Orthodoxe Kirchengemeinden
Balingen und Albstadt
ERZBISTUM DER ORTHODOXEN GEMEINDEN RUSSISCHER TRADITION IN WESTEUROPA
GEMEINDEBLATT MÄRZ 2019
Kapelle zum Hl. Martin von Tours in Balingen, (Siechenkapelle), Tübinger Str. 48, 72336 Balingen
www.orthodoxe-kirche-balingen.de
Tel. 07432 941 521
Fax 07432 941 522
Kapelle zum Hl. Sergius von Radonesch in Albstadt, Schloßstr. 42, 72461 Albstadt www.orthodoxe-kirche-albstadt.de
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!!! Aktuelles !!! Termine !!! _________________________________________
17.03.2019 Panorthodoxe Vesper um 18.00 Uhr. Antiochenisch Orthodox Kirche, St. Johannes der Täufer, Daimlerstr. 2, 71263 Weil der Stadt
24.03.2019 Vortrag zum Thema: Die Heilige Schrift in der orthodoxen Kirche
31.03.2019 Gottesdienst zur Verehrung der Kreuzreliquie Kloster Wiblingen, Schloßstraße 38 , 89079 Ulm-Wiblingen
07.04.2019 Katechese für die Kinder
Herausgegeben von den Orthodoxen Kirchengemeinden Balingen und Albstadt.
Unsere Bankverbindungen:
Orthodoxe Kirchengemeinde Balingen
Sparkasse Zollernalb
IBAN: DE35 6535 1260 0134 0425 56
BIC: SOLADES1BAL
Orthodoxe Kirchengemeinde Albstadt
Sparkasse Zollernalb
IBAN: DE71 6535 1260 0025 0870 46
BIC: SOLADES1BAL
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Regionalteam Baden-Württemberg
Jahresprogramm 2019 Wochenendseminar für junge Erwachsene
Das nächste Wochenendseminar für junge Erwachsene findet
vom 3. – 5. Mai 2019
im Haus Schönbühl in Irndorf statt.
OJB - Sommerlager
Das achte OJB-Sommerlager in Baden-Württemberg findet vom 8. bis 18. August 2019 wieder in der Jugendbegegnungsstätte Uchtstr. 28 in 78598 Königsheim statt. Eingeladen sind Kinder von 7 - 15
Jahren.
OJB-Jugendtag in Stuttgart
Am 21.09.2019 wird der vierte Jugend-tag in Stuttgart stattfinden.
Der Jugendtag wird wieder in der rumä-nischen Kirchengemeinde Christi Ge-burt, Stammheimerstr. 104 in 70439 Stuttgart-Zuffenhausen stattfinden.
Für Fragen stehen wir Euch unter 07432/941521 oder [email protected] gerne zur Verfügung.
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Der Sonntag der Vergebung Die Große Fastenzeit beginnt während der Vesper der Vergebung am vierten
Vorfasten-Sonntag. Ich wünsche allen, dass sie ihre geistliche Tiefe erfahren
können und ihre Schönheit erkennen.
Am eindrucksvollsten ist ihr Höhepunkt, wenn die Gläubigen ihren Priester
und sich gegenseitig um Vergebung bitten. Auch wenn wir nicht an der Ves-
per teilnehmen, können wir doch Versöhnung suchen, besonders in unseren
Familien und in unserer Gemeinde, nicht als Formsache, sondern mit Liebe.
In der Evangeliumslesung vom Sonntag der Vergebung (vgl. Matthäus 6:14-
21) werden wir gewarnt, dass unser himmlischer Vater uns nicht vergeben
wird, wenn wir nicht anderen vergeben. Außerdem sagte Jesus, wir müssen
bis zu „siebzig mal sieben“-mal vergeben und nicht nur einmal im Jahr. (vgl.
Matthäus 18:21-22.32-35).
Aber wie schwierig ist es zu vergeben! Wir hätscheln jedes Unrecht, das wir erleiden mussten. Wir pflegen jeden Groll. Wir blasen unser Selbstmitleid,
unsere Selbstgerechtigkeit auf. Wir negieren, dass Ärzte sagen, es mache
krank, wenn wir nicht vergeben. Wir verhärten unser Herz. Wir belasten un-
sere Seele.
Und umgekehrt verhindert unser Stolz, dass wir um Vergebung bitten, auch
wenn wir Gewissensbisse haben. So sind wir, die Kinder des Ungehorsams.
Wir richten, wenn unser Erlöser sagt: „Richtet nicht“; wir deuten auf den
Splitter im Auge unseres Bruders, statt den Balken aus unserem eigenen Au-
ge zu ziehen (vgl. Matthäus 7:1-5). Wir vergessen, dass „es keinen gibt, der gerecht ist“ (vgl. Römer 3:23).
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Allein Jesus Christus ist heilig, daran werden wir in jeder Göttlichen Liturgie
bei der Heiligen Kommunion erinnert. Zu vergeben heißt Gott gehorchen.
Gott gehorchen heißt in Einheit mit Ihm zu leben. „Wer Seine Gebote hält, bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1. Johannes 3:24).
„Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“ (Johannes 14:15).
Das große Gebot betrifft die Liebe zu Gott und zu unseren Nächsten (vgl. Lu-
kas 10:27). Nicht zu vergeben (ungehorsam zu sein) offenbart unseren Man-
gel an Liebe.
Der erste Brief des Hl. Johannes lässt uns nachdenken. Gott ist die Liebe, ver-
kündet er, und die Liebe ist von Gott. Wer liebt ist von Gott geboren. Darin ist
die Liebe: Gott sandte Seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden; Chris-
tus starb für unsere Sünden. So wie Gott liebte, so müssen auch wir lieben.
Wenn wir nicht lieben, kennen wir Gott nicht. Wer seinen Bruder hasst hat
kein Licht, sondern lebt in der Finsternis; er ist ein Mörder und ein Mörder
hat nicht das ewige Leben. „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (1. Johannes 4:20).
Zugegeben: Wir können uns nicht zwingen genug zu lieben um zu vergeben.
Wir brauchen dazu die Gnade unseren dreieinen Gottes, „... denn für Gott ist alles möglich“ (vgl. Markus 10:27). Indem wir den Herrn im Gebet anflehen,
geben wir unsere Hilflosigkeit zu. Wir bekennen unsere Unfähigkeit zu verge-
ben im Sakrament der heiligen Beichte. Wir beten täglich für die, denen wir
nicht vergeben können, denn wir werden die immer mehr lieben für die wir
beten. Genauso beten wir für die, deren Vergebung wir erhoffen. Wir lesen
die geeigneten Stellen in der Heiligen Schrift. Wir werden gestärkt durch den
häufigen Empfang der Heiligen Kommunion. Wir erwarten keine schnellen
Ergebnisse. Wir harren aus.
