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Originalartikel

Date post: 08-Jan-2017
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4 4/03 ORNIS uer-, Hasel- und Birkhuhn sind typische Bewohner der weitläu- figen Waldlandschaften in den nördlichen Breiten Eurasiens. Die drei Arten haben ein Körpermerk- mal gemeinsam, das eine Anpassung an die dort herrschenden klimatisch harten Lebensbedingungen ist und einer ganzen Gruppe von Hühnervö- geln die systematische Einteilung «Raufusshühner» verlieh: den befie- derten Lauf. Diese Besonderheit wie auch die im Winter verlängerten Ze- henstifte erleichtern durch die ver- grösserte Auflagefläche das Laufen im Schnee. Daneben zeigen die Waldhühner weitere Merkmale, die ein Überleben in einer Umwelt mit grossen saisona- len Unterschieden ermöglichen: Die Vögel übernachten bei geschlossener Schneedecke und tiefen Temperatu- ren in Schneehöhlen und besitzen einen gut entwickelten Verdauungs- trakt. Dieser erlaubt ihnen, im Winter energiearme Baumnadeln zu verwer- ten. Mit der nacheiszeitlichen Bewal- dung unseres Kontinents haben Au- er-, Hasel- und Birkhuhn auch die ge- birgigen Regionen Mitteleuropas er- obert. Hier sind die scheuen waldbe- wohnenden Vogelarten wichtige Indi- katoren der Landschafts- und Nut- zungsgeschichte geworden. Die at- traktiven Vögel können nämlich den unterschiedlichen Entwicklungspha- sen des natürlich wachsenden Ge- birgswaldes relativ gut zugeordnet werden: Das Birkhuhn bevorzugt DIE WALDHÜHNER KURT BOLLMANN A Drei Waldhühner mit unterschiedlichen Ansprüchen Selten, seltener, am seltensten Auer-, Birk- und Haselhuhn besiedeln unterschiedliche Entwicklungsstadien des nadelbaumreichen Waldes. Weil die drei Arten spezielle Lebensraumansprüche haben und auf Störungen sehr empfind- lich reagieren, sind sie Indikatoren für naturschützerisch wertvolle Gebirgswälder. Waldreservate sind wichtige Instrumente für die Förderung der Waldhühner. Sie sind aber allein zu klein und können den Raumbedarf der Vögel nicht vollständig abdecken. Deshalb muss es gelingen, dass die Ansprüche von Auer-, Birk- und Haselhuhn zusätzlich auch in der allgemeinen Forstpraxis berücksichtigt werden. Das Auerhuhn wird in der Schweiz immer seltener. Um die Art langfristig zu erhalten, müssen mit forstlichen Massnahmen weitere Auerhuhn-Biotope geschaffen werden. Tero Niemi
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uer-, Hasel- und Birkhuhn sindtypische Bewohner der weitläu-figen Waldlandschaften in den

nördlichen Breiten Eurasiens. Die drei Arten haben ein Körpermerk-

mal gemeinsam, das eine Anpassungan die dort herrschenden klimatischharten Lebensbedingungen ist undeiner ganzen Gruppe von Hühnervö-geln die systematische Einteilung«Raufusshühner» verlieh: den befie-derten Lauf. Diese Besonderheit wieauch die im Winter verlängerten Ze-henstifte erleichtern durch die ver-grösserte Auflagefläche das Laufenim Schnee.

Daneben zeigen die Waldhühnerweitere Merkmale, die ein Überlebenin einer Umwelt mit grossen saisona-len Unterschieden ermöglichen: DieVögel übernachten bei geschlossenerSchneedecke und tiefen Temperatu-ren in Schneehöhlen und besitzeneinen gut entwickelten Verdauungs-trakt. Dieser erlaubt ihnen, im Winterenergiearme Baumnadeln zu verwer-ten.

