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Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen - mcall-gmbh.de · Fragen 1) Was hat die Onkologie, was...

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Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen
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Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen

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Fragen 1) Was hat die Onkologie, was haben onkologische Patienten und was haben in der Onkologie Tätige (Pflegende, Sozialarbeiter, Spezialtherapeuten, Ärzte) mit dem Bösen zu schaffen? 2) Was bedeutet eigentlich „das Böse“? 3) Welche psychosozialen und existentiellen Themen sind häufig mit „bösartigen“ Erkrankungen verknüpft? 4) Wie lässt sich mit diesen Themen in der Medizin sinnvoll umgehen?

Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen

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1) Was hat die Onkologie, was haben onkologische Patienten und was haben in der Onkologie Tätige (Pflegende, Sozialarbeiter, Spezialtherapeuten, Ärzte) mit dem Bösen zu schaffen? 2) Was bedeutet eigentlich „das Böse“? 3) Welche psychosozialen und existentiellen Themen sind häufig mit „bösartigen“ Erkrankungen verknüpft? 4) Wie lässt sich mit diesen Themen in der Medizin sinnvoll umgehen?

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Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen warum eigentlich nicht: Onkologie – Vom Umgang mit dem Ästhetischen? • HeLa-Zellen kurz vor vollendeter

Teilung • Henrietta Lacks, 1951, Zervix-Ca. Johns-Hopkins-Hospital, Baltimore, Maryland

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Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen warum eigentlich nicht: Onkologie – Vom Umgang mit dem früh Erkenn- und Diagnostizierbaren? • Mammographie

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Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen warum eigentlich nicht: Onkologie – Vom Umgang mit dem Therapier- und Machbaren? • Vorbereitung Strahlentherapie

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Warum: Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen? jeder körperliche Zustand jedes Organ / Körperareal jede Krankheit weist beim Menschen ... neben anatomischen, physiologischen, biochemischen und pathophysiologischen Gegebenheiten auch ... individuelle (psychosoziale) und kollektive (soziokulturelle) Bedeutungen auf;

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Krankheit Erklären:

Verstehen:

Anatomie, Physiologie, Biochemie, Pathologie:

Materie, Bios (Maß und Zahl)

Psyche (Individuum) Logos, Kultur (Kollektiv)

(Sinn, Wert und Bedeutung)

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Malignom Erklären:

Verstehen: Proto-Onkogene, Suppressor-Gene,

Immunsystem (z.B. NK-Zellen),

Dysplasie, Metaplasie Staging, Grading usw.

individuelle Bedeutung: Krankheitskonzepte, Coping; soziokulturelle Bedeutung:

Metaphern-Gehalt, Tabus etc.

Biperspektivischer Zugang zum Patienten

Personale Medizin

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Susan Sontag (1933-2004):

US-amerikanische Intellektuelle und

Schriftstellerin;

1975 Mamma-Karzinom (metastasiert)

2004 Leukämie (72. Lebensjahr)

Krankheit als Metapher (1977):

Krebs wurde (wie früher Tbc) zum Bild

für Todessehnsucht / das Böse /

fehlgeleitete Lebenslust / Schuld;

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psychosozialer / soziokultureller Metaphern- / Bedeutungsgehalt von Krebserkrankungen beim Menschen: das Unheimliche das Maßlose das Wuchernde das Unausrechenbare das Grenzüberschreitende das Ordnungswidrige das Chaotische das Stigmatisierende das Heimtückische das Lebensbedrohliche

das Malignom das Bösartige das Böse????

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1) Was hat die Onkologie, was haben onkologische Patienten und was haben in der Onkologie Tätige (Pflegende, Sozialarbeiter, Spezialtherapeuten, Ärzte) mit dem Bösen zu schaffen? 2) Was bedeutet eigentlich „das Böse“? 3) Welche psychosozialen und existentiellen Themen sind häufig mit „bösartigen“ Erkrankungen verknüpft? 4) Wie lässt sich mit diesen Themen in der Medizin sinnvoll umgehen?