Schließlich werden wir gewahr, dass wir vergeben – und sogar vergessen
haben! Noch mehr, wir entdecken, dass wir uns verändert haben. Wir sind in
Christus gewachsen, besonders in Seiner Liebe; wir sind Ihm ähnlicher ge-
worden.
Quelle: Teresa Polychronis,
Monthly Bulletin of Holy Transfiguration Greek Orthodox Church, März 2004.
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Zur Verehrung des heiligen Kreuzes Diakon Thomas Zmija v. Gojan
In der Antike war die Hinrichtung am Kreuz die Quelle der Schande und des
Entsetzens. Nicht nur bei den Römern und Griechen, sondern auch bei den
Juden galt der Gehenkte, und damit auch der Gekreuzigte, als von Gott ver-
flucht. Es gab für die Menschen des Altertums keine Hinrichtungsart, die ent-
setzlicher und entehrender gewesen wäre. Aus diesem Grund wurde die Hin-
richtung zur Kreuzigung von den Römern und Griechen, aber auch von den
Babyloniern, Assyrern und Persern vor allem an Sklaven, Kapitalverbrechern
und Staatsfeinden vollzogen. Die Verurteilung eines Verbrechers zur Kreuzi-
gung kam somit einer Aberkennung aller seiner Rechte als Mitglied der
menschlichen Gesellschaft gleich. Der zur Kreuzigung Verurteilte wurde da-
mit dem Hohn und Spott der Allgemeinheit ausgeliefert. Deshalb sagt uns der
heilige Apostel Paulus: „Das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft.“ Und weiter an
der gleichen Stelle: „Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weis-heit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: Für die Juden ein empörendes Ärgernis, für die Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Weisheit.“ (1. Korin-
ther 1, 18-24). Und damit sind wir bei der entscheidenden Frage angelangt:
Was aber bedeutet das Kreuz für die Christen?
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Denn seit dem Ostermorgen ist das Kreuz vor aller Welt offenbar geworden
als das Werkzeug des Heils und das Mittel unserer Erlösung. Deshalb ist es
das Schutzzeichen der Christen und ein Gegenstand unserer Verehrung. Am
Sonntag der Kreuzverehrung in der großen Fastenzeit singen wir deshalb:
„Vor Deinem Kreuze werfen wir uns nieder, o Gebieter, * und Deiner heilige Auferstehung preisen wir!“ So ist das heilige Kreuz für die gläubigen Christen
nicht mehr ein Zeichen von Schmach und Tod, sondern das Zeichen des Hei-
les und der lichten Auferstehung Christi.
Deshalb tragen wir seit unserer Taufe das Zeichen des heiligen Kreuzes um
unseren Nacken; deshalb bezeichnen wir uns zum tätigen christlichen Be-
kenntnis mit den heiligen Kreuzzeichen; deshalb bewahren wir die Ikone des
heiligen Kreuzes in den Ikonenecken unserer Häuser auf und deshalb ruft das
Zeichen des heiligen Kreuzes auf den Kuppeln unserer Kirchen die Gläubigen
zum Gottesdienst. Und deshalb sagen wir Christen mit dem heiligen Apostel
Paulus: „Mir sei es ferne - bewahre Gott - mich in etwas anderem zu rüh-men, als im Kreuze unseres Herrn Jesus Christus, durch den mir die Welt gekreuzt ist und ich der Welt.“ Das Zeichen des Kreuzes mahnt uns, dass wir
als Christgläubige inmitten der Welt Zeugnis geben vom Heil und der Erlö-
sung die Christus durch Seinen Tod am Kreuz und Seine glorreiche Auferste-
hung inmitten dieser Welt vollbracht hat. Und zugleich gemahnt uns das Zei-
chen des heiligen Kreuzes, dass wir zwar in dieser Welt leben, aber nicht von
dieser Welt sind.
Und so ist das heilige Kreuz überall im Leben der Christen und der Kirche prä-
sent. Wohin wir auch immer schauen, überall sehen wir das Zeichen und die
Ikonen des heiligen Kreuzes: es dominiert die Kuppeln unserer Kirchen, es
liegt auf dem Altartisch im Gotteshause, es ziert die Kronen der christlichen
Könige und befindet sich auf der Brust eines jeden orthodoxen Christen. Das
Kreuz begrüßt uns bei der Taufe und segnet uns bei dem Übergang in das
ewige Leben. Nach dem Ende unseres irdischen Lebens steht das Kreuz als
Zeichen unserer christlichen Hoffnung auf unseren Gräbern. Und zugleich ist
das heilige Kreuz nicht nur von überragender Bedeutung für uns orthodoxe
Christen, sondern das Zeichen des heiligen Kreuzes verbindet bis heute die
Christenheit des Ostens und des Westens.
So hat sich seit jenem Ostermorgen in Jerusalem eine große Veränderung im
Verständnis des Kreuzes vollzogen. Seit der Zeit der heiligen Apostel began-
nen die Christen, das Kreuz mit Ehrfurcht zu verehren, wo es doch bis dahin
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als Werkzeug des Spottes gedient hatte. Das ist deswegen geschehen, weil
der Sohn Gottes gerade auf dem Kreuz für die Sünden der ganzen Welt ster-
ben wollte. Durch Sein freiwilliges Opfer am Kreuz hat Christus, der mensch-
gewordene Gottessohn, allen Menschen wieder den Weg zum himmlischen
Vater eröffnet. Gottes unüberwindliche Liebe wollte uns Menschen, die wir
alle Sünder sind, durch Christi Heilstaten, deren Gipfel der Kreuzestod und
die glorreiche Auferstehung sind, aus unserer selbstgewählten Verstockung
und Gottesferne erretten. So ist das heilige Kreuz der Schlüssel, der uns das
Reich der Himmel wieder geöffnet hat.
Seit der Zeit, da unser Herr und Erlöser Jesus Christus am Kreuze starb und
nach drei Tagen glorreich aus dem Grabe wieder auferstanden ist, wurde
Seine unüberwindliche, unbeschränkte göttliche Kraft auch auf das heilige
Kreuz übertragen. Die Kraft von Christi göttlicher Erlösung ist seitdem für alle
Zeiten mit dem heiligen und lebensspendenden Kreuz verbunden. Die allhei-
lige Reliquie des heiligen und lebensspendenden Kreuzes, deren Teile heute
in allen Teilen der Christenheit auf der Welt aufbewahrt werden, ist so mäch-
tig und stark, weil es Symbol und Träger des Auferstehungsmysterions ist. Die
Christen finden in der allheilige Reliquie des heiligen und lebensspendenden
Kreuzes ein Geheimnis ihres Glaubens: die für uns unbegreifliche und unbe-
schreibliche erlösende Kraft unseres Herrn und Erlösers und Gottes Jesus
Christus.
Gesegnet sind deshalb unsere Lippen, wenn wir das kostbare Holz des heili-
gen Kreuzes küssen; gesegnet ist unsere Stirn, unsere Brust und Schultern,
die durch das siegreiche Zeichen unseres Glaubens geschützt werden!
