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Normen und Skalarprodukte - KIT · Kapitel 1 Normen und Skalarprodukte 1.1 Normen Definition...

Date post: 01-Sep-2018
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Kapitel 1 Normen und Skalarprodukte 1.1 Normen Definition (Norm). Sei V ein Vektorraum ¨ uber K. Eine Funktion V R, v →‖vheißt eine Norm auf V , wenn sie die nachfolgenden vier Eigenschaften erf¨ ullt: (1) Nichtnegativit¨ at: ur alle v V gilt v‖≥ 0. (2) Definitheit: ur alle v V gilt v=0 ⇐⇒ v = 0. (3) Homogenit¨ at: ur alle v V und alle α K gilt αv= |α|‖v. (4) Dreiecksungleichung: ur alle v,w V gilt v + w‖≤‖v+ w. Es ist allgemein ¨ ublich, eine Norm V R,v →‖vvereinfachend mit ‖·‖ zu bezeichnen. Da eine solche Norm eine Funktion von V nach R ist, kann man sie auch als ‖·‖ : V R in Funktionsschreibweise darstellen. Der Punkt deutet hierbei die Stelle der Variable an. Ist v V ein beliebiger Vektor, so nennt man die reelle Zahl v¨ ublichweise die Norm von v. Der Begriff Norm“ wird also sowohl als Bezeichnung f¨ ur die Funktion ‖·‖ als auch ur einzelne Funktionswerte von ‖·‖ verwendet. Nachfolgend geben wir einige wichtige Beispiele f¨ ur Normen an. Beispiele. (a) Die reelle Betragsfunktion R R,a →|a| ist eine Norm auf R. (b) Die komplexe Betragsfunktion C R,z →|z| ist eine Norm auf C. 8
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Kapitel 1

Normen und Skalarprodukte

1.1 Normen

Definition (Norm). Sei V ein Vektorraum uber K. Eine Funktion

V → R, v 7→ ‖v‖

heißt eine Norm auf V , wenn sie die nachfolgenden vier Eigenschaften erfullt:

(1) Nichtnegativitat: Fur alle v ∈ V gilt ‖v‖ ≥ 0.

(2) Definitheit: Fur alle v ∈ V gilt ‖v‖ = 0 ⇐⇒ v = 0.

(3) Homogenitat: Fur alle v ∈ V und alle α ∈ K gilt

‖αv‖ = |α| ‖v‖.

(4) Dreiecksungleichung: Fur alle v, w ∈ V gilt

‖v + w‖ ≤ ‖v‖+ ‖w‖.

Es ist allgemein ublich, eine Norm V → R, v 7→ ‖v‖ vereinfachend mit ‖ · ‖ zu bezeichnen.Da eine solche Norm eine Funktion von V nach R ist, kann man sie auch als

‖ · ‖ : V → R

in Funktionsschreibweise darstellen. Der Punkt deutet hierbei die Stelle der Variable an.Ist v ∈ V ein beliebiger Vektor, so nennt man die reelle Zahl ‖v‖ ublichweise die Norm

von v. Der Begriff”Norm“ wird also sowohl als Bezeichnung fur die Funktion ‖ · ‖ als auch

fur einzelne Funktionswerte von ‖ · ‖ verwendet. Nachfolgend geben wir einige wichtigeBeispiele fur Normen an.

Beispiele.

(a) Die reelle Betragsfunktion R → R, a 7→ |a| ist eine Norm auf R.

(b) Die komplexe Betragsfunktion C → R, z 7→ |z| ist eine Norm auf C.

8

1.1. NORMEN 9

(c) Fur jede naturliche Zahl n ∈ N definiert man auf dem Vektorraum Rn die so genannte

euklidische Norm | · | : Rn → R durch

|x| :=(

n∑

i=1

x2i

)1/2

=√

x21 + x22 + . . .+ x2n

fur alle x = (x1, x2, . . . , xn)T ∈ R

n. Die euklidische Norm auf Rn wird gelegentlichauch als die Standardnorm auf Rn bezeichnet.

Man beachte, dass fur n = 1 die euklidische Norm genau der Betragsfunktion aufR = R

1 entspricht, da√x2 = |x| fur alle x ∈ R gilt. Die euklidische Norm kann

also als Verallgemeinerung der Betragsfunktion angesehen werden, weshalb wir auchBetragsstriche zur Kennzeichnung dieser Norm verwenden. Im Mathematikunterrichtder Oberstufe wird die euklidische Norm eines Vektors im R

3 als”der Betrag des

Vektors“ eingefuhrt.

(d) Fur jede naturliche Zahl n ∈ N definiert man auf dem Vektorraum Cn die so genannte

Standardnorm | · | : Cn → R durch

|x| :=(

n∑

i=1

|xi|2)1/2

=√

|x1|2 + |x2|2 + . . .+ |xn|2

fur alle x = (x1, x2, . . . , xn)T ∈ C

n.

Fur n = 1 entspricht die Standardnorm auf Cn genau der komplexen Betragsfunkti-on.

(e) Fur jede naturliche Zahl n ∈ N definiert man auf Kn die so genannte Betragssum-

mennorm ‖ · ‖1 : Kn → R durch

‖x‖1 :=n∑

i=1

|xi| = |x1|+ |x2|+ . . .+ |xn|

fur alle x = (x1, x2, . . . , xn)T ∈ K

n. Die Betragssummennorm wird gelegentlich auchals Einsnorm bezeichnet.

(f) Fur jede naturliche Zahl n ∈ N definiert man auf Kn die so genannte Maximumnorm

‖ · ‖∞ : Kn → R durch

‖x‖∞ := maxi=1,...,n

|xi| = max{

|x1|, |x2|, . . . , |xn|}

fur alle x = (x1, x2, . . . , xn)T ∈ K

n. Hierbei bezeichnet max{

|x1|, |x2|, . . . , |xn|}

dasgroßte Element der Menge

{

|x1|, |x2|, . . . , |xn|}

. Die Maximumnorm wird gelegentlichauch als Tschebyschev–Norm oder als Unendlichnorm bezeichnet.

(g) Fur jede naturliche Zahl n ∈ N und jede reelle Zahl p ≥ 1 definiert man auf demVektorraum R

n die so genannte p-Norm ‖ · ‖p : Kn → R durch

‖x‖p :=(

n∑

i=1

|xi|p)1/p

=p

|x1|p + |x2|p + . . .+ |xn|p

fur alle x = (x1, x2, . . . , xn)T ∈ K

n.

10 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

Abbildung 1.1: Die Bedeutung der Dreiecksungleichung: Der Abstand zwischen v undw ist stets kleiner oder gleich der Summe der Abstande zwischen v und u sowie zwischenu und w.

Fur p = 1 entspricht die p-Norm genau der Betragssummennorm, und fur p = 2genau der euklidischen Norm auf Rn bzw. der Standardnorm auf Cn. Die Betrags-summennorm, die euklidische Norm auf Rn und die Standardnorm auf Cn sind alsospezielle p-Normen.

