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NS-Doppelsterne und Test der ART - UKR...NS-Doppelsterne und Test der ART Seminararbeit Stephan...

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NS-Doppelsterne und Test der ART Seminararbeit Stephan Lochner und Thomas Mayer Unter Leitung von Prof. Dr. Gunnar Bali und Prof. em. Dr. Wolfgang Gebhardt Ausbildungsseminar ”Gekr¨ ummter Raum und gedehnte Zeit” Regensburg, Februar 2016
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Page 1: NS-Doppelsterne und Test der ART - UKR...NS-Doppelsterne und Test der ART Seminararbeit Stephan Lochner und Thomas Mayer Unter Leitung von Prof. Dr. Gunnar Bali und Prof. em. Dr. Wolfgang

NS-Doppelsterne und Test der ART

Seminararbeit

Stephan Lochner und Thomas Mayer

Unter Leitung von

Prof. Dr. Gunnar Bali und Prof. em. Dr. Wolfgang Gebhardt

Ausbildungsseminar ”Gekrummter Raum und gedehnte Zeit”

Regensburg, Februar 2016

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1 Einleitung und Historisches

Im Jahr 1915 hatte Albert Einstein nach jahrelanger Arbeit seine ’Allgemeine Relativitatstheorie”

(ART) komplettiert und vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften vorgestellt. Mit der

ART hatte Einstein erneut eine Theorie vorgelegt, die nicht nur als etabliert angesehene Ge-

gebenheiten der Physik auf die Probe, sondern auch die menschliche Intuition in Frage stellte.

Umso mehr sehnte sich die wissenschaftliche Offentlichkeit nach stichhaltigen Bestatigungen

der Vorhersagen dieser Theorie. Und einen uberzeugenden Nachweis lieferte Einstein gleich

selbst, indem er ein lange ungelostes Ratsel der Astronomie loste. Vor allem die Anziehung

der Planeten unseres Sonnensystems untereinander fuhrt zu einer Abweichung von der idea-

len Ellipsenbahn und einer Drehung des Perihels. Im Falle des Merkurs zeigte sich allerdings

eine zusatzliche Diskrepanz von etwa 42”, die klassisch nicht erklart werden konnte. Da die

Merkurbahn bereits im 19. Jahrhundert genau genug bekannt war um einen reinen Beobach-

tungsfehler auszuschließen, vermutete der Astronom Urbain Leverrier 1859 einen noch unbe-

kannten Planeten, der fur die Abweichung der Bahn verantwortlich sein sollte. Die Entdeckung

dieses hypothetischen Planeten blieb allerdings aus und die Abweichung der Periheldrehung

erst durch Einsteins ART uberzeugend erklart [12]. Außerdem postulierte Einstein, dass die

Raumkrummung, die die ART vorhersagt, eine Ablenkung von Licht in Gravitationsfeldern

verursacht, den Gravitationslinseneffekt. Diese Vorhersage konnte durch Beobachtungen von

Arthur Stanley Eddington und Frank Dyson wahrend der Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919

bestatigt werden:

Thus the results of the expeditions to Sobral and Principe can leave little doubt that

a defelction of light takes place in the neighbourhood of the sun and that it is of the

amount demanded by Einstein’s generalised theory of relativity, as attributable to the

sun’s gravitational field.”[8]

Seit dieser Messung, die Einsteins Theorie schlagartig weltberuhmt machte, wurde die ART

immer wieder und immer genauer bestatigt. Unter anderem werden binare Systeme extrem

kompakten Himmelskorper genutzt um Vorhersagen der Theorie in sehr starken Gravitations-

feldern zu testen. Der Partner, z.B. ein Weißer Zwerg, ein Neutronenstern oder ein Schwarzes

Loch, befindet sich dabei etwa in ein sehr starken Gravitationsfeldern zu testen.em Abstand

vergleichbar mit der Distanz zwischen Erde und Mond. Zwar sind in unserer Galaxie heute etwa

2000 Pulsare bekannt, binare Systeme mit einem massereichen Partner sind allerdings selten.

Im Jahr 1975 entdeckten Russell Alan Hulse und Joseph Hooton Taylor erstmals einen solchen

binaren Pulsar . Mit den uber Jahre gesammelten Daten erlangten sie eine Ubereinstimmung

mit Vorhersagen der ART bis zu 0,2 Prozent ([10]). 1993 wurden Hulse und Taylor mit dem

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Nobelpreis ausgezeichnet. Zehn Jahre spater, im April 2003, wurde am britischen Jodrell Bank

Radio Observatory der Pulsar J 0737–3039 entdeckt und im Oktober des gleichen Jahres erst-

mals Signale von dessen Partner, einem weiteren Pulsar, empfangen. Auch anhand diesem

relativistischen binaren System wird die Allgemeine Relativitatstheorie getestet.[?]

2 Theorie des Pulsar Timing

Pulsare weisen eine extrem stabile Rotation auf und die beobachtbaren Strahlungspulse sind

charakteristisch in Intensitat, Form und Ankunftszeit. Mit Hilfe der Technik des Pulsar Timing”

lassen sich sehr genaue Messungen verschiedener Parameter des Pulsars und seines Orbits

durchfuhren, die auch fur Tests der ART herangezogen werden konnen. In Abbildung 1 ist das

Grundschema einer solchen Time of Arrival”(TOA) Messung dargestellt.

Abbildung 1: Grundschema einer TOA-Messung.[11]

Die Strahlungspulse des Pulsars durchqueren den interstellaren Raum und werden am Radio-

teleskop detektiert. Da einzelne Pulse oft schwach sind und leichte Abweichungen in Form und

Ankunftszeit aufweisen konnen, wird ein durchschnittliches Pulsprofil erstellt und mit Hilfe

einer Referenzuhr und einem GPS Signal den beobachteten Daten ein Zeitstempel verliehen.

Das aufgenommene Pulsprofil wird dann mit einem aus vorherigen Messungen erhaltenem Mu-

sterprofil mit hohem signal-to-noise Verhaltnis verglichen. Die zeitliche Abweichung der beiden

Profile definiert die Time of Arrival. Hierbei muss beachtet werden, dass die Erde Beschleu-

nigungen relativ zum Neutronenstern erfahrt. Daher wird als gute Naherung das Massenzen-

trum des Sonnensystems (Baryzentrum) als Inertialsystem gewahlt. Außerdem mussen weitere

Effekte, wie die Dispersion der Radiowellen im interstellaren Plasma, korrigiert werden. Die

Vorhersage der Ankunftszeiten folgender Pulse aus den zuvor gesammelten TOAs gelingt nun

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mit einer Taylor Entwicklung der Rotationsfrequenz Ω = 2π/P um einen Modellwert Ω0 zu

einer Referenzzeit T0. Hierbei entspricht P der Pulsperiode. Die Phase des Modellpulses ergibt

sich zu

Φ(T ) = Φ0 + (T − T0)Ω0 +1

2(T − T0)2Ω0 + ..., (1)

mit der Baryzentrischen Zeit T und der Pulsphase Φ0 zur Zeit T0. Nach Abschatzung von An-

fangsbedingungen fur Position, Dispersion und Pulsperiode, kann fur jede TOA eine Differenz

zwischen erwarteter und beobachteter Phase berechnet werden. Da diese Messungen uber einen

langen Zeitraum durchgefuhrt werden (mehrere Jahre bis Jahrzehnte), ist der statistische Feh-

ler sehr gering und extrem genaue Messungen sind moglich. Nach Korrektur von Storeinflussen

konnen nun auch Aussagen uber den Einfluss des Partners in einem Binarsystem getroffen

werden. Man unterscheidet drei verschiedene Verschiebungen:

Romer-Verschiebung ∆R: berucksichtigt den klassischen Lichtweg durch den Orbit des

Pulsars;

Einstein-Verschiebung ∆E : berucksichtigt die Zeitdilatation des bewegten Pulsars und

die gravitative Rotverschiebung verursacht durch den sich bewegenden Partner;

Shapiro-Verschiebung ∆S : berucksichtigt die zusatzliche Zeit, die der Puls benotigt um

sich durch die gekrummte Raumzeit zu bewegen.