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anthropologisch relevante Frage: erste Thematisierung – im übertragenen Sinne bei Adam und Eva (Akt der Erkenntnis = Schuld und Sünde) sehr direkt bei Kain und Abel (Brudermord – Gott bevorzugt Abel Kain ist neidisch, erschlägt Abel – das Böse ist offenkundig in der Welt);

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Animistische Kulturen – Kosmos, Materie und Natur von (un-) heimlichen Kräften und Wesen bewohnt: Dämonen Geister Teufel Hexen Götter Druden Nachtmahr

müssen besänftigt und mit Ritualen / Opfergaben gnädig gestimmt werden

Johann Heinrich Füssli, 1741-1825)

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Animistische Kulturen – unheimliche Kräfte äußern sich als Naturgewalten und haben Ziele und Absichten: Naturgewalten: Gewitter Sturm / Hagel Überschwemmungen Blitz / Donner Erdbeben Feuersbrünste Hitze / Dürre Schnee / Eis

Konzept des Naturbösen

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Kulturen mit (monotheistischen) Religionen – Tendenz zur Dichotomisierung in gut und böse:

gut: böse: Schöpfergott Satan Logos und Geist Materie und Bios ewiges Leben ewige Verdammnis rein, lebendig sündig, tot Askese, Sublimierung Triebe, Affekte das Gute das Böse (Heiligung) (Dämonisierung) Drudenfuß

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Kulturen mit (monotheistischen) Religionen – Tendenz zur Dichotomisierung in gut und böse:

das Böse / Dämonische als eigenständige Macht: kann dingfest gemacht werden als ... der böse Blick das andere Aussehen die falsche Abstammung die eigentümliche Handlung die ketzerische Religionszugehörigkeit

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Kulturen mit (monotheistischen) Religionen – Tendenz zur Dichotomisierung in gut und böse:

das Böse / Dämonische als eigenständige Macht: muss eliminiert werden – Sexualfeindlichkeit Naturfeindlichkeit Leibfeindlichkeit Frauenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit Goya: Inquisition (1816)

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Jahrhundert der Aufklärung: Entdämonisierung des Bösen Loslösung der Themen gut und böse aus animistischem / religiösem Kontext stattdessen wurde das Irrationale / ungehemmt Triebhafte zum Statthalter und Fokus des Bösen und Schlechten im Menschen (allzu weit von Vernunft, Ordnung und Maß entfernt);

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Jahrhundert der Aufklärung: Immanuel Kant (1724-1804): Über das radikal Böse in der menschlichen Natur (1792) Mensch ist Bürger zweier Welten – Natur und Kultur: als Naturwesen sind wir determiniert (Kausalität) als Kulturwesen haben wir Vernunft und freien Willen (Freiheit) Anlage zum Guten (kategorischer Imperativ) versus Hang zum Bösen (Selbstliebe, Eigendünkel, Willkür lässt eigene subjektive Antriebe evtl. zur Maxime des Handelns werden – radikal);

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Jahrhundert der Aufklärung: Revision des Konzepts vom Naturbösen 1755 Erdbeben von Lissabon – Zehntausende Tote Voltaire / Kant / Goethe: weder natürliche noch satanische Tat; Natur will nichts, verfolgt keine Intentionen, kann nicht böse sein; Sinnlosigkeit von Naturkatastrophen verleitet Menschen dazu, ihnen Sinn und Bedeutung unterzuschieben – Kategorien von gut und böse;

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Jahrhundert der Aufklärung – Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) Abhandlung über Ursprünge und Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen (1755) Formulierung des Konzepts vom Kulturbösen Die Menschen sind böse; eine traurige und fortdauernde Erfahrung erübrigt den Beweis; jedoch, der Mensch ist von Natur aus gut, ich glaube, es nachgewiesen zu haben. Unter dem Einfluss der Kultur wird aus naturgemäßer Selbstliebe (amour de soi) die naturwidrige, bösartige Selbstsucht (amour propre);

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Friedrich Nietzsche (1844-1900): Jenseits von gut und böse (1886) Begriffe gut, böse, schlecht sind kultur- und epochenabhängig; Beispiel Christentum: gut = gottgefällig, demütig, arm, (Sklavenmoral) keusch, gehorsam, schwach; böse = sündig, stolz, egoistisch; Beispiel Antike: gut = stark, durchsetzungsfähig, stolz;

