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Orpheus in der Spätantike (Studien und Kommentar zu den Argonautika des Orpheus: Ein literarisches,...

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Die Rückfahrt der Argonauten über den Okeanos 349 Dass Apsyrtos die Argonauten genau um Mitternacht (N ¹ $ ) erreicht, wird als ein erster Hinweis auf das bevorstehende grausame Ereignis seiner Ermordung verstanden werden können (für die Bedeutung der Zeitangaben ‚Mittag‘ wie auch in minderem Maße ‚Mitternacht‘ zur Bezeichnung von bedeutsamen Ereignis- sen vgl. Männlein-Robert [2011]). Zu den in den AO verarbeiteten Schick- salsvorstellungen (« $) siehe dagegen den Kommentar zu AO 106–109. Die Ermordnung selbst wird sachlich und ohne weitere Aus- schmückung in nur einem Wort wiedergegeben («). Die Nen- nung der Instanzen des Z« #E« (AR 2, 1123: Zµ« #E) und der Themis machen die Dimension der Untat und die Verletzung der gött- lichen Ordnung jedoch sogleich deutlich. Die Nennung der Themis als der Zeugin des Unrechts an Apsyrtos stellt dabei eine offensichtliche Abwand- lung der Nennung der Erinys bei Apollonios als Zeugin dar (AR 4, 475f.). Notwendig ist diese Variation vor allem deswegen, weil die Erinys in der Darstellung der AO bereits als die Instanz eingeführt worden ist, die für die verderblichen Pfeile auf Medea (AO 869) verantwortlich ist – und somit letztlich die Erstursache für die Ermordung darstellt («). Eine erneute Nennung als Zeugin der Untat wäre unpassend. Bei der Loka- lisation der sogenannten Apsyrtischen Inseln geht der Verfasser der AO of- fensichtlich von einer Verortung im Schwarzen Meer aus. AO 1036–1239: Die Rückfahrt der Argonauten über den Okeanos: Nach der erfolgten Flucht aus Kolchis durchmessen die Argonauten auf ihrer Rückfahrt die größtmöglich anzunehmende Distanz vom äußersten Osten (in dem Kolchis liegend aufgefasst wird) bis in den äußersten Westen zur Insel Kirkes, wobei sie den Bereich des äußersten Norden ebenfalls durch- fahren (nach Libyen im äußersten Süden werden die Argonauten später ebenfalls gelangen). Die beiden Geschwister Aietes (als Herrscher in Kol- chis) und Kirke (als Bewohnerin ihrer Insel) symbolisieren diese maximale Ausdehnung der Argonautenfahrt von Westen nach Osten durch ihre Eigenschaft als Kinder des Helios, als die sie durch ihre strahlende Erschei- nung auch beschrieben werden. Die gesamte Fahrt von Kolchis bis zur Kirkeinsel gliedert sich dabei in zwei Abschnitte: Zunächst durchfahren die Argonauten ein kompliziertes Flussgeflecht, das sie, im Hinterland der Ost- küste des Pontos Euxeinos entlangfahrend, bis zu dessen Nordseite führt, von wo aus sie einem nicht näher bezeichneten Fluss nach Norden folgen und in den nördlichen Okeanos gelangen. Dieser Übergang vom ‚realen‘ Bereich des Pontos hin zum ‚jenseitigen‘ des Okeanos wird auch durch die Reihenfolge der jeweils genannten Völker symbolisiert (wenngleich zu be- rücksichtigen ist, dass die Argonauten bereits die Kyanischen Felsen passiert Brought to you by | Heinrich Heine Universität Düsseldorf Authenticated | 134.99.128.41 Download Date | 12/17/13 10:03 AM
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Dass Apsyrtos die Argonauten genau um Mitternacht (N: " ¹$$# " % ) erreicht, wird als ein erster Hinweisauf das bevorstehende grausame Ereignis seiner Ermordung verstandenwerden können (für die Bedeutung der Zeitangaben ‚Mittag‘ wie auch inminderem Maße ‚Mitternacht‘ zur Bezeichnung von bedeutsamen Ereignis-sen vgl. Männlein-Robert [2011]). Zu den in den AO verarbeiteten Schick-salsvorstellungen (« $) siehe dagegen den Kommentar zu AO106–109. Die Ermordnung selbst wird sachlich und ohne weitere Aus-schmückung in nur einem Wort wiedergegeben («). Die Nen-nung der Instanzen des Z:« #EU« (AR 2, 1123: Zµ« #EU) undder Themis machen die Dimension der Untat und die Verletzung der gött-lichen Ordnung jedoch sogleich deutlich. Die Nennung der Themis als derZeugin des Unrechts an Apsyrtos stellt dabei eine offensichtliche Abwand-lung der Nennung der Erinys bei Apollonios als Zeugin dar (AR 4, 475f.).Notwendig ist diese Variation vor allem deswegen, weil die Erinys in derDarstellung der AO bereits als die Instanz eingeführt worden ist, die für dieverderblichen Pfeile auf Medea (AO 869) verantwortlich ist – und somitletztlich die Erstursache für die Ermordung darstellt (M« ’ 3#«).Eine erneute Nennung als Zeugin der Untat wäre unpassend. Bei der Loka-lisation der sogenannten Apsyrtischen Inseln geht der Verfasser der AO of-fensichtlich von einer Verortung im Schwarzen Meer aus.

AO 1036–1239: Die Rückfahrt der Argonauten über den Okeanos: Nachder erfolgten Flucht aus Kolchis durchmessen die Argonauten auf ihrerRückfahrt die größtmöglich anzunehmende Distanz vom äußersten Osten(in dem Kolchis liegend aufgefasst wird) bis in den äußersten Westen zurInsel Kirkes, wobei sie den Bereich des äußersten Norden ebenfalls durch-fahren (nach Libyen im äußersten Süden werden die Argonauten späterebenfalls gelangen). Die beiden Geschwister Aietes (als Herrscher in Kol-chis) und Kirke (als Bewohnerin ihrer Insel) symbolisieren diese maximaleAusdehnung der Argonautenfahrt von Westen nach Osten durch ihreEigenschaft als Kinder des Helios, als die sie durch ihre strahlende Erschei-nung auch beschrieben werden. Die gesamte Fahrt von Kolchis bis zurKirkeinsel gliedert sich dabei in zwei Abschnitte: Zunächst durchfahren dieArgonauten ein kompliziertes Flussgeflecht, das sie, im Hinterland der Ost-küste des Pontos Euxeinos entlangfahrend, bis zu dessen Nordseite führt,von wo aus sie einem nicht näher bezeichneten Fluss nach Norden folgenund in den nördlichen Okeanos gelangen. Dieser Übergang vom ‚realen‘Bereich des Pontos hin zum ‚jenseitigen‘ des Okeanos wird auch durch dieReihenfolge der jeweils genannten Völker symbolisiert (wenngleich zu be-rücksichtigen ist, dass die Argonauten bereits die Kyanischen Felsen passiert

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haben, die ihrerseits bereits eine hochsymbolisch Jenseitspforte darstellen[siehe auch Vian 1982]): Der Grad, zu dem diese dem Bereich des Phanta-stischen zugehören, nimmt beginnend mit der Nennung der in der Gegendder Maiotis anzusetzenden Völker (AO 1060–63) über die am Tanais woh-nenden (AO 1073–1077) bis hin zur Nennung der Hyperboreer (AO 1082)sowie der Makrobier (AO 1107) allmählich, aber kontinuierlich zu, ohnedass es zu einem (gefühlten) Bruch zwischen ‚realer‘ und ‚mythischer‘ Geo-graphie kommt.

Die Befahrung des Okeanos (AO 1081–1239) stellt den zweiten Teil derFahrt dar, der die Argo und ihre Besatzung zunächst in einen deutlich alsJenseits geschilderten Bereich führt und dann an den „iernischen Inseln“(AO 1166) und der „Insel der Demeter“ (AO 1189f.) vorbei zu Kirke(AO 1207–1239). Gerade für den ersten Teil der Fahrt im Bereich desPontos wird eine enorme Anzahl von Völkern genannt, deren Gebiete dieArgonauten passieren und die größtenteils auch in antiker geographischerLiteratur begegnen. Plausibel erscheint es, eine Berücksichtigung entspre-chender Werke (siehe Vian [1987], S. 28–42) und größtenteils verlorenge-gangener Periplous-Literatur (evtl. des Arrian, siehe den Kommentar zu AO1049–1064) bei der Komposition dieser Passage der AO anzunehmen, zu-mal ein gewisser geographischer Ehrgeiz bereits für die Gestaltung der Hin-fahrt festgestellt werden konnte. Zum Anspruch auch der anderen Argonau-tika-Epen, sich an verfügbarem geographischem Wissen zu orientieren, s.o.S. 53. Gleichwohl ist insbesondere in der Gestaltung der Okeanos-Passageund dem Aufenthalt der Argonauten an der Grenze zum Totenreich der Pri-mat des Literarisch-Fiktionalen erkennbar. (Zu weiteren Parallelen in Hin-sicht auf sub- bzw. halbliterarisch überlieferte Jenseitsvorstellungen etwa derGoldplättchen s.o. S. 76ff.). Etliche der seit der Odyssee in den entsprechen-den Jenseitsschilderungen verankerten literarischen Charakteristika werdenaufgegriffen. So gelangen die Argonauten auf ihrem Weg zum Totenreichwie Odysseus zu den Kimmeriern (AO 1120), und auch die Schilderung desTotenreichs selbst ähnelt in vielen Details der homerischen (s.o. S. 76). DasSpiel mit der literarischen Fiktion des hohen Alters der AO (s.o. S. 16) wirddabei so betrieben, dass sogar eine Aitiologie für das seit der Odyssee fest ver-ankerte Motiv der im Schatten lebenden Kimmerier gegeben wird, indemderen durch Gebirge im Osten, Süden und Westen umschlossene Schatten-lage, von der in der Odyssee keine Rede sein wird, recht detailliert beschriebenwird (AO 1123–1127). Die Passage des Totenreichs markiert damit in Hin-blick auf den komplexen transtextuellen Charakter der AO denjenigenPunkt in der Erzählung des Orpheus, an dem neben den Argonautenependes Apollonios Rhodios und des Valerius Flaccus die homerische Odyssee zueinem weiteren wesentlichen Hypotext für das Verständnis der AO wird.Spätestens mit dem Erreichen der Kirke-Insel erreichen die Argonauten –

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literarisch betrachtet – ‚homerischen Boden‘, den sie im weiteren Verlauf derAO im Bereich des Mittelmeeres auch nicht mehr verlassen werden.

