+ All Categories
Home > Documents > Notbiwak - Alpenverein · tung: Gerade als „Leader“ ist man gefährdet, sich völlig zu...

Notbiwak - Alpenverein · tung: Gerade als „Leader“ ist man gefährdet, sich völlig zu...

Date post: 20-Jul-2021
Category:
Upload: others
View: 0 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
5
80 / bergundsteigen #106 / frühling 19 Kälte als größtes Problem! Die größte Gefahr beim Biwakieren geht vom ungünstigen Zusammenspiel negativer Umweltfaktoren (tiefe Temperaturen, Wind, Nässe) bei gleichzeitiger Bewegungsein- schränkung (Blockierung) aus. Als lebensbedrohlich ist hier an erster Stelle die allgemeine Unterkühlung zu nennen, die es mit allen Mitteln zu verhindern gilt. Ein weiteres Problem sind lokale Erfrierungen, die an und für sich zwar nicht lebensbedroh- lich sind, aber neben den äußerst unange- nehmen Folgen (z.B. Amputation) auch dazu führen können, dass man z.B. aufgrund ein- geschränkter Fähigkeiten abstürzt. Natürlich gibt es auch noch andere Problembereiche wie Lawinen, Spaltensturz, Blitzschlag, Steinschlag oder Eisschlag, doch dies sind in erster Linie Faktoren, k Ein allgemein gültiges Rezept zum Über- stehen eines (Not-) Biwaks gibt es leider nicht, da die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen stets andere sind und jeder „Blockierte“ flexibel handeln bzw. reagieren muss. Völlig klar ist die Tatsa- che, dass „mehr“ und „bessere“ Ausrüs- tung nicht nur das Überleben sicherstel- len kann, sondern auch den Unterschied ausmacht zwischen „Gerade noch über- standen – nie mehr wieder!“ und „Un- vergessliches Bergerlebnis – gerne nochmals!“. Im Folgenden soll aber nicht die Ausrüs- tung an erster Stelle stehen, sondern das Verhalten und der optimale Umgang mit den üblicherweise sehr begrenzten Ressourcen. von Walter Würtl und Peter Plattner Abb. 1a Die – der Länge nach zusam- mengefaltete (!) – Rettungsdecke wird unter der obersten Bekleidungsschicht (bzw. -schichten; aber immer über der Unterwäsche) am Rücken durchgezo- gen. Dabei ist es egal, ob die silberne oder goldenen Seite zum Körper schaut. Abb. 1b Ablängung: Das obere Ende wird über den Kopf bis zur Nasenspitze gezogen und festgehalten, während die Rettungsdecke um den ganzen Oberkör- per herum auseinandergefaltet wird. Abb. 1 Alu-Rettungsdecke als „Körper- windel“. Markus Isser, Sanreferent der Bergrettung Tirol, zeigt, wie man eine Alu-Rettungsdecke (nicht nur) in Not- situationen ideal zum Wärmeerhalt verwenden kann. Notbiwak a b
Transcript
Page 1: Notbiwak - Alpenverein · tung: Gerade als „Leader“ ist man gefährdet, sich völlig zu verausgaben! Suche dir Aufgaben! Hilfreich ist es, wenn man sich Aufgaben gibt, die zu

80 / bergundsteigen #106 / frühling 19

Kälte als größtes Problem!

Die größte Gefahr beim Biwakieren gehtvom ungünstigen Zusammenspiel negativerUmweltfaktoren (tiefe Temperaturen, Wind,Nässe) bei gleichzeitiger Bewegungsein-schränkung (Blockierung) aus.

Als lebensbedrohlich ist hier an erster Stelledie allgemeine Unterkühlung zu nennen, diees mit allen Mitteln zu verhindern gilt. Einweiteres Problem sind lokale Erfrierungen,die an und für sich zwar nicht lebensbedroh-lich sind, aber neben den äußerst unange-nehmen Folgen (z.B. Amputation) auch dazuführen können, dass man z.B. aufgrund ein-geschränkter Fähigkeiten abstürzt. Natürlichgibt es auch noch andere Problembereichewie Lawinen, Spaltensturz, Blitzschlag,Steinschlag oder Eisschlag, doch dies sindin erster Linie Faktoren,

kEin allgemein gültiges Rezept zum Über-stehen eines (Not-) Biwaks gibt es leidernicht, da die Rahmenbedingungen undVoraussetzungen stets andere sind undjeder „Blockierte“ flexibel handeln bzw.reagieren muss. Völlig klar ist die Tatsa-che, dass „mehr“ und „bessere“ Ausrüs-tung nicht nur das Überleben sicherstel-len kann, sondern auch den Unterschiedausmacht zwischen „Gerade noch über-standen – nie mehr wieder!“ und „Un-vergessliches Bergerlebnis – gernenochmals!“.