Mit der nacheiszeitlichen Bewal-dung unseres Kontinents haben Au-er-, Hasel- und Birkhuhn auch die ge-birgigen Regionen Mitteleuropas er-obert. Hier sind die scheuen waldbe-wohnenden Vogelarten wichtige Indi-katoren der Landschafts- und Nut-zungsgeschichte geworden. Die at-traktiven Vögel können nämlich denunterschiedlichen Entwicklungspha-sen des natürlich wachsenden Ge-birgswaldes relativ gut zugeordnetwerden: Das Birkhuhn bevorzugt

� DIE WALDHÜHNER

KURT BOLLMANN

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Drei Waldhühner mit unterschiedlichen Ansprüchen

Selten, seltener, am seltenstenAuer-, Birk- und Haselhuhn besiedeln unterschiedliche Entwicklungsstadien des nadelbaumreichenWaldes. Weil die drei Arten spezielle Lebensraumansprüche haben und auf Störungen sehr empfind-lich reagieren, sind sie Indikatoren für naturschützerisch wertvolle Gebirgswälder. Waldreservate sindwichtige Instrumente für die Förderung der Waldhühner. Sie sind aber allein zu klein und können denRaumbedarf der Vögel nicht vollständig abdecken. Deshalb muss es gelingen, dass die Ansprüche vonAuer-, Birk- und Haselhuhn zusätzlich auch in der allgemeinen Forstpraxis berücksichtigt werden.

Das Auerhuhn wird in der Schweiz immer seltener.Um die Art langfristig zu erhalten, müssenmit forstlichen Massnahmen weitereAuerhuhn-Biotope geschaffen werden.

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baumarme, zwergstrauchreiche Flä-chen im Bereich der Waldgrenze undvon Mooren, Lawinenrunsen oderWindwurfflächen. Das Haselhuhnhingegen nutzt Verjüngungsflächenmit Laubhölzern in Altbeständen,Sträucher entlang von Bächen undRunsen oder auch laubholzreiche Ent-wicklungsstadien nach Windwürfen.Lückige, krautreiche Nadelholz-Altbe-stände sind der bevorzugte Lebens-raum des Auerhuhns.

Als bodenbrütende Waldvögel ha-ben Auer-, Hasel- und Birkhenne einoptimal tarnendes Gefieder. Dies giltauch für den Haselhahn, der sich inder Körpergrösse nicht und in der Ge-fiederzeichnung nur durch dieschwarze, weiss gesäumte Kehle vonder Henne unterscheidet. Im Gegen-satz zum Haselhuhn mit seiner mo-nogamen Lebensweise haben Auer-und Birkhahn mehrere Weibchen,mit denen sie sich auf Balzarenen

paaren. Die dunkel gefärbten Hähnesind deutlich grösser als die Hennenund zeigen ein faszinierendes, stark ri-tualisiertes Werbeverhalten, bei demsich archaisch anmutende Lautäusse-rungen mit Imponierverhalten kom-binieren.

Die Balzarena ist das soziale undräumliche Zentrum einer Population.Sie bleibt oft über Generationen amgleichen Ort. Auer- und Birkhähneverteidigen dort zur Balzzeit ein imVerhältnis zum jährlichen Streifgebietkleines Balzterritorium. Nach derPaarung trennt sich die Henne vomHahn, sucht einen für Brut und Auf-zucht geeigneten Lebensraum aufund ist alleine für die Betreuung desNachwuchses zuständig.

Beim monogamen Haselhuhn istdie Paarbindung grösser. Sowohl derHahn als auch die Henne halten fürden grössten Teil des Jahres ein Revier

besetzt, das sich mit anderen Revierenstark überlappen kann.

Weil die Waldhühner wegen ihrergeringen Siedlungsdichte und ihrerheimlichen Lebensweise nur selten di-rekt beobachtet werden können, nut-zen Wissenschafter und Ornithologenindirekte Nachweise für ihre Anwe-senheit. Spuren, welche die Hühner-vögel verraten, sind Losung, Mauser-federn, Fussabdrücke sowie Badestel-len im Sand.