Wenn es weiter oben hieß, dass die Schilderung des Jenseits sich in wich-tigen Details an der homerischen Schilderung orientiert, so ist damit aus-drücklich nicht die unterschiedliche Beschreibung des Eindrucks, den dassich darbietende Totenreich auf Odysseus und dessen Gefährten bzw. dieArgonauten bewirkt, gemeint. Ist nämlich die odysseische Schilderunggeprägt vom Schrecken des Ortes (ein Punkt, den der platonische Sokratesin seinen Ausführungen über die ideale Dichtung bemängelt, siehe Pol.386b–387c), wird in den AO ein durchaus ‚neutrales‘ Bild gezeichnet, dassogar durch einige Details wie die „Stadt der gerechtesten Menschen“ amRande des Totenreichs (AO 1136–1138) und die Schilderung der benach-barten Kimmerier und Makrobier in ihrer sonst nicht bezeugten Verortungin direkter Nachbarschaft zueinander deutlich ins Positive gerückt wird.Nichtsdestotrotz funktionalisiert der Verfasser der AO den Aufenthalt imOkeanos und im Grenzgebiet zum Jenseits bzw. Tod zum Ort der Erkennt-nis des eigenen verschuldeten Elends (der Argonauten) und des drohendenUntergangs. Die Nennung dieses Sachverhaltes war durch die ausführlicheBeschreibung der Reiseroute bis in den Okeanos geradezu herausgezögertworden und wird offensichtlich bewusst erst im Kontext des Okeanos aus-führlicher thematisiert. Fast scheint es, dass die Ausmaße des Miasmas undder Befleckung, die die Argonauten durch die Ermordung des Apsyrtos be-drücken, in dem Gewirr von Flüssen und Völkern, das nach der Flucht ausKolchis zunächst durchfahren wird, noch nicht klar erfasst werden konnten,sondern diese Erkenntnis erst in der Weite des Okeanos schonungslos undklar zugleich möglich wird.

Noch im Bereich des Okeanos setzt aber auch der Prozess der sich all-mählich abzeichnenden Rettung ein. Nachdem zuerst die Argo, das göttlicheSchiff, nach einer düsteren Lagebeschreibung einen ersten Hinweis aufdie weitere Route gibt und dabei das „Unwissen“ der Argonauten explizittadelt (zum Inhalt dieses Unwissens siehe den Kommentar zu den AO1155–1169), offenbart Kirke den Argonauten bei ihrem Aufenthalt auf ihrerInsel einen Rettungsplan (siehe den Kommentar zu AO 1222–1239), beidem erneut das Motiv des Wissens, konkretisiert als das Wissen des Orpheus,in bezug auf kultische Reinigung die entscheidende Rolle spielt. Währenddes Aufenthalts bei Kirke, der den letzten im Bereich des Okeanos darstellt,wird eine Perspektive und ein ‚Heilsplan‘ für die Argonauten entworfen, densie fortan (dann im Bereich des Mittelmeers) verfolgen werden.

Die beiden wichtigsten Hypotexte für die Kirke-Episode der AO ihrer-seits stellen die Darstellung der analogen Episode bei Apollonios und derAufenthalt des Odysseus und seiner Gefährten bei Kirke in der Odyssee dar.Dabei findet der Charakter Kirkes seine Parallele v.a. in der zum Schluss

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freundlichen Bewirtung der Odysseus-Gefährten durch die homerischeKirke, während das Motiv der Entsühnung auf die Gestaltung bei Apollo-nios verweist. Dem freundlichen Charakter der homerischen Kirke ent-spricht es etwa, dass der Verfasser der AO sie die Argonauten freundlichaufnehmen (vgl. die „Festmach-Szene“ Od. 10, 144ff. und AO 1207ff.) undzu ihrer Abreise, wie in der Odyssee (Od. 12, 16ff.), mit Proviant versorgenlässt (siehe AO 1236f.). Vom grausen Anblick Kirkes bei der Ankunft derArgonauten (AR 4, 662–71) ist keine Rede. Der eher harschen Schilderungder Nymphe bei Apollonios, die Iason und Medea nach erfolgter Entsüh-nung dazu drängt, ihre Insel nun schnellstmöglich wieder zu verlassen (AR4, 745f.), entspricht andererseits die Weigerung Kirkes in den AO, die bei-den überhaupt erst in ihr Haus zu lassen (AO 1234); sie, Kirke, ist mit Täte-rin (Medea) und Opfer (Apsyrtos) ja ebenfalls verwandt. Der Sachverhalt,dass der Mord an einem Verwandten geschah, wird in den AO relativ starkbetont (AO 1228f.), während er bei Apollonios zwar auch angedeutet (AR 4,726ff.), aber hinsichtlich der Reinigung als gänzlich irrelevant dargestelltwird (AR 4, 716f.). In den AO ist er für die Schwere der Schuld jedoch ganzoffensichtlich von Bedeutung.

Die Anlage der AO folgt der Gesamtsituation bei Apollonios. Kirkespricht zu Medea. Bei Apollonios (AR 4, 738) wird diese Rede mit „$“eingeleitet, doch die Rede selbst ist wenig tröstlich. Dabei betont Kirke beiApollonius die persönliche Schuld und Verantwortung Medeas (4, 739ff.),während im Fall der AO ihre Schuld zwar ebenfalls stark betont wird (AO1227ff.), zugleich aber auch vom Wirken der Aphrodite die Rede ist, demMedea gewissermaßen zum Opfer gefallen ist (AO 1226). Der elende Zu-stand Medeas ist überhaupt in den AO stärker betont als bei Apollonios. Beidiesem wird z.B. durch die Tatsache, dass Medea zu Kirke spricht, den Mordan dem Bruder aber wohlweislich verschweigt, eher das Bild einer zwarschuldbewussten, aber immer noch raffinierten Mörderin gezeichnet. Inden AO ist Medea dagegen gänzlich passiv gezeichnet, wie überhaupt auchIason und die Argonauten. Die Intention ist dabei wohl nicht, die SchuldMedeas zu mildern oder zu relativieren, sondern eher, das Ausmaß derSchuld durch das (auch körperlich) offensichtliche Leiden der schuldbelade-nen Person (AO 1222–25) zu verdeutlichen.

1036–1048 A*> %λ µ« 8 0 , % ’ | ,« ’0U, "’ :9« 8 9 | ( %) . , Κ ’ *# | P %’ : > =« *# | ¹’,$9 ’ %- µ & | :8 $«α % ’Ν K | $ M-«, κ Ν ,. | A*>%) < $9 | . Bλ $ | )λ B λ 5A« $) | K

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’ $ . R ’ $)6 | †¹+† )# X ’*6 | ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ." | K> > « #E«: Dass die Argonauten für ihre Rückroutenicht denselben Weg wie auf der Hinfahrt wählen, findet sich bereits bei Pin-dar in der 4. Pythie (251–261), bei dem die Argo ihren Weg zurück über denPhasis in den Okeanos nimmt. Diese Tradition, die sich auch bei späterenAutoren wie Timaios, Skymnos von Chios oder Diodorus Siculus findet(Vian [1987], S. 28: „Selon ces auteurs, les Argonautes, pensant qu’Aiétèsleur interdisait le passage pas le Bosphore, remontent le Tanais …), nimmtder Verfasser der AO mit einigen Abweichungen auf. Hinzu tritt in den AOdas Motiv der ‚Schuld‘ bzw. des ‚Vergehens‘ der Argonauten, das als Grundfür das Stromauffahren der Argonauten angeführt wird (AO 1040:$9). Zurecht weist Vian (1987), S. 29f., v.a. Anm. 3 darauf hin, dassauch $" bzw. $9 in AO 1042f. als Folge dieses Vergehens derArgonauten verstanden werden sollte. Dieser Beobachtung wird man hinzu-fügen dürfen, dass auch die Erwähnung der Dunkelheit (AO 1042: κ" Ν$ 1) nicht nur der Tatsache geschuldet ist, dass sich die Ge-winnung des Goldenen Vlieses in den AO nachts abspielt, sondern die Fins-ternis auch symbolischen Aussagewert besitzt (vgl. die Verwendung von« auf einem Grabstein bei Peek (1955) I, Nr. 1122, Vers 8: µ%). Die Route der Rückfahrt ist somit explizit in einen kausalen Zu-sammenhang mit der Ermordnung des Apsyrtos gestellt.

Bouonomer, Arkyer, Kerketer, Sinder, Charandäer: Die Geographie der Ge-genden, durch die die Argonauten im folgenden fahren, erschließt sich nurin Ansätzen einer literarischen Rekonstruktion, und zwar sowohl in Hinsichtauf mögliche Praetexte wie hinsichtlich einer Verortung in der realen Geo-graphie (s.o. S. 56ff.). Von den Völkern, die die Ebene bewohnen, durchdie die Argonauten auf dem Phasis fahren (% ), werden dieBouonomer (AO 1045), die Arkyer (AO 1045) und die Charandaier (AO1047) an keiner anderen Stelle der antiken Literatur erwähnt. Die Kerketen(AO 1046) und Sinder (AO 1046) finden dagegen bereits u.a. bei Hellanikos(Kerketen; vgl. FGrH 4 F 70 Jacoby), Skylax (Sinder; GGM § 72 Müller) undHerodot (Sinder: 4, 28) Erwähnung. Obwohl Bouonomer, Arkyer undCharandaier aufgrund fehlender Vergleichsmöglichkeiten nicht genau zu lo-kalisieren sind, wird man insgesamt eine intendierte Fahrtroute im Hinter-land der Küste des Schwarzen Meeres entgegen dem Uhrzeigersinn anneh-men können. Dies setzt voraus, dass man die Bouonomer und Arkyer alsdiejenigen Völker versteht, die den Kolchern noch am nächsten benachbartsind, und dass man gleichzeitig von einer Lokalisation der Kerketen an derNordostküste des Schwarzen Meeres (siehe Kroll [1921], Sp. 291f.:„… wohnten an der Nordostküste des Pontos Euxeinos, am Abhange desKaukasos“) und der der Sinder in der Gegend der Maiotis, d.h. der Krim,

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ausgeht. Zur Geographie der AO im Hinterland des Schwarzen Meeres undder dort als verbunden dargestellten Flüssen s.o. S. 56 sowie die Kommen-tare zu AO 738–756.

Kaukasus: Obwohl die genaue Lokalisation des Kaukasus in den AOvage bleibt, scheint ihr Verfasser eine Auffassung zu vertrete, die ihn tenden-tiell eher an der Nord- als an der Ostseite des Schwarzen Meeres (wie esdie Karte in Vians Ausgabe intendiert) lokalisiert. Eine solche Verortungverfügt über eine eigene literarische Tradition, etwa im aischyleischen Prome-theus (siehe Hermann [1921], Sp. 60: „… und infolgedessen den K. (…) vonder östlichen auf die westliche Seite der Maiotis versetzt: er [sc. der Verfasserdes Prometheus] mag ihn in diagonaler Richtung zwischen der Maiotis unddem Pontos angenommen haben.“). In den Scholien zu Apollonios Rhodios(Schol. ad AR 3, 200a Wendel) ist davon die Rede, dass die Maioter (also dieBewohner der Gegenden um die Maiotis, siehe den Kommentar zu AO1049–1063) wie die Kolcher von Aietes regiert werden. Solche und ähnlicheVorstellungen mögen (im Fall der AO) zu einer räumlich nahen Lokalisationder beiden Völker bei Rezipienten der Scholien beigetragen haben. ZumNebeneinander von realer Geographie und dem Prinzip einer ‚mental map‘für die Komposition der AO, das auch für die vorliegende Passage voraus-zusetzen sein wird, s.o. S. 55.