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Friedrich Nietzsche (1844-1900): Jenseits von Gut und Böse (1886) Begriffe gut, böse, schlecht sowie Moralvorstellungen / Ethik sind abhängig von Perspektive – Umwertung ist möglich: Es gibt gar keine moralischen Phänomene, sondern nur eine moralische Ausdeutung von Phänomenen. Nietzsche, F.: Jenseits von Gut und Böse (1886), KSA 5, S. 92

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Sigmund Freud (1856-1939): Jenseits des Lustprinzips (1920) Konzept zweier antagonistischer Triebe: Das Ziel des ersten (Eros, Libido) ist, immer größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten, also Bindung, das Ziel des anderen (Thanatos, Todestrieb, Destrudo) im Gegenteil, Zusammenhänge aufzulösen und so die Dinge zu zerstören. Freud, S.: Abriss der Psychoanalyse (1938), in: GW XVII, S. 71

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Sigmund Freud (1856-1939): Jenseits des Lustprinzips (1920) das Böse (die Aggression) ist in der Natur / Biologie des Menschen als fixe Größe und Energie (Destrudo) angelegt;

Aggression Destruktion

nach innen gewendet:

Auto-Aggression / böse: Masochismus / Krankheit Depression / Suizid / Tod

nach außen gewendet:

Hetero-Aggression / böse: Sadismus / Kritik / Streit

Gewalt / Mord und Totschlag

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Konrad Lorenz (1903-1989): Das sogenannte Böse – Zur Naturgeschichte der Aggression (1963) Konzept: Aggression / das Böse = Instinkt Instinkte müssen ausgelebt werden, sonst Triebstau (Hydraulik) – bei Triebstau (Tante, Forscherteam, Verbrecher, Kriegsparteien) Aggressionsausbruch; das Böse / Krieg / Gewalt liegen in menschlicher Natur; Empfehlung: Aggressionsabbau (Sport);

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Hannah Arendt (1906-1975): Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht von der Banalität des Bösen (1963) Konzeptwandel: von der Radikalität zur Banalität des Bösen Prozessberichterstattung April bis Juni 1961 in Jerusalem – Prozess gegen Adolf Eichmann (1906-1962) – Organisator „Endlösung“ millionenfache Aggression als Folge „ungewöhnlicher Beflissenheit“ – durchdrungen von Ideologie der Sachlichkeit, vom Willen des Führers;

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Hannah Arendt (1906-1975): Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht von der Banalität des Bösen (1963) Konzept: Banalität des Bösen – das Böse wird entdämonisiert / handhabbar Eichmann war nicht Jago und nicht Macbeth ... Außer einer ganz gewöhnlichen Beflissenheit, alles zu tun, was seinem Fortkommen dienlich sein konnte, hatte er überhaupt keine Motive ... Es war gewissermaßen schiere Gedankenlosigkeit, ... die ihn dazu prädestinierte, zu einem der größten Verbrecher jener Zeit zu werden. Und wenn dies „banal“ ist und sogar komisch, wenn man ihm nämlich beim besten Willen keine teuflisch-dämonische Tiefe abgewinnen kann, so ist es doch darum noch lange nicht alltäglich. Arendt, H.: München 1992, S. 16f.

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Arno Plack (1930-2012): Die Gesellschaft und das Böse (1967) Wie oft wird Hitler noch besiegt? (1982) weitverbreitete Tendenz zur Personifizierung / Projektion des Bösen Beispiele: Hitler, Stalin, Franco, Pol Pot, „Reich / Achse des Bösen“ – Scheinlösung: deren Eliminierung! stattdessen Fragen nach gesellschaftlichen / kulturellen / politischen Bedingungen des Bösen (massive Frustrationen wie Hunger, Armut, Krieg, Unterdrückung, Obdachlosigkeit, Vertreibung etc.);

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Albert Camus (1913-1960): Die Pest (1947) Der Mensch in der Revolte (1951) Konzept: das Böse = das Absurde / Kontingente Die Pest wurde für Camus zur Parabel / Metapher für Faschismus Krieg Krankheit Tod

das Absurde / das Böse

Reaktionen darauf (z.B.): Arzt Dr. Bernard Rieux Jesuitenpater Paneloux Schriftstellerversuch Grand Rentner / Schmuggler Cottard