(h) Sei n ∈ N eine naturliche Zahl, und sei w = (w1, w2, . . . , wn)T ∈ R

n ein Vektor mitpositiven Komponenten, d.h. es gelte wi > 0 fur alle i = 1, 2, . . . , n. Dann ist dieAbbildung ‖ · ‖w : Rn → R, definiert durch

‖x‖w :=

(

n∑

i=1

wix2i

)1/2

=√

w1x21 + w2x22 + . . .+ wnx2n

fur alle x = (x1, x2, . . . , xn)T ∈ R

n, eine Norm auf Rn.

Man beachte, dass fur w = (1, 1, . . . , 1)T die Norm ‖ · ‖w genau der euklidischenNorm entspricht. ♦

Definition (normierter Raum). Sei V ein Vektorraum uber K, und sei ‖ · ‖ eine Normauf V . Dann heißt das Paar (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K.

Der Begriff”normierter Raum“ ist ahnlich allgemein wie der Begriff

”Gruppe“ oder der

Begriff”Vektorraum“. Die Aussage, dass ein Paar (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K

ist, bedeutet nicht mehr und nicht weniger als dass V ein Vektorraum uber K ist, unddass ‖ · ‖ eine Norm auf V ist. Man sagt auch, dass der Vektorraum V mit der Norm ‖ · ‖versehen und so zum normierten Raum (V, ‖ · ‖) wird.

In der Regel gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Normen, mit denen ein gegebenerVektorraum versehen werden kann. Man betrachte dazu etwa die zuvor genannten Beispie-le. Fur manche Vektorraume ist es jedoch in gewisser Weise

”naturlich“, diese mit einer

ganz bestimmten Norm zu versehen. Das gilt auch fur die Vektorraume Rn, n ∈ N, fur dieman die folgende Vereinbarung trifft.

Vereinbarung. Ist nichts gegenteiliges ausgesagt, so ist fur alle n ∈ N der VektorraumRn mit der euklidischen Norm versehen.

Wir wenden uns nun einigen Begriffen zu, die man in einem normierten Raum definierenkann. Ist (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum uber K, so kann man auf V den Abstand d(v, w)zwischen je zwei Vektoren v, w ∈ V gemaß

d(v, w) := ‖w − v‖

1.1. NORMEN 11

(a) (b) (c)

Abbildung 1.2: (a) Die offene Kugel Br(v) in R2 bezuglich der euklidischen Norm. (b)

Die abgeschlossene Kugel Br(v) in R2 bezuglich der euklidischen Norm. (c) Die Sphare

Sr(v) in R2 bezuglich der euklidischen Norm.

definieren. Aufgrund der Nichtnegativitat der Norm ‖ · ‖, ist der Abstand zwischen zweibeliebigen Vektoren stets großer oder gleich Null. Aufgrund der Definitheit von ‖ · ‖ betragtder Abstand zwischen zwei Vektoren genau dann Null, wenn die beiden Vektoren identischsind. Die Homogenitat von ‖ · ‖ garantiert außerdem, dass d(v, w) = d(w, v) fur alle v, w ∈V gilt. Die Dreiecksungleichung impliziert schließlich, dass

d(v, w) ≤ d(v, u) + d(u,w)

fur alle Vektoren u, v, w ∈ V gilt. Anschaulich bedeutet dies, dass die Lange der Verbin-dungsstrecke zwischen den

”Punkten“ v und w stets kleiner oder gleich groß ist wie die

Summe der Langen zweier Verbindungsstrecken, welche den Punkt v bzw. den Punkt wmit einem beliebigen dritten Punkt u verbinden. Die Verbindungsstreck zwischen v undw gibt also den kurzesten Weg zwischen beiden Punkten an.

Man beachte, dass die hier diskutierten Eigenschaften des Abstandes zwischen zweiVektoren oder Punkten unabhangig von der Norm gelten, durch die der Abstand definiertist. Die Norm bestimmt lediglich die Große des Abstandes zwischen zwei gegebenen Vek-toren. Es zeigt sich, dass in den Vektorraumen R

1, R2 und R3 der Abstand, welchen man

fur die euklidische Norm erhalt, genau dem geometrischen Abstand entspricht. Dies ist mitein Grund dafur, weshalb man zu gegebenem n ∈ N den Vektorraum R

n standardmaßigmit der euklidischen Norm versieht.

Betrachtet man zu einem vorgegebenen Punkt x ∈ R2 sowie zu einer vorgegebenen

Zahl r > 0 die Menge aller Punkte, deren Abstand (bezuglich der euklidischen Norm) zumPunkt x kleiner oder gleich r ist, so stellt man fest, dass diese Menge eine Kreisscheibemit Mittelpunkt x und Radius r ist. Im Vektorraum R

3 ist eine solche Menge eine Kugelmit Mittelpunkt x und Radius r. Man kann also Kreisscheiben und Kugeln anhand vonAbstanden zwischen Punkten in R

2 und R3 definieren. In gleicher Weise kann man auch

in beliebigen normierten Raumen so genannte Kugeln definieren.

Definition (offene Kugel). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum. Zu jedem Vektor v ∈ Vund jeder positiven Zahl r > 0 definiert man die Menge

Br(v) :={

w ∈ V∣

∣ ‖w − v‖ < r}

.

Diese Menge heißt die offene Kugel in V mit Mittelpunkt v und Radius r.

Definition (abgeschlossene Kugel). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum. Zu jedem Vek-tor v ∈ V und jeder positiven Zahl r > 0 definiert man die Menge

Br(v) :={

w ∈ V∣

∣ ‖w − v‖ ≤ r}

.

12 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

(a) (b) (c)

Abbildung 1.3: Offene Einheitskugeln um den Ursprung in R2 bezuglich (a) der Be-

tragssummennorm ‖ · ‖1, (b) der euklidische Norm | · | und (c) der Maximumnorm ‖ · ‖∞.

Diese Menge heißt die abgeschlossene Kugel in V mit Mittelpunkt v und Radius r.

Die Menge aller Punkte im Vektorraum R2, welche denselben Abstand r > 0 (bezuglich der

euklidischen Norm) zu einem vorgegebenen Punkt x haben, ist bekanntlich ein Kreis mitRadius r und Mittelpunkt x. Im Vektorraum R

3 ist bildet eine solche Menge die Oberflacheeiner Kugel. Eine solche Menge wird auch Sphare genannt. Solche Spharen kann man auchin allgemeinen normierten Raumen definieren.

Definition (Sphare). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum. Zu jedem Vektor v ∈ V undjeder positiven Zahl r > 0 definiert man die Menge

Sr(v) :={

w ∈ V∣

∣ ‖w − v‖ = r}

.

Man nennt diese Menge die Sphare in V mit Mittelpunkt v und Radius r.

