eigene Kapitel

gewidmet, obwohl sie keine eigene Wortklassen darstellen.

Im Gegensatz zu Engel geben Helbig/Buscha in ihrem einleitenden Kapitel zur "Einteilung

der Wortklassen" (HB 19-21) nicht an, mit welchen Verfahren sie im einzelnen zu den 10

Wortklassen gelangen. In den jeweiligen Kapiteln wird die Abgrenzung von anderen Wortklassen

durch distributionelle und/ oder transformationelle syntaktische Tests auch nicht immer an den

Anfang gestellt, sondern erscheint z.T. etwas versteckt in der "syntaktischen Beschreibung" der

einzelnen Wortklassen. Der Hauptunterschied zu Engel ist jedoch liegt darin, daß Helbig/Buscha

offensichtlich keinen Wert auf dieDistinktivität ihrer Wortklassen legen. Während Engel eine

feste Abfolge von Tests bestimmt und bei positivem Testergebnis das jeweilige Wort von allen

weiteren Tests ausschließt, lassen Helbig/Buscha Mehrfachzuweisungen systematisch zu, so daß

verschiedene syntaktische Funktionen gleichermaßen berücksichtigt werden. So wird das o.g.

Adverb schnell in anderen Umgebungen ( der schnelle Bote ) als Adjektiv gewertet, Adjektive und

Partizipien können in die Klasse der Substantivwörter übertreten (HB 249), Indefinitpronomina

werden z.T. auch als Artikelwörter gebraucht (HB 258), bei den Modalwörtern erscheinen auch

Adjektive (HB 500) usw. Dabei ist nicht völlig klar, ob Helbig/Buscha verschiedene Lexeme

ansetzen (also die syntaktische Verwendbarkeit als Unterscheidungsmerkmal zwischen Lexemenzulassen) oder jeweils nur ein Lexem mit verschiedenen syntaktischen Funktionen (die ebenso

vielen syntaktischen Wörtern entsprechen).

2.3.3. Elke Hentschel/Harald Weydt: Handbuch der deutschen Grammatik(2. Auflage 1994)

Hentschel/Weydt widmen sich in einem Abschnitt der Einleitung (HW 14-20) recht

ausführlich dem Problem der Definition von Wortarten, d.h. "Gruppen von Wörtern, die in

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bestimmten Merkmalen übereinstimmen" (HW 14). Die in vielen Grammatiken verwendeten

morphologischen Kriterien der Einteilung und Abgrenzung von Wortarten halten

Hentschel/Weydt sowohl mit Blick auf flexionsarme Sprachen als auch hinsichtlich

nichtflektierbarer Wörter des Deutschen für fragwürdig und unzureichend. Zuerst – so die

Autoren – müsse die (Wortart-)Kategorie festgelegt werden, um dann empirisch festzustellen, wie

sie sich morphologisch verhalte. Syntaktisch-distributionelle Verfahren werden von Hentschel/

Weydt nicht erwähnt. Stattdessen wollen sie die "Unterscheidungen in Wortarten alssemantisch

fundiert " (HW 15, meine Hervorhebung) interpretieren. Es werden vier Formen von Bedeutung

unterschieden, die anschließend der Definition von Wortarten zugrundegelegt werden sollen.

Unter kategorematischer Bedeutung wird eine Bedeutung verstanden, "die aus der außersprachlichen

Wirklichkeit einen bestimmten Bereich ausgliedert." (HW 16) Das können absolute Bedeutungen

sein wie bei den WörternPferd, tot, liegen oder relationale wie beiOnkel, groß, ähneln. Währendsolche "Nennwörter" einen Wirklichkeitsausschnitt benennen, sind Wörter mitdeiktischer

Bedeutung dadurch gekennzeichnet, daß sie (nur) auf etwas zeigen. Dies kann (in Anlehnung an

Bühler) etwas Wahrgenommenes, etwas Vorgestelltes oder ein Element in der Textumgebung

sein. Wortbeispiele mit deiktische Bedeutung sind Personalpronomina, aber auch Adverbien und

Adjektive ( hier, jetzt, hiesig, jetzig ). Kategorematische Bedeutungen können nach Hentschel/ Weydt

unterschiedlich sprachlich repräsentiert werden. Auf dieselbe außersprachliche Erscheinung kann

man sich bspw. mit dem SubstantivBlut , dem Adjektivblutig oder dem Verb bluten beziehen.Diesen unterschiedlichen Zugriff auf die Wirklichkeit bezeichnen die Autoren alsWortartbedeutung

oder kategorielle Bedeutung.Es gibt offenbar drei kategorielle Bedeutungen: die substantivische als

"Etwas (…), das uns gegenübersteht und das wir zum Gegenstand unseres Sprechens machen

können", die adjektivische als "Eigenschaft, die einem Gegenstand zugeschrieben wird" und die

verbale als "Vorgang in der Zeit" (alle HW 19).11 Es überrascht, daß Hentschel/ Weydt hier den

Begriff der "Wortart" vorwegnehmen, der doch eigentlich erst vermittelt über die Formen von

Bedeutung definiert werden sollte. Diesynkategorematische Bedeutung schließlich "gliedert nichts

aus der außersprachlichen Wirklichkeit aus, sondern entfaltet sich erst in Verbindung mit

anderen." (HW 20) Exemplarisch werden die Präpositionin , die Konjunktionweil und die

Abtönungspartikeldenn angeführt. Abschließend werden diese vier Arten von Bedeutung zur

Bestimmung der Wortarten genutzt:

"Nach diesen Vorbemerkungen lassen sich die Wortarten Verb, Substantiv und Adjektiv als Klassenbestimmen, die Wörter mit kategorematischer und Wortartbedeutung enthalten.Pronomina habendeiktische und kategorielle (substantivische oder adjektivische), aber keine kategorematischen Bedeutungen;

11 So formuliert entgehen Hentschel/Weydt jener einfachen Kritik an semantischen Verfahren, wie sie Engel (s.o.2.3.1.) vorbringt. Z.B. bezeichnet das Wort Aufstieg zwar einen Vorgang, abstrahiert aber dabei von zeitlichen Aspekten, so daß die kategorielle Bedeutung des Verbs nicht vorliegt.

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sie verweisen auf etwas, ohne es zu nennen.Partikeln wiederum haben lediglich synkategorematischeBedeutungen: Sie gliedern nichts aus einer wie auch immer vorgestellten Wirklichkeit aus, sie fassen es nichtkategoriell, sondern sie drücken Relationen zwischen von Autosemantika bezeichneten Phänomenen aus.(HW 20)

An dieser Stelle scheint es, als kennten Hentschel/Weydt überhaupt nur fünf Wortarten, aber

das Inhaltsverzeichnis weist neben einem umfangreichen Partikelbereich12 auch die klassischen

Wortarten Artikel, Adverb und Numerale aus. Die grundlegenden vier Bedeutungsarten scheinen

nicht geeignet zu sein, auch diese Wortarten hinreichend zu definieren; von Fall zu Fall werden in

den jeweiligen Kapiteln zusätzliche semantische Merkmale eingeführt. Bei den Adverbien ist es

die "Bezeichnung von Umständen, unter denen sich eine im Verb ausgedrückte Handlung voll-

zieht" (HW 235), bei den Artikeln die "Aktualisierung" (d.h. die Individualisierung eines Gegen-

standes aus der betreffenden Klasse) (HW 203f), bei den Numeralia der Begriff der Zahl (HW

231). Der Abschnitt zu den Numeralia ist insofern aufschlußreich, als er verdeutlicht, daß den Autoren wenig antrennscharfen Wortklassen liegt. Die Aufrechterhaltung der traditionellen Wortart

"Numerale" wird nämlich gerade deshalb als sinnvoll erachtet,weil sie so unterschiedliche Wörter

wie (Zahl)Adjektive, Substantive ( eine Million ) und Adverbien ( erstens, dreifach ) enthält (HW 231).13

Insgesamt hat man den Eindruck, daß Hentschel/Weydt mit den vier Formen von Bedeutung

zwar einige interessante Einsichten vermitteln können, daraus aber kein einheitliches Kriterium

für die Definition von Wortarten gewinnen. Die (wechselnden) semantischen Merkmale dienen

der nachträglichen Begründung und semantischen Ausdeutung von traditionellen Kategorien und vermögen die mangelndeDistinktivität der schulgrammatischen Wortklassen nicht zu überwinden.