[9][11][4]

3 Phanomenologie

3.1 Entstehungsmechanismen

Nur ein geringer Anteil aller bekannten Pulsare befindet sich in einem binaren System. Zumeist

(etwa in 80 % der beobachteten Falle) sind es Millisekundenpulsare mit beispielsweise einem

Weißen Zwerg oder einem anderen Neutronenstern als umkreisenden Partner. Die Seltenheit

binarer Systeme lasst sich anhand des gangigen Modells fur ihre Entstehung erklaren. Einen

schematischen Uberblick uber die verschiedenen Evolutionsszenarien bietet Abbildung 2.

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Abbildung 2: Verschiedene Evolutionsszenarien binarer Systeme.[11]

Ausgangspunkt ist ein binares Sternsystem, in dem der ursprunglich schwerere in einer Super-

nova in einen Neutronenstern ubergeht. Durch die Explosion wird das binare System in den

meisten Fallen aufgebrochen. Zuruck bleibt ein sich sehr schnell durch den Raum reisender

Neutronenstern und ein sich ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit bewegender runaway star. In

seltenen Fallen bleibt das System allerdings erhalten und der neu entstandene Neutronenstern

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ist beispielsweise als Radiopulsar zu beobachten. Nach etwa 107−8 Jahren ist die Radioabstrah-

lung beinahe erloschen und die Umdrehungsperiode hat sich auf mehrere Sekunden verlangsamt.

Ist der Partner des Neutronensterns ausreichend massereich und entwickelt sich zu einem Roten

Riesen, kann es zu einem Materieubertrag (s.g. Roche lobe overflow”) auf den beinahe erlosche-

nen Pulsar kommen was diesen recycled”. Ist der Partnerstern außerdem massereich genug um

selbst in einer Supernova zu einem Neutronenstern zu werden, gib es erneut zwei Szenarien:

Bleibt das System weiterhin erhalten entsteht ein Doppelneutronenstern-System. Andernfalls

bricht das System auf und sowohl der neu entstandene wie auch der teilweise wieder aufgela-

dene Pulsar bewegen sich sehr schnell in verschiedene Richtungen durch den Raum. Hat der

Partnerstern weniger Masse entsteht ein binares System aus einem durch die Masseaufnahme

sehr schnell rotierenden Millisekunden Pulsar und einem Weißen Zwerg.[11]

3.2 Orbits binarer Systeme

Die beiden Partner des Binarsystems umkreisen ihr gemeinsames Massenzentrum in Form von

Ellipsen, wobei das Zentrum immer auf der gedachten Verbindungslinie der beiden Sterne liegt.

Dies ist in Abbildung 3 illustriert.

Abbildung 3: Orbits eines binaren Systems.[9]

Der Punkt, an dem sich die Partner am nachsten kommen, wird Periastron”, der der großten

Entfernung Apastron” genannt. Die Ellipsen befinden sich dabei in einer Ebene, die von der

Erde aus gesehen um den Winkel i geneigt ist (Inklination). Die Schnittachse der Ebenen bildet

mit der Betrachtungsachse den Winkel o. Zusammen mit den Positions Koordinaten sind die

Orbits des Systems klassisch durch funf Kepler’sche Parameter bestimmt: die Umdrehungsperi-

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ode Pb, T0, a sin i, e und ω. Hier ist ω der Langengrad des Periastron und T0 der Zeitpunkt des

Periastron-Durchgangs. Der Parameter a ist die große Halbachse, die sich mit der Exzentrizitat

e zur kleinen Halbachse verhalt wie

b2 = a2(1− e2). (2)

Gemessen wird meist allerdings a sin i.[9][1]

3.3 Arten binarer Systeme

Wie in Kapitel 3.1 dargelegt gibt es verschiedene Arten binarer Pulsare, die durch die Masse des

Partners unterschieden werden. Man spricht von ”high mass”-, low mass”- und ıntermediate

mass”- Systemen.

High mass - Systeme: In einem high mass-System hat der Partner, beispielsweise ein mas-

siver Weißer Zwerg, mindestens eine Sonnenmasse. War die Masse des Partners ursprunglich

ausreichend um in einer Supernova selbst in einen Neutronenstern uberzugehen, kann ein

Doppelneutronenstern-System entstehen. Aufgrund der Unwahrscheinlichkeit, dass das System

nach beiden Explosionen erhalten bleibt, sind solche Systeme allerdings selten. Außerdem wird

der zweite Neutronenstern nur in Ausnahmefallen ebenfalls als Pulsar beobachtet. Zum einen

ist es unwahrscheinlich, dass beide Pulsare Richtung Erde abstrahlen. Zudem hat der zweite

Neutronenstern meist eine sehr viel kurzere Lebensdauer, da er nicht durch Masseaufnahme

recycled”werden kann, was auch dazu fuhrt, dass die emittierte Strahlung schwacher und damit

schwieriger zu detektieren ist. Die Orbits in high mass-Systemen weisen in der Regel eine hohe

Exzentrizitat auf (0.15 . e . 0.9).[11]

Low mass - Systeme: Von einem low mass - System spricht man, wenn der Partner ei-

ne Masse von etwa . 0, 7 Sonnenmassen besitzt. DIe Orbits sind beinahe kreisformig mit

geringer Exzentrizitat (10−5 . e . 0.01). In einem low mass - System ubertragt der Part-

ner sehr viel langer Masse auf den Neutronenstern, bis er schließlich in einem Weißen Zwerg

ubergeht. Der Neutronenstern wird durch den Massegewinn zu einem sich sehr schnell drehen-

den Millisekundenpulsar.[11]

Intermediate mass - Systeme: In intermediate mass -Systemen liegt die Umdrehungsperi-

ode des Pulsars bei ca 9 - 200 ms und die Masse des Weißen Zwerges bei & 0, 5 Sonnenmassen.

Der Orbit ist ebenso beinahe kreisformig mit einer Exzentrizitat von e & 10−3. Ob diese Sy-

steme aus low- oder high mass -Systemen hervorgehen ist nicht vollstandig aufgeklart.[11]

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4 Theoretische Grundlagen

In diesem Teil wollen wir einen kurzen Einblick in das theoretische Gerust geben, welches der

Uberprufung der Allgemeinen Relativitatstheorie, sowie im Grunde jeder beliebigen Theorie

der Gravitation, anhand der Beobachtung der Bewegung von Himmelskorpern zugrunde liegt.