Offenbar gilt

Br(v) = Br(v) \ Sr(v),

Br(v) = Br(v) ∪ Sr(v),

Sr(v) = Br(v) \Br(v)

fur alle positiven Radien r > 0 und fur alle Vektoren v eines normierten Raums.Von besonderer Bedeutung sind oft Kugeln und Spharen mit dem Radius 1. Solche

Kugeln und Spharen werden als Einheitskugeln bzw. als Einheitsspharen bezeichnet. Istder Mittelpunkt einer Kugel oder einer Sphare der Nullvektor, so spricht man von einerKugel bzw. einer Sphare um den Ursprung.

Man sollte sich klar machen, dass die geometrische Gestalt einer Kugel oder einerSphare stets von der Norm abhangt, mit der ein Vektorraum versehen wurde. So sindbeispielsweise alle in Abbildung 1.3 skizzierten Mengen offene Kugeln in R

2, jede jedochbezuglich einer anderen Norm auf R2. Man erkennt, dass die nur die offene Kugel bezuglichder euklidischen Norm die geometrische Gestalt einer Kreisscheibe besitzt.

Am Ende dieses Abschnitts geben wir noch ein nutzliches Resultat an, welches alsumgekehrte Dreieckungleichung bekannt ist.

Satz 1.1 (Umgekehrte Dreiecksungleichung). Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum.Dann gilt

∣‖v‖ − ‖w‖∣

∣ ≤ ‖v − w‖fur alle Vektoren v, w ∈ V .

1.1. NORMEN 13

Da bekanntlich x ≤ |x| fur alle x ∈ R gilt, folgt aus der umgekehrten Dreiecksungleichungauch, dass fur alle Vektoren v und w eines mit einer Norm ‖ · ‖ versehenden Vektorraumsdie Ungleichung ‖v‖ − ‖w‖ ≤ ‖v − w‖ gilt. Ersetzt man w durch −w, so erhalt manaußerdem die Ungleichung ‖v‖ − ‖w‖ ≤ ‖v + w‖. Da jede Norm die Dreiecksungleichungerfullt, erhalt man somit die Ungleichungskette

‖v‖ − ‖w‖ ≤ ‖v ± w‖ ≤ ‖v‖+ ‖w‖

fur alle Vektoren v, w ∈ V .

Ubungsaufgaben

1. Berechnen Sie die euklidische Norm, die Maximumnorm und die Betragssummennorm derfolgenden Vektoren:

a :=

2−15

, b :=

100

, c :=

111

, d :=

0−43

.

2. Skizzieren Sie die Einheitsspharen S1(0) in R2 bezuglich der Betragssummennorm, der eu-

klidischen Norm und der Maximumnorm.

3. Sei V ein reeller Vektorraum, und sei ‖ · ‖ eine Norm auf V . Zeigen Sie, dass die nachfolgendenGleichung und Ungleichungen fur alle Vektoren u, v, w ∈ V und alle nichtnegativen Zahlenα, β ≥ 0 gelten.

• ‖−v‖ = ‖v‖.• ‖v − w‖ ≤ ‖v − u‖+ ‖u− w‖.• ‖αv + βw‖ ≤ α‖v‖+ β‖w‖.

4. Berechnen Sie (evtl. unter Zuhilfenahme eines Rechners) die p-Norm des Vektors

x =

(

12

)

fur p = 1, p = 2, p = 4, p = 8 und p = 16, sowie dessen Maximumnorm. Was fallt Ihnenauf?

5. Sei (V, ‖ · ‖) ein normierter Raum. Zeigen Sie, dass fur alle Vektoren v, w ∈ V und allepositiven Zahlen r, s > 0 die folgenden Aussagen gelten:

• ‖v − w‖ ≤ s− r =⇒ Br(v) ⊆ Bs(w).

• ‖v − w‖ ≥ r + s =⇒ Br(v) ∩Bs(w) = ∅.

Hierbei bezeichnen Br(v) und Bs(w) die offenen Kugeln in V mit den Mittelpunkten v bzw.w und den Radien r bzw. s.

6. Weisen Sie nach, dass die Betragsfunktion eine Norm auf R ist.

7. Weisen Sie nach, dass die Betragssummennorm fur alle n ∈ N eine Norm auf Rn ist.

14 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

1.2 Skalarprodukte

Definition (Skalarprodukt, inneres Produkt). Sei V ein reeller Vektorraum. EineFunktion

V × V → R, (v, w) 7→ 〈v , w〉heißt ein Skalarprodukt oder ein inneres Produkt auf V , wenn die nachfolgenden vier Ei-genschaften gelten:

(1) Bilinearitat: Fur alle v, v1, v2, w, w1, w2 ∈ V und alle α, β ∈ R gilt

〈v1 + v2 , w〉 = 〈v1 , w〉+ 〈v2 , w〉,〈αv , w〉 = α〈v , w〉,

〈v , w1 + w2〉 = 〈v , w1〉+ 〈v , w2〉,〈v , βw〉 = β〈v , w〉.

(2) Nichtnegativitat: Fur alle v ∈ V gilt 〈v , v〉 ≥ 0.

(3) Definitheit: Fur alle v ∈ V gilt 〈v , v〉 = 0 ⇐⇒ v = 0.

(4) Symmetrie: Fur alle v, w ∈ V gilt 〈v , w〉 = 〈w , v〉.

Gemaß obiger Definition ist ein Skalarprodukt auf einem reellen Vektorraum eine Funktion,welche von zwei Variablen (oder Argumenten) abhangt, und welche bilinear, nichtnegativ,definit und symmetrisch ist.

”Bilinear“ bedeutet hierbei, dass die Funktion linear bezuglich

der ersten wie auch bezuglich der zweiten Variable ist.”Symmetrisch“ bedeutet, dass sich

der Wert eines Skalarprodukts nicht andert, wenn man beide Variablen vertauscht.Es ist allgemein ublich, ein Skalarprodukt V × V → R, (v, w) 7→ 〈v , w〉 vereinfachend

mit 〈 · , · 〉 zu bezeichnen. Da ein solches Skalarprodukt eine Funktion von V × V nach R

ist, kann man es auch in Funktionsschreibweise gemaß

〈 · , · 〉 : V × V → R

darstellen. Die Punkte deuten hierbei die Stellen an, an denen die Variablen des Ska-larprodukts stehen. Nachfolgend geben wir einige wichtige Beispiele fur Skalarproduktean.

Beispiele.

(a) Die gewohnliche Multiplikation R×R → R, (a, b) 7→ ab ist ein Skalarprodukt auf R.

(b) Fur alle n ∈ N definiert man auf dem Vektorraum Rn das so genannte euklidische

Skalarprodukt Rn × R

n → R, (x, y) 7→ x · y durch

x · y :=

n∑

i=1

xiyi = x1y1 + x2y2 + · · ·+ xnyn

fur alle x = (x1, x2, . . . , xn)T ∈ R

n und alle y = (y1, y2, . . . , yn)T ∈ R

n. Das euklidi-sche Skalarprodukt auf Rn wird gelegentlich auch als das Standardskalarprodukt aufRn bezeichnet.