Im Folgenden soll aber nicht die Ausrüs-tung an erster Stelle stehen, sonderndas Verhalten und der optimale Umgangmit den üblicherweise sehr begrenztenRessourcen.

von Walter Würtl und Peter Plattner

Abb. 1a Die – der Länge nach zusam-mengefaltete (!) – Rettungsdecke wirdunter der obersten Bekleidungsschicht(bzw. -schichten; aber immer über derUnterwäsche) am Rücken durchgezo-gen. Dabei ist es egal, ob die silberneoder goldenen Seite zum Körper schaut.

Abb. 1b Ablängung: Das obere Endewird über den Kopf bis zur Nasenspitzegezogen und festgehalten, während dieRettungsdecke um den ganzen Oberkör-per herum auseinandergefaltet wird.

Abb. 1 Alu-Rettungsdecke als „Körper-windel“. Markus Isser, Sanreferent derBergrettung Tirol, zeigt, wie man eineAlu-Rettungsdecke (nicht nur) in Not-situationen ideal zum Wärmeerhalt verwenden kann.

Notbiwak

a b

Page 2: Notbiwak - Alpenverein · tung: Gerade als „Leader“ ist man gefährdet, sich völlig zu verausgaben! Suche dir Aufgaben! Hilfreich ist es, wenn man sich Aufgaben gibt, die zu

81

welche den Biwakplatz betreffen und sollenhier einmal unerwähnt bleiben.

Wärmeerhalt als oberstes Ziel!

Nachdem man sich für ein Biwak entschie-den hat, müssen alle Anstrengungen demWärmeerhalt dienen. Dabei ist es wichtig, sofrüh als möglich die gesamte zur Verfügungstehende Ausrüstung einzusetzen bzw. denBiwakplatz so zu verbessern, dass Kälte undNässe möglichst wenig anrichten könnenund der Abfall der Körpertemperatur solangsam wie möglich stattfindet.Hat man z.B. noch trockene Unterbeklei-dung im Rucksack, ist diese möglichst frühgegen die feuchte Bekleidung am Körper zutauschen – auch bzw. gerade dann, wenneinem im Moment noch nicht zu kalt ist.Dasselbe gilt für die warmen, trockenen

w

Handschuhe, die dicke Mütze oder dasHalstuch (Buff). Man wartet also nicht, biseinem in den Fingern zu kalt ist und ziehtdann erst die warmen Handschuhe an, son-dern tut dies davor! Das primäre Ziel ist es,jeden Bereich des Körpers von Anfang an sogut es geht zu schützen. Wenn es dann (wassehr unwahrscheinlich ist) am Anfang zuwarm wird, vermeidet man es zu schwitzen(was extrem kontraproduktiv wäre), indemman sich nicht viel bewegt und den Wärme-haushalt über den Kopf reguliert. Über denKopf bzw. Halsbereich gibt man sehr vielWärme ab und daher lässt sich mit Mütze,Schal, Halstuch und Kapuze die Temperaturrecht gut steuern.

Ein echter „Joker“ ist die Alu-Rettungsdecke,die man zur Isolation des Körperstammes(Kopf, Hals, Rumpf) unter der obersten(oder über der untersten) Bekleidungs-schicht verwendet. Sie hat die Vorzüge was-serdicht, winddicht und „isolierend“ (wär-

Abb. 1c Das untere Ende wird durch dieBeine hindurch nach vorne gezogen unddort „windelmäßig“ im Hosenbund ein-geschlagen.

Abb. 1d Zum Schluss wird die Folie sauber um den Kopf gelegt, die Kapuzedarüber gezogen und der Anorak usw.geschlossen; sie sollte nicht direkt aufder Haut bzw. am Kopf anliegen.

Abb. 1e Weil man durch die Rettungs-decke hindurch sieht, kann sie für ma-ximalen Schutz auch so über das Ge-sicht gezogen werden, dass nur nocheine Öffnung zum Atmen vor dem Kinnoffen bleibt. Dabei wird allerdings dasHörvermögen eingeschränkt.