4.1 Metrische Graviationstheorien

J. A. Wheeler beschrieb die die Kernaussage der Allgemeinen Relativitatstheorie in seinem

beruhmten Zitat als

”Spacetime tells matter how to move; matter tells spacetime how to curve“

Die erste Eigenschaft teilt die ART mit einer großen Klasse von Theorien, die unter dem Begriff

”metrische Gravitationstheorien“ zusammengefasst werden. Das Hauptaxiom dieser Theorien

ist, dass die Bewegung von Materie allein durch die Metrik der Raumzeit bestimmt wird, d.h.

Materie bewegt sich entlang von Geodatenlinien durch die gekrummte Raumzeit.

d2xκ

dτ2= −Γκµν

dxµ

dxν

dτ(3)

Verschiedene metrische Theorien konnen sich lediglich dadurch unterscheiden, wie die Ruckwirkung

der Materie auf die Krummung der Raumzeit beschaffen ist, sozusagen”How does matter

tell spacetime how to curve?“

Alle relevanten metrischen Gravitationstheorien konnen aus einem Wirkungsprinzip gewonnen

werden. Die Struktur der Bewegunsgleichungen (Feldgleichungen) fur die Metrik hangt dann

von den in der Wirkung auftretenden Termen ab.

Allgemeine Relativitatstheorie. Die einfachste Wirkung des Graviationsfeldes, die die

Metrik sowie ihre ersten und zweiten Ableitungen enthalt1, ist die Hilbert-Wirkung

SgravH =

∫dnx√−gR. (4)

R bezeichnet hier den Krummungsskalar, welcher sich aus dem Riemannschen Krummungstensor.

Rκµλν =1

2(gµν,κ,λ + gκλ,µ,ν − gκν,µ,λ − gµλ,κ,ν) + gρσ

(ΓρνµΓσκλ − ΓρλµΓσκν

)(5)

1Dies ist eine notwendige Bedingung, da man zeigen kann, dass sich in jedem Punkt der Raumzeit Koordinatendefinieren lassen, sodass dort gµν = ηµν und gµν,λ = 0 gilt.

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als

Rµν = gκλRκµλν und R = gµνRµν . (6)

ergibt. dnx√g mit g = det(gµν) ist das invariante Volumenelement der gekrummten Raumzeit.

Aus der Variation der gesamten Wirkung (Graviationsfeld plus Materiefeld)

S = SgravH + Smat =

∫dnx√−g(R+ Lmat) (7)

folgen direkt die Einsteinschen Feldgleichungen (ohne kosmologische Konstante):

Gµν = −8πG

c4Tµν , Gµν ≡

(Rµν −

R

2gµν

)(8)

Hierbei kann Lmat = Lmat(ψmat, gµν) in jeder metrischen Theorie nur von den Materiefeldern

und er Metrik abhangen. 2 Durch die einfache Konstruktion der Hilbert-Wirkung treten darin

nur die Metrik selbst sowie deren erste und zweite Ableitungen auf. Insbesondere existieren

keine weiteren Felder, die die Kopplung zwischen Materie und Graviationsfeld beeinflussen.

Aufgrund der Symmetrie von Tµν beinhaltet (8) 16− 6 = 10 separate Gleichungen von denen

jedoch aufgrund der Energieerhaltung Tµν;ν = nur 10− 4 = 6 unabhangig sind. Dies lasst vier

zusatzliche Eichbedingungen an die 10 unabhangigen Komponenten der symmetrischen Metrik

gµν zu.

Erweiterte Theorien. Im Prinzip spricht jedoch nichts dagegen, die Hilbert-Wirkung um

weitere Terme zu erganzen. Dies konnten beispielsweise Kombinationen hoherer Ordnung von

R und seinen Ableitungen, wie R2, RµνRµν , gµνR;µR;ν , etc., sein. Theorien dieser Art sind nicht

sehr popular, da sie eine unnotige Verkomplizierung einer emipirisch erfolgreichen Theorie dar-

stellen, ohne Vorteile zum Beispiel im Hinblick auf eine vereinheitlichende Theorie zu bieten.

Eine weitere Moglichkeit der Verallgemeinerung ist die Hinzunahme von weiteren Skalar

oder Vektorfeldern und ihren Ableitungen. Solche Theorien werden dann als Skalar-Tensor-

bzw. Vektor-Tensor-Theorien bezeichnet. Vektorfelder konnen dabei in der Wirkung nur als

(riemann-)skalarwertige Kontraktionen wie z. B. uµuµ oder gµνg

λκuµ;λuν;κ auftreten. Die Wir-

kung einer allgmeinen Skalar-Tensor-Theorie kann beispielsweise geschrieben werden als

2Die genaue Form von Lmat hangt vom Modell ab, mit dem die Materie beschrieben wird (z.B. das einfacheModell einer perfekten Flussigkeit oder aber die Lagrangedichte des Standardmodells der Teilchenphysik)

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SgravST =1

16πG′

∫dnx√−g(φR− ω(φ)φ−1gµνφ,µφ,ν − φ2V

)Die bekannteste dieser Theorien ist die Brans-Dicke-Theorie mit V = 0 und ω(φ) = const.

Fur ω → ∞ geht diese Theorie in die ART uber. Die Kopplung der Gravitation an ein

zusatzliches skalares Feld ist vor allem fur den Versuch einer vereinheitlichenden Theorie von

Interesse.

Kombinierte Skalar-Vektor-Tensor-Theorien werden fur Modelle herangezogen, um die Ab-

weichung der galaktischen Rotationskurven von der newtonschen Dynamik ohne die Einfuhrung

von Dunkler Materie zu beschreiben (sog. MOdified Newtonian Dynamics oder MOND). Ein

Uberblick uber aktuell relevante metrische Graviationstheorien findet sich beispielsweise in

[13],S.34-41.

4.1.1 Parametrisierter Post-Newtonscher (PPN) Formalismus

Aufgrunder der allgemeinen Nichtlinearitat der Feldgleichungen in einer metrischen Gravitati-

onstheorie kann die Metrik in der Regel (mit Ausnahme einiger Spezialfalle wie die Schwarzschild-

oder Kerr-Losung) nur bis zu einer bestimmten Ordnung in den fur die relativistischen Effekte

verantwortlichen Großen berechnet werden. Deren Großenordnung wird typischerweise als ε

mit

ε ∼ v2 ∼ Φgrav(t,x) ∼ p/ρ, ε1/2 ∼ vi|d/dt|/|d/dx| (in Einheiten mit G = c = 1)

bezeichnet [13]. Fur eine konsistente post-newtonsche Entwicklung muss g00 bis O(ε2), g0j bis

O(ε3/2) und die gij bis O(ε) entwickelt werden. Ein einfaches Beispiel fur diese Vorgehen ist

die Robertson-Entwicklung fur eine statische, isotrope Massenverteilung (vgl. [7]). Die Metrik

nimmt in diesem Fall (in spharischen Koordinaten) die Form

gµν(r) =

1− 2Mr + 2β

(Mr

)2+O((M/r)3) 0 0 0

0 −1− 2γMr +O((M/r)2) 0 0

0 0 −r2 0

0 0 0 −r2 sin(θ)

Die beiden Parameter β und γ sind abhangig von der zugrunde liegenden Theorie, fur die ART

beispielsweise γ = β = 1.