Man beachte, dass fur n = 1 das euklidische Skalarprodukt genau der gewohnlichenMultiplikation auf R = R

1 entspricht. Das euklidische Skalarprodukt kann also als

1.2. SKALARPRODUKTE 15

Verallgemeinerung der gewohnlichen Multiplikation angesehen werden. Daher ver-wenden wir auch den Malpunkt · zur Kennzeichnung dieses Skalarprodukts. Im Ma-thematikunterricht der Oberstufe wird das euklidische Skalarprodukt auf R3 als

”das

Skalarprodukt“ eingefuhrt. Tatsachlich ist es aber eines von vielen Skalarprodukten,die man auf dem Vektorraum R

3 definieren kann.

(c) Sei n ∈ N vorgegeben, und sei w = (w1, w2, . . . , wn)T ∈ R

n ein Vektor mit positivenKomponenten, d.h. es gelte wi > 0 fur alle i = 1, 2, . . . , n. Dann ist die AbbildungRn × R

n → R, (x, y) 7→ 〈x , y〉w, welche durch

〈x , y〉w :=n∑

i=1

wixiyi

fur alle x = (x1, x2, . . . , xn)T ∈ R

n und alle y = (y1, y2, . . . , yn)T ∈ R

n definiert ist,ein Skalarprodukt auf Rn.

Fur w = (1, 1, . . . , 1)T entspricht das Skalarprodukt 〈 · , · 〉w genau dem euklidischenSkalarprodukt.

(d) Die Abbildung 〈 · , · 〉# : R2 → R2 → R, welche durch

〈x , y〉# := 2x1y1 − x1y2 − x2y1 + 2x2y2

fur alle x = (x1, x2)T ∈ R

2 und alle y = (y1, y2)T ∈ R

2 definiert ist, ist ein Skalar-produkt auf R2. ♦

Definition (Innenproduktraum). Sei V ein reeller Vektorraum und sei 〈 · , · 〉 ein Ska-larprodukt auf V . Dann heißt das Paar (V, 〈 · , · 〉) ein reeller Innenproduktraum.

Die Aussage, dass ein Paar (V, 〈 · , · 〉) ein reeller Innenproduktraum ist, bedeutet nichtmehr und nicht weniger als dass V ein Vektorraum uber R ist, und dass 〈 · , · 〉 ein Skalar-produkt auf V ist. Man sagt auch, dass der Vektorraum V mit dem Skalarprodukt 〈 · , · 〉versehen und so zum Innenproduktraum (V, 〈 · , · 〉) wird. Ahnlich wie bei den normiertenRaumen, ist es ublich gewisse Vektorraume mit ganz bestimmten Normen standardmaßigzu versehen. Insbesondere trifft man die nachfolgende Vereinbarung.

Vereinbarung. Ist nichts gegenteiliges ausgesagt, so ist fur alle n ∈ N der VektorraumRn mit dem euklidischen Skalarprodukt versehen.

Abschließend erwahnen wir noch eine wichtige Eigenschaft transponierter Matrizen inBezug auf das euklidische Skalarprodukt.

Satz 1.2. Seien m,n ∈ N zwei naturliche Zahlen, sei A ∈ Rm×n eine beliebige Matrix,

und sei AT ∈ Rn×m die Transponierte zu A. Dann gilt

x ·Ay = (ATx) · y

fur alle x ∈ Rm und alle y ∈ R

n.

16 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

Ubungsaufgaben

1. Geben seien die Vektoren

a :=

−2−53

, b :=

124

, c :=

01

−1

.

Berechnen Sie a · b, a · c und b · c, sowie a · a, b · b und c · c.2. Sei V ein reeller Vektorraum, und sei 〈 · , · 〉 ein Skalarprodukt auf V . Weisen Sie nach, dass

die nachfolgenden Rechenregeln fur alle v, w, x, y ∈ V und alle α, β ∈ R gelten:

• 〈αv + βw , x〉 = α〈v , x〉+ β〈w , x〉.• 〈v , αx+ βy〉 = α〈v , x〉+ β〈v , y〉.• 〈v + w , x+ y〉 = 〈v , x〉+ 〈v , y〉+ 〈w , x〉+ 〈w , y〉.• 〈−v ,−w〉 = 〈v , w〉.• 〈−v , w〉 = −〈v , w〉 = 〈v ,−w〉.• 〈v , 0〉 = 〈0 , w〉 = 0.

1.3. INDUZIERTE NORMEN 17

1.3 Induzierte Normen

Bislang wurden Innenproduktraume und normierte Raume separat eingefuhrt. In diesemAbschnitt wird gezeigt, dass jeder Innenproduktraum auch als normierter Raum aufgefasstwerden kann.

Satz und Definition 1.3 (induzierte Norm). Sei (V, 〈 · , · 〉) ein reeller Innenproduk-traum. Dann kann man V mit einer Norm V → R, v 7→ ‖v‖ versehen, welche durch

‖v‖ :=√

〈v , v〉

fur alle v ∈ V definiert ist. Diese Norm wird als die vom Skalarprodukt 〈 · , · 〉 induzierteNorm auf V bezeichnet.

Da jedes Skalarprodukt auf einem Vektorraum gemaß Satz und Definition 1.3 auch eineNorm auf dem Vektorraum induziert, ist jeder Innenproduktraum in naturlicher Weiseauch ein normierter Raum. Man versieht einen Innenproduktraum namlich standardmaßigmit der Norm, die vom jeweiligen Skalarprodukt induziert wird.

Beispiele.

(a) Die reelle Betragsfunktion wird als Norm auf R von der gewohnlichen Multiplikationauf R induziert, da bekanntlich

√x2 = |x| fur alle x ∈ R gilt.

(b) Die euklidische Norm wird vom euklidischen Skalarprodukt induziert, d.h. es gilt

|x| =√x · x

fur alle x ∈ Rn und alle n ∈ N, wie man leicht nachrechnet.

(c) Fur jedes fest gewahlte n ∈ N und jeden fest gewahlten Vektor w ∈ Rn mit po-

sitiven Komponenten, wird die Norm ‖ · ‖w (siehe Beispiel (f) auf Seite 10) vomSkalarprodukt 〈 · , · 〉w (Beispiel (c) auf Seite 15) induziert. ♦

Fur Normen, die von Skalarprodukten induziert werden, gelten eine Reihe wichtiger Glei-chungen und Ungleichungen, die im nachfolgenden Satz zusammengetragen wurden.

Satz 1.4. Sei (V, 〈 · , · 〉) ein Innenproduktraum uber R, und sei ‖ · ‖ die vom Skalarprodukt〈 · , · 〉 induzierte Norm auf V . Dann gelten die folgenden Resultate:

(1) Binomische Formeln: Fur alle v, w ∈ V gilt

‖v + w‖2 = ‖v‖2 + 2〈v , w〉+ ‖w‖2,‖v − w‖2 = ‖v‖2 − 2〈v , w〉+ ‖w‖2,

〈v − w , v + w〉 = ‖v‖2 − ‖w‖2.