Erytheia: Apollodor (Bibl. 1, 35) berichtet, wie der Gigant Alkyoneuseinst die Rinder des Helios aus Erytheia stahl. Dies wurde in der Antike oftin der Nähe der Säulen des Herakles bzw. des Tartessos, also ganz im Westder Oikoumene, lokalisiert. Für eine Verortung Erytheias an der Küste desSchwarzen Meeres siehe dagegen Lukan (3, 277–279), bei dem die Maiotisals Rivalin der Säulen des Herakles bezeichnet wird. Vian (s.u.) vermutet,dass diese sonst kaum bezeugte Tradition der geographischen Zuordnung inden AO bewahrt ist. Was genau dabei in den AO mit ‚Erytheia‘ bezeichnetist, bleibt zu einem gewissen Grad unbestimmt, vgl. Vian selbst (1987), S. 33:„Érythie est le nom de l’ile de Géryon“ bzw. „vallée (?) du Caucase.“ DassErytheia ursprünglich im Okeanos und somit in einem bereits dem Jenseitszuzuordnenden Bereich liegend vorgestellt wurde, deutet die Erwähnungbei Hesiod (Th. 287–293) an. Dieser Jenseitscharakter, der mit der NennungErytheias assoziiert werden kann, kann gleichzeitig als ein Auftaktmotiv fürdie Reihe der phantastischen Orte, zu denen die Argonauten im folgendengelangen werden, aufgefasst werden.

Zur Frage, ob ! oder % als Verb bzw. Substantiv zu verstehenseien, siehe Vian (1987), S. 150 ad 1038: „P!: „le gros“, „la partie la pluslarge“ (du fleuve); cf. A 165 µ … ! … "; 745 ! ().On peut aussi reconnaitre un verbe dans !: si la forme attendue est((), cette règle souffre quelques exceptions: v. 99, 752 (?), 1041. En cecas, % cacherait un substantif, par example (West), qui est supé-

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rieur à un entendu au sens insolite de „bras de fleuve“; mais il es dom-mage d’éliminer (%) qui est bien en situation.“

1049–1064 #A’ Ρ’ $’ $« % U« #H6«, | (+) α 0 8 > | - $+ Q< | =»« ’ *κ« $« R))«, | < !"- > µ« :« Ϊ | M« µ > «. | Kλ ’ "’ :9 > - λ J. | †F(«’ % † Bµ« %, | « q µ )#! . . . . . . . . . . . . . . . . | . . . . . . . . . . . . . . . .", « n T> | -) %Q« ) 0 «. | K < -:9, | M6« 6« $ 4 « | 8 @ µ0« B ’ Ν . | R« @« λ <Y«K« | Ν « ’ #A«, 0 ,| ` - )κ M6 : Zu möglichen Identifizierungen und Ver-ortungen der Fluss- und Völkernamen, die in der Passage zwischen demPontos und dem Okeanos genannt werden, hat sich Vian (1987), S. 31–37erschöpfend geäußert. Auf die Problematik des Nebeneinanders von realerGeographie und der für die Komposition der AO zugrundezulegenden‚mental map‘ ihres Verfassers sei dennoch erneut hingewiesen (siehe aberbereeits oben S. 55f.). Auf beiden Ebenen schwer einzuordnen ist die Iden-tität der „grasblühenden Insel“: Ob diese identisch mit Erythia / der „Inseldes Geryon“ (AO 1048) ist bzw. ob sie unter den Gesichtpunkten der realenGeographie die Krim bezeichnet, bleibt unklar. Zudem ist damit zu rech-nen, dass die Erwähnung eines blühenden Ortes (offensichtlich an derNordseite des Schwarzen Meeres) einen Reflex auf eine seit der frühestengriechischen Kartographie bestehende Tendenz darstellt, die in dem Stre-ben nach symmetrischen Darstellung bzw. einer solchen Vorstellung vomAufbau der Oikoumene besteht. Denn auch an der Südküste des SchwarzenMeeres war vom Verfasser der AO eine blühende Wiese erwähnt worden(AO 748). Das Motiv einer Insel und der Teilung von zwei Flussläufen be-gegnet zudem auch bei Apollonios, wenngleich in anderem Kontext (AR 4,309–313: Donauinsel sowie AR 4, 288–290: Trennung der Flussläufe).

Phasis und Saranges. Zum Phasis sowie dem Problem der Verwechslungbzw. Vermengung von Tanais, Thermodon, Phasis und Araxes in der anti-ken Literatur siehe Vian (1987), S. 31 Anm. 2. Vian deutet den Fluss, aufdem die Argonauten nach Norden in den Okeanos fahren, als Tanais, der imnäheren Textumfeld unserer Passage allerdings nicht genannt wird (dagegenAO 750). Eine Bezeichnung dieser Verbindung in den AO selbst erfolgtnicht. Zur Existenz einer durchgehenden Flussverbindung vom SchwarzenMeer in den „arktischen Okeanos“ vgl. Schol. ad AR 2, 397/8b Wendel.Überhaupt ist die Zuordnung antiker Flussbezeichnungen zu modernen

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Namen hochproblematisch, wie z.B. an der Verwechslung von Borysthenesund Donau deutlich wird (siehe Etym. Symeon. 1, p. 526, 8–10). Die Identifi-zierung des Saranges bereitet ebenfalls Probleme. Er wird außer an unsererStelle noch bei Arrian (Ind. 4, 8) und Polyainos (Strat. 1, 1, 3) erwähnt, in bei-den Fällen allerdings in einem indischen Kontext. Vian verweist außerdemauf die Existenz der Saranger (Hdt. 3, 93) bzw. Zaranger (Plinius, NH 6,48.94). Womöglich handelt es sich beim Saranges auch um ein literarischesEcho des bei Apollonios erwähnten Salangon (AR 4, 337). Festgehaltenwerden kann vor diesem Hintergrund nur, dass der Phasis nach der Darstel-lung in den AO über den Saranges (zum Geflecht der Flüsse s.o. S. 56) mitder Maiotis (s.u.) bzw. dem Schwarzen Meer verbunden ist (Vian [1987],S. 32 sowie S. 188 ad 1054).

Maiotis: Der Begriff ‚Maiotis‘ ist sowohl in der Fachliteratur wie in Dich-tung gebräuchlich als antiker Name für denjenigen Teil des Schwarzen Mee-res, der heute als Asowsches Meer bezeichnet wird, d.h. die hinter der Halb-insel Krim gelegene Bucht. Das beschriebende Bild des durch eine Gegendsumpfigen Grases fließenden (vielleicht: mündenden?) Saranges erscheintzunächst ungewöhnlich. Verschiedene ‚natürliche‘ Erklärungen für die Be-schreibung des Verlaufs von Phasis und Saranges und ihre jeweiligen Mün-dungsarme finden sich bei Vian (1987), S. 188 ad 1054, der, wenn man denSaranges mit dem Fluss Hypanis gleichsetzt, sogar von einer beeindrucken-den Präzision („étonnante exactitude“ a.a.O.) der Schilderung spricht.Gleichsam mag mit den Worten 9 $« auf der Ebene der realen Geo-graphie der kimmerische Bosporus gemeint sei, durch den sich der in dieMaiotis mündende Saranges weiter ins Schwarze Meer ergießt. Vielleicht istin dem Bild eines weiten, sumpfigen Mündungsgebietes ( 9«) auch der Reflex auf das in der Antike verbreitete Wissen (siehe Her-mann [1928], Sp. 592 mit Verweis auf Polybios 4, 40, 4) von der Seichtheitder Maiotis zu sehen.

Bosporos und weitere Völker: ;!« ’ , : ‚nach zwei Drittelndes Tages‘, nachdem die Nacht durchgefahren worden war (9 . λV). Zur Identität des erwähnten „Titanen“, bei dem es sich sowohl umHerakles als auch um Alkyoneus handeln könnte, siehe ausführlich Vian(1987), S. 33 sowie den Kommentar zu AO 1036–1048. Für die Zusammen-stellung des Völkerkatalogs der Verse AO 1060–1063 s.o. S. 349f.; vgl. auchdie Scholien ad AR 4, 321f. Wendel mit Nennung weiterer Autoren und de-ren Völkerkatalogen (u.a. Timonax und Herodian). Bei den Gelonern (Hdt.4,102.108f.120.136), Bathychaiten, Sauromaten (Hdt. Buch 4 passim), Geten(Hdt. 4, 93.96.118; 5, 3.4), Hylaiern (Hdt. 4, 9.18f.54f.76), Kekryphern undArimaspen (Hdt. 3, 116; 4, 13f.27) handelt es sich um Völker und Stämmean der Nordseite des Schwarzen Meers.

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1065–1082 A*> % <’ % ( - $) 0 | $,- 8 . U V , | !....................................." |,9 9 $- :# , | <Q) %, 9 Ν« ")κ | $)6« % #µ α | 9 <’ 4( > « #A)6.| #E 8 -« λ dQ«, | 0 λ 0 †$)† . | P #A )« L ’ $)6 | « R-«, 5A« -#« «, | T-« ’ $«, θ $ - |M9, ) ’ %- f +, | ’ Ν’ <Y«,N« λ K 0«.| A*> %λ % «#H6«, | <e« *« %α % ’ Ν #A)6, | :8 %- > ( <, | 0 #)α K + | <Y « + : Auf ihrer Fahrt in denOkeanos lässt der Verfasser der AO seine Erzählinstanz Orpheus das Motiveiner kausalen Verkettung von ‚Blutschuld‘ und ‚Irrfahrt‘ wieder anführenund die Götter als im Hintergrund stehende Instanz aufnehmen (.$" 3 | $%; vgl. AO 1042f.). Das Motiv des Miasmas, dasauf den Argonauten lastet, rückt so allmählich in den Vordergrund, bis esdurch die Argo-Rede explizit zum Ausdruck kommt (AO 1159–1169). Dasinhaltlich schwer zu deutende , ! (AO 1065) mag dabei eher qualifizie-rend („den Argonauten in ihrem Zustand“) zu verstehen sein, d.h. mit Be-zug auf das von den Argonauten begangene Unrecht der Ermordung desApsyrtos (AO 1031.1035) als zeitlich („in dieser Phase“). Für die Rekon-struktion der Lacuna siehe Vian (1987), S. 189. Zur Verbindung der Maiotismit dem nördlichen Okeanos siehe Schol. ad AR 2, 397/8b Wendel. Zu denAssoziationen und möglichen allegorischen Implikationen der Okeanos-Konzeption in den AO s.o. S. 60f. Nicht nur die Nennung des Okeanosselbst, sondern auch die Verwendung der offensichtlich symbolisch-idealty-pischen Angabe, dass die Fahrt neun Nächte und Tage andauert bzw. dieAnkunft am Ufer des Okeanos am zehnten Tag erfolgt, zeugen von demnoch gesteigerten stilisierten Gehalt der vorliegenden Partie auch im Ver-gleich mit anderen Fahrtetappen innerhalb der AO und markieren den sur-realen Charakter des sich anbahnenden Okeanismos. Dessen gewisserma-ßen außerweltlicher Charakter wird – wie bereits beim Hain der Hekate inKolchis (AO 995–997) – auch durch die beschriebenen akustischen Phäno-mene verdeutlicht (AO 1068: $9). Außerdem deutet auch die Bezeich-nung des Okeanos als des ‚Kronos-Meers‘ bzw. des ‚toten Meers‘ (siehe Sau-ter [2000], S. 203) auf den jenseitigen Charakter dieser Wegstrecke hin. Eswerden insgesamt neun Völker aufgezählt (AO 1073–1079), deren Gebietedie Argonauten durchfahren, wobei die Formulierung in Vers AO 1072( 3 λ 3) eine gewisse Vagheit in der Verortung derselbenauch textintern explizit ausdrückt. Für den gleichwohl unternommenen Ver-