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Tabelle 1: Parameter des post-Keplerschen Formalismus fur metrische Gravitationstheorien(entnommen aus [13])

Geht man von einer allgemeinen Massenverteilung, beschrieben als ideale Flussigkeit, aus,

so erhalt man insgesamt 11 Parameter, die in er aus [13] entnommenen Tabelle 1 aufgelistet

sind. Fur eine detailliere Beschreibung sei ebenfalls auf den Review Artikel von C.M.Will [13]

verwiesen.

4.1.2 Binare Pulsare und post-Keplersche Parameter

Wie oben beschrieben, bieten binare Systeme, bei denen mindestens einer der beiden Partner

ein Pulsar ist, aufgrund der hohen Prazision der Pulsfrequenz eine hervorragende Moglichkeit,

die Dynamik eines relativistischen Zweikorpersystems zu bestimmen. Dadurch lassen sich die

Vorhersagen einer bestimmten Gravitationstheorie fur die post-newtonschen Korrekturen des

Keplerproblems sehr genau uberprufen.

Um Theorie und Beobachtung vergleichen zu konnen, definiert man einen Satz von beobachtba-

ren”post-Keplerschen Parametern“ pPK, die die Abweichungen von der Keplerschen (nicht-

relativistischen) Bewegung quantifizieren. Diese ist charakterisiert durch die funf Keplerschen

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Abbildung 4: Bahnelemente derKeplerbewegung: P2: Referenz-/Beobachtungsebene, P1: Bahne-bene, S: Massenschwerpunkt, a:große Halbachse, : aufsteigenderKnoten, P: Periastron, ω: Winkelzwischen aufsteigendem Knotenund Periastron

Parameter

pK = Pb, T0, e0, a0, ω0 mit

Pb : Bahnperiode

T0 : Zeit des Periastrondurchgangs

e0 : Bahnexzentrizitat

a0 : große Halbachse

ω0 : Lage des Periastrons (siehe Abb. 4.1.2)

(9)

Beispielsweise zeigten Damour und Taylor in [2], dass fur eine große Klasse von Gravita-

tionstheorien3 19 prinzipiell beobachtbare post-keplersche Parameter bis O(ε) als Funktionen

der dynamischen keplerschen Parameter und der Massen m1 und m2

pPKi = fTheoriei (m1,m2;Pb, e0, a0)

dargestellt werden konnen, falls Effekte der Eigenrotation der Sterne vernachlassigbar sind. Der

genaue funktionale Zusammenhang fTheoriei wird in der post-Newtonschen Naherung durch die

im vorherigen Abschnitt beschriebenen post-Keplerschen Parameter (β, γ, ξ, etc.) bestimmt.

Eine schematische Darstellung des Anwendungsbereiches der post-Newtonschen Naherung auf

Doppelsternsysteme ist in Abb. 4.1.2 gegeben.

Fur die in dieser Arbeit behandelten Tests sind hauptsachlich die folgenden funf post-

3d.h. fur alle Theorien, die von einer Lagrangefunktion ausgehen, die invariant unter der Poincare-Gruppesind.

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Abbildung 5: Parameter-raum von kompaktenbinaren Systemenmit verschiedenenNaherungsverfahrenund ihren Anwen-dungsbereichen. DerPost-Newtonsche For-malismus eignet sichfur relativ leichte, un-gefahr gleich schwereSterne. Bei schwererenObjekten versagt dieNaherung, bei ungleiche-ren Massenverteilungenkann das Problem alsEinkorperproblem ange-sehen werden.

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keplerschen Parameter von Interesse:

pPK = Pb, ω, r, s, γ mit

Pb : Anderung der Bahnperiode

ω : Periastrondrehung

a, r : Shapiro-Parameter

γ : Rotverschiebungs- und Zeitdilationsparameter

(10)

Der Einfachheit halber gehen wir nur fur die Drehung des Periastrons und die Shapiro-Parameter

auf die allgemeine Abhangigkeit von den PPN Parametern ein. Fur die anderen Parameter

beschranken wir uns auf die ART. Eine genaue Beschreibung der Parameter fur allgemeine

Theorien findet sich in [2].

Periastrondrehung ω. Die Abweichung von geschlossenen Ellipsenbahnen im relativisti-

schen Zweikorperproblem, die in erster post-Newtonscher Naherung als eine Prazession der

elliptischen Bahn beschrieben werden kann, ist einer der drei klassischen Tests der Allgemeinen

Relativitatstheorie. Er wurde bereits von Einstein vorgeschlagen wurde und dessen Bestatigung

anhand der Anomalie der Merkurbahn stark zur Akzeptanz der Theorie beigetragen hat.

Die Berechnung der Periastronverschiebung pro Umlauf erfolgt uber

ω ≡ ∆φ = 2

∫ r+

r−

φ(r)dr − 2π (11)

∆φ ist also die Abweichung von der erwarteten vollen Drehung (2π), nach einem Umlauf,

also vom Periastron (r−) zum Apastron (r+) und zuruck. Die Bewegungsgleichung φ(r) ergibt

sich aus der Geodatengleichung (3) und ist abhangig von der Metrik. In [7] wird dies fur

ein Testteilchen in der Schwarzschildmetrik ausgefuhrt. In erster post-Newtonscher Naherung

kann man auch bei zwei in etwa gleich schweren Massen mp ≈ mc ≈ m von einem effektiven

Einkorperproblem ausgehen. Die Bewegung kann dann wie im nicht-relativistischen Fall als

Bewegung eines Testkorpers mit reduzierter Masse µ = mcmp/(mc + mp) ≈ m/2 im Feld der

Gesamtmasse M = mc + mp ≈ 2m beschrieben werden. Verwendet man nun eine nach dem

PPN-Formalismus parametrisierte Metrik fur die Bewegungsgleichung erhalt man

ω = 3

(Pb2π

)−5/3 M3/2

1− e2

(1

3(2 + 2γ − β) +

1

6(2ζ2 − 2ζ1 + 2α1 − α2 + α3)µ

). (12)

wobei e die numerische Exzentrizitat der Bahn bezeichnet. Die Großen die in der hinteren

Klammer auftauchen sind die PPN Parameter aus Tabelle 1. Fur ART (aber z.B. auch fur

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Abbildung 6:Kunstlerische Dastellungder Shapiro-Verzogerungin einem binaren Pulsarvon M.Coleman Miller(aus [9])

die Brans-Dicke-Theorie) gilt nun γ = β = 1 und die anderen Parameter verschwinden. Der

Ausdruck reduziert sich in diesem Fall also auf

ωART = 3

(Pb2π

)−5/3 M3/2

1− e2(13)

Shapiro-Parameter. Durch die Zeitdilatation und die Krummung der Raumgeodaten ent-

steht eine Laufzeitverzogerung fur ein Lichtsignal, dass eine schwere Masse mS passiert. Die-

ser Effekt wurde 1964 von Irwin Shapiro vorhergesagt und bisher vielfach im Sonnensystem

bestatigt. Die Berechnung der Laufzeitverzogerung zwischen einem beliebigen Punkt im Ab-

stand r von der Masse und dem Punkt (entlang des Lichtwegs) des kleinsten Abstands von der

Masse r0 erfolgt wieder durch Integration der entsprechenden relativistischen Bewegungsglei-

chung:

∆t(r0, r) =

∫ r

r0

t(r′)dr′ −√r2 − r2

0 (14)

wobei die Bewegungsgleichung t(r′) wieder uber die Geodatengleichung von der Metrik abhangt.