(2) Fur alle v, w ∈ V gilt

|〈v , w〉| ≤ 1

2‖v‖2 + 1

2‖w‖2.

18 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

(3) Cauchy–Schwarzsche Ungleichung: Fur alle v, w ∈ V gilt

|〈v , w〉| ≤ ‖v‖ ‖w‖.

(4) Dreiecksungleichung: Fur alle v, w ∈ V gilt

‖v + w‖ ≤ ‖v‖+ ‖w‖.

(5) Parallelogrammgleichung: Fur alle v, w ∈ V gilt

‖v + w‖2 + ‖v − w‖2 = 2‖v‖2 + 2‖w‖2.

(6) Fur alle v, w ∈ V gilt

〈v , w〉 = 1

4

(

‖v + w‖2 − ‖v − w‖2)

.

Die Cauchy–Schwarzsche Ungleichung und die Dreiecksungleichung sind wichtige Hilfs-mittel der Analysis. Hinsichtlich der Frage, ob eine gegebene Norm auf einem Vektorraumvon einem Skalarprodukt induziert wird, kommt der Parallelogrammgleichung kommt einebesondere Bedeutung zu. Man kann namlich zeigen, dass eine Norm genau dann von einemSkalarprodukt induziert wird, wenn sie die Parallelogrammgleichung erfullt.

Auf reellen Innenproduktraumen kann man in der folgenden Weise Winkel zwischenzwei Vektoren definieren.

Definition (Winkel). Sei (V, 〈 · , · 〉) ein Innenproduktraum uber R, und sei ‖ · ‖ die von〈 · , · 〉 induzierte Norm auf V . Dann definiert man zu je zwei Vektoren v, w ∈ V \ {0} dieZahl ∠(v, w) ∈ [0, π] durch

∠(v, w) := arccos

( 〈v , w〉‖v‖ ‖w‖

)

.

Die Zahl ∠(v, w) heißt der Winkel zwischen v und w bezuglich 〈 · , · 〉.

Es muss betont werden, dass der Winkel zwischen zwei gegebenen Vektoren eines reellenVektorraums V von dem Skalarprodukt abhangt, mit dem V versehen ist. Man betrachtebeispielsweise die Vektoren

x :=

(

10

)

, y :=

(

1√3

)

des R2. Der Winkel zwischen beiden Vektoren bezuglich dem euklidischen Skalarproduktbetragt

∠(x, y) = arccos

(

x · y|x| |y|

)

= arccos

(

1

2

)

3(= 60◦).

Bezuglich dem Skalarprodukt 〈 · , · 〉w auf R2 mit w := (3, 1)T (siehe Beispiel (c) auf

Seite 15) hingegen, gilt

∠(x, y) = arccos

( 〈x , y〉w‖x‖w ‖y‖w

)

= arccos

(√2

2

)

4(= 45◦).

Man stellt fest, dass der Winkel zwischen je zwei Vektoren des R2 bzw. des R

3 bezug-lich euklidischen Skalarprodukt genau dem geometrischen Winkel entspricht, den manbeispielsweise mit Hilfe eines Geodreiecks messen kann. Dies ist mit ein Grund dafur, wes-halb man fur jede naturliche Zahl n ∈ N den Vektorraum R

n standardmaßig mit demeuklidische Skalarprodukt versieht.

1.3. INDUZIERTE NORMEN 19

Ubungsaufgaben

1. Zeigen Sie mit Hilfe der Cauchy–Schwarzschen Ungleichung, dass

(x1 y1 + x2 y2 + · · ·+ xn yn)2 ≤

(

x21 + x2

2 + · · ·+ x2n

)(

y21 + y22 + · · ·+ y2n)

fur beliebige reelle Zahlen x1, x2, . . . , xn, y1, y2, . . . , yn ∈ R gilt.

2. Geben Sie die Norm ‖ · ‖# : R2 → R an, die vom Skalarprodukt 〈 · , · 〉# induziert wird (sieheBeispiel (d) auf Seite 15). Berechnen Sie anschließend ‖a‖#, ‖b‖# und ‖c‖#, wobei

a :=

(

2−1

)

, b :=

(

10

)

, c :=1

2

(√2√2

)

.

3. Berechnen Sie fur die Vektoren

a :=

(

40

)

, b :=

(√2√2

)

, c :=

(

−11

)

die Winkel ∠(a, a), ∠(a, b), ∠(−a, b), ∠(a, c) und ∠(b, c). Der Vektorraum R2 sei hierbei mit

dem euklidischen Skalarprodukt versehen.

4. Sei (V, 〈 · , · 〉) ein Innenproduktraum uber R. Zeigen Sie, dass ∠(αv, βw) = ∠(v, w) fur alleVektoren v, w ∈ V \ {0} und alle positiven reellen Zahlen α, β > 0 gilt.

20 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

Abbildung 1.4: Die Vektoren v, w und v + w bzw. v − w bilden die Kanten einesrechtwinkligen Dreiecks. Fur die entsprechenden Kantenlangen

1.4 Orthonormalbasen

Ein wichtiger Begriff, den man in Innenproduktraumen definieren kann, ist der Begriff derOrthogonalitat.

Definition (Orthogonalitat). Sei (V, 〈 · , · 〉) ein Innenproduktraum uber R. Man sagtdass zwei Vektoren v, w ∈ V zueinander orthogonal sind, wenn

〈v , w〉 = 0

gilt. In diesem Fall schreibt man v ⊥ w.

Bekanntlich gilt cos(π/2) = 0. Daher sind zwei von Null verschiedene Vektoren w und veines reellen Vektorraums V genau dann orthogonal zueinander bezuglich einem Skalar-produkt 〈 · , · 〉 auf V , wenn

∠(v, w) = arccos

( 〈v , w〉‖v‖ ‖w‖

)

2(= 90◦)

gilt, wobei ‖ · ‖ die von 〈 · , · 〉 induzierte Norm auf V bezeichnet. Die Vektoren sindalso genau dann zueinander orthogonal, wenn sie im rechten Winkel zueinander stehen.Man muss sich jedoch immer wieder klar machen, dass der Winkel zwischen zwei Vekorenebenso wie die Eigenschaft der Orthogonalitat von dem Skalarprodukt abhangig sind, mitdem ein reeller Vektorraum versehen ist. Bezuglich dem euklidischen Skalarprodukt giltbeispielsweise, dass zwei von Null verschiedene Vektoren des R2 bzw. des R3 genau dannzueinander orthogonal sind, wenn sie im geometrischen Sinne senkrecht zueinander stehen.Versieht man die Raume R

2 bzw. R3 mit anderen Skalarprodukten, gilt diese Aussage imallgemeinen jedoch nicht.

Ein wichtiges Resultat, welches fur orthogonale Vektoren gilt, ist der beruhmte Satz

des Pythagoras. Man betrachte dazu auch die Abbildung 1.4.