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such einer Lokalisation der Hyperboreer (zu deren bereits seit den homeri-schen Epen bezeugten Jenseitsbezug s.o. S. 63; ein Großteil der üblicher-weise mit den Hyperboreern assoziierten Eigenschaften wie Glückseligkeit,langes Leben und Wohlergehen ist in den AO allerdings auf die Makrobierübertragen, siehe den Kommentar zu AO 1105–1119), der Paktaier, Arktier,Lelier, Skythen, Taurer, Nomader, des kaspischen Volks und der Rhipeer seiauf Vian (1987), S. 35 Anm. 4 verwiesen. Auf den literarischen Charakterdieser Zusammenstellung, die im Vergleich zu kaum zu rekonstruierendengeographischen Quellen zu berücksichtigen ist, weist nicht zuletzt die offen-sichtlich als Anspielung auf die taurische Iphigenie des Euripides zu verste-hende Angabe der ‚Taurer, die der Mounychia, d.h. Artemis-Hekate, op-fern‘, hin (Vian (1987) ad 1076: „Allusion évidente à l’ Iphigénie en Tauride.“)Weitere auch literarische Hypotexte sind allerdings nicht sicher auszuma-chen. Zur Geographie auch des nördlichen Schwarzmeerraums siehe außer-dem Danoff (1962) sowie Hind (1983/84). Zur Bezeichnung der Artemis alsMounychia siehe den Kommentar zu AO 894–910.

1083–1104 O* 8 )( %- )µ ,, | : κ Ν’² "µ | ( S’ %λ µ :)( |#A)(«, ( +« α | π ’ 0 ( 9. | #A’ Ρ κ )9 %’ :9, | («’ *’ 0, $ 8 , | +« $«% , | ¹ $U-, ! " ). | #A)-(« ’ %» λ Ν« « , | b «, ( -« %. | O¹ ’ %λ σ )« † † |« "8 Ϊ 8 > . α | τ ’ Ν’ $+ | -« % "« κ + « |5A)« ’ #A)(« λ $>« | b . Tλ ’ ρU ’ :-)( « | . %)α # ’ g « .« |’ ")> > (« . | O* ) ¹ )#« σ«"µ 9 & | $ Ϊα > 8 « | (’"!"’ <E« λ T-« 0 V : Das Motiv der Gefahr, dieeine Befahrung des Okeanos mit sich bringt, ist in der Argonautenliteraturverbreitet: Vor ihr bewahrt Hera die Argonauten in der Erzählung des Apol-lonios (AR 4, 636–645: Ν9 $9). Die Steigerung, die der Verfasser derAO dadurch erreicht, dass er dieses Motiv seines wichtigen Hypotextes än-dert und seine Argonauten den Okeanos erreichen und befahren lässt, istevident. Die damit verbundene Gefahr wird deshalb auch in den AO deut-lich zum Ausdruck gebracht: Das sichere Verderben wird nur durch die Auf-merksamkeit des Ankaios abgewendet (AO 1084–1086). Warum Ankaiosdie Argo hinter der Mündung des Tanais in den Okeanos „nach rechts“ (,λ) lenkt, bereitet dem Verstehen Schwierigkeiten (siehe Vian [1987],

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S. 189 ad 1086: „Au v. 1086, ,λ étonne, puisque le navire poursuivrasa route vers l’ouest …), wenn man bedenkt, dass die Argonauten nach denMaßstäben der realen Geographie auf ihrer weiteren Fahrt auf dem Okea-nos nach Westen, d.h. also ‚nach links‘, abbiegen müssten, da sie das Mittel-meer später durch die Säulen des Herakles, also die Straße von Gibraltar,wieder erreichen werden. Dieses geographische Wissen wird bei dem Ver-fasser der AO durchaus vorauszusetzen sein. Vian (a.a.O.) versucht deshalbmit Verweis auf Voß die rationale Deutung, mit ,λ sei gemeint, dassder Steuermann nur das Ruder bzw. besser die Pinne nach rechts bewege,das Schiff aber nach links manövriere. Eine solche Deutung erscheint mitBlick auf die Verse AO 1205f. in der Tat möglich, wenngleich Vians (1987),S. 190 ad 1090 Zweifel letztlich nicht gänzlich auszuräumen sein werden:„mais ,λ reste tout aussi énigmatiqe“. Der zunehmend surreale Cha-rakter der Fahrtschilderung in den Gefilden des Okeanos und in dessen nä-herem Umfeld (siehe den Kommentar zu AO 1065–1082) verweist bereitsdarauf, dass die Geltung der realen Geographie (zur Problematik der Kennt-nis des Okeanos s.o. S. 58–60) hier hinter die Relevanz symbolhafter Krite-rien zurückgetreten sein dürfte. Mit dem Erreichen des Okeanos, an dessenanderem Ufer nach antiken Bekunden der Eingang zur Unterwelt liegt (Od.11, 13ff.), haben die Argonauten phantastisches, „trans-geographisches“Terrain erreicht. Eine Wendung ‚nach rechts‘ (! " %9-: ‚durch die Hände des Ankaios, mit denen er das bzw. die Steuerruder be-dient‘) gewinnt deshalb eine eigene Symbolkraft: In den meisten Unter-weltsschilderungen und verwandten Darstellungen stellt die rechte die be-vorzugte Seite dar, die auch den rechten Weg markiert.

Die im folgenden beschriebene Episode (AO 1092–1179), in der die Ar-gonauten die Argo wegen einer Windstille (O- % ¹ :« σ« µ 9- 4 | %# $"# Ϊα) an Tauen ziehen müssen, greift dasbekannte Motiv der über Land getragenen Argo (AR 4, 1382–1392; Hesiodfr. 241 Merkelbach/West; Antimachos fr. 65 Wyss; Pindar, 4. Pyth., 25–27) inabgewandelter Form auf, indem der Verfasser der AO die Argonauten dasgöttliche Schiff nicht tragen, sondern am Ufer des Okeanos entlang ziehenlässt. Gleichzeitig zeichnet der Verfasser der AO die Argonauten als Vorgän-ger des Odysseus und seiner Gefährten, die ebenfalls am Ufer des Okeanosentlanggehen (siehe auch Od. 10, 509 zum Motiv des flachen Wassers: $* %$), bevor sie in Kontakt mit dem Totenreich kommen (Od. 11,14–22). Auf die in der Odyssee erwähnten Kimmerier sowie einen als Toten-reich geschilderten Ort werden auch die Argonauten stoßen (AO1130–1146). (Zur Konstruktion der AO als eine mythen- und literaturchro-nologische Vorgängerin der homerischen Epen s.o. S. 16.)

‚Helike‘ als mythische Metonymie für das Sternbild des Großen Bären(AO 738.745) begegnet seit hellenistischer Zeit, vgl. Arat, Phain. 36–41. Die-

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ses Sternbild stellte in der Antike eine wichtige Orientierungshilfe für dieSchiffahrt dar (siehe nicht zuletzt AR 2, 95 u. ö.). Angesichts der geographi-schen Position, an der sich die Argonauten im Okeanos (=T.« 3$m#), d.h. ganz in Norden, befinden, wird diese Angabe verständlich. Au-ßerdem wird das Sternbild des Bären aber auch „als Lenker des mensch-lichen Lebens angesehen“ (so Gundel [1961], Sp. 1045, der außerdem be-merkt: „Sodann muss hingewiesen werden auf die Vorstellungen, nachdenen die Seelen der Verstorbenen in den am Pol bzw. in der Nähe des Poleslebenden Sternen leben.“ Für weitere Belege siehe a.a.O.). Die Erwähnungder astronomischen Konstellation ist also fein auf die Situation der Argo-nauten in der Nähe des Totenreichs abgestimmt und untermalt diese zusätz-lich.