Der enorme Vorteil dieser Methode,die sich bei der Bergrettung bestensbewährt hat, ist der effiziente Wär-meerhalt bei uneingeschränkter Bewegungsfreiheit – und, dass dieRettungsdecke kaum zerissen wer-den kann.

e

c d

Page 3: Notbiwak - Alpenverein · tung: Gerade als „Leader“ ist man gefährdet, sich völlig zu verausgaben! Suche dir Aufgaben! Hilfreich ist es, wenn man sich Aufgaben gibt, die zu

82

mereflektierend) zu sein. Korrekt eingesetztwird sie wie in Abb. 1 dargestellt als „Körper-windel“ angelegt. Man kann sich damit gutbewegen und der Wind bzw. Steigeisen oderscharfe Gegenstände können der Folienichts anhaben.Der Wert von guten Biwaksäcken (Abb. 2)muss hier nicht extra erwähnt werden unddass selbst die dünnste Daunenjacke mehrWärmeleistung hat als jede Hardshell-Jacke,auch nicht!

Aufeinander schauen!

Biwakieren bedeutet nicht nur eine Ausnah-mesituation für den Körper, sondern auchfür den Kopf. Zweifach hilfreich also, wennwir aufeinander schauen und dabei nichtnur emotional füreinander da sind, sondernauch die körperliche Nähe einen wichtigen

a

Beitrag zum Wärmeerhalt leistet. Miteinan-der reden hilft auch festzustellen, in wel-chem Stadium der Unterkühlung sich meinPartner unter Umständen befindet. Solangedie Muskeln zittern, der Puls hoch (> 100Schläge/min) und die Atmung verstärkt ist,kann man davon ausgehen, dass man sichim ersten Unterkühlungsstadium (bis ca.32°C Körpertemperatur) befindet. Hier istkeine Lebensgefahr gegeben – es ist zwarein sehr unangenehmer Zustand, aber nie-mand wird sterben!

Problematischer wird es schon im zweitenStadium, wenn die Antworten meines Part-ners nicht mehr orientiert sind, er schläfrigund apathisch wird (nicht zu verwechselnmit müde und erschöpft), das Zittern auf-hört und die Muskeln starr werden. Dabeiverlangsamt sich auch der Puls auf unter 50 Schläge/min und die Körpertemperatursinkt gegen 28°C. Hier muss man sofort undso gut als möglich versuchen, ein weiteres

Abb. 2 Verschiedene Biwaksack-Modelle unterscheiden sich in Größe, Gewicht, Material und Anwendungs-bereich. Empfehlenswert sind Modelle,die über den Kopf gezogen werden kön-nen (so machen die Ski-/Bergschuhenichts kaputt) und entsprechende Reiß-verschluss-/Klettöffnungen zum Hinaus-schauen und Atmen haben – oder sogarwie ein Poncho Öffnungen für die Händebesitzen. Im Idealfall hat jeder seineneigenen Biwaksack dabei, in dem erselbst gemütlich – aber wenn es seinmuss auch noch ein Zweiter – Platz hat.Einige Beispiele (v. l. n. r.):

Für Alle: Der EXPED Bivybag Duo UL (ca. 285 g/10x17 cm/€ 120,-) ist ein multifunktionaler 1-2-Personen-Biwak-sack, der von einer Person auch wie ein Poncho getragen werden kann.

Für Gruppen: Ein skandinavischer Klassiker ist der Windsack von Hilleberg (ca. 590 g/ 20x24 cm/€ 170,-), in dem bis zu drei Personen gut Platz haben, wobei durch den Mehrfach-RV jeder seine eigene Kopföffnung besitzt.

Wal

ter W

ürtl

ist s

elbs

tstä

ndig

er A

lpin

wis

sens

chaf

tler,

Sach

vers

tänd

iger

und

Ber

gfüh

rer.

Page 4: Notbiwak - Alpenverein · tung: Gerade als „Leader“ ist man gefährdet, sich völlig zu verausgaben! Suche dir Aufgaben! Hilfreich ist es, wenn man sich Aufgaben gibt, die zu

83

beengende Kleidungsstücke z.B. an denHandgelenken sind so zu richten, dass sienicht drücken.

Isolation gegen Kälte von unten!

Damit unser Körper möglichst lange „Zit-tern“ und damit Wärme produzieren kann,müssen wir uns schonen und Energie spa-ren. Der Platz zum Sitzen bzw. gemeinsa-men Zusammenkauern sollte deshalb mög-lichst gut nach unten isoliert werden. Dabeikann man ruhig alles einsetzen was manhat! Skier mit Fellen, Rucksäcke oder dasSeil sind jedenfalls bessere Unterlagen alsdas blanke Eis oder der kalte Schnee.

Die beste Unterlage ist natürlich der Schoßdes Partners! Jene Person, die also die größ-ten Probleme hat, nimmt man auf den

i

Auskühlen zu verhindern. Insbesonderedeshalb, weil sich die betroffene Personnicht mehr selber helfen kann und in man-chen Fällen sogar das Gegenteil von demtut, was getan werden muss. Wenn sich alsojemand die Handschuhe auszieht oder dieJacke öffnet, dann sind das eindeutigeAlarmzeichen für eine „Kälteidiotie“ unddass mein Partner an der Grenze zum Sta-dium 3 steht, wo es zu Bewusstlosigkeit undabsoluter Lebensgefahr kommt (unter 28°C).