2.3.4. Drosdowski u.a.: Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache (5. Aufl.1995)

Im Duden – vgl. den Überblick DU 85-89 – kommen bei der Abgrenzung der Wortarten

offenbar syntaktische, morphologische und semantische Kriterien zum Einsatz:

Auf Grund der unterschiedlichen Funktion im Satz und der damit eng verknüpften Formmerkmale, Anordnung und Beziehungen zueinander können verschiedene Klassen von Wörtern unterschieden werden,die sich auch semantisch voneinander abgrenzen lassen und die man Wortarten nennt. Nach ihremHauptmerkmal bilden wir zwei Gruppen von Wortarten: die flektierbaren und die unflektierbaren. (DU 85)

Diese Formulierung, aber auch der Überblick über die einzelnen Wortarten nennt an erster

Stelle syntaktische und morphologische Eigenschaften, erst an zweiter Stelle solche semantischer

12 Die Partikeln untergliedern sich in Modalwörter, Abtönungspartikeln, Intensivpartikeln, Fokuspartikeln, Antwortpartikeln sowie die Negationspartikelnicht. 13 Andererseits kritisieren Hentschel/Weydt die verbreitete Klassifizierung der Numeralia als Zahladjektive mit derBegründung: "Die Mehrzahl der Numeralia kann zwar adjektivisch verwendet werden, unterscheidet sich aber in

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Art. Dies legt die Vermutung nahe, daß die Wortarten im Duden im Prinzip durch flexematische

Formmerkmale und durch Funktionen im Satz bzw. ihre Distribution in Syntagmen definiert sind

und daß die so gewonnenen Klassen anschließend auch semantisch beschrieben werden;

allerdings findet sich für diese Interpretation keine explizite Bestätigung im Text. Die

Kurzbeschreibungen der einzelnen Wortarten (DU 85-87 vgl. auch die Tabelle S. 88) nennen

jeweils Beispielwörter aus der Wortklasse, morphologische und syntaktische Eigenschaften,

semantisch-pragmatische Merkmale. Insgesamt listet der Duden 8 bzw. 914 Wortarten auf: die

flektierbaren Verben, Substantive, Adjektive, Artikel und Pronomina sowie die unflektierbaren

Adverbien, Partikeln, Präpositionen und Konjunktionen. Für sich genommen ist jedes einzelne

morphologische, syntaktische oder semantische Merkmal nicht hinreichend, um eine Wortart zu

bestimmen. Es läßt sich also kein Leitkriterium erkennen. Erst in der Zusammenschau aller drei

Aspekte werden Konturen der jeweiligen Wortart erkennbar. So hat z.B. das Adjektiv diesyntaktischen Funktionen: "Attribut, adverbiale Bestimmung" (DU 88); dies gilt aber auch für

Adverbien ( das Haus dort ) oder Substantive ( er kommt Dienstag ). Seine Distribution ist angegeben

als "mit Substantiv bzw. Verb" (ebd.), was ebenso für Artikel, Verben, Adverbien u.a. gelten

kann. Auch das semantische Merkmal 'Benennung von Eigenschaften oder Merkmalen' ist allein

nicht geeignet, Adjektive zuverlässig von anderen Wortarten abzugrenzen. Erst das

morphologische Merkmal "Deklination, Komparation" bringt mehr Klarheit (obwohl auch

Adverbien vereinzelt steigerbar sind).

Zur Distinktivität der so definierten Wortklassen heißt es im Duden: "Die in diesem

Überblick gezogenen Grenzen zwischen den einzelnen Wortarten sind nicht starr." (DU 89). Als

Beispiele werden die Substantivierung nichtsubstantivischer Wörter angeführt, Partizipien, welche

in bestimmten Verwendungen als Adjektive anzusehen seien ( reizend, gerissen ), schließlich

Präpositionen, die aus Substantiven ( dank, infolge ), Adjektiven ( nördlich, gelegentlich ) und Partizipien

( ungeachtet ) gewonnen wurden. Auch wenn sich ein Teil dieser Beispiele als "echte" Homonymie

(also mit semantischen Unterschieden) erklären läßt ( reizend, dank ), so ist doch festzuhalten, daßder Duden auch systematische Zuweisung zu mehreren Wortklassen zuläßt, z.B. bei

Substantivierungen oder – in einem gewissem Sinne – bei Pronomina und Artikeln (vgl.3.1). In

anderen Fällen jedoch werden eben solche Doppelklassifizierungen strikt abgelehnt, z.B. bei

Adjektiven und Adverbien (vgl.3.2).

ihrem Flexionsverhalten deutlich von den Adjektiven." (HW 231). Hier verwundert, daß angeblich fragwürdigemorphologische Kriterien nun doch zur Abgrenzung von Wortarten herhalten müssen.14 In der tabellarischen Übersicht auf S. 88 sind Artikel und Pronomina (wohl in Anlehnung an die Glinz'schen"Begleiter und Stellvertreter des Nomens") in einer Gruppe zusammengefaßt.

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sächsischen Genitiv inkompatibel sind.15 Dies trifft sowohl auf die Artikel als auch auf

herkömmliche Pronomina zu:*Das/ ein/ mein/ kein/ dieses/ jedes/ manches Annas Buch.Dagegen

gelten als Pronomina solche Wörter, die nicht schon als Determinative ausgeschieden wurden,

nicht in den Distributionsrahmen "Determinativ ____ Nomen" passen (also keine Adjektive

sind) und die die gleiche Umgebung wie Nominalphrasen haben (EN 18-20), z.B.ich, du, er, man,

jemand, wer (EN 649). Die auf distributionellem Wege bestimmten Klassen werden auch

semantisch ausgedeutet: Das Nomen – so Engel (EN 523) – könne Größen nur "benennen"; erst

die durch das Hinzutreten des Determinativs entstehende Nominalphrase könne Größen

"bezeichnen", d.h. als Ausschnitt aus der Wirklichkeit ausweisen. Das Pronomen könne diese

Funktion dagegen selbständig ausüben (EN 649). – Engel wendet sich gegen eine Begrifflichkeit

(z.B. die Glinz'sche Kategorie der "Begleiter und Stellvertreter des Nomens"), welche die

Funktion von Determinativen und Pronomina in einer einzigen Klasse vereinigt, denn dabeifielen (unbeabsichtigt), jene Wörter heraus, die entweder nur Stellvertreter (z.B.

Personalpronomina) oder nur Begleiter (einziges Beispiel:lauter ) seien (EN 524). Man mag diese

Argumentation als spitzfindig betrachten, muß dann aber hinnehmen, daß die "Begleiter und

Stellvertreter des Nomens" Elemente mit unterschiedlichen syntaktischen Verwendungsmöglich-

keiten umfassen. Wie löst Engel das Problem, daß sich die beiden Mengen der autonom bzw.

attributiv verwendeten Elemente nur teilweise überschneiden? Er schlägt die besonders

zahlreiche Schnittmenge, also Wörter wiedieser, jeder, mancher, alle den Determinativen zu. Dasresultiert bereits aus dem gestuften Testverfahren: einmal als Determinative ausgesondert,

werden solche Wörter nicht mehr dem Pronomina-Test unterzogen. Engel rechnet sie "auch bei

autonomem Gebrauch" zu den Determinativen" (EN 524). Nur wo sich die beiden

Gebrauchsweisen morphologisch unterscheiden, also z.B. beiein/einer, kein/keiner, mein/meiner ,

setzt Engel homonyme Lexeme an und ordnet diese verschiedenen Wortklassen zu (ebd.). Engel

versucht, sein – m.E. einleuchtendes, aber nicht zwingendes – Vorgehen plausibler zu machen,

indem er eine Hauptfunktion von Determinativen postuliert. Demnach sind Determinative "in

ihrer Hauptfunktion Begleiter des Nomens und nur teilweise in einer Nebenfunktion auch

Vertreter der Nominalphrase" (EN 524). Worauf sich diese Annahme stützt, wird weder hier

noch an anderer Stelle (EN 649f) klar. Man könnte vermuten, daß sich Engel auf statistische

15 Das Kriterium der Unverträglichkeit mit dem sächsischen Genitiv müßte präziser wie folgt formuliert sein:"Wörter, die als Attribute in Nominalphrasen erscheinen können , aber mit dem sächsischen Genitiv inkompatibel sind, werden als Determinative definiert"; andernfalls müßten auch Pronomina wieer, sie, wir oder andere Wortklassen, dieEngel erst in der Folge "aussortiert", aufgrund ihrer Unverträglichkeit mit dem sächsischen Genitiv alsDeterminative gelten.

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Daten stützt; dem aber steht entgegen, daß Engel derlei Erwägungen in einem anderen

Zusammenhang als Entscheidungsbasis für die Zuweisung zu Wortklassen ablehnt.16

3.1.2. Helbig/Buscha

Bei Helbig/Buscha gehören autonom gebrauchte Pronomina zur übergreifenden Klasse der

"Substantivwörter" (HB 229ff) und werden entsprechend als Subklasse "substantivische Pro-

nomina" ausgewiesen (HB 231-236; 251ff). Die zutreffende Beobachtung (HB 229), daß

substantivische Pronomina nicht in den für Substantivwörter allgemein gültigen

Distributionsrahmen passen, weil sie bei einer Substitution nicht nur das Substantiv selbst,

sondern auch das vorausgehende Artikelwort (und Adjektiv), also die gesamte Nominalphrase,

ersetzen, wird offenbar nicht als Hinderungsgrund für diese Art von Wortklasseneinteilungangesehen. Als "Artikelwörter" gelten dagegen die attributiven Elemente in folgenden

Beispielsätzen:Der Freund spricht. Mein Arzt kommt morgen. Alle Studenten haben die Prüfungen bestanden

(HB 355). Helbig/ Buscha grenzen Artikelwörter folgendermaßen von anderen Wortklassen ab:

Sie stehen immer vor einem Substantiv (wenn auch nicht immer direkt davor), können nicht mit

anderen Artikelwörternkoordinativ verbunden werden, ändern ihre Position im Satz gemeinsam

mit dem zugehörigen Substantiv, kongruieren mit diesem in Genus, Kasus und Numerus und

treten (wenn man den Nullartikel berücksichtigt) obligatorisch auf. (HB 355f). Zu den

Artikelwörtern rechnen Helbig/ Buscha außer den Artikeln selbst die "adjektivischen

Pronomina" dieser, jener, ein solcher, mein, dessen, welcher, jeder, mancher, kein usw. (HB 357f).