Der heilige Apostel Andreas der Erstberufene hat, als ihn der Henker zum Tod
durch Kreuzigung geführte und er von weitem das Zeichen des Kreuzes gese-
hen hat, vor Freude ausgerufen: „Freue Dich, Du Kreuz: geheiligt bist Du durch den Körper Christi und geschmückt wie mit Blumen von seinen Glie-dern! Bevor auf Dir mein Gebieter gekreuzigt wurde, warst Du für andere ein Schrecken. Nun aber wissen die Gläubigen, wieviel Gnade in Dir steckt, wieviel Belohnung vorbereitet ist. Ohne Angst und freudig gehe ich zu Dir, aber nimm auch Du mich mit Freude an als Deinen Schüler des auf Dir Ge-kreuzigten Christus. Immer habe ich Dich geliebt und wollte Dich immer umarmen. O gepriesenes Kreuz, das Du die Herrlichkeit und Schönheit der Glieder des Herrn Christus auf dich nahmst, stets harre ich Deiner und su-che nach Dir! Nimm mich von dieser irdischen Welt und übergib mich mei-
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nem Lehrer, möge durch Dich der Herr mich annehmen, dank dem ich durch dich vor dem Verderben entronnen bin!“
Auch bat der heilige Apostel Petrus seine Henker in Rom nur darum, dass sie
ihn mit dem Kopf nach unten kreuzigen mögen, da er sich unwürdig fühlte,
die Kreuzigung auf dieselbe Art wie Christus anzunehmen.
An diesen beiden Beispielen sehen wir, welch große Ehre die Heiligen Apostel
dem Kreuze Christi beigemessen haben. Wie sollten wir Christen es nicht
ebenfalls kniefällig und demütig verehren? Wie sollten wir einen so großen,
kostbaren Schatz nicht voller Glauben wertschätzen. Das heilige Kreuz ist das
Werkzeug unserer Errettung von der Macht des Satans und der Hölle. Das
heilige Kreuz ist das Zeichen des neuen und ewigen Bundes mit Gott und das
Heilmittel unserer Erlösung. Wie sollten wir Rechtgläubigen es nicht aus tiefs-
tem Herzen preisen? Seit der Zeit, da unser Herr und Erlöser durch Sein heil-
bringenden Leiden das Kreuz erleuchtet hat, besingt die Heilige Kirche das
heilige Kreuz mit den Worten: „Durch den Glanz Deines Kommens und durch Dein Kreuz hast Du, Christus, alle Enden der Welt erleuchtet und sie gehei-ligt, dadurch hat sich eine übernatürliche wundertätige Kraft gezeigt.“
Nicht von ungefähr kann unsere heilige orthodoxe Kirche in ihren Gesängen
gar nicht genug der großartigen Worte zur Verherrlichung des Kreuzes Christi
finden: „O heiliges Kreuz! Du Lob der Apostel, Stärkung der sanften Gläubi-gen, Lob der Hierarchen und Märtyrer, welches Du den Sieg und die Hilfe allen an Dich Glaubenden gibst. Das Kreuz ist Lobpreis und ewiges Licht für unsere Seelen und ist das Fundament des Glaubens, Vernichtung des Sa-tans; ist die Herrlichkeit der Kirche, aber auch Verderben der Frevler und Schande für die Feinde am Tag des Gerichts.“
Wenn wir daran denken wollen, was der Erlöser für uns getan hat, dann ge-
bietet uns die heilige Kirche, dass wir uns mit dem Zeichen des heiligen und
lebensspendenden Kreuz bezeichnen. Der Brauch, dass es in der orthodoxen
Kirche üblich ist, sich während des Gebetes mit dem Zeichen des heiligen
Kreuzes zu segnen, stammt aus urchristlicher Zeit. Er wurde von den heiligen
Aposteln begründet, an alle Gläubigen weitergegeben und wird seit der Zeit
strengstens befolgt, so dass ohne das Zeichen des heiligen Kreuzes kein Ge-
bet, weder in der Kirche, noch im Kreis der orthodoxen Familien zu Hause
beginnt. So wird der Beginn eines jeden orthodoxen Gebetes begleitet vom
heiligen Kreuzzeichen und einer Verbeugung.
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Das Segenszeichen mit dem Kreuz Christi verleiht nicht nur unserem Gebet
große Kraft, sondern dank ihm gehen auch viele unserer guten Vorhaben und
Taten in Erfüllung. Durch das Zeichen des heiligen Kreuzes vertreiben wir
auch unsere sündhaften Gedanken, dämonischen Versuchungen wie auch
unsere Verstrickungen in die Leidenschaften aus unseren Herzen. So ist der
Segen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes für uns Christgläubige, die wir
unseren Glaubenskampf in einer sündigen und von den Mächten des Bösen
beherrschten Welt zu führen haben, gleichsam der zeichenhafte Anker, der
uns fest mit unsere Herrn und Erretter Jesus Christus verbindet.
Im Zeichen des heiligen Kreuzes ist einem jeden von uns eine große Kraft
gegeben. Zur Bestätigung dieser Worte genügt es, einmal in die Schriften der
Heiligen Väter hinein zu schauen, durch sich ein jeder von uns von der großen
Kraft des Kreuzes Christi überzeugen kann. Ich möchte hier nur einige Bei-
spiele aus der unendlichen Anzahl der Erwähnungen anführen: So hat der
heilige Apostel Johannes der Theologe, wie sein Schüler Prochoros uns be-
richtet, seinerzeit durch das Zeichen des Kreuzes eine auf der Straße liegende
Kranke geheilt. Und die selige Makrina, die Schwester des heiligen Basilios
des Großen, welche schrecklich an einem Brustgeschwür litt, bat ihre Mutter,
über der kranken Stelle ein Kreuzzeichen zu machen. Als sie das getan hatte,
wurde die Kranke sofort wieder gesund.
Das wundertätige Kreuz Christi hat aber nicht nur körperliche Leiden geheilt,
sondern auch Tote wieder zum Leben erweckt, ja es hat in bestimmten Fällen
dem Körper sogar die Unversehrtheit verliehen. So segnete die heilige, apos-
telgleiche Märtyrerin Thekla den Holzstapel, der für ihre Verbrennung vorbe-
reitet war. Hieraufhin vermochten die Flammen sie nicht zu verletzen. In ähn-
licher Weise hat sich auch die heilige Märtyrerin Wassilissa von Nikomedia
mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes bezeichnet. Die Heilige stand daraufhin
viele Stunden lang inmitten der Flammen im glühenden Ofen, aber durch den
göttlichen Beistand vermochte die verzehrende Glut ihr keinen Schaden zu-
zufügen.