Das Aufeinander schauen kann man aberauch wörtlich nehmen, da es stets gilt, lo-kale Erfrierungen z.B. im Gesicht frühzeitigzu erkennen und durch Abdecken oder vor-sichtig Warmreiben zu vermeiden. AproposErfrierungen: Jede Druckstelle (Einengung)am Körper (besonders im Schuh) ist amEnde der Biwaknacht letztlich eine Erfrie-rung, da die Durchblutung an diesen Stellennicht gewährleistet ist. Die Ski- oder Berg-schuhe sind deshalb zu lockern und auch

Schoß und umarmt sie. Der positive Neben-effekt dabei ist, dass man selber auchWärme zurückbekommt! Die Schuhe sollten- wenn möglich - nicht am kalten Boden ste-hen, wobei das in der Regel das kleinsteProblem ist. Hat tatsächlich wer großeSchwierigkeiten, die Zehen warm zu halten,kann man die Schuhe im Biwaksack aucheinmal ausziehen und die Zehen warmmas-sieren. Dabei muss man aber unbedingtdarauf achten, dass nicht Schnee oder Was-ser in die Schuhe kommen, sonst hat mannämlich genau das Gegenteil erreicht!

Allgemeine Empfehlungen beim Biwakieren

� Den Informationsfluss möglichst gutaufrechterhalten und offen kommunizie-ren! Nach außen zu den Rettern und nachinnen zur Gruppe.

a

Emergency-Shelter oder Bothys sind nicht nur für Notfälle, sondern auch für Orientierungs- oder Rastpausen ideal, um sichschnell einen kleinen wettergeschützen Raum zu schaffen; dieser entsteht, indem sich zwei Personen den Sack überziehen, sich auf die Sitzauflage (und den Rucksack) setzen und dann gegen das Außenmaterial auseinanderlehnen. Uns gefällt hier der RAB Superlight-Shelter 2 (ca. 240 g/11x15 cm/€ 90,-) besonders.

Pete

r Pla

ttner

ist S

achv

erst

ändi

ger u

nd B

ergf

ühre

r.

Page 5: Notbiwak - Alpenverein · tung: Gerade als „Leader“ ist man gefährdet, sich völlig zu verausgaben! Suche dir Aufgaben! Hilfreich ist es, wenn man sich Aufgaben gibt, die zu

84

jede Stunde ein Notruf SMS-Update schi-cken. Der Countdown der Uhr kann dabeials akustisches Signal verwendet werden. � Stress und unnötige Anstrengung ver-meiden! Alles, was man macht, sollte ruhig,möglichst gemächlich und trotzdem zielstre-big angegangen werden. Um sich zu be-sprechen, rückt man eng zusammen und redet leise anstatt zu schreien. Alle Arbei-ten werden so ausgeführt, dass man nichtschwitzt oder sich überanstrengt – man hatja Zeit.

Wäre der Begriff nicht so unpassend, würdeman insgesamt beim Notbiwak empfehlen:„Bleib cool und alles wird gut!“

Einen ausführlicheren Beitrag über Biwaksäcke findest du auf www.bergundsteigen.blog

Fotos: argonaut.pro �

� Positiv denken! Und sich an den „gutenDingen“ in der Situation orientieren. � Essen und Trinken! Auch wenn man kei-nen Hunger und Durst hat. Der Körperbraucht für den Wärmeerhalt (das Zittern)sehr viel Energie, das Gehirn braucht Koh-lenhydrate, um richtig zu funktionieren undErfrierungen sind wahrscheinlicher, wennman dehydriert ist.� Leadership zeigen! Es ist unglaublichhilfreich, wenn einem jemand das Gefühlgibt, einen Plan zu haben und zu wissen,was passiert. Sei im Zweifel du die Person,welche eine Führungsrolle übernimmt. Ach-tung: Gerade als „Leader“ ist man gefährdet,sich völlig zu verausgaben!� Suche dir Aufgaben! Hilfreich ist es,wenn man sich Aufgaben gibt, die zu einerRoutine werden und zum einen verhindern,dass man einschläft und zum anderen si-cherstellen, dass man genug Pausen be-kommt. Beispielsweise 15 Minuten Biwak-platz verbessern – 15 Minuten Ausruhen –

Ein Notbiwak kann meist gut überstanden werden, wenn Einstellung, Ausrüstung und Vorbereitung stimmen.


Recommended