Als Laufzeitverzogerung zwischen zwei beliebigen Punkten r1 und r2 ergibt sich nun nach

Ausfuhren des Integrals fur die PPN-Metrik

∆t(r1, r2) = ∆t(r0, r1) + ∆t(r0, r2) = mS(1 + γ)

[ln

(r1 +

√r2

1 − r20

r0

)+ ln

(r2 +

√r2

2 − r20

r0

)](15)

Im Fall eines binaren Pulsars betrachtet man die Shapiro-Verzogerung, die das Signal des

14

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Pulsars bei der Durchquerung des Gravitationsfeldes des Begleiters erfahrt. Setzen wir bei-

spielsweise r1 als Ort des Betrachters fest, so sind r2 und r0 nicht mehr konstant, sondern

Funktionen der Zeit, die durch die Bahnparameter des Orbits bestimmt sind. Die beobachtba-

re Signalverzogerung wird dann zu

∆S = r ln

(1 + e cosφ

1− s sin(ω + φ)

). (16)

Hier bezeichnen

r = mc(1 + γ), s = sin i (17)

”range“ r und

”shape“ s der Shapiro-Verzogerung. ω ist der (momentane) Langengrad des

Periastrons, e die Exzentrizitat und φ = φ(t) die wahre Anomalie der Keplerbahn. Deren

Zeitabhangigkeit kann in dieser Naherung durch die herkommliche Losung der Kelpergleichung

bestimmt werden.

Rotverschiebungs- und Zeitdilatationsparameter γ Der Parameter γ beschreibt die

Zeitdilatation die das vom Pulsar emittierte Signal aufgrund der Diskrepanz zwischen der

Eigenzeit auf der Pulsaroberflache und Koordinatenzeit bzw. der Eigenzeit auf der Erde (oder

der baryzentrischen Eigenzeit) erfahrt. Die Eigenzeit auf der Pulsaroberflache wird bestimmt

durch die Metrik, die in erster PN-Naherung gegeben ist durch

ds2 =[1 + 2Φ(r) +O(v4)

]dt2 +O(v3)dxidt+

[1− 2Φ(r) +O(v4)

](dx2 + dy2dz2)

im Schwerpunktsystem des Doppelsterns. Hierbei ist Φ(r) das Newton’sche Gravitationspoten-

tial. Auf der Oberflache des Pulsars ist dies gegeben durch

Φ(r, t) = Φp + Φc(t) = − Mp

|r− rp|− Mc

|r− rc(t)|.

Der erste Term ist der Beitrag des Pulsars zum Gesamtpotential. Da wir das Potential auf der

Pulsaroberflache betrachten, liefert dies nur einen konstanten Beitrag. Der zweite Beitrag ist das

Potential das vom Begleitstern hervorgerufen wird, welches aufgrund der Bewegung des Systems

zeitlich variiert. In erster post-Kepler’scher Naherung kann diese Bewegung wieder durch die

nichtrelativistischen Kepler-Parameter parametrisiert werden (vgl. [?]. Der Parameter γ gibt

nun die Amplitude der zeitlichen Variation der Eigenzeit auf der Pulsaroberflache an und kann

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in Abhangigkeit von den Kelper-Parametern und den beiden Massen bestimmt werden als

γ = e

(Pb2π

)1/3

M−4/3mc(mp + 2mc) (18)

4.1.3 Der Quadrupol-Formalismus der ART und Gravitationswellen

Der Quadrupol-Formalismus wurde bereits 1918 von Einstein in seiner Publikation”Uber Gra-

vitationswellen“ [3] hergeleitet und beschreibt die von einer rotierenden Massenverteilung aus-

gehende Gravitationsstrahlung. Diese approximative Beschreibung geht von drei Naherungen

aus: revise

Nichtrelativistische Geschwindikeiten: Fur die Geschwindigkeiten innerhalb der Quelle

gilt vc 1. Wenn wir die maximale Ausdehnung der Quelle mit ε und ihre Rotationsfre-

quenz mit ω bezeichnen, ist dies wegen

v c → ωε c → ε c

ω2π ≈ λGW

gleichbedeutend mit der Annahme, dass die Ausdehnung der Quelle klein gegen die Wel-

lenlange der Gravitationsstrahlung ist. Diese Naherung bedeutet insbesondere, dass der

dominante Beitrag zu Tµν die newtonsche Massendichte ist: T00 ≈ c2ρ Tij

Quasi-flache Raumzeit: Die Abweichung von der flachen Minkowski-Metrik innerhalb der

Quelle ist klein, d.h. gµν kann um die Minkowskimetrik ηµν des flachen (d.h. materiefreien)

Raumes entwickelt werden:

gµν = ηµν + hµν +O(h2) fur |hµν | 1 (19)

Diese Annahme mag fur binare Pulsare zunachst uberraschend erscheinen, da es sich

um Neutronensterne handelt. Geht man grob von einer statischen, isotropen Metrik aus,

so gilt |hµν(r)| ≈ rs/r. In der Nahe eines Pulsars mit Masse m = 1.5M und Radius

R = 1.1 · 104m beispielsweise ist somit die Korrektur von der Großenordnung

|hµν | ∼rsR∼ 2 · 103

104= 0.2

Betrachtet man nun jedoch die Ausdehnung des gesamten Doppelsystems (also die Aus-

dehnung der ”Quelle”), so liegt diese typischerweise bei einigen Sonnenradien, d.h.

ε ≥ 2a0 ∼ R ∼ 109 m

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Damit lasst sich leicht abschatzen, dass der Anteil am Gesamtvolumen der Quelle, in dem

|hµν | > 0.01 gilt,

(rs/0.01)3

(109)3∼ (103 · 102)3

1027= 10−12

betragt, was in der Praxis vernachlassigbar ist. Diese Naherung bricht insbesondere dann

zusammen, wenn man das Verschmelzen (Koaleszenz)von zwei massiven Korpern be-

schreiben will, wie zum Beispiel das Verschmelzen von Schwarzen Lochern.

Keplersche Bahnen: Der Quadrupol-Formalismus kann als erster Schritt eines iterativen

Verfahrens zur Berechnung der Bahnkorrekturen angesehen werden: Die Bewegung der

beteiligten Massen wird als keplersche Bewegung angenommen, welche dann als Quelle

der Gravitationsstrahlung betrachtet wird. Die Ruckwirkung der Strahlung auf die Be-

wegung der Korper (sog. radiation reaction force, durch die Abstrahlung von Energie

und Drehimpuls) wird in dieser Naherung vernachlassigt. Dies wird auch als adiabatische

Naherung bezeichnet: Das System hat genug Zeit um sich an die durch den Energieverlust

veranderten Bahnparameter anzupassen.

Fur viele beobachtete Doppelpulsare ist diese Naherung vollig ausreichend und ist bis heute

ein wichtiges und haufig verwendetes Modell fur die Berechnung der Strahlungskorrekturen.