Die allmächtige Kraft des heiligen Kreuzes Christi hat auch todbringendes Gift
unschädlich gemacht, wie wir es in den Heiligenleben des heiligen Juvenalij
und des seligen Benedikt von Nursia lesen können.
Aber das heilige Kreuz ist kein christlicher Fetisch oder ein Zaubermittel, son-
dern vielmehr ein im Zeichen vollzogenes Gebet zu unserem Herrn und Erlö-
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ser Jesus Christus. Und wenn es uns einmal nicht gelingen sollte, durch das
heilige Kreuz größere oder kleine gute Taten zu vollbringen oder ein anderes
frommes Ziel zu erreichen, dann geschieht dies nur deswegen, weil unser
Herr Jesus Christus es in diesen Fällen nicht für richtig hält, uns ohne den
notwendigen geistlichen Kampf und die damit verbundenen Mühen zum Sieg
zu führen. Dies geschieht dann vor allem deshalb, damit wir nicht stolz und
überheblich werden.
Deshalb sollten wir das Zeichen des heiligen Kreuzes immer als ein demütiges
Gebet ausführen. Ein demütiges Gebet, erfüllt vom lebendigem Glauben an
unseren gekreuzigten und auferstandenen Herrn und Erlöser Jesus Christus.
Ein Gebet erfüllt mit wahrer Frömmigkeit und getragen vom demütigen Be-
wusstsein, dass wir den Herrn nicht durch unsere Verdienste für uns zu ge-
winnen vermögen, sondern nur durch unsere Hoffnung auf Sein menschen-
liebendes Erbarmen. Der heilige Johannes Chrysostomos sagt uns über das
heilige Kreuzzeichen: „Wenn Du mit ganzem Glauben, aus ganzer Überzeu-gung des Herzens dich mit dem Kreuz bezeichnest, dann ist keiner von den unsauberen Geistern imstande, sich dir zu nähern, weil sie das Schwert se-hen, welchem sich ihre Pfeile aussetzen, und sie sehen das Geschoss, das ihnen tödliche Verletzungen zufügt. Schäme Dich nicht, Du Christ, so großer Gnadenerweisung, dann wird sich auch Christus Deiner nicht schämen, wenn Er in Seiner Herrlichkeit kommen wird und sich das Zeichen (des Kreuzes) vor Ihm heller als Sonnenstrahlen zeigen wird.“
Gerade wenn wir das Segenszeichen des heiligen Kreuzes über uns zeichnen,
müssen wir immer wieder sorgfältig darauf achten, dass unser Glaube an
Christus sich nicht nur auf Vollzug der äußeren Formen beschränkt bleibt,
sondern dass sich die äußere Form mit dem Glaubensinhalt zu einem einzi-
gen Gebet verbindet. Es geht, wie der heilige Apostel Paulus uns sagt darum,
dass wir Christus nicht nur mit unserem Körper, sondern zugleich auch mit
unseren Herzen und Seelen loben. (vgl. 1. Korinther 6:19)
Deshalb wollen wir nun auch den geistlichen und inneren Symbolsinn des
heiligen Kreuzzeichens betrachten: Wenn wir das Segenzeichen des heiligen
Kreuzes ausführen, legen wir den Anfang des Kreuzzeichens auf unsere Stirn
als dem Sitz unseres Verstandes. Dies soll uns daran erinnern, dass wir Gott
mit unserem ganzen Verstand loben und Ihm unser ganzes Denken und Sin-
nen widmen wollen. Als nächstes legen wir, während wir uns bekreuzigen,
das Kreuzzeichen auf unseren Bauch. Damit bezeichnen wir den Teil unseres
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Körpers, wo die Brust endet. In unserer Brust befindet sich unser Herz. Das
Herz - und nicht das Gehirn - ist nach traditionellem orthodoxem Verständnis
der Sitz aller seelisch-geistigen Kräfte des Menschen. Hier befindet sich nach
der Lehre der heiligen hesychastischen Väter unser menschliches Personen-
zentrum. Indem wir diesem Bereich überkreuzigen, tun wir es zum Zeichen,
dass wir Gott aus ganzem Herzen und der Tiefe unserer Seele lieben wollen.
Seiner Verherrlichung allein wollen wir mit Eifer und Gottesfurcht alle unsere
Gefühle und Wünsche widmen. Auch legen wir das Kreuz auf die Schultern
(zunächst die rechte, dann auf die linke) als Zeichen dafür, dass wir Gott aus
der ganzen Kraft unserer Seele und unseres Geistes lieben wollen. Dieser
Begegnung mit dem lebendigen Gott gilt das ganze Streben unseres geistli-
chen Lebens. Indem wir nach der rechten Schulter auch die linke Schulter
berühren drücken wir zeichenhaft aus, dass wir Gott nicht nur durch ein
geistliches Leben des Gebetes, sondern auch durch die körperlichen Tätigkei-
ten der Nächstenliebe loben und preisen wollen.
Auch die Art und Weise, wie man die Finger während des Bekreuzigens faltet,
hat einen tiefen, geistlichen Sinn. Orthodoxe Christen legen bekreuzigen sich
nicht einfach mit geöffneter Handfläche, wie es die Christen im Abendland
tun. Auch legen sie die Finger nicht einfach so zusammen, wie man möchte,
sondern folgendermaßen: Die Enden von Daumen, Zeigefinger und Mittelfin-
ger schließt man zusammen, denn sie symbolisieren die Allheilige Dreiein-
heit: den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist. Die zwei weiteren Fin-
ger beugt man zur Handfläche hin. Sie symbolisieren die wahre göttliche und
wahre menschliche Natur Christi. Dass die beiden Finger zur Handfläche hin
gebeugt werden geschieht zum Zeichen dafür, dass der Sohn Gottes um un-
serer Erlösung willen die Himmel geneigt hat und auf die Erde herabgekom-
men ist.
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Über das bereits gesagte hinausgehend erinnert uns orthodoxe Christen das
Zeichen des heiligen Kreuzes auch daran, dass ein jeder von uns, wenn er an
Christus glaubt und Ihm ernsthaft nachfolgen möchte, sein eigenes Kreuz tragen muss. Einem jeden Christenmenschen ist ein besonderer, nur für ihn
bestimmter geistlicher Kampf in seinem Leben auferlegt, damit er daran rei-
fen und zur Fülle des Lebens in Christo gelangen kann. Im christlichen Leben
dreht es sich darum, dass wir unseren Egoismus, also unsere Ausrichtung auf
die uns von Gott abtrennenden Leidenschaften Schritt für Schritt überwinden
und dadurch zur Heiligkeit, das heißt einem Leben in vollkommener Gemein-
schaft mit Gott gelangen. Jeder von uns hat auf diesem Glaubensweg sein
ganz persönliches Kreuz zu tragen. Jeder von uns wird im Laufe seines Lebens
mit den für ihn charakteristischen Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten
konfrontiert und muss sich dann auch darum bemühen, seine körperlichen
und geistigen Leidenschaften und sündhaften Wünsche Schritt für Schritt zu
überwinden. Wir müssen alle Missgunst, Rachsucht und Feindschaft in unse-
ren Herzen konsequent bekämpfen, damit sich unser Leben mehr und mehr
auf das himmlische Königreich, das ist ein Leben in der Gegenwart Gottes,
ausrichtet.