Satz 1.5 (Pythagoras). Sei (V, 〈 · , · 〉) ein Innenproduktraum uber R, und sei ‖ · ‖ die von〈 · , · 〉 induzierte Norm. Seien außerdem v, w ∈ V zwei zueinander orthogonale Vektoren.Dann gilt

‖v + w‖2 = ‖v‖2 + ‖w‖2 = ‖v − w‖2.

Mit dem Satz des Pythagoras kann man insbesondere das folgende Lemma beweisen.

1.4. ORTHONORMALBASEN 21

Lemma 1.6. Sei (V, 〈 · , · 〉) ein Innenproduktraum uber R, und seien v1, v2, . . . , vn ∈V \ {0} von Null verschiedene Vektoren, die paarweise zueinander orthogonal sind, d.h. esgelte 〈vi , vj〉 = 0 fur alle i, j ∈ {1, 2, . . . , n} mit i 6= j. Dann sind diese Vektoren linearunabhangig.

Als nachstes betrachten wir Basen von endlichdimensionalen Vektorraumen, die aus zu-einander orthogonalen Vektoren bestehen.

Definition (Orthogonalbasis). Sei U ein Untervektorraum eines reellen VektorraumsV , welcher mit einem Skalarprodukt 〈 · , · 〉 versehen ist. Eine Basis {p1, p2, . . . , pm} vonU heißt Orthogonalbasis bezuglich 〈 · , · 〉, wenn 〈pi , pj〉 = 0 fur alle i, j ∈ {1, 2, . . . ,m}mit i 6= j gilt, d.h. wenn die Basisvektoren paarweise orthogonal zueinander sind.

Im Rest dieses Abschnitts wenden wir uns eine speziellen Klasse von Orthogonalbasen,den so genannten Orthonormalbasen, zu.

Definition (Orthonormalbasis). Sei U ein Untervektorraum eines reellen VektorraumsV , welcher mit einem Skalarprodukt 〈 · , · 〉 versehen ist. Eine Basis {q1, q2, . . . , qm} vonU heißt Orthonormalbasis (abgekurzt ONB) bezuglich 〈 · , · 〉, wenn

〈qi , qj〉 ={

1 falls i = j,

0 falls i 6= jfur alle i, j = 1, 2, . . . ,m

gilt.

Man vergegenwartige sich noch einmal, dass fur alle Vektoren v eines reellen VektorraumsV , welcher mit einem Skalarprodukt 〈 · , · 〉 versehen ist, die Gleichung

〈v , v〉 = ‖v‖2

gilt, wobei ‖ · ‖ die von 〈 · , · 〉 induzierte Norm auf V bezeichnet. Daher ist die Basis{q1, q2, . . . , qm} eines Untervektorraums genau dann eine Orthonormalbasis, wenn sie eineOrthogonalbasis ist, und wenn alle Basisvektoren bezuglich der induzierten Norm auf Eins

normiert sind, d.h. wenn

‖qi‖ = 1 fur alle i = 1, 2, . . . ,m

gilt. Nachfolgend geben wir einige Beispiele fur Orthonormalbasen endlichdimensionaleVektorraume uber R an.

Beispiele.

(a) Fur jede naturliche Zahl n ∈ N ist die so genannte Standardbasis {e(1), e(2), . . . , e(n)}des Rn, welche durch

e(1) :=

100...0

, e(2) :=

010...0

, . . . , e(n) :=

00...01

gegeben ist, eine Orthonormalbasis bezuglich dem euklidischen Skalarprodukt.

22 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

(b) Die Vektoren

v(1) :=

√2

2

1−10

, v(2) :=

√3

3

111

, v(3) :=

√6

6

11

−2

bilden eine Orthonormalbasis des R3 bezuglich dem euklidischen Skalarprodukt.

Fur Orthonormalbasen gelten eine Reihe wichtiger Resultate, welche im folgenden Satzzusammengefasst sind.

Satz 1.7. Sei (V, 〈 · , · 〉) ein endlichdimensionaler, reeller Innenproduktraum, und sei ‖ · ‖die von 〈 · , · 〉 induzierte Norm. Sei außerdem {q1, q2, . . . , qn} eine Orthonormalbasis vonV . Dann gelten die folgenden Aussagen.

(1) Orthogonalentwicklung: Fur alle v ∈ V gilt

v = 〈q1 , v〉q1 + 〈q2 , v〉q2 + · · ·+ 〈qn , v〉qn.

(2) Parsevalsche Gleichung: Fur alle v ∈ V gilt

‖v‖2 = |〈q1 , v〉|2 + |〈q2 , v〉|2 + · · ·+ |〈qn , v〉|2.

(3) Aquidistanz: Fur alle i, j ∈ {1, 2, . . . , n} gilt

‖qi − qj‖ =

{

0 falls i = j,√2 falls i 6= j.

Abschließend soll hier noch diskutiert werden, wie man zu einem gegebenen Vektorraumeine Orthonormalbasis konstruieren kann. Wichtigstes Hilfsmittel einer solchen Konstruk-tion ist das so genannte Gram–Schmidtsche Orthogonalsierungsverfahren, welches durchdas nachfolgende Lemma motiviert ist.

Lemma 1.8. Sei (V, 〈 · , · 〉) ein reeller Innenproduktraum und {p1, p2, . . . , pm} ⊆ V \ {0}eine Menge von Vektoren, die paarweise zueinander orthogonal sind. Sei außerdem v ∈ Vein beliebiger Vektor. Dann ist der Vektor

p := v − 〈p1 , v〉〈p1 , p1〉

p1 −〈p2 , v〉〈p2 , p2〉

p2 − · · · − 〈pm , v〉〈pm , pm〉 pm

zu jedem Vektor der Menge {p1, p2, . . . , pm} orthogonal.

Algorithmus (Gram–Schmidtsches Orthogonalisierungsverfahren).Sei (V, 〈 · , · 〉) ein reeller Innenproduktraum, und seien v1, v2, . . . , vm ∈ V linear unabhan-gige Vektoren. Berechnet man die Vektoren p1, p2, . . . , pm ∈ V gemaß

p1 := v1,

p2 := v2 −〈p1 , v2〉〈p1 , p1〉

p1,

1.4. ORTHONORMALBASEN 23

p3 := v3 −〈p1 , v3〉〈p1 , p1〉

p1 −〈p2 , v3〉〈p2 , p2〉

p2,

...

pm := vm − 〈p1 , vm〉〈p1 , p1〉

p1 −〈p2 , vm〉〈p2 , p2〉

p2 − · · · − 〈pm−1 , vm〉〈pm−1 , pm−1〉

pm−1,

dann ist {p1, p2, . . . , pm} eine Orthogonalbasis von span{v1, v2, . . . , vm}.

Mit Hilfe des Gram–Schmidtschen Orthogonalisierungsverfahrens kann man aus einer ge-gebenen Basis {v1, v2, . . . , vm} eines Vektorraums eine Orthogonalbasis {p1, p2, . . . , pm}desselben Vektorraums konstruieren. Normiert man die Vektoren dieser Orthogonalbasisauf Eins, so erhalt man eine Orthonormalbasis des Vektorraums.