Bestandsrückgang trotzWaldzunahme

Während das Birkhuhn als potenziellgefährdet eingestuft ist, gilt das Hasel-huhn als verletzlich und das Auer-huhn als stark gefährdet (siehe Tabel-le Seite 8). Dies ist erstaunlich, wennman bedenkt, dass die Waldfläche derSchweiz seit rund 150 Jahren zu-nimmt und heute 30 Prozent der Lan-desfläche bedeckt. Entsprechend liegtder Schluss nahe, dass sich die struk-turelle Entwicklung der Wälder undWaldränder seit der zweiten Hälfte des19. Jahrhunderts negativ auf die Ver-breitung und Bestandsentwicklungder Waldhühner auswirkte. Darum istsowohl beim Naturschutz als auch beider Forschung das Interesse an der Be-standsentwicklung von Auer-, Hasel-und Birkhuhn gross. So hat beispiels-weise die Eidgenössische Forschungs-anstalt WSL das Auerhuhn zur Mo-dellart für die grossräumige Natur-schutzforschung im Gebirgswald er-klärt. Denn mit seinen Lebensraum-ansprüchen, seiner heimlichen Le-bensweise, den grossen Streifgebieten

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1 Haselhühner bevorzugen junge,strauchreiche Entwicklungsstadien imWald. Bei diesem Hahn ist schön dieschwarze, weiss gesäumte Kehle zusehen, die ihn vom Weibchen unter-scheidet.

2 Das Birkhuhn lebt in zwergstrauch-reichen Flächen: im Bereich der Wald-grenze, in Lawinenrunsen, Mooren oderWindwurfflächen.

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und dem kleinen Bestand von je etwa500 Hähnen und Hennen ist der im-posante Vogel heute das am stärkstengefährdete Raufusshuhn der Schweiz.Bereits 1971 wurde die Art zusammenmit dem Haselhuhn unter Jagdschutzgestellt, und seit 1988 leitet dieSchweizerische Vogelwarte im Auf-trag des BUWAL das nationale Auer-huhn-Schutzprojekt.

Neue Grundlagen werden erarbeitet

In den 1970er-Jahren haben Mitar-beitende der Arbeitsgruppe Öko-Or-nithologie der Universität Bern mitihren Studien den Grundstein für denSchutz der Raufusshühner gelegt. Inletzter Zeit starteten weitere For-schungsprojekte, die auf den bisheri-gen Erkenntnissen aufbauen. Land-schafts-Datenbanken und computer-gestützte Luftbildauswertungen er-möglichen die grossflächige Analysevon Lebensraumveränderungen.Sind die Schlüsselfaktoren, welche dieBestandsverluste verursachen, ein-mal identifiziert, können Habitatmo-delle berechnet werden.

Das Auerhuhnprojekt der WSL inZusammenarbeit mit der Universitätund der ETH Zürich nutzt diese Mög-lichkeit und kombiniert die Modellemit den Ergebnissen von genetischenund populationsbiologischen Studi-en. Für letztere hat die UniversitätLausanne ein Instrument entwickelt,welches spezifisch auf die Biologie vonAuerhuhn und Haselhuhn ausgerich-

tet ist. Die Birkhuhnpopulation imTessin wird seit vielen Jahren durchdie Schweizerische Vogelwarte unter-sucht. Die Abteilung Naturschutzbio-logie der Universität Bern startete vorkurzem eine Langzeitstudie, welcheunter anderem die Auswirkungenvon menschlichen Störungen auf denEnergiehaushalt von Birkhennen ab-klärt.

Den Fortschritt in der Labortechnikmacht sich auch die SchweizerischeVogelwarte in Zusammenarbeit mitder WSL zunutze. Ihre Untersuchun-gen von Stresshormonen in der Lo-sung des Auerhuhns sollen Auf-schluss geben über die Auswirkungenvon menschlichen Störungen auf dieVitalität von verschiedenen Popula-tionen.

Den Waldhühnern gehts anden Kragen

Verschiedene Quellen aus den letzten150 Jahren weisen darauf hin, dass indieser Zeitspanne sowohl Auer- alsauch Haselhuhn um 1900 die höchs-ten Bestände aufgewiesen haben. Da-mals beobachtete man eine Bestands-zunahme im Alpenraum und eineAusdehnung des besiedelten Arealsins nördliche und südliche Alpenvor-land. Dies hat zum einen mit günsti-gen Witterungs- und Brutbedingun-gen, zum anderen aber auch mit derökologischen Bindung von Hasel-und Auerhuhn an bestimmte Wald-strukturen zu tun – eine Konsequenzder starken Nutzung der Wälder zurdamaligen Zeit.