Christus, der sich für uns als Opfer am Kreuz hingegeben hat, hat auch uns
aufgetragen, unser Kreuz auf uns zu nehmen und Ihm nachzufolgen. Wenn
wir beständig auf Ihn schauen und um Seine allmächtige Hilfe bitten, wenn
wir ununterbrochen in Seinen Fußstapfen gehen, werden wir schließlich die
Pforten des Paradieses erreichen und die Krone des Lebens empfangen. Die
Fußstapfen Christi finden wir auf dem Wege der Liebe zu Gott und unseren
Mittmenschen. Die Fußstapfen Christi haben die Form der Aufopferung und
Liebe zu unserem Nächsten, der Frömmigkeit, der Güte, der Milde, der De-
mut, der Zurückhaltung und der Ergebenheit gegenüber dem Willen Gottes.
Wenn wir in den vergangen Wochen der Fastenzeit auf die ein oder andere
Weise den Blick für diese Fußspuren Christi verloren haben sollten, so will
uns der Kreuzverehrungssonntag in der Mitte der heiligen Fastenzeit erneut
ein geistlichen Kompass geben, damit wir am Ende mit den gereinigten Au-
gen der Seele und des Geistes die lichte Auferstehung Christi zu schauen
vermögen und eintreten können in die Osterfreude unseres auferstandenen
Herrn!
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Über das orthodoxe Fasten Diakon Thomas Zmija v. Gojan
In der alten Kirche war die große Fastenzeit eine Zeit der Vorbereitung für die
Katechumenen auf Ihre Taufe während der Osternacht. Da es sich beim Le-
ben in der Kirche aber um eine tätige Teilhabe am Leben im mystischen Leib
Christi geht, nahmen auch die bereits getauften Christen an diesem Fasten
teil, um die Katechumenen in dieser Zeit der Vorbereitung auf den Empfang
der heiligen Taufe durch ihr mittragendes Beispiel zu unterstützen.
Die tätige Solidarität im Glaubensleben ist heute im Bewusstsein vieler or-
thodoxer Christen einer eher individualistisch geprägten Frömmigkeitsauffas-
sung gewichen. Dabei werden die Regeln der Kirche entweder ganz überse-
hen oder nur noch soweit akzeptiert, wie sie der einzelne Christ denn subjek-
tiv noch anerkennen möchte. Dieser geistliche Egoismus drückt sich vor allem
in einer starken Individualisierung der religiösen Praxis aus. In dieser subjek-
tiven Interpretation der orthodoxen Frömmigkeit wird die ursprünglich
grundsätzlich kirchliche Natur des orthodoxen Fasten entweder libertinistisch
oder rigoristisch missverstanden. Denn auch unter vielen traditionell from-
men orthodoxen Christen herrschen verwirrende und oft verkehrte Ansich-
ten über die Anwendung der kirchlichen Fastenregeln vor. So ist der kirchli-
che Maßstab des orthodoxen Fastens heutzutage zu einem der am meisten
vernachlässigten geistlichen Werte in unserer Kirche geworden. Viele heutige
orthodoxe Christen fasten entweder aus rein rituellen oder traditionalisti-
schen Gründen oder sie fasten wenig oder überhaupt nicht.
Da es beim Fasten, wie bei allen anderen Übungen im geistlichen Leben nicht
um den Vollzug eines überkommenen altertümlichen Rituals, sondern um
einen gelebten Ausdruck der im kirchlichen Leben verwurzelten Frömmigkeit
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eines jeden orthodoxen Christen handelt, lohnt es sich, dass wir uns zunächst
einige Eckpunkte des orthodoxen Denkens über das Fastens wieder ins Ge-
dächtnis rufen, damit unsere Fastenpraxis als ein wichtiges Mittel des geisti-
gen Wachstums, wieder den ihm zustehenden Platz im Leben der orthodoxen
Christen finden kann.
Entgegen modernistischen oder protestantisierenden Ansichten ist das Fas-
tengebot der Kirche zutiefst in der Heiligen Schrift und der apostolischen
Tradition begründet. Das Fasten wurde vom Herrn Selbst geübt. Nachdem Er
vierzig Tage lang in der Wüste gebetet und gefastet hatte, konnte Er dem
Teufel siegreich begegnen (vgl. Matthäus 4:1-11). Und der Herr Selbst bat
Seine Jünger das Fasten als eine wichtige Waffe für den geistlichen Kampf zu
nutzen (Matthäus 17:21; Markus 9:29; Lukas 2:37). Die heiligen Jünger und
Apostel, aber auch deren Schüler, die heiligen apostolischen Väter, folgten
diesem Beispiel des Herrn (vgl. Apostelgeschichte 14:23.27,9; 1. Korinther
7:5; 2. Korinther 6:5.11,7 usw.).
Was also ist das orthodoxe Fasten? Warum ist es so wichtig? Und warum
geht den bedeutenden kirchlichen Festen Ostern, Weihnachten, Entschlafen
der Gottesmutter und Gedächtnis der Apostel Petrus und Paulus eine Fasten-
zeit voraus?
Die Wichtigkeit, die die orthodoxe Kirche auch in der heutigen Zeit dem Fas-
ten beimisst, hängt von seiner großen geistlichen Bedeutung ab. Viele heilige
Väter haben über das Fasten geschrieben. Unter ihnen hat uns der heilige
Basilius der Große einen zum orthodoxen Verständnis des Fastens besonders
wichtigen Kommentar hinterlassen. Der heilige Basilius sagt, dass das Fasten
nicht nur die Enthaltsamkeit von Nahrung bedeutet, sondern dass es zu aller-
erst Enthaltsamkeit von der Sünde bedeutet. Die heiligen Väter der Kirche
beschreiben in ihren Hymnen, die wir im Gottesdienstbuch für die große Fas-
tenzeit (Fasten-Triod) finden, das Fasten als die Mutter der Keuschheit und
Umsicht; als den Ankläger der Sünden und den Anwalt der Reue; als einen
Wegweiser zu einem den Engeln würdigen Leben und zur Erlösung des Men-
schen. Alles das kann das Fasten für uns werden, wenn wir es im rechten
Geist beachten.
In der Heiligen Schrift und darauf fußend bei den Heiligen Vätern lesen wir,
dass der Mensch von Gott als ein mit Geist Seele und Leib ausgestattetes
Lebewesen erschaffen wurde. Unser Körper besitzt fünf einzelne Sinne, durch
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die wir die Welt um uns wahrnehmen und mit ihr kommunizieren. Wir kön-
nen deshalb durchaus sagen, dass unser Körper als Ganzer ebenfalls ein Kon-
taktsinn des Menschen ist, mit dem wir mit unserer Umwelt in Gemeinschaft
und Austausch stehen.