1105–1119a A*> %λ g « d #H6«, | 0« %«$µ λ - % | M , θ κ « Q6’%-«, | 6 « +«, | -« b« 0 4 α | *> %λ µ« µ %- ,| V) "µ )) +.| O*’ Ν( « λ 0)’ $6 , | « ’ % « > | g9 "’ $9 ( µ %-«, | «²« « ² %+. | M :8 %’ &-. @+ | 8 . %-9 | S <Q ’ %)-. | Kλ #« <’ $« :Wie Inder oder Äthiopier, die oft mit dem Adjektiv versehen wer-den (Hdt. 3, 17.21.97), in der Antike als am Rand der bewohnten Welt le-bend aufgefasst werden und dieses ‚Ende der Welt‘ verkörpern können, sobezeichnen auch die Makrobier der AO in ihrer Verortung am Okeanos dieGrenze der bewohnten (und diesseitigen) Welt. Von ihnen heißt es an vielenStellen in der antiken Literatur, dass sie – ihrem Namen gemäß – außer-gewöhnlich lange leben ("« '’ ,.«). Immer wieder ist voneiner Lebensspane von 1000 Jahren die Rede, siehe etwa Strab. 15, 1, 57.Zur lokalen Verortung der Makrobier finden sich unterschiedliche Angaben(diffus etwa Apollodor 2, 120). Die Tatsache, dass der Verfasser der AO dieMakrobier in den hohen Norden, ans Ufer des Okeanos verlegt, stellt eineVariation dar, die – soweit die Überlieferung hier ein Urteil zulässt – zumin-dest in keiner geographischen Schrift der Antike ihr Vorbild findet. Eineunerwartete und in ihrer Wirkung in geographischer Hinsicht nur schwereinzuordnende Parallele für diese Verlegung an den Rand des Okeanos imNorden (der nach antiker Auffassung auch im Süden der Aithiopen fließt),stellt dagegen die Ausführung bei Porphyrios dar (Contra Christianos fr. 69, 16Harnack): „Q ? !« ¹« "9«, Q :« M«"9« A)«, Q κ p ' , .)# .9«, -

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%« C λ 8p'%« *«, 8E« λ M« $.«,( ’ $## % $"«. T« σ ² « l«; Q 9$(« 3$9 λ " (…). Diese Passage, inderen Umfeld es um eine Kritik an der Vorstellung des christlichen Abend-mahls zur Gewinnung des ewigen Lebens geht (darauf zielt die Formulie-rung „$(« 3$9 λ "“), bietet die ein-zige Nennung von Makrobiern (anders Berchman [2005], S. 202, deroffensichtlich von einer nicht näher definierten (literarischen) ‚makrobi-schen Quelle‘ über die Äthioper ausgeht: „the Macrobian description of theAethiopeans“; die Makrobier/Äthiopier als Volk versteht dagegen auchHarnack, S. 88 Anm. 16) und Okeanos in demselben Kontext. Dass die Pas-sage bei Porphyrios tatsächlich so verstanden werden kann, dass von denMakrobiern als am Okeanos lebend die Rede ist, deutet eine Stelle bei Pli-nius an (NH 7, 27), in der die Langlebigkeit der Makrobier (die laut Pliniusauf dem Athos leben) mit dem Verzehr von Schlangenfleisch erklärt wird:item Aethiopas Macrobios et Seras existimat et qui Athon montem incolant, hos quidem,quia viperinis carnibus alantur. Von Schlangen essenden Völkern am Rande desOkeanos ist exakt auch bei Porphyrios die Rede: Q κ p ' ,.)# .9«, (…) 8E« (…) $.«. Die Ausführungen beiPorphyrios könnten deshalb durchaus im Hintergrund der Darstellung inden AO stehen. Zu den Jenseitskonnotationen der Makrobier und der ma-ximalen Steigerung der Argonautenroute durch die Befahrung des Okeanosin den AO s.o. S. 63 sowie den Kommentar zu AO 1065–1082.

Die genaue Angabe der Lebenszeit der Makrobier in den Versen AO1107f. bereitet einige Probleme, vor allem unter Annahme des überlieferten*# (AO 1108). Wie Hermann (ad loc.) und Vian (1987), S. 190ad 1109 gezeigt haben, ergibt die Angabe erst dann einen Sinn, wenn mandie bei Homer beschriebene (Od. 11, 247) Gleichsetzung von 10 Monaten =einem Jahr zugrundelegt, an der sich der Verfasser der AO vermutlich orien-tierte, und statt des überlieferten Genitivs *# den Akkusativ*« liest. So ergibt sich eine Lebensspanne der Makrobier von„zwölf tausendmonatigen Jahrhunderten“. Die scheinbare Abweichung die-ser Angabe, d.h einer Lebensspanne von 1.200 Jahren, von der üblicher-weise (s.o.) genannten Lebensdauer von 1.000 Jahren löst sich auf, wennman statt von Sonnen- von den im Vergleich etwas kürzeren Mondmonatenausgeht (mit 1.200 Mondmonaten ~ 1.000 Sonnenmonaten, hierzu sieheVian [1987], S. 190f.).

Entgegen dem sonstigen Wortgebrauch bedeutet ² (AO 1115)hier, dass die Makrobier keine Alterserscheinungen zeigen, nicht, dass alledas gleiche Alter zueinander haben (AO 1117: C ). IhrTod wird gleichsam als süßer Schlaf beschrieben, dem jeglicher Schreckengenommen ist. Dass sie sich zudem von Ambrosia ernähren, verdeutlicht

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den geradezu göttlichen Charakter dieses Volkes am Rande des Jenseits, derauch in ihrem Strahlen zum Ausdruck kommt (%« ²(« «). DerÜbergang in die jenseitige Welt, die die Argonauten mit der Befahrung desOkeanos anschauend kennenlernen, wird nicht zuletzt durch die reizvolleSchilderung der Makrobier – bei aller Gefahr – angenehm konnotiert. Auchim Bild der personifizierten ‚Galene‘ (AO 1116), der Nereide der Windstilleund der ruhigen See, deutet der Verfasser der AO einen Zustand der Ruheund des Friedens bei den Makrobiern an, der für das Jenseits auch an ande-rer Stelle genannt wird (Ps.-Platon, Axiochos 370d3: ! 9 $9 -#λ« , « ¹«, 3 Ν % λ $" λ $)+,)µ« " « λ ( Ν« « […]). Siehe auch Vian (1987), S. 37Anm. 3: „L’absence de vent qui caractérise les régions boréales prend mêmeune signification morale: Galéné, la divinité de la mer calme, de la bonace,préside à la paix et à la concorde qui règnent sur le peuple des Macrobies.“Zur Kompatibilität der AO mit platonischen Dichtungsanforderungen s.o.S. 95f. Zu den verschiedenen in den AO begegnenden Schicksalsbegriffensiehe den Kommentar zu AO 106–109.

1119b–1127 :)µ 8 | λ %«, 0 8 K | κ %)« ¹, f < . | S)« Ν : - #H.| #E 8 )> <e ,« λ K« *κ |$« S) α % 8 6 | Θ % -µ =)α | σ - « +« 5A« | - , $#« ’ % :: Zur Fortbewegung der Argonau-ten zu Fuß siehe den Kommentar zu AO 1105–1119. Das bereits bei Homer(Od. 11, 14) erwähnte Volk der Kimmerier wurde (bereits) in der Antike anverschiedenen Orten lokalisiert (umfassend Sauter [2000]). Die vorliegendeSchilderung der Kimmerier als im ewigen Schatten lebend nimmt wichtigeDetails der homerischen Erwähnung auf. In dieser ist nicht nur vom Fehlender Sonne (Od. 11, 15f.) die Rede, sondern auch von einer Stadt der Kimme-rier am Ufer des Okeanos, ein Motiv, das in den AO allerdings nicht mit denKimmeriern selbst verbunden wird, sondern seine Parallele in der Schilde-rung der Stadt Hermioneia (AO 1136ff.) findet. Mit der Erwähnung desRhipaion-Gebirges greift der Verfasser der AO bereits in der archaischenLiteratur bezeugte Vorstellungen von diesem Gebirge auf: Die Vorstellungder rhipäischen Berge als einer „Grenzscheide“ für die Sonne begegnet be-reits bei Alkman (fr. 90 Page) und Anaximenes (frr. 13 A 7,6 und 13 A 14DK). Danach wandert die Sonne nachts jenseits, also nördlich des rhipäi-schen Gebirges, vom Westen zurück nach Osten, um dort am nächstenMorgen wieder aufgehen zu können. Eine Verbindung der Alpen mit denRhipäischen Bergen (siehe den Kommentar zu AO 1123) begegnet in derantiken Literatur immer wieder, bei Poseidonios von Apameia (87 F 48b Ja-

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coby) erfolgt sogar eine Gleichsetzung. Anders als etwa für Hekataios (undin seiner Nachfolge zahlreichen anderen), dem die rhipäischen Berge alseine von Westen nach Osten über die ganze Erde laufende Gebirgskette gal-ten, modifiziert der Verfasser der AO die Ausrichtung des Rhipaion-Gebir-ges aber als sich von Norden nach Süden erstreckend, und zwar, wie die For-mulierung nahelegt (s. Vers 1124: -$κ | $« L), im Osten derKimmerier. Die Alpen werden in den AO ebenfalls als in Nord-Süd-Aus-richtung befindlich beschrieben, und zwar an der Westseite der Kimmeriergelegen ( σ . %«). Im Süden an das Gebiet der Kimme-rier angrenzend wird ‚Phlegra‘ genannt. Dieser Ort, der bisweilen konkretmit einem Teil der Chalkidike identifiziert wurde (vgl. Hdt. 7, 123: κ P*, C " "; Strab. 7, fr. 27 Radt), galt auchohne konkrete Lokalisierung als der Ort, an dem der Kampf der Götter undGiganten stattgefunden haben soll, „irgendwo im Norden“ (vgl. Oberhum-mer [1941]). Zur geographischen Schilderung der Kimmerier in der vorlie-genden Passage vgl. ausführlich Vian 1987 (S. 37–39) und Sauter (2000). In-dem die Kimmerier in den AO durch die Schilderung der ErzählinstanzOrpheus von der U-förmigen Anlage von Rhipäischem Gebirge (Osten),Alpen (Westen) und Phlegra (Süden) um ihr Gebiet herum als von jeglichemSonnenlicht abgeschnitten dargestellt werden, wird ein narratologischesbzw. mythenchronologisches Aition für die homerische Beschreibung derKimmerier als im ewigen Schatten lebend geschaffen.

1128–1142 5E $«, %) 8 | f$) µ λ + $+, | 0 $-Q µ« « | « #A . > 6, | $)8«V , κ | $α )( 8 ’ , -( | †µ c µ«† | -« λ d 8« :.| #Aλ ¹ + λ Κ« <E | + %« %’ $)(«.| #E 8 ) Q6 - $6 , | c $« Ν« - , | λ ’*λ Uλ :« #A | « % )«α f : « | Ν ’ #A - λ « #O : Zur Schil-derung des Ortes und seiner offensichtlichen Gestaltung als Beginn desTotenreiches siehe ausführlich oben S. 351. Zur Bezeichnung der Hermio-neia als ‚flach‘ ($*) und ‚weidereich‘ (Κ«) siehe Od. 24, 10.13.Zur Identität des Ortes, der mit $( angegeben ist, mit demPromunturium Rusbeas (Plin., NH 4, 95; 2, 167) siehe auch Vian (1987), S. 38.Die genannte „harte Biegung“ galt als der Punkt, an der der nordische Okea-nos, auf dem bzw. an dessen Ufern entlang sich die Argonauten bisher fort-bewegten, in den atlantischen Okeanos (AO 1169) übergeht.