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Albert Camus (1913-1960): Die Pest (1947) Der Mensch in der Revolte (1951) Der Mythos des Sisyphos (1942) Konzept: das Böse = das Absurde / Kontingente Antwort auf das Absurde: Revolte (solidarisches Dennoch ohne Hoffnung auf endgültige Überwindung) – „Ich empöre mich, also sind wir!“ Empörung und Revolte gegen das Absurde / Sinnwidrige bewegt sich dauernd zwischen Gelingen, Misslingen und Neuanfang (Sisyphos) – Camus: „Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen!“

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1) Was hat die Onkologie, was haben onkologische Patienten und was haben in der Onkologie Tätige (Pflegende, Sozialarbeiter, Spezialtherapeuten, Ärzte) mit dem Bösen zu schaffen? 2) Was bedeutet eigentlich „das Böse“? 3) Welche psychosozialen und existentiellen Themen sind häufig mit „bösartigen“ Erkrankungen verknüpft? 4) Wie lässt sich mit diesen Themen in der Medizin sinnvoll umgehen?

Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen

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Fragen bei Malignom-Erkrankungen existentielle Themen Warum gerade ich? Identität / Narzissmus gerade jetzt? Biographie gerade dieses Organ? Körperselbst Was habe ich falsch gemacht? Schuldempfindungen kann ich jetzt tun? Macht / Ohnmacht können andere für mich tun? Hoffnung / Verzweiflung Wie werde ich weiterleben (werde ich weiterleben)? Limitierungen kann ich mich auf andere verlassen? autonom / abhängig kann ich mich auf meinen Körper verlassen? Selbstwerterschütterung

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Psychosoziale Belastungen bei Malignom-Erkrankungen existentielle Themen ungeklärte Ätiologie Dämonisierung unsichere Prognose Unkontrollierbarkeit belastende Diagnostik / Therapie Hingabe / Auslieferung eventuell Lebensumstellungen narzisstische Kränkung eventuell keine Heilung Erlösungsphantasien eventuell latente Lebensbedrohung Angst / Resignation eventuell interpersonelle Konflikte (beruflich, privat) Ärger / Einsamkeit

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Emotionen bei Malignom-Erkrankungen existentielle Themen Scham Gefährdung von Würde Ekel Gefährdung von Intimität Schuld prekäre Verantwortungsübernahme Angst Ahnung des Nichts Verzweiflung Verlust von Freiheitsgraden Depression Verlust von Zukunftsperspektiven Aggression Gefährdung von Autonomie Entfremdung Selbstverlust

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Krankheitskonzepte bei Malignomen Verweis auf das eventuell Böse physikalische / biologische Ursachen das Naturböse physikalische / chemische Ursachen das Kulturböse Schuld / Strafe für Sünden / Gottlosigkeit der Leib, die Triebe als das Böse

defizitäre / falsche Selbstverwirklichung Unvernunft / Thanatos = das Böse

Zufall / Schicksal Kontingenz / Absurde = das Böse;

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Coping persönliches Bewältigungsverhalten bei Belastungen wie etwa bösartige Erkrankungen;

Strategien, Haltungen, Einstellungen, Handlungen, Emotionen – um die internen oder externen Anforderungen zu beantworten und um die Anforderungen zu meistern, zu tolerieren oder zu vermeiden; zusammengefasst zu Coping-Mustern oder -Stilen;

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Coping: abhängiger Typus

• sucht häufig Ärzte und Rettungsstellen auf • fordert verstärkt ärztliche Maßnahmen • wünscht längere Klinikaufenthalte • konsumiert viele Medikamente

Überwiegen von anklammernden Wünschen – die Autorität (Gottheit) widersteht der Krankheit (Dämon) und hält das Böse / den Krebs in Schach;

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Coping: pseudoautonomer Typus • leugnet Beschwerden • meidet Arztkontakte oder verzögert die Inanspruchnahme • verlässt Kliniken vorzeitig • Compliance-Probleme • Autonomieproblematik • Selbstwertproblematik Überwiegen von Größen- und Omnipotenz-Phantasien – das Böse / der Zufall haben keine endgültige Macht über Krebs-Patienten;