Laut dem Schöpfungsbericht wollte Gott, dass unser Kontakt mit unserer
Umwelt, Seiner Schöpfung, nicht egoistisch, sondern als eine Kommunion
erfolgt. Deshalb gab er dem Menschen das Gebot, nicht vom Baum des Le-
bens im Paradiesgarten zu essen. Denn das wahre Leben des Menschen ent-
springt der Kommunion, also einer liebenden Gemeinschaft mit Gott, seinem
Mitmenschen und der gesamten Schöpfung, nicht einer egoistischen Aneig-
nung. Der Teufel aber wollte die Menschen von dieser liebenden und emp-
fangenden Gemeinschaft mit Gott trennen. Deshalb behauptete die Schlan-
ge, dass die Menschen nach dem Genuss der Frucht „wie Gott sein“ würden.
Nachdem der Mensch diese Lüge geglaubt hatte, tat sich eine Kluft auf, die
den Menschen von Gott, seinen Mitmenschen und seinen Mitgeschöpfen
trennte. Mit dieser Kluft traten mit Verderben und Tod auch die Mächte des
Bösen und die Herrschaftszeichen des Teufels in das Leben des Menschen
und durch ihn in die gesamte Schöpfung Gottes ein.
So haben unsere Ureltern Adam und Eva durch die Übertretung des einzigen
Gebotes Gottes, ein Fastengebot zur Enthaltung von einer Frucht, das gesam-
te Menschengeschlecht in den Zustand des Verderbens, des Schmerzes und
des Todes mit hinein gezogen. In einen Zustand, den wir alle kennen und
täglich immer wieder neu erleben müssen. Aber durch die Menschwerdung
des Sohnes Gottes, durch die Fülle Seine Heilstaten und Seinem gnadenrei-
chen Erlösungshandeln durch Seinen Tod am Kreuz und Seine glorreiche Auf-
erstehung nach drei Tagen wurde dem Menschengeschlecht der Rückweg in
die Gemeinschaft mit Gott eröffnet. Deshalb sind wir in den Tagen der heili-
gen und großen Fastenzeit aufgerufen dieses erste und alte Gebot Gottes an
uns Menschen, das Fasten, mit besonderer Intensität und Entschiedenheit zu
halten.
Wollen wir uns also dem Heil und der Erlösung, die unser Herr und Erlöser
Jesus Christus gebracht hat erneut zuwenden, so müssen wir es nicht nur mit
Geist und Seele, sondern auch mit unserem Leib tun. Aus diesem Grunde
werden alle Sakramente der Kirche an unserem Leib vollzogen und durch ihn
empfangen und wirken dann dadurch auch an unserer Seele und unserem
Geist. So ist es im menschlichen Leben auch mit der geistlichen Umkehr, der
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Buße. Auch unsere Abkehr von der Sünde muss ihren Anfang an unserem
Leib nehmen, um dann unsere gesamte Person erfassen zu können.
Deshalb beginnt (aber erschöpft sich nicht) das orthodoxe Fasten am
menschlichen Leib mit der Enthaltsamkeit von Nahrung. Diese Enthaltsamkeit
von Nahrung hilft uns, uns von unseren egoistischen Abhängigkeiten an die
irdischen Gütern und Zwänge loszulösen. Das Fasten hat also zu aller erst
einen befreienden Effekt für uns und macht uns würdig zu einem Leben im
Geiste, einem Leben ähnlich dem der heiligen Engel.
Zweitens ist das Fasten die konsequente Abkehr und zukünftige Enthaltsam-
keit von schlechten Gewohnheiten und Sünden. Der Mensch ist ein durch
und durch konditioniertes Wesen: Das woran wir uns im Laufe der Zeit ge-
wöhnen und in was wir uns beständig einüben, prägt am Ende auch unser
gesamtes Leben. Nicht nur Drogenabhängige, Raucher oder Trinker sind in
vielfältigen Lüsten und Lastern gefangen. Ein jeder von uns ist durch unzähli-
ge geistige Bande der Abhängigkeit an seine Leidenschaften und die von
ihnen ausgehenden Konditionierungen gefesselt. Unsere schlechten Ge-
wohnheiten sind gleichsam mit unserem Selbst verwachsen. Und diese
schlechten Gewohnheiten, unsere Verhaftung an die Leidenschaften, werden
nicht einfach von Selbst verschwinden. Wir müssen sie bekämpfen und all-
mählich mehr und mehr aus unserem Herzen verbannen durch die beständi-
ge und geduldige Einübung in die christlichen Tugenden.
Aus diesem Grunde wird die Fastenzeit auch die Mutter der christlichen Tu-
genden genannt. Die Heiligen Väter sprechen von ihr als der Mutter des ver-
nünftigen und nützlichen Denkens. Die Zeit der heiligen Fasten ist eine Zeit,
in der wir unsere Wertmaßstäbe neu justieren können. Wir können nun die
richtigen Prioritäten setzen zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen
und dadurch dem geistlichen Leben als einer Liebesgemeinschaft mit Gott
erneut den ihm gebührenden Vorrang in unserem Leben geben.
Für ein wahrhaft orthodoxes Fasten müssen wir uns also von unseren bösen
Gedanken und Taten fernhalten. Dies ist für die meisten von uns der große
geistliche Stolperstein. Ohne dass wir es bewusst bemerken, sind viele unse-
rer bösen und schlechten Angewohnheiten zu Dauergästen in unserem Leben
geworden. Längst hat sich unser Gewissen an ihre permanente Anwesenheit
gewohnt. Aber was für einen Sinn hat es, wenn wir am Tisch fasten, unsere
Seele und unser Geist jedoch nicht? Gerade durch die Einhaltung eines
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„ganzheitlichen Fastens“ besinnt sich unser Gewissen wieder und ruft unsere
Seele erneut dazu auf, sich auf Gott hin zu zubewegen. Gerade diese Enthal-
tung von unseren Leidenschaften ist unsere reine und wohlgefällige Opferga-
be an Gott. Dieses geistliche Fasten können übrigens alle Menschen einhal-
ten, auch jene, die aus gesundheitlichen oder familiären Gründen daran ge-
hindert sind, die Enthaltung von Speisen vollständig mit einzuhalten.
Diese Enthaltung von unseren schlechten Angewohnheiten aber ist ein stei-
niger und dorniger Weg. Wir werden auf ihm viele Fehlschläge und Rück-
schläge erfahren. Die Zeit der Fasten ist deshalb zugleich eine Zeit, um etwas
über das geistliche Leben an sich zu lernen. Wenn wir auf diesem Weg fallen,
sollten wir nicht verzweifeln und vorschnell aufgeben, sondern wir sollten
erneut geistlich aufstehen, Gottes Gnade und Vergebung im Sakrament der
heiligen Beichte erbitten und fortschreiten auf den Weg der Einübung in die
christlichen Tugenden.