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364 Die Rückfahrt der Argonauten über den Okeanos

1143–1155a #A’ Ρ κ λ λ d | 9κ Ν9 #ρ $+« 0,| + < ’ #A)(« µ« , ρU 8 « |: % « Ν)’ «α | #« Ρ ) λ -- α | „T, , µ α %λ - Κ |0 $+. #E )> d | $ Z -, *’ $ | V #. -Q % U. | #A>« ¹µ 8 $+ 9, | - 8 « &«α % ’Ρ «, | )’ % « «.“ | &« ¹8 > g : Parallel zur durchaus positiven Schilderung derUnterwelt selbst (siehe den Kommentar zu AO 1128–1142) sowie der um-liegenden Gegenden und Völker (siehe den Kommentar zu AO 1105–1127)wird das Moment der Strafe, das der Befahrung des Okeanos durch die Ar-gonauten und der damit verbundenen Todesnähe innewohnt, konsequentaufrechterhalten (9 Ν9 : ρ $*«). Dass die Argo denEingang zur Unterwelt im eisigen Norden (AO 1131) erreicht, stellt denHöhe- bzw. Tiefpunkt der Irrfahrt dar, die sie auf ihrer Flucht vor den Kol-chern durchleben müssen. Die Rede des Ankaios bringt dies ausdrücklichzur Sprache, wenn er davon spricht, dass das Schlimmste überstanden sei(Κ $" | 3 $*). Die von technischen Details (s.u.) ge-prägte Rede, in der sich die große Erleichterung des Steuermanns Bahnbricht und sich auf die Argonauten, die alle Anordnungen sogleich aus-führen, überträgt, markiert deutlich den (Stimmungs-) Umschwung. ImGegensatz zur bislang herrschenden Windstille symbolisiert auch der auf-kommende Wind neue Bewegung und damit neue Hoffnung. Wie bereitsnach dem durch die Argonauten verschuldeten Tod des Kyzikos ist dieseHoffnung auf schnelles Fortkommen jedoch illusorisch: Die Argo in ihrerFunktion als göttliche Instanz und Warnerin lässt sich vernehmen und weistauf das Miasma der Argonauten erneut hin (siehe den Kommentar zuAO 1155–1169).

$": adverbiell zu verstehen, nicht als Epitheton zu m# #- . Als t.t. dient zur Bezeichnung eines Querbalkens bzw. einerVorrichtung mittschiffs, in der der Mast (² ¹«) aufgestellt und befestigtwerden kann (siehe schon Od. 2, 424). Erst dann können die Taue (9 Ρ)wieder ausgerollt und sachkundig an beiden Seiten der Bordwand festge-macht werden. Eine ausführliche Beschreibung des Manövers (als Gegen-stück zum Reffen der Segel und dem Legen des Mastes in den Versen AO634f.) findet sich bei Vian (1987), S. 192 ad 1153.

1155b–1169 % ’ Ν « | µ« % T>« 0) )µ« |b ’ "’ #A))6 (« π P«. | / ’ 0, « 8λ « f «α | „5 %)6, , (& | K« 9 % #A) - | ν λ . $-)

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Die Rückfahrt der Argonauten über den Okeanos 365

$9 + | 6 α %λ . :8 #E#« | f«%- « #AU- | "« g, ) Ν9 %’Ν. | N. )> κ )« λ $)« « | +, : +- #I Θ f . | E: κ ) ’ ¹9 %)U« Ν9 | 0 )« λ $) « | f’, q’ )« #A-µ %µ« f .“ Im Gegensatz zur indirekt wiedergegebenen Rededer Argo bei Apollonios (AR 4, 580–591) lässt der Verfasser der AO dasSchiff in direkter Rede zu Wort kommen und gibt ihrer Rede so eine gestei-gerte Dringlichkeit. Der göttliche Charakter des sprechenden Schiffes wird –wie bei Apollonios – durch den expliziten Verweis auf seine Erbauerin (zurHerstellung der Argo siehe den Kommentar zu AO 66–69) betont. Die War-nung selbst wird so ebenfallls deutlich als göttlichen Ursprungs präsentiert.Nachdem der Sachverhalt der Verblendung bzw. Schuld der Argonautenund ihrer Konsequenzen im bisherigen Verlauf der Erzählung mehrfachausgedrückt worden ist (AO 1040.1065), nennt Argo in AO 1161 mit der„wohlbekannten Unwissenheit“ der Argonauten ein neues und für den wei-teren Verlauf der AO wichtiges Motiv. Das Vergehen wird von einer Tat- aufeine Intellektebene gehoben. Damit bereitet die Argo-Rede eine wichtigespätere Entwicklung vor, nämlich die Reinwaschung der Argonauten vonihrer Schuld durch Orpheus bzw. „dessen Wissen“ (AO 1232). Zugleichstellt die geschilderte Befürchtung des göttlichen Schiffes, in den Gewässerndes Okeanos zugrunde zu gehen (vgl. AR 4, 1261–1276, dort dem Ankaiosin den Mund gelegt), auch einen Reflex auf die Größe und unwirtlicheMacht des Okeanos dar. Anschließend, allerdings erst gegen Ende der Rede,kommt Argo auf eine mögliche Rettung der Argonauten zu sprechen, soll-ten diese sich geschickt verhalten bzw. manövrieren und die „iernischen In-seln“ (s.u.) nicht ansteuern (AO 1165–69). Es dominiert aber – auch im andie Tragödie erinnernden Tonfall (vgl. für AO 1164 den Passus bei Aisch.,Ch. 402–404; siehe außerdem Vian [1987] ad 1159) – die Skepsis und Nie-dergeschlagenheit Argos, die den Argonauten ihr übles Schicksal noch ein-mal deutlich vor Augen führt und ihren Untergang als eine ernstzuneh-mende und akut drohende Gefahrt schildert. Der Verfasser der AO legt derArgo durch seine Komposition der Argo-Rede damit in den Mund, wasApollonios die Argonauten selbst befürchten lässt (AR 4, 1252ff.), d.h. dasses besser gewesen wäre, bereits im Schwarzen Meer und dem Versuch dererneuten Durchfahrt der Symplegaden zugrunde zu gehen. Durch die Kom-bination der Argo- (s.o.) mit der Ankaios-Rede (AR 4, 1261–1276) bei Apol-lonios gelingt dem Verfasser der AO eine Engführung der beiden wesent-lichen Motive, die in diesen Passagen ausgedrückt werden, nämlich Warnungbzw. Auftrag zur Reinigung von der Schuld (Argo) und vollkommene Nie-dergeschlagenheit (Ankaios). Neben der Umkehrung der beiden Motive inder Argo-Rede der AO kommt so vor allem die kausale Verkettung der bei-

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den Aspekte zur Geltung, die bei Apollonios einigermaßen weit voneinan-der getrennt zum Ausdruck kommen. Zur allegorischen Funktion des Bil-des der Seefahrt s.o. S. 102f.

Über die regelmäßige Nennung Irlands im Zusammenhang mit denbritischen Inseln (siehe etwa Strab. 1, 4, 3 u. ö.) hinaus mag auch die Verwen-dung des Plurals darauf hindeuten, daß hier nicht allein Irland, sondern diebritischen Inseln insgesamt gemeint sind (so auch Vian [1987], S. 41:„Ierné (…) est à proprement parler l’Irlande, mais désigne ici plutôt l’ensem-ble des îles Britanniques.“). Zur Identität der „heiligen Vorgebirge“ sieheden Kommentar zu AO 1240–1249. Mit der Formulierung 3#« dürfte die Straße von Gibraltar gemeint sein, d.h. der « bezeich-net den Bereich, der zwischen dem Land (Südspanien und Nordafrika) unddem eigentlichen Meer liegt. Die Argo weist den Argonauten somit den Wegaus den Gefilden des Okeanos, die durch die Argo selbst als Ort des Unter-gangs und des Todes bezeichnet werden, zurück ins Mittelmeer. Diesemwird so implizit eine Dimension der Rettung und der Sicherheit zugespro-chen. ,µ« wird hier adverbial verwendet.

1170–1185 &« :.’ *κ +α % ’ Ν µ« | 6M- «α J )> 0 | + )µ , #I« f- . | P> 8 +Q %λ λ 9 | d $- λ :- - | : M+, $U ’ #E-,| : κ Ν’ &# µ« AS« ¹µ« | λ -« µ +’ . | A*> % ’ #A).« %) 0&+, | l > ( «, Q ’ %. | #A)(« ’S« % « %, | > ’ Ν Ν #I. K ¹, | c t) κ -, | % ’ &« . G ’ Ν ")µ %’ ρ | .«α *’ Ν « %.«$- & | dα )> %+ ): Andersals etwa bei Apollonios Rhodios, bei dem die erbarmungswürdige Lageauch Medeas und ihrer Dienerinnen geschildert wird (siehe etwa AR 4,1296–1304.1344–1346), wird die Stimmung der Argonauten gegenüber Me-dea (AO 1175: )$ M*) in den AO als feindselig beschrieben. DieArgonauten meinen, sich selbst und die Argo retten zu können, wennsie Medea über Bord werfen. Ein solcher Ansatz wird sich als ungenügendherausstellen, denn Kirke wird den Argonauten später (AO 1230–1233) denAuftrag erteilen, sich gemeinsam von der Befleckung durch die Ermordungdes Apsyrtos von Orpheus reinigen zu lassen (siehe den Kommentar zu AO1222–1239). Diese Entwicklung wird in den vorliegenden Versen aber be-reits eingeleitet, indem erneut der wichtige Aspekt einer geistigen Erkennt-nis betont wird. Hatte Argo dieses Spezifikum der AO bereits angedeutet(siehe den Kommentar zu AO 1255–1269), wird hier die Erkenntnisleistung

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Iasons (4: µ« AL« ¹µ«) betont, der die Argonauten vonihrer Irrmeinung befreit, Medea allein sei für ihr Unglück verantwortlich.Die Erkenntnisfähigkeit des Iason ist es damit auch, die die Argonauten voneiner erneuten Befleckung bewahrt, die die Argonauten durch einen Mordan Medea auf sich genommen hätten. Vielmehr erreicht Iason durch sein be-sonnenes Auftreten, dass die Argonauten die Herausforderung ihrer eige-nen Rettung annehmen und sich wieder an die Ruder setzen. Damit einhergeht eine Umkehrung der Handlungsfähigkeit im Vergleich zu vorigen Si-tuationen, wenn nun die Argonauten erstarren (µ« | $ M.;vgl. AR 4, 1279: $), wie dies zuvor von Iason geschildert worden ist(AO 248).