Holz war als Energie- und Baustoffgefragt. Dies führte in Gebieten wiedem Entlebuch oder in Teilen der Kan-tone Obwalden und Graubünden zugrossflächigen Waldnutzungen. DieWälder dieser Gebiete mit einem Mo-saik von Kahlschlägen und Jung-wuchs und das milde Klima boten of-fenbar den Waldhühnern optimaleLebensbedingungen.

Dann aber verzeichneten Auer-und Haselhuhn – und ausserhalb derAlpen auch das Birkhuhn – in derzweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts inden meisten Ländern Mitteleuropaseinen Bestandseinbruch, welcher sich

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1 Lebensraum für alle drei Waldhühner: voralpineWaldlandschaft im Kanton Obwalden.

2 Grosse zusammenhängende Waldgebiete wie hier imEngadin, die von den Waldhühnern genutzt werdenkönnen, sind eine wichtige Voraussetzung für den Er-halt der drei Arten.

3 Idealer Birkhuhn-Lebensraum in den Voralpen. DerWald um das Moor wird auch von Auer- und Haselhuhnals Winter- und Aufzuchtlebensraum genutzt.

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nicht alleine mit Witterungsfaktorenerklären lässt.

In dieser Zeit hat sich der Waldstark verändert. Die intensive Nut-zung der Wälder und die damit ver-bundenen Umweltgefahren führtenim Jahre 1876 zum ersten Forstpoli-zeigesetz. In der Folge wurden im Ge-birge viele der zuvor entwaldeten Ge-biete wieder aufgeforstet, als Schutzgegen Hochwasser und Lawinen. Sol-che Pflanzungen können zwar an-fänglich den Waldhühnern noch alsLebensraum dienen, werden jedochbereits nach einigen Jahren gleichför-mig, dicht und dunkel.

Lichtarme und einförmige Bestän-de wurden während Jahrzehnten ge-fördert, «Unkräuter» wie Weide, Birke,Erle und Vogelbeere beseitigt. DemHaselhuhn wurden so die zur Winter-ernährung wichtigen Baumarten ent-zogen, und die entstandenen hoch-

stämmigen Altersklassewälder bietendem Auerhuhn weder ausreichendDeckung noch Nahrung.

Für die Erhaltung von überlebens-fähigen Populationen von Auer-, Ha-sel- und Birkhuhn haben sowohlGrösse wie auch Lage und Qualitätder Einstandsgebiete eine zentrale Be-deutung. Diese Gebiete müssen dieganzjährigen Lebensraumbedürfnis-se der Arten abdecken: Ruhige Über-winterungsgebiete sollen ungestörteBalzplätze und vor Mensch und Raub-

feinden sichere Aufzuchtorte ergän-zen, und auch der gelegentliche Aus-tausch von Einzelvögeln zwischen Po-pulationen muss möglich sein. Exem-plarisch wird im Folgenden am Bei-spiel des Auerhuhns erläutert, welcheFakten beim Artenschutz berücksich-tigt werden müssen.

Fallbeispiel Auerhuhn

Grundsätzlich besiedelt das heimli-che Auerhuhn nur ausgedehnte, na-delbaumreiche Wälder. Föhre undWeisstanne sind bevorzugte Winter-nahrungsbäume und bieten mitihren starken und weit ausladendenÄsten bessere Schlafplätze als die Fich-te. Lückige und lichte Waldbeständeweisen Flugschneisen auf und ermög-lichen dem Sonnenlicht, bis auf denWaldboden vorzudringen. Dies för-dert die Entwicklung einer Kraut-schicht, welche ein Schlüsselelementim Sommerlebensraum des vorwie-

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Speisekarte je nach JahreszeitEine gut entwickelte Krautschicht ist für die Au-er-, Birk- und Haselhühner ein essenziellesLebensraumelement und erfüllt gleich mehrereFunktionen: Erstens bieten Zwergsträucher guteDeckungsmöglichkeiten am Boden. Zweitenssind beerentragende Arten wie Heidelbeere,Preiselbeere und Bärentraube wichtige Energie-spender im Spätsommer und Herbst, bevor diehochwinterlichen Bedingungen bei Auer- undBirkhuhn eine Nahrungsumstellung bedingen.