Diese kurze Herleitung orientiert sich an der sehr ausfuhrlichen Darstellung von V. Ferrari

[6] Ausgehend von der linearen Naherung (19) vereinfacht sich der Einstein-Tensor in erster

Ordung in h zu

Gµν =1

2(hσµ,ν,σ + hσν,µ,σ − h,ν,µ −hµν − ηµνhσρ,ρ,σ + ηµνh) +O(h2), (20)

wobei h = hµµ = ηµνhµν die Spur von hµν und = ∂2/c2∂t2 −∇2 den D’Alembert-Operator

in flachen Koordinaten bezeichnet. Wir nutzen die Eichfreiheit der Feldgleichungen aus und

wahlen sogenannte harmonische Koordinaten, in denen die Bedingung

gµνΓρµν = 0 ⇒ xµ = 0 (21)

erfullt ist. Diese Bedingung ist in niedrigster Ordnung in h aquivalent zu

hσµ,σ −1

2h,µ = 0.

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Setzt man dies in (20) ein so erhalt man letztendlich die linearisierten Feldgleichungen

−16πG

c4Tµν = hµν −

1

2ηµνh (22a)

oder − κTµν = hµν (22b)

wobei hµν = hµν − 12ηµνh als

”trace-reversed“ Version der Storung hµν bezeichnet wird, da

offensichtlich hµµ = −hµµ gilt.

Losung der linearisierten Feldgleichungen. Die Wellengleichung (22b) hat die gleiche

Struktur wie die Wellengleichungen der Elektrodynamik und kann mithilfe der retardierten

Potentiale gelost werden. Alternativ konnen die Gleichungen direkt gelost werden. Dazu geht

man ebenfalls zur Fouriertransformation der Felder

˜hµν(ω, xi) =

∫ ∞−∞

hµν(t, xi)e−iωtdt Tµν(ω, xi) =

∫ ∞−∞

Tµν(t, xi)e−iωtdt, i = 1, 2, 3

(23)

uber, was auf die fouriertransformierte Form der Wellengleichung

(ω2

c2+∇2

)˜hµν(ω, xi) = κTµν(ω, xi) mit

Tµν = 0 fur |x| ≥ ε

Tµν 6= 0 fur |x| < ε(24)

fuhrt. Hierbei bezeichnet ε wieder die Ausdehnung der Quelle, also im Fall eines binaren Systems

die Ausdehnung eines Raumelements, das beide Massen mit einschließt (d.h. ε ≈ 2a0). Da wir

im Fernfeld eine spharisch symmetrische Ausbreitung der Welle erwarten, wahlen wir als Losung

fur die Vakuumgleichungen im Außenraum eine auslaufende Kugelwelle der Form 4

˜hµν(ω, xi) = ˜hµν(ω, r) =Aµν(ω)

rexp(irω/c) (25)

Die Koeffizienten Aµν lassen sich nun durch Stetigkeitsbedingungen aus den Feldgleichungen

im Inneren der Quelle bestimmen. Dazu integrieren wir Gl. (24) uber das Quellvolumen:

∫V

ω2

c2˜hµν(ω, xi)d3x︸ ︷︷ ︸

A

+

∫V∇2˜hµν(ω, xi)d3x︸ ︷︷ ︸

B

=

∫VκTµν(ω, xi)d3x (26)

4Dies ist aquivalent zur Fernfeldnaherung fur große Wellenlangen in den retardierten Potentialen:exp(ik|r−r′||r−r′| ≈ exp(ikr)

rfur r r′ und λ r′

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Der Term A kann wegen∫Vω2

c2˜hµνd

3x ≤ ω2

c2max(˜hµν)4π

3 ε3 vernachlassigt werden. Term B

lasst sich mithilfe des Gauß’schen Satzes und unter Annahme einer spharisch symmetrischen

Storung5 schreiben als

B =

∫V

div(grad ˜hµν(ω, r))d3x =

∫S

(grad ˜hµν(ω, r))kdSk = 4πε2(∂

∂r˜hµν(ω, r))

)r=ε

.

Setzen wir nun aufgrund der Stetgkeit bei r = ε die Losung fur den Außenraum (25) ein , so

erhalten wir ∫VκTµν(ω, xi)d3x = B = 4πε2

(−Aµν(ω)

ε2+ i

ω

c

Aµν(ω)

ε

)exp(iωε/c)

≈ −4πAµν(ω).

Wir konnen nun dieses Ergebnis in Gl. (25) einsetzen und nach der Rucktransformation unter

Berucksichtigung der Retardierung erhalten wir folgenden Ausdruck fur die emittierte Gravi-

tationswelle:

hµν(t, xi) = hµν(t, r) = −4G

c4r

∫VTµν(t− r/c, x′i)d3x′. (27)

Unter Annahme einer quasi-flachen Raumzeit gilt Tµν;ν ≈ Tµν,ν = 0. Wie in ?? gezeigt wird,

konnen wir diesen Erhaltungssatz ausnutzen, um das Integral uber den Energie-Impuls-Tensor

umzuformen und erhalten schließlich

h0j(t, xi) = hi0(t, xi) = const. ≡ 0 (28)

fur die zeitlichen Komponenten. Die Eichfreiheit erlaubt uns, diese konstanten Terme ver-

schwinden zu lassen. Die rein raumlichen Komponenten vereinfachen sich zu

hij(t, xi) = hij(t, r) = −4G

c4r

1

2

∂2

∂t2

[1

c2

∫VT00(t− r/c, x′i)x′ix′jd3x′

]︸ ︷︷ ︸

≡qij(t−r/c)

. (29)

qij(t) =∫V ρ(t,x)xixjd

3x ist der Quadrupoltensor einer zeitabhangigen newtonschen Mas-

senverteilung. Wir konnen somit die relativistische Quadrupolstrahlung in dieser Naherung

(abgesehen von der Retardierung) allein durch nichtrelativistische Großen ausdrucken.

5Da wir Kugelwellen als Losung fur den Außenraum gewahlt hatten, folgt diese Annahme bereits aus derStetigkeitsforderung.

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Wahl der Eichung: transverse-traceless (TT-) gauge. Durch die Wahl der harmoni-

schen Koordinaten in Gl. (21) ist die Eichfreiheit noch nicht ausgeschopft, da wir noch immer

eine Koordinatentransformation

xµ → xµ + ξµ mit ξµ = 0 (30)

durchfuhren konnen. Dies kann ausgenutzt werden, um in die sogenannte TT-gauge uberzugehen,

die durch die folgenden Bedingungen festgelegt wird:

hTT µν

= 0 (spurlos) und nµhTT µν = 0 (transversal) (31)

wobei nµ = (0, r/r) der raumartige Einheitsvektor in Ausbreitungsrichtung der Welle (hier

einer Kugelwelle) ist6. Diese Eichung vereinfacht die nachfolgenden Rechnungen - vor allem

die auftretenden Winkelintegrationen - erheblich. Außerdem gilt automatisch hTTµν = hTT µν .

Um von einer beliebigen Eichung in die TT-Eichung uberzugehen definiert man zunachst den

Projektionsoperator auf die transversalen Komponenten

Pµν = ηµν − nµnν .