Helbig/Buscha unterscheiden also genau zwischen "substantivischen" und "adjektivischen"

Pronomina und weisen sie verschiedenen übergreifenden Wortklassen zu (statt sie als "Begleiter

und Stellvertreter des Nomens" zu vermengen), setzen aber – im Gegensatz zu Engel – eine

ganze Reihe von homonymen Lexemen an, die sich paarweise auf Artikelwörter und Substantiv-

wörter verteilen. Vor allem bei den substantivischen Pronomina wird immer wieder auf

"gleichlautende" Artikelwörter Bezug genommen (z.B. HB 234, 235, 253, 255). MorphologischeUnterschiede (z.B.ein Hut/einer ) werden zwar erwähnt, können aber – anders als bei Engel –

nicht als Rechtfertigung für die Lexem-"Verdoppelung" fungieren, da diese ja auch bei fehlenden

Flexionsabweichungen (z.B.mancher Student/ mancher ) vorgenommen wird. Daß sich die Lexem-

Paare auch semantisch nicht unterscheiden, ist Helbig/Buscha wohl bewußt; mehrfach heißt es,

substantivische Pronomina stimmten "völlig" mit den entsprechenden Artikelwörtern "überein"

16 Um die Nichtberücksichtigung von Adjektiven wiesicher, gewiß, bestimmt bei den Modalpartikeln zu rechtfertigenschreibt Engel: "Die Frage der Gebrauchshäufigkeit hat bei der Wortklassenzuweisung keine Rolle zu spielen, schon weil sie in vielen Fällen gar nicht ohne weiteres zu entscheiden sein dürfte." (EN 762)

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fassen die "adjektivischen Pronomina" aber nicht mit den Artikeln in einer Klasse zusammen,

sondern belassen sie in der übergreifenden Klasse der Pronomina. Daß so eine doppelte

Besprechung in verschiedenen Grammatikkapiteln vermieden werden kann, führen sie als

beschreibungsökonomischen Vorteil ihres Vorgehens ins Feld (HW 214). Der Nachteil ist eine

wenig trennscharfe Definition der Klassen selbst, denn bei Hentschel/ Weydt können viele

Pronomina semantisch ("Aktualisierung") und syntaktisch ("adjektivischer" Gebrauch) dasselbe

leisten wie die Artikel.

3.1.4. Duden-Grammatik

In der Duden-Grammatik ist man von der in früheren Ausgaben20 angesetzten Wortart "Be-

gleiter und Stellvertreter des Nomens" wieder abgekommen und zur Zweiteilung in "Artikel" und"Pronomina" zurückgekehrt. Artikel stehen vor dem Substantiv (inkl. seiner attributiven

Adjektive), kongruieren mit diesem in Genus, Kasus und Numerus, werden zusammen mit

diesem im Satz verschoben und können (aufgrund komplementärer Distribution) in der Regel

nicht miteinander kombiniert werden (DU 304f). Wenn sie dennoch gehäuft auftreten (z.B.alle

diese Bücher ) handelt es sich um "additive Kombinationsvarianten" der gegenseitigen

Einschränkung und Präzisierung (vgl. HB 355f.) und jeder der beiden Artikel kann jederzeit

weggelassen werden ( alle Bücher, diese Bücher ), weil der andere die "Artikelfunktion" allein ausübt.

Dies gilt dagegen nicht bei Kombinationen von Artikel und Adjektiv ( mein ganzes Geld mein

Geld/ *ganzes Geld ) (DU305f).21 Innerhalb der Wortart "Artikel" unterscheidet der Duden "Ar-

tikel im engeren Sinne" (bestimmter, unbestimmter, Nullartikel) und "Artikel im weiteren Sinne"

(DU 304). Zu letzteren zählen Demonstrativ-, Possessiv-, Interrogativ- und Indefinitpronomina

– z.B.dieser, mein, jeder –jedoch nur, wenn sie attributiv auftreten. (DU 321). Wenn man den

"Duden" wörtlich nimmt, bedeutet dies, daß ein Wort wiedieser prinzipiell ein

(Demonstrativ)Pronomen ist, dies auch in attributiver Verwendung bleibt, dann aber gleichzeitig

als "Artikel im weiteren Sinne" zu klassifizieren ist. Der Verzicht auf das Ansetzen von jeweilszwei homonymen (und z.T. morphologisch unterscheidbaren) Lexemen führt zwangsläufig dazu,

daß auch der Begriff des Pronomens unscharf wird; es hat zwar die Fähigkeit "als Stellvertreter

oder Platzhalter für ein Nomen zu dienen" (DU 321), wird aber – wie der Artikel – "auch in

Verbindung mit einem Substantiv" (DU 87) gebraucht. Das Vorgehen des Dudens ist ähnlich

19 Den Ausdruck "adjektivische Pronomina" (als Teilklasse der Artikelwörter) benutzen Helbig/Buscha übrigens –entgegen der Bemerkung von HW 214 – auch schon in früheren Ausgaben ihrer Grammatik, z.B. Helbig/Buscha1981: 317.20 z.B. in der 3. Auflage (1973), vgl. Grebe u.a. 1973: 270ff.21 Deshalb wirdsämtlichals Artikel gewertet:meine sämtlichen Bücher meine Bücher/ sämtliche Bücher (DU 306)

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problematisch wie bei Hentschel/Weydt. Da Pronomina wiedieser, alle usw. keine

Entsprechungen in gleichlautenden "Artikeln im weiteren Sinn" haben, sondern selbst, d.h. als

Pronomina, Artikelfunktionen übernehmen, verschwimmen die definitorischen Grenzen

zwischen den beiden Wortklassen. Positiv gewendet ließe sich darin u.U. der Versuch erblicken,

Wortarten nicht völlig mit syntaktischen Funktionen zu identifizieren, also nicht für jede

syntaktische Funktion, die ein Wort übernehmen kann, ein eigenes Homonym anzusetzen.

3.2. Adverb oder Adjektiv?

Wenden wir uns nun einem Problem zu, das schon angesprochen wurde: der Abgrenzung

von Adjektiv und Adverb. Linke u.a. (1996: 75) kritisieren die Tatsache, daß viele Grammatiker

schön in den SätzenSie hat schönes Haar/ Sie ist schön als Adjektiv werten, während sie es inSie singt

schön als Adverb einstufen. Wie verhalten sich in dieser Hinsicht die vier von uns untersuchten

Grammatiken?

3.2.1. Engel

Engel führt die Adjektivprobe vor der Adverbprobe durch, so daß Wörter, die bereits als

Adjektive klassifiziert worden sind, nicht mehr als Adverbien klassifiziert werden können. Adjektive sind für Engel Wörter, die gemäß seinem gestuften Klassifikationsverfahren (EN 18-

20) nicht konjugierbar sind (Verben), kein konstantes Genus haben (Nomen), in der

Nominalphrase nicht mit dem sächsischen Genitiv inkompatibel sind (Determinative) und

jederzeit in dem Distributionsrahmen "Determinativ ___ Nomen" stehen können.22 Wenn ein

Wort bei diesen und den nachfolgenden Proben für Pronomina, Präpositionen und Subjunktoren

keiner Wortklasse zugewiesen werden kann, außerdem erststellenfähig ist und auf Sachfragen

(Ergänzungsfragen) antwortet, wird es als Adverb klassizifiziert. Adverbien sind also Partikeln

(unflektierbare Wörter), die allein im Vorfeld des Aussagesatzes stehen können und auf W-

22 Engel klassifiert auch Partizipien in attributiver Stellung als Adjektive (EN 557). Dies verwundert insofern, alsPartizipien Flexionsformen von Verben sind und Verben bereits vor der Adjektivprobe ausgeschieden werden. Der Widerspruch kann allerdings aufgelöst werden, wenn man bedenkt, daß Verben als konjugierbar (nicht jedochdeklinierbar!) definiert sind. Attributive, deklinierte Partizipien sind in dieser Sicht keine Verbformen, sonderneigenständige Lexeme. Beispiel: InDer Baum ist abgestorbenist das Partizip eine Form des verbalen Lexemsabsterben ,in der abgestorbene Baum eine Form des adjektivischen Lexemsabgestorben .Nicht attributiv verwendbare Wörter wie pleite, baff, egal sind für Engel konsequenterweise keine (nur "prädikativ verwendbaren") Adjektive, sondernKopulapartikeln (vgl. EN 18-20; 767ff). Problematisch ist deren Abgrenzung m.E.insofern, als einige dieser Partikeln gemäß dem Engel'schen Flußdiagramm (EN 20) eigentlich als Adverbienklassifiziert werden müssen, und zwar wenn sie erststellenfähig und erfragbar sind ( Was bist du? – Pleite bin ich. )

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Fragen antworten (oder selbst W-Frageelemente sind) (EN 749).23 Für Engel ist schön also

unabhängig von seiner syntaktischen Funktion und damit in allen drei o.a. Beispielsätzen ein

Adjektiv. Die z.T. ähnliche syntaktische Funktion von Adverbien und Adjektiven, illustriert am

Beispiel Er ist mir blindlings(Adv.)/ bereitwillig (Adj.) gefolgt , sieht Engel durchaus, bezeichnet sie

aber nicht als "adverbial", sondern als "Satzangabe" (EN 754, 219ff). Die Verwendung des

Begriffs "adverbial/ Adverbialbestimmung", und demzufolge die Klassifizierung eines Adjektivs

in Angabefunktion als Adverb, kritisiert er als Verwechslung von Wortklasse und syntaktischer

Funktion (EN 754), zumal Adverbien nicht nur in Angabefunktion erscheinen, sondern auch als

Verbergänzungen oder Attribute zum Nomen (EN 749). Engels Argumentation ist im Sinne der

Trennung von Wortart- und Satzlehre sowie der Vermeidung von Doppelzuweisungen zweifellos

zuzustimmen. Theoretisch wäre es aber auch möglich, Adverbien als nichtflektierbare Wörter zu

definieren, die allein das Vorfeld besetzen und auf Ergänzungsfragen antworten können. Zueinem Adjektiv wie(der) schön(e Garten ) könnte man dann ein homonymes adverbiales Lexem ( Sie

singt) schön ansetzen, das sich hinsichtlich seiner morphologischen (nicht flektierbar) und

syntaktischen Eigenschaften vom gleichlautenden Adjektiv unterscheidet.