Bei geschlossener Schneedecke erfolgt die Nah-rungssuche vollständig auf Bäumen. Je nachRegion bilden die Nadeln von Föhre, Tanne,Arve und Fichte sowie die Knospen der Lärchedie Hauptnahrung. Da der tägliche Energiebe-

darf bei hochwinterlichen Verhältnissen nichtmehr alleine über erhöhte Nahrungsmengengedeckt werden kann, passen die Hühner ihrenAktivitätsrhythmus den Umweltbedingungenan. Sie verbringen nur ein paar Stunden mitder Nahrungssuche. Den Rest des Tages bleibensie unter thermisch vorteilhaften Bedingungenin selbst gegrabenen Schneehöhlen.

Im Vergleich zum Auer- und Birkhuhn stelltdas kleinere Haselhuhn die grösseren An-sprüche an die Nahrung. Auch im Winter be-reichern die weniger als 500 Gramm schwerenVögel ihren Speisezettel mit qualitativ hoch-wertigen Knospen und Kätzchen von Weichhöl-zern.

4 Im Winter ist die Lebensweise der Auerhühner, hiereine Henne, auf Energiereduktion eingestellt. Deshalbsind sie zu dieser Jahrezeit besonders anfällig aufStörungen.

5 Solche Kotspuren verraten den Forscherinnen undForschern die Anwesenheit eines Auerhuhns in einemGebiet, auch wenn sie den Vogel nicht beobachten kön-nen.

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gend vegetarisch lebenden Auer-huhns darstellt. Insbesondere die Hei-delbeere bietet gleichzeitig Deckungund während der Vegetationszeitenergiereiche Nahrung. In der Kraut-schicht leben auch viele Insekten, dieeinen unentbehrlichen Bestandteil

der Kükennahrung ausmachen. Freistehende Fichten mit bodenna-

hen Ästen oder Rotten von Jungfich-ten bieten ebenfalls guten Sichtschutzund werden zum Ruhen gerne aufge-sucht. Weil die faserreichen Nadelnim Muskelmagen nur mit Hilfe vonMagensteinchen verdaut werdenkönnen, braucht es im Lebensraumdes Auerhuhns auch sandige Stellenoder umgestürzte Wurzelteller. SolcheOrte werden auch für die Gefieder-pflege aufgesucht. Man bezeichnet sieals Sandbadestellen.

Ein Hauptproblem: Störungen

Von den Waldhühnern scheint dasAuerhuhn am empfindlichsten aufmenschliche Störungen zu reagieren.Unbestritten ist die negative Wirkungvon Forststrassen und touristischenAnlagen. Wo solche Eingriffe zu grosswerden, gehen Auerhuhnvorkom-men in der Regel zurück oder ver-schwinden ganz. Generell ist aber dieBenutzung von «festen Achsen» wieWanderwegen weit weniger störendals das «Querwaldeinlaufen» vonWaldbenutzern irgendeiner Art. Be-sonders sensibel auf Störungen rea-gieren die Raufusshühner im Winter,da ihre Lebensweise dann auf Ener-giesparen ausgerichtet ist, sowie in derBrutzeit.

Um Störungen zu minimieren, isteine räumliche Entflechtung vonSchutz und Nutzung erforderlich. Da-bei müssen die noch vorhandenenVerbreitungszentren der Waldhühnerals Kernzonen für die Ausscheidungvon Waldreservaten respektiert wer-den. Eine Umgebungszone mit mode-rateren Auflagen für Tourismus, Sport

und Forstwirtschaft kann die Kernzo-ne durch die Pufferwirkung zusätzlichaufwerten. In den Kern- und Umge-bungszonen sind Wegegebote undzeitlich begrenzte Sperrzonen zu dis-kutieren. Fallweise müssen auch dieSperrung sowie der Rückbau vonForststrassen ins Auge gefasst werden.