Der transversale Anteil der Storung ist dann gegeben durch P λµPκνhλκ. Hiervon muss nun

noch die Spur abgezogen werden und man erhalt

hTT µν = P λµPκνhλκ −

1

2PµνP

λκhλκ ≡ Pµνλκhλκ (32)

Energie des Gravitationsfeldes Der Energie-Impuls-Tensor Tµν der in den Feldgleichungen

auftaucht, beinhaltet ausschließlich nicht-gravitative Beitrage zur Gesamtenergie. Aufgrund der

Nichtlinearitat der Feldgleichungen muss aber auch das Gravitationsfeld selbst als Quelle der

Raumkrummung berucksichtigt werden. Wie kann nun die in der Raumkrummung enthaltene

Energie aus den Feldgleichungen gewonnen werden? Nach dem Kovarianzprinzip gilt in der

ART

Tµν ;ν = Tµν,ν + ΓννκTµκ + ΓµκνT

κν = 0. (33)

Dies ist kein Erhaltungssatz fur Tµν , da die Terme mit den Christoffelsymbolen gerade die

Umwandlung von nicht-gravitativer in gravitative Energie beim Wechsel des Bezugssystems

6Wegen n0 = 0 sieht man auch, dass die konstanten zeitlichen Komponenten h0µ keine Rolle spielen.

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beschreiben. Wir konnen jedoch in jeder hinreichend kleinen Umgebung der Raumzeit (also

insbesondere in der Umgebung der Massenverteilung) ein Koordinatensystem (lokales Iner-

tialsystem) wahlen, in dem die Metrik in dieser Umgebung die Form der Minkowskimetrik

annimmt, d.h. gµν ≈ ηµν und gµν,λ ≈ 0. Damit verschwinden insbesondere die Christoffel-

symbole und (33) wird zum lokalen Erhaltungssatz Tµν,ν = 0. Dies bedeutet, dass sich der

Energie-Impuls-Tensor in diesen Koordinaten geschrieben werden kann als

Tµν = χµνα,α χµνα = χνµα = −χµαν = −χναµ (34)

Wobei χµνα zunachst ein beliebiger Tensor ist, der symmetrisch in µ und ν und antisymmetrisch

in ν und α ist. Da die partiellen Ableitungen vertauschbar sind, ist damit automatisch

T νν ,ν = χµνα,α,ν = 0

χµνα kann nun mithilfe der Feldgleichungen (8) naher bestimmt werden. Im lokalen Inerti-

alsystem reduziert sich der Ricci-Tensor auf die Terme, die zweite Ableitungen der Metrik

enthalten. Setzt man dies alles in die Feldgleichungen ein, ergibt sich

Tµν =1

−g

c4

16πG

[(−g)

(gµνgαβ − gµαgνβ

)],β

≡ 1

−gχµνα,α (35)

Der Ausdruck in erfullt genau die gesuchten Eigenschaften (symmetrisch in µ und ν, anti-

symmetrisch in ν und α). In unserem lokalen Inertialsystem gilt somit

[(−g)Tµν ],νa= χµνα,α,ν

b= 0 (36)

Das zweite Gleichheitszeichen (b) ist dabei in jedem beliebigen Bezugssystem gultig, da es nur

von der Konstruktion des Tensors χµνα und der Vertauschbarkeit der partiellen Ableitungen

abhangt. Die Gleichung (a) ist jedoch nur im lokalen Inertialsystem der Massenverteilung gultig,

da χµνα genau so definiert wurde und außerdem g,ν = 0 gilt. Wir konnen jedoch die Differenz

definieren als

χµνα,α − (−g)Tµν ≡ (−g)tµνgrav (37)

und erhalten somit den gemeinsamen Erhaltungssatz fur den Energie und Impuls von Materie-

und Gravitationsfeld

[(−g)

(Tµν + tµνgrav

)],ν

= χµνα,α,ν = 0, (38)

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der in jedem Bezugssystem gultig ist. Die Große tµνgrav ist der Energie-Impuls-Pseudotensor des

Gravitationsfeldes. Da er uber (37) und die Feldgleichungen durch die Metrik definiert ist, kann

er wie die Metrik selbst oder die Christoffelsymbole kein Tensor sein.

tµνgrav lasst sich explizit durch Kontraktionen zwischen der Metrik und den Christoffelsymbolen

dastellen.

Energieabstrahlung des Doppelsternsystems Wir haben nun einen expliziten Ausdruck

fur die Energie des Gravitationsfeldes gefunden, der durch die Metrik bestimmt ist. Diese

Beziehung kann nun genutzt werden, um die durch die Gravitationswellen abgestrahlte Energie

zu bestimmen. Eine vollstandige Herleitung wurden den Rahmen dieser Arbeit sprengen, es sei

an dieser Stelle abermals auf [6] verwiesen. Das Vorgehen ist das folgende:

Der gravitatve Energiefluss ist gegeben durch die gemischten raum-zeitlichen Komponenten

von tµνgrav:

t0igrav =dEGWcdtdSi

(39)

In den Ausdruck fur tµνgrav wird nun Losung der Einstein’schen Gleichungen aus der Quadru-

polnaherung eingesetzt und man erhalt fur die Radialkomponente bei Wechsel in spharische

Koordinaten:

dEGWdtdS

= 〈ct0r〉 =c3

32πG

⟨∑ij

(dhTTij (t− r/c)

dt

)2⟩. (40)

mit

hTTij (t, xi) = −2G

c4r

∂2

∂t2qTTij (t− r/c), (41)

wobei wir uns dabei wieder in die TT-Eichung begeben. Die gesamte abgestrahlte Leistung, d.h.

die Luminositat der Strahlunsquelle, erhalt man nun durch Integration uber die Kugelschale:

LGW =

∫dEGWdtdS

r2dΩ

Um das Integral uber den Raumwinkel zu vereinfachen, ist es zweckmaßig, das reduzierte

Quadrupolmoment

Qij = qij − δijqkk

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einzufuhren. In der TT-Eichung gilt definitionsgemaß qTTij = QTTij . Man findet nach der Inte-

gration folgenden Ausdruck fur die gravitative Luminositat des Doppelsternsystems

LGW =dEGWdt

=G

5c5

⟨∑ij

...Qij(t− r/c)

...Qij(t− r/c)

⟩(42)

Anderung der Bahnperiode Pb Aus der Energieerhaltung folgt, dass die Rotationsenergie

des Binarsystems entsprechend abnimmt:

LGW = −dEorbdt

Dies lasst sich nach der Annderung der Bahnperiode auflosen und man erhalt

Pb =3

2

PbEorb

LGW

Der letzte ausstehende Schritt ist nun die Berechung des Quadrupolmoments fur das Doppel-

sternsystem, das sich in erster PN-Naherung auf einer keplerschen Bahn bewegt. Das Ergebnis

ist wiederum nur abhangig von Keplerschen Parametern und den beiden beteiligten Massen:

Pb = −192π

5

(Pb2π

)−5/3(1 +

73

24e2 +

37

96e4

)(1− e2)−7/2

(G

c3

)5/3 (mcmpM

−1/3), (43)

wobei e die numerische Exzentrizitat der Bahn und M = mc+mp die Gesamtmasse des Systems

bezeichnet.