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Coping: resignativer Typus • Unterwirft sich den Geschehnissen • niedriger Sense of coherence • Intra- und / oder extrapunitive Verarbeitungsmodi • ungünstige Distanzmanöver (Verleugnung / Drogen) • ungünstige Kommunikationsstile • Mangel an social support • geringe Selbstwirksamkeit

Überwiegen von Verzweiflung / Sinnlosigkeitsempfindungen – die Krankheit (das Natur- / Kulturböse) ist viel größer als der Patient;

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Coping: realitätsadäquater Typus • erkennt und benennt Beschwerden / Schwierigkeiten / Grenzen • akzeptiert und organisiert Hilfe von anderen • toleriert medizinische Diagnostik und Therapie • verhält sich langfristig compliant (auch ohne Objektrealpräsenz) • Fähigkeit zu Trauer und Verlusterleben • Unterscheidung bewegliche / unbewegliche Facetten des Daseins • adäquates Distanzverhalten (Humor / sense of coherence)

Überwiegen des Realitätsprinzips – Malignom-Krankheiten sind sinnwidrig, aber kein Ausdruck des Bösen;

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1) Was hat die Onkologie, was haben onkologische Patienten und was haben in der Onkologie Tätige (Pflegende, Sozialarbeiter, Spezialtherapeuten, Ärzte) mit dem Bösen zu schaffen? 2) Was bedeutet eigentlich „das Böse“? 3) Welche psychosozialen und existentiellen Themen sind häufig mit „bösartigen“ Erkrankungen verknüpft? 4) Wie lässt sich mit diesen Themen in der Medizin sinnvoll umgehen?

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rationale Aufklärung über Krebsentstehung; Aufspüren subjektiver (psychoonkologischer) Konzepte und damit verknüpfter Emotionen – häufig Idee von Schuld und falschem Leben (Krankheitskonzepte des Patienten); Formulierung gemeinsamer Krankheitskonzepte;

Psychosoziale Interventionsansätze in der Onkologie:

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Psychosoziale Interventionsansätze in der Onkologie:

Thematisierung vorherrschender Coping-Strategien; Einordnung der Coping-Strategien in Biographie, Lebensstil und Weltanschauung des Patienten; Pro und contra diverser Coping-Strategien; eventuelle Ermutigung zur Erweiterung / Ergänzung von tradierten Coping-Mustern;

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Psychosoziale Interventionsansätze in der Onkologie:

Thematisierung vorherrschender Affekte (Schuld, Scham, Angst, Wut, Ekel, Resignation, Hilflosigkeit); Einordnung der Affekte in Biographie, Lebensstil, Lebenssituation und Weltanschauung des Patienten; Entlastung im Hinblick auf affektive Tönung; Unterstützung im Hinblick auf sozialen Nexus;

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eventuelle Thematisierung von Sinn- und Bedeutungsfragen der Malignom-Erkrankung (z.B. „das Böse“ als das Absurde, Kontingente); eventuelle Einordnung der Erkrankung in die Weltanschauung des Patienten (sense of coherence);

Psychosoziale Interventionsansätze in der Onkologie:

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Ausloten des individuell günstigen Ausmaßes und Zeitpunktes für Aufklärung über und Mitteilung von ungünstigen Nachrichten (middle knowledge); Aufspüren und Akzeptanz der (momentanen) Abwehrbedürfnisse und Ängste des Patienten;

Psychosoziale Interventionsansätze in der Onkologie:

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existentielle Reflexionsansätze in der Onkologie:

Aufspüren und Akzeptanz der Abwehrbedürfnisse und Ängste von Pflegenden / Therapeuten / Ärzten; Aufspüren und Akzeptanz von Ohnmachtsgefühlen und Erlösungsphantasien bei Pflegenden und Ärzten;

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Einordnung von Siegen / Niederlagen / Limitierungen; Umgang mit dem nihil, dem Absurden, der Kontingenz; Formulierung eines realistischen „Dennoch“ auf dem Boden von Empörung, Revolte und Solidarität;

existentielle Reflexionsansätze in der Onkologie:

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Onkologie – Vom Umgang mit dem Bösen

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen

ein glückliches Leben.


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