1186–1206 O* « 0) 9l %λ λ n ’ Ν’ %, | : κ !%’" %-(« $ #( | L)#« : – ² )> µ, – | + :’ * 6’ $« | F+«α λ ’σ ) « % .| / . Ϊ’ 0«, M(t, | —« = ’ Ν λ | % $’ *- λ ) Ν«α | *> 0’ —« P#« -« f« | Q« - %+ « S9,|4« ’ 0 > -« $).| Fκ ’ %)Ω $ %-6 | + %λ <)( λ :)+ | 0’ Κ «# λ )» $6 α | * ) f % κ &µ« $-,| $ ¹ « λ | "U+, >- .| Kλ ’ Ν’ * $ µ« )6 |:- #A)(«α $ ’ ρU’ $- , | µ ")« :+α% ’ Ν’ 0 | + ’ *# », %λ > ’ J) : Der Blickbzw. die Sehkraft des Lynkeus, des Bruders des Idas, war in der Antikesprichwörtlich, siehe z.B. AR 1, 53ff., VF 1, 462ff., Apollod. 3, 10, 3. Auchim Argonautenkatalog der AO ist diese Eigenschaft bereits hervorgehobenworden (siehe den Kommentar zu AO 181–184). Eine Insel der Demeter(und ein Kult derselben sowie der Kore mit Parallelen zu dem von Samo-thrake) vor der bretonischen Küste findet Erwähnung auch bei Strab. 4, 4, 6:λ C « ;*« λ K« , Ρ λ (sc. Artemidor) ρ µ« 9 B9, ’ c Ρ !« , ?)% λ κ;* λ κ K ¹!. Von verschiedenen Inseln im Atlantikspricht auch Proklos, der ebenfalls eine „Insel der Persephone“ erwähnt(In Tim. I, 117, 13). Der Mythos vom Raub der Proserpina (=Kores), derKernmythos verschiedener Mysterienkulte wie etwa desjenigen in Eleusis(siehe Graf [1974], S. 151) war gleichzeitig Inhalt eines eigenen literarischen(verlorenen) Werks, das unter dem Namen des Orpheus umlief, wie auseinem Scholion zur Theogonie Hesiods ad 914 (fr. 43 Kern/fr. 389 Bernabé)hervorgeht. Hierzu siehe Graf (a.a.O.), S. 153–181. Zu weiteren Anspielun-

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gen auf orphische Literatur in den AO s.o. S. 50. Die Erzählung vom Raubder Kore durch Pluto (AO 1194) spielte zudem eine Rolle in verschiedenenorphischen Theogonien (West [1983], passim), so dass die Anrede der Er-zählinstanz Orpheus an seinen Zuhörer Musaios (zur Identität von Musaiosund dem Rezipienten der AO s.o. S. 17) und sein Verweis auf die Kenntnisdes Musaios vom Vorgang des Kore-Raubs eine Rechtfertigung auf derEbene der ‚realen‘ Literatur erfährt. Die Erwähnung von ‚Geschwistern‘Persephones () verweist auf eine seltene Tradition, da Perse-phone häufig – etwa in den orphischen Hymnen (HO 29, 2: ") alseinzige Tochter der Demeter und des Zeus bezeichnet wird (vgl. auch AR 3,847). Von einer Mitwirkung verschiedener Gottheiten beim Raub der Kore,die sich womöglich hinter der erwähnten Formulierung der ver-bergen, ist dagegen häufig die Rede (Graf [1974], S. 154–158), u.a. bei Clau-dian, De raptu 1, 214–234. Zu dessen Beschreibung stellt vor allem die Be-schreibung der Insel als mit Steilküsten versehen ( « " λ %" | U*), die eine Landung unmöglich machen, eine interessanteParallele dar (siehe auch De raptu 1, 142–152), wenngleich bei Claudian vonSizilien die Rede ist.

Schwer einzuordnen ist die Erwähnung des ‚Daimon‘ (AO 1195), derbei der Entführung Kores mitwirkt. Seine Identität bleibt unklar.

1207–1221 5H 8 ) K« % | L)( λ 4« «. | K < ¹ :)( % $-- , | ’ % 9 %+. #E ’ Ν’ #I+ | µ«$ ( %« «, | Q« S « $’$ )( | , ) 8 λ d . | T(« ’ Ν³ % | - ²)+ )« A:+, |#H ) – K + | + #A λ -κ« <Y –, | b < « %λ +. #E ’ Ν « | - : «α $µ µ« )> 0 | (« $ $)9 6α | 8 > , )µ« ’ $ $+: Sowohlin der Formulierung des „dritten Tages“ (Od. 10, 144) wie auch in der Aus-sendung der Gefährten ist der homerische Hypotext im 10. Gesang derOdyssee erkennbar (Od. 10, 147ff. und 203ff.). Als Odysseus und die noch le-benden Gefährten zur Insel der Kirke gelangen, bleiben sie zunächst zweiTage am Strand. Erst am dritten Tag bricht Odysseus zur Jagd auf. Sowohl inder Odyssee wie auch in der Darstellung der AO steht also dasselbe zeitlicheMotiv am Anfang der Kirke-Episode. Darüberhinaus begegnet die Formu-lierung des ‚dritten Tages‘ auch in der Ilias (9, 363), ein Vers, den wiederumder platonische Sokrates mit den Worten zitiert (Kriton 44b2), er sei ihm imTraum verheißen worden, um so den Kriton zu trösten, da er wohl nochnicht am gleichen Tage sterben müsse. Vor dem Hintergrund, dass der Auf-

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enthalt bei Kirke auch für die Argonauten eine Rettung aus höchster Not be-deutet (nämlich ihrem von Argo nachdrücklich in Erinnerung gerufenenMiasma als Grund für ihre Irrfahrt), ist diese Parallele bemerkenswert undmag auf eine intendierte Evokation des platonischen Kontexts hinweisen.

Die erste Nennung Kirkes erfolgt ohne Attribut. Dass sie nicht – wie beiHomer – als „kräuterreiche Kirke“ (Od. 10, 276: K« _ -% ,« " () eingeführt wird, dürfte dabei vor allem zwei Gründehaben. Eine Bezeichnung der Kirke als kräuterreich, d.h. zaubermächtig,würde durch die Analogie zu Medea, die bereits in den AO als „kräuterkun-dig“ eingeführt ist (AO 998–1000), den folgenden scharfen Kontrast, derzwischen Kirke und ihrer Nichte Medea entworfen werden wird (siehe denKommentar zu AO 1222–1239), konterkarieren. Darüberhinaus fügte sicheine dezidierte Zeichnung Kirkes als kräuterkundig und somit zaubermäch-tig nicht in die Konzeption der AO, in der die Reinwaschung der Argonau-ten von ihrem Miasma nicht Sache Kirkes sein wird (AO 1228: ),sondern des Orpheus (AO 1264ff.), an den sie diese Aufgabe, die sie beiApollonios erfüllt, delegieren wird (AO 1230–33). Das homerische Attributwäre der Entfaltung dieser Handlung hinderlich.

Im Verhältnis zur epentypisch vagen Verortung der märchenhaften In-sel der Kirke bei Homer oder Apollonios Rhodios stellt die Lokalisierungderselben in den AO im Bereich des Okeanos in Nähe der Säulen des Hera-kles (AO 1243) eine einigermaßen konkrete Angabe dar. Ihre Beschaffen-heit wird dagegen nur vage geschildert: Mehr, als dass sie gebirgig ist unddass die Berge bis ans Wasser reichen (AO 1208: 4*«), wird nicht aus-gesagt. Größere Probleme bereitet die Bezeichnung der Insel, die Gegen-stand textkritischer Überlegungen ist. Im Gegensatz zur Bezeichnung beiHomer und Apollonios als ‚Aiaia‘ (Od. 10, 135; AR 4, 661) wird sie als „lyn-keisches Festland“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist – wenn man dieserLesart folgt – insofern raffiniert, als die Assoziierung mit Lynkeus, dem Bru-der des Idas (!« als Sohn des Herakles und der Tiphysa [vgl. Apoll. 2,164, 1] kommt aufgrund fehlender inhaltlicher Bezüge als Erklärung nicht inBetracht) dessen sprichwörtliche Sehkraft, der sogar die Dinge der Unter-welt nicht verborgen bleiben (AO 181; siehe außerdem den Kommentar zuAO 1186–1206; vgl. außerdem AR 1, 53ff., VF 1, 462ff., Apollod. 3, 10, 3),evoziert. Das Moment der Erkenntnis wird so von der Person des Lynkeusauf die Kirke-Insel übertragen. Dies wiederum stellt eine durchaus passendeCharakterisierung der Kirke-Insel dar, und zwar sowohl im Rahmen der AO,da den Argonauten hier Einblick in ihre Schuld und Rat gegeben wird, wiesie ihrem Verderben und ihrer Befleckung entgehen können, nämlich durchdie Entsühnung durch Orpheus bzw. orphisches Wissen, als auch in Hin-blick auf die Funktion der Kirke etwa in der Odyssee, in der sie ebenfalls alsKünderin und Sehende zukünftiger Ereignisse dargestellt wird.

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Die Rolle des Iason in der vorliegenden Szene ist offensichtlich in An-lehnung an die homerische Odysseus-Figur komponiert. Wie dieser (sieheOd. 10, 155) schickt Iason die Gefährten aus, um die Insel zu erkunden.Einer Lesart im Nominativ ist deshalb eindeutig der Vorzug vor dem Akku-sativ '"« zu geben, das Hermann in seinen Text aufgenommen hat(siehe Hermann ad loc.: „Poterat alicui in mentem venire, legendum -'"«. Sed aeque comode refertur ad ipsum Iasonem.“; dagegen Vian adloc.: „(…), le nominatif parait préférable à l’accusatif: c’est le chef de l’éxpe-dition qui désire s’informer.“). Kirke kommt den Argonauten dabei ent-gegen, nachdem sie zunächst offensichtlich nicht zu sehen war. Damit voll-zieht der Verfasser der AO einen Wechsel seines Hypotextes, wenn er denAuftritt der Kirke nicht mehr an der Gestaltung der homerischen Szeneim 10. Gesang der Odyssee orientiert, sondern die Kirke des 12. Gesangsder Odyssee evoziert. Dort eilt Kirke den Gefährten nach deren Rückkehraus dem Jenseits ( ! ) ebenfalls entgegen (Od. 12, 16ff.). Dieses Detail ergibtvor allem deshalb eine reizvolle Korrelation zwischen Hypo- und Hyper-text, als auch die Argonauten einen als Jenseits charakterisierten Ort(AO 1128–1142) gesehen haben und im Begriff sind, ihren Exokeanismoszu beenden (zum Jenseitscharakters des Okeanos s.o. S. 60f.).

Die Schilderung der strahlenden Erscheinung Kirkes, der Helios-Toch-ter und damit Verwandten Medeas (vgl. AR 4, 682ff.; außerdem Vian [1987],S. 193: „Les descendants d’Hélios se reconnaissent surtout à l’éclat de leurregard (…). Les AO attribuent de surcroît à Circé le nimbe solaire, traditionattestée dans l’iconographie tardive“; für ikonographische DarstellungenKirkes siehe auch Roscher, s.v. Kirke 1197ff., fig. 3–4), ist in ihrer Wirkungim Gegensatz zur Darstellung bei Apollonios positiv konnotiert (AO 1221:9 #). Wie in der Odyssee (Od. 10, 136) ist bei Apollonios zunächstvon einem schreckenerregenden Eindruck Kirkes die Rede (AR 4, 661ff.),bevor später die strahlende Erscheinung erwähnt wird (AR 4, 682ff.). Einsolcher Umschwung in der Wahrnehmung Kirkes ist in den AO ausgespart.Es liegt offensichtlich im Interesse des Verfassers der AO, den Aspekt derHilfe, die Kirke für die Argonauten darstellen wird, von Anfang an deutlichin den Vordergrund zu stellen. Dieses Bestreben nach einer positiven Schil-derung Kirkes geht sogar so weit, dass auch Aietes, als dessen „Bluts-verwandte“ Kirke explizit bezeichnet wird, in der vorliegenden Szene als*# bezeichnet wird, was deutlich im Kontrast zur Zeichnung desAietes auch in den AO an anderer Stelle steht (siehe etwa AO 1314).