5 Experimentelle Uberprufung der ART

Sowohl die Keplerschen Parameter pK = Pb, e, x als auch die post-Keplerschen Parameter

pPK = Pb, ω, r, s, γ lassen sich aus einer detaillierten time-of-arrival (TOA) Analyse des

Pulsarsignals gewinnen. Die im vorherigen Abschnitt hergeleiteten Ausdrucke setzen nun im

theoretischen Rahmen der ART die pPK in Relation zu pK :

pPKi = fTheoriei (Pb, e, x;mp,mc)

wobei die Massen von Pulsar und Begleitstern hier als Parameter auftauchen. Nochmals zu-

sammengefasst und in SI-Einheiten, sind diese Relationen geben durch

23

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Pb = −192π

5

(Pb2π

)−5/3(1 +

73

24e2 +

37

96e4

)(1− e2)−7/2

(G

c3

)5/3 (mcmpM

−1/3), (44)

ω = 3

(Pb2π

)−5/3(Gc3

)3/2 M3/2

1− e2, (45)

r =

(G

c3

)mc, s = sin i, (46)

γ = e

(Pb2π

)1/3(Gc3

)2/3

M−4/3mc(mp + 2mc) (47)

Jede dieser Gleichungen impliziert nun bei gegebenen (d.h. experimentell bestimmten) pKund pPKi eine Funktion

mc = fi(mp)

Die Messung zweier PK-Parameter erlaubt demnach eine (sehr genaue) Bestimmung der Massen

der beiden Partner durch die Bestimmung des Schnittpunktes

f1(mp) = f2(mp)

Die Messung jedes weiteren Parameters stellt dann einen Test der Allgemeinen Relativitatstheorie

dar, da das Gleichungssystem dann uberbestimmt ist.

Diese Art von Test wurde zum ersten Mal von Hulse und Taylor am 1974 entdecken Dop-

pelpulsarsystem PSR B1913+16 durchgefuhrt. Beobachtet wurden die Parameter ω, γ und Pb

uber einen Zeitraum von 30 Jahren.

Abbildung 5 zeigt, dass sich die drei Kurven im mp-mc-Plot in einem Punkt schneiden

und somit die Vorhersagen der ART bestatigen. Der experimentelle Fehler lag bei 0.35%. Die

Ubereinstimmung von Pb mit der ART wurde zudem als indirekter Beweis fur die Existenz

von Gravitationswellen angesehen, wofur Hulse und Taylor 1990 mit dem Nobelpreis ausge-

zeichnet wurden. Dies wird umso deutlicher, wenn man den zeitlichen Verlauf des Periastron-

durchgangs betrachtet (was ebenfalls aus der TOA-Analyse gewonnen werden kann). Fur eine

stabile Keplerbahn erwartet man einen Periastrondurchgang mit der konstanten Periode der

Keplerbahn: tperi,0 = N ·Pb + t0. Die Abweichung von diesem Wert hangt nun von Pb ab. Man

kann nun mithilfe von ¯gamma und ˙omega die beiden Massen bestimmen und diese dann in

Pb(mc,mp) einsetzen und damit die Veranderung er Periastronzeit berechnen. Hierbei lasst sich

grob abschatzen, dass tperi−tperi,0 ≡ ∆tperi = NPbt ≈ PbPbt2. Abbildung 5 zeigt die hervoragende

Ubereinstimmung mit den beobachteten Werten

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Abbildung 7: mp-mc-Plot fur dasSystem PSR B1913+16: Die dreiFunktionen mc = fω(mp), mc =fγ(mp), mc = fPb(mp) schneidensich in einem Punkt. (aus [9])

Abbildung 8: Abweichung derPeriastron-Zeit vom nicht-relativistischen Kepler-Orbitfur das System PSR B1913+16.Die Punkte stellen die beobach-teten Werte dar, die Linie dieVorhersage der ART (aus [11])

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Die bisher prazisesten Tests konnten am System J0737-3039 durchgefuhrt werden. Dieses

zeichnet sich dadurch aus, dass es sich um ein System aus zwei Pulsaren handelt, was eine we-

sentlich genauere Bestimmung der Parameter ermoglicht, da zwei unabhangige Signale fur die

TOA-Analyse zur Verfugung stehen. Dadurch konnte eine Ubereinstimmung mit den Vorhersa-

gen der ART im Bereich von 0.05% nachgewiesen werden. (Fur eine detailliertere Beschreibung

siehe [11]).

Abbildung 9: mA-mB-Plot fur das Doppelpulsarsystem J0730-3039. Es wurden fur jeden Para-meter die Grenzen des Konfidenzbereichs geplottet. (aus [11])

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Der mA-mA-Plot fur J0737-3039 mit allen funf beschriebenen PK-Parametern ist in Ab-

bildung ?? zu sehen. Die relativistischen Effekte in diesem Doppelpulsarsystem sind so groß,

und die Messung so prazise, dass eventuell sogar hohere PN-Korrekturen (beispielsweise fur ω)

gemessen und uberpruft werden konnen.

6 Ausblick: direkter Nachweis von Gravitationswellen

Eine (bestatigte) direkte Messung von Gravitationswellen ist bislang nicht gelungen. Eine Me-

thode, die dies erreichen soll, nutzt die extreme Stabilitat der Rotation von Millisekunden-

pulsaren und das Pulsar Timing”. Eine Gravitationswelle verursacht eine minimal Verzerrung

der Raumzeit, die in einer Abweichung der Time of Arrival vom vorhergesagten Wert messbar

sein konnte. Die Ursache von Gravitaionswellen im Bereich des Frequenzbandes des Pulsars

(etwa 10−9 bis 10−8 Hz) konnte beispielsweise ein Binarsystem Schwarzer Locher sein. Außer-

dem gehen die gangigen Modelle von einem stochastischen und isotropen Gravitationswellen-

Hintergrund aus, der in der Anfangszeit des Universums beim Verschmelzen supermassiver

Schwarzer Locher entstanden sein konnte. Tatsachlich werden immer wieder Fluktuationen in

der TOA festgestellt, allerdings konnten diese auch auf anderen Einflussen auf den detektierten

Puls oder den Messprozess beruhen. Die Messung an einem einzelnen Pulsar reicht nicht aus

um die Ursache der Abweichung zu bestimmen. Daher werden die Daten mehrerer Pulsare in

einem so genannten Pulsar Timing Array” verglichen und auf Korrelationen untersucht. Ab-

bildung 10 zeigt ein kunstlerische Illustration wie ein isotroper Gravitationswellen-Hintergrund

durch Messung an einem Pulsar Timing Array sichtbar gemacht werden konnte.

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Abbildung 10: Illustration eines Pulsar Timing Arrays.[5]

Wahrend beispielsweise eine Irregularitat in der Verlangsamung eines einzelnen Pulsars zu ei-

ner nicht korrelierten Abweichung der TOA fuhrt, musste ein Gravitationwellen-Hintergrund

eine korrelierte Verschiebung der auf der Erde gemessenen Signale auslosen. Um die erforder-

liche Prazision zu gewahrleisten sind Beobachtungen an etwa 20 Pulsaren uber funf Jahre bei

wochentlichen Messungen notig. Das International Pulsar Timing Array (IPTA) Projekt, eine

Kollaboration aus drei Projekten, hat zum Ziel dies zu erreichen.[11]

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Literatur

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tational wave detector. Classical and Quantum Gravity, 27:8, 2010. DOI:10.1088/0264-

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2012.

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gravitational field, from observations made at total eclipse of may 29, 1919. •, •.

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observations and analysis. ASP Conference Series, 328, 2005.

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