3.2.2. Helbig/Buscha

Diesen Weg beschreiten im Prinzip Helbig/Buscha. Zur Definition von Adjektiven ver-

wenden sie zwei Distributionsrahmen (HB 308), in die nur Adjektive in attributiver oder

"prädikativer" Verwendung eingefügt werden können. Alle Wörter, die (wenigstens) in einen der

beiden Rahmen passen, gelten als Adjektive.24 Auch bei der morphosyntaktischen Beschreibung

(310ff) wird nur der attributive und prädikative Gebrauch erwähnt. Daraus ist bereits zu

erschließen, daß entsprechende "Homonyme" in Angabefunktion (bzw. als "adverbiale

Bestimmung") nicht als Adjektive gewertet werden. Bestätigt wird diese Vermutung durch die

Definition der Adverbien. Diese werden von Helbig/Buscha als nicht flektierbare Wörter

bestimmt, die adverbial, prädikativ oder attributiv auftreten (HB 337). Es wird jeweils ein Distri-butionsrahmen angegeben:Der Mann arbeitet (dort). Der Mann ist (dort). Der Mann (dort) arbeitet den

ganzen Tag.(HB 338f) Auch ein Wort wie fleißig kann in den adverbialen oder prädikativen

Rahmen eingesetzt werden. Bei "adverbialer" Verwendung gilt es dann als Adverb, bei

prädikativer aber als Adjektiv (HB 343). An diesem Beispiel sehen wir zunächst einmal, daß die

Distributionsrahmen für Adjektive und Adverbien wenig trennscharf arbeiten; in beiden Fällen

23 Engel (EN 750) zählt auch Wörter wiebislang, bisher, mitunter, oftzu den Adverbien, die – so Hentschel/Weydt (HW239) – nicht eindeutig erfragbar sind.24 Also zählen bei Helbig/Buscha auch Engels "Kopulapartikeln" zu den Adjektiven.

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wird ein prädikativer Gebrauch geprüft, aber unterschiedlich bewertet, was die Zuordnung zu

Wortklassen betrifft. Der Adverb-RahmenDer Mann ist … (HB 338) erscheint sogar wortgleich

als Adjektiv-Rahmen (HB 308) und kann sowohl mit fleißigals auchdort gefüllt werden. Daß fleißig

ein Adjektiv ist unddort ein Adverb, ergibt sich also nicht aus den entsprechenden Tests.25

Zweitens bestätigt sich unsere Vermutung: Helbig/Buscha bezeichnen Adjektive, wenn sie

nichtflektiert als Satzangabe (Engel) auftreten, als Adverbien, oder besser: sie setzen homonyme

Adverbien an. In Er braucht dringend Hilfe und Er arbeitet schnell (HB 340) geltendringend und schnell

daher als Adverbien.26 Solche "Adverbien, die der Form nach mit den Adjektiven

übereinstimmen" nennen Helbig/Buscha "Adjektivadverbien" (HB 337). Diese bilden freilich

keine eigene Klasse, auch keine Teilklasse der Adverbien, sondern sind Adverbien, zu denen es

gleichlautende Adjektive gibt. Es erstaunt, daß Helbig/Buscha die doppelte Klassifizierung von

Wörtern wie fleißigoder schnell nirgends explizit rechtfertigen; allerdings steht ihr Vorgehen imEinklang mit dem – schon bei den Artikelwörtern/Pronomina beobachteten – generellen Ansatz

ihrer Grammatik, verschiedene syntaktische Funktionen von Wörtern durch Zuweisung zu

verschiedenen Wortklassen zu erfassen. Wortklassen sind im Grunde syntaktische Funktionen.

3.2.3. Hentschel/Weydt

Auch Hentschel/Weydt unterscheiden Adjektive und Adverbien und sprechen bei "adverbial

verwendeten" Adjektiven von "Adjektivadverbien". Die Kategorie der Adjektive ist semantisch

begründet: Adjektive haben, wie Substantive und Verben eine kategorematische Bedeutung, glie-

dern also etwas aus der außersprachlichen Wirklichkeit aus, und eine (adjektivische) kategorielle

Bedeutung, die darin liegt, daß sie dieses Etwas als Eigenschaft fassen, die einem Gegenstand

zugeschrieben wird (HW 16, 19, 179). Es werden drei Verwendungsweisen des Adjektivs

differenziert: attributiv, prädikativ und adverbial (HW 180). Beim Standardfall der adverbialen

Verwendung bezieht sich das Adjektiv auf ein Verb.27 "Man spricht dann syntaktisch von einem

Adjektivadverb" (HW 182). Die Vermengung von Wortartkategorien in einem einzigen Terminusist – wie ich meine – prinzipiell problematisch; das gilt ebenso für die "Adjektivadverbien" bei

25 Das Problem könnte gelöst werden, wenn man von Adjektiven forderte, daß sie stets als flektiertes (Links)Attribut von Nomen erscheinen können; damit wären allerdings Wörter wie pleite, baff, egalebenfalls aus der Klasse der Adjektive ausgeschlossen (vgl. Anm. 21, 23).26 Allerdings wird das "prädikative Attribut" gesund in Der Mann kommt gesund an als Adjektiv gewertet, weil sich derSatz wie folgt transformieren läßt:Der Mann kommt an. Er ist gesund .27 Hentschel/Weydt kennen noch eine zweite "adverbiale" Verwendung des Adjektivs, nämlich mit Bezug auf einanderes Adjektiv, z.B. in Er sprach unnatürlich laut . Da Adjektive in dieser Verwendung nicht mitsehr kombinierbarsind, plädieren die Autoren dafür, sie "als graduierend aufzufassen und damit auch syntaktisch wie Intensivpartikelnzu behandeln" (HW 185). – Ähnlich wie Helbig/Buscha besprechen sie auch die Funktion des Adjektivs als"prädikatives Attribut" zu Subjekt oder Objekt ( Wir verspeisten das Fleisch roh ). Hier tritt das Adjektiv als es selbst aufund ist nicht mit dem Adjektivadverb zu verwechseln (HW 183).

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Helbig/Buscha. Aber bei Hentschel/Weydt kommt noch etwas hinzu, denn "Adjektivadverbien"

sind eigentlich keine Adverbien (wie bei Helbig/Buscha), sondern Zwitterwesen: halb Wortart

(Adjektiv), halb syntaktische Funktion. Im Adverb-Kapitel verwehren sich Hentschel/Weydt

nämlich dagegen, daß adverbial verwendete Adjektive als Adverbien gewertet werden. Daß dies

oft geschehe, liege daran, daß mit "Adverb" "einmal die syntaktische Funktion (Adverbial-

bestimmung) und einmal eine auf diese Funktion spezialisierte Wortart gemeint ist." (HW 235f.)

Hentschel/Weydt selbst dagegen wollen unter "Adverb" ausschließlich die Wortart und nicht die

syntaktische Funktion verstehen (ebd.). Aus all dem kann man nur schließen, daß

"Adjektivadverbien" – was paradox anmuten mag – keine Adverbien sind! Daher heißt es z.B.

bezüglich der Modaladverbien (HW 237): "Zu dieser semantischen Gruppe würde auch die

Mehrzahl der Adjektivadverbien gehören" – aber in Wirklichkeit gehören sie offenbar nicht dazu.

Fazit: Adjektivadverbien sind bei Hentschel/Weydt keine Adverbien (wie bei Helbig/Buscha),sondern Adjektive, die syntaktisch mit Bezug auf ein Verb ("adverbial") verwendet werden.

Damit sind auch auch Probleme für die von Hentschel/Weydt postulierte semantische

Fundierung der Wortarten verknüpft: Jeglicher semantische Unterschied zwischen Adjektiven

und Adverbien wird nämlich von "Grenzgängern" wie den Adjektivadverbien in Frage gestellt. In

Der Mann arbeitet fleißig wird die Eigenschaft des Fleißes eben nicht (wie beim attributivem oder

prädikativen Gebrauch des Adjektivs) einem Gegenstand zugeschrieben. Schon eher gilt hier für

fleißig , was auch für Adverbien gilt: sie "bezeichnen die Umstände näher, unter denen sichbeispielsweise eine im Verb ausgedrückte Handlung vollzieht." (HW 235) Solche inneren

Widersprüche lassen sich nur vermeiden, wenn man entweder (wie Engel) nicht den Anspruch

erhebt, die syntaktischen (und/oder semantischen) Funktionen einer Wortklasse vollständig

abzubilden, oder wenn man (wie Helbig/Buscha) eine doppelte Klassifizierung erlaubt. Daß

Hentschel/Weydt diese zweite Möglichkeit nicht nutzen, mag daran liegen – aber diesbezüglich

sind wir auf Vermutungen angewiesen –, daß sie das Ansetzen von homonymen, semantisch

nicht unterscheidbaren Mitgliedern unterschiedlicher Wortklassen vermeiden wollen.