Deshalb wird die Fastenzeit auch der Anwalt der Reue genannt. Adam und
Eva waren Gott gegenüber ungehorsam. Sie verweigerten, sich der verbote-
nen Frucht vom Baum des Lebens zu enthalten. Sie wurden Sklaven des eige-
nen Begehrens. Nun aber können wir durch Fasten, durch Gehorsam gegen-
über den Regeln der Kirche, welche die geistigen und materiellen Güter be-
treffen, geistlich in ein Leben des Paradieses zurückkehren, zu einem Leben
in der Liebesgemeinschaft mit Gott. So ist das Fasten kein rituell zu verste-
hender Zwang, sondern vielmehr ein uns innerlich befreiendes Mittel zur
Annahme unserer Erlösung.
In der Möglichkeit zu Fasten und zu Beten unterscheidet sich der Mensch von
den vernunftlosen Lebewesen, den Tieren. Jene sind, ihren Instinkten fol-
gend, nicht in der Lage sich zu enthalten und zu fasten. Wahrhaft Mensch zu
sein bedeutet es also auch, dass wir uns freiwillig und aus Liebe zu Gott durch
Fasten und Beten erneut der erlösenden Gemeinschaft mit Gott zuwenden.
Aber nicht wir Selbst, sondern Gott ist es dann, der uns von den uns verskla-
venden Leidenschaften und Abhängigkeiten befreit. Echtes orthodoxes Fas-
ten ist stets eine lebendige Erfahrung der an uns wirkenden Gnade Gottes.
Aber auch der Mensch muss seinen Part in diesem Akt der göttlichen Befrei-
ung übernehmen. Denn der Mensch wurde von Gott mit der Gabe des freien
Willens beschenkt. Nach orthodoxem Verständnis sind Heil und Erlösung
keine bloßen Gedankenfiguren in einem philosophischen oder theologischen
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Denkspiel. Durch seinen freien Willen ist der Mensch zum Freund und Mitar-
beiter Gottes berufen. Deshalb hat die Rechtfertigung des Sünders und die
Aneignung der Erlösung einen ganz konkreten Ort: Das Leben jedes einzelnen
Christenmenschen. Die Erlösung ist nach orthodoxem Verständnis auch kein
bloßes „Gefühl des Gerettet-seins“, sondern sie ist ein Leben, das wir im Ein-
klang mit dem göttlichen Willen und in Gemeinschaft mit Gott leben und das
dann seine Krönung in der Gabe des Paradieses finden wird.
Der heilige Johannes Chrysostomus sagt uns: „Wenn du ohne Barmherzigkeit
fastest, lohnt sich das Fasten nicht.“ Wie Chrysostomus, so weisen uns auch
die übrigen Heiligen Väter auf die unauflösbare Verbindung zwischen dem
christlichen Fasten und der mitmenschlichen Barmherzigkeit hin. Denn das,
was letztlich nicht auf unseren Tisch kommt, was wir materiell jetzt nicht für
unsere eigene Lebenshaltung aufbringen müssen, wird unseren Brüdern und
Schwestern in Christus dargebracht, die keine Möglichkeit haben, es selbst
für sich bereitzustellen. Die „Tafeln“ in Deutschland, aber auch die „Bahn-
hofsmission“ sind für Spenden und Lebensmittelgaben nicht nur während der
Fastenzeit stets dankbar.
Menschliche Not und Hilfsbedürftigkeit kann aber heutzutage in einem rei-
chen Land wie Deutschland viele Gesichter haben. Gerade hier kann für viele
fromme Orthodoxe ein Stolperstein in der Fastenzeit liegen. Wir reihen voller
Eifer Gebetszeit an Gebetszeit, besuchen eine Vielzahl von Gottesdiensten
und finden dabei dann keine Zeit mehr, die wir den einsamen und an den
Rand geratenen Menschen, aber auch unseren Familien, den Alten und Kin-
dern widmen könnten. Orthodoxes Fasten ist im Grunde eben gerade keine
individuell fromme Angelegenheit, kein Fitnessprogramm für unseren eige-
nen geistlichen Fortschritt. Die heiligen Väter weisen uns immer wieder deut-
lich auf den Gemeinschaftscharakter des orthodoxen Fastens hin. Gerade in
unserer Zeit mit ihren überbordenden Terminanforderungen und Aktivitäten
bedeutet Fasten auch den erneuten Freiraum, Zeit füreinander haben zu
können.
Das in vorhergehenden Absatz Gesagte will jedoch im orthodoxen kirchlichen
Geist verstanden werden. Die Diakonia, die tätige Nächstenliebe, hat ihren
Ausgangspunkt und ihre Kraftquelle immer in Gottesdienst und Gebet. Weil
in der orthodoxen Kirche kein geistiges Bestreben für sich alleine steht, wer-
den in der großen Fastenzeit auch vermehrt Gottesdienste gehalten. Die or-
thodoxe Fastenzeit bildet damit zugleich auch eine besondere liturgische
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Landschaft des intensivierten Gebetes. Unsere geistlichen und mitmenschli-
chen Fastenanstrengungen und unser Gebet stehen also nicht in Konkurrenz
zueinander, sondern sie unterstützen vielmehr einander. Sie sind die beiden
geistlichen Lungen der orthodoxen Fastenzeit, die beiden geistlichen Flügel,
auf denen wir uns zu Christus hin erheben.
In unseren meist kleinen orthodoxen Diasporagemeinden können wir oft nur
einen Teil des geistlich-liturgischen Reichtums der Fastengottesdienste ent-
falten. Aber, wie in den meisten kleinen Gemeinden, wird auch bei uns in
Albstadt und Balingen der Andreas-Kanon gelesen werden und zumindest
einmal in der Zeit der großen Fasten die Liturgie der Vorgeweihten Gaben
gefeiert werden.
Die Fastenzeit verweist uns auf eine notwendige Veränderung in unserer
Lebenshaltung. So ist das gesamte Fasten ein Akt unserer Umkehr, der im
Empfang des heiligen Bußsakramentes und des Sakramentes des Heiligen Öls
seinen Höhepunkt findet. Dort erbitten wir das Erbarmen des Herrn und Sei-
ne Vergebung für unsere vielen Sünden und Verfehlungen.