Erhöhter Feinddruck

Ruhezonen und Wegegebote zur Re-duktion von Störungen optimierennicht nur den Energiehaushalt desAuerhuhns, sie reduzieren gleichzei-tig die Fluchthäufigkeit und damit dieSterblichkeit. Denn mit jeder Fluchtverlassen die Hühner ihren vertrau-ten Lebensraum, sind vorübergehendweniger gut geschützt und gegenüberden Angriffen von Beutegreifern ver-letzlicher. Fuchs, Marder, Habicht,Steinadler und vereinzelt auch Uhuund Luchs können Jung- und Altvögeldes Auerhuhns ergreifen. Zudem ver-köstigen sich Rabenvögel, Wild-schwein, Dachs, Iltis und Hermelinauch an den Gelegen.

Im Gegensatz zum Auerhuhn ha-ben einige seiner Feinde in Mitteleu-ropa während den letzten 100 Jahrenvon Veränderungen in der Land- undForstwirtschaft sowie einem steigen-den Nahrungsangebot und verbesser-tem Schutz profitiert. Es gibt Hinweise,dass sich der erhöhte Feinddruck vorallem in kleinen und isolierten Popu-lationen negativ auswirken kann.Entsprechend müssen vorübergehendund fallweise auch jagdliche Mass-nahmen auf den Fuchs in Betracht ge-zogen werden. Solche können zwarLebensraumverbesserungen und Stö-rungsreduktionen keinesfalls erset-zen, aber unter bestimmten Voraus-setzungen sinnvoll ergänzen. Ohnediese unpopulären flankierendenMassnahmen dürfte sich der Areal-schwund der Waldhühner vor allemin den Randzonen des Verbreitungs-gebiets fortsetzen und die Isolationvon einzelnen Vorkommen verstär-ken.

Wegen der unterschiedlichen Le-bensbedingungen im Jura, den Voral-pen und Alpen ist eine räumlich diffe-renzierte Betrachtung der Gefähr-

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1 Torfmoos-Bergföhrenwälder sind Vorranggebiete fürden Schutz des Auerhuhns. Die lockere Struktur dieserWaldgesellschaft bietet ideale Lebensbedingungen.

2 Wichtige Lebensraumelemente für das Auerhuhn aufkleinem Raum: Tiefastige Fichten (links) werden gerneals Versteck benutzt. Die Heidelbeere bietet mit ihrenKnospen und Beeren Nahrung vom Frühling bis in denHerbst und ist zugleich Lebensraum für viele Insekten,welche für die Küken in den ersten Lebenswochen dieHauptnahrung bilden.

Verbreitung, Bestand und Gefährdung

Art Verbreitung Bestand Status gemäss Roter Liste

Haselhuhn Jura, nördliche und südliche 7500 bis 9000 verletzlichVoralpen, Alpen Brutpaare

Birkhuhn nördliche und südliche 7500 bis 10 000 (potenziell gefährdet)Voralpen, Alpen Brutpaare

Auerhuhn Jura, nördliche Voralpen, 450 bis 500 Hähne stark gefährdetöstliche Alpen

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dungsursachen angebracht. Zwar istdie Liste der Probleme ziemlich iden-tisch, die Bedeutung von Lebens-raumqualität, Störungen und Feind-druck unterscheiden sich aber von Re-gion zu Region. Zusätzlich muss derAspekt der Wüchsigkeit des Waldbo-dens speziell beachtet werden.

Flachgründige, nährstoffarme undmoorige Böden lassen meist nur einlückiges und langsames Baumwachs-tum zu. Sie begünstigen strukturellvielfältige Waldbestände, die dem Au-erhuhn über Jahrzehnte stabile Le-bensbedingungen bieten. Diese Pri-märbiotope beherbergen die Quellpo-pulationen des Auerhuhns. Waldre-servate mit oder ohne Eingriffe sinddie optimalen Instrumente zur Förde-rung solcher natürlicherweise wenigproduktiven Wälder.

Tiefgründige, nährstoffreicheWaldböden hingegen weisen meis-tens Wälder mit höheren Baumdich-ten auf. Die Bäume wachsen zudemschneller und höher, sorgen mit dich-tem Kronenschluss für Schatten, undin tieferen Lagen schliessen die Bu-chen Lücken und Schneisen rasch. Insolch wüchsigen Waldbeständenmüssen Auerhuhn-Lebensräume«durch die Hand des Försters» ge-schaffen und mit einer auf das Arten-schutzziel ausgerichteten Bewirt-schaftung gefördert werden.