3.2.4. Duden-Grammatik

Der Duden beschreitet im Prinzip einen ähnlichen Weg, d.h. Adjektive können zwar

vergleichbare Funktionen wie Adverbien übernehmen ("adverbialer Gebrauch" DU 258f.), gelten

aber doch stets als Adjektive. Den Terminus "Adverb" will der Duden als rein "lexikalische", d.h.

Wortartkategorie, nicht jedoch als syntaktischen Begriff verstanden wissen (DU 355). "Dadurch

wird ausdrücklich auch das Adjektiv (…) aus dem Bereich des Adverbs ausgeschlossen. Das Adjektiv kann zwar (…) als Umstandsangabe oder adverbiale Bestimmung dienen, im Hinblick

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auf die Wortart ist es aber streng vom Adverb zu scheiden." (ebd.) Die bei Hentschel/Weydt

aufgezeigten Widersprüche zwischen semantischer Definition des Adjektivs und seiner

adverbialen Funktion löst der Duden durch eine Erweiterung der traditionellen semantischen

Merkmale dieser Wortart: Demzufolge können Adjektive nicht nur einem Gegenstand, sondern

auch einem Geschehen eine Eigenschaft zuweisen (DU 254). Somit schwindet der semantische

Unterschied zwischen Adjektiv und Adverb, denn zwischen "Eigenschaften" und "näheren

Umständen" eines Geschehens ist eine klare Trennlinie nicht mehr ziehbar. Das schon zitierte

Satzpaar von Engel mag dies noch einmal illustrieren: Er folgte ihr bereitwillig(Eigenschaft)/

blindlings (nähere Umstände). Da sich – wie gesehen – auch die syntaktischen Funktionen der

beiden Wortarten überlappen, verbleibt dem Duden als sichere Grundlage der Abgrenzung von

Adjektiv und Adverb nur die Morphologie: "Man darf sich (…) durch die Tatsache, daß das

Adjektiv als adverbiale Bestimmung immer unflektiert gebraucht wird, nicht irremachen lassen: Als adverbiale Bestimmung begegnet es im Satz zwar unflektiert (…), als Wortart ist es aber

grundsätzlich flektierbar." (DU 355)28 Der Duden kann den dargestellten Weg gehen, weil er

semantische, syntaktische und morphologische Kriterien bei der Wortartdefinition

gleichberechtigt (und abwechselnd) nutzt. Hentschel/Weydt dagegen ist eine solche Lösung

verwehrt, weil sie die Semantik als Leitkriterium der Wortklassenbestimmung postulieren, eine

Überschneidung der semantischen Funktionen von Adjektiv und Adverb also nicht zulassen

können. – Abschließend sei vermerkt, daß auch der Duden Wortart- und Syntaxkategorien nichtimmer deutlich trennt. So heißt die vom "adverbial" verwendeten Adjektiv ausgeübte

syntaktische Funktion z.B. inSie ging eilig nach Hause"adverbiales Satzadjektiv" (DU 253, 626).

"Satzadjektiv" ist also entgegen dem Anschein keine Subklasse der Wortart Adjektiv, sondern

eine syntaktische Kategorie, die zudem – und dies erstaunt, kann aber hier nicht vertieft werden –

von der syntaktischen Funktion eines "adverbialen Präpositionalgefüges" (DU 620) wie inSie ging

in aller Eile nach Hause unterschieden wird.

3.3. Modal- und Rangierpartikel, Modalwort, Satz- und Kommentaradverb

In diesem Abschnitt wollen wir uns Wörtern zuwenden, die nichts zur Beschreibung des

Sachverhalts beitragen, sondern eine Bewertung desselben durch den Sprecher ausdrücken:

hoffentlich, sicherlich, glücklicherweise u.a. Traditionell und in Wörterbüchern meist als Adverbien

28 Nicht klar wird, warum der Duden einerseits zuläßt, daß attributiv verwendete Pronomina als Artikel gewertet werden (vgl. oben 3.1.), andererseits aber "adverbial" verwendete Adjektive nicht als Adverbien betrachten will.

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klassifiziert, teilen sie zwar die Erststellenfähigkeit mit diesen, können aber nicht auf Sachfragen

antworten.

3.3.1. Engel

Engel grenzt die Gruppe der hier interessierenden Wörter in bekannter distributioneller

Weise ein. Ein Wort, das die Tests für Verb, Nomen, Determinativ, Adjektiv, Pronomen,

Präposition und Subjunktor nicht bestanden hat, außerdem erststellenfähig ist und nicht auf

Sachfragen antwortet (also kein Adverb ist), wird als Modalpartikel ausgewiesen, wenn es auf

Entscheidungsfragen antworten kann (z.B.hoffentlich, vielleicht, leider ) und als Rangierpartikel, wenn

es auf keinerlei Fragen antwortet (z.B. jedoch, gottlob, wenigstens ) (EN 20, 762-764). Zwar dienen

auch Wörter wiebestimmt, sicher, gewiß, natürlichals Antworten auf Ja-Nein-Fragen, aber sie wurden,da attributiv verwendbar, bereits zuvor als Adjektive ausgefiltert und gelten somit nicht als

Modalpartikeln (EN 762). Gleiches gilt für Adjektive wiewirklich, wahrhaftig , die nicht zusätzlich

als Rangierpartikeln geführt werden (EN 763). Daß sich bestimmte unflektierte Adjektive

syntaktisch ganz ähnlich verhalten wie Modal- und Rangierpartikeln und dabei ebenso wie diese

eine "Bewertung des Sachverhalts" durch den Sprecher ausdrücken (EN 762, 763), schlägt sich

bei Engel nicht in der Wortklassenzuweisung nieder, sondern auf der Ebenesyntaktischer Analyse:

Angehörige verschiedener Wortklassen, aber auch komplexe sprachliche Ausdrücke erscheinen

hier als "existimatorische Angaben" (EN 226ff), die "eine Einschätzung des Sachverhalts durch

den Sprecher" (EN 226) wiedergeben und semantisch weiter subklassifiziert werden können.

"Ordinative Angaben" etwa "setzen Äußerungen in Beziehung zu anderen Äußerungen (…),

überschreiten also insofern die Satzgrenze" (EN 228). Sie sind realisiert durch Modalpartikeln wie

allerdings, freilichund Rangierpartikeln wiebeispielsweise, jedoch, sowieso u.a., auch durch die

unflektierten Adjektive gewiß, sicher, wirklich, tatsächlich und komplexe Ausdrücke wieauf der

einen/anderen Seite, in erster Linieetc. Ähnliche Mischungen sprachlicher Darstellungsmöglichkeiten

finden sich bei den "judikativen" Angaben, die zum Ausdruck bringen, "wie der Sprecher einenSachverhalt bewertet, wie er ihn findet" (EN 229) und bei den "verifikativen" Angaben, die den

"Realitätsgehalt eines Sachverhalts (modifizieren)" (EN 230). M.a.W.: Dadurch, daß Engel im

Syntaxteil seiner Grammatik bestimmte gemeinsame syntaktische ("Angabe") und semantische

("Bewertung") Funktionen von Modal-/Rangierpartikeln und Adjektiven erfaßt und darstellt, ist

er nicht darauf angewiesen, derartige Ähnlichkeiten bei der Wortklassenanalyse zu

berücksichtigen.29 Das theoretisch stringente Verfahren Engels wird in der Praxis allerdings nicht

immer ganz durchgehalten. Dies erweist sich insbesondere im Umgang mit homonymen Lexe-

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nicht klar auszumachen, ob die jeweilige Partikel auf Entscheidungsfragen oder auf gar keine

Fragen antwortet. Wenn etwa fast als Antwort akzeptiert wird ( Bist du fertig? – Fast .), dann kann

man m.E. auchmindestensals Antwort gelten lassen ( Hätte ich anrufen sollen? – Mindestens. ) Für Engel

aber ist fast Modalpartikel undmindestens Rangierpartikel.

3.3.2. Helbig/Buscha

Helbig/Buscha (HB 500ff) sprechen von "Modalwörtern" und verstehen darunter neben den

unflektierbarenallerdings, freilich, hoffentlich, kaum, leider, sicherlich, vielleichtusw. auch solche, "die

zugleich attributiv verwendet werden" und "damit in die Klasse der Adjektive übertreten" (ebd.):

bestimmt, gewiß, natürlich, offenbar, unzweifelhaft u.a. Von Bedeutungsunterschieden ist dabei keine

Rede, weshalb wir davon ausgehen müssen, daß Helbig/Buscha auch hier – wie bei Adjektiv und Adverb – homonyme Lexeme ansetzen, die sich lediglich hinsichtlich ihrer Distribution bzw.

syntaktischen Verwendbarkeit unterscheiden. Allerdings lassen sich Modalwörter nicht rein

distributionell ermitteln, denn sie teilen oberflächliche Stellungseigenschaften mit den Adverbien

(HB 501): Er kommt pünktlich("Adverb")/ vermutlich(Modalwort)zur Schule . Aus diesem Grund

gibt es zweideutige Sätze wieDas Flugzeug ist sicher(=sicherlich/ risikolos) gelandet . Modalwörter

lassen sich erst durch Transformationen in einen übergeordneten Matrixsatz ermitteln, wobei der

abhängige Satz immer mitdaß eingeleitet ist, während er bei modalen Adverbien mitwie beginnt.