Asterope als Mutter der Kirke ist außerhalb der AO nicht bezeugt. Dasssie ausdrücklich mit * näher bezeichnet wird, wird als Beleg für dieseungewöhnliche Zuweisung ihrer Person als Mutter der Kirke verstandenwerden können. Offensichtlich verlangte ihre Nennung beim Rezipienteneine Erklärung. In der Odyssee und bei Apollonios wird sie als Tochter des

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Helios (=Hyperion) und der Perse bezeichnet (Od. 10 138f.). Eine im Mythosbegründete Wahl der Asterope ist nicht nachvollziehbar: Keine der bekann-ten mythischen Figuren mit dem Namen Asterope hat einen Bezug zu Kirkeoder zum Argonautenmythos, wenn man nicht eine Verwechslung mit Aste-rodeia (nach AR 3, 242 eine kaukasische Nymphe, mit der Aietes den Apsyr-tos noch vor Chalkiope und Medea zeugte) annehmen möchte, worauf Viananzuspielen scheint (Vian [1987] ad 1217). Die Wahl der Asterope als Mutterder Kirke dürfte deshalb vor allem in dem etymologischen Effekt diesen Na-mens begründet liegen und durch den ‚Blitz-Anklang‘ in Bezug auf die Mut-ter die optische Wirkung der Kirke selbst, die als mit einem Strahlenkranz(AO 1218ff.) versehen beschrieben wird, noch steigern. Die Nennung derEltern (auch Hyperion wird in seiner ohnehin strahlenden Erscheinung[siehe HH in Sol. 10ff.] noch durch seine Epithetisierung als *« stili-siert) untermalt die Erscheinung der Tochter zusätzlich.

1222–1239 A*> %λ M+ % &( | λ - – ) ’ $ >« | :α µ )> "µ «$ –, | κ ’ % - λ Kα |„7 +, - K-« k (; | O* ) Ϊ <« f | % ’ π – 6 –f µ« | ). « , µ %) « &« |! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ." | O*8 )>Κ 9 & Θ ¹, | ’ Ρ’ q %U -« (« | #O« :-9 > M«, | :8$) $-« $«. | O*8 )> π «%µ« ¹ | «, ) -) ) %. | #A *’ %)Ω + U , | ( λ µ 0, # 8 .“ | &« :.’ ΝU« $α λ 8 9 | « ’ 8( ) -’ 0: Das Anti-Konzept zur Schilderung der äu-ßeren Erscheinung Kirkes (siehe den Kommentar zu AO 1207–1221) bildetdie Konzeption und Zeichnung Medeas. Der Kontrast zur strahlendenKirke lässt sie in ihrer Verhüllung in einen Schleier (siehe den Kommentarzu AO 876–886) und ihrer Scham vor der mächtigen Verwandeten nochelender wirken, als es die Schilderung allein bereits bewirkte. (In der Proso-die von )( folgt der Verfasser der AO der bei Homer üblichen Verwen-dungsweise, wenn das Substantiv « mit kurzem verwendet wird, sieheL&S s.v. «.) Damit beschränkt der Verfasser der AO das auch bei Apol-lonios komplexere Medea-Bild allein auf den Aspekt von Scham und Ver-schulden. Neben der Darstellung ihres Äußeren wird sie lediglich mit demAdjektiv )" (AO 1224) bezeichnet. Die Zeichnung, die etwa Apol-lonios Rhodios von Medea als einer durchaus geschickten Erzählerin ihrereigenen Taten sowie einer Frau, die ihren Vater für einen Fremden verließ,

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entwirft, wird ausgespart. Die sich im Äußeren Medeas äußernde Schuld istaber auch in Hinsicht auf die Argonauten zu verstehen, denn Kirke gehtnach der ersten Anrede an ihre Verwandte rasch zur Anrede an die gesamteGruppe der Argonauten über, die in der zweiten Person des Plurals ange-sprochen wird. Der Zustand Medeas, auf den sich der Verfasser der AO kon-zentriert, steht damit stellvertretend für denjenigen der Argonauten.

Nachdem bereits Argo den Argonauten die Dimension ihrer Schuld vorAugen geführt hatte (AO 1159–1169), lässt der Verfasser der AO auchKirke, nachdem sie in ihrer Rede nur kurz auf das schlimme Schicksal Me-deas eingegangen war, ohne Umschweife auf das Verbrechen Medeas undder Argonauten, d.h. den Mord an Apsyrtos, zu sprechen kommen. Dieanzunehmende Lücke im Text erschwert eine Analyse der Kirke-Rede, dochist zu dieser zu vermuten, dass Kirke die Umstände des Verbrechens nochweiter ausführte. Eine solche erneute Erinnerung an den Mord erfüllt er-zähltechnisch die wichtige Funktion, das Ausmaß des Verbrechens heraus-zuarbeiten und zu vergegenwärtigen, denn die eigentliche Tat ist nur kurzangedeutet worden (siehe den Kommentar zu AO 1155–1169), ohne aus-führlicher bewertet worden zu sein. Dieser Intention ist es auch geschuldet,dass der Verfasser der AO Kirke sogar betonen lässt, dass sie die Argonau-ten wegen ihres Miasmas nicht in ihr Haus aufnehmen kann (vgl. dagegenAR 4, 690–692). Orpheus selbst tritt in der gesamten Kirke-Szene nicht alsAkteur in Erscheinung, doch der Hinweis Kirkes auf seine Bedeutung fürdie Reinigung der Argonauten markiert denjenigen Punkt in der Erzählungder AO, ab dem die gesamte Fahrt diesem Ziel der Reinigung endgültigzustrebt. Die Kirke-Rede enthält deshalb in zweifacher Hinsicht das Motivdes Wissens. Dieses wird nach seiner Einführung in der Argo-Rede wiederaufgenommen und erfährt seine letzte Steigerung, indem Kirke den Argo-nauten ihr Vergehen detailliert enthüllt und ihren Ratschlag zur Rettung derArgonauten, d.h. wie weiter zu verfahren sein wird, anschließt. Der Tenorder Kirke-Rede erinnert damit an die homerische Szene, in der Kirke eben-falls Ratschläge für die Weiterfahrt erteilt (Od. 12, 37ff.). Im Gegensatz zuralexandrinischen Kirke bei Apollonios weiß die Kirke der AO vom Schicksalund den Untaten der Argonauten, so dass ein eigentliches Gespräch wie beiApollonios nicht zustande kommt bzw. zustande kommen muss. Im Vor-dergrund steht der Aspekt des Weisens, nicht des Gesprächs. Darüber-hinaus beinhaltet die Rede der Kirke den dezidierten Hinweis auf Wissen,wenn sie den Argonauten als einzigen Ausweg aus ihrer unseligen Lage dieReinigungsriten empfiehlt, die durch das Wissen des Orpheus ihre Wirkungentfalten. Neben der eigentlichen kultischen Reinigung erfährt der Aspektdes Wissens in den AO damit eine bemerkenswerte Relevanz.

Innerhalb der Kirke-Rede bereitet die Stellung von Vers AO 1231 Pro-bleme. Zu seiner Einordnung nach AO 1233 siehe Vian (1987) ad 1231; an-

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Die Rückfahrt der Argonauten über den Okeanos 373

ders Sánchez (1996), S. 112f. Vian verweist dabei in loser Analogie zur Dar-stellung bei Apollonios (AR 4, 693) auf eine rituelle Vorschrift, die Kirke denArgonauten kundtue: „Circé indique par avance une prescription rituelleque les Argonautes devront observer pendant la cérémonie expiatoire.“ Die-ser an sich konsequenten Auffassung ist allerdings entgegenzuhalten, dassbei der Durchführung der eigentlichen Reinigung (AO 1366f.) kein Schwei-gen herrscht, sondern Orpheus Poseidon anruft. Das Partizip $"«dürfte deshalb eher einen kondizionalen Sinn ausdrücken: „Denn ich glaubenicht, dass ihr der Heimat näher kommt, (…) | wenn ihr immer in euremungesühnten Frevel schweigt.“

Mit der Nennung von Kap Malea als dem Ort, an dem die Rein-waschung der Argonauten durch Orpheus stattfinden soll, nennt Kirkeeinen Ort, der in der Antike als Gefahr für die Seefahrt sprichwörtlich war(siehe Eustathios, Comm. ad Od. 1, 127, 22f. Stallbaum: M"« C %U«,% ( )%; siehe außerdem Bölte [1928], Sp. 860ff.). In der Odysseewird er mehrfach als ernsthaftes Hindernis für Menelaos wie für Odysseuserwähnt (Od. 3, 287; 4, 514; 9,80; 19, 187). Wenn in den AO ausgerechnet andiesem Ort die Reinigung der Argonauten von ihrem Miasma erfolgen unddamit der Grund für ihre Irrfahrt beseitigt werden soll, so ist darin ein hoch-symbolischer Akt zu sehen. Für die Argonauten selbst stellt der Ort näm-lich – im Gegensatz zu ihren mythenchronologischen Nachfolgern – offen-sichtlich keine Gefahr dar. Die Begleitung durch Orpheus (zur Einweihungdurch diesen in die Mysterien von Samothrake s.o. S. 80f.) lässt eine etwaigeGefahr gar nicht erst aufkommen. Gleichzeitig wird das Moment der Ge-fährdung in Form einer Seefahrt (zur allegorischen Dimension des Bildesder Seefahrt vgl. S. 102f.) durch die sprichwörtliche Bekanntheit des OrtesMalea noch einmal evoziert, um den Effekt der Erlösung und Reinigungdurch die Kontrastierung von früherem Zustand und späterer Rettung nochzu steigern.

In der zauberhaften Bereitstellung von Speisen und Getränke, die sichplötzlich auf dem Schiff finden, unterstreicht der Verfasser der AO nocheinmal den freundlichen Charakter Kirkes als Vorankündigerin späterer Rei-nigung. Die Erwähnung dieses Abschiedsdetails erfolgt allerdings in äußers-ter Kürze (vgl. dagegen die Schilderung in der Odyssee, in der die Gefährtendes Odysseus noch ein Mahl am Strand halten). Auf diese Weise erscheinendie Informationen und der Ausblick, den Kirke in der Rede gewährt, we-sentlich deutlicher als Höhepunkt des Aufenthalts, als wenn eine anschlie-ßende Mahlsszene dies überdeckt hätte.

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