Wegen seines befreienden Effekts, sowohl im materiellen wie im geistigen
Sinne, hat die orthodoxe Kirche das Fasten mit der Feier der vier großen Kir-
chenfeste verknüpft. Pas´cha oder Ostern ist natürlich unser größtes und
heiligstes Fest. Es ist das „Fest der Feste“ und die „Feier der Feiern“. Es ist das
große Fest der Freude über unsere Befreiung von den Fesseln der Sünde, von
der verderbten Natur, vom leiblichen und geistlichen Tod. Denn an diesem
Tag hat Christus uns durch Seine lichte Auferstehung „vom Tod zum Leben
und von der Erde zum Himmel“ (vgl. Auferstehungskanon) erhoben. Dies ist
das „neue Pas´cha“, das wir feiern: Christus hat uns aus dem Land der Sklave-
rei, der Sünde und des Todes befreit und ins gelobte Land der Freiheit, der
Wonne und der Herrlichkeit geführt; aus unserem sündhaften Zustand zum
auferstandenen Leben.
Aber genauso, wie wir die durch den Empfang der Sakramente empfangene
Gnade in unserem Leben aktualisieren müssen, genau so ist es nur recht und
angemessen sich auf diese Feier des Osterfestes durch ein befreiendes Fas-
ten, sowohl materiell als auch spirituell vorzubereiten. Das ist die Bedeutung,
der tiefere Sinn für das Fasten während der Vierzig Tage vor Ostern.
Machen wir uns also die geistlichen Reichtümer der Kirche durch einen wür-
digen Mitvollzug der heiligen Fasten zu Eigen. Nützen wir diese Gnadenzeit.
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Machen wir Gebrauch von den erlösenden Gnadengaben, die uns durch das
sakramentale Leben der Kirche geschenkt werden. Gehen wir in dieser Zeit
zur Beichte und zur Heiligen Kommunion und empfangen wir das Sakrament
des heiligen Öls am Mittwoch der Karwoche.
Bedienen wir uns in der kommenden Zeit der heiligen Fasten der geistlichen
Waffen, die Christus für uns bereit hält, um: „den guten Kampf zu kämpfen, den Lauf der Fasten zu vollenden, den Glauben unversehrt zu bewahren, die Häupter der unsichtbaren Schlangen zu zermalmen, als Sieger über die Sünde zu erscheinen und ohne dem Gericht zu verfallen auch zur Anbetung der heiligen Auferstehung zu gelangen“.
(Aus der Liturgie der vorgeweihten Gaben: Gebet hinter dem Ambo)
Eine kurze Anmerkung zu den orthodoxen Fastenregeln
Mit Tag nach dem Versöhnungssonntag, beginnen die 40 Tage der großen
Fastenzeit. In dieser Zeit sollten weder Fleisch noch Milchprodukte, Eier, Öl
oder Wein genossen werden. Diese Fastenregeln unserer Kirche nehmen
Bezug auf die Essgewohnheiten der Mittelmeerländer. Wir sollten deshalb
die Auslegung der Fastenregeln in Absprache mit unserem geistlichen Vater
an die uns jeweils eigene Lebenssituation anpassen.
Und da nach dem Gebot des Herrn und der Tradition unserer orthodoxen
Kirche, das Fasten im Verborgenen geschehen soll (Matthäus 6:16-18), bleibt
es dem Gewissen der einzelnen Gläubigen selbst überlassen, wie sie sich am
Fasten der Kirche beteiligen möchten. Die Kirche erwartet nicht, dass jeder
alle Fastenregeln vollständig einhält. Alle sollen tun, was sie können und was
in ihrer Lebenssituation sinnvoll erscheint.
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Doch ist wichtig, dass sich niemand leichtfertig über das gemeinsame Fasten
der Kirche hinwegsetzt. Was hier in der konkreten Einzelsituation sinnvoll ist,
besprechen die einzelnen Gläubigen jeweils mit ihrem Beichtvater, der ihre
Lebens- und Familiensituation kennt.
Das Bemühen um eine Vertiefung des Gebetslebens und ein Streben nach
der Ausübung der Nächstenliebe bleiben in der Regel aber jedem Christen-
menschen möglich.
Gottesdienste März 2019 Samstag, 2. März 2019 19.00 Uhr Totengedenken, Abendgottesdienst,
anschl. Beichtgelegenheit
Ort: Hl. Sergius von Radonesch Albstadt
Sonntag, 3. März 2019 Sonntag vom Gericht und der Fleischentsagung 10.00 Uhr Göttliche Liturgie Ort: Hl. Sergius von Radonesch Albstadt
Samstag, 9. März 2019 19.00 Uhr Abendgottesdienst, anschl. Beichtgelegenheit Ort: Hl. Martin von Tours, (Siechenkapelle), Balingen
Sonntag, 10. März 2019 Versöhnungssonntag; Sonntag der Butterentsagung 10.00 Uhr Göttliche Liturgie; anschl. Vesper mit Ritus der Vergebung Ort: Hl. Martin von Tours, (Siechenkapelle), Balingen
Montag, 11. März 2019 Beginn der großen Fastenzeit 19.00 Uhr Abendgottesdienst mit Lesung des Kanons des hl. Andreas von Kreta
Ort: Hl. Sergius von Radonesch Albstadt
Dienstag, 12. März 2019 19.00 Uhr Abendgottesdienst mit Lesung des Kanons des hl. Andreas von Kreta
Ort: Hl. Martin von Tours, (Siechenkapelle), Balingen
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Gottesdienste März 2019 Samstag, 16. März 2019 19.00 Uhr Abendgottesdienst, anschl. Beichtgelegenheit
Ort: Hl. Martin von Tours, (Siechenkapelle), Balingen
Sonntag, 17. März 2019 1. Sonntag der Großen Fastenzeit Sonntag der Orthodoxie 10.00 Uhr Göttliche Liturgie, anschl. Prozession mit den Ikonen Ort: Hl. Martin von Tours, (Siechenkapelle), Balingen
18.00 Uhr Panorthodoxe Vesper Ort: Antiochenisch Orthodox Kirche, St. Johannes der Täufer,
Daimlerstr. 2, 71263 Weil der Stadt
Samstag, 23. März 2019 Kein Gottesdienst
Sonntag, 24. März 2019 2. Sonntag der Großen Fastenzeit, Hl. Gregor Palamas 10.00 Uhr Göttliche Liturgie im Anschluss Vortrag zum Thema: Die Heilige Schrift in der orthodoxen Kirche
Ort: Hl. Martin von Tours, (Siechenkapelle), Balingen
Samstag, 30. März 2019 19.00 Uhr Totengedenken, Abendgottesdienst,
anschl. Beichtgelegenheit
Ort: Hl. Martin von Tours, (Siechenkapelle), Balingen
Sonntag, 31. März 2019 3. Sonntag der Großen Fastenzeit Sonntag der Kreuzverehrung 10.00 Uhr Göttliche Liturgie Ort: Hl. Martin von Tours, (Siechenkapelle), Balingen
15.30 Uhr Gottesdienst zur Verehrung der Kreuzreliquie Ort: Kloster Wiblingen, Schloßstraße 38 , 89079 Ulm-Wiblingen
Änderungen sind möglich