Es ist sicher, daß das Flugzeug gelandet ist(Modalwort); Es ist sicher, wie das Flugzeug gelandet ist

(Adverb) (HB 501f). Modalwörter lassen sich – so Helbig/Buscha – auch stets mit einem

Schaltsatz paraphrasieren, Adverbien dagegen nicht: Er hat den Zug vermutlich nicht erreicht. Er hat

den Zug – so vermute ich – nicht erreicht (HB 502), weshalb man auch von "Schaltwörtern,

Einschubwörtern oder Parenthetika" spreche (HB 504). Helbig/Buscha nennen eine Reihe

weitere syntaktischer Eigenschaften von Modalwörtern, wobei nicht ganz klar wird, ob sie – wie

der Transformationstest – der Abgrenzung der Wortklasse selbst oder nur der Beschreibung

einer bereits hinreichend definierten Wortklasse dienen sollen. So wird darauf hingewiesen, daßModalwörter im Gegensatz zu Adverbien nicht negiert werden können ( Er kommt vermutlich/

*pünktlich nicht. Aber: Er kommt nicht *vermutlich/ pünktlich. ) und daß Modalwörter auf

Entscheidungsfragen antworten, Adverbien dagegen auf Ergänzungsfragen (HB 502). Damit

scheinen die "Modalwörter" (wenn man von den Adjektiv-Homonymen absieht) in die Nähe von

Engels "Modalpartikeln" zu rücken; allerdings zeigt sich, daß Helbig/Buscha Wörter wie gottlob,

wohl, womöglich, bedauerlicherweise, glücklicherweise, erstaunlicherweise als Modalwörter führen (HB 500),

während sie bei Engel als "Rangierpartikel" erscheinen (EN 763). Offenbar wird die Fähigkeitsolcher Wörter, allein auf Satzfragen zu antworten, ganz unterschiedlich eingeschätzt. Einerseits

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belegt dies die oben erwähnte Schwierigkeit, Modal- und Rangierpartikeln voneinander

abzugrenzen, andererseits scheint mir, daß Wörter wie gottlob oder womöglich – ohne ein

zusätzliches "ja" – tatsächlich nicht als Antwort auf Ja-Nein-Fragen dienen können. Oder sollten

Helbig/Buscha das Merkmal "Antwort auf Entscheidungsfrage" nicht als zwingend für alle

Mitglieder der Wortklasse "Modalwörter" verstehen? Dagegen wiederum spricht, daß sie gerade

dieses Merkmal nutzen, um andere Engelsche Rangierpartikeln ( jedenfalls, ohnehin, übrigens, vielmehr )

aus der Modalwort-Klasse auszuschließen (HB 510). Entscheidend für den Ausschluß dieser

Partikeln wie auch der "Negationswörter"keinesfalls, keineswegs, mitnichten (allesamt Modalpartikeln

bei Engel 762) ist vermutlich33, daß sie keine "Modalität", keine Einstellung des Sprechers

ausdrücken (HB 509, 510). Helbig/Buscha sehen das "Wesen der Modalwörter" (HB 503-506)

nämlich darin, daß sie syntaktisch "außerhalb des Satzzusammenhangs" stehen ("Schaltwörter")

und semantisch dementsprechend nichts zum propositionalen Gehalt beitragen, sondern als"Einstellungsoperatoren" die "subjektiv-modale Einschätzung des Geschehenen durch den

Sprechenden aus(drücken)".34 Zusammenfassend können wir sagen, daß Helbig/Buscha

Modalwörter zwar prinzipiell distributionell definieren, vor allem durch Transformationstests von

Adverbien abgrenzen, mit dem Kriterium "Antwort auf Entscheidungsfrage" jedoch unsicheres

Terrain betreten (wobei der Status dieses Kriteriums bzw. Tests nicht deutlich wird) und

schließlich auch semantische Gründe gelten lassen, um bestimmte Lexeme von der Wortklasse

auszuschließen. Dadurch wird ihr Grundprinzip, Wortklassenzuerst distributionell-transformationell zu definieren unddanach semantisch zu beschreiben (vgl. HB 19), ansatzweise

in Frage gestellt.

3.3.3. Hentschel/Weydt

Hentschel/Weydt definieren Modalwörter semantisch: "Modalwörter wievielleicht,

wahrscheinlich, eventuell, sicherlich usw. dienen dazu, den Wahrscheinlichkeitsgrad einer Äußerung

anzugeben, und graduieren den Bereich zwischen 'völlig sicher' und 'unmöglich'." (HW 279) Siegehören zur größeren Gruppe der Partikeln, d.h. es handelt sich um Wörter, die keine

kategorematische oder kategorielle, sondern nur eine synkategorematische Bedeutung haben

(HW 245-248; 20). Wie an den Beispielen zu erkennen, zählen Hentschel/Weydt auch solche

Wörter zu den Modalwörtern, die in attributiver Stellung flektiert sind ( eine eventuelle Verspätung )

33 Diese Vermutung stützt sich darauf, daß Helbig/Buscha für den Ausschluß vonkeineswegs usw. überhaupt keinesyntaktisch-distributionellen Anhaltspunkte nennen, vgl. HB 509.34 Helbig/Buscha nehmen auch eine semantische Subklassifizierung der Modalwörter vor; dabei analysieren sie, obdas Modalwort a) die Faktizität des Geschehens voraussetzt (z.B.bedauerlicherweise ) oder nicht (z.B.wahrscheinlich ), b)

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und dann als Adjektive gelten; die Autoren gehen zwar auf dieses Problem selbst nicht ein, aber

wir müssen annehmen, daß sie in solchen Fällen homonyme Lexeme ansetzen, die sich ggf. nur

in der syntaktischen Verwendbarkeit unterscheiden. Eine solche Doppelklassifizierung wirft

freilich ein Problem auf: Wie ist es möglich, daß sich die homonymen Adjektiv/ Modalwort-

Paare hinsichtlich ihres Bezugs zur außersprachlichen Wirklichkeit unterscheiden? Hat es Sinn zu

behaupten, daß z.B. das Adjektiveventuell etwas aus der außersprachlichen Welt ausgliedert und

benennt, während das Modalwort (die Partikel)eventuell dies nicht tut, sondern aufgrund seiner

synkategorematischen Bedeutung nur Beziehungen zwischen Autosemantika herstellt (vgl. HW

20)? Bei der syntaktischen Beschreibung erwähnen Hentschel/Weydt, daß Modalwörter nicht auf

"Bestimmungsfragen" (Ergänzungsfragen), aber auf Entscheidungsfragen antworten, nicht

negiert werden können und vor allem in Aussagesätzen und Entscheidungsfragen vorkommen

(HW 279f.). Wörter mit ähnlichen syntaktischen Eigenschaften wie gern, leider, glücklicherweise werden im Gegensatz zu anderen Autoren (z.B. Helbig/ Buscha) nicht zu den Modalwörtern

gerechnet, da sie nicht die Modalität, im Sinne des Wahrscheinlichkeitsgrades, betreffen, sondern

ein "bewertend-emotionales Urteil über den geäußerten Sachverhalt" wiedergeben (HW 280). Sie

sind wegen ihres Bezugs auf den ganzen Satz als "Satzadverbien" (HW 240f.) klassifiziert.

Satzadverbien sind bei Hentschel/ Weydt eine nach syntaktischen Kritieren gebildete Teilklasse

der Adverbien (HW 235ff.): "eine recht heterogene Gruppe von Adverbien und Partikeln, die

weder erfragt noch negiert werden können, die jedoch problemlos innerhalb negierter Sätzestehen können, ohne selbst Träger der Negation zu sein" (HW 240). Als Beispiele werden die

"Konjunktionaladverbien" gleichwohl und trotzdem,die "modalen Satzadverbien"leider, glücklicher-

weise, womöglich , das temporaleschon und die Partikelnimmerhin, allerdings, jedenfalls genannt. Wegen

ihres Satzbezugs werden diese Wörter von Hentschel/Weydt "als Satzadverbien zusammengefaßt

(…), obwohl es sich größtenteils um Partikeln handelt." (HW 241). Wie schon bei den

"Adjektivadverbien" irritiert die Vermischung von Wortklassen, hier von Partikeln und

Adverbien, und zwar wiederum mit syntaktischer Begründung. Hentschel/ Weydt stellen ihre

"semantisch fundierte" Wortklasseneinteilung z.T. selbst in Frage und bilden syntaktisch

motivierte Mischklassen, was die Trennschärfe ihrer Wortart-Begrifflichkeit deutlich

beeinträchtigt. Denn "Satzadverbien" sind im semantischen Sinne überwiegend keine

"Adverbien": Wörter wie jedoch, immerhinund jedenfalls geben nämlich nicht die näheren Umstände

eines Vorgangs oder Geschehens an und haben weder kategorematische noch deiktische