Kern- und Potenzialgebiete

Nach dem heutigen Stand des Wis-sens sind die Primärbiotope zu kleinund zu isoliert für eine längerfristigeErhaltung des Auerhuhns in derSchweiz. Deshalb ist es wichtig, dassdiese Kerngebiete mit waldbaulichaufgewerteten Lebensräumen ver-grössert und vernetzt werden. Denneine einzelne Population beziehungs-weise Balzgruppe ist auf mehrereQuadratkilometer guten Lebensraumangewiesen. Um den Austausch vonVögeln zwischen Nachbarpopulatio-nen zu ermöglichen und einer geneti-schen Isolation entgegenzuwirken,müssen die einzelnen Einstände übersogenannte Trittstein-Biotope mitei-nander in Kontakt stehen.

Solche grossflächigen Lebens-

raumaufwertungen erfordern ein na-tionales Konzept mit regionalenMassnahmeplänen und einen geziel-ten Einsatz der vorhandenen Mittelzugunsten der Kerngebiete. In denübrigen potenziellen Lebensräumendes Auerhuhns müssen die Anforde-rungen der Art in der allgemeinenForstpraxis berücksichtigt werden.Bund und Kantone haben die Mög-lichkeit, mit einer gezielten Lenkungvon Fördermitteln dem Prozess die ge-wünschte Richtung zu geben.

Das Auerhuhn ist eine der fünfzigvom Schweizer Vogelschutz SVS undder Schweizerischen Vogelwarte Sem-pach identifizierten prioritären Vogel-arten für Artenförderungsprogram-me. Zurzeit erarbeitet das Buwal zu-sammen mit der Vogelwarte einenNationalen Aktionsplan zur Förde-rung des Auerhuhns. Engagement istaber auch in den Regionen nötig. Die-se sollten die Präsenz der attraktivenWaldhühner als Standortvorteil er-kennen und die Nutzung der Gebirgs-wälder und der umliegenden Kultur-landschaft auch auf die Bedürfnisseder scheuen Wildtiere ausrichten. DasEngagement einer überzeugten, mitden regionalen Begebenheiten ver-trauten Trägerschaft und die Teilnah-

me der lokalen Bevölkerung und derNatur- und Vogelschutzorganisatio-nen bei der Entwicklung und Umset-zung der Schutzprojekte sind wichtigeVoraussetzungen für den längerfristi-gen Erfolg. �

Dr. Kurt Bollmann ist Wildtierbiologe und arbei-tete bis 2001 als stellvertretender Geschäftsfüh-rer beim Schweizer Vogelschutz SVS. Heute leiteter das Auerhuhn-Forschungsprojekt der Eidg.Forschungsanstalt WSL. Ehrenamtlich präsidierter die Schweizerische Gesellschaft für Wildtier-biologie (SGW).

Literaturhinweise:Buwal (2001): Auerhuhn und Waldwirt-

schaft. Bern: Bundesamt für Umwelt,Wald und Landschaft (Buwal).

Buwal, (2001): Haselhuhn und Waldbewirt-schaftung. Bern: Bundesamt für Umwelt,Wald und Landschaft (Buwal).

Graf R.F. et al. (2002): Das Auerhuhn. Wild-biologie: Biologie einheimischer Wildtiere1/26a.

Mollet P. et al. (2003): Verbreitung und Be-stand des Auerhuhns Tetrao urogallus inder Schweiz 2001 und ihre Veränderungenim 19. und 20. Jahrhundert. Ornithol.Beob. 100: 67-86.

Bergmann H.-H., Klaus S., Suchant R. (2003):Auerhühner. Karlsruhe: G. Braun Buch-verlag (Bestelltalon S. 31).

Eine erweiterte Literaturliste zu diesem The-ma finden Sie im Internet unter www.birdlife.ch/ornis403/ oder Sie können sie beider Redaktion ORNIS, Tel. 01 463 72 71, be-stellen.

1 Damit die Bestände der Waldhühner (im Bild ein Haselhuhn) in einem Gebiet erhalten bleiben, darf we-der die Grösse noch die Qualität des Gebiets beein-trächtigt werden.

2 Eine solche Haselhuhn-Spur lässt das Herz jedes Ornithologen höher schlagen.

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