Beispiel. Gegeben seien die linear unabhangigen Vektoren

v(1) :=

21

−1

, v(2) :=

−122

.

Gesucht ist eine Orthonormalbasis {q(1), q(2)} von span{v(1), v(2)} bezuglich des euklidi-schen Skalarprodukts.

• Orthogonalisierung (Gram–Schmidtsches Orthogonalisierungsverfahren):

p(1) := v(1) =

21

−1

,

p(2) := v(2) − p(1) · v(2)p(1) · p(1) p

(1) =

−122

− (−2)

6

21

−1

=

−1/37/35/3

=1

3

−175

.

• Normierung:

q(1) :=1

|p(1)| p(1) =

√6

6

21

−1

,

q(2) :=1

|p(2)| p(2) =

√3

5· 13

−175

=

√3

15

−175

.

Zum Abschluss dieses Abschnitts wenden wird uns nun noch einer besonderen Klasse vonFunktionen zu, die eine besondere Rolle in vielen Teilbereichen der Mathematik spielen.

Definition (Funktional). Sei V ein Vektorraum uber K. Eine Funktion f : V → K heißtein Funktional auf V .

Ein Funktional ist also eine Funktion, welche die Vektoren eines Vektorraums auf Elementedes Korpers abbildet, uber dem der Vektorraum definiert ist. Fur lineare Funktionale aufden Vektorraumen R

n gilt ein wichtiger Satz, der als Rieszscher Darstellungssatz bekanntist.

24 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

Satz 1.9 (Rieszscher Darstellungssatz). Sei n ∈ N eine naturliche Zahl, f : Rn → R

ein lineares Funktional auf Rn und 〈 · , · 〉 ein Skalarprodukt auf Rn. Dann existiert eineindeutig bestimmter Vektor vf ∈ R

n, so dass

f(x) = 〈vf , x〉

fur alle x ∈ Rn gilt.

Der Rieszsche Darstellungssatz besagt, dass jedes lineare Funktional auf Rn durch ein

beliebig gewahltes Skalarprodukt dargestellt werden kann. Insbesondere existiert zu jedemlinearen Funktional f : Rn → R ein eindeutig bestimmter Vektor vf ∈ V , so dass f(x) =vf · x fur alle x ∈ R

n gilt.

Ubungsaufgaben

1. Bestimmen Sie die Orthogonalentwicklungen der Vektoren

x :=

123

, y :=

100

, z :=

1−10

bezuglich der Orthormalbasis {q(1), q(2), q(3)} des R3, welche durch

q(1) :=

√3

3

111

, q(2) :=

√2

2

1−10

, q(3) :=

√6

6

11

−2

gegeben ist.

2. Bestimmen Sie zwei Orthonormalbasen des R3 bezuglich dem euklidischen Skalarprodukt,

indem Sie die folgenden Basen unter Verwendung des Gram–Schmidtschen Orthogonalisie-rungsverfahrens orthonormalsieren:

212

,

151

,

−111

,

−112

,

111

112

.

3. Bestimmen Sie eine Orthonormalbasis des R2 bezuglich 〈 · , · 〉# (siehe Beispiel (d) auf

Seite 15), indem Sie die Standardbasis des R2 entsprechend orthonormalisieren.

4. Sei n ∈ N eine naturliche Zahl. Fur jedes j = 1, 2, . . . , n sei das lineare Funktional pj :R

n → R durch pj(x) = xj fur alle x = (x1, x2, . . . , xn)T ∈ R

n definiert. Geben Sie fur jedesj = 1, 2, . . . , n einen Vektor vpj

∈ Rn an, so dass pj(x) = vpj

· x fur alle x ∈ Rn gilt.

1.5. DEFINITHEIT SYMMETRISCHER MATRIZEN 25

1.5 Definitheit symmetrischer Matrizen

Definition (symmetrische Matrix). Zu einer gegebenen naturlichen Zahl n ∈ N heißteine Matrix A ∈ R

n×n symmetrisch, wenn AT = A gilt. Die Menge aller symmetrischenn× n-Matrizen mit reellen Matrixkomponenten wird gelegentlich mit Rn×n

sym bezeichnet.

Beispiele.

(a) Die folgenden Matrizen sind symmetrisch:

1 0 00 2 00 0 3

,

2 1 01 2 10 1 2

,

1 2 32 4 53 5 6

.

(b) Die folgenden Matrizen sind nicht symmetrisch:

1 2 30 4 50 0 6

,

1 2 03 1 20 2 1

.

Ist n ∈ N eine naturliche Zahl und A ∈ Rn×nsym eine symmetrische Matrix, so gilt nach

Satz 1.2 insbesonderex ·Ay = (Ax) · y

fur alle Vektoren x, y ∈ Rn. Der folgende Satz macht weiterhin Aussagen daruber, welche

Matrixoperationen die Symmetrie einer Matrix erhalten.

Satz 1.10. Sei n ∈ N eine beliebige naturliche Zahl. Dann gelten fur alle symmetrischenMatrizen A,B ∈ R

n×nsym und fur alle reellen Zahlen α ∈ R die folgenden Aussagen

(1) A+B ∈ Rn×nsym .

(2) αA ∈ Rn×nsym .

(3) A−1 ∈ Rn×nsym , falls A regular ist.

(4) Ak ∈ Rn×nsym fur alle k ∈ N0.

Die Aussagen in Teil (1) und (2) von Satz 1.10 implizieren, dass die Menge Rn×nsym ein

Untervektorraum von Rn×n ist. Die Menge R

n×nsym ist jedoch keine Gruppe bezuglich der

Matrixmultiplikation, da das Produkt zweier symmetrischer Matrizen im allgemeinen keinesymmetrische Matrix ist. Man betrachte etwa die beiden Matrix A,B ∈ R

2×2sym, welche durch

A :=

(

0 00 1

)

, B :=

(

2 11 2

)

gegeben sind. Fur das Produkt der beiden Matrizen gilt

AB =

(

0 01 2

)

6=(

0 10 2

)

= (AB)T,

was AB 6∈ R2×2sym impliziert.

Als nachstes fuhren wir das Konzept der positiven bzw. negativen Definitheit fur qua-dratische Matrizen ein. Dieses spielt eine wichtige Rolle bei der Identifikation lokaler Ex-trema von Funktionalen auf Rn (siehe Abschnitt 6.6).

26 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

Definition (positiv definite Matrix). Sei n ∈ N eine naturliche Zahl. Eine quadratischeMatrix A ∈ R

n×n heißt positiv definit, wenn x ·Ax > 0 fur alle x ∈ Rn \ {0} gilt.

Definition (negativ definite Matrix). Sei n ∈ N eine beliebige naturliche Zahl. Einequadratische Matrix A ∈ R

n×n heißt negativ definit, wenn −A positiv definit ist, d.h. wennx ·Ax < 0 fur alle x ∈ R

n \ {0} gilt.