Bedeutungen, sondern stellen Beziehungen zu vorangegangenen Äußerungen her; undleideroder

glücklicherweise drücken Bewertungen durch den Sprecher aus, liegen also ebenfalls nicht auf der

sich auf den Sprecher und/oder auf das Subjekt bezieht und c) eine emotionale Bewertung einschließt oder nicht

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Entscheidungsfrage (…) verwandt werden, so daß zwischen ja und nein eine breite Skala von

modifizierten Antworten besteht" (ebd.). Die angeführten Beispiele beziehen sich sämtlich auf

den Wahrscheinlichkeitsgrad eines Sachverhalts; es wird nicht deutlich, ob nach Einschätzung des

Dudens auch bewertende Kommentaradverbien (z.B.irrtümlicherweise, leider ) auf Ja-Nein-Fragen

antworten können. Ebenso wie die "Modalwörter" von Helbig/Buscha schließen die

Kommentaradverbien offenbar auch solche Wörter ein, die Engel als "Rangierpartikeln" wertet,

da sie seiner Meinung nach auf gar keine Fragen antworten. Eine weitere Gemeinsamkeit mit

Helbig/Buscha ist die Tatsache, daß der Duden zu den Kommentaradverbien auch Wörter wie

bestimmt, vermutlich, wahrscheinlich, sicher u.a. zählt, die daneben als Adjektive verwendet werden. Zur

Rechtfertigung heißt es, daß sie "meist in anderer Bedeutung" (DU 364) als flektierbare Adjektive

auftreten. D.h. einerseits wird auf Bedeutungsunterschiede als allgemein anerkannte Grundlage

für Homonymie-Erscheinungen Bezug genommen; andererseits aber werden bestimmte Wörterauch dann als Adjektive und Kommentaradverbien geführt, wenn Bedeutungsunterschiede

fehlen. In der Tat kann man verschiedene Bedeutungen z.B. in folgenden Verwendungen von

bestimmt ausmachen:Bestimmt (=sicherlich) kommt sie mit einem bestimmten (= nicht beliebigen) Anliegen zu

dir. Aber ebenso finden sich Beispiele, in denen eine semantische Differenz nicht auszumachen

ist, z.B.: der sichere Tod vs. er ist sicher tot . Für die Behauptung, daß sich "meist"

Bedeutungsunterschiede feststellen ließen, bleibt der Duden den Beweis schuldig. Damit stellt

sich die Frage, wieso der Duden sich einerseits so vehement für die Trennung von Adjektiv und Adverb ausspricht (s.o.3.2), andererseits bei einer Teilklasse der Adverbien Adjektiv-Homonyme

dann aber doch wieder zuläßt. Hier ist ein durchgängiges Prinzip nicht erkennbar. Weitergehend

läßt sich fragen, warum die "Kommentaradverbien" überhaupt als Teilklasse der Adverbien

gewertet werden. Wie dargestellt nutzt der Duden morphologische, syntaktisch-distributionelle

und semantische Kriterien bei der Abgrenzung der Wortarten. Morphologisch gesehen sind

Adverbien und Kommentaradverbien zwar beide nicht-flektierbar, aber diese Merkmal ist wenig

aussagekräftig, denn es gilt auch für andere Duden-Wortarten (z.B. "Partikel", vgl. DU 87f).

Syntaktisch gesehen bestehen, wie gesehen, große Unterschiede zwischen Adverbien und

"Kommentaradverbien". Auch semantisch gibt es eigentlich keine Gemeinsamkeit, denn anders

als Adverbien stehen Kommentaradverbien ja "außerhalb des Satzverbandes" (DU 364) und

beschreiben sicherlich nicht die "näheren Umstände" (DU 88). Vielmehr leisten sie genau jene

"Sprecherbewertung" (DU 88), die der Duden als Merkmal der "Partikeln" angibt. Warum – so

mag man sich fragen – werden die "Kommentaradverbien" nicht als Partikeln eingestuft? Ein

Anhaltspunkt ergibt sich aus der Abgrenzung der "Partikeln"; diesen ist gemeinsam – so der

Duden -, "daß sie – im Gegensatz zu den Wörtern der drei Hauptwortarten und den meisten

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Adverbien – keine eigentliche ([nenn]lexikalische) Bedeutung haben oder jedenfalls

bedeutungsarm sind (…)" (DU 369). Man darf annehmen, daß der Duden die Partikeln also –

ähnlich wie Hentschel/ Weydt – dadurch gekennzeichnet sieht, daß sie synkategorematische

Bedeutung haben. Dann drängt sich allerdings die Frage auf, warum Hentschel/Weydt ihre

Modalwörter zu den Partikeln rechnen (vgl. oben) und der Duden seine Kommentaradverbien

von denselben ausschließt. Ein Blick auf die Partikeldefinition des Dudens (DU 87f) zeigt, daß

Duden-Partikeln ( sehr, besonders, bloß, sogar ) nur als Teile von Satzgliedern auftreten können. Da

dies für Kommentaradverbien nicht gilt, können sie im Duden nicht als Partikeln gewertet

werden. Andererseits teilen die Kommentaradverbien mit den Adverbien eine andere

syntaktische Eigenschaft, die im Duden nirgends erwähnt wird: die Fähigkeit, allein das Vorfeld

zu besetzen (welche die Duden-Partikeln gerade nicht haben).

4. Resümee

In diesem letzten Teil möchte ich – "quer" zur Gliederung des dritten Kapitels – die

Vorgehensweise der vier untersuchten Grammatiken bei der Definition von Wortarten bzw. -

klassen noch einmal zusammenfassen.

Mit seinem im weiten Sinne distributionellen Verfahren kommt Engel dem Ziel einer

distinktiven Klassenbildung am nächsten. Die Definitionen der Wortklassen sind zwar nicht so

trennscharf, daß ein Wort nicht mehreren Klassen zugewiesen werden könnte, aber da die

Wortarttests in fester Abfolge durchgeführt werden und ein einmal klassifiziertes Wort

"ausgesiebt" und keinen weiteren Tests unterzogen wird, können Doppelzuweisungen praktisch

vermieden werden. Determinative wiedieser, jeder, alle werden also nicht auch als Pronomen

gewertet, und Adjektive gelten nicht zusätzlich als Adverbien oder Modalpartikeln. Ausnahmen von dieser Vorgehensweise sind eigentlich nur bei bedeutungsverschiedenen Homographen

vorgesehen, werden aber – wie gesehen – auch bei flexematischen Differenzen (z.B.ein =

Determinativ,einer = Pronomen) und mitunter sogar bei bedeutungsgleichen unflektierbaren

Wörtern (z.B. jedoch= Konjunktor/ Rangierpartikel) vorgenommen. Im Prinzip aber wendet

Engel sein Verfahren recht konsequent an; bei Wörtern, die mehrere syntaktische Funktionen

übernehmen können, wird daher eine von diesen der Klassifizierung zugrunde gelegt, während

die anderen ausgeblendet werden. Daß es sich dabei um die Hauptfunktion handelt, wird von

Engel zwar bei den Determinativendieser, jeder, alle usw. (die auch "pronominal" auftreten)

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behauptet, aber nicht näher erläutert und belegt. Während in anderen Grammatiken Adjektive

auch "als" Adverbien oder Modalpartikeln auftreten, weil sie im Satz ähnliche Funktionen

übernehmen können wie diese, erfaßt Engel solche Analogien in der syntaktischen Analyse (z.B.

bei den "Angaben" und ihrer semantischen Differenzierung), statt sie auf der Ebene der

Wortklassenzuordnung abzubilden. Engel gelingt es, Wortart- und Satzlehre weitgehend vonein-

ander zu trennen. Gegen Engels Vorgehen ließe sich einwenden, daß die Klassifizierung eines

Wortes u.U. nur unzureichend Auskunft gibt über seine (diversen) syntaktischen Verwendungs-

möglichkeiten. Den entsprechenden Informationsverlust wird man als unterschiedlich

schwerwiegend beurteilen: z.B. erscheint es unnötig, die Nominalisierungsmöglichkeit von

Infinitiven durch eine zusätzliche Erfassung als Nomen in der Wortklassenzuweisung zu

berücksichtigen37, gerade weil diese Möglichkeit universell besteht. Nicht zufällig verfahren auch

Wörterbücher (mit gewissen Ausnahmen, also "lexikalisierten" Nominalisierungen wiedas Leben,

das Verhalten ) so. Bei anderen, vereinzelten Fällen von syntaktischen Doppelfunktionen wie bei

doch, jedoch, vielmehr dagegen ist die Zusatzinformation nicht redundant und es erschien offenbar

auch Engel opportun, das nicht vorhersehbare syntaktische Verhalten durch Zuweisung zu einer

zweiten Wortklasse eigens zu dokumentieren. Zwischen diesen beiden Extremen stehen die

anderen hier diskutierten Fälle: Nicht alle Determinative können auch autonom auftreten ( lauter,

kein, deinusw.) und nicht alle Adjektive (z.B.ärztlich, hiesig, damalig vgl. EN 558) lassen sich als

Satzangabe verwenden. Solche Unterschiede im syntaktischen Verhalten schlagen sich bei Engelnicht in der Klassenzuweisung nieder, auch wenn sie in der Beschreibung der einzelnen Klassen

durchaus aufgeführt sind.

Das Vorgehen von Helbig/Buscha unterscheidet sich grundlegend von demjenigen Engels.

Die Differenzen liegen dabei weniger in der Art der eingesetzten Kriterien, die in beiden

Grammatiken distributioneller Natur sind. Vielmehr unterscheiden sich die beiden Ansätze im

Umgang mit dem Phänomen, daß zahlreiche Wörter unterschiedlichen distributionellen Wortklassendefinitionen genügen. Während Engel durch sein gestuftes, operationelles

Klassifizierungsverfahren Mehrfachzuweisungen weitgehend ausschließt, lassen Helbig/Buscha

diese systematisch zu. Daher werdenalle, dieser, manche u.a. einerseits als substantivische

Pronomina, andererseits als Artikelwörter bewertet; Adjektive haben gleichlautende Entsprechun-

gen bei den Adverbien ( schön, fleißig ) oder bei den Modalwörtern ( sicher, bestimmt ). Nach dem im2.

Kapitel Gesagten, lassen sich solche Fälle von Homonymie auf zweierlei Art interpretieren:

37 Die Wertung des nominalisierten Infinitivs in Euer Reden stört als Verb gibt allerdings Anlaß zu der Frage, wie ein Verb zum Kern einer Nominalphrase ( Euer Reden ) werden kann.

35

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solchen Adjektiven gleichlautende Adverbien ansetzen. Das Problem ist, daß bei

Hentschel/Weydt die Zuordnung z.B. von fleißig zu den Wortarten Adjektiv und Adverb –

aufgrund der postulierten semantischen Fundierung der Wortarten – voraussetzen würde, daß

Bedeutungsunterschiede zwischen den Homonymen bestehen. Wie problematisch eine solche

Annahme ist, haben wir bei den homonymen Adjektiv/Modalwort-Paaren gesehen. Während in

anderen Grammatiken die Annahme bedeutungsgleicher Homonyme lediglich wenig "elegant"

ist, muß sie in einer semantisch fundierten Wortartenlehre zu unüberbrückbaren Widersprüchen

führen, denn wie kann bedeutungsgleich sein, was semantisch unterschiedenen Wortklassen

angehört? Besonders erstaunlich und widersprüchlich ist die Wortklasse der "Satzadverbien" bei

Hentschel/Weydt. Einerseits als Teilklasse der Adverbien konzipiert, enthält sie andererseits

neben "Adverbien" wieleider, trotzdemzahlreiche Partikeln wie jedenfalls, allerdings usw. Aber weder

die einen noch die anderen entsprechen der semantischen Definition der Adverbien. Es drängtsich der Eindruck auf, daß syntaktische Kriterien nicht nur der Abgrenzung dieser Teilklasse

innerhalb der Adverbien zugrunde liegen, sondern auch ihrer Subsumierung unter die Adverbien

selbst (Fähigkeit, allein das Vorfeld zu besetzen?). Der semantische Ansatz von Hentschel/Weydt

eröffnet zwar einige interessante Einsichten, liefert aber keine Grundlage für eine in sich

schlüssige Wortartenkonzeption. Vielleicht konnte dies auch deshalb nicht gelingen, weil die

Autoren bewußt an die Begriffe der Schulgrammatik anknüpfen, die – wie Linke u.a. zeigen (vgl.

2.2) – auf einer unsystematischen Verknüpfung verschiedener Kriterien beruhen.

Im Duden werden der Wortartendefinition sowohl morphologische als auch syntaktisch-

distributionelle und semantische-pragmatische Kriterien zugrunde gelegt, wobei ein Leitkriterium

nicht erkennbar ist. Wechselnde Kriterien aber gefährden die Distinktivität und Exhaustivität der

Wortklasseneinteilung. Wenig distinktiv ist z.B. die Definition der Pronomina, wenn diese

gleichzeitig als Artikel (im weiteren Sinne) auftreten können. Wenig distinktiv sind auch die

Klassen Adjektiv und Adverb, jedenfalls in syntaktischer und semantischer Hinsicht. Bei denKommentaradverbien haben wir gesehen, daß sie – semantisch und syntaktisch – der

Adverbdefinition des Dudens eigentlich nicht genügen, andererseits auch nicht als Partikeln

gelten können, da sie ihnen zwar semantisch nahestehen (Sprecherbewertung), sich aber im

syntaktischen Verhalten davon unterscheiden (autonomer Gebrauch). Die wenig überzeugende

Einordnung der "Kommentaradverbien" als Adverbien wirft die Frage auf, ob das Klassifi-

kationsschema des Dudens wirklich exaustiv ist. Mit dem Problem, daß bestimmte Wörter

mehreren Wortartdefinitionen genügen, geht der Duden in unterschiedlicher Weise um. Daß

Pronomina auch attributiv auftreten können, veranlaßt den Duden, einerseits die Definition der

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Pronomina so zu erweitern, daß sie originäre Artikelfunktionen mit einschließt, andererseits (was

eigentlich nicht nötig wäre) den Begriff der "Artikel im weiteren Sinne" einzuführen. Daß

Adjektive ähnliche Funktionen wie Adverbien übernehmen können, führt dazu, daß die

semantische Definition von Adjektiven entsprechend erweitert wird ("Eigenschaft eines

Geschehens"). Aber Adjektive werden nicht zusätzlich z.B. als "Adverbien im weiteren Sinne"

klassifiziert. Zu beachten ist jedenfalls, daß der Duden keine (gleichbedeutenden) Homonymen-

Paare ansetzt: Pronomina wiedieser, jeder, alle übernehmenals Pronomina Artikelfunktionen (und

sind dann zusätzlich "Artikel im weiteren Sinne") ebenso wie Adjektiveals solche adverbiale

Funktion übernehmen. Etwas anders liegt der Fall bei Adjektiven wiesicher, bestimmt, gewiß , die der

Duden in bestimmter Verwendung als "Kommentaradverbien" einstuft, denn hier werden –

allerdings auch nur zum Teil – Bedeutungsunterschiede als Rechtfertigung für einedoppelte

Klassifizierung ins Feld geführt. Eine eindeutige Ablehnung von Homonymen, die sich nichtsemantisch, sondern nur syntaktisch unterscheiden, läßt sich daraus freilich nicht ablesen, zumal

wenn man bedenkt, daß – aus der Sicht des Dudens – die verschiedensten Wortarten in die

Klasse der Substantive übertreten können (DU 87).

Die exemplarische Untersuchung der Wortartdefinition in den vier hier besprochenen

Grammatiken hat – so meine ich – gezeigt, daß die verschiedenen Ansätze zwar mehr oder

weniger schlüssig sind, aber daß keiner von ihnen imstande ist, sämtliche Anforderungen an eine"ideale" Wortklassendefinition zu erfüllen. Vermutlich liegt dies in der Natur der Sache. Den

meisten Klassifizierungen liegen nicht zufällig syntaktisch-distributionelle Kriterien zugrunde;

denn Wortklassen sollen schließlich etwas über die syntaktische Verwendbarkeit ihrer Mitglieder

aussagen. Damit aber büßt die Wortklassendefinition ein Stück Autonomie gegenüber der Syntax

ein, und Wortklassen reduzieren sich im Extremfall – am stärksten etwa bei Helbig/Buscha – auf

syntaktische Funktionen. Die Wortart/klasse erscheint dann nicht mehr als Merkmal des Wortes

selbst, sondern als etwas ihm Äußerliches: als eine von mehreren Gebrauchsmöglichkeiten.Kaschieren läßt sich dieser Autonomie-Verlust der Wortart- gegenüber der Satzlehre, wenn für

diverse syntaktische Funktionen je ein Homonym angesetzt wird. Diese Lösung aber ist wenig

elegant, denn verschiedene Wörter liegen nach traditionellem Verständnis von Homonymie nur

dann vor, wenn sie sich in der Bedeutung unterscheiden.38 Eine weitere mögliche Lösung ist die

38 Eine solche Lösung widerspricht auch einem vorwissenschaftlichen Wortbegriff. Nicht zuletzt deshalb ist es wohlauch so schwierig, über synonyme Homonyme zu schreiben, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln. Z.B. ist eseigentlich unsinnig zu sagen, das Pronomendiesertrete auch als Artikel auf (oder umgekehrt). Streng genommenebenfalls widersinnig ist eine Formulierung wie: "dieser ist Pronomen und Artikel", denn das setzte ja voraus, daß esjenseits des Pronomensdieser einerseits und des Artikelsdieser andererseits ein davon unabhängiges "Wort"diesergibt. Von derartigen unpräzisen Formulierungen ist naturgemäß auch die vorliegende Arbeit nicht frei.

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von Engel angewandte, durch operationelle Verfahren "mechanisch" die Zuweisung zu mehr als

einer Wortklasse zu verhindern. Das erweist sich aber dann als Nachteil, wenn die dabei

unterdrückte semantische Information nicht redundant, sondern wesentlich ist. In

Wörterbüchern wäre ein solches, theoretisch durch seine Stringenz überzeugendes Verfahren z.T.

wohl eher fragwürdig. Die Definition der Wortarten scheint sich in einem Dilemma zu bewegen.

Da kann es nicht verwundern, daß sich unterschiedliche Autoren für verschiedene "Übel" ent-

scheiden. Aber bei derart unterschiedlichen und z.T. einander widersprechenden Ansätzen kann

es auch nicht überraschen, daß sich in der Praxis des DaF-Unterrichts die traditionelle

Wortartlehre – als eine Art kleinster (auch international) gemeinsamer Nenner – bis heute

weitgehend hat behaupten können.

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