Im allgemeinen ist es nicht leicht zu erkennen, ob eine Matrix positiv bzw. negativ definitist. Fur symmetrische Matrizen kann man jedoch ein hinreichendes Kriterium fur diepositive Definitheit wie auch fur die negative Definitheit angeben, welches auf den sogenannten Hauptminoren der Matrix beruht.

Definition (Hauptminor). Sei n ∈ N eine naturliche Zahl und A ∈ Rn×n eine qua-

dratische Matrix. Fur jede naturliche Zahl k ∈ {1, 2, . . . , n} definiert man die reelle ZahlA[k] ∈ R durch

A[k] := det

A11 A12 . . . A1k

A21 A22 . . . A2k...

......

Ak1 Ak2 . . . Akk

.

Die Zahl A[k] wird der k-te Hauptminor von A genannt.

Offenbar gilt A[1] = A11 und A[n] = detA fur jede naturliche Zahl n ∈ N und jede qua-dratische Matrix A ∈ R

n×n. Alle ubrigen Hauptminoren berechnet man, indem man dieDeterminante einer quadratischen

”Teilmatrix“ von A berechnet, welche die Matrixkom-

ponente A11 enthalt. Man betrachte dazu die nachfolgenden Beispiele.

Beispiele.

(a) Die beiden Hauptminoren der Matrix

A :=

(

−4 1−2 −1

)

lauten

A[1] = det(

−4)

= −4, A[2] = det

(

−4 1−2 −1

)

= 6.

(b) Die drei Hauptminoren der Matrix

B :=

2 1 0−2 3 1−1 0 2

sind durch

B[1] = det(

2)

= 2, B[2] = det

(

2 1−2 3

)

= 8, B[3] = det

2 1 0−2 3 1−1 0 2

= 15

gegeben. ♦

1.5. DEFINITHEIT SYMMETRISCHER MATRIZEN 27

Es sollte noch erwahnt werden, dass in der mathematischen Fachliteratur keine einheitlicheBezeichnungsweise fur die Hauptminoren einer Matrix existiert. Auch die hier gewahlteSchreibweise A[k] ist keinesfalls allgemein ublich.

Als nachstes zeigen wir, wie man mit Hilfe von Hauptminoren die positive bzw. dienegative Definitheit einer symmetrischen Matrix nachweisen kann.

Satz 1.11 (Hauptminorenkriterium). Sei n ∈ N eine naturliche Zahl und A ∈ Rn×nsym

eine symmetrische Matrix. Dann gelten die folgenden Aussagen.

(1) A ist genau dann positiv definit, wenn alle Hauptminoren von A positiv sind, d.h.wenn

sgn(A[k]) = 1

fur alle k = 1, 2, . . . , n gilt.

(2) A ist genau dann negativ definit, wenn die Vorzeichen der Hauptminoren von A mitMinus beginnend alternieren, d.h. wenn

sgn(A[k]) = (−1)k

fur alle k = 1, 2, . . . , n gilt.

In den nachfolgenden Beispielen wird gezeigt, wie man das Hauptminorenkriterium an-wendet.

Beispiele.

(a) Fur die Hauptminoren der symmetrischen Matrix

A :=

2 −1 0−1 2 −10 −1 2

gilt A[1] = 2 > 0, A[2] = 3 > 0 und A[3] = 4 > 0. Daher ist A positiv definit.

(b) Fur die Hauptminoren der symmetrischen Matrix

B :=

−4 0 10 −2 01 0 −3

gilt B[1] = −4 < 0, B[2] = 8 > 0 und B[3] = −22 < 0. Daher ist B negativ definit.

(c) Fur die Hauptminoren der symmetrischen Matrix

C :=

3 2 32 −2 03 0 1

gilt C[1] = 3 > 0, C[2] = −10 < 0 und C[3] = 8 > 0. Die Matrix C ist daher

weder positiv definit noch negativ definit. Tatsachlich gilt e(1) · Ce(1) = 3 > 0 unde(2) · Ce(2) = −2 < 0, wobei e(1) = (1, 0, 0)T und e(2) = (0, 1, 0)T.

Der Vollstandigkeit halber geben wir zum Abschluss diese Abschnitts noch das folgendeResultat an, welches es einem erlaubt, auch nicht-symmetrische Matrizen mit dem Haupt-minorenkriterium auf positive oder negative Definitheit hin zu untersuchen.

Lemma 1.12. Eine quadratische Matrix A ∈ Rn×n ist genau dann positiv definit bzw.

negativ definit, wenn die symmetrische Matrix A+AT positiv definit bzw. negativ definitist.

28 KAPITEL 1. NORMEN UND SKALARPRODUKTE

Ubungsaufgaben

1. Sei n ∈ N eine naturliche Zahl, und sei A ∈ Rn×n eine quadratische Matrix. Zeigen Sie, dass

die Matrizen ATA und AAT symmetrisch sind.

2. Zeigen Sie, dass fur jede naturliche Zahl n ∈ N eine Matrix A ∈ Rn×n genau dann symme-

trisch ist, wenn

A =1

2

(

A+AT)

gilt.

3. Untersuchen Sie die folgenden symmetrischen Matrizen auf positive oder negative Definitheit.

A :=

−4 2 02 −3 −20 −2 −1

, B :=

1 1 21 3 −12 −1 5

, C :=

4 −1 −1−1 4 −1−1 −1 4

.

4. Sei n ∈ N eine naturliche Zahl, und sei A ∈ Rn×n eine symmetrische und positiv definite

Matrix. Zeigen Sie, dass dann die Funktion 〈 · , · 〉A : Rn×Rn → R, welche durch 〈x , y〉A :=

x ·Ay fur alle x, y ∈ Rn definiert ist, ein Skalarprodukt auf Rn ist.

Lernzielkontrolle

Nach dem Durcharbeiten dieses Kapitels sollten Sie ...

... die definierenden Eigenschaften von Normen und Skalarprodukten kennen.

... wissen, wie offene Kugeln, abgeschlossene Kugeln und Spharen in einem normiertenRaum definiert sind.

... wissen, auf welche Weise ein Skalarprodukt eine Norm induziert.

... wichtige Gleichungen und Ungleichungen fur Normen und Skalarprodukte kennen.Sie sollten insbesondere die Dreiecksungleichung, die umgekehrte Dreiecksungleichung

und die Cauchy–Schwarzsche Ungleichung kennen.

... das euklidische Skalarprodukt, die euklidische Norm, die Betragssummennorm unddie Maximumnorm kennen.

... wissen, dass die euklidische Norm vom euklidischen Skalarprodukt induziert wird.

... wissen, was eine Orthonormalbasis ist.

... das Gram–Schmidtsche Orthogonalisierungsverfahren anwenden konnen.

... wissen, was eine positiv definite und was eine negativ definite, symmetrische Matrixist.

... die Hauptminoren einer quadratischen Matrix berechnen konnen.

... das Hauptminorenkriterium fur die positive bzw. die negative Definitheit einer sym-metrischen Matrix kennen.

29


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